Bianca Weekend Band 18

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VON LIEBE KEIN EINZIGES WORT? von CRYSTAL GREEN

Nick Cassidy ist zurückgekehrt! Endlich sieht Meggie ihren Jugendfreund wieder. Und erzählt ihm von ihrem großen Kummer. Nick handelt sofort: Er gibt Meggie und ihrem Baby seinen Namen – allerdings spricht er nur von einer Vernunftehe. Und so muss Maggie sich schon bald fragen, ob sie nicht einen großen Fehler gemacht hat ...

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Jetzt kann nur noch eine helfen: Emily! Harry muss überraschend ein Baby versorgen und braucht dringend Unterstützung! Auch wenn er Emily vor Jahren verlassen hat: Sie ist die Einzige, an die er sich wenden kann. Und vielleicht kann er auch ihr Herz wieder erobern …

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  • Erscheinungstag 17.02.2024
  • Bandnummer 18
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527552
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Crystal Green, Caroline Anderson, Christie Ridgway

BIANCA WEEKEND BAND 18

PROLOG

„Liebst du mich, Nick?“ Meg Thornton warf ihm einen schmachtenden Blick zu und schmiegte sich an seine Brust.

Der vierzehn Jahre alte Nick Cassidy schluckte. Meg und er hatten sich vor Chad Spencer in einer Felsspalte versteckt, die sie auch vor der heißen Sonne Kentuckys schützte. In der Nähe erklangen laute Rufe.

Die von Chad. Dem Sonnyboy.

Beide atmeten schwer. Nick fühlte Megs schnellen Herzschlag an seinem Arm. Ihr Haar duftete nach Erdbeeren. Hastig sah er zur Seite. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, hier dicht an Meg gedrängt zu hocken.

Jetzt waren auch die Stimmen der anderen zu hören, und Meg schaute ihn mit ihren großen grünen Augen an. Augen wie Glasmurmeln, klar und kühl. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte sie nicht verletzen, das einzige Kind in Kane’s Crossing, das ihn nicht wie den letzten Dreck behandelte. Die Erwachsenen, von seiner neuen Pflegefamilie und Megs Tante einmal abgesehen, waren kaum besser.

Meg seufzte, setzte sich aufrecht hin und klopfte sich umständlich ihren hübschen bunten Rock ab, um Nick nicht ansehen zu müssen.

Er riss einen Grashalm aus und steckte ihn sich zwischen die Zähne. „Werde jetzt nicht rührselig, okay?“

Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass sie nicht sauer sein würde. Aber der tieftraurige Ausdruck in ihren Augen bewies, dass er etwas Falsches gesagt hatte.

„Schon gut.“ Aus dem Augenwinkel sah er, wie Meg ihren erröteten Kopf senkte.

Seit einem Jahr lebte er in Kane’s Crossing, und er wusste, dass sie jeden Sommer ihre Tante besuchte. Im Ort wurde gelästert, dass sie mit ihren flatternden weiten Röcken und der wirren Lockenpracht einer Zigeunerin glich. Manche der Kinder verspotteten sie sogar als Hexe. Aber das war ihr egal. Sie und ihre Tante Valentine, die in dem unheimlichen Haus auf dem Hügel wohnten, lachten nur darüber.

„Hoffentlich findet Chad uns nicht. Ich hasse es, wie er redet“, flüsterte Meg.

Nick presste die Faust gegen seine abgetragene Jeans. „Keine Bange, Meggie“, beruhigte er sie.

Über ihnen trampelten Schritte, während ein hämisches Lachen ertönte. Nick blickte hoch und sah einen Schatten auf dem Felsen.

„Bringt er dir Französisch bei, Meg?“, höhnte Chad, und die anderen fingen an zu grölen. „Oder kriegt der Bastard den Mund nicht auf?“

Meg setzte an, um Chad eine schlagfertige Antwort zu geben, aber Nick brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. „Hau ab!“, knurrte er, wobei er Chad drohend anschaute.

„Hey, er kann ja sprechen.“ Chad bewegte sich. Sein goldblondes Haar blitzte im Sonnenlicht. Herausfordernd starrte er Nick mit seinen blauen Augen unter den modisch gegelten Haaren an, und den hochgestellten Kragen seines Markenpolohemds fand Chad wohl besonders hip. „Wie wär’s mit einer Mutprobe? Oder hast du Schiss?“

Nick erhob sich, streckte die Hand aus und half Meg hoch. Er hatte beschlossen, den Schleimbeutel mit Schweigen zu strafen.

Auch Chad stand auf. „Wenn du genug Mumm hast, komm heute Abend um neun zu Chaney’s Drugstore. Dann werden wir ja sehen, wie dir mein linker Haken gefällt.“

Er drehte sich um, warf aber Meg noch ein selbstgefälliges Grinsen über die Schulter zu.

Als die Clique verschwunden war, berührte Meg Nick am Arm und sah ihn besorgt an. „Geh nicht hin. Komm zu mir, wir schauen uns ein paar Videos an.“

Nick war dankbar, dass sie ihm einen Ausweg bot. Nicht viele Mädchen in ihrem Alter verstanden, dass ein Junge sein Gesicht wahren musste.

Aber tief in seinem Herzen wusste er genau, wo er heute Abend sein sollte. Sich mit Chad Spencer messen. Beweisen, dass er nicht nur das bemitleidenswerte Pflegekind war, das in Kane’s Crossing nichts zu suchen hatte.

