Baccara Collection Band 470

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SO VERFÜHRERISCH – SO VERBOTEN! von KATIE FREY

Die süße Evie weckt ungeahntes Begehren in Selfmade-Millionär August Quaid. Doch er hat Evies Bruder versprochen, sich um sie zu kümmern – nicht sie zu einer Affäre zu verführen! Leicht gesagt, wenn es gegen jede Vernunft immer erregender zwischen ihnen knistert …

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  • Erscheinungstag 20.04.2024
  • Bandnummer 470
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523080
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katie Frey, Jessica Lemmon, Reese Ryan

BACCARA COLLECTION BAND 470

1. KAPITEL

„Das war schön“, sagte Evie Hartmann, obwohl sie schon die ganze Zeit darüber grübelte, dass ihr Date mit Ben ihre freundschaftliche Beziehung eher noch gefestigt hatte, anstatt den Funken ewiger Leidenschaft zu zünden.

Das Dinner war wirklich schön gewesen, zu dem Ben eigens einen Küchenchef hatte einfliegen lassen. Sie hatten an die „guten alten Tage“ zurückgedacht, dann übereinstimmend festgestellt, dass sie beide viel zu jung waren, um allzu viele „gute alte Tage“ gesammelt zu haben und in Erinnerungen darüber zu schwelgen. Während des ganzen Abends wussten sie beide, was der andere wollte, und spürten, dass sie Welten voneinander entfernt waren.

Evie biss sich auf die Innenseite der Wange. Es war eine Sache, zu wissen, was gut für sie war, und eine ganz andere Sache, das auch zu wollen. Dabei wünschte sie so sehr, dass sie es wollte … oder ihn.

Ben Kingsley, der sympathischste Mann der Welt und attraktiver als die Hälfte der bekanntesten Hollywoodschauspieler, hob die Hand zur Hutkrempe. Diese reflexhafte Geste eines Cowboys hatte sie in ihrer Zeit in Los Angeles vermisst. Nach Hause getrieben hatte sie allerdings das Ausbleiben passender Rollen. Oder genauer gesagt, die Tatsache, dass sie immer noch Nebenrollen anstatt Hauptrollen spielte. Sie kam als glücklose Schauspielerin zurück, war aber fest entschlossen, sich nicht für immer und ewig wie eine Versagerin zu fühlen. Daher auch das Date mit dem wundervollen Jungen von nebenan.

Er schluckte. „Absolut. Ich bin so froh, dass du wieder da bist.“

In seiner Stimme lagen Aufrichtigkeit und eine raue Wärme, die sie ihre Entscheidung für „nur Freundschaft“ wieder überdenken ließ. Mehr als alles andere wollte sie sich in ihren Gefühlen irren. Sie hatte sich in letzter Zeit doch so oft geirrt. Das Karma war ihr was schuldig. Schließlich war sie eine Frau aus Fleisch und Blut, und sie konnte sich kaum vorstellen, dass irgendeine Frau diese Sahneschnitte von Nachbarn anschauen konnte, ohne mehr zu wollen.

Was stimmte nicht mit ihr?

Sie war schon eine ganze Woche zu Hause. Es war Zeit, erwachsen zu werden.

Seit ihrer Rückkehr war sie so beschäftigt wie eine Bienenkönigin, hatte bei öffentlichen Essen teilgenommen, im Bozeman Hospital zeremoniell das Band durchgeschnitten, zwei Familienessen mit ihren Geschwistern und deren jeweiligem, perfektem Anhang durchgestanden. Evie war als Einzige Single, und sie war es satt.

Ben räusperte sich, das Geräusch trug weit in der feuchten Abendluft des Spätsommertags. Er lächelte und trat einen Schritt näher. Er war unleugbar attraktiv, sogar perfekt. In allen Dingen perfekt, die ihr wichtig sein sollten.

Warum vibrierten ihre Hormone nicht? Evie kniff kurz die Augen zu und zwang sich in den Moment zurück. So froh, dass du zu Hause bist, hatte er gesagt.

Zu Hause. In Hartmann Homestead. 250 Morgen hügeliges Farmland, Weiden und glitzerndes Wasser an der Grenze zum Yellowstone Park. Es war schön, zurück zu sein.

„Ja, ich auch.“ Evie verlagerte das Gewicht. Trotz der Sommerhitze zog sie die Ellbogen an den Körper, um Ben die Botschaft zu vermitteln, dass er nicht näher kommen sollte – jedenfalls noch nicht. Ein Kuss würde alles nur verkomplizieren und die Freundschaft zwischen ihr und dem Nachbarsjungen verändern. Dem Jungen, mit dem sie länger befreundet war als mit irgendjemandem sonst. Fast.

Mit dem Blick suchte sie nach dem Schlafhaus auf dem Gelände der Ranch, aber als Ben noch einen Schritt näher trat, hörte sie auf, trat rückwärts zur Haustür und versuchte, das Gefühl abzuschütteln, dass er der falsche Junge von nebenan war.

„Ähm, gute Nacht. Ich rufe dich morgen an. Danke für den Abend. Das Dinner war toll, und ich hatte Spaß.“

Es war peinlich, wie schnell sie sich auf dem Absatz umdrehte und ins Haus verschwand, bevor Ben die Chance hatte zu reagieren. Aber egal. Sie war sich nicht sicher, ob sie dafür bereit wäre.

Evie lehnte sich mit der Schulter an die Haustür und überdachte kurz ihre Entscheidung, wie eine Irre hineingerauscht zu sein.

„War’s so gut?“ Das kam von Amelia oder Mia, ihrer euphorischen und frisch verlobten Schwester.

„Wir sind vielleicht Zwillinge, aber wenn du das als Hingerissensein interpretierst, sind dir deine eigenen Gefühle wohl zu Kopf gestiegen.“

Mia machte ein paar Schritte zur Tür und bot Evie einen Becher an. Sie hob ihn an die Lippen. Heißer Kaffee, schwarz.

„Ich werde die ganze Nacht wach liegen, wenn ich das trinke.“ Stirnrunzelnd hielt sie ihrer Schwester den Becher hin. Doch anstatt ihn zu nehmen, zog Mia ein Fläschchen aus ihrer Gesäßtasche, schraubte den Deckel des silbernen Flachmanns auf und schnupperte daran.

Umstandslos kippte sie den Inhalt in den Kaffee. „Wenn du dich so an die Tür lehnst, gibt es wohl nur wenige Gründe für deine Reaktion. All diese Gründe werden wenigstens ein bisschen leichter durch ein starkes Getränk. Übrigens ist es nicht immer schlecht, die ganze Nacht wach zu liegen.“ Mia zwinkerte.

„Es ist nicht, wie du denkst.“ Evie beäugte den Drink und nahm ihn dann. Der Becher war warm. Seit Mia offiziell mit ihrem Beau Antone Williams verlobt war, war sie unverbesserlich und wahnsinnig glücklich.

„Du versuchst nicht, beim ‚betörten Ben‘ die Dinge voranzutreiben?“ Ihre Schwester zog eine Braue hoch, drehte sich um und tappte mit leisen Schritten über das polierte Parkett zum Wohnzimmer.

„Hey“, rief Evie ihr hinterher. „Nenn ihn nicht so.“ Betörter Ben war der Spitzname, den die Hartmanngeschwister ihm gegeben hatten, als er seine Zuneigung zu Evie gestanden hatte. Sie war siebzehn gewesen, und das war eine Dekade her. Evie hatte es geschafft, seine Gefühle nicht zu ermutigen, und so waren sie Freunde geblieben.

Natürlich hatte sie Ben nie von ihm erzählt. Das hätte alles zwischen ihnen geändert. Vielleicht war es Selbstschutz gewesen, oder es war der schlimmste Teil von ihr. Derjenige, der nicht eingestehen wollte, was sie getan hatte, denn die Erinnerung an ihn nur für sich zu behalten, machte es leichter, sich darin zu suhlen.

Mia antwortete nicht und ging davon. Evie zögerte, bevor sie die Eichentür aufzog. Sie trat hinaus und trank einen tiefen Schluck vom Kaffee ihrer Schwester.

Evie hatte keinem ihrer Geschwister von der Nachricht erzählt, die ihre Agentin auf ihrer Mailbox hinterlassen hatte. Es war sinnlos, alle daran zu erinnern, dass das Schlimmste, was sie über sich selbst dachte, stimmte: Sie war eine Versagerin. Mit achtundzwanzig Jahren war sie vielleicht zu alt für Hollywood, aber nicht zu alt, um ihre Stellung auf der Ranch einzunehmen und Teil des Vermächtnisses zu werden, in das sie geboren worden war. Ein ordentlicher Trostpreis, wenn sie ihre Perspektive korrigieren konnte. Trotzdem fühlte es sich nicht direkt gut an, auf das Familienvermögen vertrauen zu müssen.

