Baccara Exklusiv Band 188

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ROTE LIPPEN - JEDE SÜNDE WERT von HEIDI BETTS
"Du bist der Vater meines Neffen." Trevor glaubt der umwerfend schönen Blondine kein Wort, stimmt jedoch einem Vaterschaftstest zu. Bis das Ergebnis da ist, soll Haylie in seinem Luxus-Resort wohnen. Denn er möchte herausfinden, ob ihre Lippen wirklich jede Sünde wert sind …

FÜNF STERNE FÜR DIE LEIDENSCHAFT von CATHERINE MANN
Nichts wie weg aus Hollywood! Bella braucht Ruhe - und findet sie in einer eleganten Hotelanlage am Mittelmeer. Als der attraktive Hotelmagnat Sam Garrison sich persönlich um sie kümmert, liegt sie bald in seinen Armen, in seinem Bett … Doch für diese Affäre kann es kein Happy End geben. Oder?

MILLIONÄR UNTERM MISTELZWEIG von TESSA RADLEY
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  • Erscheinungstag 13.12.2019
  • Bandnummer 188
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725822
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Heidi Betts, Catherine Mann, Tessa Radley

BACCARA EXKLUSIV BAND 188

1. KAPITEL

Bevor Trevor Jarrod das prächtige Herrenhaus des Ferienresorts Jarrod Ridge betrat, stampfte er ein paar Mal kräftig auf, um den Schnee von den schweren Skistiefeln abzuschütteln. Er ging durch den Seiteneingang, den langen Flur entlang, vorbei an den Büros seiner Brüder. Einige Türen standen offen, andere waren geschlossen, Stimmen und Tastengeklapper waren zu hören, Telefone klingelten – ein typischer Arbeitstag.

Auf schmalen hohen Tischchen gegenüber den Büros standen normalerweise tiefblaue Vasen, die im Sommer verschwenderisch mit frischen Blumen gefüllt wurden. Jetzt waren sie durch große Töpfe mit leuchtend roten Weihnachtssternen ersetzt worden.

Naturstein und Holz herrschten als Baumaterialien in dem wuchtigen alten Haus vor, das vor mehr als hundert Jahren gebaut worden war. Nach und nach war das Anwesen erweitert und immer mehr Land dazugekauft worden, sodass das Resort Jarrod Ridge mit seinen vielen Lodges, Läden, Wellness-Center und Tagungsräumen wie eine kleine Stadt wirkte. Aber die Büros der Jarrods waren immer noch im Hauptgebäude, und die meisten Familienmitglieder wohnten im obersten Stockwerk des Herrenhauses. So standen sie gezwungenermaßen in engem Kontakt.

Trevor stieß die Tür zu seinem Vorzimmer auf, nickte seiner Assistentin Diana kurz zu und verstaute seine Ski in dem Wandschrank hinter ihrem Schreibtisch.

„Wie war das Skilaufen heute Morgen?“ Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf sah Diana ihn an, sodass ihr das dunkle glänzende Haar über eine Schulter fiel.

„Nicht besonders“, erwiderte er missmutig, während er sich den dunkelblauen Skianzug abstreifte und die schweren Stiefel gegen ein Paar Timberland tauschte. Unter der Skikleidung trug er Jeans und einen hellen Kaschmirpullover, nicht gerade die übliche Bürokleidung. Doch es war genauso unüblich, gleich nach ein paar Abfahrten direkt ins Büro zu gehen. Trevor war allerdings der Meinung, dass es nicht schaden konnte, den Gästen zu zeigen, dass auch die Besitzer des Resorts Freude am Skilaufen hatten. Skilaufen im Winter und Wandern und Reiten im Sommer.

Trevor seufzte. „Ich glaube, ich werde alt.“

„Ach was, Sie sind nur ein bisschen aus der Übung, weil Sie nicht mehr so viel Zeit haben wie früher.“

Wie recht sie hatte. Seit dem Tod seines Vaters hatte Trevor quasi zwei Ganztagsjobs. Denn Donald Jarrod hatte seine sechs Kinder testamentarisch gezwungen, ins Jarrod Ridge zurückzukehren, wo sie aufgewachsen waren. Wer sich sträubte, verlor seinen Rechtsanspruch an dem nicht gerade kleinen Erbteil. Da Trevor bereits eine sehr erfolgreiche Marketingfirma in Aspen besaß, hatte er hier sofort die Leitung der Marketingabteilung übernommen, was ihm im Grunde sehr gelegen kam.

Leider blieb ihm allerdings nicht viel Zeit für das, was er am liebsten tat: im Sommer Wandern, Klettern, Reiten und Kajak fahren. Und im Winter wäre er am liebsten den ganzen Tag auf Skiern oder dem Snowboard unterwegs gewesen. Er war gern in der Natur. Besonders aber liebte er das Abenteuer. Für ihn gab es nichts Schöneres, als einen Berg hinunterzurasen, den kalten Wind im Gesicht, und dabei geschickt jedem Hindernis auszuweichen. Oder aus viertausend Metern Höhe mit dem Fallschirm abzuspringen und gerade noch rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Doch seine Zeit war knapp bemessen. Er musste unbedingt versuchen, die Arbeit so zu organisieren, dass er häufiger draußen sein konnte. Noch besser wäre es, jemanden zu finden, der seinen Job hier im Jarrod Ridge übernahm. Aber das würde nicht einfach sein. Er stellte hohe Ansprüche.

„Hat jemand angerufen?“ Fragend sah er Diana an, während er sich das fast schwarze Haar zurückstrich.

„Ja.“ Sie stand auf und hielt ihm einen Stapel Telefonnotizen hin. „Aber bevor Sie in Ihr Büro gehen, sollten Sie wissen …“ Sie biss sich nervös auf die Unterlippe.

„Ja? Was denn?“

„Da ist … also, in Ihrem Büro wartet eine junge Frau auf Sie. Sie hat angerufen und darauf bestanden, mit Ihnen persönlich zu sprechen. Ich wollte sie schon abwimmeln, aber dann hatte ich irgendwie doch nicht das Herz … Ich glaube, Sie sollten sie anhören.“

Erstaunt schüttelte Trevor den Kopf. Diana war zwar eine kleine, zierliche Person, aber sie konnte hart wie Stahl sein. Die Frau, die in seinem Büro auf ihn wartete, musste schon sehr überzeugend gewesen sein, um an Diana vorbeizukommen. „Wer ist es denn? Eine Vertreterin? Oder jemand, der hier eine Tagung ausrichten will?“

„Das müssen Sie sie schon selbst fragen. Mir hat sie nichts gesagt, sie wirkte nur sehr entschlossen.“

Seufzend nahm Trevor seiner Sekretärin die Zettel aus der Hand und steckte sie in die Hosentasche. „Na gut. Ich kümmere mich darum.“ Er stieß die schwere Holztür auf und sah sich um. Zwar war er Luxus gewohnt, aber es war das erste Mal, dass er ein Büro mit einem schweren Orientteppich und einem Kamin aus Natursteinen hatte. Und wo war nun diese geheimnisvolle Frau, die ihn unbedingt sprechen wollte? Die beiden Besucherstühle vor dem geschnitzten Eichenschreibtisch waren leer.

Er schloss die Tür hinter sich und trat in den Raum. Bei dem „Klick“, mit dem die Tür ins Schloss fiel, wurde sein großer lederner Schreibtischsessel umgedreht, und Trevor blickte direkt in die blauen Augen einer jungen Frau mit hellblondem Haar. Auf ihrem Schoß saß ein Säugling, der vergeblich versuchte, sich die kleine dicke Hand in den Mund zu stopfen.

Was war das? Trevor runzelte die Stirn. Auf die Frau war er zwar vorbereitet, aber Diana hatte nicht erwähnt, dass ein Kind dabei war. Das war ja ein merkwürdiger Geschäftsbesuch. Wer kam schon mit einem Kind zu einer Besprechung? „Meine Sekretärin hat mir gesagt, dass Sie mich sehen wollen?“, begann er das Gespräch und ging um den Schreibtisch herum. Sie wird doch wohl aufstehen!

Sie blieb einfach sitzen, in seinem Schreibtischsessel, und ließ das Kind auf ihrem Schoß auf und nieder hopsen.

Als sie weiterhin schwieg, sagte er, schon etwas ungehalten: „Ich bin Trevor Jarrod.“

„Ich weiß, wer Sie sind. Seit zwei Monaten versuche ich, Sie zu erreichen.“ Ihre Stimme klang dunkel und rau, aber auch leicht verärgert. Dabei strich sie sich eine glatte blonde Haarsträhne hinter das linke Ohr. Der tiefrote Ohrstecker hatte die gleiche Farbe wie ihr Pullover, zu dem sie eine schwarze Hose trug. Das Baby auf ihrem Schoß trug einen Jeansoverall. Auf den Latz war eine Lokomotive gestickt, und auch das kleine weiße T-Shirt, das es darunter trug, war mit Zügen bedruckt. Offenbar ein Junge, dachte Trevor. Für ein Mädchen hätte sie sicher ein T-Shirt mit bunten Schmetterlingen ausgesucht.

Als bemerke es Trevors Interesse, lächelte das Baby ihn an und strampelte mit den Beinen. Das war erstaunlich, aber Trevor konzentrierte sich lieber wieder auf die junge Frau, der es irgendwie die Sprache verschlagen hatte. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und Sie sind …?“

Schnell sprang sie auf und hob sich das Baby auf die Hüfte. Trevor betrachtete sie verblüfft. Wie machten die Frauen das? Wieso wussten sie instinktiv, wie man mit einem Säugling umging? Und wie konnten sie unterscheiden, aus welchen Gründen das Kind schrie? Er hatte fünf Geschwister, und nur Melissa und Erica waren jünger als er. Das bedeutete, dass er nicht viel Erfahrung mit Babys hatte. Er fühlte sich nicht wohl in der Gegenwart von Säuglingen, auch wenn die Mutter dabei war und sich bestimmt um alles kümmern würde.

Abwartend blieb er stehen. Schließlich hatte die Fremde ihm noch nicht ihren Namen genannt und auch nicht gesagt, weshalb sie gekommen war.

„Ich heiße Haylie Smith.“

„Und …?“

Leicht irritiert sah sie ihn an, als habe sie eine andere Reaktion erwartet. „Haylie Smith“, wiederholte sie mit Nachdruck. „Aus Denver.“

„Das habe ich verstanden, Miss Smith.“ Er hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Es passierte nicht oft, dass ihn jemand wie einen dummen Schuljungen behandelte. Denn obwohl er dafür bekannt war, dass er alles etwas gelassener sah, und einen Ruf als Frauenheld hatte, der sich gern amüsierte, so war er doch immer noch ein Jarrod. Einer der Erben von Donald Jarrod und selbst erfolgreicher Unternehmer. Er war reich und mächtig, und so schnell würde keiner es wagen, sich mit ihm anzulegen.