1. KAPITEL

Oktober, sechzehn Jahre später

Meg Thornton musterte den düster blickenden Mann, der die Bäckerei betreten hatte. Er war groß, athletisch gebaut, trug eine Lederjacke und Cowboystiefel.

„Guten Tag“, sagte sie und wünschte, die Familie, die sich bei Kaffee, Kuchen und Limonade hier versammelt hatte, wäre nicht vor ein paar Momenten gegangen.

Der Fremde musterte sie durch seine Sonnenbrille. Sein Blick irritierte sie. War ihr grauer Pullover im letzten Monat zu eng geworden? Schaute der Mann auf ihre größer gewordenen Brüste? Würde er Meg ebenso verurteilen wie die übrigen Bewohner von Kane’s Crossing, wenn er wüsste, dass sie ein süßes kleines Geheimnis in ihrem Bauch verbarg?

Als sie keine Antwort bekam, fragte sie: „Kann ich etwas für Sie tun?“

Ihr Blick fiel auf das Loch im Knie der abgetragenen Jeans. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Wollte er sie ausrauben? Das Geld in der Kasse reichte nicht einmal für eine neue Hose, aber sie hatte die Miete für die Bäckerei zu bezahlen. Und in einigen Monaten bekam sie ihr Baby.

Trotzig hob Meg das Kinn. Sie war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Was wollen Sie, Mister?“, fragte sie selbstbewusst.

Er trat so nahe auf sie zu, dass Meg die Kerbe am stoppeligen Kinn sehen konnte. Seltsam, irgendetwas an dem Mann kam ihr bekannt vor. Langsam nahm er die Sonnenbrille ab. Unwillkürlich hielt Meg die Luft an.

Eisblaue Augen. Tiefgründig und undurchdringlich.

Er stand einfach da, als warte er auf eine Reaktion von ihr. Welche denn? Mochte sein, dass andere Frauen seufzend vor ihm zusammensanken, wenn er nur seine Sonnenbrille abnahm. Sie gehörte garantiert nicht dazu.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie betont akzentuiert.

Ein knappes Lächeln, dann blickte er auf seine Hände. Starke Hände.

Von einem der Resopaltische in der Ecke streckte der alte Deacon Chaney seinen Kopf neugierig vor. Großartig. So konnte sie wenigstens ihrem letzten Kunden etwas Unterhaltung bieten.

„Ich fasse es nicht“, röhrte er. „Sind wir hier im Wilden Westen?“

Meg ging das John-Wayne-Gehabe des Fremden auf die Nerven. „Was ist los mit Ihnen? Soll ich den Sheriff rufen?“

Als würde Sheriff Carson ihr zu Hilfe kommen, der sie genauso wie der Rest dieser hochmoralischen Gemeinde verachtete.

Der Mann musterte sie, bevor er ihr in die Augen blickte. Sie wurde rot. Ihr Instinkt riet ihr, sich in den hinteren Raum zu flüchten. Aber sie hatte sich noch nie versteckt. Nicht vor den Bewohnern der Stadt und gewiss nicht vor diesem Mann.

„Sie haben wohl nicht verstanden, dass ich gleich den Sheriff hole“, versuchte sie ihr Glück noch einmal, während sie sich im Stillen wünschte, er würde verschwinden.

Plötzlich brach der Mann in Lachen aus. „Dieser Sheriff ist keinen Penny wert.“ Er wollte seine Sonnenbrille wieder aufsetzen, überlegte es sich offenbar anders und schob sie in seine Hemdtasche. Dann ließ er sich auf einen der Barhocker nieder, beugte sich über den Tresen und strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Stoppelbart. Er lachte nochmals und schüttelte den Kopf.

Meg kannte ihn, da war sie sich jetzt sicher, doch sie konnte sein Gesicht noch nicht einordnen.

Als sie seinen Blick auffing, glaubte sie so etwas wie Schmerz in diesen unglaublich blauen Augen zu entdecken. Sie hatte ihn völlig falsch eingeschätzt. Offensichtlich war der Mann seelisch zerrüttet. Als wortlose Entschuldigung stellte sie eine Tasse Kaffee vor ihn hin. Ein Friedensangebot.

Er hob die Tasse und nahm einen Schluck. Mit verschränkten Armen vor der Brust trat Meg einen Schritt zurück. Was sollte sie sagen? Sie biss sich auf die Lippe. Normalerweise war sie nicht auf den Mund gefallen. Sie hatte gelernt, mit fremden Menschen zu reden. Oft genug kamen Touristen bei ihr vorbei. Was man von den Einheimischen eher nicht sagen konnte. Außer, sie wollten sich irgendeinen Spaß mit der Stadthexe machen, die ein uneheliches Kind bekam, aber nicht mit der Identität des Kindsvaters herausrücken wollte.

„Ist Chad Spencer in der Stadt?“

Überrascht schaute sie auf. „Nein, schon eine Weile nicht mehr.“

Deacon Chaney meldete sich wieder aus seiner Ecke. Sie hatte ihn beinahe vergessen.

„Wer interessiert sich dafür?“ Er hockte am Rand der Sitzbank, die Kleidung hing an ihm wie an einer Vogelscheuche.

Der Fremde zögerte. „Ein alter … Freund.“

Wieder löste seine Stimme dieses merkwürdige Prickeln auf ihrer Haut aus. Seit wann klangen simple so Worte sexy?

