Baccara Exklusiv Band 222

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EROBERUNG MIT HINDERNISSEN von RED GARNIER
Seit Jahren träumt Julian davon, Molly zu verführen – doch sie will nur seine Freundschaft. Und jetzt noch seinen Bruder! Julian überlegt, so zu tun, als sei er mit Molly zusammen: Das würde seinen Bruder eifersüchtig machen – und Julian bei Molly ein ganzes Stück voranbringen …

DAS SINNLICHE GEHEIMNIS DER PRINZESSIN von KAT CANTRELL
Bellas Vater, der König, verlangt von ihr, eine Zweckehe mit Milliardärssohn Will einzugehen. Überrascht vom heißen Knistern beim ersten Treffen, stellt Bella fest, dass ihr Wills Zwilling James gegenübersteht – ein berüchtigter Playboy und damit der letzte Mann, der für sie infrage kommt …

VERFÜHRT VOM MILLIONÄR von JOSS WOOD
Quinn ist der begehrteste Junggeselle der Stadt und hat keine Lust, daran etwas zu ändern. Bis seine beste Freundin Cal einen Ehemann auf dem Papier braucht – ein reiner Freundschaftsdienst. Doch Quinn hat die Macht der Leidenschaft unterschätzt …


  • Erscheinungstag 29.07.2022
  • Bandnummer 222
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510271
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Red Garnier, Kat Cantrell, Joss Wood

BACCARA EXKLUSIV BAND 222

1. KAPITEL

Molly Devaney brauchte dringend einen weißen Ritter.

Sie sah keine andere Möglichkeit, ihre Probleme zu lösen.

In den vergangenen zwei Wochen hatte sie kaum schlafen können. Immer wieder hatte sie über das nachdenken müssen, was ihr passiert war und darüber, wie sie die Dinge wieder in Ordnung bringen konnte.

Fünfzehn Tage und fünfzehn höllische Nächte hatte es gedauert, bis sie einsah, dass sie Hilfe brauchte, und zwar rasch. Es gab nur einen Mann, der sie retten konnte. Und das war der Mann, der ihr schon immer geholfen hatte.

Er war ihr strahlender Held, seit sie drei und er sechs Jahre alt gewesen waren, seit die verwaisten Geschwister Molly und Kate in die Villa seiner reichen und unglaublich netten Familie eingezogen waren.

Julian John Gage.

Okay. Dieser Typ war kein Heiliger. Er war sogar durch und durch ein Frauenheld. Er bekam jede Frau, die er wollte zu jedem Zeitpunkt, der ihm passte und wann immer ihm danach war. Und dieser Blödmann wusste das genau. Das bedeutete, dass er es bei allen versuchte.

Was sie hin und wieder mächtig wurmte.

Julian John Gage stellte den Frauen nach, war Marketingchef bei der Zeitung San Antonio Daily, eine Plage für seine Mutter und Mollys bester Freund. Er war sogar der Grund dafür, dass Molly bisher keine feste Beziehung eingegangen war. Außerdem der einzige Mensch, der ihr sagen würde, wie sie seinen sturen, nervenden älteren Bruder verführen konnte.

Das Problem war nur, dass der Zeitpunkt, ihn in ihre Pläne einzuweihen, nicht gut gewählt war. Es war nicht besonders schlau, am Sonntagmorgen in seine Wohnung zu platzen. Aber sie wollte keine Zeit verlieren. Julians Bruder Garrett musste endlich einsehen, dass er sie liebte, bevor er sie noch unglücklicher machte.

Wenn Julian bloß aufhören würde, sie anzustarren.

Der Typ stand einfach breitbeinig da und glotzte sie mit offenem Mund an.

„Ich glaube, ich habe mich verhört.“ Er klang fassungslos. „Hast du mich gerade darum gebeten, dir zu helfen, meinen Bruder zu verführen?“

„Nun ja … das Wort verführen habe ich nicht benutzt, oder?“

Sie schwiegen. Dann hob Julian eine Augenbraue. „Ehrlich nicht?“

Molly seufzte. Sie wusste es auch nicht mehr, denn ihr hatte es regelrecht die Sprache verschlagen, als Julian die Tür öffnete. Er trug nur eine Pyjamahose. Und diese Hose saß so locker, dass Molly das dunkle Haar unter Julians Nabel sehen konnte. Seitdem fiel es ihr schwer, klar zu denken. Immerhin hatte sie noch nie einen halbnackten Mann zu Gesicht bekommen.

Außerdem war Julian nicht irgendein Mann. Er sah wie David Beckhams jüngerer Bruder aus.

Der heißere jüngere Bruder.

Gott sei Dank machte ihre Freundschaft Molly immun gegen Julians Reize.

„Vielleicht habe ich das Wort doch benutzt, kann mich aber nicht mehr erinnern.“ Molly riss sich zusammen. „Ich muss einfach etwas unternehmen, bevor jemand daherkommt und ihn mir klaut. Ich muss ihn haben, Julian. Und du kennst dich mit Verführung aus. Bitte erklär mir, wie ich es anstellen soll.“

Seine Augen, die so grün waren wie die Blätter der Eiche draußen vor der Tür, weiteten sich. „Pass auf, Molls. Ich weiß nicht genau, wie ich es dir erklären soll. Also lass mir einen Moment Zeit.“ Er begann im Raum herumzugehen. „Wir sind zusammen aufgewachsen. Garrett und ich haben dich schon gekannt, als du noch in den Windeln lagst. Du bist für Garrett wie eine kleine Schwester, und das wird sich kaum ändern. Die wichtigsten Worte in diesem Satz – nur damit du es richtig verstehst – sind klein und Schwester.“

„An der Sache mit den Windeln lässt sich nichts mehr ändern, aber ich glaube, dass sich Garretts Gefühle mir gegenüber geändert haben. Hat er zu dir gesagt, dass er an mich wie an eine kleine Schwester denkt, Julian? Ich bin immerhin dreiundzwanzig. Könnte doch sein, dass er findet, ich sei zu einer geheimnisvollen, attraktiven jungen Frau herangewachsen.“ Mit wirklich hübschen Brüsten, die er auf dem Kostümball liebkost hat, dachte sie.

Doch Julian musterte sie in dem Moment von oben bis unten und schien alles andere als angetan.

„Deine Schwester ist geheimnisvoll und attraktiv. Aber du?“ Er starrte auf ihren Secondhandrock und ihr farbbespritztes Tank Top. Dann fuhr er sich frustriert durch das sonnengebleichte Haar. „Mal ehrlich, Molls. Hast du in der letzten Zeit mal in den Spiegel geguckt?“

„Julian John Gage!“ Molly schnappte gekränkt nach Luft. „Meine nächste Einzelausstellung in New York ist schon in vier Wochen. Ich habe keine Zeit, mich um mein Äußeres zu kümmern. Außerdem kann ich nicht glauben, dass du mir etwas über meine Kleidung erzählen willst, während du halbnackt dastehst.“

Irgendwo schlug eine Tür zu. Molly drehte sich um und sah jemanden im hinteren Teil von Julians Wohnung auftauchen. Der Jemand war natürlich eine Frau.

Die langbeinigste, blondeste Blondine, die Molly je gesehen hatte, kam gerade aus Julians Schlafzimmer. Sie hatte eine goldene Clutch in der Hand, trug weinrote Stilettos und eins von Julians Hemden … und hatte enorme Brüste.

„Ich muss gehen“, sagte die Frau zu Julian. „Meine Handynummer hab ich auf dein Kissen gelegt, also … Es war schön, dich gestern Abend zu treffen. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich mir eins deiner Hemden ausborge. Meinem Kleid geht es nicht ganz so gut wie mir.“ Sie kicherte und ging.

Sobald sich die Fahrstuhltür hinter ihr geschlossen hatte, blickte Molly zu Julian. „Ist das dein Ernst?“ Genervt trat sie einen Schritt vor, fasste Julian an der Schulter und rüttelte ihn. „Musst du eigentlich mit jeder Frau schlafen, die dir über den Weg läuft?“

Lachend ergriff Julian ihre Hand und presste sie zur Faust zusammen. „Mein Liebesleben ist gerade nicht unser Thema, sondern deins.“ Er ließ sie los. „Und die Tatsache, dass du Farbe auf der Nase, deinen Schuhen und in den Haaren hast und dazu wie ein armer Künstler guckst, spricht nicht dafür, dass du meinen Bruder anmachst.“

Molly starrte ihn fassungslos an, ging dann an ihm vorbei und raste durch den Flur. „Oh, ich hole mir grad mal eins von deinen Hemden. Ich bin sicher, es wirkt Wunder bei meinem unattraktiven, jämmerlichen Anblick.“

„Ach, Molls. Nun krieg dich wieder ein. Komm zurück und lass mich mal drüber nachdenken. Du weißt, dass du hübsch bist, und du weißt auch, dass es dir egal ist.“

Julian war mit drei Schritten bei ihr, packte sie am Arm und zog sie ins Wohnzimmer zurück. Molly wollte sich zuerst wehren, aber als sie seinen hilflosen Seufzer hörte, verschwand ihr Ärger.

Es war schwierig, wütend auf Julian John zu sein.

Molly wusste, dass er sich für sie zerreißen würde. Deshalb war sie vermutlich hier. Am Sonntagmorgen. Julian John hatte ihr schon immer das Gefühl gegeben, dass er sie beschützen würde – ebenso wie ihre Schwester, die einige Zeit fast wie eine Mutter für Molly gewesen war.

Kate hatte sie zur Schule gebracht, sie getröstet, sie großgezogen und sie dabei immer spüren lassen, geliebt zu werden. Dass auch Julian zu jeder Zeit für sie da gewesen war, sagte eine Menge über einen Mann, der so tat, als sei er nur ein Playboy.

Und ein Playboy war er ganz sicher.

Deshalb war Molly froh, dass er vor allem ihr Freund war und nicht das Objekt ihrer Begierde.

„Schau“, sagte sie. Beim Gedanken an Garretts Küsse wurde sie rot. „Ich weiß, dass dir das vielleicht seltsam vorkommt. Aber ich liebe deinen Bruder so sehr, dass ich …“

„Seit wann denn das, Molls? Er hat uns doch immer total genervt.“

„Schon. Ja. Aber das war früher, als er noch so streng war.“

„Früher?“

„Ja. Bevor ich mitbekommen habe, dass er …“ Mich begehrt. Bevor er all die Sachen gesagt hat, als er mich geküsst hat. Ihr Magen zog sich zusammen. Beklommen strich sie ihr rotes Haar über die Schultern zurück und versuchte es noch mal. „Ich … ich kann es nicht genau erklären, aber es hat sich etwas geändert. Er liebt mich, das weiß ich einfach. Ich fühle es. Hör auf zu lachen, Julian!“

Sie schaffte es nicht, ihm in die Augen zu blicken. Deshalb drehte sie sich um und ließ sich auf das Ledersofa fallen. Sie schwiegen, bis sie die Schwingungen spürte, die von Julian ausgingen.