Dass diese Frau von alldem offenbar völlig unbeeindruckt war, war nicht nur ungewöhnlich, sondern auch irgendwie erregend. Er musterte sie genauer. Sie war ungefähr einen Meter fünfundsechzig groß und damit etwa zwanzig Zentimeter kleiner als er, nicht gerade dünn, aber keinesfalls dick. Sie hatte eine gut proportionierte Figur, das war deutlich zu sehen, und sofort musste er daran denken, wie warm und weich es sich anfühlen würde, sie in den Armen zu halten. Schnell verwarf er diesen Gedanken und betrachtete jetzt ihr Gesicht etwas genauer. Das glatte hellblonde Haar bot einen reizvollen Kontrast zu den klaren blauen Augen und dem Mund mit den vollen rosa Lippen. Irgendwie wirkte sie unschuldig und sinnlich zugleich, eine sehr reizvolle Mischung. Und in der Art und Weise, wie sie das Baby hielt, strahlte sie Selbstvertrauen, ja, ein starkes Selbstbewusstsein aus.

All das sollte keine besondere Wirkung auf ihn haben, denn er war schöne Frauen gewohnt und sollte diese Miss Smith möglichst schnell loswerden. Und dennoch spürte er, wie sein Herz schneller schlug und sein Verlangen erwachte.

Leider aber oder vielleicht auch glücklicherweise schien sie auf ihn nicht so zu reagieren wie er auf sie. „Seit zwei Monaten versuche ich, Sie telefonisch zu erreichen“, sagte sie verärgert. „Aber offenbar darf ein Trevor Jarrod nicht mit solchen Lappalien belästigt werden.“

Er wies mit einer Kopfbewegung auf einen der Besucherstühle und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. „Meine Sekretärin hat so etwas erwähnt. Allerdings weiß ich nicht, was so wichtig sein kann, dass Sie keine Nachricht hinterlassen wollten. Warum Sie unbedingt mit mir persönlich sprechen wollten.“

Zu seiner Überraschung hatte sie sich nicht gesetzt, sondern war direkt vor dem Schreibtisch stehen geblieben und wiegte sich sanft in den Hüften. Wahrscheinlich um das Baby zu beruhigen … „Manches sollte man lieber persönlich erledigen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen recht wäre, wenn Ihre Sekretärin zu genau über Ihr Privatleben Bescheid weiß.“

Jetzt endlich hob er den Blick und sah ihr in die Augen. „Tut mir leid, aber ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich kenne Sie nicht. Was haben Sie mit meinem Privatleben zu tun?“ Was wollte diese junge Frau von ihm? Bildete sie sich etwa ein, eine bislang verschollene Jarrod-Erbin zu sein? Oder wollte sie ihm am Ende weismachen, mal was mit ihm gehabt zu haben?

Trevor war kurz davor, den Sicherheitsdienst zu rufen, als sie das Kind auf die andere Hüfte setzte und mit langsamen Schritten um den Schreibtisch herum auf ihn zukam. „Stimmt, Sie kennen mich nicht. Wir sind uns nie begegnet. Aber vor über einem Jahr haben Sie meine Schwester kennengelernt, und wie ich hörte, hatten Sie viel Spaß miteinander.“ Sie blieb vor ihm stehen und überragte ihn jetzt in einer Art und Weise, die ihm überhaupt nicht gefiel. Schon wollte er aufstehen, blieb bei ihren nächsten Worten aber wie erstarrt sitzen.

„Und wenn Sie sich nicht geweigert hätten zurückzurufen, hätte ich Sie schon viel früher mit Ihrem Sohn bekannt machen können.“ Damit hob sie das Baby hoch, setzte es Trevor auf den Schoß, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn triumphierend lächelnd an.

2. KAPITEL

Eigentlich war es ein bisschen schäbig, sich über Trevors entsetztes Gesicht zu amüsieren, aber Haylie genoss die Situation. Ihm war buchstäblich der Unterkiefer heruntergefallen, die Augen hatte er weit aufgerissen, und er hielt das Kind so vorsichtig auf dem Schoß, als balanciere er keinen Säugling, sondern eine Bombe, die jeden Augenblick explodieren konnte. Eins allerdings musste sie ihm lassen: Sowie sie ihm das Kind auf den Schoß gesetzt hatte, hielt er es fest, sodass es nicht vornüberfallen konnte.

Nach den ersten Schrecksekunden hatte Trevor sich wieder gefangen. Er stand auf und hielt das Kind mit weit ausgestreckten Armen von sich ab. Bradley strampelte unglücklich mit den Beinen, verzog das Gesicht, das im Nu puterrot wurde. Schnell trat Haylie vor. Fest drückte sie den Kleinen an die Brust und strich ihm tröstend über den Rücken. Sofort beruhigte er sich wieder und schloss die Augen.

Ganz im Gegensatz zu Trevor. Er war wütend, das war nicht zu übersehen. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet, und er sah Haylie kalt und abschätzig an. „Ich weiß nicht, was Sie damit bezwecken“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Oder was für ein Spiel Sie hier spielen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich dazu keine Lust habe. Bitte, gehen Sie, bevor ich gezwungen bin, den Sicherheitsdienst zu rufen.“ Er war bereits auf die schwere Eichentür zugegangen, sodass er nicht sehen konnte, wie Haylie die Augen verdrehte.

Dieser aufgeblasene Kerl! Als ob mir das Ganze Spaß macht.

Wenn sie nicht der Meinung wäre, dass ein Kind das Recht hatte, seinen Vater kennenzulernen, vor allem wenn die Mutter nicht mehr am Leben war, dann hätte sie diese Reise gar nicht auf sich genommen. Dann wäre sie in Denver geblieben und hätte ihren Neffen allein aufgezogen. Warum war ihre leichtsinnige Schwester auch so unverantwortlich mit ihrem Leben umgegangen! Es wäre Heathers Aufgabe gewesen, Trevor zu finden und ihm mitzuteilen, dass sie nach ihrer kurzen Affäre schwanger geworden war. Spätestens nach Bradleys Geburt hätte sie ihm sagen müssen, dass er einen Sohn hatte.

Aber natürlich war Heather das gar nicht in den Sinn gekommen. Das hätte ja bedeutet, dass sie erwachsen geworden wäre und Verantwortung übernommen hätte. Haylie hatte keine Ahnung, was ihrer Schwester in den langen Monaten der Schwangerschaft durch den Kopf gegangen war. Vielleicht gar nichts, denn sie hatte den Eindruck gehabt, dass Heather den Gedanken weit von sich geschoben hatte. Sie hatte ihr Leben weiterhin so geführt, als wäre nichts geschehen, auch wenn sie allmählich einen dicken Bauch bekommen hatte.

Immerhin hatte sie aufgehört zu rauchen und Alkohol zu trinken. Im Übrigen war sie weiterhin zu Partys gegangen, zumindest solange ihr Körperumfang es zugelassen hatte. Als die Wehen einsetzten, schien Heather total überrascht zu sein, so als hätte sie nie damit gerechnet. Doch dann, in den ersten Wochen nach der Geburt, schien sie sich gefangen zu haben, und Haylie hatte die Hoffnung gehegt, dass ihre Schwester sich doch noch zu einer liebevollen, verantwortungsvollen Mutter entwickeln würde. Doch schon nach einem Monat hatte sie ihr altes Leben wieder aufgenommen. Sie war die ganze Nacht weggeblieben, hatte bis weit in den Nachmittag hinein geschlafen, sich geweigert, Rechnungen zu bezahlen, und sich nicht um Bradley gekümmert.

Das war das Schlimmste. Sosehr Haylie ihre Schwester trotz ihrer Fehler liebte, das konnte sie ihr nicht verzeihen. Denn obwohl Bradley nicht ihr Sohn war, liebte sie den kleinen Kerl und wusste, sie würde alles für ihn tun und ihn beschützen wie eine Löwenmutter ihr Junges. Ihr war absolut unverständlich, dass Bradleys leibliche Mutter nicht diese Gefühle für ihren Sohn entwickelt hatte.

Aber das spielte jetzt alles keine Rolle mehr. Es war ihre Aufgabe, für den Neffen zu sorgen. Und wenn sie den Kleinen nicht so lieben würde und so fest davon überzeugt wäre, dass er ein Recht hatte, seinen Vater kennenzulernen, wie auch der Vater das Recht hatte, seinen Sohn zu sehen, dann wäre sie jetzt nicht hier. Dann wäre sie nie ins Jarrod Ridge gekommen und würde jetzt nicht in diesem Büro sein und einem Mann gegenüberstehen, der damit drohte, sie hinauswerfen zu lassen.

„Sie können rufen, wen Sie wollen“, sagte sie ruhig, obwohl sie innerlich bebte. „Das ändert nichts an dem Grund, aus dem ich gekommen bin.“ Mit festen Schritten ging sie zu einem der Besucherstühle und wühlte mit der freien Hand in ihrer Handtasche. Dann zog sie ein paar Fotos heraus, ging auf Trevor zu, der immer noch die Hand auf dem schweren Messingtürknauf hatte, und reichte ihm die Bilder.

„Das ist meine Schwester Heather“, erklärte sie leise, und die Tränen traten ihr in die Augen.

Immerhin betrachtete Trevor jetzt die Fotos, sogar sehr genau, hob dann aber den Kopf und sah Haylie an. Und sie wusste: Er konnte sich nicht erinnern, Heather jemals begegnet zu sein – und erst recht nicht, je mit ihr geschlafen zu haben. Haylie seufzte leise. „Offenbar haben Sie sie in irgendeiner Bar in Denver getroffen, wo Sie auf Geschäftsreise waren. Meine Schwester war sehr hübsch, und sie liebte Partys. Aber sie hasste es, allein nach Hause zu gehen.“

„Sie war sehr hübsch? Was wollen Sie damit sagen?“

Schweigend reichte Haylie ihm einen Zeitungsausschnitt. „Vor zwei Monaten ist sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen“, stieß sie kaum hörbar hervor.

„Das tut mir leid.“ Mitfühlend sah er sie an, was Haylie überraschte. Dann hatte er doch so etwas wie ein Herz in der Brust, auch wenn er sich nicht an Heather erinnern konnte und wahrscheinlich glaubte, ihm solle ein Kind untergeschoben werden.

„Ich kann mir vorstellen“, sprach sie ihren Verdacht gleich aus, „dass Sie glauben, ich will mir einen bösen Scherz mit Ihnen erlauben. Oder, schlimmer noch, ich hätte es auf das Vermögen der Jarrods abgesehen. Aber das ist wirklich nicht der Fall.“

Bradley wurde unruhig, und sie setzte ihn auf die andere Hüfte. „Ich bin nur gekommen, weil Heather mir gesagt hat, dass Sie der Vater sind. Und da sie selbst nicht mehr dazu gekommen ist, Ihnen das mitzuteilen, sah ich es als meine Pflicht an, Sie zu informieren. Auch darüber, dass Bradleys Mutter tot ist. Außerdem bin ich der Meinung“, sie hob das Kind hoch und hielt es Trevor hin, „dass er wissen muss, wer sein Vater ist und aus welcher Familie er kommt.“

Als Trevor schwieg, nahm sie ihm den Zeitungsausschnitt und die Fotos wieder aus der Hand. „Es steht Ihnen frei, zu überprüfen, ob ich die Wahrheit sage. Aber lassen Sie Ihren Sohn nicht für die Fehler seiner Mutter büßen.“

Nachdenklich betrachtete Trevor die junge Blondine vor sich. Er hatte reichlich Erfahrung mit Frauen, die es nur auf sein Geld abgesehen hatten, und mit der Zeit hatte er gelernt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Aber bei Haylie Smith hatten seine Alarmglocken nicht geschrillt, und irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie ehrlich war. Selbst wenn sie sich irrte, was seine Vaterschaft betraf, sie schien zu glauben, was ihre Schwester ihr erzählt hatte.