Jetzt hieß es aber, sich zusammenzunehmen. „Stammen Sie aus Kane’s Crossing?“

„Kann man nicht sagen.“

Das reichte Mr. Chaney als Information. „Chad treibt sich in Europa herum, lässt bestimmt die Puppen tanzen. Ohne ihn ist die Stadt besser dran, finde ich.“

„Das sollten Sie nicht sagen“, ermahnte Meg ihn. So sprach man nicht über den allmächtigen Chad Spencer, die Sportskanone von Kane’s Crossing. Den Herrscher über das Familienimperium. Stolz der Stadt. Schwarm aller Frauen.

Abfällig verzog Mr. Chaney den Mund und lehnte sich zurück.

„Eine Ahnung, wann Spencer zurückkommt?“, fragte der Fremde.

Meg tat so, als wäre sie beschäftigt. Er sollte nicht sehen, dass ihre Finger zitterten. Sie rückte Teller zurecht, putzte sie nach, entschlossen, seine Frage nicht zu beantworten.

Die Türglocke bimmelte heftig, als drei Männer den Raum betraten.

Sonny Jenks grinste mit nikotinbraunen Zähnen. „Na, was haben wir denn hinter Tür Nummer eins?“

Junior Crabbe, eine Baseballkappe auf dem Kopf, kratzte sich seinen schmutzigen Schädel. „Unser Flittchen. Zeig’s uns, Witchy Poo, wo hast du dein Lustfrüchtchen versteckt?“

Meg spürte, wie der Fremde erstarrte. Hoffentlich hielt er sich zurück. Mit diesem Abschaum wurde sie jederzeit allein fertig.

„Junior, es zieht“, erwiderte sie so ruhig wie möglich. „Entweder du kommst rein, oder du bleibst draußen. Und wenn du dich für drinnen entscheidest, kaufst du besser etwas.“

Die Männer lehnten sich an die Wand. Ihr schwankender Gang verriet, dass sie schon ein paar Gläser geleert hatten. Einer von ihnen, Gary Joanson, starrte die ganze Zeit zu Boden.

Sonny kratzte sich wie abwesend unter der Achsel. „He, Jungs, was denkt ihr? Nehmen wir ein paar Zaubermuffins von Chads Abgelegter?“

Im nächsten Moment sprang der Fremde vom Hocker und baute sich vor Sonny auf, der zurückwich. Die zwei anderen drängten sich feige an die Wand.

Großartig. Eine Schlägerei in der Bäckerei. Ganz Kane’s Crossing würde sich das Maul zerreißen.

„Lassen Sie’s gut sein, Mister …“

Der Mann schaute über die Schulter und hob eine Hand. „Niemand spricht so mit dir, Meggie. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.“

Die Angst vor der Prügelei schwand schlagartig. Es gab nur einen Menschen in ihrem Leben, der sie Meggie genannt hatte.

Verdammt. Kaum war er fünf Minuten in Meggie Thorntons Nähe, hatte er schon zu viel gesagt. Genau deswegen hielt er nicht viel vom Reden – irgendwann gab man etwas preis. Und seine Privatangelegenheiten waren nun mal seine Sache.

Der Feigling vor ihm sah aus, als würde ihm eine kräftige Abreibung guttun. Aber Nick hatte nicht vor, eine Schlägerei anzuzetteln. Nicht in dieser Stadt, die ihn vor Jahren als Kriminellen gebrandmarkt hatte. Er hatte auch nicht vor, sich mit irgendwelchen Tagedieben anzulegen. Es musste schon der allmächtige Chad Spencer höchstpersönlich sein.

Er trat noch einen Schritt auf den Kerl zu. „Ich habe nicht gehört, dass du dich bei der Lady entschuldigt hast.“

Der Mann quiekte. Na klar. Großes Maul und nichts dahinter. Spencers Kumpane waren nur tapfer, wenn er dabei war.

„Sonny, Junior, verschwindet doch einfach, okay?“, rief Meggie.

Sonny und Junior. Nick erinnerte sich gut. Zwei hirnlose Teenager, die ihm gemeinsam mit Chad Spencer das Leben zur Hölle gemacht hatten.

Er ballte eine Faust.

Nick wusste, seine Wut regte Meggie auf, und das wollte er am allerwenigsten. Er hätte gar nicht erst in die Bäckerei kommen sollen. In Spencer’s Bank hätte er alle Informationen bekommen. Niemals wäre Meggie einverstanden mit dem, was er vorhatte. Zumindest nicht die Meggie von damals.

Die Typen zögerten, dann nickte Sonny, und sie verzogen sich mit drohenden Blicken nach draußen.

Nick drehte sich wieder zu ihr um. Verdammt, er sah sie gern an. Das trotzige Kinn, die roten Locken, die grünen Augen, all das hatte ihn schon früher in den Bann gezogen. Aber die Jahre hatten bewirkt, dass ihr Kinn weniger trotzig wirkte, das Haar weniger schimmerte und in ihren Augen ein Schmerz stand, den er am liebsten auf der Stelle verscheucht hätte. Und ihr gertenschlanker Körper, früher so anmutig und lebendig, sah auch anders aus. Die Meggie von damals hatte nie weite graue Pullover getragen. Ihre kindliche Unbefangenheit war verschwunden, und es griff ihm ans Herz – und doch war da gleichzeitig ein anderes, unerwartetes Gefühl. Ein Verlangen, das mit der unschuldigen Sommerfreundschaft von damals nichts zu tun hatte.

