Bianca Spezial Band 11

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VIER PFOTEN UND EIN KUSS von RAEANNE THAYNE
„Halte durch, Junge. Wir schaffen das.“ Wie liebevoll sich der neue Tierarzt Ben Caldwell um ihren verletzten Hund kümmert, so sanft und sensibel! Als Caidy erfährt, dass Ben nicht weiß, wo er dieses Jahr Weihnachten feiern soll, hat sie eine romantische Idee …

HÖCHSTGEBOT: LIEBE von CHRISTYNE BUTLER
Hundedame Daisy duldet keine Frau in der Nähe ihres Herrchens – außer Priscilla Lennox. Dabei passt der lässige Dean gar nicht zu der Hollywood-Schönheit, die im verschlafenen Destiny eine Junggesellen-Versteigerung für den guten Zweck organisiert. Aber Daisy weiß es instinktiv besser …

VERLIEBT HOCH FÜNF von KAREN TEMPLETON
Juliette plant eine Weihnachtsromanze. Die Stars: ihr Daddy und Claire, die Schauspiellehrerin. In den Nebenrollen: ihre Geschwister, sie und der Hund. Leider wollen die Hauptdarsteller auch ein Wörtchen mitreden. Und das lautet: Nein. Obwohl sie einander verzaubert anlächeln …


  • Erscheinungstag 10.09.2021
  • Bandnummer 11
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510332
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

RaeAnne Thayne, Christyne Butler, Karen Templeton

BIANCA SPEZIAL BAND 11

1. KAPITEL

„Komm schon, Luke. Komm, mein Kleiner. Halt durch.“

Die Scheibenwischer schoben den Schnee und die Graupel beiseite, als Caidy Bowman an diesem stürmischen Dezembernachmittag durch die Straßen von Pine Gulch, Idaho, fuhr. Es hatte nur ein paar Zentimeter Neuschnee gegeben, aber die Straßen waren spiegelglatt.

Für einen Moment nahm sie eine Hand vom Lenkrad ihres Pick-ups und streichelte das wimmernde Fellbündel neben sich auf dem Beifahrersitz. „Wir sind fast da. Alles wird gut. Halt noch ein paar Minuten durch.“

Der junge Border Collie blickte sie mit einem Vertrauen in den schwarzen Augen an, das sie nicht verdiente. Ein bohrendes Schuldgefühl erfüllte sie.

Sie hätte besser aufpassen müssen. Luke war ein neugieriger kleiner Hund und gehorchte noch nicht besonders gut, wenn er auf der Ranch etwas Neues erkunden wollte. Caidy arbeitete mit ihm daran und hatte in den letzten Wochen gute Fortschritte mit ihm gemacht, aber heute war die Katastrophe passiert. Sie hätte Luke vom Gehege des Bullen fernhalten müssen. Der alte Festus war unberechenbar und übellaunig und nahm es gar nicht gut auf, wenn neugierige junge Border Collies in seiner Nähe herumschnüffelten.

Von Lukes Gebell und dem wütenden Schnauben des Bullen alarmiert, war sie zu dem Pferch des alten Festus gerannt und hatte gerade noch hilflos ansehen müssen, wie Luke durch die Luft flog, auf dem vereisten Boden landete und der Bulle auf ihn lostrampelte. Es hatte ein fürchterliches Krachen von Knochen gegeben.

Caidy klammerte die Hände um das Lenkrad und fluchte leise, als die letzte Ampel vor der Praxis des Tierarztes von Grün auf Gelb sprang. Fast hätte sie noch einmal Gas gegeben, aber sie war noch zu weit weg, um einfach durchzufahren.

Endlich erreichte sie das kleine quadratische Gebäude, in dem sich die einzige Tierarztpraxis von Pine Gulch befand. Sie fuhr direkt an den normalerweise verschlossenen Seiteneingang, hinter dem gleich die Behandlungsräume lagen.

Der Hund winselte leise. Caidy biss sich auf die Lippen, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Luke durfte einfach nicht sterben!

Ohne auf die Graupelschauer und den eisigen Wind zu achten, sprang sie aus dem Wagen und lief um das Haus zum Haupteingang.

Wärme flutete ihr entgegen, als sie die Tür öffnete, zugleich mit dem vertrauten Geruch nach Tieren und Desinfektionsmittel, in den sich ein ungewohnter Hauch frischer Farbe mischte.

„Hi, Caidy.“ Eine Frau in einem grünen Kittel kam ihr an der Tür entgegen. „Das ging ja schnell, den ganzen Weg von River Bow hierher.“

„Hallo, Joni. Ich habe mich nicht ganz an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten, aber es ist ein echter Notfall.“

„Ben erwartet dich schon. Nach deinem Anruf habe ich ihm gleich Bescheid gegeben. Ich sage ihm, dass du da bist.“

Caidy wartete, und die Sekunden zogen sich endlos hin. Der neue Tierarzt war erst seit ein paar Wochen da, aber er hatte in der kurzen Zeit schon einiges in der Praxis verändert.

Caidy hatte die Einrichtung seines Vorgängers Doc Harris lieber gemocht. Der gesamte Eingangsbereich sah nun anders aus. Die fröhlich gelben Wände waren mit langweiligem Weiß überstrichen worden, und das gemütliche alte Sofa mit den Sesseln aus den Achtzigerjahren war fort. Stattdessen standen ringsum an den Wänden moderne Bänke mit einer hygienisch glatten Oberfläche aus grauem Plastik.

Vor allem aber befand sich die früher offene Empfangstheke jetzt hinter einer soliden, halbhohen Wand mit gläserner Trennscheibe.

Es war bestimmt effizient, das Ganze so zu modernisieren, aber Caidy hatte den vertrauten, in die Jahre gekommenen Charme der alten Praxis geliebt.

Ungeduldig rutschte sie auf der Bank hin und her. Draußen lag ihr Hund in der Kälte und hatte Angst und Schmerzen! Wo blieb denn der Mann? Manikürte er sich noch die Nägel? Gerade, als Caidy sich bei Joni erkundigen wollte, wieso es so lange dauerte, ging die Tür auf, und Dr. Caldwell erschien.

„Wo ist der Hund?“, fragte er kurz angebunden. Caidy hatte nur einen vagen Eindruck von einem stirnrunzelnden, dunkelhaarigen Mann in einem blauen Kittel.

„Er liegt noch draußen im Wagen“, erklärte sie.

Der Tierarzt sah sie scharf an. „Ich kann ihn aber nicht draußen behandeln.“

Caidy zuckte innerlich zusammen. „Das ist mir klar“, sagte sie bemüht ruhig. „Ich wollte ihn nicht zu viel bewegen. Ich habe Angst, dass etwas gebrochen ist.“

„Ich dachte, ein Bulle hätte ihn auf die Hörner gespießt?“, bemerkte der Mann knapp.

Caidy wusste kaum mehr, was sie vorhin bei ihrem panischen Anruf alles zu Joni gesagt hatte. „Irgendwann hatte Festus ihn auch auf den Hörnern. Bevor oder nachdem er auf Luke getreten ist.“

Die Lippen des Mannes waren ein schmaler Strich. „Ein junger Hund hat nichts in der Nähe eines gefährlichen Bullen zu suchen.“

Seine Kritik traf Caidy umso mehr, als sie sich das ja selbst schon die ganze Zeit vorwarf. „Wir haben eine Ranch, Dr. Caldwell. Da können manchmal solche Unfälle passieren.“

„Das sollten sie trotzdem nicht“, sagte der Arzt nur, bevor er sich umwandte und durch die Schwingtür zurück in den Behandlungsbereich ging.

Caidy folgte ihm und wünschte sich, Doc Harris wäre jetzt da. Der alte Tierarzt hatte sich um alle Hunde gekümmert, die sie je gehabt hatte, angefangen von Sadie, ihrer ersten Border Collie Hündin und besten Freundin, die noch immer bei ihnen auf der Ranch lebte.

Doc Harris war Caidys väterlicher Freund und ihr großes Vorbild gewesen. Er hätte sie jetzt einfach kurz in seine Arme genommen und ihr versprochen, dass alles gut werden würde.

Dr. Ben Caldwell hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Dr. Harris. Der neue Tierarzt war schroff und arrogant, und Caidy verabscheute ihn schon nach diesen ersten Minuten.

Als er merkte, dass sie ihm unaufgefordert in seine Räume gefolgt war, sah er sie überrascht und unwillig an.

„Der Weg hier durch ist kürzer“, erklärte sie. „Ich habe am Seiteneingang geparkt. Ich dachte, von dort können wir ihn direkt mit der Trage hereinbringen.“

Wortlos eilte Dr. Caldwell durch den Seiteneingang nach draußen. Caidy trottete hinter ihm her und überlegte dabei, wie die Tierwelt von Pine Gulch von jetzt an bloß ohne Dr. Harris auskommen sollte.

Ohne auf sie zu warten, öffnete der Arzt die Beifahrertür ihres Pick-ups. Und hier trat vor Caidys Augen eine verblüffende Verwandlung ein. Der strenge, angespannte Gesichtsausdruck des Mannes wurde weich, und selbst seine Schultern schienen sich zu lockern. „Hallo, mein Kleiner“, begrüßte er den Hund leise. „Da hast du dir was Schönes eingebrockt, hm?“

Trotz aller Schmerzen reagierte Luke auf den sanft klingenden Fremden mit einem schwachen Schwanzwedeln. Auf der Beifahrerseite gab es keinen Platz für Caidy. Daher ging sie um den Wagen herum und öffnete die Fahrertür, um von dort aus zu helfen. Aber Dr. Caldwell hatte bereits ein Transporttuch unter den Hund geschoben und mit beiden Händen an den Enden gepackt.

Es waren schöne, große, fähige Hände, bemerkte Caidy, mit einem hellen Streifen an dem Ringfinger, an dem einmal ein Ehering gesteckt hatte.