Das Lachen, das unerwartet die Stille durchbrach, war am schlimmsten. Es klang alles andere als fröhlich. „Ich kann es echt nicht glauben.“

Molly hielt den Atem an. Als sie zu Julian aufschaute, sah sie in sein gebräuntes, aber düster blickendes Gesicht. Sie hatte noch nie erlebt, dass Julian die Fassung verlor. Doch nun schien er knapp davor zu sein, einen Wutanfall zu bekommen.

Sie riskierte einen weiteren Blick auf das dunkle V, das in der losen Pyjamahose verschwand und direkt zu … Schluss damit! Sie musste sich auf Garrett konzentrieren. Und zwar sofort.

„Julian …“ Sie seufzte. „Meinst du, du kannst eins deiner restlichen Hemden anziehen, während wir uns unterhalten? Deine Brust und dein Sixpack und all das … Sagen wir mal so, es bewirkt, dass ich unbedingt einen Blick auf Garretts Körper werfen will.“

Julian spannte spöttisch seinen Arm an und präsentierte einen eindrucksvollen Bizeps. „Du weißt verdammt gut, dass mein Bruder nicht solche Dinger hat.“

„Doch, hat er.“

Er beugte den anderen Arm. „Mag sein, dass ich sein jüngerer Bruder bin, aber ich kann ihn in fünf Sekunden plattmachen.“

„Hilfe! Polizei! Du bist vor allem als Womanizer besser als er. Und du hast verdient, dass ich das sage, weil du vorhin dumme Bemerkungen über mein Aussehen gemacht hast.“

„Aha! Kann es sein, dass du bei dem Teil wieder nicht aufgepasst hast, in dem ich gesagt habe, dass du hübsch bist?“ Julian ließ sich auf einen Stuhl fallen. Einige Zeit lang starrten sie schweigend an die Decke.

„Ja. Ich bin besser im Frauenverführen als meine beiden Brüder zusammen“, brach er endlich das Schweigen. „Landon würde eine andere Frau nicht mal anschauen, seit er verheiratet ist.“

Er lehnte sich zurück, verschränkte die Hände im Nacken und beobachtete Molly mit einem leichten Lächeln.

„Nun, dann lass uns ein bisschen Garrett anmachen. Warum eigentlich nicht? Er war schon immer mächtig besitzergreifend. Garrett wird vor Eifersucht durchdrehen, wenn er herausfindet, dass du dich mit einem anderen Mann triffst. Vor allem, wenn dieser andere Mann einen schlechten Ruf hat. Du brauchst dich nicht mal wirklich mit dem Kerl zu treffen, musst ihm nur sagen, dass er so tun soll als sei er dein Liebhaber. Das sollte reichen.“

Erleichtert sprang Molly auf und klatschte in die Hände. „Ja! Ja! Das klingt super! Aber die Frage ist: Kenne ich so einen Mann?“

Julian grinste diabolisch. „Baby, du schaust ihn gerade an.“

Molly zuckte zusammen, als habe sie soeben in eine Steckdose gefasst. Und Julian fragte sich, ob das gut oder schlecht war.

„Wie bitte?“ Sie hüpfte auf die Couch und schnappte sich hektisch ein Kissen. „Ich bin sicher, ich habe mich verhört. Hast du mir gerade angeboten, mein Freund oder so etwas Ähnliches zu sein?“

„Oder so etwas“, entgegnete Julian und grinste.

Er wusste, dass er ruhig wirkte. Gesammelt. Aber innerlich dachte er sich schon jede Menge Pläne aus. Auch solche, deren Verwirklichung er hinterher sicher bereuen würde. Aber sie schienen ihm trotzdem verdammt gut.

„Was meinst du mit so etwas?“, fragte sie.

Julian fand sie hinreißend, wie sie da so saß und aussah, als habe sie gerade den Hauptpreis in einem Fernsehquiz gewonnen.

Sie hatte die blauen Augen weit aufgerissen. Nur jemand aus Stein hätte nicht für sie die Sterne vom Himmel geholt. Solche unschuldigen Augen hatte er bisher noch bei keinem anderen Menschen gesehen. Würde Molly Poker spielen, hätte sie nicht mal den Hauch einer Chance, zu gewinnen. Ihre Gefühle waren einfach zu deutlich zu erkennen. Und wenn sie ihn ansah, fühlte er sich wie ein Superheld. Nicht einmal seine Mutter schaute ihn so bewundernd an.

Mit einem amüsierten Blick erklärte er: „Ich meine damit, dass ich keine Freundinnen, sondern Geliebte habe. Und ich freue mich darauf, so zu tun, als wäre ich dein Liebhaber.“

Eigentlich hatte er die Betonung auf wäre legen wollen, aber er legte sie auf dein.

Wahrscheinlich deshalb, weil er so etwas nur für Molly tun würde.

„Du nimmst mich auf den Arm, Julian“, sagte sie und betrachtete prüfend sein Gesicht.

Er hätte darüber lachen können, aber zu seiner eigenen Verblüffung meinte er es todernst. Und nun musste er wissen, ob es ihr ebenso ging. „Mit so etwas würde ich nie spaßen.“

„Du willst wirklich so tun, als seist du in mich verliebt?“

Er nickte und streckte dann die Hand aus, um einen grünen Farbklecks von ihrer Stirn und einen roten von ihrer Wange zu wischen. „Ich fürchte, ich habe schon Schlimmeres getan, Moo. Nehmen wir zum Beispiel dieses Mädchen, das eben gegangen ist. Sie ist nicht gerade die Klügste, weißt du …“

Er tippte sich an den Kopf, aber sie nahm das gar nicht wahr.

Wie in Trance stand Molly auf. Eineinhalb Meter klein, chaotische rote Locken, schwere Türkisketten und farbverschmierte Haut. Ihre Augen leuchteten. Offenbar hatte sie nun endlich verstanden, was er ihr soeben angeboten hatte. „Und Garrett wird uns zusammen sehen und total eifersüchtig sein. Das ist brillant, Julian, wirklich brillant! Was glaubst du, wie lange es dauern wird, bis er merkt, dass er mich liebt? Ein paar Tage? Eine Woche?“

Julian starrte sie unbewegt an. Sie wirkte regelrecht entzückt. Oder nicht?

Er dachte darüber nach und wurde immer verwirrter. Plötzlich wünschte er sich jemanden herbei, der ihm sagte, was hier eigentlich vor sich ging. War das irgendein dämlicher Witz? Molly, die von seinem Bruder träumte? War das wirklich möglich?

Wenn die zehn Jahre Altersunterschied schon keine Rolle spielten, dann sollten wenigstens die Regeln zählen, die schon immer für die Gages-Jungen im Umgang mit den Devaney-Mädchen galten. Vor allem für Garrett, der niemals Regeln brach. Hatte sein Bruder tatsächlich etwas getan, was Molly glauben ließ, er sei an ihr interessiert?

Verdammt, das wäre so falsch, dass Julian nicht mal wusste, wo er anfangen sollte.

Garrett hatte die Devaney-Mädchen immer beschützt. Einer der Gründe dafür war, dass ihr allein erziehender Vater als Bodyguard für die Gages gearbeitet hatte und bei einem Feuergefecht umgekommen war. Er hatte sein Leben nicht nur für Julians Vater, sondern auch für Garrett, der ihn damals begleitet hatte, geopfert. Die Mörder saßen zwar lebenslang im Gefängnis, aber Garrett hatte das Ereignis nie richtig verarbeitet.

Schuldgefühle und Mitleid lasteten auf Garrett. Als die Devaneys bei ihnen eingezogen waren, hatte er die Mädchen sofort unter seine Fittiche genommen. Er wollte sie vor allem und jedem schützen, sogar vor Julian, der Molly so gern kitzelte … Garrett hatte ihn immer und immer wieder an die Regeln erinnert, wenn es um die Mädchen ging. Das hatte nicht nur Julian genervt, sondern auch Molly, die sich gern von Julian kitzeln ließ.

Nachdem sich Molly tausend Mal darüber beschwert hatte, dass Garrett ihr und Julian jeden Spaß verdarb, war sie jetzt heiß auf Garrett? Schwer zu glauben.

Molly und er waren die engsten Freunde, die man sich vorstellen konnte. Seine Telefonnummern belegten die ersten drei Positionen auf Mollys Kurzwahltaste. Die erste für sein Büro, die zweite für sein Handy und die dritte für seine Wohnung. Molly behauptete sogar hin und wieder, dass ihre Beziehung besser war als jede romantische Affäre, und sie dauerte nun schon länger als jede Ehe heutzutage.

Und deshalb musste er ihr helfen, wenn sie wirklich in Garrett verliebt war.

Er würde ihr helfen zu erkennen, dass sie Garrett nicht liebte. Punktum.

„Ich denke, wir haben ihn innerhalb eines Monats so weit“, versicherte er ihr schließlich. Er schaute ihr dabei tief in die Augen, um herauszufinden, wie es um sie stand. Er wusste, wie gefühlvoll Molly war und fürchtete die Antwort.

Verdammt! Sie hörte wahrscheinlich schon die Hochzeitsglocken läuten. Sie wirkte tatsächlich verknallt.

„Meinst du, dass er darauf hereinfällt? Er ist manchmal ziemlich schwer zu durchschauen“, sagte Molly nachdenklich.

„Molly, kein Mann auf der ganzen Welt würde ruhig zusehen, wie sein Bruder ihm sein Mädchen auszuspannen versucht.“

Molly errötete vor Aufregung, umarmte ihn und küsste ihn auf die unrasierten Wangen. „Das willst du wirklich für mich tun? Du bist der Beste, Julian! Vielen, vielen Dank!“

Ihre schlanken, warmen Arme um seine Taille zu spüren ließ ihn erschauern. Er war von der Taille abwärts nackt und spürte Molly an Stellen, an denen er sie nicht spüren sollte. Ihr Körper war warm und duftete süß.

Am schlimmsten war, dass sie es sich an seinem Körper regelrecht gemütlich machte. Sie flüsterte ihm zu: „Du bist das Allerbeste in meinem Leben, Julian. Weißt du das eigentlich? Ich habe mich noch nie richtig für all das bedankt, was du für mich getan hast.“

Ihre Worte brachten Julian auf unmögliche Ideen.

Er versuchte sich deshalb an die Namen seiner Geliebten in alphabetischer Reihenfolge zu erinnern. Trotzdem konnte er sich erst entspannen, nachdem sich Molly von ihm gelöst hatte.