Aber nach acht Jahren in Hollywood, ohne ihren Namen je allein auf der großen Leinwand gesehen zu haben … da brauchte sie keinen Karriereberater, um ihren nächsten Schritt zu erkennen. Jetzt gerade gab es nur eine vernünftige Sache, die ihre Stimmung aufbessern konnte.

Ihre Füße gingen von allein den einzig möglichen Weg. Fünf Minuten später hatte sie das Haupthaus hinter sich gelassen, und mit jedem Schritt fühlte sie sich leichter. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, ihre Stimmung aufzuhellen: ein nächtlicher Ritt auf Lady.

Lady, eine richtige Pferdedame, war ein Pryor-Mustang der dritten Generation und nach Amelia ihre beste Freundin. Sie hatte Lady nach Los Angeles mitgenommen und sie bei jeder Gelegenheit geritten, obwohl man ihr davon abgeraten hatte. Jetzt war einer der größten Vorteile daran, zu Hause zu sein, dass sie dem Pferd so nahe war und stundenlang in der rauen Landschaft reiten konnte. Nichts verlieh ihr mehr Leichtigkeit.

Als sie am Stall ankam, zog sie an der Tür und hantierte an dem ungewohnten Vorhängeschloss herum. Seit wann schloss Nick den Stall ab? Es hatte nie Einbrüche auf der Farm gegeben.

Es war fast Mitternacht, und sie hatte ihr Handy nicht mit, brauchte aber Licht, um den Schlüssel zu finden.

Vielleicht war es ein Reflex, der auf ihre Jugend zurückging, aber sie schaute zum Schlafhaus. Wenn es einen Grund gab, dort anzuklopfen, dann war es der abgesperrte Stall. Sie war hübsch angezogen, wie für eine Verabredung eben, in einem gemusterten Sommerkleid, das ihre Knie umspielte. Oberhalb der Cowboystiefel war ein Stück Haut zu sehen. Ihre Jeansjacke trug sie über dem Arm.

Sie streckte die Schultern durch und ging zum Schlafhaus. Sie würde wetten, dass ihr Bruder Jackson, der sich bei den Arbeitern wohler fühlte als im Haupthaus, an einem Freitagabend mit den Jungs was trank, besonders wenn seine im selben Haus wohnende Verlobte Hannah Bean arbeitete. Wenn sie ihre mitternächtliche Zeit mit Lady wollte, brauchte sie nur ein paar Cowboys zu bitten, dass sie sie in den Stall ließen.

„Die letzte Frau, mit der ich ein Date hatte, war Komparse bei The Bachelor. Ich bin allergisch gegen Orangen. Ich mag Katzen lieber als Hunde.“ Brady zählte seine Sätze grinsend an den Fingern ab.

Seit August Quaid nach Montana zurückgekommen war, verbrachte er viel Zeit mit dem rauen Leben der Cowboys und in deren Gesellschaft. Er runzelte die Stirn. Sicher konnte er Bradys Lüge herauspicken. Ein Satz war lächerlicher als der andere, aber sie hörten sich alle gleich bescheuert an.

Die Mauern des Blockhauses schienen enger als je zu sein, die Baumstämme schwitzten in der Sommerhitze, aber das Geplauder der Männer war verstummt, weil sich alle konzentrierten. Anstatt zu antworten, betrachtete August seine Kollegen. Jackson, der jüngste Sohn der Hartmanns und sein bester Freund nach dem Tod des ältesten Hartmannerben Austin, kratzte sich am Kinn und lächelte ihm zu.

„Das ist doch wie das Trinkspiel einer Schwesternschaft“, sagte August und atmete tief aus, bevor er einen Schluck Pale Ale trank.

„Du bist nur mies drauf, weil du an einem Freitagabend hier bei uns sitzt.“ Alex, der Jüngste der Farmhelfer, nickte ihm mit einem breiten Grinsen zu. Alex war neu in Hartmann Homestead, hatte aber schon auf einem Bullen gesessen, bevor er alt genug zum Reiten war.

Jemand wie er würde sich diese Saison als nützlich erweisen, besonders, wenn die Dürre nicht bald endete. Er war genau die Art Rancharbeiter, die August für seine eigene Operation würde anheuern müssen. Er war zu lange aus Bozeman weg gewesen, und Jackson dankbar dafür, dass er ihn, ohne groß Fragen zu stellen, wieder aufgenommen hatte. So konnte er sich erst mal erholen, bevor er aus dem Fracking-Giganten Quaid Corp einen führenden ökologischen Hof in Montana machte.

Brady warf eine zerdrückte Bierdose quer durch das Schlafhaus in Augusts Richtung, und sie segelte zur Erheiterung der anderen Farmarbeiter in einem großen Bogen weit neben ihm zu Boden. Brady war seit vier Jahren in Jacksons Crew und ihm altersmäßig am nächsten.

„Jetzt rate schon. Zwei Wahrheiten, eine Lüge. Wenn du richtig rätst, trinke ich, andernfalls trinkst du.“ Brady verengte die Augen. Er mochte August nicht besonders, das war daran zu erkennen, wie er den Mund verzog, wenn er in Augusts Richtung blickte. Sie hatten den gleichen Look – Tattoos, einen Bart und weißes Hemd zu abgetragenen Jeans. Der Unterschied war nur, dass Brady nicht einen kleinen Betrieb in eines der größten Unternehmen der USA und seine gesamten persönlichen Vermögenswerte in Selfmademillionen verwandelt hatte. Brady hatte nur einen hübschen Bart.

Nun, August auch. Ob es ihm passte oder nicht, er war der Bad Boy von Bozeman. Der Titel war ihm trotz seiner fast zehnjährigen Abwesenheit erhalten geblieben.

Die Abneigung zwischen dem Vorarbeiter und dem Nachbarn der Hartmanns ging aber tiefer, das wussten leider alle. Brady fehlten zwei Dinge, die August seit jeher besaß: das Vertrauen von Nick Hartmann, dem Teilhaber des Anwesens, und außerdem die Freundschaft von Jackson, dem jüngeren der Hartmann-Brüder, Pferdeflüsterer und Rodeo-Vizemeister.

Und nicht einmal die neueren Arbeiter konnten vorgeben, den großen Respekt, den August bei Austin, dem ältesten Hartmann-Bruder genossen hatte, nicht bemerkt zu haben. Bei dem Bruder, dem August vor zehn Jahren einen Schwur geleistet hatte. Jetzt, zwei Jahre nach dem Tod Austins und seiner Frau bei einem Helikopter-Unfall, hatte August keine Chance mehr, das gegebene Versprechen neu zu verhandeln.

„Kümmer dich um die Familie, wenn mir je etwas zustößt.“

Vor allem um Evie, Austins Lieblings- und zugleich die jüngere Schwester der Hartmanns. August durfte nicht an sie denken.

Sein selbst erarbeitetes Vermögen mal beiseite gelassen, war August als Nachbar mit den Hartmannjungs als Freunde aufgewachsen, obwohl die Quaids lang nicht so reich gewesen waren, was allerdings nie eine große Rolle gespielt hatte. Aber es war den Quaids gut gegangen.

Allerdings hatte die Verwicklung von Augusts Vater in einen Crystal-Meth-Ring in Montana, der vor zehn Jahren aufgedeckt worden war, ihm das bisschen Respekt, das seine Familie genossen hatte, genommen, und mit dreiundzwanzig Jahren hatte August seine Sachen gepackt und mit Investitionen in Landpachtverträge für Fracking sein eigenes Vermögen aufgebaut.

Seine Fähigkeit, Menschen zu interpretieren, Verhandlungen zu führen – und Schiefergestein ausfindig zu machen –, war eine wertvolle Gabe. Die Öl- und Gasindustrie hatte ihn reich genug gemacht, um sich überall eine Existenz zu schaffen, wo er wollte, und so war er wieder nach Hause gekommen, seinem Meth-dealenden Vater zum Trotz. Böse Seitenblicke von Arbeitern konnten ihm nichts anhaben. Er war nicht hier, um das Vermächtnis seines Vaters reinzuwaschen, sondern um sein eigenes aufzubauen. Und er brauchte sich bei niemandem zu entschuldigen.

Jackson hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als August vor ein paar Monaten aufgetaucht war. Sie hatten einfach ihre fast brüderlich-innige Freundschaft wieder aufgenommen.

August hob die verbeulte Dose auf und ging zum Mülleimer. Die Dose fiel klappernd in den Eimer, und er richtete sich auf. Es war hart, wieder in Bozeman zu sein.