Natürlich erzählte man sich im Ort alle möglichen Geschichten über den Mann. Da Dr. Caldwell zurzeit in dem kleinen Hotel Cold Creek Inn wohnte, das ihrer Schwägerin Laura gehörte, hatte Caidy manches davon aufgeschnappt.

Normalerweise tratschte Laura niemals über ihre Gäste, aber Caidy hatte immerhin erfahren, dass Ben Caldwell zwei Kinder hatte, ein Mädchen und einen Jungen, neun und fünf Jahre alt, und seit zwei Jahren Witwer war.

Warum er sich von heute auf morgen in Pine Gulch niedergelassen hatte, war allen Leuten ein Rätsel. Wenn es Fremde in diesen stillen Winkel am Rand der Berge verschlug, dann waren sie normalerweise entweder auf der Suche nach etwas – oder auf der Flucht.

Natürlich geht mich das nichts an, ermahnte Caidy sich. Das Einzige, was zählte, war, wie der Mann ihre Hunde behandelte. Sie sah, wie vorsichtig, ja liebevoll, er Luke abtastete. Zumindest mit Tieren konnte er umgehen! Und wie ein Mensch mit Tieren umging, war für Caidy in der Regel ein wichtigerer Hinweis auf seinen Charakter als alles andere.

„Ganz ruhig, Luke. Gut machst du das.“ Dr. Caldwell sprach ruhig und leise. „Wir bewegen dich jetzt. So, prima.“

Wortlos reichte er Caidy die leere Trage und packte dann wieder das Tuch an den Enden. „Ich hebe ihn etwas hoch, und Sie schieben das Brett unter ihn. Langsam. Ja. So.“

Caidy kannte sich mit dem Transport verletzter Tiere aus. Sie hatte jahrelange Erfahrung damit. Sie ärgerte sich ein bisschen, dass der Mann sie behandelte, als hätte sie überhaupt keine Ahnung.

Gemeinsam trugen sie die Trage ins Behandlungszimmer und legten den Hund behutsam auf den Untersuchungstisch.

„Er hat wirklich üble Verletzungen. Trotzdem bin ich überrascht, dass es nicht noch schlimmer aussieht.“

Das lag wohl daran, dass es ihr gelungen war, Luke außer Reichweite zu ziehen, bevor Festus seine schlechte Laune weiter an dem hilflosen Hund auslassen konnte.

„Was ist mit seinem Bein? Können Sie es erhalten?“, fragte sie nur.

„Ich muss es röntgen, bevor ich Ihre Frage beantworten kann. Wie weit sind Sie bereit, bei der Behandlung zu gehen?“

Es dauerte einen Moment, bis Caidy begriff, was Dr. Caldwell sie gerade auf seine schonungslose Art gefragt hatte. In einer Tierarztpraxis entschied letztlich oft der Wille der Besitzer, wie erfolgreich ein Tier behandelt wurde, und ob man bis zum Äußersten alles für sein Leben tat. Wenn der Besitzer die Kosten nicht auf sich nehmen wollte, war der Tierarzt machtlos.

„So weit, wie es nötig ist“, entgegnete sie heftig. „Das Geld spielt keine Rolle. Tun Sie einfach, was sein muss.“

Dr. Caldwell nickte, immer noch ganz auf den Hund konzentriert, doch ihr schien, als sei seine harte Miene etwas weicher geworden.

„Die Behandlung wird auf jeden Fall ein paar Stunden dauern“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Sie können schon gehen. Geben Sie Joni Ihre Nummer, dann ruft sie Sie an, wenn ich mehr sagen kann.“

„Nein, ich warte lieber hier.“

Jetzt blickte er kurz auf, und die Überraschung in seinen faszinierend dunkelblauen Augen ärgerte sie. Dachte er etwa, sie würde ihren schwer verletzten Hund einfach hier für ein paar Stunden abgeben und dann in Ruhe einkaufen und zum Friseur gehen?

„Wie Sie wollen“, bemerkte Dr. Caldwell nur.

„Ich kann Ihnen auch gern helfen. Als Teenager habe ich Doc Harris oft assistiert.“

Wenn ihr Leben anders verlaufen wäre, hätte sie vielleicht selbst nun die Praxis von Dr. Harris übernommen. Wobei sie hoffentlich nicht so schroff und abweisend wie dieser neue Tierarzt gewesen wäre!

„Nicht nötig.“ Mit einer achtlosen Geste wischte Dr. Caldwell all ihre Hoffnungen, Träume und unzähligen Stunden, die sie in dieser Praxis verbracht hatte, beiseite. „Joni und ich kommen schon zurecht. Wenn Sie warten wollen, können Sie im Wartezimmer Platz nehmen.“

Was für ein unsympathischer Typ! Sie konnte darauf bestehen, da zu bleiben. Schließlich bezahlte sie für die Behandlung. Wenn sie bei ihrem Hund bleiben wollte, konnte Dr. Ben Caldwell nichts dagegen tun. Aber Caidy wollte keine kostbare Zeit mit einer Auseinandersetzung verschwenden und am Ende noch Luke damit schaden.

„Gut“, murmelte sie. Sie drehte sich um und ging wieder hinaus ins Wartezimmer, innerlich bebend vor Frust und Empörung.

Als Erstes schickte sie schnell eine SMS an ihren Bruder Ridge, um ihn über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren und ihn daran zu erinnern, dass er jetzt an ihrer Stelle seine Tochter Destry vom Schulbus abholen musste. Dann ließ sie sich auf eine der unbequemen grauen Plastikbänke fallen und griff nach einer Zeitschrift auf dem niedrigen Tischchen.

Achtlos blätterte sie die Seiten um und nahm kaum die Überschriften zur Kenntnis, da schrillte die Türglocke und ein kleiner, etwa fünfjähriger Junge stürmte herein, gefolgt von einem langsamer gehenden, etwas älteren Mädchen.

„Dad! Wir sind da!“

„Psst, nicht so laut.“ Eine rundliche, etwa sechzigjährige Frau mit einer fröhlichen Ausstrahlung trat hinter den beiden durch die Tür. „Das weißt du doch, junger Mann. Dein Vater ist vielleicht gerade mitten in einer Operation.“

„Kann ich reingehen und nachsehen?“, fragte das Mädchen.

Die Frau schüttelte den Kopf. „Da auch Joni nicht hier draußen ist, haben sie da drin sicher beide zu tun. Dann stört ihn nicht. Setzt euch hierhin, und ich sage ihm schnell, dass wir da sind.“

„Das kann ich doch machen“, sagte das Mädchen und zog einen Schmollmund, aber es ließ sich auf die Bank gegenüber von Caidy fallen, mit finsterer Miene und ohne sie anzusehen. Ganz der Vater, dachte Caidy. Dies war offensichtlich die Familie des neuen Tierarztes, und zumindest seine Tochter schien nicht nur die blauen Augen ihres Vaters zu haben, sondern auch seine abweisende Art.

„Setz dich“, befahl das Mädchen ihrem Bruder.

Der Junge ignorierte seine Schwester und ging zu Caidy, wo er sich direkt vor sie hinstellte. „Hallo.“ Er strahlte sie an. „Ich bin Jack Caldwell. Meine Schwester heißt Ava. Und du?“

„Ich heiße Caidy“, antwortete sie.

„Mein Daddy ist ein Hundedoktor.“

„Nicht nur Hunde“, verbesserte das Mädchen. „Er behandelt auch Katzen. Und manchmal auch Pferde und Kühe.“

„Ich weiß“, sagte Caidy. „Deshalb bin ich hier.“

„Ist dein Hund krank?“, fragte Jack.

„Er hatte einen Unfall auf unserer Ranch. Euer Vater hilft ihm gerade.“

„Unser Dad kann das wirklich gut“, sagte das Mädchen mit sichtlichem Stolz. „Ihr Hund wird bestimmt wieder gesund.“

„Unser Hund kam mal unter ein Auto, und mein Dad hat ihn geheilt“, erzählte Jack. „Aber er hat nur noch drei Beine. Jetzt heißt er Tri.“

„Tri kommt von ‚drei‘“, erklärte Ava mit wichtiger Miene. „Wie bei Triathlon, wo es drei Sportarten gibt.“

Bevor sie weiter plaudern konnten, ging die Schwingtür wieder auf, und die ältere Frau kam zu ihnen zurück.

„Es sieht so aus, als wären wir heute zum Abendessen allein, Kinder. Euer Dad behandelt einen verletzten Hund, und das dauert noch eine Weile.“

„Sie wohnen im Cold Creek Inn?“, bemerkte Caidy.

Die Frau nickte und sah sie etwas zurückhaltend an. „Ja. Sind wir uns schon begegnet?“

„Ich bin Caidy Bowman. Meine Schwägerin führt das Hotel.“

„Sind Sie die Schwester von Officer Bowman?“ In der Stimme der Frau schwang jetzt ein Hauch von Wärme mit. Caidys Bruder Taft hatte oft diese Wirkung auf Frauen jedes Alters.

„Ja“, bestätigte Caidy. „Ich bin die Schwester der beiden Bowmans.“ Mit zwei Brüdern, von denen einer der Chef der örtlichen Polizei, der andere der Chef der örtlichen Feuerwehr war, bekam sie das meiste, was in Pine Gulch passierte, ziemlich hautnah mit.

„Ich bin Anne Michaels, die Haushälterin von Dr. Caldwell. Im Augenblick bin ich eher nur das Kindermädchen, denn im Hotel gibt es für mich nicht viel zu tun.“ Nun war wohl das Eis gebrochen, und die Frau erzählte ganz von selbst.