Er atmete tief durch, vermied ihren Blick und brummelte: „Bedank dich jetzt noch nicht, Molly. Lass uns erst mal schauen, wie es läuft.“

„Es wird wunderbar laufen, Julian. Ich weiß es. Noch vor Ende des Monats werde ich einen Verlobungsring tragen.“

Er verdrehte die Augen, denn er konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen. „Vielleicht sollten wir die Hochzeit jetzt noch nicht planen, okay? Versuch einfach daran zu denken, dass wir zusammen sind. Und du weißt: Die Familie wird nicht besonders glücklich darüber sein.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Warum nicht? Bin ich nicht gut genug für dich?“

„Nein, Moll. Es geht dabei um mich.“ Er drehte sich weg und sah aus dem Fenster. Seine Brust schnürte sich zusammen. „Sie denken, dass ich nicht gut genug für dich bin.“

2. KAPITEL

„Du machst Quatsch. Ich weiß es!“

Julian lehnte sich zurück und unterdrückte ein Lachen, während sein Bruder im Konferenzraum des San Antonio Daily, der den Gages seit den dreißiger Jahren gehörte, umherging.

„Brüderchen“, entgegnete Julian. „Ich bin zwar jünger, aber dafür stärker als du. Wenn du mich ärgerst, liegst du im Handumdrehen auf dem Boden.“

„Du behauptest also, mit unserer Molly zu schlafen?“

„Das habe ich nicht gesagt. Nur dass wir uns treffen und sie bei mir einziehen will.“ Julian hatte das mit dem Einziehen zwar nicht mit Molly abgesprochen, aber die Idee gefiel ihm. Und als Garretts Gesicht rot wie eine Tomate wurde, wusste Julian, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

Garrett war sauer.

Julian und Molly hatten gestern einige grundlegende Dinge besprochen: Niemand anderen zu treffen, gezielte Liebesbekundungen, sobald einer aus der Familie dabei war und niemandem etwas davon zu sagen, dass das alles nicht echt war. Das schien vor allem Molly wichtig zu sein, die in ihrer Rolle als Julians Geliebte unbedingt überzeugend wirken wollte.

Und Julian war es recht.

Ihm war alles recht, wenn Garrett deswegen aus dem Anzug fuhr.

Er hatte nichts gegen ihn, außer vielleicht, dass er ein bisschen zu ehrenwert war. Und seit Landon, ihr ältester Bruder, sich einen lang verdienten Urlaub gönnte, tat Garrett so, als laste das Gewicht der Welt auf ihm allein. Oder wenigstens die ganze Last des Familienunternehmens.

Sie liebten sich alle drei innig, aber Julian hatte Garrett schon längst eins auswischen wollen.

Und seine Rachepläne schienen ihm umso süßer, seit Molly sich nach Garretts Aufmerksamkeit sehnte.

Deswegen hatte Julian vergangene Nacht nicht eine Sekunde geschlafen.

Nun genoss er es außerordentlich, das missmutige Gesicht seines Bruders zu sehen und dessen weiße Knöchel, als sich seine Hände um die Kaffeetasse krampften. Garrett blieb vor dem Konferenztisch stehen, an dem sie vorhin mit den leitenden Angestellten ein Meeting gehabt hatten. „Seit wann interessiert ihr euch füreinander?“, wollte Garrett wissen.

„Seit wir damit angefangen haben, uns gegenseitig Nacktfotos zu schicken“, entgegnete Julian ungerührt. Bevor Garrett eine weitere Frage stellen konnte, holte Julian sein Handy heraus und las eine Nachricht. „Verdammt, dieses Mädchen macht mich heiß.“ Er tat so, als würde er Molly eine erotische SMS schreiben, und nahm sich Zeit dafür. Dabei schrieb er ihr nur:

Er weiß es. Der Typ dreht durch. Erzähl Dir beim Abendessen davon.

Garrett warf ihm einen mörderischen Blick zu. „Weiß Kate etwas von eurer Beziehung und davon, dass Molly bei dir einziehen will?“

„Wahrscheinlich. Sie ist immerhin Mollys Schwester. Aber sie ist gerade mit dem Catering für das nächste Großereignis beschäftigt.“

In diesem Moment kam eine SMS von Molly auf Julians Handy an:

Kein Wunder, dass Garrett und Kate so gut miteinander klarkommen.

Julian tippte schnell:

Vermutlich betet Kate den Boden, auf dem ich wandle, nicht mehr an.

Molly antwortete:

Definitiv. Sei vorsichtig, Liebster! Sie hat einen Pfannenwender, und sie weiß, wie man ihn als Waffe benutzt.

Julian lächelte. Ah, Molly. Licht seines Lebens.

„Welcher Teil war es?“

Julian sah Garrett fragend an. Der schien inzwischen so wütend zu sein, dass Julian glaubte, gleich würde Dampf aus Garretts Ohren zischen. „Um welchen Teil geht es?“

„Welchen Teil von dem, was dir Mom, Landon und ich jahrzehntelang eingebläut haben, hast du nicht verstanden? Vielleicht den Teil, bei dem es sich darum handelte, dass du die Finger von Molly Delaney lassen sollst?“

Julian nickte, um ihn zu beruhigen. „Ich habe alles verstanden. Schon beim ersten, beim zehnten, beim hundertsten Mal, und ich verstehe dich auch jetzt. Und nun hör mir mal zu.“ Er beugte sich über den Tisch und schaute Garrett böse an. „Es. Ist. Mir. Scheißegal. Hast du das kapiert?“

Garrett atmete tief ein. Er war so angefressen, dass er kurz davor war, sich wie Tarzan auf die Brust zu trommeln. „Ich werde ein Wörtchen mit Molly reden. Ich bin sicher, in ihrem Interesse zu handeln, wenn ich sie darauf hinweise, wie dumm das Ganze ist. Aber merk dir eins, Julian: Wenn du ihr auch nur ein Härchen krümmst …“

Er wusste nicht, ob Garrett ihm drohen wollte, oder ob er das sagte, weil er Molly gegenüber schon immer besitzergreifend gewesen war oder weil er – wie Molly glaubte – auf andere Weise an ihr interessiert war. Wie auch immer: Julians kühle Fassade begann zu bröckeln. Er musste sich mächtig anstrengen, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Er dachte an die Zeit, als er noch ein Teenager war und all die Gelegenheiten, bei denen er und Molly sich gern näher gekommen wären. Molly und Julian hatten schon immer eine ganz besondere Beziehung gehabt, eine von den Beziehungen, die unglaublich selten sind. Aber immer, wenn sie sich in etwas Romantisches zu entwickeln begann, wurde seine Familie panisch. Sie erpressten und schikanierten ihn so lange, bis wieder eine gewisse Normalität hergestellt war. Mehr als einmal hatten sie ihn für mehrere Monate weggeschickt. Das erste Mal nur deshalb, weil er Molly auf eine Weise angeschaut hatte, die Landon, Garrett und seiner Mutter nicht gefallen hatte.

Julian hatte sich immer wieder gesagt, dass ihm das egal war. Und als er erwachsen war, hatten sie ihm eingeredet, er sei ein Playboy, bis ihm nichts anderes übrig blieb, als einer zu sein. Er konnte jede Frau haben – hatten sie erklärt – außer Kate oder Molly. Das war Gesetz.

Und all die Jahre hatte dieses Gesetz ihm das Gefühl gegeben, ein Gefangener zu sein und ihn unglücklich gemacht.

Die Einmischung seines Bruders und sein Befehl, sich von der einzigen Frau fernzuhalten, die seinen wahren Charakter kannte, ließ Ärger in ihm hochsteigen. Egal, was Molly dachte oder was sein Bruder vorhatte, dies war seine Gelegenheit, einen neuen Anfang zu machen. Julian hatte diesen Moment jahrelang geplant. Er würde nicht zulassen, dass jemand diesen neuen Anfang kaputt machte. Oder sich in das Leben seines rothaarigen, farbverschmierten Mädchens einmischte. Oder in seins.

Vor allem deshalb nicht, weil er ihre vorgespielte Liebesbeziehung dazu nutzen wollte, herauszufinden, was er für sie empfand.

Wortlos und sehr langsam stand Julian auf, ging um den Konferenztisch herum und legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. „Halt dich da raus, Garrett! Ich möchte dich nicht kränken. Und ich will ihr nichts antun. Also halt dich da einfach raus.“

Dann nahm er seine Jacke und ging in sein Büro.

„Ich kann es nicht glauben. Du willst mich sicher nur auf den Arm nehmen, Molly.“

Molly saß auf einem Hocker an der Granitarbeitsplatte in der Küche der Devaneys. Sie versuchte sich auf die Nagelfeile in ihrer Hand zu konzentrieren, während sich ihr Magen vor Aufregung verkrampfte. Heute war ihr erster Tag als Julians falsche Geliebte! Sie konnte es kaum erwarten, Garretts Gesicht zu sehen, wenn er sie und Julian zusammen sah. Hoffentlich legte Julian ihr den Arm auf diese lässige Weise um die Schultern, die Sie gehört mir! Was habe ich für ein Glück! bedeutete.

„Ich schwöre dir, ich nehme dich nicht auf den Arm“, versicherte Molly ihrer Schwester. „Du kannst ja Julian anrufen und ihn fragen.“

Kate hielt einen Pfannenwender in die Höhe. Sie trug ihr rotbraunes Haar zu einem Knoten zusammengebunden. Sie sah selbst in der leicht schmuddeligen weißen Schürze so sexy aus, dass Molly sie dafür hätte hassen können, wenn sie ihre Schwester nicht so innig lieben würde.

Wenn es ein Wort gab, das Kate Devaney treffend beschrieb, dann war es lebendig. Kate stürzte sich mit Elan auf alles. Das erklärte wohl auch den Erfolg ihres Catering-Unternehmens. Sie war eine unglaublich gute Köchin mit unglaublichen Kurven. Groß und gebräunt und immer zuversichtlich und gut gelaunt.

Das Einzige, wo Molly wirklich attraktiver war als sie: Sie hatte einen echt sexy Busen. Aber sie gab sich solche Mühe, ihn zu verbergen, sodass er nicht wirklich zählte.

„Julian und du? Zusammen? Ich glaube es nicht. Seine Frauen sind immer so …“

„Halt den Mund oder ich werde dich für den Rest meiner Tage hassen“, grummelte Molly und schmiss die Nagelfeile auf die Arbeitsplatte.

Kate seufzte und begann, Kekse vom Backblech zu heben und sie in Zellophan einzupacken. „Okay. Ich sag es nicht. Aber du weißt, was ich meine, oder?“

Molly stand auf, um sich im Flurspiegel zu betrachten. „Ich weiß, dass sie nicht so aussehen wie ich“, rief sie Kate zu und musterte sich unzufrieden. „Sie sind groß, sexy und kultiviert.“ Aber das ist mir egal, weil ich nicht Julian, sondern Garrett will, erinnerte sie sich.

Wenn sie sich konzentrierte, glaubte sie, immer noch Garretts Kuss auf ihren Lippen zu spüren …

Ihr wurde plötzlich heiß, und sie schob das beunruhigende innere Bild beiseite.