Wenn der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert war, dann war der Weg nach Bozeman mit Scham gepflastert. Er hatte zwar ein Vermögen gemacht, aber um welchen Preis? Durch die Erschließung unberührten Landes für Öl- und Gasfracking? Gegen den Wunsch seiner Mutter hatte er seine Fracking-Aktien verkauft und wollte neu anfangen, Bad Boy oder nicht. Er griff nach einer frischen Dose Bier.

Vielleicht würde das Spiel „Zwei Wahrheiten und eine Lüge“ in den nächsten drei Monaten das Leben hier ja etwas einfacher machen. Er würde einige Zeit auf seinem Land verbringen müssen, um herauszufinden, wie er seinen Plan, staatliche Förderung für die größte Solarfarm in Montana zu bekommen, umsetzen konnte. Er war nie ein besonders guter Cowboy gewesen, aber vielleicht würde sein Plan das Gegenteil beweisen. Jedenfalls hatte der bärtige, tätowierte, reiche Cowboy seinen Platz an diesem Tisch verdient.

„Ich glaube nicht, dass du allergisch gegen Orangen bist, aber ich weiß auch, dass dein letztes Date das mit deiner linken Hand war, also nehme ich an, dass das ehrlichste, was du zugegeben hast, deine Vorliebe für Katzen ist. Trink aus, Buddy.“ August erntete für seine Überlegungen einen grimmigen Blick von Brady, sehr zur Erheiterung der anderen sechs Männer im Blockhaus.

„Ihr kennt mich, ich hatte immer eine Schwäche für Puss…“

Zum Glück warf ein anderer Cowboy seine Bierdose nach dem freimütigen Brady. Die Dose flog gegen seine Schulter und fiel auf den Boden. Die beiden Cowboys links von ihm klatschten, und der deutsche Farmarbeiter kommentierte in seiner Muttersprache: „Nett.“

„Der Gewinner ist dran.“ Ein anderer hob sein Glas, und August stellte sich auf eine lange Nacht mit den Jungs ein. Er konnte es genauso gut genießen. Schon bald würde auf seinem eigenen Hof eine andere Cowboycrew arbeiten. Er fragte sich kurz, ob eine neue Herausforderung ihm helfen würde, das engelhafte Gesicht von Evie Hartmann zu vergessen. Trotz des Versprechens ihrem verstorbenen Bruder gegenüber.

„Ich spiele nicht.“ August runzelte die Stirn und wedelte abweisend mit den Händen.

Die Männer johlten, und Brady grölte: „Das ist es ja bei dir, Texas. Wir würden dich sofort durchschauen. Kommst aus der großen Stadt.“

„Wir würden deine Lüge drei Meter gegen den Wind riechen. Du bist so was von spießig. Der Bad Boy von Bozeman – ha!“, spottete Alex.

Was bald reif, hält nicht steif“, pflichtete ihm Sven bei. August hörte ein leises Kratzen an der Tür.

„Sven, zum letzten Mal, wir verstehen dich nicht, wenn du Deutsch sprichst“, protestierte Alex und schlug ihm leicht auf die Schulter.

„Früh reif, früh verdorben“, murmelte August. Er hatte aus Spaß Deutsch gelernt. Sven war einer von Augusts Männern und hatte während seiner Abwesenheit das Grundstück betreut.

Was die Sprache Deutsch anging, hatte August die Absicht, sich zu verbessern, weil er nur zu gut wusste, welchen Unterschied Bildung machte. Er hatte dank des Meth-Geldes einen hochrangigen Universitätsabschluss, den zum Glück keine Bank konfiszieren konnte, aber darüber hinaus war er auch wissensdurstig. Und er freute sich darauf, Brady auf Hochdeutsch zu sagen, dass er sich selbst …

„Angeber.“ Brady runzelte die Stirn. „Typisch August Quaid. Zu fein, mit unsereinem zu spielen. Weshalb bist du noch mal hier?“

Alex griff nach einer Gitarre, spielte einen klassischen Countrysong und summte dazu, während John und Jack, zwei andere Arbeiter, mit den Füßen den Rhythmus dazu trommelten.

Um zurechtzukommen, musste man sich anpassen. So hatte er die Landverpachtung in den Griff bekommen, und so wollte er seine Fähigkeiten nutzen, um Landwirtschaft ohne CO²-Fußabdruck zu verwirklichen. August runzelte die Stirn, dann griff er nach seiner Bierdose. Wenn er die Politiker in Montana begeistern und Machtstrukturen verändern wollte, musste er die Kultur verstehen.

„Ich wollte immer schon Paragliding machen.“ Die erste Wahrheit war leicht, wenn auch langweilig.

„Ich habe mir noch nie einen Knochen gebrochen.“ Die Lüge war raus, bevor er sie zurückdrängen konnte. Er dachte an den Sommer zurück, als er Evie hinterhergejagt war, die schlimmste Entscheidung seines Lebens bereuend, und vom Pferd geworfen worden war. Eine Klapperschlange hatte sein Pferd erschreckt. Er hatte Evie nicht mehr eingeholt, weil er wertvolle Minuten damit verloren hatte, das Gift auszusaugen und den Biss zu verbinden, nachdem er abgeworfen worden war.

Er unterdrückte die Erinnerung. Bevor er nach der ärztlichen Versorgung seines verdammten Arms zurückgekommen war, hatte sie schon ihre Taschen gepackt.

Die Cowboys murmelten untereinander, um herauszufinden, was gelogen war. Noch eine Wahrheit ging ihm durch den Kopf, die so wichtig war, dass sie ihm entwich, bevor er mit einer besseren Lüge aufwarten konnte. „Ich ziehe weg, um aus der Ölindustrie rauszukommen.“

„Was für ein Quatsch.“ Die Stimme ließ ihn erstarren. Er drehte sich zu der Frau um, die er bereits an der Stimme erkannt hatte, bevor er sie sah.

John johlte: „Lügner, Lügner – sie hat dich erwischt. Du trinkst, Kumpel.“ Die älteren Farmarbeiter sahen nicht nur die Frau, sondern erkannten sie auch. Natürlich stimmten sie ihr zu und hielten seine Wahrheit für eine Lüge, denn es war unvorstellbar, dass er die Quaid-Ranch jemals verlassen würde. Genau deshalb musste er gehen.

Evie lächelte ihn an. „Du bist nicht sehr gut darin.“

Verdammt, sie war noch heißer, als er sie in Erinnerung hatte.

Ihr kaffeebraunes Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst, und ihre Haut schimmerte im gedämpften Licht der Scheune wie Elfenbein. Er fragte sich, ob ihre Lippen noch wie früher schmeckten. Als Teenager hatte Evie nach Kirsch-Lipgloss geschmeckt. Verbotene Früchte hatte er immer schon bevorzugt.

„Schöne junge Frau.“ Sven lächelte. Evie hatte schon lange eine Schwäche für ihn.

„Sven.“ Sie erwiderte das Lächeln. Evie schaute überall hin, nur nicht zu August, und er fragte sich, ob sie den Blickkontakt mit ihm absichtlich mied. Sie sah noch genauso aus wie früher. In jeder Hinsicht, auf die es ankam, war sie dieselbe. „Mit wem muss ich verwandt sein, um was zu trinken zu bekommen?“

Jackson hastete vorwärts und hielt ihr eine Flasche entgegen. „Die Gewinnerin ist dran“, sagte er.

„Sie spielt nicht mit“, fing August an und konnte nicht verhindern, dass er beim Gedanken, dass Evie Hartmann ein Trinkspiel mit der Crew spielte, rot wurde. Sie waren nette Kerle, aber dieses Spiel schaukelte sich nach ein paar Drinks hoch, und sie spielten schon seit einer Dreiviertelstunde. Er wunderte sich, dass Jackson es ihr nicht verboten hatte.

„Du bist nicht mein Boss“, parierte Evie und öffnete ihre Bierflasche geschickt an der steilen Stuhllehne, dann nahm sie einen tiefen Zug. Verschwunden war das unsichere Mädchen, das sich in einer Bar unbeholfen gefühlt hatte. Klein Evie war erwachsen.

Die Männer reagierten mit Pfiffen und Johlen darauf, dass sie spielen wollte. „Das ist kein Spiel für arme kleine Mädchen.“ Brady sah sie mit hochgezogener Braue an. Ausnahmsweise war August derselben Meinung, vielleicht nicht aus demselben Grund, aber er wollte auf jeden Fall das gleiche Ergebnis. Das Letzte wäre, dass Evie „Zwei Wahrheiten und eine Lüge“ mit diesen Männern spielte.