„Dr. Caldwell baut ein Haus an der Cold Creek Road. Es hätte eigentlich schon letzte Woche fertig sein sollen, aber es gab alle möglichen Probleme, und jetzt sitzen wir noch immer im Hotel fest. Dort ist alles ganz wunderbar, aber es bleibt eben ein Hotel. Nach drei Wochen haben wir alle das Hotelleben satt. Und nun müssen wir wohl sogar noch Weihnachten und Neujahr dort auf den Koffern verbringen.“

Das erklärte vielleicht die Gereiztheit des Mannes. Schon regte sich ein leichtes Mitgefühl in Caidy, aber dann dachte sie wieder daran, wie er sie vorhin geradewegs aus dem Behandlungszimmer hinausgeschoben hatte. Nein, Dr. Caldwell war wohl schon so miesepetrig auf die Welt gekommen. Er und Festus würden ein prima Paar abgeben.

Sie erfuhr noch mehr von Anne Michaels, während die Kinder sich über ein Smartphone beugten, das Ava aus ihrem kleinen Rucksack gezogen hatte, und sie nicht weiter beachteten. Der Frau tat es offenbar gut, einmal jemandem alles zu erzählen. Sie selbst kam aus Kalifornien, Dr. Caldwell hingegen aus Chicago. Er war zum Studieren nach Kalifornien gezogen und hatte dort seine Frau kennengelernt.

„Ich bin seit Jacks Geburt bei ihnen. Nach dem Tod ihrer Mutter haben mich die armen Kinder wirklich gebraucht. Dr. Caldwell auch. Das war eine furchtbare Zeit.“

Caidy nickte.

„Als er beschloss, hierher nach Idaho zu ziehen, hat er mir angeboten, mich mit den besten Referenzen gehen zu lassen. Aber das habe ich nicht über mich gebracht. Ich hänge an den Kindern.“

Das konnte Caidy verstehen, sie selbst liebte ihre Nichte Destry wie ihr eigenes Kind. Sie kümmerte sich um das Mädchen, die Tochter ihres Bruders Ridge, seit dessen Mutter ihn und die Kleine vor Jahren verlassen hatte.

„Wir haben überlegt, vorübergehend etwas zu mieten, bis das Haus fertig ist.“ Mrs. Michaels war zu ihrem Unterkunftsproblem zurückgekehrt. „Aber Ben meint, wir werden niemanden finden, der uns etwas nur für ein paar Wochen vermietet. Erst recht nicht über die Feiertage.“

Caidy dachte an das Vorarbeiterhäuschen auf ihrer Ranch, das leer stand, seit das junge Paar, das einige Zeit für sie gearbeitet hatte, nach Texas weitergezogen war. Es hatte drei Schlafzimmer und wäre vermutlich genau richtig für die Caldwells, aber Caidy zögerte. Sie mochte Dr. Caldwell nicht. Warum sollte sie ihn auf ihrem Grundstück einquartieren, wo sie ihm dann dauernd begegnen würde?

„Ich kann mich gern einmal umhören, wenn Sie möchten“, meinte sie freundlich. „Es gibt ein paar Ferienwohnungen im Ort, da hätten Sie wenigstens über Weihnachten und Neujahr etwas Privatsphäre, bis das Haus fertig ist.“

„Wie nett von Ihnen!“, rief Mrs. Michaels aus.

Caidy bekam ein schlechtes Gewissen. Wenn sie wirklich nett wäre, hätte sie ihnen einfach das Vorarbeiterhäuschen angeboten!

Nachdem die Haushälterin mit den Kindern gegangen war, erschien Caidy das Wartezimmer noch eintöniger und kälter. Es war erst kurz nach sechs, aber schon stockdunkel draußen. Rastlos blätterte sie noch kurz in der Zeitschrift herum, dann schlug sie das Heft zu und legte es auf den Stapel zurück.

Sie konnte nicht länger untätig herumsitzen. Schließlich war das ihr Hund da drin. Sie hatte ein Recht zu wissen, was los war. Und so nahm sie allen Mut zusammen, holte tief Luft und stieß die Schwingtür zum Behandlungstrakt auf.

2. KAPITEL

Ben Caldwell richtete sich auf. Der letzte Stich an der Wundnaht war gesetzt. Er hatte pochendes Kopfweh, und seine Schultern schmerzten von dem langen Tag, der heute Morgen um vier mit einem Notruf zu einem kranken Pferd begonnen hatte.

Er sehnte sich nach einem gemütlichen Abend mit den Kindern und später vielleicht noch einer Basketballübertragung im Hotelfernseher. Auch wenn er dabei den Ton leise stellen musste, um Jack nicht zu wecken. Seit Wochen schlief sein Sohn nun mit ihm im selben Zimmer.

Die letzte Woche war hart gewesen, ohne eine Verschnaufpause. Ben seufzte. Aber genau das hatte er ja gewollt! Es war viel Arbeit, aber er hatte endlich die Möglichkeit, seine eigene Praxis aufzubauen, neue Menschen kennenzulernen und vielleicht an diesem Ort Wurzeln zu schlagen.

„So, das war’s fürs Erste“, bemerkte er müde zu Joni.

„Als ich sah, wie dicht das Loch neben der Leber war, dachte ich nicht, dass er es überlebt“, entgegnete Joni. Sie lächelte erleichtert.

Ben erwiderte das Lächeln etwas gequält. Nach diesen ersten drei Wochen schien seine Assistentin noch immer volles Vertrauen in seine Arbeit zu haben. Er wollte ihr nicht sagen, dass er keineswegs sicher war, ob der Hund die Nacht überleben würde.

„Ich glaube, er schafft es“, fuhr Joni fort, optimistisch wie immer. „Nicht wie der arme Neufundländer heute Mittag.“

Die ganze Niedergeschlagenheit des heutigen Nachmittags kam wieder in Ben hoch, während er dem Border Collie den Verband anlegte. Es war bitter gewesen. Der wunderschöne Neufundländer war von einem fahrenden Pick-up heruntergesprungen und von einem nachfolgenden Auto überrollt worden.

Jener Hund hatte nicht so viel Glück wie Luke gehabt. Die Verletzungen waren zu schwer gewesen, und das Tier war ihm auf seinem Behandlungstisch gestorben.

Aber was Ben am meisten deprimiert hatte, war die Haltung des Besitzers gewesen. Mister Palmer hatte sich mehr über das Geld gegrämt, das er in die Behandlung seines Hundes stecken sollte, als über dessen Tod.

„Beide Unfälle wären nicht passiert, wenn die Besitzer nicht so verantwortungslos gewesen wären“, stieß Ben aus.

Es kam so heftig heraus, dass Joni, die schon mit Aufräumen und Putzen begonnen hatte, ihn überrascht ansah.

„Was Artie Palmer angeht, da haben Sie recht“, stimmte sie ihm zu. „Er ist ein Idiot und sollte überhaupt keine Tiere halten dürfen. Aber Caidy Bowman tun Sie unrecht! Sie ist wirklich eine Tierfreundin. Sie bildet auf der River Bow Ranch Hunde und Pferde aus, und keiner in der Gegend macht das so gut wie sie.“

„Den kleinen Kerl hier hat sie nicht besonders gut ausgebildet, wenn er draußen herumgerannt ist und sich mit einem Bullen angelegt hat, nicht?“

„Offenbar nicht“, ertönte eine Stimme von der Tür her.

Ben fuhr herum und blickte in das hübsche, angespannte Gesicht der Besitzerin des Hundes. Innerlich fluchte er. Er stand zu dem, was er gesagt hatte, aber Miss Bowman hätte das nicht zu hören brauchen.

„Hatte ich Sie nicht gebeten, draußen zu warten?“

„Gebeten?“ Sie zuckte die Achseln. „Befohlen, meinen Sie wohl eher. Und ich reagiere nun einmal allergisch auf Befehle, Dr. Caldwell.“

Irgendwann, während Ben den Hund versorgt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er sehr grob zu der Frau gewesen war. Er bestand sonst nur darauf, dass die Besitzer der Tiere draußen warten sollten, wenn er das Gefühl hatte, sie hätten einen schwachen Magen. Warum hatte er mit Caidy Bowman eine Ausnahme gemacht?

Irgendetwas an ihr machte ihn nervös. Er hätte nicht sagen können, was, aber vielleicht hatte es etwas mit ihren unglaublich grünen Augen zu tun. Und mit der Art, wie sie beim Sprechen den Mund leicht verzog, sodass er dauernd hinsehen musste.

„Wir sind gerade fertig. Ich hätte Sie jetzt geholt“, stellte er nüchtern fest.

Wortlos trat Caidy Bowman an den Tisch, auf dem ihr Hund noch unter der Wirkung der Narkose lag.

„Ach, Luke, mein Kleiner.“ Sie strich dem Tier sanft über den Kopf. Der Collie öffnete kurz die Augen, und sein Atem wurde ruhiger.

„Es dauert wohl noch eine halbe Stunde, bis die Auswirkungen der Narkose verschwinden. Und dann behalten wir ihn am besten über Nacht hier.“

„Bleibt jemand in der Nacht bei ihm?“

In seiner früheren Praxis in San José hatten er und ein Assistent sich nachts abgewechselt, wenn sie sehr kranke Tiere da hatten, aber hier fehlte es ihm noch an Personal.

Ben nickte nur und verabschiedete sich im Geist von seinem ruhigen Abendessen und dem Basketballspiel im Fernsehen. Er hatte sich in letzter Zeit schon an das Klappbett in seiner Praxis gewöhnt. Was würde er nur ohne Mrs. Michaels machen, die sich um die Kinder kümmerte? „Jemand wird da sein. Machen Sie sich keine Sorgen“, versicherte er Caidy Bowman.

Warum wirkte sie so überrascht? Dann wurde ihm klar, dass es eine Reaktion auf seinen sanften Tonfall war. Er hatte sich vorher wohl wirklich furchtbar benommen.