Kate schaute Molly an und lachte. „Du bist wirklich in ihn verknallt, oder? Ich mag Julian, Molls, aber sogar ich bedaure die Frau, die ihn heiratet. Ich fände es schön, wenn du nicht diese Frau wärst, Moo.“

Molly war nahe daran, Kate zu versichern, dass sie sich nie und nimmer in Julian verlieben würde. Sie kannte keinen anderen Mann, der so viele Affären hatte. Als hätte er irgendwo eine juckende Stelle, die niemand kurieren konnte. Sie wollte es Kate gerade erklären, als ihr wieder einfiel, dass sie jetzt als Julians Freundin galt. Seine Geliebte. Ein Typ wie Julian hatte keine Freundinnen. Also hielt sie den Mund und dankte Gott, dass sie nicht Nummer 1.000.340 auf Julians Liste war.

Kate hob die Brauen. „Wie ist es passiert? Hat er plötzlich …“

„… eingesehen, was für ein Trottel ich war, dass ich nicht schon früher gemerkt habe, dass Molly mir gehört? Ja. Genauso war es.“ Julians tiefer Bariton verursachte Molly eine Gänsehaut.

Sie drehte sich um, als ihr plötzlich klar wurde, dass er sie schon wieder in farbverschmierter Kleidung antraf. Dann fiel ihr ein, dass es egal war. Das hier war Julian John, den sie nicht beeindrucken musste. Er dachte ohnehin, dass sie den Eindruck machte, als sei sie einer Farbmischmaschine entsprungen.

Andererseits war es ungerecht, dass sie voller Farbkleckse und er so proper und männlich war. Sein schwarzes Jackett trug er über der Schulter; seine weinrote Gucci-Krawatte hatte er gelöst. Er sah sexy und lecker aus. Nicht, dass Molly von ihm kosten wollte. Aber die meisten anderen Frauen würden es wollen.

Während Molly sich innerlich dazu gratulierte, dass sie nicht zu diesen Frauen gehörte, kam Julian herein, als wäre er hier zu Hause, und grinste.

„Was auch immer Kate über mich gesagt haben mag, Mopey. Hör einfach nicht darauf! Die Wahrheit ist, dass sie hinter mir her war.“ Er legte den Arm um Mollys Taille und beugte sich zu ihr vor.

Molly hatte seine Absichten nicht ahnen können. Er bewegte sich zu schnell und war zu stark. Sie hatte dem mit ihren eins fünfzig nichts entgegenzusetzen. Bevor sie überhaupt mitbekam, was gerade vor sich ging, hatte er sie schon an sich gezogen und geküsst. Erfahren, gekonnt und echt heiß.

Ein klitzekleiner Teil von ihr befahl ihr, ihn wegzuschubsen. Sie durfte gerade keinen anderen außer Garrett küssen. Aber Julian küsste genauso gut wie sein Bruder. Abgesehen davon roch er ein bisschen nach Pfefferminze und nicht nach Wein. Und er küsste sie, als hätte er alle Zeit der Welt.

Seine weichen Lippen berührten ihren Mund so unglaublich zart und bewegten sich so langsam, dass ihre Sinne verrückt zu spielen begannen. Molly war regelrecht paralysiert.

Sie war nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch auf ihren Füßen stand, vertraute Julian aber, dass er sie auffangen würde. Sie wünschte sich, ihn enger an sich drücken zu dürfen, während er sie noch einen Moment lang küsste. Dann löste er sich von ihr, ließ sie verwirrt und überrascht zurück. Doch war er mitfühlend genug, ihren Ellbogen mit seinem Arm zu stützen, damit sie sicher stand.

Er sagte etwas, was sie nicht verstand. Vielleicht Hallo?

Molly strich sich das Haar zurück.

Er fragte sie etwas. Seine Stimme war rauer als sonst, seine Augen waren halb geschlossen. Sie starrte auf seinen Mund. Sie fragte sich, was das wohl für Lippen sein mochten, die so unglaublich küssen konnten.

Sie versuchte sich zu beruhigen, aber ihre Beine waren weiterhin zittrig. „Was tust du hier, JJ?“, fragte sie. JJ war Julians Kosename aus Kinderzeiten.

Julian griff sich einen Keks vom Backblech und steckte ihn in den Mund. „Nichts, Süße. Wollte nur mal nach dir gucken.“ Dann flüsterte er ihr ins Ohr: „JJ? Hast du gerade JJ gesagt? Dafür wirst du bezahlen, Molls.“

Sie kicherte und entzog sich ihm. Ihre Pobacken glühten regelrecht von seinen Händen. Sie sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam, als sie Kates verwirrten Blick mitbekam. „JJ mag es, wenn ich ihn so nenne, weißt du.“

„JJ?“ Kate drehte sich zu Julian um. Den Pfannenwender hielt sie wie ein Schwert in der Hand. „Ich dachte, du hasst diesen Namen.“

Julian warf Molly einen warnenden Blick zu. „Tue ich auch. Molly nennt mich auch nur dann so, wenn sie will, dass ich ihr den Hintern versohle.“

Molly wurde knallrot. Sie wäre am liebsten im Boden versunken. Von nun an würde ihre Schwester glauben, dass sie auf solche „Liebesbekundungen“ stand.

„Baby, es ist noch nicht mal Nachmittag. Ich muss mich noch für dich herrichten.“ Sie ging um ihre Schwester herum und warf ihm über deren Schulter einen bösen Blick zu. „Nicht allen von uns ist es von Natur aus gegeben, sexy und attraktiv auszusehen. Du wirst also ein bisschen auf mich warten müssen. Ich bin aber sicher, dass Kate und ihr Pfannenwender dir gerne Gesellschaft leisten.“

„Ich hab eine bessere Idee, Popöchen. Kann ich dir nicht beim Umziehen helfen?“ Noch bevor Molly sich wehren konnte, war er schon mit ihr in ihrem Schlafzimmer. Rasch schloss er die Tür ab, während Kate da draußen wohl immer noch ungläubig guckte.

„Kannst du bitte damit aufhören, mich zu ärgern“, fuhr Molly ihn an und schob ihn gegen die Tür. „Und nenn mich nicht Popöchen.“

„Wer ärgert hier wen? Du weißt ganz genau, dass ich es nicht ausstehen kann, wenn mich jemand JJ nennt.“

„Und küss mich nie wieder ohne Vorwarnung.“

„Wenn du mich wieder JJ nennst, dann küsse ich dich auch. Aber das nächste Mal mit Zunge. Also, lass es sein. Andernfalls glaube ich, du willst, dass ich dir die Zunge in den Mund stecke.“

Er starrte sie an, und sie starrte zurück, während ein Riesenschwarm Schmetterlinge fröhlich in ihrem Bauch herumflatterte. Und sie fragte sich, was Julian mit seiner Zunge wohl anstellte, dass es die Frauen verrückt machte.

„Dann haben wir das ja geklärt, Molls“, sagte er abschließend. Er hob ihr Kinn an, sodass sie ihn anschauen musste. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie die ganze Zeit auf seinen Mund geschaut hatte.

Sie nickte und schluckte. Aber ein aufrührerischer Teil von ihr wollte Ja, JJ sagen.

Schließlich seufzte sie kopfschüttelnd. „Warum hast du ihr erzählt, dass du mir den Hintern versohlst?“

„Weil ich weiß, dass du das manchmal möchtest.“ Er tätschelte ihr den Kopf und ging dann zu ihrem Kleiderschrank. Sie blieb mit ihren widerstreitenden seltsamen Gefühlen zurück.

„So.“ Er zog einen großen Koffer hervor, drehte sich um und runzelte die Stirn. „Ich habe der Liebe deines Lebens erzählt, dass du bei mir einziehst. Was sagst du dazu, kleiner Picasso?“

„Und, war er eifersüchtig?“

Er grinste. „Er war nahe dran, seinen Kopf gegen die Wand zu hauen, soweit ich es beurteilen kann.“

Molly zog eine Schublade ihrer Kommode auf. „Dann komme ich gerne mit.“

3. KAPITEL

„Was hat die Liebe meines Lebens gesagt?“, wollte Molly wissen, als sie die Fahrt zu Julians Wohnung unterbrachen, um einzukaufen. Julian war immer hungrig. Es schien, als bräuchten seine Muskeln ununterbrochen Energie. Er trieb alle möglichen Sportarten: Fußball, Basketball, Wildwasserkajak und sogar Drachenfliegen.

Die ausgeprägten Muskeln auf seinen Armen und Beinen und die dauerhafte Bräune kamen nicht von ungefähr.

Er war so gut in Form, dass er wahrscheinlich ohne Weiteres einen olympischen Zehnkampf bestreiten konnte.

„Warte hier“, bat er und stieg aus dem Aston Martin, den er vor einem Laden für Frozen Yoghurt geparkt hatte.

„Kannst du mir einen Oreo-Milchshake mit …“

„Drei Kirschen – eine zum Kauen, eine zum Lutschen und eine, die auf dem Boden liegen bleibt?“

Molly grinste und nickte. Sie konnte immer noch sein raues Lachen hören, nachdem er die Autotür hinter sich geschlossen hatte.

Als er wieder neben ihr im Auto saß, starrte Molly auf ihren Becher. „Warum hat da jemand eine Telefonnummer draufgeschrieben?“

Er ließ den Motor an und antwortete beiläufig: „Ich hab nicht darum gebeten, Molls.“

„Julian!“

„Ich habe wirklich nicht darum gebeten, Molls.“

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Andererseits: Konnte sie der Kassiererin oder wer auch immer seine Nummer auf dem Becher hinterlassen hatte, einen Vorwurf machen? Julian war mit einem Gesicht und einem Körper gesegnet, bei deren Anblick jede Frau nach Luft schnappte. Es war einfach so. Und daran konnten weder Julian noch sie etwas ändern.

„Ich frage mich manchmal, welcher Mensch mit klarem Verstand mit dir zusammen sein möchte.“

Er lenkte den Austin aus der Parklücke und lachte. „Na, du offensichtlich.“

Molly grinste und kaute auf ihrer ersten Kirsche. „Du hast mir immer noch nicht erzählt, was die Liebe meines Lebens über mich gesagt hat.“

Julian bog auf den Highway. „Er hat Pistolen erwähnt. Im Morgengrauen.“

Molly lutschte an ihrer zweiten Kirsche. „Mach mich bitte nicht zur Witwe, bevor ich überhaupt geheiratet habe.“

„Heiraten? Ein großes Wort.“

„Wieso? Was ist falsch daran?“

„Ich habe lediglich gesagt, es sei ein großes Wort.“

Sie schaute ihn interessiert an. „Erzähl mir bloß nicht, du hättest deinen Bizeps gemeint, als du von Pistolen geredet hast.“

Er lächelte, als kenne er ein Geheimnis. Oder als habe er Molly heimlich nackt gesehen. Huch, wo kam denn dieser Gedanke her?