Wieder warf er einen Blick auf das Foto in Haylies Hand, aber sosehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht an die Frau erinnern, mit der er eine Nacht verbracht haben sollte. An die Reise nach Denver, ja, und er wusste jetzt auch wieder, dass er verschiedene Bars aufgesucht hatte. Denn die Verhandlungen tagsüber waren nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, und er war enttäuscht und frustriert gewesen. In einer Bar war ohrenbetäubende Techno-Musik gespielt worden, er hatte am Tresen gesessen und einige Drinks zu sich genommen. Viele junge Frauen in kurzen Röcken und mit High Heels waren da gewesen, das fiel ihm jetzt wieder ein. Sie hatten ihn angemacht, aber er war nicht in Stimmung gewesen.

Zumindest anfangs nicht, aber nach ein paar Drinks vielleicht schon?

Dennoch, er konnte sich nicht an diese Heather auf dem Foto erinnern. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Schwestern war jedoch verblüffend. Sie hatten beide blaue Augen und hellblondes Haar, außerdem lange dunkle Wimpern und volle Lippen. Allerdings war Heathers Haar mit orangeroten Strähnen aufgestylt gewesen, während Haylies ihr glatt und weich auf die Schultern fiel. Und im Gegensatz zu Heathers grellrot geschminkten Lippen hatte Haylie nur Lipgloss aufgelegt. Heather hatte die Augen kräftig geschminkt, wodurch ihr Blick hart und zynisch wirkte, anders als Haylie, deren Blick warm und ernst war.

Erstaunlich, dachte er, dass zwei Frauen, die die gleichen Gesichtszüge haben, dennoch so unterschiedlich sein können. So ließ die eine neun Monate verstreichen, ohne sich mit dem Vater ihres Kindes in Verbindung zu setzen, während die andere nicht nur zwei Monate intensiv versuchte, mit ihm zu sprechen, sondern auch noch die fast vier Stunden Autofahrt mit einem Baby auf sich genommen hatte, um ihn persönlich über seine Vaterschaft zu informieren.

Schon allein deshalb wollte er gern wissen, ob Haylies Behauptung wahr war. Und falls ja … Sollte das wirklich sein Kind sein? Das musste er unbedingt herausbekommen. Bei dem Gedanken, Vater zu sein, verengte sich sein Brustkorb, und er bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend. Aber nicht wegen irgendwelcher spontanen Vatergefühle. Nein, eher aus Panik und blankem Entsetzen. Er war jetzt siebenundzwanzig und hatte noch nie daran gedacht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Und dass ihm eines Tages aus heiterem Himmel sein Kind auf den Schoß gesetzt würde, dieser Gedanke wäre ihm nie gekommen.

Bisher hatte er sein Leben in vollen Zügen genossen und außerdem viel Zeit und Kraft in den Aufbau seines Marketing-Unternehmens gesteckt. Seit er Chef der Marketing-Abteilung vom Jarrod Ridge war, hatte er kaum mehr Zeit, bergzusteigen oder Ski zu laufen. Wie sollte er da noch ein Kind aufziehen können? Aber es war sinnlos, sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen. Noch stand nicht fest, dass dies hier wirklich sein Sohn war. Entschlossen ging er zu seinem Schreibtisch zurück.

Während er sich in seinem Sessel niederließ und nach dem Telefonhörer griff, bedeutete er Haylie, sich zu setzen. „Diana, bitte verbinden Sie mich mit Dr. Lazlo.“ Er legte den Hörer wieder auf, beugte sich vor und musterte den Säugling auf Haylies Schoß eindringlich. Doch vergebens suchte er nach einer gewissen Familienähnlichkeit. Dies war einfach nur ein Baby wie viele andere auch. Bedeutete das, dass dieses Kind, Bradley hieß es wohl, dass dieser Bradley nicht sein Sohn war? Oder war es zu früh, bei einem vier Monate alten Säugling nach vertrauten Zügen zu suchen?

Er blickte hoch. „Wir werden umgehend einen Vaterschaftstest machen lassen. Und wenn Ihre Geschichte nicht der Wahrheit entspricht, wenn Sie mich angelogen haben, möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken.“ Was genau dann mit ihr geschehen würde, wusste er nicht. Aber der bloße Gedanke, dass sie ihn hereinlegen wollte, machte ihn wütend. Wenn sie mit dieser Scharade versuchte, Geld aus ihm herauszuholen oder den Namen seiner Familie zu beschmutzen, dann würde sich Christian, der langjährige Familienanwalt und Verlobte seiner Halbschwester Erica, schon darum kümmern. Er und die anderen Rechtsberater des Unternehmens würden dafür sorgen, dass Haylie Smith bedauerte, jemals einen Schritt in dieses Haus gesetzt zu haben.

Irgendwie hatte er erwartet, dass sie unter seinem kalten Blick zusammenzucken würde. Dass ihr klar werden würde, dass es ausgesprochen dumm gewesen war, ihn, Trevor Jarrod, herauszufordern. Doch wieder hatte er sie unterschätzt. Sie schlug noch nicht einmal die Augen nieder, sondern sah ihn weiterhin entschlossen und furchtlos an.

„Wenn es nicht Ihr Baby ist“, sagte sie leise, „dann habe nicht ich gelogen, sondern meine Schwester.“

Minutenlang starrte Trevor Haylie nur an, ohne etwas zu sagen. Die lastende Stille war für sie nur schwer erträglich. Durch die gepolsterten Türen drang kein Laut aus dem Vorzimmer. Lediglich die Wanduhr tickte in stoischem Gleichmaß, und hin und wieder stieß Bradley, der mit seinen Zehen spielte, ein begeistertes Glucksen aus. Das lenkte sie kurz von ihrem Herzklopfen ab.

Sie verstand sehr gut, dass Trevor wütend und misstrauisch war. In seiner Situation würde sie genauso empfinden. Dennoch konnte er ihr keine Vorwürfe machen. Im Gegenteil, er sollte ihr dankbar sein, dass sie es auf sich genommen hatte, ihn ausfindig zu machen. Sie hätte es auch einfacher haben können, indem sie in Denver blieb und sein Kind aufzog.

Aber das war Trevor offenbar nicht klar. Bisher hatte er nichts von Bradleys Existenz gewusst, und sie bezweifelte sehr, dass er aus einem plötzlich erwachten schlechten Gewissen heraus nach Denver geflogen wäre, um herauszufinden, ob er dort ein vaterloses Kind zurückgelassen hatte. Was bei seinem Lebenswandel durchaus wahrscheinlich sein könnte. Aber warum fühlte sie sich eigentlich verpflichtet, den Vater zu informieren? Es war nicht so, dass Heather ihr auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen hatte, sich um Bradley und Trevor zu kümmern. Stattdessen hatte sie ihrer Schwester immer wieder versichert, dass sie Trevor darüber informieren würde, Vater geworden zu sein. Aber daraus war nie etwas geworden.

Also hatte Haylie aus einem Gefühl der Verantwortung heraus gehandelt, weil sie der festen Meinung war, ein Vater müsste wissen, dass er ein Kind hatte. Ob er daraus die Konsequenzen ziehen und für das Kind Verantwortung übernehmen würde, stand auf einem anderen Blatt. Aber wenn sich nun herausstellte, dass er nicht Bradleys Vater war? Dann konnte sie wohl nichts anderes tun, als sich bei ihm zu entschuldigen und nach Denver zurückzufahren, um das zu tun, was sie sowieso tun wollte. Nämlich Bradley allein aufziehen.

Als das Telefon klingelte, fuhren beide zusammen. Trevor fasste sich als Erster und nahm den Telefonhörer ab. Er hörte zu. „Danke, ja, verbinden Sie.“ Und kurz darauf sagte er: „Dr. Lazlo, hier ist Trevor Jarrod. Ich möchte Sie in einer Angelegenheit sprechen, die äußerste Diskretion erfordert.“ Er schwieg, während der Arzt wahrscheinlich beim Grab seiner Mutter schwor, der diskreteste Mensch auf der Welt zu sein, und fuhr dann fort: „Wann kann man die Ergebnisse eines Vaterschaftstests erwarten?“ Bei der Antwort des Arztes runzelte er die Stirn, und Haylie unterdrückte ein Lächeln. Offenbar hätte keine Antwort außer: „Umgehend!“ Mr. Jarrod zufriedengestellt.

„Nun gut“, fing er wieder an. „Aber wenn es eine Möglichkeit gibt, die Sache etwas zu beschleunigen …“ Es folgte eine kurze Pause. „Kein Problem, wir können in dreißig Minuten bei Ihnen sein.“ Er nickte. „Danke. Bis gleich.“ Nachdem er aufgelegt hatte, fixierte er Haylie. „Wir fahren in die Stadt zur Blutuntersuchung. Jetzt sofort.“

Entschlossen stand er auf und ging um den Schreibtisch herum auf die Tür zu, wohl in der Annahme, dass Haylie ihm folgen würde wie ein gut dressierter Hund. Doch stattdessen erhob sie sich langsam und ging mit Bradley auf das Ledersofa zu, das an der Wand stand. „Was soll das denn jetzt wieder?“ Er blieb an der Tür stehen und sah sie irritiert an. „Warum kommen Sie nicht?“

„Ich muss noch Bradleys Windeln wechseln, bevor ich ihm den Schneeanzug wieder anziehe“, antwortete sie in aller Seelenruhe, legte den Kleinen auf das Sofa und fing an ihn auszuziehen. „Es sei denn, Sie wollen den ganzen Weg in die Stadt mit offenen Fenstern fahren.“

„Natürlich nicht.“ Verärgert steckte er die Hände in die Hosentaschen. „Aber beeilen Sie sich.“

„Ay, ay, Sir.“ Schnell wandte sie sich ab, weil sie ihr Lächeln nicht unterdrücken konnte. Routiniert säuberte sie den Kleinen, legte ihm die neue Windel um, zog die kleine Jeans wieder hoch und verpackte ihn dann in seinen hellblauen Schneeanzug. „So gut wie fertig.“ Sie richtete sich auf, zog sich ihren Parka über und setzte sich Bradley auf die Hüfte. Als sie nach der Wickeltasche griff, kam Trevor ihr zuvor. „Die kann ich nehmen.“

Unter seinem glühenden Blick wurde ihr heiß, und sie errötete. „Danke“, brachte sie leise heraus und trat hinter ihm aus dem Büro.

Diana hob den Kopf und sah die drei fragend an. Haylie glaubte nicht, dass die Sekretärin hatte verstehen können, was im Büro gesprochen worden war, aber ganz sicher wollte sie wissen, was dieses Treffen zu bedeuten hatte. Doch diskret, wie alle guten Sekretärinnen waren, sagte sie nichts und wartete auf die Anweisungen ihres Chefs.