Er räusperte sich. „Es tut mir leid wegen … vorhin.“ Entschuldigungen fielen ihm nie leicht. Aber diese war nötig. „Als ich Sie bei der Behandlung nicht dabeihaben wollte, meine ich. Und was ich so alles gesagt habe. Normalerweise bin ich nicht so … grob. Es war ein harter Tag, und ich fürchte, ich habe meine Anspannung an Ihnen ausgelassen.“

Sie blinzelte, aber sie verbarg alle Gefühle hinter einer undurchdringlichen Miene. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich nur noch mehr wie ein Idiot. Es war ein sehr seltenes Gefühl, das er überhaupt nicht mochte.

„Sie konnten sein Bein retten, darüber bin ich sehr froh. Ich war fast sicher, dass Sie es amputieren müssen“, entgegnete sie neutral.

„Dann hätte er Ihnen als Ranchhund nicht mehr viel genützt, nicht wahr?“

Caidy Bowman bedachte ihn mit einem Blick, der so eisig war wie die Dezembernacht draußen. „Wahrscheinlich nicht. Zum Glück ist das nicht das Einzige, was für mich zählt.“

Sie war also nicht wie sein voriger Klient, dem nichts an seinem verletzten Hund, sondern nur an Dollars und Cents gelegen hatte.

„Luke hatte ein Riesenglück“, stimmte Ben zu. „Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, einem wütenden Bullen lebend zu entkommen. Seine Verletzungen hätten viel schlimmer sein können. Offenbar hat sich der Bulle noch zurückgehalten.“

„Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie dabei gewesen wären. Festus war außer sich. Als ich Luke von ihm wegzog, ist er so heftig gegen den Zaun gerannt, dass einer der Pfosten aus der Verankerung flog.“

Sie hatte den Hund weggezogen? Sie hatte sich mit einem wütenden Bullen angelegt? Die Frau war verrückt!

Der Hund winselte leise. Caidy beugte sich zu ihm, und ihr dunkles Haar mischte sich mit dem weiß-dunklen Fell des Tieres. Zärtlich und leise redete sie auf ihn ein.

Ben musste noch die Papiere ausfüllen, aber er konnte sich nicht losreißen. Er stand da, sah zu, wie Caidy Bowman mit ihrem Hund umging, und schnitt innerlich eine Grimasse bei dem Gedanken, wie falsch er sie am Anfang beurteilt hatte.

Ein Hauch von Vanille und Wildblumen wehte von ihr herüber, in wunderbarem Kontrast zu den sonst eher wenig angenehmen Gerüchen einer Tierarztpraxis.

Unwillkürlich sog er den Duft ein, und sein Blick hing an der geschwungenen Linie ihres Halses, an dem kleinen Muttermal, gerade unterhalb des Ohrläppchens, das sichtbar wurde, wenn sie sich das Haar hinters Ohr schob …

Ben wurde bewusst, welche Richtung seine Gedanken nahmen, und er unterbrach sich abrupt, über sich selbst erschrocken. Er zwang sich, ein paar Schritte wegzugehen und den Klang ihrer leisen Stimme auszublenden, mit der sie den Hund tröstete.

Seine Assistentin hatte er fast vergessen, bis Joni aus der Garderobe kam und im Gehen schon ihren Parka überzog. „Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt gehe? Tut mir leid, aber es ist schon nach halb sieben, und meine Weihnachtsfeier beginnt in einer halben Stunde. Ich muss auch noch schnell nach Hause und die Kekse holen.“

„Nein, nein, gehen Sie nur. Tut mir leid, dass es heute so spät geworden ist.“

„Sie konnten ja nichts dafür!“

„Mein neugieriger Hund war schuld“, bemerkte Caidy mit einem schiefen Lächeln und sah kurz zu ihnen herüber.

Joni zuckte die Achseln. „Unfälle passieren nun mal. Erst recht auf einer Ranch.“

War das ein kleiner Vorwurf an seine Adresse? Ben fühlte sich ein weiteres Mal wie ein Idiot. Die beiden Frauen hatten natürlich recht. Auch der vorsichtigste Tierbesitzer konnte nie alles verhindern.

„Danke, Ben. Gute Nacht“, sagte Joni.

„Ich bringe Sie raus“, sagte er, wie jeden Abend, wenn sie hier zusammengearbeitet hatten.

Und wie so oft verdrehte Joni lachend die Augen. Sie hielt seine Fürsorge für übertrieben, das war ihm klar. Seine Praxis in San José hatte nicht in der besten Gegend der Stadt gelegen, und er hatte immer darauf geachtet, dass die Frauen, die für ihn arbeiteten, draußen sicher zu ihrem Auto kamen.

Vielleicht war er da altmodisch, doch als er noch studierte, war eine Mitstudentin und gute Freundin nach einer späten Abendvorlesung auf dem Weg zu ihrem Wagen überfallen worden, und das hatte er nie vergessen.

Die kalte Luft draußen machte ihn wieder munter. Der Schnee rieselte jetzt in sanften Flocken zur Erde. Die Häuser in der Nachbarschaft blinkten mit ihrer fröhlichen Weihnachtsbeleuchtung, und Ben bedauerte, dass er nicht wenigstens ein paar Lichterketten in die Fenster seiner Praxis gehängt hatte.

Jonis Geländewagen war eingeschneit, und er half ihr, den Schnee herunterzufegen.

„Danke, Dr. Caldwell“, sagte Joni lächelnd. „Sie sind der einzige Chef, den ich je hatte, der mir die Scheiben freikratzt.“

Ben nickte und winkte ihr noch kurz zu, als sie einstieg, und kehrte dann erfrischt in die Praxis zurück. Er zog die Tür auf und hörte Fetzen einer leisen Melodie.

Caidy summte. Ben blieb stehen, lauschte und erkannte „Greensleeves“. Er wagte sich nicht zu bewegen, um den Zauber nicht zu zerstören.

An ihrem melodiösen Summen erkannte er, dass Caidy Bowman eine schöne Stimme hatte. Sie musste seine Anwesenheit gespürt haben, denn sie sah hoch und errötete leicht. „Luke hat sich ein bisschen bewegt, und … es schien ihn zu beruhigen.“

Das überraschte Ben nicht. Auf ihn hatte die Melodie dieselbe Wirkung gehabt. „Ab jetzt kümmern wir uns schon um ihn. Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Bowman.“

„Einfach Caidy, bitte. Niemand nennt mich hier ‚Miss‘.“

„Caidy.“

„Kommt irgendjemand, um Sie abzulösen?“

Er zuckte die Achseln. „Ich habe ein Klappbett in meinem Büro. Bei nächtlichen Notfällen richte ich mich hier ein.“

Damit hatte er sie ein weiteres Mal überrascht, erkannte Ben.

„Ich … danke“, sagte sie zögernd.

„Sie werden eine entsprechend hohe Rechnung bekommen“, warnte er sie lächelnd.

„Das habe ich erwartet.“ Sie zögerte immer noch.

„Alles wird gut, fahren Sie jetzt ruhig nach Hause. Kommen Sie, ich bringe Sie raus.“

„Erweisen Sie jeder Frau, die hierherkommt, diesen Service?“

„Ich muss ohnehin abschließen“, bemerkte er nur.

Sie holte ihren Mantel und zog ihn an.

Ben führte sie den Weg zurück zum Seiteneingang. Der Mond schimmerte durch die Wolken und zeichnete schwach glitzernde Lichtflecken auf den Neuschnee.

Caidy Bowman fuhr einen alten, schlammverkrusteten Pick-up. Heuballen stapelten sich hinten auf der Ladefläche.

„Seien Sie vorsichtig. Die Straßen sind glatt.“

„Seit meinem sechzehnten Lebensjahr bin ich auf diesen Straßen unterwegs. Ich komme mit ein bisschen Schnee zurecht.“

„Das bezweifle ich nicht. Ich möchte nur nicht, dass Sie die Nächste sind, die hier heute genäht werden muss.“

„Danke für alles“, sagte Caidy aufrichtig. „Es tut mir sehr leid, dass wir Sie jetzt um Ihren Abend mit Ihren Kindern gebracht haben.“

Verwundert sah Ben sie an.

„Ich habe mich im Wartezimmer vorhin ein bisschen mit Ihrer Haushälterin unterhalten“, fügte sie erklärend hinzu.

Er nickte. Was mochte Mrs. Michaels ihr wohl sonst noch alles erzählt haben? Aber warum kümmerte ihn das überhaupt?

„Morgen ist die Praxis geschlossen“, antwortete er. „Da verbringe ich den ganzen Tag mit Ava und Jack. Wir werden uns vielleicht auf die Suche nach einem möblierten Häuschen machen, sonst gibt es demnächst einen Aufstand von Mrs. Michaels, und das wäre eine Katastrophe für mich.“

Caidy Bowman öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Dabei hatte Ben das deutliche Gefühl, als würde sie etwas innerlich abwägen. Ihr Blick wanderte zu der Tür, durch die sie gerade herausgekommen waren, dann wieder zu ihm, und sie holte tief Luft. „Wir haben ein leer stehendes Vorarbeiterhäuschen auf der Ranch, in dem Sie über die Feiertage unterkommen könnten. Sie können es sich gern einmal anschauen.“

Die Worte schienen gegen ihren Willen herauszukommen. Das bemerkte Ben nur flüchtig, so verblüfft war er über das Angebot. Sie waren sich heute zum ersten Mal begegnet, er war extrem unfreundlich zu ihr gewesen, und hier bot Caidy Bowman ihm völlig überraschend an, alle seine aktuellen Probleme mit einem Schlag zu lösen.

Während er noch nach Worten suchte, fügte sie hinzu: „Ich muss mich nur noch mit meinem Bruder Ridge abstimmen. Wir können morgen früh, wenn ich wiederkomme, noch einmal darüber reden.“

„Vielen Dank.“

Sie lächelte ihm zu, und in diesem Augenblick kam der Mond hervor. Das Licht, kombiniert mit ihrem Lächeln, verwandelte ihre Züge und ließ sie auf einmal nicht nur hübsch, sondern hinreißend schön aussehen.