Als sie ausstiegen, hatte es zu regnen angefangen. Mollys Kleidung wurde nass, als sie den Koffer zu Julians Wohnhaus trugen. Das war schade, weil Molly extra etwas angezogen hatte, was Julian vielleicht für sexy halten könnte. Nicht weil ihr das wichtig war, sondern um ihm zu zeigen, dass Molly Devaney ihr eigenes Geld und ihren eigenen Erfolg hatte und sich nur deshalb nachlässig kleidete, weil sie an innere Werte glaubte.

Als sie sich jetzt ihre feuchten Kleider besah, wusste sie nicht, ob der Regen schuld an ihrer Gänsehaut war oder der kalte Milchshake oder die Aufregung.

Julian hatte auf der Fahrt hierher nachdenklich gewirkt, aber das war für sie in Ordnung gewesen. Molly hatte darüber geredet, wie sie Garrett bekommen würde, dass sie eins von Julians ungenutzten Schlafzimmern als Atelier benutzen könnte … Nächsten Monat hatte sie eine Ausstellung und musste noch zwei Bilder malen.

Als sie vor seinem Wohnhaus ankamen, fragte Julian, ob er ihr kurz etwas zeigen könnte. Molly nickte. Eduardo, der Wachmann, brachte ihr Gepäck nach oben, während Julian sie zu einem Fahrstuhl führte und auf P drückte. Sie fuhren nach oben.

Als sich die Fahrstuhltüren öffneten, sah Molly einen großen weiß gestrichenen Raum, der nach frischer Farbe roch.

„Wow! Was ist das?“

Er sah sie an. In seinem Blick und in seiner Stimme lag Stolz. „Zufälligerweise wird das mein künftiges Büro.“

Molly war überrascht. „Was meinst du damit? Zieht der Daily hierher?“

Der Gage-Familie gehörte das erfolgreichste Medienimperium in Texas. Dazu gehörten mehrere Tageszeitungen, Internetportale und private Fernsehanstalten. Alle gemeinsam bildeten die Dachmarke San Antonio Daily. Seit drei Generationen sorgte dieses Imperium dafür, dass die Gages nicht nur wohlhabend, sondern auch mächtig waren. Die Büroräume des Daily umfassten in der Innenstadt einen gesamten Straßenblock. Molly konnte sich nicht vorstellen, dass ein Umzug schnell zu bewerkstelligen war.

Es dauerte einen Augenblick, bis Julian antwortete. Er schien seine Worte sorgfältig zu wählen. „Nein. Nur ich ziehe hierher, Molly.“

In Mollys Kopf läuteten die Alarmglocken. „Wissen deine Brüder davon, Julian?“

„Sie werden es erfahren.“

Molly brauchte einige Zeit, um die Neuigkeit zu verarbeiten. Es würde einen Aufruhr in der Familie geben, wie so oft, wenn es um Julian und seine Art von Leben ging. Sie erinnerte sich an alle Gelegenheiten, wo er etwas falsch gemacht hatte und dann fortgeschickt worden war. Molly hatte Julian immer schrecklich vermisst. Jedes Mal war es so gewesen, als fehle ihr ein Körperteil. Sie hatte damals oft geweint.

Nun sah sie Julian dabei zu, wie er den Raum inspizierte, über Absperrbänder stieg und die elektrischen Leitungen prüfte, die aus den Säulen heraushingen. Warum wollte er das erfolgreiche Familienunternehmen verlassen?

Als Leiter der PR- und Werbeabteilung der Firma hatte Julian den besten Job, fand Molly. Er bekam dasselbe Gehalt wie seine Brüder, besaß ebenso viele Anteile an der Firma, trug aber weniger Verantwortung. Er hatte eine Menge Freizeit und Gelegenheit für seine Hobbys. Er konnte, wann immer er wollte, in seine Cessna steigen oder eine der Sportarten betreiben, die er so liebte. Und er hatte genug Zeit für Frauen …

„Ich wusste gar nicht, dass du unglücklich in der Firma bist“, sagte sie.

Er schaute aus dem Fenster. Die Sonne zauberte goldene Sprenkel in seine Augen. „Ich bin unzufrieden mit meinem Leben, aber nicht unglücklich. Es ist einfach Zeit für eine Veränderung.“

Er hätte mir schon früher davon erzählen können, dachte sie. Immerhin waren sie eng miteinander befreundet. Spätestens, als er den Vertrag für das Penthouse unterschrieben hatte, hätte er etwas sagen können. „Also …“ Sie trat näher zu ihm. „Wie lange hast du das hier schon geplant?“

Sie wollte alles wissen, wusste aber, dass Julian der Typ war, den man nicht bedrängen durfte.

„Ein paar Jahre. Vielleicht aber auch schon mein ganzes Leben.“ Er lächelte zufrieden auf sie herunter. Sie lächelte zurück. Ein Teil von ihr wollte ihn zu seiner Entscheidung beglückwünschen, während ein anderer Teil, der zu den Gages hielt, ihn bitten wollte, es sich noch einmal zu überlegen. Sie fühlte sich hin und her gerissen. Vor zwei Wochen hatte sie Garrett ihr Herz geschenkt; Garrett würde alles daran setzen, dass Julian beim Daily blieb.

Julian war das große Kapital der Firma. Sein jungenhaftes Auftreten und seine Kompetenz hatten ihn zum besten PR-Manager im ganzen Staat gemacht. Molly war davon überzeugt, dass der Daily mindestens die Hälfte seiner Werbeeinnahmen verlieren würde, wenn Julian die Firma verließ. Vielleicht würde er nach einiger Zeit dorthin zurückgehen.

Sie schaute sich weiter in den Räumen um. „Diese weißen Wände könnten etwas Farbe brauchen“, stellte sie schließlich fest.

Julian kicherte. „Wie kommt es nur, dass ich wusste, dass du das sagen würdest“, meinte er und kam zu Molly herüber.

Sie grinste und kräuselte die Nase. „Vielleicht, weil ich keine kahlen Wände mag und du das seit über zwanzig Jahren weißt?“

Er strich ihr über die Nase. „Dann mach mir einen Vorschlag. Diese Wand hier gehört dir.“

Mollys Nase kribbelte an der Stelle, an der er sie berührt hatte. Sie betrachtete die Wand und hatte sofort eine Idee. „Bist du übergeschnappt? Meine Gemälde kosten bereits fünfstellige Summen. Ein Wandbild von dieser Größe würde hundertfünfzigtausend und mich mindestens zehn Monate Arbeit kosten. Ich muss mit meinem Galeristen darüber sprechen.“

Ihr Galerist hatte früher Andy Warhol vertreten. Er war der schlaueste Kunsthändler der Gegend und bekannt dafür, dass er die verrücktesten zeitgenössischen Kunstwerke verkaufte. Und er war Julians Freund.

„Lass Blackstone da raus. Hundertfünfzigtausend sind okay.“

Sie schnappte nach Luft. „Julian, ich kann dir das nicht in Rechnung stellen. Das ist so, als würde ich meinen besten Freund ausrauben.“

„Dann sollte es dir wenigstens Spaß machen. Also hundertfünfzigtausend. Aber lass es gut aussehen. So gut wie du aussiehst, Molls.“ Er lächelte, und Mollys Knie wurden weich. Kam das von dem fabelhaften Geschäft, das sie gerade gemacht hatte oder von seinem Kompliment. Vielleicht von beidem.

„Natürlich, Julian!“ Sie fasste ihn am Kragen und drückte ihm einen Kuss auf das Kinn – und wünschte sich sofort, sie hätte das gelassen, denn Julian erstarrte. „Danke! Wann kann ich anfangen?“

Er holte den Fahrstuhl und massierte sich den Nacken. „Morgen, wenn du willst“, sagte er.

Molly schwebte geradezu hinter Julian her. Hatte sie soeben einen Riesenauftrag bekommen? Hatte sie gerade ihr erstes Wandbild zugesagt?

Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Dabei war sie durchaus eine begehrte Künstlerin. Das Interesse eines New Yorker Galeristen an ihren Arbeiten hatte einige Sammler auf sie aufmerksam gemacht, die Arbeiten von Molly gekauft hatten. Noch bevor sie es kapiert hatte, wurde ihr Name in einem Atemzug mit den besten zeitgenössischen Künstlern genannt. Vielleicht würde ihr Glück im Beruf ein wenig ihr Unglück in der Liebe verdrängen. Vielleicht war sie nahe daran, Garrett zu bekommen.

Dank Julian.

In Julians großer Wohnung entschied sie sich für ein blau-grün gestrichenes Schlafzimmer, dessen Farben sie schon immer als beruhigend empfunden hatte. Es lag links neben Julians Schlafzimmer. Sie drapierte ihre Nachtcremes, Tagescremes, Feuchtigkeitscremes, Shampoos, ihre Zahnbürste auf dem Waschbecken und zog ihre immer noch feuchten Kleider aus. Dann ging sie unter die Dusche und streifte sich danach ein großes Schlafshirt über, das Julian früher als T-Shirt getragen hatte. Julians Mutter hatte es in die Altkleidersammlung gegeben; Molly hatte es wieder herausgefischt. Julian würde sich kaum daran erinnern, dass es früher einmal ihm gehört hatte.

Der Schlaf umfing sie. Ihre Gedanken schweiften zu Garrett. Sie dachte an sein schwarzes Haar, seine dunklen Augen, seine seidigen Wimpern und daran, wie er sie vor zwei Wochen geküsst hatte. Der Kuss war für sie immer noch so lebendig und gegenwärtig, dass sie ihn jede Nacht vor Augen hatte, bevor sie einschlief.

„Ich glaube, ich würde gerne Junggesellin bleiben“, hatte Molly an jenem Abend zu Kate gesagt. Sie standen auf der Terrasse des Anwesens der Gages und schauten den Gästen des Kostümballs zu.

Kate hatte gelacht. „Molls, warum sagst du so was?“ Sie hatte Mollys Haare gezaust, die sie an diesem Abend offen getragen hatte. „Du bist schön und liebenswert. Jeder Mann wäre froh, wenn er dich haben könnte.“

„Schon. Aber keiner scheint meine Erwartungen zu erfüllen.“

Seufzend zeigte Molly Kate die Fotos der drei Gage-Brüder auf ihrem Smartphone – den grauäugigen, verantwortungsvollen Landon, den dunkelhaarigen, ehrenwerten Garrett und natürlich den Sexgott Julian. Julian war so ziemlich das Gegenteil eines geeigneten Ehemannes.

„Ich weiß, was du meinst“, sagte Kate und betrachtete die Fotos.