„Diana, ich muss noch mal los“, sagte er und dachte nicht daran, ihr Haylie vorzustellen. „Wahrscheinlich komme ich heute auch nicht mehr ins Büro. Bitte, sagen Sie alle Termine für heute ab, und verschieben Sie sie.“

„Gut, Sir.“ Diana notierte etwas auf einem Block und wandte sich dann wieder dem Rechner zu, während Trevor seinen Mantel aus dem Wandschrank holte und überzog. Er nahm ein Handy aus der Manteltasche, sah kurz auf das Display und steckte es wieder ein. „Ich lasse das Handy an für den Fall, dass Sie mich erreichen müssen. Aber …“

„Ich weiß, nur im äußersten Notfall.“ Lächelnd nickte Diana ihm zu.

„Ja, danke.“ Er drehte sich zu Haylie um. „Fertig?“

„Ja.“ Sie folgte ihm und war überrascht, als er ihr die Tür aufhielt. Bei dieser ritterlichen Geste schlug ihr Herz schneller, und sie drückte Bradley fester an sich. Das erinnerte sie daran, dass sie keineswegs mit jedem gut aussehenden Mann ins Bett steigen würde, so wie ihre Schwester. Aber eins war ihr klar: Dieser Trevor Jarrod konnte ihr gefährlich werden, und gerade in seinem Fall sollte sie besonders vorsichtig sein.

Dennoch musste sie sich eingestehen, dass sie es Heather im Nachhinein nicht übel nehmen konnte, mit Trevor geschlafen zu haben. Wenn sie selbst weniger schüchtern und Männern gegenüber nicht so misstrauisch wäre, dann wäre auch sie bei Trevor in Versuchung gekommen.

Bis Haylie, Bradley und Trevor Dr. Lazlos Praxis erreichten, vergingen wohl eher fünfundvierzig Minuten als lediglich eine halbe Stunde, wie Trevor gemeint hatte. Denn er hatte nicht bedacht, wie kompliziert es war, mit einem Baby unterwegs zu sein. Als er mit Haylie und Bradley das Herrenhaus durch einen Seiteneingang verließ, um zu dem Parkplatz zu gehen, auf dem er seinen feuerroten SUV geparkt hatte, ahnte er noch nichts Böses. Doch dann bestand Haylie darauf, Bradleys Kindersitz aus ihrem Wagen zu holen, der direkt vor dem Hotel geparkt war. Das bedeutete, dass sie um das große Gebäude herumgehen mussten, um zum Haupteingang zu kommen. Da jedoch ein eisiger Wind wehte und Haylies und Bradleys Wangen bereits blaurot vor Kälte waren, wollte Trevor es nicht riskieren. Also blieb nur der Weg durchs Hotel selbst.

Dass eine fremde Frau mit einem Baby bei ihm aufgetaucht war, von dem sie behauptete, es sei seins, war schon schlimm genug. Aber sich jetzt mit Frau und Baby im Schlepptau neugierigen Blicken ausliefern zu müssen war noch schwerer erträglich. Er konnte nur hoffen, dass sich unter den Menschen, denen er begegnete, keine Journalisten befanden, die daraus eine saftige Titelstory machen würden. So schnell es ging, musste er mit Haylie die volle Halle durchqueren, bevor jemand ihn anhalten und neugierige Fragen stellen konnte.

Da Haylie zwei Schritte hinter ihm ging, musste man nicht unbedingt auf die Idee kommen, dass sie zusammengehörten. Denn sie hielten ja nicht Händchen oder so. Wahrscheinlich sah es nur so aus, als würde er einen wichtigen Gast persönlich zu seinem Quartier führen. Obwohl er zugeben musste, dass er Haylie nur zu gern an die Hand genommen hätte. Und zwar nicht, weil er von ihr angezogen war, sondern nur, weil er nicht wollte, dass sie mit ihren schweren Winterstiefeln auf dem teilweise feuchten Marmor ausrutschte und hinfiel. Und das Kind fallen ließ. Denn unabhängig davon, ob dies sein Sohn war oder nicht, Trevor konnte es nur schwer ertragen, wenn Kindern etwas zustieß.

Sie hatten die Halle bereits zur Hälfte durchquert, der Haupteingang kam in Sicht. Das ist ja noch mal gut gegangen, dachte Trevor. Doch dann sah er, wie sein Bruder Guy strahlend auf ihn zukam, und fluchte leise.

3. KAPITEL

Guy war drei Jahre älter als Trevor und hatte die Oberaufsicht über die Restaurants und Bars des Resorts. Diese Aufgabe war wie für ihn gemacht, denn ihm gehörte unter anderem ein berühmtes Restaurant in New York. Außerdem war er selbst ein ausgezeichneter Koch. Trevor als Marketingchef und er hatten viel miteinander zu tun, da sie ständig neue Werbeaktionen planten, um die Restaurants und damit das Jarrod Ridge noch bekannter zu machen.

Momentan hatten sie so etwas wie eine „Gourmet-Weltreise“ im Sinn, in die die Restaurants und Bars vom Jarrod Ridge eingebunden werden sollten. So sollten zum Beispiel im „Chagall’s“ französische Gerichte serviert werden, im „Emilio’s“ italienische, und im „Golden Palace“ sollte die moderne chinesische Küche vorgestellt werden.

Aber warum musste Guy nun gerade jetzt mit neuen Ideen kommen? Trevor blieb stehen und hoffte inständig, dass Haylie ihm das Reden überlassen würde.

„Hallo, Trevor!“, begrüßte Guy seinen jüngeren und etwas größeren Bruder.

Er trug eine schwarze Hose und dazu ein weißes Hemd mit Button-down-Kragen, keine Krawatte. Das dunkelbraune Haar, das ihm normalerweise etwas unordentlich über den Kragen hing, war modisch und kurz geschnitten. Das war sicher Averys Einfluss. Auch dass sein Bruder fast immer gut gelaunt war, war Avery zu verdanken. Guys Verlobte hatte Trevor von Anfang an gefallen, und seit er sah, wie sehr sie Guy liebte und wie positiv sie auf ihn einwirkte, hatte sie auch seinen Respekt gewonnen.

„Hallo, Guy.“

Und wie Trevor erwartet hatte, entrollte Guy ein großes Plakat, das er unter dem Arm getragen hatte. „Ich habe mir das Ganze noch mal genau angesehen, und ich hätte ein paar Änderungsvorschläge. Hast du gerade ein paar Minuten Zeit?“

„Leider ist es im Augenblick sehr schlecht. Kann ich dich später anrufen?“

Da Trevor eigentlich immer Zeit hatte, wenn es ums Geschäft ging, hob Guy überrascht die Augenbrauen. Doch dann bemerkte er die junge Frau, die dicht hinter dem Bruder stand. Und die ein Kind auf dem Arm trug, von dem nur das pausbäckige Gesicht aus dem dicken Anzug hervorsah! Ganz offensichtlich gehörte sie zu Trevor und wartete geduldig ab, bis er das Gespräch beendete. „Ach so … ja, natürlich“, sagte Guy schnell.

Es war eindeutig, dass er nur zu gern wissen wollte, was es mit der hübschen jungen Frau und ihrem Baby auf sich hatte. Glücklicherweise war er schlau genug, nicht zu fragen, zumindest nicht in diesem Moment. Aber Trevor war sicher, dass er, Haylie und das Kind ausdauernd am Familientisch diskutiert werden würden.

Doch damit nicht genug. Guy trat einen Schritt zur Seite und kam mit ausgestreckter Hand auf Haylie zu. „Ich bin Guy Jarrod, Trevors älterer Bruder. Nicht nur älter, sondern natürlich auch attraktiver und intelligenter“, fügte er breit lächelnd hinzu.

Trevor verdrehte die Augen, nicht nur wegen Guys Bemerkung, sondern auch, weil die Situation immer verworrener wurde. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

Haylie gab Guy die Hand. „Ich bin Haylie Smith“, sagte sie freundlich, nicht mehr und nicht weniger.

Gott sei Dank! Trevor atmete erleichtert aus. Dennoch war ihm nicht entgangen, dass sie offenbar von Guys Charme nicht im Geringsten beeindruckt war. Irgendwie gefiel ihm das, er wusste auch nicht, warum. Im Grunde sollte es ihm vollkommen egal sein, wenn sie darauf reagiert hätte. Denn Guy war glücklich verlobt, und von Frauen, die Verpflichtungen mit sich herumschleppten, ließ Trevor sowieso die Finger. Nur mühsam gelang es ihm, seine Ungeduld zu beherrschen. „Du, Guy, entschuldige, aber wir haben es ziemlich eilig. Ich melde mich später bei dir, ja?“

„Ja, okay, dann bis später“, murmelte Guy überrascht und ließ die beiden gehen.

Trevor wusste genau, dass sein Bruder ihm hinterhersah und sich wahrscheinlich den Kopf darüber zerbrach, was dieser Auftritt eben zu bedeuten hatte. Egal, je eher sie aus seinem Gesichtskreis verschwanden, desto besser. Schnell umfasste er Haylies Ellbogen und schob sie zum nächsten Ausgang. Leicht überrascht sah sie ihn an und lächelte dann. „Ihr Bruder scheint nett zu sein.“

„Ja.“ Sicher war sein Bruder nett. Nett und neugierig.

Als sie endlich vor Haylies Wagen standen, konnte Trevor nur den Kopf schütteln. Zwar wirkte das alte Auto noch ziemlich gepflegt, aber die Reifen hätten dringend ersetzt werden müssen. Wie war es möglich, dass jemand, der in Colorado lebte, im Spätherbst nicht wenigstens Winterreifen aufzog, wenn er schon nicht mit Schneeketten fuhr? Diese Reifen hatten so gut wie kein Profil mehr. Aber das geht mich nichts an, versuchte Trevor sich zu beruhigen, während Haylie in ihrer Tasche nach den Schlüsseln suchte. Es sei denn, Bradley wäre tatsächlich sein Sohn. In diesem Fall ginge es ihn wohl etwas an, wie sein Sohn befördert wurde. Und er würde dafür sorgen, dass die Reifen sofort ersetzt wurden. Oder besser noch, dass der ganze Wagen ersetzt wurde. Er sollte ihr ein sicheres Auto kaufen …

Endlich hatte sie die Schlüssel gefunden, aber Schwierigkeiten, mit dem Baby auf dem Arm aufzuschließen.

„Lassen Sie mich das machen.“ Trevor nahm ihr die Schlüssel aus der Hand, schloss auf und öffnete die Fahrertür. Haylie machte die hintere Tür auf und drehte sich dann zu Trevor um. „Können Sie ihn mal eben halten?“ Und ohne seine Antwort abzuwarten, drückte sie ihm Bradley in den Arm. Verdutzt hielt er ihn fest und dann weit von sich ab, als habe sie ihm gerade ein Netz mit giftigen Schlangen aufgedrängt. Da Haylie damit beschäftigt war, den Kindersitz abzuschnallen, konnte sie Trevors Gesicht nicht sehen, das, da war er sicher, bestimmt das nackte Entsetzen ausdrückte.