„Danke noch einmal für alles, was Sie getan haben“, gab sie zurück. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Er sah ihr nach, bis die Scheinwerfer ihres Pick-ups in der Dunkelheit verschwanden.

3. KAPITEL

„Der neue Tierarzt braucht das Haus nur für ein paar Wochen?“

Caidy nickte und sah zu, wie ihr ältester Bruder seinen Teller und den seiner Tochter vom Abendessen in die Geschirrspülmaschine stellte.

Jetzt sah Ridge sie aufmerksam an. Sie kannte diesen Blick, es war sein typischer ‚Was hast du dir bloß dabei gedacht?‘-Ausdruck. Ridge war zehn Jahre älter als sie, und sie standen sich sehr nah. Er hatte sich nach dem Tod ihrer Eltern in ihren letzten Highschooljahren um sie gekümmert und war immer ihr Fels in der Brandung gewesen, selbst, als seine eigene Ehe zerbrach. Unter seinem harten Äußeren verbarg sich ein sehr weicher Kern.

„Laura wird nicht begeistert sein, dass du ihre zahlenden Gäste abwirbst“, bemerkte er.

Caidy schüttelte den Kopf. Mit ihrer Schwägerin und guten Freundin hatte sie schon gleich telefoniert, und die hatte sofort zugestimmt. Sie hatte schon selbst Mitleid mit der Familie bekommen, die in ihrem Hotel seit Wochen aus den Koffern lebte.

Nach einer langen Pause nickte Ridge endlich. „Es schadet wohl nichts, wenn Dr. Caldwell und seine Familie hier für ein paar Wochen wohnen. Das Haus steht ja leer. Vielleicht muss man mal lüften und die Spinnweben entfernen.“

„Ich kümmere mich um alles“, erklärte Caidy.

Das war also geklärt. Nur war sie keineswegs erleichtert. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen? Sie wollte den Tierarzt doch eigentlich hier gar nicht haben!

Obwohl Ben Caldwell ihr vorhin am Ende schon in etwas freundlicherem Licht erschienen war. Wieder dachte sie daran, wie überraschend sanft er mit Luke umgegangen war, und an das Mitgefühl in seinen tiefblauen Augen.

„Was hältst du von seinen beruflichen Fähigkeiten?“, erkundigte sich Ridge.

„Er hat ja keine leichte Nachfolge angetreten“, antwortete sie knapp.

„Nach allem, was ich von den Leuten gehört habe, macht er seine Arbeit gut“, bemerkte ihr Bruder.

Caidy wollte nicht noch länger über den Tierarzt reden. Es reichte, dass sie ständig an ihn denken musste, seit sie die Praxis verlassen hatte.

„Was habe ich vorhin gehört, hast du zu Destry etwas von einer Schlittenfahrt gesagt?“, entgegnete sie, um das Thema zu wechseln.

Ridge spähte durch die offene Tür hinüber ins Esszimmer, wo Destry am Tisch saß und sich über ihre Hausaufgaben beugte.

„Sie hat mich gefragt, ob sie Gabi und ein paar Freundinnen am Sonntagabend zu einer richtigen Ausfahrt mit dem Pferdeschlitten einladen kann, mit Glöckchengebimmel und allem Drum und Dran.“

Und natürlich hatte Ridge es seiner Tochter nicht abschlagen können. „Sie liebt den ganzen Weihnachtszauber“, sagte er achselzuckend. „Was soll ich denn machen?“

Caidy und ihre Brüder gaben sich um der Kinder willen immer Mühe an Weihnachten und überspielten jedes Jahr ihre eigenen traurigen Erinnerungen, die mit dem Fest verbunden waren.

„Wann kommen die Mädchen?“

„Um sieben, nach dem Essen.“

Wie jedes Wochenende kamen am Sonntagabend ihre beiden anderen Brüder Taft und Trace mit ihren Frauen und Kindern zum Familienessen auf die Ranch, und an dieser noch gar nicht sehr alten Tradition hielten sie immer fest.

„Du könntest mitfahren und ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen lassen“, bemerkte Ridge ernst, während er die Arbeitsplatte abwischte und das Tuch neben das Spülbecken legte.

Caidy schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht.“ Sie wussten beide, wie viel Ridge damit von ihr verlangte.

„Willst du mich wirklich allein losschicken, mit fünf oder sechs kichernden Mädchen?“

„Nimm auch noch einen der Hunde mit“, schlug Caidy lachend vor, obwohl ihr nicht nach Lachen zumute war.

Ridge schnitt eine Grimasse, doch dann wurde er schnell wieder ernst. „Es ist jetzt elf Jahre her, Caidy. Trace und Taft leben ihr Leben und haben Familien gegründet. Ich wünschte, auch du könntest dich an Weihnachten wieder ein bisschen freuen.“

Jeder von ihnen hatte in den Jahren seit dem Tod ihrer Eltern versucht, auf seine Weise weiterzumachen. Ridge war noch ernster und verschlossener geworden, Taft hatte sich ins pralle Leben gestürzt und eine Zeit lang Dates mit den wildesten Frauen gehabt, und Trace war ein unerbittlicher Hüter des Gesetzes geworden.

Und Caidy verkroch sich noch immer hier in River Bow.

„Du musst irgendetwas machen“, sagte Ridge. „Vielleicht solltest du es noch mal mit dem Studium versuchen.“

„Vielleicht.“ Sie war heute nach all den Aufregungen und den Stunden, die sie in der Praxis mit Warten verbracht hatte, zu müde, um mit ihrem Bruder zu diskutieren. „Danke, dass du den Tierarzt im Vorarbeiterhäuschen wohnen lässt. In ein paar Wochen zieht er in sein eigenes Heim.“

So leicht konnte sie Ridge nicht täuschen. Natürlich merkte er, dass sie absichtlich das Thema gewechselt hatte. Er nickte nur. „Dann haben wir für ein paar Wochen also unseren eigenen Tierarzt auf der Ranch. Das könnte noch nützlich werden, mit deiner ganzen Menagerie.“

Caidy verzog das Gesicht. Sie war ganz bestimmt nicht scharf darauf, Ben Caldwells ärztliche Hilfe so bald wieder in Anspruch nehmen zu müssen.

In der Nacht waren über zehn Zentimeter Neuschnee gefallen. Er hing schwer auf den Ästen der Bäume, die sich unter seinem Gewicht bogen und den Ort in eine Märchenlandschaft verwandelten. In der Ferne erhoben sich die malerischen, schroffen Berge.

Es war noch vor sieben Uhr, als Caidy am nächsten Morgen über die stillen, ungeräumten Straßen zur Tierarztpraxis fuhr. Sie hatte nicht gut geschlafen und wild geträumt.

Als sie die Praxis erreichte, war sie nicht allzu verwundert, dass der Parkplatz noch nicht geräumt war. Ihr hoher Pick-up mit seinem Vierradantrieb rollte mühelos durch den Schnee. Um das Räumfahrzeug später nicht bei der Arbeit zu behindern, parkte sie am Ende des Platzes neben einem schneebedeckten Range Rover, der vermutlich Ben Caldwell gehörte.

Auf dem Weg zum Eingang sah sie, dass dort der Gehweg schon freigeschaufelt war. Der Haupteingang war verschlossen, aber sie zögerte nicht lange und ging direkt zum Seiteneingang. Zu den Zeiten von Doc Harris war das immer ihr üblicher Weg gewesen. Mit großen Schritten stapfte sie durch den Schnee und genoss die klirrende Kälte und den Duft der schneebedeckten Kiefern. Sie klopfte mehrmals kräftig an die Tür, und als keine Antwort kam, probierte sie den Türknauf. Wider Erwarten ließ er sich mühelos aufdrehen.

Caidy rang kurz mit sich und trat dann einfach ein. Gerade wollte sie sich durch Rufen bemerkbar machen, da verschlug es ihr den Atem bei dem Anblick, der sich ihr bot. Die Tür zum Umkleideraum war aufgegangen, und der neue Tierarzt kam heraus, nur in Jeans, mit nacktem Oberkörper. Im Gehen rubbelte er sich das nasse Haar trocken.

Seine Brust war breit, mit kräftigen Muskeln und einem feinen Streifen Haar, der sich über den Waschbrettbauch nach unten zog und im Bund seiner Levi’s verschwand. Den obersten Knopf der Jeans hatte er noch nicht geschlossen.

Eine warme Welle durchflutete Caidy. Ihre Zehen kribbelten, und ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie da stand und ihn einfach nur anstarrte.

Er trocknete sich noch immer das Haar und hatte sie nicht bemerkt. Seine Oberarmmuskeln bewegten sich rhythmisch, und Caidy hatte völlig vergessen, warum sie hier war. Plötzlich ließ er das Handtuch sinken und erblickte sie.

Seine Pupillen wurden groß und dunkel, und eine gefühlte Ewigkeit lang erwiderte er ihren Blick. Knisternde Spannung hing zwischen ihnen in der Luft. Caidy zitterten die Knie, und jeder Gedanke war aus ihrem Kopf verschwunden.

Irgendwann räusperte Ben sich. „Hallo. Ich habe Sie gar nicht reinkommen hören.“

„Ja, Entschuldigung.“ Ihre Stimme klang belegt, und bei dem Gedanken, dass er sah, wie sie ihn angestarrt hatte wie Destry und ihre Freundinnen bei einem Konzert von Justin Bieber, wäre sie am liebsten im Boden versunken. „Ich habe geklopft, die Tür war nicht verschlossen und … da waren Sie.“

Oh Gott, konnte sie noch dümmer klingen? Sie wäre am liebsten durch die Tür wieder hinausgerannt und hätte ihr Gesicht irgendwo in einen Schneehaufen gesteckt. „Ich … kann ja später wiederkommen.“

„Warum?“ Ben griff nach einem sauberen Kittel, und sie konnte den Blick einfach nicht abwenden, als er den Kittel über seine breite Brust zog, bis der kleine Haarstreifen auf seinem Bauch verschwand.