„Drei Äußerungen, zwei wahr, eine gelogen. Wenn wir richtig raten, gewinnen wir, und du musst trinken. Wenn du gewinnst, muss der Ratende trinken“, erklärte Jackson, und dann wurde er knallrot. „Und sag Nick bloß nicht, dass ich dich hab mitspielen lassen.“

„Nick ist auch nicht mein Boss. Zwei Wahrheiten und eine Lüge. Scheint leicht zu sein.“ Evie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. August zwang sich, ihr ins Gesicht zu schauen.

„Ich spreche fließend Französisch“, sagte sie und ahmte Brady nach, indem sie die Sätze an ihren schlanken Fingern abzählte.

Der Gedanke, wie sie diese Finger an seine Brust legte, verführerisch und selbstbewusst …

Ihr Satz beeindruckte die Männer nicht; sie stöhnten. Brady rollte die Augen und murmelte etwas vor sich hin. Evie schüttelte bei dem leisen Murren den Kopf, leichte Röte stieg ihr in die Wangen.

„Ich bin noch nie operiert worden. Nie.“ Sie betonte das letzte Wort und sprach es wie eine Entschuldigung aus. Die Lüge durfte nicht leicht zu erkennen sein.

Brady drückte eine andere Bierdose zusammen. Das Krachen des Aluminiums lenkte kurz von Evies Unterbrechung ab. Leise murmelte er: „Geht’s noch langweiliger?“ Gerade laut genug, dass sie es verstand.

„Du solltest deine Aussagen ein bisschen … prickelnder machen“, erklärte Sven.

„Benutzt du zum Beispiel Toilettenpapier mit aufgedruckten Wörtern?“, scherzte Jackson, der offensichtlich das Thema wechseln wollte.

August war froh darüber. Das Letzte, was er wollte, war noch ein „prickelndes“ Trauma mit der jüngsten Hartmanntochter. „Ich bringe dich gern zurück“, bot er an. „Dieses Spiel ist nicht für jeden geeignet.“ Besonders nicht für sie.

Er hasste es, wenn die Welten, in denen er lebte, aufeinanderprallten. Noch schlimmer war es, wenn er an die Welt erinnert wurde, von der er nie Teil gewesen war. Der Bad Boy von Bozeman konnte nie ein gutes Mädchen abbekommen. Erst recht nicht die kleine Schwester seines toten besten Freundes. Dem er ein Versprechen gegeben hatte.

„Ich bin Jungfrau“, sagte sie, anstatt seinen Vorschlag anzunehmen, und sah ihm geradewegs mit unbewegtem Gesicht in die Augen.

Die Männer johlten, trampelten mit den Füßen und grölten. „Das Spiel ist nicht für jeden geeignet.“ Jackson schnaubte.

„Die Lady ist im Spiel, Boss.“ Brady pfiff.

„Mamma mia“, sagte Sven und bekreuzigte sich scherzhaft. „Da glühen die Lenden.“

Mit achtundzwanzig noch Jungfrau? August war der Einzige, der nicht johlte und in den Aufruhr einstimmte. In seinem Kopf war genug Aufruhr.

„Das ist gelogen“, sagte er rasch, weil er es für unmöglich hielt. Wie hätte diese Göttin so lange in Los Angeles sein können, ohne … Die Männer ignorierten ihn, aber Evie hielt mit undurchdringlicher Miene seinem Blick stand.

Je n’ai jamais été opérée“ oder mit anderen Worten: Ich bin noch nie operiert worden. Er war noch nie glücklicher darüber gewesen, Französisch gelernt zu haben. Glücklicher und gleichzeitig enttäuschter. Also war ihre Jungfräulichkeit eine Lüge. Sie war achtundzwanzig. Er wusste nicht, weshalb er überrascht war.

Sie blieb ruhig und zeigte jedem im Blockhaus, dass Evie Hartmann eine erwachsene Frau war.

Anstatt zu trinken, stand August Quaid auf und verließ die Hütte.

2. KAPITEL

„August“, rief Evie ihm hinterher.

Ihre Enthüllung war unangemessen gewesen, aber sie war ja dazu verleitet worden. Alle spotteten über sie, das arme kleine Mädchen, aber am schlimmsten war, dass es stimmte. Sie war immer noch Jungfrau, so sehr sie vor acht Jahren auch versucht hatte, keine mehr zu sein. Sie hatte null schlechtes Gewissen, dass sie die Cowboys angelogen hatte.

Sie sah ihn eilig vom Blockhaus weggehen und beschleunigte ihre Schritte. Mit welchem Recht war er sauer?

„August“, rief sie dieses Mal bestimmter. Sie sah, dass er langsamer wurde und dann stehen blieb. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und stemmte dann die Hände resigniert in die Hüfte.

„Warum so erregt, August?“ Sie schloss zu ihm auf.

„Erregt? Bist du nicht die mit den glühenden Lenden?“

Sie zuckte zusammen, als er die spöttische Äußerung aus dem Blockhaus wiederholte.

„Was hast du dir dabei gedacht? Ins Schlafhaus der Männer zu kommen und sie mit deinen unpassenden Enthüllungen aufzumischen?“ Er ging kopfschüttelnd hin und her.

„Meine unpassenden Enthüllungen?“ Sie unterdrückte ein Lachen. Er war sauer wegen des Trinkspiels?

„Allen zu sagen, ihnen zu sagen, dass du keine …“

„Keine Jungfrau? Das habe ich niemandem gesagt. Ich habe ein Trinkspiel gespielt, und ehrlich gesagt, reagierst du über.“

„Überreagieren?“ Er schnaubte. „Ein Trinkspiel mit den Farmarbeitern, was würde deine Mutter wohl dazu sagen? Oder deine Brüder, was das angeht.“ August streckte die Schultern durch und sah sie zum ersten Mal an diesem Abend direkt an. Sein Blick aus Augen, deren Blau zum samtenen Nachthimmel passte, war stechend. Eine Strähne dunkelblonden Haares fiel ihm in die Stirn, er schob sie zur Seite. Er sah wie früher aus, und doch anders. Erwachsener. Mehr Mann.

Er war auch als Heranwachsender attraktiv gewesen. Er war mit fünfzehn nebenan eingezogen, als sie elf gewesen war. In vielerlei Hinsicht waren sie gemeinsam erwachsen geworden. Abgesehen von einer.

„Und was ist falsch daran, mit den Farmarbeitern zu trinken? Kann mich nicht erinnern, dass du früher ein Problem damit hattest, wenn wir zusammen abhingen?“

„Früher?“ Seine Augen blitzten. „Du meinst, als Kinder, die im Schuppen zusammen getrunken haben?“

Es war acht Jahre her, seit sie miteinander gesprochen hatten. Acht Jahre.

Sie spürte, wie ihre Züge weicher wurden. „Richtig. Wie oft habe ich mich mit Jackson weggeschlichen, und wir haben am Bach Whisky getrunken und eine geraucht? Damals hast du dir keine Sorgen um meine Tugend gemacht.“

„Dein großer Bruder war ja da, um sie zu beschützen.“

Evie zuckte die Schultern und ging zu einem weißen Lattenzaun. Sie stellte sich auf die unterste Sprosse, lehnte sich mit dem Bauch gegen die oberste und streckte die Arme zur Seite.

„Das hast du früher immer gemacht.“

„Ich habe früher vieles gemacht.“ Sie sprach zum Feld, es war ihr egal, ob er sie hörte. Dort draußen war es unmöglich, nicht an Dinge zu denken, was sie früher gemacht hatten. An gestohlene Küsse, Kuscheln auf einer Picknickdecke neben dem Wasser. Ihre Bitten, mehr zu sein als ihr bester Freund. Mehr als der Typ, von dessen Lippen sie den Brandygeschmack küsste. Mehr als eine fleischgewordene Bad-Boy-Fantasie.

Sie drehte den Kopf, spürte seine Nähe und schaute hinunter, wo er die Hand neben ihre auf die oberste Sprosse legte. Dann schob er die zweite Hand um sie herum und legte sie auf der anderen Seite ab. Sie spürte warm seinen Körper an ihren Beinen und der Wölbung ihres Hinterns. Ihr Herz klopfte wie wild. Durch den dünnen Baumwollstoff ihres Kleids spürte sie seine festen Jeans, und dann schmiegte er sich an sie und hielt sie fest wie damals.

Sie fühlte sich jung und lebendig, kein bisschen gelangweilt. Es war das Gegenteil ihres Dates mit Ben. Weil August nicht gut für sie war.

„Was tust du da?“, fragte sie laut.

Er ließ den Zaun los und legte die Hände in ihre Taille, und mit seiner Hilfe trat sie auf den Boden und drehte sich zu ihm um.