Er wusste überhaupt nichts über Babys. Weder wie man sie halten musste und wie man sie fütterte noch wie man die Windeln wechselte. Wenn Bradley nun plötzlich anfing zu weinen? Babys sonderten doch alle möglichen Flüssigkeiten ab. Tränen und Speichel und Erbrochenes … na, und so allerlei anderes, was glücklicherweise in die Windel ging.

Bradley allerdings dachte nicht daran, dieser Regel zu folgen. Er strahlte Trevor an, seine Wangen waren rosig, und die Augen leuchteten vor Vergnügen. Dabei strampelte er mit den Beinchen nach einer Musik, die offenbar nur er hören konnte und … Was war das? War das nicht ein Lächeln? Konnten Babys in dem Alter denn schon lächeln? Wieder strampelte Bradley mit den Beinen und kicherte dabei.

Da konnte Trevor nicht anders, auch er musste lächeln und drückte das Kind an die Brust. Der Kleine war schon irgendwie drollig. Das bedeutete nicht, dass er ein Jarrod war, aber er wusste wohl instinktiv, wie man Herzen gewann. Als Haylie ein oder zwei Minuten später mit dem Kindersitz aus dem Wagen kletterte, zog Trevor bereits Grimassen und schwenkte das Baby durch die Luft.

„Ich kann ihn jetzt wieder nehmen“, sagte sie verblüfft.

„Nein, lassen Sie nur. Es geht schon.“ Schließlich war das alles nicht so schlimm, wie er gedacht hatte. Falls dies nicht sein Kind war, dann war das vielleicht seine einzige Gelegenheit, mit einem Säugling zu spielen. Und falls doch, konnte er gar nicht früh genug damit anfangen, seine Vaterrolle zu üben. Er warf einen Blick auf Haylie und wies dann mit dem Kopf auf den Kindersitz. „Können Sie den tragen, oder ist er zu schwer?“

„Nein, das nicht, aber …“ Kurz runzelte sie die Stirn. „Sind Sie sicher, dass ich nicht lieber das Kind …?“

„Nein, ist schon okay.“ Wieder schnitt er eine Grimasse, und der Kleine kicherte. „Haben Sie alles, was Sie brauchen? Und ist Ihr Wagen gut verschlossen?“

„Selbstverständlich!“

Eine halbe Stunde später bog Trevor mit seinem SUV auf den Praxisparkplatz ein und parkte den Wagen. Er hatte kaum den Motor abgestellt, da war Haylie schon ausgestiegen und löste die Gurte von Bradleys Kindersitz. Trevor ging um den Wagen herum, um ihr zu helfen. Diesmal lächelte der kleine Junge nicht, als er ihn sah, sondern verzog missmutig das Gesicht. Dabei zappelte er ungeduldig, als könne er es gar nicht erwarten, endlich aus seinem Sitz befreit zu werden.

„Was hat er denn?“, wollte Trevor wissen.

„Gar nichts. Er ist nur launisch“, meinte Haylie, hob das Kind aus dem Sitz und griff nach der großen Wickeltasche, auf der eine gelbe Giraffe und ein lila Nilpferd aufgedruckt waren. Trevor nahm ihr schnell die Tasche ab, schlug die Tür zu, und dann gingen sie auf das große alte Haus zu.

„Können Sie die Flasche herausholen?“ Haylie wies auf eine der großen Seitentaschen. „Wahrscheinlich hat er Hunger. Danach muss ich ihn noch mal wickeln, und dann muss er schlafen. Ich hoffe, dass das hier nicht zu lange dauert, denn sonst müssen wir uns mit einem schreienden Baby abfinden. Es sei denn, er schläft während der ganzen Prozedur. Das wäre ideal.“

Ein schreiendes Baby, bloß das nicht, dachte Trevor. Andererseits erforderte der Test wahrscheinlich Nadeln und zumindest einen kleinen Piks. Und das würde Bradleys Laune nicht gerade heben. Abwarten. Sie betraten die Praxis, und Haylie suchte sich einen Stuhl, um dem Kleinen die Flasche zu geben, während Trevor zur Anmeldung ging, leise seinen Namen nannte und erklärte, weshalb sie gekommen seien. Schon nach kurzer Zeit wurden sie von einer Schwester in einen Extraraum gebeten. Während Bradley sein Fläschchen austrank, wurden seine Augenlider schwerer und schwerer. Und als der Arzt eintrat, war der Kleine eingeschlafen.

Dr. Lazlo begrüßte die beiden, setzte sich dann und blickte Trevor und Haylie aufmerksam an. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, möchten Sie einen Vaterschaftstest machen lassen, um herauszufinden, ob das Kind …“

Er schwieg, und Haylie wies mit dem Kopf schnell auf Trevor. „… seins ist“, vervollständigte sie den Satz. „Bradley ist der Sohn meiner Schwester“, fuhr sie fort. „Heather ist vor zwei Monaten bei einem Autounfall gestorben, noch bevor sie Mr. Jarrod informieren konnte, dass er der Vater ist. Mr. Jarrod möchte wissen, ob das der Wahrheit entspricht und ich nicht ins Jarrod Ridge gekommen bin, um Geld aus ihm herauszuholen.“

Trevor warf ihr einen wütenden Blick zu. „Das interessiert Dr. Lazlo doch gar nicht!“

Der Arzt lachte. „Keine Sorge, Ihr Fall ist wirklich nicht so ungewöhnlich. Ich habe schon Tausende dieser Tests durchgeführt und kann Ihnen versichern, dass ich sehr diskret bin. Ich nehme die Proben selbst ab und schicke sie mit fiktiven Namen ins Labor.“

Zustimmend neigte Trevor den Kopf, war aber trotzdem nicht wirklich zufrieden. Schlimm genug, dass er das hier jetzt über sich ergehen lassen musste. Aber erneut an die ganze Geschichte und seine unrühmliche Rolle darin erinnert zu werden passte ihm nicht.

„Nun zu dem Test selbst“, sagte Dr. Lazlo und richtete sich auf. „Es gibt zwei verschiedene Möglichkeiten. Entweder wir entnehmen einen Wangenabstrich oder eine Blutprobe.“

„Welche ist denn zuverlässiger?“ Fragend sah Trevor den Arzt an.

„Letzten Endes die Blutprobe. Wir können aber auch beides machen. Zwar ist jede Methode ziemlich aussagekräftig, aber mit beiden lässt sich ein Zweifel so gut wie ausschließen.“

Trevor wandte sich zu Haylie um, die ihn ansah, ohne dass ihr Gesicht verriet, was sie dachte. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir beide Tests machen lassen?“, fragte er. „Nur um absolut sicher zu sein?“

Sie zuckte kurz mit den schmalen Schultern. „Im Prinzip habe ich nichts dagegen. Aber bei der Blutentnahme wacht Bradley auf, und er wird ein Mordsgeschrei anstimmen.“

„Wir können erst den Wangenabstrich machen“, meinte der Arzt. „Und ich verspreche Ihnen, so behutsam wie möglich zu sein.“

Zwanzig Minuten später war alles überstanden, und Bradley schlief bereits wieder in seinem Kindersitz in Trevors Wagen auf dem Weg ins Jarrod Ridge. Er war durch den Nadelstich zwar aufgewacht, hatte auch drei Minuten wie am Spieß geschrien, sich dann aber wieder beruhigt und war an Haylies Schulter eingeschlafen.

„Der Arzt meinte, es könne ein bis zwei Wochen dauern, bis er die Testergebnisse hätte. Je nachdem, wie überlastet das Labor ist“, brach Trevor das Schweigen.

Sie warf ihm kurz einen Blick von der Seite her zu. „Wahrscheinlich hat er recht, nicht zu viel Druck zu machen. Das würde nur auffallen, und Sie sind sicher nicht daran interessiert, dass irgendjemand Wind davon bekommt, bevor das Ergebnis feststeht.“

„Ich vermute, dass Dr. Lazlo sehr diskret vorgeht. Aber dennoch könnte irgendetwas durchsickern, vor allem wenn irgendeiner der Angestellten Verdacht schöpft und Nachforschungen anstellt.“

„Ich habe nichts dagegen, zu warten, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, meinte Haylie ruhig. „Und ich verspreche Ihnen, genauso vorsichtig zu sein wie der Arzt. Zu Hause weiß keiner etwas von Ihnen. Ich glaube auch nicht, dass irgendjemand besonders interessiert daran ist, zu erfahren, wer Bradleys Vater ist. Irgendwie war niemand überrascht, als Heather plötzlich schwanger war. Bei ihrer Lebensweise hatte man wohl immer schon damit gerechnet.“

Es war klar, dass sie das Verhalten ihrer Schwester ablehnte, aber ebenso eindeutig war, dass sie Heather immer verteidigen würde. Selbst jetzt, da diese nicht mehr am Leben war.

Trevor konnte das gut verstehen. Auch er hatte plötzlich eine Schwester, von deren Existenz er erst einige Monate zuvor erfahren hatte. Und seiner Halbschwester Erica fühlte er sich ebenso verbunden wie Melissa, der Schwester, mit der zusammen er aufgewachsen war. Seine ganze Familie war ihm nach dem Tod des Vaters sehr wichtig geworden, und er wusste, dass sie immer füreinander einstehen würden. Dass auch Haylie Ähnliches für die verstorbene Schwester empfand, wunderte ihn nicht.

„Da ist aber noch etwas anderes, über das wir unbedingt sprechen müssen“, fing er wieder an.

„So? Was denn?“

„Wo werden Sie wohnen, während wir auf die Testergebnisse warten?“

„Ach so. Das ist doch ganz einfach. Sowie wir wieder in Ihrem Büro sind, gebe ich Ihnen meine Telefonnummer und meine E-Mail-Adresse, sodass Sie mich jederzeit erreichen können. Natürlich können Sie Bradley besuchen kommen, wenn Sie wollen. Aber wenn nicht, ist es auch okay. Das könnte ich schon verstehen.“

Verstehen vielleicht, aber sicher nicht gutheißen, dachte er bei sich. „Das habe ich nicht gemeint“, sagte er lächelnd.

„Nicht? Was denn dann?“

„Ich glaube, es ist besser, wenn Sie mit Bradley bei mir wohnen, solange wir nicht wissen, ob er nun mein Sohn ist oder nicht.“

Haylie war wie vom Donner gerührt. Ein paar endlose Minuten lang saß sie nur da, unfähig, etwas zu erwidern. Wenn er gesagt hätte, er würde jetzt seine Millionen verschenken und in Zukunft in einem Schnellimbiss arbeiten, hätte sie nicht schockierter sein können. Fassungslos drehte sie sich zu ihm um. Plötzlich war ihr siedend heiß, und sie zog den Reißverschluss von ihrem dicken Parka auf. Was sollte das? Was hatte er sich dabei gedacht? Oder hatte sie ihn missverstanden? „Was haben Sie gesagt?“, stieß sie schließlich hervor.