Sein Haar war noch immer nass und stand nach allen Seiten ab. Ben versuchte es mit einer Handbewegung zu glätten, aber das ließ ihn nur noch verwuschelter und anziehender aussehen.

Caidy schluckte. „Ich bin sehr früh dran, entschuldigen Sie. Ich habe mir Sorgen gemacht, wie die Nacht verlaufen ist.“

Ben Caldwell zuckte die Achseln, und dabei las sie etwas in seinem Blick, das sie nicht deuten konnte. „Es ging ganz gut. Luke hat die meiste Zeit geschlafen. Ich denke, bald ist er bereit für einen kleinen Spaziergang vor der Tür.“

Deshalb hatte er den Gehweg freigeschaufelt, für Luke! Sie hatte sich gewundert, warum er sich die Mühe gemacht hatte, da er ihr ja gesagt hatte, dass die Praxis heute geschlossen sein würde.

Eine weitere plötzliche Wärmewelle durchflutete Caidy. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Sie war nicht an einem schwierigen, reizbaren Tierarzt interessiert.

Auch wenn er einen Waschbrettbauch hatte, den zu berühren es sie in den Fingern juckte …

Sie wurde rot und wandte den Blick ab. Dein Hund! Sie war hier, um nach Luke zu sehen. Nicht, um sich in völlig unangebrachten Fantasien über einen Mann zu ergehen, der demnächst auch noch einen Steinwurf von ihr entfernt wohnen würde.

„Ich kann mit ihm hinausgehen, wenn Sie meinen, dass er das schon schafft“, erklärte sie.

„Wir waren heute Nacht einmal draußen. Er kam ganz gut zurecht. Versuchen wir es wieder.“

Rasch ging sie zu dem Korb, in dem Luke lag.

Als würde der Hund ihre Gegenwart spüren, öffnete er die Augen und versuchte, mit dem Schwanz zu wedeln, was ihr fast das Herz brach. „Schsch, ganz ruhig. Wie geht es dir, mein Kleiner?“

Der schwarze Hundeschwanz schlug wieder an die weichen Tücher im Innern des Korbs. Luke versuchte sich aufzurappeln, aber dann gab er es mit einem Winseln auf.

„Zeit für die nächsten Schmerzmittel. Gleich gibt es eine Tablette in etwas Erdnussbutter“, bemerkte Ben Caldwell.

Caidy kraulte den Hund am Kinn. „Ich hoffe, du hast Dr. Caldwell nicht die ganze Nacht wach gehalten?“

„Es ging ganz gut.“ Ben hatte sich noch nicht rasiert, und die dunklen Schatten auf den Wangen verliehen seinem Gesicht etwas Wildes, Ungezähmtes. Jetzt sah er sie direkt an. „Es gab ein paar heikle Momente. Ehrlich gesagt war ich nicht ganz sicher, dass er die Nacht überstehen würde. Aber er ist ein zäher kleiner Kerl.“

„Es hilft, einen guten Tierarzt zu haben“, erwiderte Caidy. Nicht einmal Doc Harris wäre wahrscheinlich die ganze Nacht in der Praxis geblieben, auch wenn es ihr nicht leichtfiel, sich das einzugestehen.

Jetzt stand Ben Caldwell neben ihr und fuhr dem Hund ebenfalls behutsam übers Fell. Ihre Finger berührten sich unabsichtlich, und Caidy entging nicht, wie schnell er seine Hand fortzog.

„Wann kann ich ihn mitnehmen?“, fragte sie.

„Vielleicht heute im Lauf des Tages, wenn er stabil bleibt.“

„Das wäre wunderbar. Vielen Dank für alles.“

Er zuckte die Achseln. „Dafür bin ich da.“

„Ich habe gestern Abend mit meinem Bruder gesprochen. Sie und Ihre Familie können gern das Vorarbeiterhäuschen beziehen, bis Ihr Haus fertig ist.“

„Ach ja?“ Er sah erfreut und erleichtert aus. „Das würde die Weihnachtstage natürlich in jeder Hinsicht viel angenehmer machen.“

„Vielleicht wollen Sie zur Ranch kommen und sich das Häuschen anschauen, ehe Sie zusagen. Sie wissen ja nicht, was für Räuberhöhlen wir hier vielleicht an ahnungslose Neuankömmlinge vermieten.“

Zum ersten Mal lächelte Ben Caldwell. Es war kein strahlendes Lächeln, aber ein echtes. Ihr Magen flatterte wieder. Was war nur los mit ihr? Sie reagierte sonst nicht so auf Männer. Ja, sie hatte hin und wieder ein Date, sie war keineswegs die Einsiedlerin, als die ihre Brüder sie gern hinstellten.

Sie ging gern einmal essen oder mit jemandem ins Kino, aber üblicherweise achtete sie darauf, dass alles heiter und entspannt blieb. Die wenigen Male, wo ein Mann versucht hatte, sie zu mehr zu bewegen, hatte sie sich bedrängt und unter Druck gesetzt gefühlt und sich ganz schnell zurückgezogen.

Caidy konnte sich nicht erinnern, jemals eine so heftige Reaktion auf einen Mann erlebt zu haben, so ein plötzliches Begehren. Sie war nicht gewohnt an dieses kribbelige, schwindlige Gefühl, als stünde sie oben in der Scheune, kurz vor einem Sprung in den großen Heuhaufen hinunter.

Lächerlich. Sie war ja noch nicht einmal sicher, ob sie Ben Caldwell mochte. Auf jeden Fall war sie nicht bereit, mit ihm in irgendeinen Heuhaufen zu springen, im übertragenen oder wörtlichen Sinn.

Tief holte sie Luft und rückte unmerklich ein Stück von ihm ab, bis ihre Schultern sich nicht mehr so nah waren.

„Ich könnte gegen Mittag bei Ihnen aufkreuzen, wenn Joni da ist. Sie kommt um zehn“, bemerkte Ben Caldwell.

„Prima, das lässt mir noch die Zeit, all die Mausefallen und Kakerlakennester verschwinden zu lassen.“

Diesmal lachte er herzlich. Es war ein voller, tiefer Klang, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte, als hätte Ben Caldwell dort seine Lippen hingedrückt.

Sie hatte einen gigantischen Fehler begangen. Warum hatte sie das Vorarbeiterhäuschen erwähnt? Das Letzte, was sie auf der Ranch brauchte, war ein Fremder mit einem umwerfenden Oberkörper und einem unwiderstehlichen Lachen, der sie völlig durcheinanderbrachte. „Soll ich Ihnen noch helfen, mit Luke rauszugehen?“, bot sie bemüht munter an.

„Nein, das mache ich schon.“

Sie nickte. „Dann bis später“, sagte sie und kraulte Luke noch einmal am Kopf. „Du musst noch ein bisschen hierbleiben, und dann kommst du nach Hause.“

„Wissen Sie, er wird vielleicht nie mehr ein Arbeitshund. Ich habe die Knochen geflickt, so gut ich konnte, aber er wird nie schnell genug oder stark genug sein, um mit den Rindern zu arbeiten.“

„Wir sind nicht so hartherzig, dass er sich sein Essen verdienen muss, Dr. Caldwell. Er hat auch so einen Platz in River Bow. Wir haben noch jede Menge andere Tiere, die bei uns ihr Gnadenbrot bekommen.“

„Ich bin froh, das zu hören“, sagte er.

Caidy ignorierte sein hinreißendes Lächeln und das Kribbeln, das es in ihr auslöste.

Sie lief zur Tür, aber Ben war vor ihr da, hielt die Tür für sie auf und ließ ihr keine andere Wahl, als sich auf dem Weg nach draußen an ihm vorbeizudrücken.

Sie konnte sich zusammennehmen! Es würde nur für ein paar Wochen sein, und vermutlich würde sie viel öfter seine Haushälterin und die Kinder zu Gesicht bekommen als ihn, wenn er weiter solche Arbeitszeiten beibehielt.

4. KAPITEL

„Aber mir gefällt es da. Wir können immer mit Alex und Maya spielen, und andere Leute machen uns jeden Morgen Frühstück.“

Ben unterdrückte einen Seufzer und warf einen Blick in den Rückspiegel. Sie waren in seinem Geländewagen unterwegs zur River Bow Ranch.

Er hatte schon damit gerechnet, dass seine kratzbürstige neunjährige Tochter jede neue Veränderung ihrer Situation erst einmal ablehnen würde.

„Im Cold Creek Inn ist es nett“, stimmte er ihr zu. „Aber hättest du nicht auch gern mehr Platz zum Spielen und für dich?“

„Irgendwo in der Pampa bei einem Haufen Kühe? Nein, danke.“

Ben wusste, woher Ava diesen hochmütigen Ton hatte: von ihren Großeltern mütterlicherseits.

Ava hatte sich sehr dagegen gesträubt, von den Eltern seiner verstorbenen Frau getrennt zu werden. Sie hing an ihren Großeltern und versuchte bei jeder Gelegenheit, Zeit bei ihnen zu verbringen. In den letzten zwei Jahren seit Brookes Tod hatten Robert und Janet Marshall seiner Tochter den Kopf systematisch mit mehr oder weniger diskreten Andeutungen und niederträchtigen Bemerkungen gefüllt, um Avas Beziehung zu ihm zu untergraben.

Die Marshalls wollten das Sorgerecht für die Kinder, und dazu war ihnen jedes Mittel recht.

Ben machte sich vor allem selbst Vorwürfe. Nach Brookes Tod war er zu hilflos und von Trauer erfüllt gewesen, um zu sehen, was für Gräben die Schwiegereltern in seine Beziehung zu seinen Kindern gruben. Zum ersten Mal hatte er es vor etwa einem halben Jahr gemerkt. Nachdem die Kinder ein Wochenende bei den Großeltern verbracht hatten, hatte Jack sich am nächsten Tag geweigert, ihn zu umarmen.