Er wandte den Blick ab, denn er hatte nicht das Recht, etwas für Meggie zu empfinden. Ganz sicher erinnerte sie sich noch an den vierzehnjährigen Teenager, den man aus der Stadt warf, weil er Chaney’s Drugstore in die Luft gejagt hatte. Wie sollte sie ihn da in Kane’s Crossing willkommen heißen?

Nick fragte sich, warum diese Typen sie Chads Abgelegte genannt hatten.

Er hoffte sehr, dass er sich täuschte. Die Vorstellung, wie sie in den Armen seines Erzfeindes lag, war unerträglich.

Als er sich wieder zu ihr umwandte, stand sie da, die Hände in die Seiten gestemmt, und schüttelte den Kopf.

„Ich glaube es einfach nicht.“

Er senkte den Kopf wie ein Hund, der ausgeschimpft wurde, weil er Stinktiere gejagt hatte. „Tut mir leid, Ma’am.“ Vielleicht konnte er die ganze Sache tiefer hängen, einfach wieder verschwinden, so tun, als hätte er nie vor der Bäckerei gestanden, auf das Schild gestarrt und sich gewünscht, Meggie wiederzusehen.

„Nick Cassidy?“

Bei seinem Nachnamen brach ihre Stimme. Mit diesem Namen war er nicht geboren worden, aber das war egal. Vor einigen Jahren hatte er seine leiblichen Eltern ausfindig gemacht, und die tiefe Enttäuschung über sie nagte immer noch an seinem Selbstbewusstsein.

Wieder war da diese tiefe Traurigkeit in Meggies Augen. Was hätte er nicht alles gegeben, um sie zu vertreiben. Wie gern wäre er jetzt zu ihr hinübergegangen, hätte mit dem Daumen über ihr Gesicht gestrichen, über die Sommersprossen, an die er sich erinnerte. Ob ihre Haare immer noch nach Erdbeeren dufteten? Aber er wagte es nicht, das herauszufinden. Es war besser, jetzt zu verschwinden.

Nick wollte sich umdrehen und die Bäckerei verlassen, als sich der ältere Mann von der Bank erhob und sich vor ihn stellte.

„Cassidy?“ Prüfend starrten ihn die wässrigen Augen an.

Nick hakte seine Daumen hinter die Gürtelschlaufen seiner Jeans. Diese lässige Abwehrhaltung hatte er sich in vielen Pflegefamilien angewöhnt.

Der alte Mann verzog den Mund, grunzte kurz und ging hinaus.

„Das war Mr. Chaney. Du erinnerst dich bestimmt an ihn.“

Schwang da ein vorwurfsvoller Unterton in ihrer Stimme mit? Natürlich. Als sie ihn aus der Stadt warfen, hatten sie ihm nicht einmal die Chance gegeben, vorher mit jemandem zu sprechen – nicht mit seinen Pflegeeltern … nicht einmal mit deren Sohn Sam.

Oder Meggie.

Er hatte keinem erklären können, dass Spencer ihn zu einem Kampf an Chaney’s Drugstore herausgefordert und eine selbst gebastelte Bombe gezündet hatte, als Nick wie verabredet auftauchte. Alle waren überzeugt gewesen, dass Nick der Täter war. Dass er es abstritt, nützte ihm nichts. Sein Wort gegen das von Chad Spencer, dem Goldjungen der Stadt …

Seine Pflegeeltern wollten nichts mehr von ihm wissen. Das bereits angelaufene Adoptionsverfahren hatten sie gestoppt. Und selbst Sam, der große Bruder, den er bewundert hatte, wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Nachdem Nick einige Zeit in einer Jugendstrafanstalt verbracht hatte, kam er in eine andere Pflegefamilie.

Aber nun war er zurück, um einige Dinge klarzustellen.

Vor einigen Monaten hatte er einen Autounfall überlebt. Danach sah er die Vergangenheit mit anderen Augen. Ihm war bewusst geworden, dass es mitten in Amerika eine kleine Stadt gab, in der man das Schlimmste über ihn dachte. Und er würde keine innere Ruhe finden, ehe er seinen Namen nicht reingewaschen und Spencer nicht seine gerechte Strafe bekommen hatte.

Und Meggie verdiente eine Erklärung. „Wie ich sehe, hat man mich hier noch nicht vergessen.“

„Warum sollten sie dich vergessen haben? Du bist in dieser Stadt fast eine Legende.“

Offensichtlich glaubte sie Spencers Lügen. Ihr Sarkasmus schmerzte. „Du scheinst dir deine Meinung gebildet zu haben“, erwiderte er.

Meggie funkelte ihn an und ging zum Tresenende. Als er die leichte Rundung ihres Bauches bemerkte, hatte er das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube erhalten zu haben.

Zeig’s uns, Witchy Poo, wo hast du dein Lustfrüchtchen versteckt? Nehmen wir ein paar Zaubermuffins von Chads Abgelegter?

Großer Gott, lass es ein Irrtum sein, dachte er.

„Meine Meinung? Über die Jahre fällt das nicht schwer. Bist du etwa zurückgekommen, um Erklärungen zu liefern, Nick?“

Erklärungen liefern? Das ganz bestimmt nicht. „Was auch immer ich sage, kein Mensch wird es mir glauben.“ Er konnte nicht anders, immer wieder musste er auf ihren Bauch schauen.