Es war sicher nicht leicht für Kate gewesen, Molly Mutter und Vater zu ersetzen, während sie selbst noch ein Teenager war. Natürlich war auch Eleanor Gage ihnen eine Art Mutter gewesen. Doch sie war eine strenge Frau. Und die beiden Schwestern hatten der Person, die ihnen Essen und ein Dach über dem Kopf bot, vor allem ihre besten Manieren und das freundlichste Lächeln gezeigt. Schutz und Trost hatte Molly allerdings meistens bei Kate gesucht. Vor allem in den Phasen, in denen Julian wieder fortgeschickt worden war. Irgendwann hatte sich Molly gefragt, ob sie nicht daran schuld war, dass Kate weder ein Liebesleben noch einen Ehemann, noch eine eigene Familie hatte. Bei dem Gedanken zog sich ihr Magen zusammen.

„Du verdienst auch einen Mann“, hatte Molly geflüstert.

Kate hatte gestrahlt und ihr zugeblinzelt. „Dann lass uns mal losgehen und einen auftreiben“, hatte sie erwidert und war durch die breite Doppeltür hineingegangen. Molly war zurückgeblieben und hatte sich auf ihr dummes Kostüm konzentriert.

Julian hatte sie dazu überredet, sich als Hafendirne zu verkleiden. Er hatte gewusst, dass Molly seinem Rat folgen würde. Jetzt stand sie in einem so engen Kleid da, dass sie kaum atmen konnte. Außerdem präsentierte es ihre Brüste so, dass Molly sich fühlte, als sei sie einem Pornomagazin entsprungen.

Sie hatte sich noch nie so gern zur Schau gestellt. Deshalb wartete sie auf Julian, um ihm die Meinung zu geigen. „Ich komme in einer Sekunde nach“, rief sie Kate noch hinterher, bevor die Tür hinter ihrer Schwester zuging.

Sie blieb also auf der Terrasse, wo es dunkel war und niemand sie in ihrer Verkleidung sehen konnte.

Ein Schatten am Geländer erregte ihre Aufmerksamkeit.

Jemand kam auf sie zu. Zorro? Oder war es das Phantom der Oper? Vielleicht war es aber auch Westley, die Hauptfigur aus Mollys Lieblingsfilm Die Brautprinzessin.

Wer auch immer es war, er sah gut aus. Ganz in Schwarz gekleidet: schwarzer Umhang, eine schwarze Maske, die den oberen Teil seines Gesichtes und sein Haar verbarg. Schwarze Stiefel. Und dieses Lächeln. Es war sicher Julian. Kein anderer lächelte wie ein Wolf und verwandelte eine Frau in ein Lamm, das von ihm verschlungen werden wollte.

Dann fiel ihr auf, dass der Fremde auf ihr Dekolleté starrte und fühlte etwas Heißes in ihrem Bauch hochsteigen.

„Nun, nun“, murmelte er, während er näher kam.

Seine Stimme klang verwaschen. Molly fragte sich, wie viel Julian wohl heute Abend schon getrunken haben mochte. Er klang nicht wie er selbst.

Wieder lächelte er.

Er hatte ein Glas in der Hand. Als er es an die Lippen hob und Molly dabei mit funkelnden Augen betrachtete, fiel ihr auf, dass es leer war. Er fluchte etwas, schüttelte den Kopf und drehte sich um, um zu gehen. Dabei brummte er, dass er verrückt sei.

Sie wollte nicht, dass er ging und rief ihm nach: „Willst du mich hier draußen alleine lassen?“

Er zögerte, drehte sich dann um, stellte sein Glas ab und trat auf sie zu. Mit jedem Schritt versank er mehr in den Schatten, in denen Molly sich hatte verstecken wollen.

Er lächelte nicht mehr. Etwas in seiner Haltung ließ Mollys Herz schneller schlagen. Und noch schneller. Die Art, wie er sich bewegte, wie er sie erschreckte …

Es war möglicherweise doch nicht Julian.

„Was …“, sagte sie.

Da hatte er sie bereits so ungestüm an sich gezogen, dass sie nach Luft schnappen musste. In einer einzigen Bewegung schlang er die Arme um sie. Sein Gesicht war nun so nah, dass ihre Masken sich berührten. Molly hielt die Luft an.

Es war zu dunkel, um die Augenfarbe des Fremden zu erkennen. Doch sein durchdringender Blick lag noch immer auf ihr. Ein rauer Laut entwich seinem Mund.

Und dann küsste er sie. Ganz zart. Wie ein Hauch. Und Molly explodierte regelrecht vor Begierde.

Ihr Mund öffnete sich wie von selbst, und ihr Körper schmolz regelrecht in seiner Umarmung. Sie stöhnte leise. Offenbar gefiel ihm das, denn auch er stöhnte, als er seinen Kuss vertiefte.

Mollys Herz klopfte wie verrückt. Erregung erfasste sie.

Er umklammerte ihre Pobacken und zog sie zu sich hoch. Näher. So nah wie möglich. Und dabei erkundete er mit der Zunge ihren Mund.

Sie schmeckte den Wein auf seiner Zunge und fühlte sich plötzlich auch betrunken. Betrunken von ihm. Heiß auf ihn. Sie verlor sich in ihren Küssen und ihrer Begierde. Er liebkoste ihre Arme. Noch nie hatte sie sich so lebendig und so sehr mit einem anderen Menschen verbunden gefühlt. Es war, als sei ihr Körper die Fortsetzung von seinem.

Sie spürte einen großen Ring, als er ihre Schultern streichelte … Und dann riss sie die Augen auf, als ihr plötzlich klar wurde, wer sie da so leidenschaftlich küsste.

Garrett?

Wie konnte das sein?

Er hatte sie so gut wie nie berührt. Julian fasste sie ständig an, und sie mochte es. Und obwohl Garrett sie fast nie berührte, hatte sie bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er es doch getan hatte, immer seinen schweren Ring gespürt. Wenn er ihr über das Haar strich – der Ring. Wenn er sie am Ellbogen packte, damit sie nicht hinfiel – der Ring.

Jetzt küsste Garrett sie, als wolle er sie verschlingen. Sein Ring schien einen feurigen Streifen über ihre Haut zu ziehen, während er gierig ihre Schultern streichelte, dann ihren Hals, ihr Schlüsselbein, den Ansatz ihrer Brüste. Dann zog er mit seiner Zunge leidenschaftliche Bahnen auf ihrer Haut.

Molly fasste es nicht, dass dieser unnahbare Mann all seine Vorsicht über Bord warf und sie küsste, als ginge es um sein Leben. Ihre Knie wurden weich. Sie hielt sich an ihm fest und riskierte einen verstohlenen Blick auf seinen Ring.

Ein Platinband schimmerte im Schatten auf. Ja, es war eindeutig Garretts Ring, der mit dem Diamanten.

Es war wirklich Garrett, der sie so schamlos berührte.

Und es fühlte sich wundervoll an. Seine Hände erregten sie, zwischen ihren Schenkeln wurde es feucht und heiß.

Er stöhnte, während sie immer noch über seine Identität erschrocken war. Dann zog er sie noch näher an sich, wenn das überhaupt möglich war. „Sch …“, hörte sie ihn sagen, als wolle er sie und sich beruhigen. „Sch …“

Als er die Knie zwischen ihre Schenkel zwängte, rutschte ihr Rock hoch. Er fasste sofort dorthin, wo sie feucht geworden war. Ihr Körper schien sich in Nichts aufzulösen. Sie war nur noch Lust und Hitze und Erregung.

„Oh“, presste sie heraus. Unwillkürlich spannte sie sich an, während seine Finger langsam Kreise zogen. Sie konnte es immer noch nicht fassen.

Er berührte sie, als gehöre sie ihm. Als wisse er alles über sie und kenne jeden Zentimeter ihres Körpers.

Sie hatte nicht gewusst, dass sie so auf einen anderen Menschen reagieren würde.

Dabei hatte sie nie romantische Gefühle für einen der Gage-Brüder gehegt. Sie waren ihre Beschützer. Außerdem hatte Kate gesagt, dass sie so etwas wie ihre Brüder seien und daher nicht für romantische Verwicklungen infrage kamen. Aber dieser Gage-Bruder hier begehrte sie. Ihn kümmerte offenbar nicht, was Kate darüber dachte und sagte. Oder was jemand anderer darüber dachte oder sagte. Molly hatte bisher nicht geahnt, dass sie Garrett mit derselben Leidenschaft wollte.

Unartikulierte Laute kamen aus ihrer Kehle, als sie ihre Hüften an ihn presste und er sie weiter streichelte. Sie war die Marionette, die er mit seinen erfahrenen Händen führte. Sie begann vor Begierde zu seufzen.

Er knabberte stöhnend an ihrem Ohrläppchen, bedeckte ihren Hals mit Küssen, presste seine Hand an ihre empfindlichste Stelle, streichelte sie, sodass sie vor Lust regelrecht schmerzte.

Und dann geschah es: Sie explodierte unter dem Druck seiner Finger.

Molly erinnerte sich genau daran, wie sie gezittert hatte. Sie hätte beinahe geweint, denn es war ihr erster Orgasmus gewesen. Hilflos hatte sie den Maskierten weggestoßen, sobald ihr das möglich war, und gezischt: „Fass mich nicht an! Sprich nicht mal mit mir! Das hier ist nie passiert. Nie!“

Sie riss sich die Maske vom Gesicht und rannte davon.

Am folgenden Tag hatte Garrett so getan, als sei nichts geschehen. Sie hatte Julian sofort davon erzählen wollen. Doch er hatte schlechte Laune, und so behielt sie es erst einmal für sich. Über zwei Wochen lag sie in ihrem Bett und lauschte ihren bisher unterdrückten sexuellen Bedürfnissen. Jetzt wollte sie mehr und wusste nicht, wie sie es bekommen sollte.

Sie wünschte sich, sie hätte ihn nie geküsst.

Sie wünschte sich, sie hätte nicht aufgehört damit.

Sie wünschte sich, sie hätte ihn nicht weggestoßen.

Sie wünschte sich, dass sie weitergemacht, damit er dasselbe getan hätte.

Aber mehr als alles andere wünschte sie sich, noch einmal dasselbe zu fühlen wie an jenem Abend.

Garrett hatte seine Gefühle für sie unmissverständlich gezeigt, doch obwohl Molly seine Berührungen und Küsse genossen hatte, so hatte sie es am Ende doch mit der Angst zu tun bekommen.

Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr war sie davon überzeugt, dass es zwischen Garrett und ihr um mehr als sexuelle Anziehung ging. Sie hatten, glaubte Molly, eine einzigartige Beziehung zueinander. Sie hatte ihren Seelenverwandten gefunden.

Sie hatte seine Liebe gespürt, ohne dass er etwas hatte sagen müssen. Und nun sehnte sie sich nach ihm.

Sie schluckte schwer und drehte sich im Bett hin und her. Ich muss endlich schlafen. Morgen kann ich Garrett zeigen, was er braucht, dachte sie.

Doch der Gedanke beruhigte sie nicht. Im Gegenteil. Sie fand, die einzige Person, die die besten Dinge im Leben verpasste, war sie selbst.

Julian wusste genau, warum er nicht einschlafen konnte und warum er in letzter Zeit so unleidlich war.