Erst nach ein paar Tagen und auf viel behutsames Nachbohren hin hatte der Junge endlich weinend gestanden, dass Grandma Marshall ihm erzählt hatte, sein Vater würde Hunde und Katzen töten, die niemand wollte. Zu jener Zeit hatte Ben in einem Tierheim gearbeitet, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Tiere gerade vor diesem Schicksal zu bewahren!

Von da an hatte er nach Kräften versucht, zu den Marshalls auf Abstand zu gehen, aber sie hatten weiter alles getan, um ihm seine Kinder zu entfremden. Sie hatten sogar vor Gericht ein regelmäßiges Besuchsrecht bei ihren Enkelkindern beantragt.

Ben wusste, dass er sie nicht für immer fernhalten konnte, aber um seine Beziehung zu seinen Kindern zu retten, hatte er nur eine Lösung gesehen: irgendwo anders hinzuziehen. Weit weg.

„In ein paar Wochen ist unser Haus fertig“, sagte er jetzt zu Ava und drehte sich kurz nach hinten um. „Hast du Mrs. Michaels leckere Abendessen nicht vermisst?“

„Ich, ja!“, meldete sich Jack von seinem erhöhten Kindersitz. „Sie macht die besten Käsenudeln der Welt!“

„Ich fand Essen gehen gut, und das Essen aus der Mikrowelle im Zimmer auch“, beharrte Ava. „Es hat mich kein bisschen gestört.“

„Und Weihnachten? Willst du wirklich Heiligabend im Hotel verbringen, wo wir nicht mal einen Weihnachtsbaum haben?“

Seine Tochter antwortete nicht gleich, und Ben sah, dass sie versuchte, auf dieses Argument eine Antwort zu finden. Schnell nutzte er den Moment: „Probieren wir es einfach aus, in Ordnung? Wenn es uns allen nicht gefällt, bleiben wir über die Feiertage im Hotel.“

Ava verzog das Gesicht, aber fürs Erste schien ihr nichts mehr einzufallen, und sie verfiel in ihr zurzeit übliches vorwurfsvolles Schweigen.

In diesem Augenblick bog Ben unter dem großen Holzbogen mit der Aufschrift „River Bow“ in die Zufahrt zur Ranch ein. Kiefern und Pappeln säumten den Weg. Zwar war die Straße gut geräumt, aber Ben war froh über seinen Vierradantrieb, als er über einen leichten Hügel auf das Haupthaus der Ranch zufuhr, das vor ihnen in der Ferne lag.

Nicht weit vor dem Haus bog ein Weg seitlich ab. Etwa hundert Meter weiter sah er dort ein kleineres, schindelgedecktes Haus mit einer breiten Veranda.

Es war ein Anblick wie auf einer der Weihnachtskarten, die die Praxis erhalten hatte, ein wohnliches Häuschen zwischen schneebedeckten Kiefern. Zwei Reihen Zäune säumten den schnurgeraden Weg dorthin.

„Können wir auf den Pferden reiten, wenn wir hier wohnen?“, fragte Jack und sah begeistert auf eine Gruppe von sechs oder sieben Pferden hinaus, die im Schnee standen und ein paar Ballen Luzerne fraßen. Die Ballen sahen aus, als wären sie gerade abgeladen worden.

Ben schüttelte den Kopf. „Wohl kaum. Wir mieten nur ein Haus, nicht die ganze Ranch.“

Ava sah ebenfalls aus dem Fenster hinaus auf die Pferde, und ihm entging das Leuchten in ihren Augen nicht. Sie liebte Pferde, wie die meisten neunjährigen Mädchen.

Aber selbst die Pferde konnten sie nicht erweichen. „Du hast gesagt, wir gucken es uns an, und wenn es uns nicht gefällt, müssen wir nicht bleiben“, sagte sie fest.

Manchmal zehrte seine Tochter an seinen Nerven. Ben nickte widerwillig. „Ja, das habe ich gesagt.“

„Mir gefällt’s hier, hier gibt es Hunde und Pferde und Kühe“, erklärte Jack mit seiner unschlagbaren Kindergartenlogik.

Zwei Border Collies, die Luke sehr ähnlich sahen, beobachteten sie von der Veranda des großen Hauses aus, als Ben auf den weiten, runden Platz vor dem Haus vorfuhr.

Während er noch überlegte, was er als Nächstes tun sollte, ging die Haustür auf, und Caidy Bowman kam die Stufen herunter. Im Gehen zog sie sich einen Parka über. Sie musste nach ihnen Ausschau gehalten haben, die lange Auffahrt ließ jeden Ankömmling schon von fern erkennen.

Ihr braunes Haar trug sie zu einem Zopf geflochten, und darüber, wie alle hier, einen Cowboyhut. Sie sah sehr hübsch, frisch und unkompliziert aus, aber Ben hatte schon in der Praxis das undeutliche Gefühl gehabt, dass Caidy Bowmans Leben vielleicht nicht so einfach war, wie es den Anschein hatte.

Als Caidy näher kam, öffnete er die Wagentür und stieg aus.

„Das Haus ist gleich da drüben.“ Sie wies zu dem kleinen Haus zwischen den Bäumen. „Sie können mit dem Wagen hinfahren, Ridge hat den Weg heute Morgen mit dem Traktor geräumt. Wir treffen uns dann dort.“

Ben ging um seinen Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. „Steigen Sie ein. Wir können doch zusammen hinfahren.“

Aus irgendeinem Grund schien sie zu zögern, aber dann kam sie zu ihm und stieg ein. Er schlug von außen die Tür zu, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Das Erste, was er bemerkte, als er wieder am Steuer saß, war der Duft, der das Wageninnere erfüllte. Vanille und Wildblumen im Regen auf einer Bergwiese.

Ein völlig unangebrachter Wunsch überfiel ihn, diesen Duft tief einzusaugen, hier im Auto, mit den Kindern auf dem Rücksitz. Jeder Gedanke war beinahe aus seinem Kopf verschwunden. Er wollte nur noch diese Süße genießen.

„Willkommen auf der River Bow Ranch.“

Als er Caidy einen raschen Blick zuwarf, merkte er, dass sie sich nach hinten gewandt hatte und zu seinen Kindern sprach. Vielleicht zum ersten Mal, seit er sie kannte, lächelte sie aufrichtig. Es war wie ein heller, wunderschöner Sonnenstrahl an diesem trüben kalten Dezembertag.

„Kann ich auch mal reiten?“

„Jack“, versuchte Ben ihn kopfschüttelnd zu bremsen.

Aber Caidy lachte nur. „Das lässt sich sicher einrichten. Wir haben einige Pferde, die sehr nett zu Kindern sind. Mein Liebling ist Old Pete. Er ist so ziemlich das gutmütigste Pferd der Welt.“

Jack strahlte sie an. „Ich kann das bestimmt gut. Ich habe Stiefel und das alles.“

„Du bist so doof. Nur weil du Stiefel hast, bist du noch lange kein Cowboy“, sagte Ava ungeduldig.

„Und du, Ava, magst du Pferde?“, wandte Caidy sich freundlich an das Mädchen.

Im Rückspiegel entging Ben die eifrige Zustimmung im Blick seiner Tochter nicht, aber sie verbarg sie schnell. Manchmal fragte er sich, ob Ava nicht mehr wagte, auf etwas zu hoffen, weil alle ihre Gebete und Wünsche nicht ausgereicht hatten, um ihre Mutter am Leben zu erhalten.

„Kann sein“, sagte Ava jetzt und zupfte konzentriert am Ärmel ihres Parkas, ohne hochzusehen.

„Dann bist du hier ja richtig. Ich wette, meine Nichte Destry nimmt dich gern mal mit zum Ausreiten.“

Ava machte große Augen. „Destry aus meiner Schule? Das ist Ihre Nichte?“

Caidy lächelte. „Ich glaube schon. Es gibt nicht so viele Destrys in der Gegend. Ihr kennt euch also?“

Ava nickte heftig.

In dem Augenblick rollten sie vor dem Häuschen vor.

„Da wären wir“, sagte Caidy. „Ich habe vorhin, als ich hier geputzt habe, die Heizung aufgedreht. Es ist hoffentlich schon ein bisschen warm.“

Ben warf ihr einen raschen Blick zu. Warum tat sie das alles für ihn und die Kinder, wo er sich nicht einmal sicher war, dass Caidy sie wirklich hier haben wollte?

„Demnach sind die Rattenfallen alle verschwunden?“, fragte er lächelnd.

„Ratten?“, rief Ava entsetzt.

„Es gibt keine Ratten“, beruhigte Caidy sie schnell. „Wir haben hier in River Bow viel zu viele Katzen. Dein Vater hat nur Spaß gemacht, stimmt’s?“

Ben wunderte sich über sich selbst. Es war eine Weile her, seit er einen Anlass zum Spaßen gefunden hatte. Irgendwie brachte Caidy Bowman eine lang vergessene Seite in ihm wieder zum Vorschein. „Ja, Ava, das war nur Spaß.“

Aus Avas Gesichtsausdruck zu schließen, schien dieser Gedanke seine Tochter fast so durcheinanderzubringen wie die Vorstellung von riesigen Nagetieren in ihrem Haus.

„Ich will die Ratten sehen!“, rief Jack.

„Da sind keine Ratten“, versicherte Ben allen noch einmal, während Caidy die Haustür aufstieß. Die Tür war nicht abgeschlossen. Was für ein Unterschied zu seiner sicherheitsbewussten Welt in Kalifornien!

Kaum waren sie eingetreten, empfing sie ein Duft von Tannennadeln.

„Schau!“, rief Jack. „Ein Weihnachtsbaum! Ein echter, ganz für uns allein!“

In der Ecke stand tatsächlich ein etwas gerupft aussehender mannshoher Tannenbaum mit vielen bunten Lichterketten.