„Wenn Sie beide bei mir wohnen, ist es für alle das Beste.“

Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ergab überhaupt keinen Sinn. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Ganz einfach: Wenn Bradley mein Sohn ist, dann habe ich viel Zeit mit ihm versäumt und viel nachzuholen. Ich möchte ihn gern in meiner Nähe haben, möchte das Kind kennenlernen. Und mich daran gewöhnen, Vater zu sein.“ Die letzten Worte kamen leise und ein wenig gepresst, als würde ihm plötzlich bewusst, was das bedeutete. Dass er plötzlich der Vater eines kleinen Jungen war, eine Rolle, von der er noch vor wenigen Stunden nichts hatte wissen wollen.

„Das kann ich mir vorstellen“, musste sie ihm recht geben. „Aber so lange dauert es auch nicht, bis die Ergebnisse da sind. Und da Bradley schon vier Monate alt ist, machen ein paar Wochen mehr oder weniger auch nichts aus. Außerdem muss ich zurück ins Geschäft nach Denver. Ich kann nicht einfach verschwinden.“

„Dann lassen Sie das Kind doch hier. Sie hatten ihn immerhin schon vier Monate bei sich, ich erst ein paar Stunden. Ich habe viel Platz und außerdem genug Geld, um eine Nanny zu engagieren.“

Haylie starrte ihn entgeistert an. Normalerweise verlor sie nicht so schnell die Fassung, aber jetzt war sie kurz davor, den Mann neben sich anzuschreien. Was dachte er sich dabei? Sie sollte ihm das Kind überlassen? Und einer fremden Frau, auch wenn sie noch so gut ausgebildet war? „Auf gar keinen Fall!“ Vor lauter Zorn konnte sie sich nur mühsam beherrschen. „Auch wenn ich nicht Bradleys richtige Mutter bin, ich war in den letzten zwei Monaten die einzige Mutter für ihn. Und es kommt überhaupt nicht infrage, dass ich ihn irgendwo mit irgendjemandem allein lasse.“

Entschlossen verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah grimmig geradeaus. „Auch wenn Sie der Vater sein sollten!“ Erst jetzt wurde ihr klar, dass ihre gute Absicht Folgen haben würde, die sie nicht bedacht hatte. Sie hatte doch nur das Richtige tun wollen, als sie dem Fremden gesagt hatte, dass er ein Kind habe. Von einer Frau, die ihn nie darüber informiert hätte, auch wenn sie am Leben geblieben wäre.

Vor allem hatte sie an Bradley gedacht. Schließlich war er doch ein Jarrod. Und selbst wenn sie davon überzeugt war, dass ein Kind auch ohne Millionen glücklich aufwachsen konnte, so hatte er doch das Recht, zu erfahren, aus welcher Familie er kam und wer seine Vorfahren waren.

Irgendwie war alles schiefgelaufen. Plötzlich stellte dieser Fremde Forderungen, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Erst schwieg er, dann sagte er in diesem kalten, befehlsgewohnten Ton: „Ich kann Ihnen das Kind wegnehmen, darüber sind Sie sich hoffentlich im Klaren.“

4. KAPITEL

Eigentlich hatte Trevor Haylie nicht drohen, sondern sie mit überzeugenden Argumenten dazu bringen wollen, bei ihm einzuziehen. Aber als sie sich so entschlossen dagegen gewehrt hatte, war ihm nichts anderes eingefallen. Andererseits gefiel es ihm, dass sie bereit war, so vehement um den Jungen zu kämpfen. Falls sich tatsächlich herausstellte, dass Bradley sein Sohn war, hatte er allen Grund, ihr sehr dankbar zu sein, dass sie sich so für das Kind eingesetzt hatte.

Sicher, Bradley war ihr Neffe, es gab also eine starke natürliche Bindung. Da Haylies Schwester, an die Trevor sich immer noch nicht erinnern konnte, ihr aber offenbar nur Kummer bereitet hatte, wäre es verständlich gewesen, wenn Haylie sich von dieser Heather vollkommen abgewendet hätte. Wenn sie es sattgehabt hätte, der leichtsinnigen Schwester immer wieder zu Hilfe zu kommen. Aber genau das hatte sie nicht getan. Nicht nur, dass sie ihrer Schwester immer wieder beigestanden hatte, sie hatte nach Heathers plötzlichem Tod sogar deren Kind zu sich genommen. Deshalb stand er tief in ihrer Schuld – falls sich herausstellen sollte, dass Bradley tatsächlich sein Sohn war.

„Ich lasse ihn mir nicht wegnehmen!“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und riss Trevor damit aus seinen Gedanken. Das hörte sich so an, als wäre sie bereit, buchstäblich mit Zähnen und Klauen um das Kind zu kämpfen, und Trevor konnte nicht anders, er musste ihr einen bewundernden Blick zuwerfen.

Natürlich hätte sie keinerlei Chancen, wenn es hart auf hart käme. Denn wenn er wirklich das Sorgerecht für den Kleinen beanspruchte, dann hatte er die Mittel, das auch durchzusetzen. Außerdem war sie zu ihm gekommen, um ihm zu eröffnen, dass er Vater geworden sei, da die Mutter es ihm verheimlicht hatte. Und die Familienrichter wären sicher sofort bereit, diesen Fall in seinem Sinn zu entscheiden und dem leiblichen Vater das Kind zuzusprechen. Und nicht der Tante.

Doch so weit wollte er es nicht kommen lassen. Viel lieber würde er alles gütlich beilegen. Es musste doch möglich sein, Haylie davon zu überzeugen, dass der Sohn zum Vater gehörte. Aber vielleicht sollte er die Sache langsam angehen. Er selbst musste sich auch erst einmal gründlich von dem Schock erholen, möglicherweise Vater geworden zu sein. Außerdem wäre es sehr unklug, Haylie zu verärgern, denn er brauchte sie. Auch wenn er es sich ungern eingestand, er brauchte ihre Hilfe, denn er hatte keine Ahnung von Kindern. Sie waren ihm so fremd wie kleine grüne Marsmännchen.

Wenn Bradley also wirklich sein Sohn war, dann musste Haylie ihn mit dem Kleinen vertraut machen, denn sie kannte ihn wie ihr eigenes Kind. Eine Nanny konnte dem Kind zwar die Flasche geben und ihm die Windeln wechseln, aber sie wusste nicht, welche Babynahrung es am liebsten hatte, wo es kitzlig war und was es zum Lachen oder zum Weinen brachte. Haylie wusste all das. Denn in den letzten vier Monaten hatte sie seinen Sohn genau kennengelernt.

Vielleicht war es sein Sohn … vielleicht auch nicht. Aber wenn … Doch es war sinnlos, schon jetzt mit diesem Gedanken zu spielen. Erst sollte er das Ergebnis des Vaterschaftstests abwarten. Da alle Jarrods sehr familienbewusst waren, würde auch Trevor nicht im Traum daran denken, Haylie aus Bradleys Leben zu verdrängen, sollte sich herausstellen, dass er wirklich sein Sohn war. Denn der Junge brauchte die Tante genauso wie seinen Vater und den Rest der Familie.

Deshalb war es sicher besser, wenn er sich Haylie nicht zum Feind machte. „Lassen Sie uns doch in Ruhe über alles sprechen“, versuchte er es nun freundlich, um sie zu besänftigen. „Es hat keinen Sinn, schon jetzt über das Sorgerecht zu streiten. Bitte, denken Sie doch über meinen Vorschlag nach. Ich bin sicher, Sie werden einsehen, dass das momentan für alle Beteiligten das Beste ist.“

„Tatsächlich? Wie kommen Sie darauf?“

Bei ihrem feindseligen Tonfall hob er kurz die Schultern. „Wie ich schon sagte, es handelt sich doch nur um eine relativ kurze Zeit. In der Bradley und ich die Gelegenheit hätten, uns kennenzulernen.“ Hm, das hörte sich irgendwie zu steif an. „Ich meine, wir hätten die Chance, uns näherzukommen. Als Vater und Sohn.“

Doch auch damit schien sie nicht einverstanden zu sein, denn sie runzelte die Stirn und presste die Lippen aufeinander. „Und ich?“, stieß sie schließlich leise hervor.

„Wieso? Das ist ganz einfach. Ich habe doch schon gesagt, dass Sie mit Bradley zusammen zu mir ziehen sollten. Ich habe sehr viel Platz, darum brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen. Sie haben natürlich eine eigene Suite und können das ganze Haus nutzen, wenn ich im Büro bin.“

„Das meine ich nicht. Was ist mit meinem Leben in Denver? Ich habe nämlich einen ziemlich verantwortungsvollen Posten, muss ein Geschäft führen, das heißt, Termine überwachen und Mitarbeiter anweisen.“

Natürlich, daran hätte er schon früher denken sollen. Aber der Schock, plötzlich Vater zu sein, hatte wohl vorübergehend sein logisches Denken ausgeschaltet. Wahrscheinlich sollte er über sie Nachforschungen anstellen lassen. Sowie er wieder im Büro war, würde er eine Detektei damit beauftragen. Er musste einfach etwas mehr über diese Haylie Smith erfahren. Die möglicherweise die Tante seines Kindes war … Dabei würde auch Näheres über die Mutter herauskommen. Etwa, ob sie wirklich zu der Zeit in Denver gewesen war, in der auch Trevor sich dort aufgehalten hatte. Und ob es nicht vielleicht auch andere Kandidaten für die Vaterschaft gab. Bei Heathers Lebensweise war das immerhin sehr gut möglich.

Noch bevor er die Ergebnisse der Tests in den Händen hielt, wüsste er dann schon Genaueres – auch über Haylies finanzielle Situation. Wenn sie klamm war, war es immerhin sehr gut möglich, dass sie das Kind der toten Schwester dazu benutzte, etwas von den Jarrod-Millionen für sich abzugreifen, indem sie Trevor unter Druck setzte.

„Ich bin nämlich Eventmanagerin“, unterbrach Haylie ihn in seinen Gedanken.

„Und Sie sind selbstständig?“

„Ja, ich habe ein kleines Unternehmen und bisher nur wenige Angestellte. Aber in der Vorweihnachtszeit bis zum Jahresende gibt es viel für uns zu tun. Eigentlich kann ich es mir noch nicht mal leisten, über Nacht wegzubleiben, geschweige denn ein oder zwei Wochen.“

Darauf ging Trevor lieber nicht ein. „Wie heißt denn Ihr Unternehmen?“, wollte er stattdessen wissen.

„Your Party.“

„Nett, sehr nett …“, murmelte er geistesabwesend, weil ihm gerade ein Gedanke gekommen war.

„Danke.“

„Sind Sie auf irgendwelche besonderen Events spezialisiert?“

„Nein, eigentlich nicht. Zumindest noch nicht. Wir haben erst vor drei Jahren angefangen und müssen uns erst mal gegen die Konkurrenz durchsetzen.“

„Dann haben Sie jetzt wohl mit vielen Weihnachtsfeiern zu tun, was?“

Sie nickte. „Allerdings. Der November und der Dezember sind sehr gute Monate für uns.“ Sie lächelte, und bei diesem Lächeln wurde ihm ganz warm ums Herz.