Als sie dies bemerkte, lachte sie kurz auf. „Großartig. Du bist auch neugierig. Aber die Frage kannst du dir sparen.“

Er hatte gelernt, den Mund zu halten.

„Und?“ Sie strich sich eine rote Locke aus den Augen. Ihre Hand zitterte leicht. „Warum bist du zurückgekommen?“

Warum? Weil er Gerechtigkeit wollte. Weil er seine Pflegefamilie wiederfinden wollte, wobei er hoffte, dass sie ihm ein Verbrechen verziehen hatte, für das er nicht verantwortlich war.

Sie lachte, aber es klang nicht froh. „Was willst du von unserem alten Freund Chad?“

Obwohl sie leise sprach, schienen ihre Worte im Raum widerzuhallen.

„Nichts Besonderes.“

„Na klar …“

Nick sehnte sich zurück nach der Zeit, in der sie in den Felshöhlen Schutz vor dem Sommerregen gesucht hatten. Sehnte sich nach dem Baden im See und den langen Gesprächen über die Zukunft, wenn die untergehende Sonne den Horizont glühend orange auflodern ließ. Er sehnte sich nach dem Mädchen, das jedem ins Gesicht lachte, der es Witchy Poo – Hexenfurz – nannte. Aber dieses Mädchen gab es nicht mehr.

Meggie seufzte. „Warst du bei deinem alten Zuhause?“

„Niemand war da.“

„Es ist wirklich eine Sünde, weißt du. Es war ein schönes, einladendes Haus, mit seinen Blumenbeeten und dem großen Rasen. Nun ist es nur noch …“

Ihre Augen waren jetzt dunkel, fast wie das Wasser in Venedigs Kanälen. Auf all seinen Reisen, beladen mit einem Rucksack und zu vielen schmerzlichen Erinnerungen, hatte er niemals ein solches Grün wie das von Meggies Augen gesehen. Alles hatte er getan, um die Erinnerung daran zu verdrängen, während er sich seinen Collegebesuch verdiente, während er mit Interrail durch Europa fuhr, jede Nacht in einer anderen Jugendherberge unterkam. Aber sämtliche Abenteuer hatten den Hass auf Spencer nur noch verstärkt. Er allein war für Nicks Vertreibung aus der Stadt verantwortlich.

So führten all seine Wege nur zurück nach Kane’s Crossing. Zurück zu dem Zuhause, in dem er ein einziges Jahr verbracht hatte, geliebt und umsorgt von Pflegeeltern und seinem Bruder Sam, den er vergötterte.

Wieder hakte er die Daumen in die Gürtelschlaufen. „Was meinst du damit – es war?“

„Du weißt es nicht?“ Verwundert schaute sie ihn an.

Nick schüttelte stumm den Kopf, während er sich innerlich wappnete.

„Ich dachte, irgendjemand hätte es dir erzählt. Deine Pflegeeltern sind vor fünf Jahren gestorben.“

Er hatte das Gefühl, einen Schlag gegen die Brust bekommen zu haben. Damit sie seinen tiefen Schmerz nicht sah, wandte er den Kopf ab. Nun konnte er seinen Pflegeeltern nicht mehr danken, es gab keine Hoffnung auf Verzeihen.

„Wie?“

Sie machte eine Pause, bevor sie antwortete. „Ein Unfall in der Fabrik der Spencers. Nach dem Tod deines Dads hielt deine Mum noch ein Jahr durch. Dann erkrankte sie an einer Lungenentzündung und …“

Er brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er hätte wissen müssen, dass Chad Spencer schuld an ihrem Tod war.

Auch dafür würde der Mistkerl bezahlen.

„Sam verließ die Stadt. Seitdem hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Es gehen Gerüchte um, er wäre Cop in Washington geworden.“ Sie hielt einen Moment inne. „Er macht die Fabrik für den Tod seiner Eltern verantwortlich.“

Also war auch Sam verbittert. Nick musste an die vielen Abende denken, an denen sie beide auf dem Dach gesessen und von schönen Mädchen und schnellen Autos geträumt hatten.

Sam würde wohl seinen Plan unterstützen, mit dem er Chad Spencers Leben ruinieren wollte. Nick sehnte sich danach, Sams schiefes Grinsen wiederzusehen.

Er schluckte und riss sich zusammen. Dann deutete er mit dem Kopf auf Meggies gerundeten Bauch. „Ist das Spencers Kind?“

„Das geht dich verdammt noch mal nichts an!“ Sie trat wieder hinter den Tresen und wischte ihn mit hektischen Bewegungen ab. „War schön, dich wiederzusehen, Nick. Kannst jetzt gern gehen.“

Einen Moment stand er da, während er überlegte, ob er ihr den wahren Grund für seine Rückkehr erzählen sollte. Er hatte sie fragen wollen, ob sie mit Spencer verheiratet sei, aber die Frage hatte sich inzwischen erledigt. So wie es aussah, würde Meggie alleinerziehende Mutter werden.

Er wartete darauf, dass sie noch etwas sagte. Irgendetwas, aber sie putzte weiter den Tresen.

Nick setzte seine Sonnenbrille auf und ging auf sie zu. Ihre Augen wurden groß, sie erstarrte. Die Angst, die sich auf ihrer Miene abzeichnete, erschütterte ihn. Bis heute hatte sie ihn noch nie so angesehen.