Ben starrte den Baum an. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Irgendwo in ihm zerbrach ein weiterer kleiner Eisbrocken, von dem er kaum gewusst hatte, dass er da war. „Das hätten Sie nicht tun müssen“, sagte er etwas brummiger als beabsichtigt.

„Kein Problem“, gab Caidy zurück. In der Wärme des Zimmers schienen ihre Wangen sich leicht gerötet zu haben. „Wir schlagen unsere eigenen Bäume in den Bergen oben, und dieses Jahr haben meine Brüder ein paar mehr gefällt. Der hier war übrig.“

Sie führte sie durchs Haus, und Ben versuchte, nicht hinzusehen, wie sie vor ihm die Treppe hinaufstieg und ihre Jeans sich an ihre weichen Kurven schmiegte.

„Ach, du meine Güte“, sagte Caidy plötzlich, als sie alle nach der Hausführung wieder unten in der Diele standen. „Wo kommst du denn her, altes Mädchen?“

Sie sprach zu einem Collie, dem man sein Alter ansah, mit ergrauter Schnauze und müden Augen, der auf einmal in der Haustür aufgetaucht war. Caidy kniete sich zu ihm und streichelte den Hund. „Das ist Sadie. Meine beste Freundin, sie ist dreizehn, und wir haben allerhand zusammen durchgemacht.“

Beide Kinder kicherten, sogar Ava, was Ben mit großer Erleichterung erfüllte.

Dann wurde er sich bewusst, dass Caidy ihn ansah. Ihre Hand lag noch immer auf dem Kopf des Hundes. Er spürte wieder dieselbe erregende Spannung zwischen ihnen wie heute Morgen, als er aus der Dusche gekommen war und Caidy an der Tür gestanden hatte.

Der Augenblick dehnte sich zwischen ihnen, und Ben konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Nur am Rande bekam er mit, dass Jack und Ava schon wieder in den Geländewagen kletterten und dabei wie üblich stichelten.

Hierherzukommen war keine gute Idee gewesen. Ben erwog, Caidy zu sagen, dass er es sich anders überlegt hatte. Ich kann nicht hier einziehen, weil ich fürchte, ich werde etwas Dummes tun, wenn wir beide uns ständig über den Weg laufen. Wie lächerlich das klang.

Aber jetzt, wo er das gemütliche kleine Haus gesehen hatte, wollte er auch nicht zurück in ihre zwei Hotelzimmer. Er würde sich einfach bemühen, Caidy Bowman aus dem Weg zu gehen. So schwierig konnte das nicht sein. „Wenn Luke stabil genug ist, bringe ich ihn nachher gleich mit, wenn wir wiederkommen“, sagte er stattdessen.

Caidy lächelte ihn dankbar an, und wieder fühlte Ben, wie es ihn unwiderstehlich zu ihr hinzog.

„Danke! Das wäre toll, nicht wahr, Sadie?“

Der Hund schien zustimmend zu lächeln.

„Luke ist Sadies Urenkel“, erklärte sie den Kindern. „Also, dann sehen wir uns vielleicht nachher. Ich freue mich, dass ihr einziehen wollt.“

Als Ben von der Ranch fortfuhr, warf er einen Blick in den Rückspiegel. Caidy Bowman stand noch da. Sie blickte in die fahle Wintersonne, die durch die Wolken drang, und ihre Hand ruhte auf dem ergrauten Kopf des Border Collies.

Aus irgendeinem Grund hatte Ben bei dem Anblick plötzlich einen Kloß im Hals, und es fiel ihm schwer, den Blick abzuwenden.

5. KAPITEL

Caidy hatte eine verwirrende Stimmung aus Erregung und Furcht. Eine düsterte Vorahnung sagte ihr, dass das Leben auf der Ranch sich ändern würde, möglicherweise sogar unwiderruflich. Die seltsame, unruhige Stimmung klebte ihr an den Fersen wie die Collies bei einem Gewitter, während sie mit Destry die Ställe ausmistete. Sadie lag im warmen Stroh auf dem Bauch und beobachtete sie gelassen.

„Brauchen die Ladys ein bisschen Hilfe?“ Ridge war im Tor erschienen.

Destry strahlte ihren Vater an. Sie genoss es, wenn er sie eine „Lady“ nannte. Und das ist sie ja auch bald, dachte Caidy. Ihr kleiner Liebling wuchs heran, jetzt war sie bald elf, und nächstes Jahr würde sie schon auf eine weiterführende Schule gehen. Wie würde ihr Leben ohne Destry hier werden?

„Du könntest uns noch ein paar frische Strohballen bringen“, sagte sie zu ihrem Bruder.

„Wird gemacht. Des, komm mit, hilf deinem alten Dad.“

Die beiden verschwanden, während sie über irgendetwas lachten, und wieder stieg eine unerklärliche Niedergeschlagenheit in Caidy auf.

Ihr Bruder und Destry brauchten sie im Grunde nicht mehr. Als Ridge mit seiner kleinen Tochter allein zurückgeblieben war und in Schwierigkeiten steckte, hatte Caidy damals ohne Zögern ihre Hilfe angeboten. Ja, damals war sie erleichtert gewesen, dass sie etwas Sinnvolles zu tun bekam.

Caidy lehnte ihre Wange an den Stiel der Schaufel und betrachtete Sadie, die friedlich vor sich hin schnarchte. Niemand brauchte sie hier, nicht einmal Sadie.

Sie seufzte schwer, und in dem Augenblick kam Ridge zurück, allein, mit einem Strohballen auf jeder Schulter.

„Fragst du dich, ob es richtig war, den neuen Tierarzt und seine Familie bei uns aufzunehmen?“, bemerkte er.

Und ob sie sich das fragte! Aber Caidy zuckte nur die Achseln, griff nach einer Heugabel und begann, das Stroh zu verteilen. „Wieso? Er hat für ein paar Wochen ein Dach über dem Kopf gebraucht, und wir haben hier ein leeres, voll eingerichtetes Haus stehen.“

Ridge nickte. „Destry wird sich freuen, dass noch andere Kinder über die Feiertage hier sind.“

„Wo steckt sie eigentlich?“

Ridge griff nach der zweiten Heugabel, um ihr zu helfen. „Die kleinen Kätzchen haben sie abgelenkt. Sie ist oben auf dem Heuboden und spielt mit ihnen.“

Ihre Nichte liebte Tiere genauso wie Caidy im selben Alter. Vielleicht würde ja Destry eines Tages an ihrer Stelle Tierärztin.

Ridge schien Caidys düstere Stimmung zu spüren und deutete sie auf seine Weise. „Du weißt, wie sehr Mom Weihnachten geliebt hat. Sie würde nicht wollen, dass dir Weihnachten durch ihren Tod für immer verdorben ist.“

„Ich weiß.“ Das war ein altes Thema zwischen ihnen. „Tu nicht so, als wäre ich die Einzige. Du magst Weihnachten auch nicht mehr.“

„Ja, aber es wird Zeit, dass wir beide endlich darüber hinwegkommen. Nehmen wir uns ein Beispiel an Trace und Taft.“

Ihr wart nicht da! wollte sie aufschreien. Keiner ihrer Brüder war dabei gewesen. Sie war es gewesen, die sich im Wandschrank versteckt und den schweren Atem ihrer sterbenden Mutter gehört hatte. In dem Wissen, dass sie nicht das Geringste tun konnte.

Ihr wart nicht da, und ihr wart nicht dafür verantwortlich.

Das konnte sie nicht laut zu Ridge sagen. Sie hatte es nie gekonnt. Stattdessen verteilte sie ziellos noch mehr Stroh.

„Du solltest dein Studium wieder aufnehmen.“

Nein, über all das wollte Caidy nicht reden, erst recht nicht heute, wo sie sich so merkwürdig fühlte, als wäre der Boden unter ihren Füßen ins Wanken geraten. „Ich bin schon siebenundzwanzig, Ridge. Ich glaube, die Zeiten für die Schulbank sind vorbei.“

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie zulassen sollen, dass du nach deinem ersten Studienjahr zurückkommst. Glaub mir, ich habe es oft bereut, mehr als ich sagen kann. Nachdem Melinda mich verlassen hatte, habe ich dich hier gebraucht. Ich habe mich abgestrampelt, um gleichzeitig die Ranch zu führen und mich um Destry zu kümmern.“

Er zog seine Handschuhe aus, steckte sie hinten in seine Jeanstaschen und zupfte sich mechanisch am Ohrläppchen. Die Worte waren nicht leicht für ihn, das wusste Caidy. Von ihren drei Brüdern war Ridge der stoischste. Er verbarg seine Gefühle und Gedanken hinter der Härte, die nötig war, um eine Ranch wie River Bow zu leiten.

„Es war meine eigene Entscheidung, Ridge. Ich wollte nach Hause. Ich hätte das Studium sowieso abgebrochen, egal, ob du mich hier brauchtest.“

„Nicht, wenn ich es dir mit dieser weichen Landung zu Hause nicht so einfach gemacht hätte.“

Caidy wusste nicht, ob ihre Brüder ihr den Tod ihrer Eltern vorwarfen. Sie hatte immer Angst gehabt, zu fragen, und keiner von ihnen hatte je darüber gesprochen.

In gewisser Hinsicht mussten sie es ihr einfach anlasten. Normalerweise wären Caidy und ihre Eltern an jenem verhängnisvollen Abend vor elf Jahren gar nicht zu Hause gewesen. Nur deshalb war aus einem Kunstraub ein Doppelmord geworden, als ihr Vater versucht hatte, die Diebe aufzuhalten.

Autor

RaeAnne Thayne

RaeAnne Thayne hat als Redakteurin bei einer Tageszeitung gearbeitet, bevor sie anfing, sich ganz dem Schreiben ihrer berührenden Geschichten zu widmen. Inspiration findet sie in der Schönheit der Berge im Norden Utahs, wo sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern lebt.

Foto: © Mary Grace Long

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