„Komm nicht ins Schlafhaus und erzähl von anderen Männern, die du hattest.“ Sie schloss die Augen und atmete ein. Er roch nach Pinie und Datteln, rau und männlich. Er umfasste sie fester, sie genoss das Gefühl.

„Die ich hatte?“ Sie sagte die Worte verführerisch und arglos. Sie hatte nicht gewusst, dass August hier wäre, als sie entschieden hatte heimzukehren. Er war eine Gefahr für ihre Good-Girl-Agenda.

„Evie, bitte mach mir deine Rückkehr nicht schwerer als nötig.“ Mit dem Daumen strich er ihr über den Handrücken.

Es machte sie wahnsinnig, dass er es wagte, ihr die Schuld zu geben. Es wäre für ihn ganz leicht gewesen – und sie hätte es so gewollt, wenn er nicht so besessen von ihrer Tugend gewesen wäre. Einmal war sie bereit gewesen, ihre Tugend aufzugeben, für einen einzigen Mann, und der hatte sie nicht gewollt.

Sie biss sich auf die Lippe und zwang sich, pragmatischer zu denken.

„August, ich verstehe schon. Du brauchst nichts vorzutäuschen. Ich bin zurückgekommen, weil ich nicht mehr ,Klein Evie‘ sein will, die auf der Jagd nach ihrem unrealistischen Traum Hollywood unsicher macht. Ich bin erwachsen, und ich kenne den Unterschied zwischen dem, was ich will, und dem, was ich haben kann.“

„Und das ist?“ Seine Stimme war ruhig.

Sie konnte nich klarstellen, was sie meinte. Sie schloss die Augen. Seine Nähe verwirrte sie.

Ich will dich küssen. Sie schluckte das Gefühl hinunter. „Für die Hartmanns ist eine neue Ära angebrochen. Nick hat Rose, und er modernisiert unsere Viehhaltung. Jackson und Hannah arbeiten am Schutzgebiet für die Mustangs, und Mia ist ganz von Politik und Whiskeybrennerei beansprucht. Ich will bloß wieder eine Rolle spielen, und ich muss herausfinden, welche. Ich will realistisch sein.“

„Realistisch? Klein Evie will erwachsen sein, aber dann spielt sie ‚Zwei Wahrheiten und eine Lüge‘ mit den Farmarbeitern! Das kaufe ich dir nicht ab.“

„Gut“, schnappte sie, wütend, wie leicht er sie durchschaut hatte. Sie wollte von ihm weg, aber er hielt sie fest.

„Nicht so schnell, ich bin noch nicht fertig.“

„Ich bin heute Abend hergekommen, um mein Pferd zu sehen. Der Stall war mit einem Vorhängeschloss versperrt, da habe ich Stimmen gehört – deine – und wollte mit dir etwas trinken. Hätte mir nach dem heutigen Tag gutgetan.“ Sie sprach hastig, denn nach so langer Zeit war sie nervös, mit ihm allein zu sein.

„Der Stall ist jetzt immer abgesperrt. Heutzutage sind in Montana viele Drogenschmuggler unterwegs. Es ist nicht mehr wie früher.“ Augusts Stimme klang tief und warm, und mit dem Daumen streichelte er ihre Hüfte … Die Art, wie seine Stimme rau geworden war, als er Drogenschmuggler sagte, berührte sie. Dieses Mal ging es zumindest nicht um seine Familie. Es ist nicht mehr wie früher.

„Ich wusste nicht, dass du so gut Französisch sprichst“, sagte er mit einem angedeuteten Grinsen.

Dieses verfluchte Trinkspiel. „Mais oui“, antwortete sie und beugte sich vor. Zumindest dieser Teil stimmte.

„Ich schätze, du steckst voller Überraschungen.“

„Hier überrascht mich gar nichts mehr.“ Außer seiner Hand an ihrer.

Er lachte. Ein dunkler Ton, der aus der Tiefe aufstieg und seinen ganzen Körper beben ließ. „Oh, Evie, du bist wie ein frischer Luftzug, das muss ich sagen.“

Sie wand sich aus seinem Griff und drückte sich wieder gegen den Zaun, um zum Horizont zu blicken. Sie spürte die Wärme seiner Hand im Rücken und schnaubte. „Hätte gedacht, dass du hier auch ohne mich genug frische Luft kriegst.“

„Schätze, der weite Himmel schlägt Los Angeles“, sagte er. „Aber selbst ich kann zugeben, dass ich deine Lebendigkeit hier vermisst habe. Es ist schwer, dich zu sehen, aber ich bin froh, dass du wieder da bist.“

Gegen ihren Willen drehte sie sich ihrem Jugendschwarm wieder zu. „Wirklich?“ Sie atmete tief ein und aus, um ihren Herzschlag zu beruhigen. Schwer, sie zu sehen? Er hatte sie vor acht Jahren zurückgewiesen und dazu gebracht, nach Los Angeles zu flüchten, um neu anzufangen und erwachsen zu werden.

„Ja, sehr.“ Dann senkte er den Kopf und küsste ihre Lippen so drängend, dass sie vollkommen überrascht wurde. Sie wollte sich ganz auf den Kuss und das Gefühl seines Dreitagebarts an ihrer weichen Haut konzentrieren.

Es fühlte sich gut an. Und richtig. Erschreckend. August Quaid war ihr persönliches Kryptonit, und sie durfte nicht in ihre kindische Schwärmerei zurück fallen. In einem hatte er recht gehabt: Es war Zeit, erwachsen zu werden. Wahrscheinlich hatte er sie damals deswegen zurückgewiesen. Sie hatte so oft darüber nachgedacht. Sein „Nein danke“ war zu schnell gekommen. Sie erinnerte sich, wie er sie mit ihrem Pferd einfach allein gelassen hatte, weinend. Sie entzog sich seinem Kuss. Sie wollte ihre Familie nicht mehr im Stich lassen, sondern ihren Platz einnehmen.

„Du brauchst die kleine Schwester deines Freundes nicht aus Mitleid zu küssen. Alles gut. Bevor du fragst, ich habe niemandem erzählt, wie das damals mit uns endete. Aber ich date Ben. Das heißt, erst einmal bis jetzt. Aber wir sehen uns öfter.“

Ben Kingsley. Der netteste Junge in Montana, vielleicht auf der ganzen Welt. Das Gegenteil von August.

„Ben?“ Verwirrung zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Sorry, das wusste ich nicht.“ Er zog die Hände weg, und sie fühlte sich dort, wo seine Hände sie berührt hatten, gleichzeitig kühl und heiß. Sein Telefon klingelte, er zog es aus der hinteren Hosentasche und warf einen Blick darauf. „Da muss ich rangehen.“

Sie reckte das Kinn. „Bis dann, August.“

Er nickte und ging davon.

Kein Blick zurück, keine Entschuldigung für den fiebrigen Kuss. Wie immer ließ er sie zurück. Dabei wollte sie mehr.

„Gordon“, sagte August knapp am Telefon und brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht nachzusehen, ob sie ihm hinterherblickte.

Die Schlange hatte damals verhindert, dass er sie eingeholt hatte. Dass er hatte versuchen können, den größten Fehler seines Lebens rückgängig zu machen. Selbst nach acht Jahren wachte er nachts noch davon auf. Es verfolgte ihn. Auch wenn er wusste, dass sie weit über seiner Liga spielte. Er konnte Millionen machen, aber es würde nie reichen. Damals nicht, heute nicht. Nie.

„Ich dachte, du spielst heute Abend“, sagte Gordon kurz angebunden und holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er war Däne und sprach, als wäre er immer gelangweilt, egal, worum es ging.

Mist. Das Spiel. Es war zu spät, noch rechtzeitig in die Stadt zu kommen, aber wenn er sich beeilte, konnte er online mitspielen.

„Plan mich für das zweite Viertel ein.“ Er ging schneller und umrundete das Blockhaus.

„Ich schicke dir den Login-Link“, versprach Gordon. „Mindesteinsatz zehntausend, aber die gute Nachricht ist, dass heute Abend ein Wal mitspielt, der zwanzigtausend verloren hat und darum bettelt, es wieder einzuspielen.“

Ein Wal war ein neuer Hobby-Spieler mit viel Geld, der auf Emotion setzte und nicht rechnen konnte. Solche Spieler brauchte August, um beim Spiel ordentlich Kasse zu machen. Es fühlte sich gut an, Geld zu verdienen, das nichts mit Fracking oder mit Klimaverbrechen zu tun hatte. Aber am meisten gefiel ihm, dass seine Aktivitäten in der Untergrund-Poker-Gemeinde zu seinem Bad-Boy-Image passten und all seine Hoffnungen auf eine Frau, die er nie kriegen konnte, neutralisierten. Die Elite von Montana betrachtete Poker abschätzig, deshalb verhinderte sein Hobby, dass er Einladungen erhielt, von denen er die meisten ohnehin ablehnen würde.