Zur Hölle damit. Wieso sollte es ihn interessieren, wenn sie sich mit einem Schuft wie Spencer eingelassen hatte? Inzwischen war sie erwachsen und alt genug, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, ohne dass Nick Cassidy sich als Retter aufspielte.

Er griff in die Tasche, holte ein Bündel Dollarnoten heraus und warf sie neben den Lappen auf die Theke. „Als Verdienstausfall, weil ich dir die Zeit gestohlen habe“, sagte er, bevor er sich zum Gehen wandte.

Sie hielt ihn nicht zurück, und er erwartete es auch nicht. Es war dumm gewesen, in die Bäckerei zu kommen, denn nun wusste er mehr über Spencer, als ihm lieb war.

Chads Abgelegte.

Er ging hinaus, hasste sich selbst, hasste Kane’s Crossing, aber noch viel mehr hasste er das, was Chad Spencer Meg angetan hatte.

Meg schaffte es nicht, ihr Zittern in den Griff zu bekommen.

Nick Cassidy war wieder hier. Mit zwölf hatte sie ihn zuletzt gesehen, mit ihm leer stehende Häuser erkundet, war stundenlang mit ihm an Eisenbahnschienen entlanggelaufen, um zu sehen, wohin sie führten …

Sie stieß die Schwingtür zur Backstube auf und begann die Zutaten für den Schokoladenkuchen zusammenzusuchen. Sie wollte sich von der Tatsache ablenken, dass Nick zurück war.

Als sie einen Blick aus dem beschlagenen Fenster warf, sah sie eine Gestalt.

Nick. Nun endlich hatte sie Zeit, ihn sich in Ruhe anzusehen. Vorher war sie einfach zu überrascht gewesen.

Er warf einen langen Schatten auf die staubige, mit herbstlichen Blättern übersäte Straße und schien durch seine Sonnenbrille auf das Schild über dem Hintereingang zu starren. Unter der dunkelbraunen Lederjacke trug er ein Flanellhemd, das seine muskulösen Schultern und die breite Brust bedeckte. Sein Haar, das sich über dem Kragen lockte, hatte die Farbe von reifem Weizen.

Dazu trug er eine ausgeblichene Jeans, und das ausgefranste Loch am Knie schien ihm gleichgültig zu sein. Aber die gebräunte Haut, die hindurchschien, regte Megs Fantasie an. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Finger in den Riss schob, sie über sein Knie gleiten ließ.

Da schaute er tiefer, und ihre Blicke begegneten sich. Sein Gesicht verriet nichts. Mit pochendem Herzen wich Meg rasch zurück, während ihr das Blut in den Ohren rauschte.

Nick drehte sich um, schlenderte die Hauptstraße hinunter und verschwand gleich darauf hinter einem rot-blauen Transparent mit der Aufschrift Willkommen daheim, Chad, das zwischen dem Mercantile Department Store und Darlas Schönheitssalon aufgehängt worden war.

Wieder ging er aus ihrem Leben, einfach so.

Sie wunderte sich, was er ausgerechnet in einem schäbigen Kaff wie Kane’s Crossing zu suchen hatte. Was wollte er von Chad Spencer?

Meg seufzte. Männer in dunkler Kleidung mit düsterer Ausstrahlung – sie regten eindeutig ihre Fantasie an. Und besonders der erwachsene Nick, wie sie sich eingestehen musste. Dabei hatte sie vor fünf Monaten den letzten Rest ihrer Unschuld verloren, aber anscheinend nichts daraus gelernt – wenn schon ein Loch in der Jeans eines Mannes Lustgefühle bei ihr auslösten.

Natürlich würde der Tratsch aufblühen. Die Spekulationen darüber, von wem das Kind war. Es würde wehtun. So sehr wie der Tod ihrer Tante Valentine? Oder eher ein dumpfer Schmerz wie der, als ihr der Vater des Kindes vor seinem Abflug nach Europa kurz und knapp erklärte, sie bedeute ihm nicht das Geringste?

Aber sie hatte sich geschworen, dass Chad Spencer nicht am Leben ihres Kindes teilhaben würde.

Niemals.

2. KAPITEL

Zwei Stunden später zog Meg ihre Schaffelljacke an und schloss die Tür zur Bäckerei hinter sich ab. Aus den Schornsteinen der Häuser stieg langsam Rauch in den Himmel, der ihr ihre Einsamkeit noch mehr bewusst machte. Zu Hause wartete niemand auf sie.

Wieder musste sie an Nick denken. Was wollte er denn von Chad?

Sie griff in die Jackentasche und fühlte das Bündel Zwanzigdollarscheine, das er auf den Tresen geworfen hatte. Das Geld würde gut für ein, zwei Monate reichen. Wieso konnte er es sich leisten, damit herumzuwerfen, als wäre es Konfetti?

Plötzlich meldete sich ihr Stolz. Dieses Trinkgeld konnte sie nicht behalten. Sie würde es ihm beim nächsten Mal zurückgeben.

Falls sie ihn überhaupt je wiedersah.

Bei dem Gedanken an Nick wurde ihr auf einmal seltsam heiß. Aus dem Jungen von damals war ein äußerst attraktiver Mann geworden. Wie schön war es früher mit ihm zusammen gewesen. Auf Bäume waren sie gestiegen, hatten zusammen an einem Eis geschleckt, während sie die Beine in den Fluss hielten und zuschauten, wie das Wasser über ihre nackten Füße strömte. Die Sommer in Kane’s Crossing waren schon vorher herrlich gewesen, aber als Nick in die Stadt kam …

Es wurden wundervolle Tage.