Es war Molly Devaneys Schuld.

Sie machte ihn völlig fertig.

Erstens war da diese Sache mit Garrett. Und nun reichte allein der Gedanke daran, dass sie im Zimmer nebenan schlief, um sich hilf- und ruhelos im Bett hin und her zu drehen.

Es hatte am Abend geregnet, als sie Mollys Koffer aus dem Wagen geholt hatten. Als Molly seine Wohnung betreten hatte, war sie ziemlich … nass … gewesen. Er hatte wirklich versucht, sie in ihrem feuchten T-Shirt nicht anzustarren, aber er hatte es nicht geschafft.

Im Bett liegend, versuchte er sich zu beruhigen und ihre vollkommenen Brüste zu vergessen und die Brustwarzen, die sich unter dem dünnen, nassen Stoff abgezeichnet hatten.

Als sie ihn im Penthouse geküsst hatte – sie war so glücklich über den Auftrag für die Wandmalerei gewesen –, hatte er sich zusammenreißen müssen, um die Finger von ihr zu lassen und sie nicht richtig zu küssen. Und ihm war wieder eingefallen, wie sie in ihrer Wohnung rot geworden war und gekeucht hatte, als er sie geküsst hatte. Verdammt, und die Geräusche, die sie machte, wenn sie die Kirschen ihres Milchshakes aß.

Es kam einem Wunder gleich, dass sich Julian im Auto nicht über sie gebeugt und jede dieser Kirschen aus ihrem feuchten, unwiderstehlichen Mund gelutscht hatte.

O Mann! Das war die schlechteste Idee, die ich je hatte, dachte er.

Sein ganzes Leben lang hatte sich Julian an die Regeln gehalten. Er hatte gewusst, dass er das einzige Mädchen, das er respektierte und bewunderte, nicht haben konnte. Molly war die einzige Frau, mit der sich Julian gern in einen Kleiderschrank würde einsperren lassen. Oder mit der er gern auf einer einsamen Insel stranden würde. Sie war das einzig Gute in seinem Leben. Er hatte es bisher dabei belassen. Unbefleckt und sauber, glücklich und geschützt.

Später dann hatte er geglaubt, sie würden eines Tages ein Paar sein. Molly hatte sich selten verabredet, war aber immer gerne mit Julian zusammen gewesen. Er hatte die Finger von ihr gelassen und sich lieber mit anderen Frauen beschäftigt, um Molly aus dem Weg zu gehen.

Und nun – wollte sie ausgerechnet Garrett.

Einen Gage.

Allein bei dem Gedanken daran wurde Julian ganz mulmig im Magen. Verdammt! Er hatte nicht gedacht, dass das je passieren würde.

Zuerst hatte er geglaubt, sie wolle ihn auf den Arm nehmen oder eifersüchtig machen. Er hatte immer angenommen, dass sich Molly in ihn verlieben würde, wenn sie sich überhaupt jemals in einen der Gage-Brüder verguckte. Weil sie nämlich ganz sicher weder Landon noch Garrett je angesehen hatte.

Sogar seine Familie war davon ausgegangen, dass Molly mit Julian zusammen sein wollte. Jedes Mal, wenn er ihr zu nahe kam, brach die Hölle los. Nicht nur seine Mutter, Landon und Garrett drehten durch, auch Kate fiel über ihn her. Alle hatten auf Julian eingeredet: Sei freundlich zu Molly! Lass deine Finger von Molly! Achte Molly! Und sie hatten unmissverständlich klargemacht, dass sie ihn rauswerfen würden, wenn er sich nicht daran hielt. Die meiste Zeit hatte er sich daran gehalten.

Doch nun hatte die Tatsache, dass Molly seinen Bruder begehrte, alles geändert. Julian hatte lange genug in seiner ganz persönlichen Hölle gelebt. Er konnte nicht länger so tun, als sei die Magie, die Anziehung und die besondere Chemie zwischen ihm und Molly reine Freundschaft. Er wusste, dass die Gefühle, die ihr Lächeln bei ihm auslöste, nichts Freundschaftliches hatten. Und schon gar nichts Brüderliches.

Er hatte jahrelang von ihr geträumt. Es waren erotische, sexuelle Träume gewesen. Träume, die ihn schweißgebadet und mit schmerzenden Lenden hatten aufwachen lassen. Die ihn veranlasst hatten, nach dem nächsten Paar weiblicher Beine zu greifen, die des Weges kamen.

Er hatte sogar geglaubt, je öfter er mit anderen Frauen schlief, desto eher würde er über Molly hinwegkommen. Aber seine Eskapaden hatten genau das Gegenteil bewirkt. Seine Sehnsucht war stärker geworden – weil all diese Frauen eben nicht Molly waren.

Keine von ihnen ließ sich mit dieser kleinen Sexbombe nebenan vergleichen.

Jetzt musste er nur das Richtige tun. Julian hatte sich normalerweise gut im Griff. Aber wenn es um Molly ging, brannten ihm die Sicherungen durch. Wenn sie so weitermachten, würde er ganz sicher eine Dummheit begehen.

Und das wollte er nicht.

Er hatte alle wichtigen Puzzleteile an die richtige Stelle gelegt, damit er seine Ansprüche auf Molly anmelden konnte.

Er würde seiner Familie beweisen, dass er sie nicht brauchte und er Molly kein Haar krümmen würde. Sie mussten einsehen, dass er Molly verdiente und sie liebte und nicht nur begehrte. Er musste ihnen verständlich machen, dass er alles tun würde, um Molly zu bekommen. Selbst wenn es das Ende die familiären Bindungen bedeuten würde.

Wenn Molly sich jemals an einen Mann binden würde, dann würde es Julian sein – ob seine Familie es nun billigte oder nicht.

Und was Molly anging …

Er musste ihr klarmachen, dass er der richtige Mann für sie war. Und er musste das zu Ende bringen, was er auf dem Kostümball begonnen hatte – als er sie geküsst hatte.

4. KAPITEL

In Julians Wohnung zu schlafen machte Molly nervös.

In der vergangenen Nacht war sie aufgestanden und in die Küche geschlichen. Vielleicht fand sie dort etwas, was ihr beim Einschlafen half – Schlaftee, aber Baldrian oder Kamille würde es auch tun. Zum diesem Zeitpunkt hätte sie fast alles geschluckt, was ihre Gedanken von Garretts Kuss ablenkte und sie beruhigte.

Aber statt eines Tees fand sie einen halbnackten, gut gebauten Mann in der Küche. Sein Anblick würde sie ganz sicher den Rest der Nacht um den Schlaf bringen.

Julian trug nur Boxershorts, die seinen Po zur Geltung brachten. Er schaute in den Kühlschrank, als suche er darin etwas Essbares.

Molly blieb stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Das Licht des Kühlschranks umschmeichelte jeden Muskel von Julians Körper. In Mollys Brüsten begann es zu prickeln. Und plötzlich war der Mann dort nicht nur bloß Julian.

Er war jeden Zentimeter Julian John Gage.

Ein sexy Playboy, ein gefährlicher Mann.

Weder ein weißer Ritter noch harmlos und ganz sicher nicht nur ein Freund.

Ihre Beine begannen zu zittern, als sie ihn betrachtete. Den muskulösen Arm, der auf der Kühlschranktür lag, die breiten Schultern, die schmalen Hüften und … den ganzen Rest. Seine Waden, seine Oberschenkelmuskeln, seine Pobacken unter den eng anliegenden Shorts.

Ihre Körpertemperatur schoss in die Höhe. Nicht weil er so sexy aussah, dass sie am liebsten in Eiswürfeln gebadet hätte, um sich abzukühlen, sondern weil sie hier stand. Bei ihm. Um Mitternacht. Und er war fast nackt. Dabei sollte es doch Garrett sein, ein halbnackter Garrett, Garrett sollte all ihre Gedanken beherrschen.

Doch ihre Hormone schienen davon nichts zu wissen. Sie legten einfach los, bis Molly das Gefühl hatte, überall am Körper kleine heiße Nadelstiche zu spüren.

Sogar ihre Finger zuckten und wollten ihn berühren, seinen Rücken erkunden und seine Arme … Sie sagte sich, dass sei vielleicht die Künstlerin, die da aus ihr sprach, denn sie war ebenso erregt, wenn sie unbedingt malen wollte.

Doch nun wollte sie unbedingt diesen Julian John anfassen.

Mit Fingerfarbe. Jeden Zentimeter von ihm. Wäre er ein Stück Leinwand gewesen, dann hätte sie ihn ganz und gar mit Farbe bedeckt. Nur seine Lippen hätte sie ausgelassen. Dafür war er einfach zu männlich.

Aber sie konnte sie mit ihren Fingerspitzen erforschen und herausfinden, welche Sorte Magie seine Lippen besaßen, wenn sie sie küssten. Sie könnte erst seine Unterlippe und dann seine Oberlippe erkunden und schauen, ob sie sich die Gefühle dabei merken konnte.

Herrje, Molly, du liebst Garrett!

Erschrocken über ihre Gedanken kehrte sie in die Gegenwart zurück. Sie fühlte sich schuldig. Hatte sie eben darüber nachgedacht, Julian in seiner eigenen Küche zu vernaschen? Was war bloß los mit ihr?

Seit dem Kostümball fühlte sich ihr Leben an, als sei es ein Pfannkuchen, der gewendet worden war.

Sie dachte andauernd über Küsse, Berührungen und Begierde nach. Garrett hatte Bedürfnisse in ihr geweckt, die vor dem Kostümball keine Rolle gespielt hatten. Jetzt war sich Molly ihres Körpers so sehr bewusst, dass er selbst auf Julian reagierte.

Siehst du, Garrett, was du mit mir angestellt hast? Ich habe mich in eine Nymphomanin verwandelt.

„Hm. Hast du vergessen, dass du nicht alleine bist?“, stieß sie hervor.

Julians Körper spannte sich an. „Verdammt! Du solltest eigentlich schlafen, Molls.“ Er wandte sich um. Sein Haar schien noch einmal das Licht des Kühlschranks einzufangen.

„Schlafwandler schlafen nicht, Jules.“

Molly sagte sich, sie solle besser ins Bett gehen. Doch als Künstlerin sollte sie sich von einem halbnackten Mann nicht verscheuchen lassen. Sie musste seinen Körper als natürlichen Zustand begreifen oder es wenigstens versuchen. Sie ging zu den Schränken und begann nach Tee zu suchen.

„Es ist Milch da. Bei mir funktioniert das.“ Er hielt ihr eine Milchtüte hin, aus der er offenbar gerade getrunken hatte.

Molly nahm sie und legte ihre Lippen genau dorthin, wo seine gerade gewesen waren. Während sie trank, versuchte sie nicht daran zu denken. „Oh. Die Milch ist kalt“, stellte sie fest, gab ihm die Tüte zurück und bemühte sich, den Gedanken an seine glatte muskulöse Brust zu verdrängen.