Da das Spiel heute Abend online war, würde es vor allem aufs Rechnen ankommen, aber das war nicht schlimm. August konnte gut mit Zahlen jonglieren. Aber es war egal, ob er gewann oder verlor. Je höher die Einsätze, desto besser für seinen Ruf.

Als er eine Dreiviertelstunde später zu seiner Ranch kam, bereiteten seine eigenen Leute hinter dem Schuppen gerade alles für ein Tontaubenschießen vor.

Den Schlüssel zum Stall trug er an einer Kette um den Hals, und zwei Minuten später saß er auf dem Heuboden und sah auf ein Pferd hinunter. Er spielte gern in aller Ruhe, und das ging gut im Stall. Er loggte sich mithilfe seines Telefon-Hotspots ein, ohne Kamera. Information bedeutete Macht, und er wollte nichts zu erkennen geben.

Die anderen waren schon eingeloggt. Sieben. Der Einsatz betrug bereits 35.000 Dollar. Der Wal war laut Gordon Politiker in Montana. Genauer gesagt, im Energiebereich. Es ging im Spiel also um mehr als Geld.

Gordon eröffnete das Spiel mit einem Videostream. „In dieser Runde stoßen ein paar neue Spieler zu uns. Die Regeln: kein Limit. Wenn Sie in meinem Spiel mitspielen, erkennen Sie unsere Hausregeln und die spezifischen Regeln für Conventions an.“

Am Bildschirmrand poppte ein Button mit „Zustimmen“ auf, den August anklicken musste, um am Spiel teilnehmen zu können. Sobald die Spieler annahmen, konnte er ihre Namen sehen.

Viktor Ivey. Ein erfahrener Spieler, dem er letzte Woche ein paar Tausender abgenommen hatte, aber er saß links vom Geber, das war nicht ideal. Neben ihm saß „Sailor“, ein neuer Nickname, gefolgt von „Reese Chip“ und „BigDaddy“. August spielte immer unter dem Nickname Finovia, und er war zwischen Chip und BigDaddy platziert. Er freute sich, denn wer sich BigDaddy nannte, bettelte darum, um sein Geld erleichtert zu werden.

Vierzig Minuten später lag August bereits 200.000 vorne.

Gut gemacht, textete ihm Gordon, nachdem er einen Bluff gewonnen hatte.

Im Stall war es ruhig. August genoss die Ruhe. Niemand kam hierher. Das Schloss half natürlich, aber der Hauptstall der Hartmanns war für ihn immer wie ein Safe Place. Er saß auf einem dreibeinigen Hocker auf dem Heuboden, und die einzige Lichtquelle war sein Laptop auf einem einfachen Tisch. Mit dem Finger fuhr er die eingeritzten Initialen nach: AQ+EH.

Er hatte das Herz mit den Initialen erst vor einem Jahr entdeckt und seitdem seine Spiele auf den Heuboden verlegt. Er berührte das Herz, damit es ihm Glück brachte, und lächelte beim Gedanken an die heranwachsende EH, die sicher nie gedacht hätte, dass AQ die Buchstaben je sähe.

Er konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm und sah das, worauf er schon den ganzen Abend gewartet hatte. Der Wal pokerte hoch. August schaute auf seine Karten und klickte auf „all in“. Vier Minuten später hatte er 240 000 Dollar gewonnen. Sauberes Geld.

Er klappte den Laptop zu, und das letzte Licht schwand. In der Dunkelheit brauchte er nicht länger so zu tun, als wäre sie ihm egal. Als wünschte er sich nicht, er könnte, wie Jackson es formuliert hatte, der Mann sein, den Evie verdiente.

Beinahe hätte er das Spiel und den Gewinn verpasst, nur für einen gestohlenen Kuss. Er sollte dankbar sein, dass sie ihm das von Ben Kingsley gesagt hatte … Sie sah die Dinge klar. Das gute Mädchen und der Sohn eines Meth-Dealers? Undenkbar. Auch wenn er inzwischen ein Vermögen gemacht hatte. Zuerst ganz traditionell auf dem Warenmarkt, dann mit Pokerspiel. Genau deshalb musste er sich von ihr fernhalten. Diese Wahrheit tat weh.

Vielleicht würde er eines Tages, wenn Quaid Corp sich so entwickelte, wie er es plante, den Respekt verdienen, den seine Familie nie gehabt hatte. Dann konnten die Dinge anders liegen.

3. KAPITEL

„Was sagst du? Machst du es?“, fragte Jackson am nächsten Morgen. Der jüngste der Hartmann-Söhne ritt vor August auf einer silbernen Stute zur nördlichsten Weide, um ihren Zustand zu überprüfen. Die zwei Monate seit Augusts Rückkehr waren nur so verflogen, und er war immer noch unentschlossen, ob er den Hof seiner Familie wieder auf Vordermann bringen oder ihn verkaufen wollte, oder ob er sein ehrgeiziges Solarprojekt vorantreiben sollte. Inzwischen war er zu Jacksons Schatten geworden, um auf der erfolgreichsten Ranch in Montana alles von ihm zu lernen, was er konnte. Sie waren wieder so innige Freunde wie früher. Vielleicht half, dass Jackson in der gleichen Zeit von der elterlichen Ranch weg gewesen war und unter einem Decknamen Rodeos geritten hatte. Vielleicht hatte August sich auch so verändert, dass die Hartmanns ihn akzeptierten. Aber von Jackson, dem schwarzen Schaf der Familie, akzeptiert zu werden, hieß noch lange nicht, auch von Josephine, der Matriarchin, akzeptiert zu werden.

August sah zum Horizont. Jacksons Frage hatte ihn verwirrt. Trauzeuge bei einer Hochzeit der Hartmanns sein? Es wäre das Event der Saison, jedenfalls für Menschen, die sich was daraus machten. Also nicht seine Art Menschen.

„Hab dich gar nicht für den Typen gehalten, der heiratet?“ Er betonte es wie eine Frage.

Jackson beugte sich vor, um sein Pferd zu streicheln. „Ich auch nicht. Aber Hannah hat das geändert.“

Hannah hatte Jackson kennengelernt, als er Rodeo ritt. Er hatte einen falschen Namen benutzt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte auch Geheimnisse gehabt, die sie aber nicht lange für sich behalten hatte. Gemeinsam hatten sie Jacksons Aversion gegen alles, was mit Familie zu tun hatte, überwunden.

August grinste. „Ich schätze, du wirst nicht jünger.“ In seiner Brust breitete sich Wärme aus, und er schluckte gerührt. Was sagst du? Ich weiß, dass du hinter mir stehst, aber wirst du das auch am großen Tag? Jacksons Worte klangen in Augusts Kopf nach.

„Du brauchst noch nicht zu antworten. Aber denk drüber nach.“

August nickte. Das würde er. Einem Hartmann am wichtigsten Tag seines Lebens zur Seite zu stehen, war eine Bitte, die er nicht auf die leichte Schulter nahm. Ob ihm das in Evies Augen zu mehr Ansehen verhalf? Er schob den Gedanken beiseite. Sie ritten einvernehmlich schweigend weiter. August hatte seine Gefühle für Jacksons kleine Schwester geheim gehalten. Nach Austins Tod war August dankbar für die Freundschaft mit dessen kleinem Bruder Jackson gewesen. Er hatte zu lange wie eine Waise gelebt, und Jacks war vorurteilsfrei, sodass Austin sich in seiner Nähe nicht wie der Sohn eines Drogendealers fühlte.

„Ich muss sagen, ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist“, sagte Jackson beiläufig.

„Sicher. Na, ich muss einen Rentabilitätsplan erstellen, um sinnvolle nächste Schritte für die Ranch zu planen.“

Jackson nickte wissend. „Dein alter Herr wird dir da ja nicht reinreden. Du entscheidest allein.“

„Ich weiß, aber ich muss auch an Ma denken. Ich werde die Kosten, die die Ranch verursachen wird, mit denen vergleichen, die mein Solarprojekt verursachen würde, und die Zahlen entscheiden lassen.“ Auch wenn er nur noch an die Solarfarm denken konnte. Und an Evie.

Jackson lachte. „Spielernatur. Ich hoffe, du findest bald etwas oder jemanden, um dich darum zu kümmern. Durch Hannah bin ich beschäftigter als je, aber das ist es mir wert“, sagte Jackson ironisch.

„Ich glaube, momentan setze ich darauf, dass ich von dir noch was Nützliches über Pferde lernen kann.“ August grinste und trieb sein Pferd an.