Verdammt, Haylie Smith war wirklich eine sehr attraktive Frau. Wenn sie sich unter anderen Umständen und ohne die mögliche Verbindung durch Bradley kennengelernt hätten, hätte er bestimmt schon angefangen, mit ihr zu flirten. Hätte sie gefragt, ob sie nicht was mit ihm trinken gehen wolle. Und hätte sein unwiderstehliches Playboylächeln eingesetzt, mit dem er höchst selten sein Ziel verfehlte.

Aber das kam bei Haylie nicht infrage, oder? Nicht nur, weil sie ihn mit einem ganz neuen und unerwarteten Problem konfrontiert hatte, sondern auch, weil er ziemlich sicher war, dass sie nicht so leicht zu verführen war. Anders als ihre Schwester. „Haben Sie schon mal eine Hochzeit geplant und ausgerichtet?“

Überrascht blickte sie ihn an. „Ja, ein paar kleinere zu Anfang, als ich noch allein war. Später dann auch größere, als ich es mir leisten konnte, Mitarbeiter zu engagieren.“

Er bog in eine Straße ein, die vom Jarrod Ridge wegführte. Hoffentlich hatte Haylie das nicht bemerkt. „Das ist viel Arbeit, oder?“

Sie lachte leise. „Allerdings. Vor allem wenn man es mit einer hysterischen Braut zu tun hat oder mit Familienangehörigen, die alles besser wissen und sich überall einmischen.“

„Aber es macht Ihnen Spaß? Und Sie hätten nichts dagegen, wieder eine Hochzeit auszurichten?“

Langsam wandte sie den Kopf und blickte Trevor leicht verwirrt an. „Warum sollte ich? Das ist mein Beruf. Für Your Party ist kein Job zu klein oder zu groß.“ Dann kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. „Aber warum wollen Sie das alles wissen? Warum interessieren Sie sich überhaupt für mein Unternehmen?“

„Vielleicht bin ich einfach nur neugierig.“ Er bog von der Straße ab und in eine offenbar private Zufahrt ein.

Haylie war so sehr durch die Unterhaltung abgelenkt, dass ihr das nicht auffiel, obwohl der Weg kaum gepflastert und kein Auto mehr zu sehen war. „Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie etwas nur aus reiner Neugierde tun. Irgendetwas steckt doch dahinter.“

Erstaunlich, wie gut sie ihn bereits kannte, obwohl sie sich doch erst vor ein paar Stunden begegnet waren. Trevor lächelte. „Kann schon sein. Denn ich habe eine Schwester, eigentlich ist sie meine Halbschwester, die verlobt ist. Sie und ihr Verlobter haben immer von einer Hochzeit in den Weihnachtstagen gesprochen. Allerdings haben sie auch tausend andere Möglichkeiten erwogen, ohne sich bisher entschlossen zu haben, sodass sie allmählich wohl gar nicht mehr wissen, was sie eigentlich wollen.“

Der Weg wurde steiler, und jetzt erst bemerkte Haylie, dass sie nicht nach Jarrod Manor zurückfuhren, wie Trevor es ihr versprochen hatte. Beunruhigt sah sie sich um. „Wo sind wir?“

Er tat so, als habe er die Frage nicht gehört. „Und so habe ich gedacht, dass Sie vielleicht mal mit Erica sprechen könnten. Sie könnten ihr ein paar Anregungen geben und sie von ihrer Nervosität befreien, die sie offenbar immer befällt, wenn sie an die Hochzeit denkt.“

„Sehr gern. Sie kann mich jederzeit anrufen. Aber …“ Überrascht drehte sie sich zu Trevor um, als sein Haus in Sicht kam. „Wo sind wir? Das gehört doch nicht mehr zum Jarrod Ridge, oder?“

Ohne zu antworten, fuhr er vor eine Doppelgarage, die ein paar Meter vom Haus entfernt stand. Beide Gebäude waren aus dunkel gebeiztem Holz gefertigt und fügten sich perfekt in die Umgebung ein. Sie hatte recht, dieses Grundstück war Trevors Eigentum, grenzte aber direkt an den großen Besitz vom Jarrod Ridge. Während das breite Garagentor auf Druck der Fernbedienung langsam hochrollte, sah Trevor Haylie ernst an. „Das ist mein Haus. Ich wollte es Ihnen zeigen und Ihnen die Gelegenheit geben, sich mit der unmittelbaren Umgebung vertraut zu machen, bevor Sie meine Einladung endgültig ablehnen.“

Dass sie kurz davor war, ihm eine gehörige Abfuhr zu erteilen, war nicht zu übersehen. Ihre Nasenflügel bebten, und sie sah ihn so wütend an, als wolle sie sich auf ihn stürzen. Wahrscheinlich rettete ihn nur das Kind, das hinten schlief und das Haylie sicher nicht aufwecken wollte. Doch er wandte den Blick nicht ab, sodass sie schließlich kurz die Lippen zusammenpresste und dann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß: „Einladung? Dass ich nicht lache! Sie meinen wohl ‚Befehl‘!“

Trevor ahnte, dass es besser war, darauf keine Antwort zu geben. Wortlos ließ er den Wagen in die Garage rollen, stieg aus und half Haylie, das Kind und die Wickeltasche von der Rückbank zu nehmen. Immer noch schweigend zeigte er ihr die Räume des Erdgeschosses, was Haylie unwillig zur Kenntnis nahm.

Erst als sie Bradley die Windeln gewechselt und ihm die Flasche gegeben hatte, kam sie auf das Gespräch zurück. Der Kleine lag auf einer Decke in der Mitte des großen Wohnzimmers, beschäftigte sich mit seinem Spielzeug und brabbelte vergnügt vor sich hin. Trevor hatte inzwischen Feuer im Kamin gemacht und sah Haylie abwartend an, die auf der anderen Seite des Raums stand und immer noch vor Wut schäumte. Auch der atemberaubende Blick auf die Berge, deren Schneekuppen in der späten Nachmittagssonne rosa glänzten, hatte ihren Zorn nicht mildern können.

„Habe ich nicht recht? Sie haben uns doch befohlen, hier zu wohnen.“

„Aber nein. Das würde ich niemals tun“, versuchte Trevor sie zu besänftigen. Sicher, er könnte sie dazu zwingen, aber ihm war es lieber, wenn sie freiwillig blieb. Er ging in die Küche, die, nur durch einen Granittresen getrennt, direkt an den Wohnraum grenzte, nahm zwei Gläser aus dem Schrank und eine Flasche Merlot aus dem Weinregal. „Ich bitte Sie, ein paar Tage zu bleiben“, fuhr er fort, während er nach dem Korkenzieher suchte. „Nur damit ich Bradley besser kennenlernen kann. Was sehr viel einfacher ist, wenn Sie dabei sind. Außerdem möchte ich auch gern etwas mehr über Sie und Ihre Schwester erfahren.“

Das war zwar nicht alles, aber das brauchte sie nicht zu wissen. Denn er wollte auch sichergehen, dass sie ihre Geschichte nicht doch der Presse erzählte oder die Familie damit überraschte und erpresste. Geschickt entkorkte er die Flasche, schenkte ein und reichte Haylie ein Glas. Fast hatte er damit gerechnet, dass sie ihm den Inhalt ins Gesicht schütten würde, doch sie nahm den Wein schweigend entgegen.

„Wenn sich herausstellen sollte, dass Bradley tatsächlich mein Sohn ist, dann wäre ich sehr froh, diese Zeit mit ihm gehabt zu haben. Und zwar bevor alle Welt erfährt, dass ich ein Kind mit einer Frau gezeugt habe, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Und dass ich das erst zwei Monate nach ihrem Tod erfahren habe.“

Bei dem Wort Tod zuckte Haylie zusammen, und Trevor bedauerte, so unsensibel gewesen zu sein. Denn unabhängig davon, was er von der Frau hielt, die ihm das Kind vorenthalten hatte, wenn es denn sein Sohn war, Heather war immerhin Haylies Schwester, und Haylie hatte sie geliebt. Er trank einen Schluck Wein und war froh, dass auch Haylie das Glas an den Mund setzte.

„Sie können sich nicht vorstellen, Haylie“, fuhr er freundlicher fort, „wie eine Familie wie meine von den Medien verfolgt wird. Ständig sind wir den Kameras ausgeliefert, sodass wir schwer darum kämpfen müssen, überhaupt noch so etwas wie ein Privatleben zu haben. Jedes kleine Vorkommnis wird zu einer Riesensache aufgebauscht, damit die Presse etwas zu schreiben hat, nicht weil wir es wollen. Auch völlig normale Ereignisse bekommen so ein unangemessenes Gewicht.“ Nervös fuhr er sich durchs Haar. „Wenn herauskommt, weshalb Sie hier sind, selbst wenn wir noch kein Ergebnis haben, dann ist die Hölle los. Mich wird man als verantwortungslosen Vater beschimpfen und Ihre Schwester als raffinierte Schlange, die sich absichtlich hat schwängern lassen, um an die Jarrod-Millionen heranzukommen.“

Haylie schwenkte nachdenklich den dunkelroten Wein im Glas und sah Trevor nicht an. Das Feuer warf einen rotgoldenen Schein auf ihre schmale Erscheinung, während das milde Nachmittagslicht, das durch die Fenster hereinfiel, ihr Haar in allen Gold- und hellen Kupfertönen schimmern ließ. Am liebsten hätte Trevor dieses Haar berührt, um herauszufinden, ob es wirklich so weich und seidig war, wie es aussah. Doch bevor er noch die Hand ausstrecken konnte, hob sie den Kopf und sah ihn an.

„Aber wenn ich nun hier mit Ihnen unter einem Dach wohne, würden die Medien dann nicht viel eher verrückt spielen, als wenn ich nach Denver zurückkehre und jemand zufällig herausfindet, was mit Bradley los ist?“

Gutes Argument. „Wir würden das natürlich so lange geheim halten, wie es irgend geht. Aber wenn es doch herauskommt, dann sind Sie einfach eine Freundin der Familie, die mit ihrem Sohn nicht im Resort, sondern bei mir wohnt. Wir können sogar so tun, als seien Sie ein zahlender Gast, der das ganze Haus bewohnt, während ich in dieser Zeit ins Haupthaus gezogen bin.“

Als sie ihn skeptisch ansah, ließ er dieses schwierige Thema schnell fallen und sprach das an, was ihr außerdem große Sorgen zu machen schien. „Und dass Sie nicht sofort wieder nach Denver zurückkehren, dafür hat man bei Ihnen zu Hause sicher Verständnis. Denn ich wette, dass Sie nach dem Tod Ihrer Schwester noch kaum zur Ruhe gekommen sind. Da wird man begreifen, dass Sie auch mal ausspannen müssen. Außerdem ist es wirklich so, dass meine Schwester dabei ist, ihre Hochzeit zu planen, und dringend Ihre Unterstützung braucht. So ließe sich Ihr Aufenthalt hier sogar mit einer Geschäftsreise begründen.“

Wieder blickte Haylie lange in ihr Glas, bevor sie langsam den Kopf hob. „Sind Sie denn sicher, dass Ihre Schwester nicht bereits einen Hochzeitsplaner engagiert hat? Als eine Jarrod kann sie sich doch den besten und teuersten leisten. Ich würde mich wundern, wenn sie daran nicht gleich als Erstes gedacht hätte.“

„Das kann ich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, aber ich habe noch nichts gehört.“ Er setzte sein Glas ab. „Wenn es Sie beruhigt, kann ich sie gleich mal anrufen.“ Und bevor Haylie noch etwas einwenden konnte, hatte er bereits nach dem schnurlosen Telefon gegriffen, das auf dem Tresen lag. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, die Familie schon jetzt von dem plötzlichen Besuch zu informieren. Doch da sie es sowieso bald erfahren würde, konnte es auch gleich sein. Denn wenn er ein paar Tage freinahm oder Haylie im Haupthaus auftauchte, würden sämtliche Jarrods ihn sofort mit Fragen löchern. Manchmal sind sie wirklich schlimmer als die Presse, dachte er und seufzte leise.