Er war großzügig genug gewesen, ihr für ein paar Monate seine Aufmerksamkeit zu schenken. Andererseits, er war neu in der Stadt und hatte keine Freunde gehabt. Aber ihre Freundschaft begann in dem Moment, als Nick sie gegen Chad verteidigte. Das hatte noch keiner gewagt. Seitdem war er ihr Held.

Im nächsten Sommer dann waren sie tagtäglich zusammen, erlebten gemeinsam all das, was Kane’s Crossing zwei einsamen Kindern bieten konnte.

Aber jetzt … Nun war alles so anders. Deutlich hatte sie die Enttäuschung in seinen Augen gesehen. Diese Bitterkeit.

Wieder wurde ihr heiß, als sie an seine Augen dachte, daran, wie er ihren Körper gemustert hatte. Seit seinem Besuch in der Bäckerei hatte sie sich immer wieder gefragt, wie es wohl sein mochte, wenn seine kräftigen Hände seinem Blick gefolgt wären. Wenn sie unter ihren Pullover geglitten wären, ihre Haut gestreichelt hätten …

Sie beschleunigte die Schritte. Als sie am Frisiersalon vorbeikam, verspürte sie Übelkeit. Ein Bild von Chad in seiner High-School-Footballkluft hing im Fenster, sein gut geschnittenes Gesicht grinste sie höhnisch an.

Wie hatte sie nur so dumm sein können?

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie die Schritte hinter sich erst spät hörte. Entschlossen umklammerte sie den Riemen ihrer Handtasche, bereit, sie jemandem um die Ohren zu schlagen, sollte er sie belästigen.

Sie zählte bis drei.

Als sie herumwirbelte und die Tasche durch die Luft schleuderte, machte Gary Joanson erschrocken einen Satz nach hinten.

„He, warte, Meg!“

Breitbeinig stellte sie sich vor ihn hin, um sich zu verteidigen. „Was willst du, Gary? Du und deine Kumpane habt mich heute Nachmittag schon beleidigt. Reicht dir das noch nicht?“

Er ließ den Kopf hängen. „Tut mir ehrlich leid. Du weißt doch, wie Sonny und Junior sind, wenn sie gebechert haben.“

Ja, das wusste sie. Sie hatte es mehrfach schmerzlich erfahren müssen. „Was willst du?“

Er scharrte mit dem Fuß. „Ich wollte nur fragen, ob du für meine bessere Hälfte einen deiner Babykuchen backen kannst.“

Meg hatte Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. „Gary, ich habe euch doch gesagt …“

„Ich weiß. Aber sie glaubt an diesen Hokuspokus. Sie sagt, Valentine hätte dir ihre magischen Kräfte vererbt, Meg. Und als Jemma Carson das letzte Mal einen deiner Zauberkuchen gegessen hat, wurde sie bald darauf schwanger. So wie Judy Henry und Sheri Duarte und …“

Es folgte eine lange Liste. Aus irgendeinem Grund steckte es in den Köpfen der Bewohner von Kane’s Crossing, dass sie über magische Kräfte verfügte. Iss einen Blaubeerkuchen von Meg, schon findest du einen Freund. Ein Stück Schokoladenkuchen aus ihren Zauberhänden, und du bist nächsten Monat schwanger. Die Leute mochten sie nicht sonderlich, hatten aber Respekt vor ihren angeblich übersinnlichen Fähigkeiten. Und Meg zog ihren Vorteil daraus. Es war die einzige Art, wie sie zu Geld kommen konnte, abgesehen von den Touristen.

„Okay, Gary, ich backe ihr morgen einen. Kann ich jetzt nach Haus gehen?“, erwiderte sie ungehalten.

„Danke, Meg. Bist du sicher, dass ich dich … nicht nach Haus bringen soll?“, fragte er sichtlich unbehaglich. Meg war wohl die Einzige in der Stadt, die sich nicht bekreuzigte, wenn sie an dem Haus auf dem Hügel mit den gezackten Giebeln und Türmchen vorbeikam.

Als sie entschieden den Kopf schüttelte, wandte er sich ab. Weichei, dachte sie. Gary Joanson war schon immer nur ein Mitläufer gewesen.

„Du verzauberst also die Stadt?“, riss eine tiefe Stimme sie aus ihren Gedanken.

Sie drehte sich um. „Ich dachte, du wärst schon wieder weg.“

Nick kam in den Lichtkreis der Straßenlaterne geschlendert, und ihr Herz klopfte schneller. „Ich bin ein wenig herumgelaufen, habe mir mein altes Zuhause angesehen. Und mir einige Gedanken gemacht.“

Er griff nach ihrem Kragen und zog ihn dichter zusammen. Weil sie zitterte, dachte er wahrscheinlich, dass sie fror. Als sie zusammenzuckte, lächelte er kurz.

Meg erfüllte ein warmes Gefühl. Nick passte wieder auf sie auf, so wie damals, als sie noch Kinder gewesen waren.

„Worüber hast du nachgedacht?“, fragte sie zögernd.

„Über alles. Am meisten darüber, warum ich hier bin.“ Es folgte eine Pause. „Gehst du jeden Abend zu Fuß nach Haus?“

„Manchmal fährt meine Freundin Rachel mich hin. Du kennst sie nicht. Sie ist erst vor zwei Jahren hergezogen.“ Meg schmunzelte. „Sie hatte noch keine Zeit, Angst vor mir zu bekommen.“

Sie gingen weiter. Seine Stiefelschritte hallten von den gekalkten Hauswänden wider. Nick Cassidy ist zurück, schienen sie laut und deutlich zu verkünden.