„Darin bin ich dir immer überlegen“, rief ihm Jackson hinterher und war innerhalb von Sekunden neben ihm.

„Soll ich deshalb dein Trauzeuge sein?“ August hoffte, dass Jacks über etwas anderes sprechen wollte als seine glückliche Beziehung. Die Dürre war bedrohlich, und es war ein guter Plan, das Rindvieh durch die schattigen Täler auf die Weiden am Rand des Yellowstone Parks zu treiben. August wollte außerdem wissen, ob seine Idee richtig war. Konnte er seine Instinkte auf die Landwirtschaft übertragen, oder sollte er beim Poker und Landverpachtungen in Texas bleiben?

War es überhaupt okay, dass er sich fühlte, als hätte er so ein Leben verdient, obwohl er wusste, dass es nicht so war? Mit Jackson befreundet zu sein, war leicht. Aber vielleicht lag das mehr an Jackson als an ihm selbst.

„Ich hab dich gefragt, weil ich glaube, dass bei dir die Gefahr am geringsten ist, in diese irrsinnigen Bräutigam-Sachen gedrängt zu werden … Du weißt schon, Nick würde es zum Beispiel schaffen, die Anzugprobe auf sieben Stunden auszudehnen …“

„Anzugprobe? Muss ich mich um so was kümmern?“

„Du bist mein einziger Freund, der kein Spießer ist.“ Jackson schnalzte mit der Zunge, und sein Pferd wurde langsamer. August sah, wie sein Wangenmuskel zuckte, und hatte Mitleid. Eine siebenstündige Anzugprobe klang definitiv gruselig.

„Na gut, ich mach’s. Aber den Junggesellenabschied feiern wir unter den Sternen, nicht in einer Bar. Das ist nicht mein Ding.“ August lächelte. Wenn es einen Mann gab, der Klubs noch mehr hasste als er selbst, war es Jackson Hartmann.

Wie erwartet lächelte Jackson erfreut. „Okay, ich kann meinem Trauzeugen nicht widersprechen, richtig? Aber lass uns mal sehen, was die Mannschaft meint. Und ich muss natürlich checken, was auf der Hochzeits-To-do-Liste steht.“

Jackson schnalzte erneut mit der Zunge, verringerte den Abstand zwischen ihnen, und am Flussufer verlangsamte er.

„Sagtest du nicht was von ein paar Bier? Wenn wir die Hochzeit besprechen, brauche ich was zu trinken.“ August lächelte.

Evie hörte die Sprachnachricht erneut ab und fragte sich, ob sich der Inhalt beim fünfzigsten Abhören endlich ändern würde. „Evie, ich wollte das nicht per Sprachnachricht machen, aber irgendwie erreiche ich dich nicht.“

Evie biss sich auf die Unterlippe. Beim Durchscrollen der entgangenen Anrufe hatte sie keinen einzigen Anruf ihrer Agentin entdeckt, und irgendwie machten diese erfundenen Entschuldigungen die Nachricht noch schlimmer.

„Liebes, du weißt, wie viel ich von dir halte, aber aus irgendeinem Grund sieht Hollywood das anders. Leider kommt da Feedback, du würdest auf der Leinwand zu provinziell rüberkommen, und du weißt so gut wie ich, wie schwer es in der Branche ist, diesen Ruf wieder loszuwerden.“ Die Nachricht wurde durch eine Geräuschkulisse unterbrochen – laute Stimmen, Geschirrklappern und Gelächter –, und Evie blinzelte eine Träne weg. „Natürlich werde ich die Ohren offen halten, und du bist die Erste, die ich anrufe, wenn es Rollen gibt, die zu dir passen.“ Im Hintergrund brandete das Gelächter auf. „Es war so schön, mit dir zusammenzuarbeiten. Wir bleiben in Kontakt.“

Und einfach so verpisste sich ihre Agentin der letzten fünf Jahre.

„Drücken Sie die Vier, um die Nachricht zu wiederholen. Drücken Sie die Sieben, um sie zu löschen. Drücken Sie die Neun, um sie zu speichern.“

Das hör ich mir nicht noch mal an. Mit übermenschlicher Entschlossenheit gelang es ihr, nicht mehr auf die Vier zu drücken, aber löschen konnte sie die Nachricht nicht. Neun.

Sie wusste, dass sie die Nachricht immer wieder abspielen sollte, bis die vernichtende Absage sich eingeprägt hätte. Klein Evie, der Filmstar? Wie absurd war das denn?

Die Dinge auf Hartmann Homestead ins Laufen zu bringen, war nie so wichtig gewesen. Sie konnte sonst nirgends hingehen und sich nirgends verstecken.

Sie starrte zum Fenster hinaus, da riss lautes Pochen an der Tür sie aus den Gedanken. Mia stürmte herein. Ihr Haar war zu einem nachlässigen Knoten zusammengenommen, und sie trug eines ihrer T-Shirts mit Wortspiel-Print. Seit sie in Antones Luxusranch gezogen war, war sie eine andere Version ihrer selbst geworden. Oder vielleicht die Mia, die sie immer hatte sein wollen?

„Wieder ein langer Bürotag?“ Evie grinste ihre Zwillingsschwester an.

„Ja. Was auch immer. Mir geht’s prima.“ Sie lächelte. „Ich habe gerade mit Mom telefoniert. Nächste Woche will sie eins ihrer Hartmann-Dinner machen. Mit einem Motto, weil – na ja, Mom halt. Sie ist gelangweilt. Sie will ‚Understatement‘ als Motto. Also müssen wir Wert auf die Accessoires legen.“ Mia warf sich neben ihre Schwester aufs Bett.

Evie schaute aus dem Fenster. Das Spiegelbild ihrer glücklichen Schwester in der Glasscheibe erinnerte sie an alles, was in ihrem Leben fehlte. „Autsch.“ Sie zog eine Grimasse. Sie war sich sicher, dass es für das Dinner einen tieferen Grund gab. Ihre Mutter hatte immer einen Plan; dafür war sie bekannt.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zu tun haben werde“, setzte Evie an, wurde aber mit einem Stüber gegen die Rippen unterbrochen.

„Wenn Antone und ich gehen, kommst du auch.“

Evie lächelte. „Wenn du bereit bist, bin ich’s auch.“

„Bereit für die Soiree, meinst du?“

„Für einen Rollentausch“, korrigierte Evie sie.

„Wer ist hier gelangweilt?“, flachste Mia.

Zum Dinner war zweifellos auch Ben eingeladen, der Augenstern ihrer Mutter, und niemand unterhielt langweilige Menschen besser als Mia, die sogar Scheichs und Royals dazu bringen konnte, monatelang im Luxusflügel ihres Anwesens zu logieren, dem Hartmann Homestead & Spa.

„Schlägst du ernsthaft vor, ich soll den Lockvogel spielen?“ Mias Augen strahlten; sie fragte sich wohl gerade, ob sie das schaffen könnte. Dass sie fragte und nicht gleich ablehnte, war ein gutes Zeichen.

Der Gedanke, wieder einen ganzen Abend mit Ben flirten zu müssen, war nicht gerade verlockend. Und in den vierundzwanzig Stunden seit Augusts Kuss hatte Evie an nichts anderes mehr denken können. Ein Rollentausch würde ein bisschen Abenteuerduft bringen, von der notwendigen Ablenkung mal ganz zu schweigen.

„Ich bin dabei.“ Sie grinste. Mia musterte ihre Schwester. „Dann begleitest du Antone, und keine Faxen! Ich erzähle ihm von dem Tausch …“ Mia drohte ihr mit dem Finger. „Aber wenn du das brauchst, um Ben auf die richtige Spur zu setzen, bin ich dabei. Warum nicht?“

„Warte.“ Evie drehte sich der Kopf. „Was meinst du damit, Ben auf die richtige Spur zu setzen? Du darfst nichts tun, was ich nicht auch tun würde.“ Beim Gedanken daran brach ihr der Schweiß aus. Aber sie fragte sich unwillkürlich, ob Antone den Tausch bemerken würde. Natürlich! Und Ben?, fragte sie sich dann.

„Zu spät.“ Mia lächelte und hastete zur Tür, bevor Evie es sich anders überlegen oder mit einer neuen Drohung rausplatzen konnte.

Evies Telefon vibrierte. Vielleicht ihre Agentin? Vielleicht hatte sie noch mal nachgedacht. Oder eine provinzielle Rolle für sie. Sie nahm den Anruf mit schwitzigen Fingern an.

„Hallo, hier ist Evie.“

„Du gehst gleich beim ersten Klingeln ran, das ist mein Glückstag.“ Ben.