Er hatte Ericas Nummer eingespeichert, und so war sie auch sehr schnell am Telefon, kaum dass er einen Knopf gedrückt hatte. „Hallo, Schwesterchen, hier ist Trevor. Darf ich dich mal was fragen?“

Wenige Sekunden später warf er Haylie ein triumphierendes Lächeln zu, wandte sich dann aber wieder ab, trat auf den Flur und senkte die Stimme. „Aha. Und hättest du nicht Lust, einen zu engagieren? Du würdest mir damit sogar einen persönlichen Gefallen tun.“

„Du willst doch hoffentlich nicht, dass ich eine von deinen dummen Betthäschen einstelle, damit es meine Hochzeit plant?“, gab Erica empört zurück.

Das hielt sie also von seinen Freundinnen? Wenn er ehrlich war, musste er ihr recht geben und durfte sich nicht wundern, dass sie eine solche Meinung von seinen Bekanntschaften hatte. Aber was ihm normalerweise nichts ausmachte, störte ihn jetzt irgendwie und war ihm peinlich. Unwillkürlich sah er zu Haylie hinüber, die mit ihrem glatten blonden Haar, dem eher konservativen Pullover und der klassisch geschnittenen Hose so ganz anders aussah als seine sonstigen Gespielinnen. Gegen Haylie hatte Erica ganz sicher nichts einzuwenden.

„Nein, nein“, stellte er schnell richtig, „es handelt sich hier um eine professionelle Eventmanagerin. Und damit sie die nächsten ein bis zwei Wochen hierbleibt, brauche ich eine solide Begründung.“

„Aber warum denn?“

„Das ist eine lange Geschichte. Ich erklär’s dir später. Wie ist es, hättest du Interesse? Möchtest du nicht wenigstens mal mit ihr sprechen?“

„Ja, gern. Ehrlich gesagt wäre ich sehr froh, wenn sich jemand um die ganze Sache kümmern würde. Mir wächst das alles über den Kopf.“

„Gut, dann könnt ihr ja gleich ein Treffen ausmachen. Haylie!“ Sie kam auf ihn zu, und er hielt ihr das Telefon hin. „Meine Schwester.“

Zögernd griff sie nach dem Hörer. „Hier ist Haylie Smith.“

Trevor konnte zwar nicht verstehen, was Erica sagte, aber zu seiner Erleichterung nickte Haylie immer wieder, sagte „Ja“ und „Gern“, und als sie schließlich das Gespräch beendete, schaute er sie erwartungsvoll an. „Na? Und?“

Sie reichte ihm das Telefon und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. „Offenbar treffe ich Ihre Schwester morgen zum Lunch, um mit ihr über ihre Hochzeit zu sprechen.“

„Na, wunderbar!“ Lächelnd griff er nach der Flasche und schenkte sich nach. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass ihr Glas noch fast voll war.

Haylie wirkte nicht so begeistert. Wunderbar? Vielleicht für ihn. Aber sie war doch nicht wegen eines neuen Auftrags nach Aspen gekommen, sondern um Bradleys Vater zu finden. Sollte sie sich wirklich auf diese Sache einlassen? Sollte sie den Lunch nicht lieber absagen, obwohl sie gerade erst zugestimmt hatte? Irgendwie hatte sie das Gefühl, als entgleite ihr die Kontrolle über ihr Leben, und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

Andererseits handelte es sich hier um eine große Sache. Um eine Jarrod-Hochzeit! Alle Eventagenturen würden sich um einen solchen Auftrag reißen, ja, sie würden nicht davor zurückschrecken, einen Mord zu begehen, nur um den Zuschlag zu bekommen! Und ihr wurde der Auftrag sozusagen auf einem Silbertablett serviert, während sie in dem luxuriösen Wohnzimmer von Trevor Jarrod stand! Selbst wenn sie nicht bezahlt würde, war ein solcher Auftrag gut für ihr Image und würde Your Party auf ein ganz anderes Niveau heben. Statt Kindergeburtstage und Konfirmationen, Kommunionen und Bar-Mizwas würde sie in Zukunft Gartenpartys und Hochzeiten für die High Society ausrichten. Wahnsinn!

Die Vorstellung war so überwältigend, dass ihr fast die Luft wegblieb. Schnell zwang sie sich, ein paar Mal tief durchzuatmen. Jetzt bloß nicht ohnmächtig werden, nicht hier, nur wenige Schritte von Trevor entfernt, der in aller Ruhe seinen Merlot trank. Außerdem musste sie ihre Fantasie zügeln. Noch war nichts ausgemacht. Sie hatte eine Lunchverabredung mit seiner Schwester, das war alles.

So nahm sie sich zusammen, straffte sich und sah ihn kühl an. „Ich werde eine Nacht hierbleiben und mich morgen mit Ihrer Schwester treffen. Mehr kann ich im Moment noch nicht sagen.“

„Natürlich nicht. Aber wenn Sie erst mit Erica gesprochen haben, dann werden Sie sehr bald einsehen, dass es Schlimmeres gibt, als ein, zwei Wochen hier auf Jarrod Ridge zu verbringen. Und für den Fall, dass Sie sich um einen Verdienstausfall Sorgen machen – solange Sie hier sind, werden Sie gut bezahlt.“ Lächelnd zwinkerte er ihr über den Rand des Weinglases hinweg zu. „Sehr gut sogar.“

5. KAPITEL

Haylie hatte zwar zugestimmt, eine Nacht in Trevor Jarrods Haus zu verbringen, aber es dann auch wirklich zu tun war etwas ganz anderes. Das wurde ihr bald klar.

Zum einen war sie auf eine Übernachtung nicht vorbereitet. Sie hatte zwar für Bradley genug Windeln und Nahrung mitgenommen, sodass sie die Nacht überbrücken konnte. Aber für sich selbst hatte sie nur das mit, was sie am Leib trug – keine Zahnbürste, kein Nachthemd und nichts, was dem Lunch mit Erica am nächsten Tag in einem wahrscheinlich schicken Restaurant angemessen war. Vielleicht hatte sie doch etwas zu schnell zugesagt.

„War wohl keine so tolle Idee“, sagte sie leise vor sich hin. Sie stand in der Tür zu einem der Gästezimmer und betrachtete Bradley, der tief schlief. Gleich nach seiner letzten Flasche war er eingenickt und auch nicht aufgewacht, als sie ihm die Windeln gewechselt hatte. Verständlicherweise hatte Trevor weder Kinderwagen noch Kinderbett, und so hatten sie sich etwas einfallen lassen müssen. Sie hatten eine dicke weiche Bettdecke in eine Zimmerecke gelegt und die zwei offenen Seiten mit Kissen von Trevors bestimmt sehr teurer Ledercouch geschlossen. So war Haylie sicher, dass Bradley auf der Decke bleiben würde, selbst wenn er in den nächsten Stunden aufwachen würde, was allerdings ziemlich unwahrscheinlich war.

„Das ist doch ganz gut, was?“, bemerkte Trevor dicht hinter ihr, und sie fuhr zusammen. „Es sieht zwar nicht toll aus, aber es kann ihm nichts passieren, oder?“

Langsam wandte sie sich zu ihm um. „Nein, das ist sehr sicher. Während er schläft, bewegt er sich auch nicht sehr viel. Man muss nur darauf achten, dass er sich nicht wehtun kann, wenn er aufwacht und sich vielleicht hin und her rollt.“

„Warum haben Sie dann gemeint, es sei keine so tolle Idee?“ Fragend sah er sie an, während sie gemeinsam die Treppe wieder hinuntergingen.

„Das meinte ich nicht in Bezug auf Bradley. Ich hatte nicht vor, über Nacht wegzubleiben, schon gar nicht hier bei Ihnen.“

Als ihr klar wurde, wie sich das anhörte, fuhr sie hastig fort, in der Hoffnung, dass ihm die Anzüglichkeit nicht aufgefallen war: „Bradley hat kaum noch Windeln und Trockenmilch. Und ich habe keine Waschsachen dabei.“ Sie schob die Hände in die Hosentaschen und sah an sich hinunter. „Und selbst wenn ich diese Nacht irgendwie überstehe, sehe ich morgen wie eine Stadtstreicherin aus, die sich nicht waschen konnte und in ihren Kleidern schlafen musste.“

Amüsiert verzog er den Mund. „Haben Sie vergessen, mit wem Sie reden?“ Er schob ihr einen Notizblock und einen Stift zu, die auf dem Küchentresen lagen. „Hier. Schreiben Sie genau auf, was Sie brauchen, so ausführlich wie möglich. Markenname, Menge, Schuhgröße und Kleidergröße. Noch heute Abend wird alles angeliefert, zusammen mit Ihrem Wagen.“

„Mein Wagen?“ Skeptisch sah sie ihn an. Was für schöne braune Augen er hat. „Haben Sie sich das auch gut überlegt? Haben Sie keine Angst, dass ich mich mitten in der Nacht mit Bradley davonmache?“

„Das hört sich ja schrecklich an. Selbst wenn es zwingende Gründe dafür gibt, dass Sie hier übernachten, so sind Sie doch immer noch Gast und keine Gefangene. Außerdem haben Sie mir Ihr Wort gegeben, dass Sie bis morgen bleiben. Und ich vertraue Ihnen.“

„Warum eigentlich? Sie kennen mich doch gar nicht.“ Wieso war er jetzt davon überzeugt, dass sie es nicht auf die Millionen der Jarrods abgesehen hatte?

Autor

Heidi Betts
Die Liebesaffäre der preisgekrönten Autorin Heidi Betts mit dem Romance-Genre begann schon in der Grundschule, als sie sich in Liebesromane anstatt in ihre Hausaufgaben vertiefte. Es dauerte nicht lange, bis sie den Entschluss fasste, eigene Romane zu schreiben.

Ihr erstes Buch wurde vom Dorchester Verlag im Jahr 2000 veröffentlicht, gefolgt von...
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Catherine Mann
Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss.
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Tessa Radley liebt das Lesen seit sie denken kann. Schon als Kind hatte sie immer einen ganzen Stapel an Büchern in Reichweite, die sie als nächstes lesen wollte. Dass sie sich irgendwann dazu entschloss, selbst Geschichten zu schreiben, war eigentlich eine logische Konsequenz. Bis heute hat die USA TODAY Bestsellerautorin...

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