Bis jetzt war ihr ihre geringe Körpergröße nie in den Sinn gekommen, wenn sie mit Julian zusammen gewesen war. Aber heute kam er ihr geradezu riesig vor, fast erschreckend. Und unglaublich männlich.

„Ich gehe wieder ins Bett“, erklärte er, stellte die Milch zurück und schloss die Kühlschranktür.

„Kann ich bei dir schlafen?“, platzte es aus Molly heraus.

Sie wusste, dass sie nicht würde einschlafen können, wenn sie jetzt zurück in ihr Schlafzimmer ging. Der maskierte Mann würde sie verfolgen. Und Julian in seinen kurzen Shorts ebenfalls. Sie wollte gemeinsam mit ihm einen Film auf DVD anschauen, sich an ihn schmiegen und einschlafen. Sie wollte ihren besten Freund zurück. Sie wollte, dass er wieder das für sie war, was er in ihrer Kindheit gewesen war.

„Nein“, antwortete er mit einem kurzen Blick auf sie.

„Sei kein Idiot, Jules.“

„Ich schlafe nicht mit Frauen, mit denen ich nicht schlafen kann“, fuhr er sie an.

„Ich bin keine Frau. Ich bin Molls.“

„Genau.“

„Ach, komm. Zieh dir Hosen über. Ich gehe mein Kissen holen. Sei nicht gemein.“

Er antwortete nicht. Sie hörte seine Schritte im Flur.

„Julian?“

Sein Lachen ließ sie einen Augenblick lang hoffen, er habe seine Meinung geändert. Aber dann rief er: „Gute Nacht, Molls.“

Molly verfluchte ihn auf dem Weg zu ihrem Zimmer, stieg allein ins Bett und schlief in dieser Nacht nicht eine Minute.

Auch in der zweiten und dritten Nacht schlief sie so gut wie gar nicht. Jede Nacht versuchte sie Julian zu überreden, bei ihm schlafen zu dürfen, doch Julian blieb unerbittlich. Sie war überrascht, dass Julian ihre Bitte nicht erhörte, doch noch überraschter war sie darüber, dass Garrett keine Anstalten machte, über ihre Beziehung zu Julian mit ihr zu reden.

So verhielt sich doch kein verliebter Mann!

Andererseits war Garrett immer der sturste aller Gage-Brüder gewesen. Vielleicht brauchte er einen kleinen Schubs.

Molly dachte über aufregende Kleidung nach, die seine Aufmerksamkeit erregen könnte. Sie war so verzweifelt, dass sie sogar erwog, noch einmal das Dirnenkostüm anzuziehen. Doch welcher geistig gesunde Mensch tat so etwas? Keiner.

Nach der sechsten schlaflosen Nacht hatte Molly das Gefühl gefoltert zu werden. Unleidlich von zu wenig Schlaf und mürrisch darüber, nicht jede Nacht gemalt zu haben, fragte sie sich, ob sie völlig verrückt gewesen war, als sie in diese Beziehung eingewilligt hatte. Sie hatte Garrett kaum zu Gesicht bekommen und ebenso wenig mit ihm gesprochen, dafür hatte sie umso mehr von Julian John gesehen.

Auf Platz eins ihrer Fantasien lag natürlich die Nacht, in der sie ihn halbnackt gesehen hatte.

Platz zwei belegte die Schlafanzughose, die von einer Kordel gehalten wurde. Diese Hose machte sie total verrückt. Julian besaß diese Hosen in verschiedenen Farben und trug sie gern zum Frühstück. Wenn das Sonnenlicht im richtigen Winkel darauffiel, schienen sie fast durchsichtig. Nicht hinzuschauen war eine Riesenquälerei.

Als habe man einen Schokoladenriegel vor der Nase und dürfe nicht hineinbeißen.

Und dann der Anblick der nackten Schultern, des Bizeps und Trizeps und all der anderen Muskeln, die unter seiner sonnengebräunten Haut spielten. Julian war irgendwie einfach zu … definiert. Seine Männlichkeit war einfach nicht auszuhalten, wenn man müde war.

Andererseits hatten sie morgens viel Spaß miteinander.

Julian las die Zeitung, während sich Molly vor allem für die Werbepost interessierte. An diesem Morgen beschuldigte er sie, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, der diesen Müll las. Sie lachten darüber. Dennoch gab es da einen Moment, der sich sehr ernst anfühlte. Zu ernst.

Jedes Mal, wenn Molly aufstand, fiel ihr auf, dass Julian auf ihre nackten Beine starrte, die unter ihrem langen T-Shirt hervorschauten. Wenn sie zum Tisch zurückkam, lagen die Blicke aus seinen grünen Augen bewundernd auf ihr. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, machte sie eine dumme Bemerkung. Dann schaute Julian sie an und fragte abwesend: „Was?“, als habe er nicht zugehört.

Das passte nicht zu ihm. Normalerweise war er blitzgescheit und schlagfertig.

Sie hatten sich auch auf der Fahrt zu ihrer Wohnung geneckt. Wieder machte er eine Bemerkung über ihre Kleidung. Doch dieses Mal hörte es sich intimer an als sonst.

Er sagte zwar nicht, ihr geblümtes Kleid entspringe ihrer Farbmischmaschinenkollektion, dafür merkte er an, sie würde „ohne Farbkleckse nackt aussehen“.

Nackt.

Mollys Magen hatte sich bei diesem Wort zusammengezogen. Die Vorstellung, er könne sie nackt sehen, reichte aus, dass sich ihr der Kopf drehte. Nun winkte sie Julian zum Abschied nach. Er fuhr mit einem verwirrten Lächeln auf den Lippen in seinem Aston Martin davon.

Sie hatte versprochen, sich abends von Kate zurückfahren zu lassen. Vorher musste sie aber noch ihre Malutensilien zusammenpacken und ein Kleid aussuchen. Am Abend waren sie bei Landon und seiner Frau Beth eingeladen. Die beiden waren seit zwei Jahren verheiratet und eins der glücklichsten Paare, die Molly kannte.

Und heute Abend würden Molly und Julian den Gages zum ersten Mal als Paar gegenübertreten.

Es war auch das erste Mal, seit sie als Julians Geliebte galt, dass sie Garrett treffen würde. Molly wollte ihm vor Augen führen, dass er ein Idiot war, weil er sie hatte gehen lassen.

Plötzlich schien ein Kleid, das nur sexy und elegant war, nicht mehr das Richtige zu sein.

Mit einem Mal war es unglaublich wichtig, dass Molly heute Abend einfach atemberaubend aussah.

Molly fischte den Haustürschlüssel aus dem Farntopf, in dem er gewöhnlich lag, und betrat dann die Wohnung. Es roch nach Kuchen, nach Zimt und Kardamom und allem, was sie mit ihrem Zuhause verband.

Sie freute sich, wieder in ihrer hübschen, aufgeräumten Wohnung zu sein. Es war eine richtige Mädchenwohnung mit vielen Kissen und Überwürfen auf allen Sofas und jeder Menge Dekoration. Sogar Mollys alter Teddybär thronte unter einer Tiffany-Lampe.

Nachdem sie tagelang in einer Junggesellenbleibe gewohnt hatte, gefiel ihr die weibliche Atmosphäre hier noch besser als sonst. Sie beschloss, eins ihrer pinkfarbenen Kissen mit in Julians Wohnung zu nehmen. Außerdem würde sie ihren Schlaftee einpacken.

„Also, was ist mit dir los?“

Molly wandte sich um. In der Küchentür stand Kate mit Pferdeschwanz und Schürze und schaute fragend.

Einige Leute behaupteten, Katte hätte mehr Energie als die Sonne. Und sie hatten recht. Kate war immer mit etwas beschäftigt.

„Ich bin vorbeigekommen, um ein paar Sachen abzuholen. Julians Kofferraum ist so klein. Da geht mehr in einen Fahrradkorb als in sein Auto“, erklärte Molly.

Kates forschender Blick änderte sich nicht. Also ging Molly zu ihr hinüber, um sie zu umarmen, was leichter gewesen wäre, wenn Kate keine Schüssel in den Händen gehalten hätte.

„Ich weiß doch, dass etwas nicht in Ordnung ist, Molly. Ich rieche es regelrecht.“

„Und ich rieche Zimt.“

Molly betrachtete das leckere Gebäck auf dem Küchentresen, suchte einige Muffins aus, die sie Julian mitbringen würde und packte sie geräuschvoll in eine Papiertüte.

„Mensch! Du machst das jedes Mal“, sagte Kate entnervt. „Die Muffins sind für Landon und Beths Party, Moo. Ich backe morgen welche für dich, okay?“

„Na gut“, brummelte Molly. Sie gab Kate die Papiertüte und blickte dabei in die Augen ihrer Schwester, die ihren so ähnlich waren.

Ihr Herz war heute so schwer, am liebsten hätte sie es Kate ausgeschüttet.

Sie standen sich sehr nahe. Doch sie waren beide auch mit ihren kreativen Ideen beschäftigt und verschwanden oft in ihren privaten Seifenblasen. Molly schloss sich manchmal Monate lang ein und malte. Kate war ebenso besessen vom Kochen. Abends waren sie oft so erschöpft, dass sie keine Kraft mehr für ein Privatleben hatten. Ihre beider Arbeit war gleichzeitig ihr Hobby.

Kate war immer für Molly da gewesen. Sie war die starke Schulter gewesen, an die sich Molly lehnen konnte. Über Männer hatten sie allerdings selten gesprochen, auch nicht über die Gefühle, die damit verbunden waren.

Irgendwie taten sie so, als gäbe es keine Männer. Oder besser, als existierten keine Männer außerhalb der Gage-Familie.

Molly war mit dieser stillschweigenden Vereinbarung zwischen ihnen einverstanden gewesen. Immerhin war sie mit Julian eng befreundet. Er zählte ebenso viel wie hundert andere Männer. Sie hatte die Aufmerksamkeit von Männern nie vermisst.

Bis zu jener Nacht, in der ihr Julians Bruder das Gefühl gegeben hatte, eine begehrenswerte Frau zu sein.

Bis zu jener Nacht, in der sie so leidenschaftlich geküsst und berührt worden war.

Aber wie konnte sie Kate von dieser Nacht erzählen, wenn sie angeblich Julians Geliebte war?

Es war noch nicht der richtige Zeitpunkt, um mit Kate über Garrett und diese Nacht, die ihr ganzes Leben durcheinandergebracht hatte, zu sprechen. Aber sie konnte über etwas anderes reden, das an ihr nagte.

„Julian kann meine Kleider nicht leiden“, stieß sie schließlich hervor. Schon bei der Erwähnung krampfte sich ihr der Magen zusammen. Julian hatte erklärt, dass ihr Arme-Künstler-Look Garrett ganz und gar nicht gefallen würde.

Autor

Red Garnier
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Kat Cantrell
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Joss Wood

Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...

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