„Oh, wieso das?“ Sie presste die Augen zu und stellte sich vor, eine Kokette in einem französischen Film zu sein. Es reichte nicht für Hollywood, aber jetzt ging es um eine lebenslängliche Rolle.

„Ich hab mich gefragt, ob du Lust hast, wieder mit mir auszugehen? Du warst ein bisschen … ruhig?“

Ruhig? Es hatte Funkstille geherrscht, sie konnte einfach keine Nachrichten mit flirtivem Unterton beantworten. Nicht an Ben. In den letzten vierundzwanzig Stunden hätte sie nur an August texten wollen, aber das ging nicht.

„Nein, ich hatte nur viel zu tun. Musste ein paar logistische Dinge mit Los Angeles klären, du weißt schon. Mit dem Umzugsunternehmen, den Transporteuren, schauen, wo meine Sachen sind und solche Dinge. Bin aber damit durch.“ Wäre sie jedenfalls, wenn sie die genannten Anrufe tatsächlich gemacht hätte.

„Du hast es wohl noch nicht gehört?“, fragte Ben trocken.

„Gehört?“ Sie presste das Telefon etwas fester ans Ohr. Seine Art, Neuigkeiten zu verkünden, nervte. Da hatte er endlich mal was zu berichten und rückte nicht damit heraus.

„Über deinen Bruder? Jackson heiratet.“

Evie ließ sich auf die Daunendecke ihres Queen-Anne-Betts sinken. „Schätze, es ist die erste von mehreren Hochzeiten in unserer nächsten Zukunft“, murmelte sie abwesend und dachte an Mia und ihren perfekten Antone, mit denen sie einen Streich geplant hatte.

„In unserer Zukunft? Das gefällt mir.“ Ben lachte.

„Verstehst du mich absichtlich falsch?“, presste sie hervor.

„Gar nicht. Ich meinte nicht – ich habe nur gescherzt“, erwiderte Ben, der perfekte Gentleman. Ziemlich langweilig, ehrlich gesagt.

„Sorry, es war ein harter Tag. Ich muss los. Ich brauche Details über diese Hochzeit.“ Ihre Gedanken preschten voraus, und nicht in die richtige Richtung. „Ich nehme an, du kommst zu Moms Party nächste Woche?“

Sie musste den Kopf freibekommen. Vielleicht reiten. Auf dem Pferderücken fühlte sie sich wieder wie sie selbst. Lady hatte diese Wirkung auf sie. Und vielleicht würde August sie sehen und erkennen, wie gut es ihr ging. Dass dieser Kuss gar nichts bedeutete.

„Ja, ich komme. Halte mir einen Platz neben dir frei. Ich freue mich wirklich darauf, Evie.“

Evie schaute das Smartphone noch an, nachdem er längst aufgelegt hatte. Was stimmte nicht mit ihr? Sie streckte die Schultern durch. Erst mal ein harmloses Rollenspiel mit Mia. Was schadete es schon?

4. KAPITEL

„August.“

Über den Wind hinweg hörte er die Stimme und fragte sich kurz, ob er sie sich nur eingebildet hatte.

„August, ich weiß, dass du mich hörst, jetzt warte“, sagte die Stimme, dieses Mal mit mehr Nachdruck.

Evie. Er blieb stehen, stützte eine Hand in die Hüfte und sah zum Horizont. Er hatte einen Termin mit dem Energiebeauftragten von Montana und war unterwegs, um ein paar Fotos der Dächer auf dem Anwesen der Hartmanns zu machen. Jackson hatte erwähnt, dass er über Solarpaneele auf den Stalldächern nachdachte, was seinen eigenen Antrag nur vorantreiben konnte. Je mehr Kollektoren, desto mehr grüne Energie. Deshalb machte er diese Fotos. Er drehte sich um und hob die Kamera vors Auge. Im Sucher sah er Evie, deren braunes Haar flatterte. Er machte einen Schnappschuss, nur um das Licht zu prüfen.

„Was machst du hier?“, fragte sie, sobald sie in Hörweite war.

„Ich hole Jackson fürs Mittagessen ab. Als sein Trauzeuge.“

„Mit einer Kamera?“

Er nickte. Ihre Wangen waren rosig, aber die Sommersprossen auf ihrer Nase konnte er trotzdem erkennen. „Na, dann wartet er sicher schon auf dich.“

August nickte.

Sie ging einen Schritt an ihm vorbei und blieb stehen. „Kommst du morgen zum Abendessen?“

Sechs Tage. Sechs Tage waren seit ihrer Begegnung im Mondlicht vergangen.

Erzähl nicht von anderen Männern, die du hattest, hatte er gesagt. Aber auch ohne dass sie darüber sprach, dachte er an nichts anderes.

„Ist das eine Einladung?“, fragte er und betrachtete ihren Hinterkopf. Sie war eine große Frau.

„Ganz sicher nicht.“ Sie wirbelte herum und blitzte ihn an.

„Warum bist du so sauer?“ Trotz seiner brennenden Neugier wahrte er Ruhe.

Sie sah ihn mit der gleichen Intensität wie bei ihrer Mondscheinbegegnung an. „Ich schulde dir keine Erklärungen, August.“

„Mal langsam. Ich brauche keine Einladung von dir. Jackson hat mich schon eingeladen.“

Jackson hatte ihn schon eingeweiht, dass Ben auch kam. Morgen durfte er ihren Flirt also aus erster Reihe beobachten. Großartig.

„Dann sehen wir uns morgen“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

„Mit Ben.“ Er konnte es nicht lassen.

Er sah, wie sie die Schultern anspannte. Ihre Haltung, die ohnehin immer straff war, wurde noch steifer. „Richtig. Ben ist auch da. Ich wusste nicht, dass du sein Date bist.“

Das war nicht die Antwort, die er erwartet hatte. „Ich meinte nicht, dass ich mit Ben hingehe. Nur, dass Ben auch da ist.“ Ohne es zu wollen, sagte er es herausfordernd.

Sie nickte und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

„Ähm, bevor du gehst – ich wollte mich noch entschuldigen. Für letzte Woche.“

Damit hatte er ihre Aufmerksamkeit. Das war richtig: sich entschuldigen und dann weitergehen. Er konnte sie ja begehren, durfte bloß seinem Begehren nicht nachgeben. Auch wenn sie den Kuss erwidert hatte …

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Nur, tu es nicht wieder.“

Tu es nicht wieder.

„Versprochen.“ Er sagte es zu ihr und zu sich.

„Okay. Lass uns nicht mehr drüber reden. Ich habe einen festen Freund.“ Sie biss sich wieder auf die Lippe.

Einen festen Freund also?

„Nicht weiter schlimm. Es hatte nichts zu bedeuten.“ Er drehte sich um. „Bis morgen, Klein Evie.“ Er ging davon, bevor sie das letzte Wort haben konnte. Das letzte Wort in einem Kapitel, das er nie lesen würde, hatte ohnehin keine Bedeutung.

„Ich hab vielleicht was für dich.“

Evie spürte, wie sich ihr Magen nervös zusammenzog. Seit sie den Namen ihrer Agentin auf der Anrufliste hatte erscheinen sehen, stieg ihr Adrenalinpegel. Amber Atley. Kaum hatte sie ihre Nachricht gelöscht, da rief ihre Agentin sie an. Soviel zum Meinungsumschwung in Hollywood. Jetzt erlebte sie ihn gerade.

„Ich dachte, du hältst uns nicht mehr für ein gutes Team?“ Sie wusste, dass sie freundlicher sein sollte, aber sie fragte sich, was sich geändert hatte, seit sie Los Angeles verlassen hatte. Sie hatte die Zurückweisung ihrer Agentin akzeptiert. Aus ihr würde keine Schauspielerin werden. Es war ein kindischer Traum gewesen. Wie viel Zeit hatte sie verschwendet? Um immer noch am Anfang zu stehen.

Vielleicht war Schauspielerei eher eine Flucht und keine Kunst. Vielleicht sollte sie dem Rat ihrer Familie folgen und sich den Tatsachen stellen. Oder vielleicht sollte sie nach dieser letzten Fluchtchance greifen. Sie schnappte nach einem pinkfarbenen Gelstift und schrieb in geschwungenen Buchstaben ihren Namen auf, darunter Pro und Contra.

„Werd jetzt bloß nicht eine von diesen überempfindlichen Schauspielerinnen“, warnte ihre Agentin. „Die mir jedes bisschen konstrukt...

Autor

Katie Frey
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Jessica Lemmon
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Reese Ryan

Reese Ryan schreibt Liebesgeschichten, die nicht nur sexy und gefühlvoll sind, sondern in denen sie auch von kleineren Familiendramen erzählt. Reese ist im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen, ihre Familie hat aber auch Wurzeln in Tennessee.

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