Meg genoss seine Nähe, den Duft seiner Lederjacke. Es kam ihr so unwirklich vor, neben ihm zu gehen. Und sie fühlte sich auch nicht wie eine alte Freundin, sondern ganz anders. Wie es wohl wäre, wenn sie stehen blieb, den Arm um seine Taille legte, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihr Gesicht an seine Brust schmiegte …

Unwillkürlich strich sie über ihren gerundeten Bauch. Nein, das würde ihr nicht passieren, nicht nach der bitteren Erfahrung mit Chad.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen. Ich dachte, du wärst schon längst nach San Diego zurück“, meinte er.

Sie war froh, dass er wieder redete. Richtig redete und nicht nur einsilbige Kommentare von sich gab. Sie versuchte zu lächeln, aber es misslang. „Dorthin kann ich nicht zurück.“

„Leben deine Eltern nicht an der Küste?“

Sie mochte nicht über ihre Eltern sprechen. Auch nicht darüber, warum sie mit vierzehn aus dem Haus geworfen wurde. Es war so schrecklich gewesen, dass sie immer noch unter Albträumen litt.

Unbewusst berührte sie ihren Bauch, um das heranwachsende Leben darin zu fühlen. „Ja, ich nehme es an. Ich habe bei Tante Valentine gelebt …“ Sie zögerte, während sie hoffte, er würde etwas zu der schicksalhaften Nacht bei Chaney’s Drugstore sagen. Aber er schwieg.

„Nach Tante Valentines Tod erbte ich alles und beschloss, hierzubleiben.“

„Tut mir leid, dass sie tot ist. Ich mochte sie.“

Unwillkürlich musste Meg lächeln. „Weißt du noch, als sie dich damals zum Essen einlud? Und prompt hinterher sagte: Ach, hättest du nicht Lust, in meinem Garten ein wenig Unkraut zu jäten, Nick, mein Lieber?“

„Ihr köstlicher Schmorbraten war jede Mühe wert.“ Nick lachte leise, und Meg wehrte sich gegen das lustvolle Gefühl, das ihr über den Rücken rieselte.

Inzwischen hatten sie die ungepflasterte Straße erreicht, die am Friedhof vorbei zu Megs Haus führte. Hinter den weißen Grabsteinen ragte es hoch auf, und seine Umrisse waren selbst in der Dunkelheit zu erkennen. Wie der Hut eines Zauberers auf einem haarlosen Kopf. Kein Wunder, dass die Kinder im Ort sich Schauergeschichten über sie und Tante Valentine erzählten.

Etwas weiter die Straße entlang entdeckte sie ein helles, längliches Gebilde. Als sie es sich ansehen wollte, ergriff Nick ihre Hand. Es durchzuckte sie heiß.

„Was soll das?“, fragte sie atemlos.

Er ließ sie los, als wäre er gegen einen elektrischen Weidezaun gekommen. „Du musst achtgeben, Meggie, sonst fällst du noch in einen der Gräben.“

„Schwangere können sehr gut selbst auf sich aufpassen!“ Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er grinste. Gott sei Dank. Damit hatte sie nicht unbedingt gerechnet.

Mit seinen langen Beinen war er schneller am Ziel, und sie blieb einen Schritt hinter ihm. Ein Transparent lag am Boden.

Gerade als er es ausbreitete, trat der Mond hinter den Wolken hervor. Du fehlst uns, Chad, stand in Rot und Blau auf dem Transparent. Überall in der Stadt hingen diese verdammten Dinger. Der Wind hatte es wohl hierhergeweht. Oder hatte jemand es heruntergerissen und in den Graben geworfen?

Einen Moment lang starrte Nick es an, dann schleuderte er es zurück auf den Boden und stampfte mit den Füßen darauf herum. Dabei zerquetschte er ihr fast die Finger, so fest war auf einmal sein Griff.

„Du tust mir weh“, beschwerte sie sich.

Er schaute auf ihre Hand, nahm sie und streichelte sie zärtlich. Beinahe hätten Megs Knie nachgegeben. „Entschuldige.“ Dann tätschelte er ihr die Hand, als wäre sie fünf Jahre alt, und sie gingen weiter.

„Was sollen diese Transparente in der ganzen Stadt?“, wollte er wissen.

Meg seufzte schwer. „Chad ist nach Europa gegangen, um dort für eine Zeit lang in einer der Banken des Spencer-Clans zu arbeiten.“

Er drückte ihr sanft das Kinn hoch. Am liebsten hätte Meg ihn gepackt und sich ihren nachmittäglichen Fantasien ergeben. Verdammte Schwangerschaftshormone!

„Ich habe das Gefühl, dieser Mistkerl hat dir sehr wehgetan, Meggie“, sagte er beherrscht.

Mondlicht. Diese tiefe, rauchige Stimme …

„Nein, das ist ein Irrtum“, log sie atemlos, während sie inständig hoffte, er würde es nicht bemerken.

Er umfasste ihre Arme. „Ich lebe hier nicht, also vertrau mir. Spencer ist der Vater. Oder irre ich mich?“

„Ja. Ich meine, ja, du irrst dich“, log sie nochmals.

Aber sie konnte ihn nicht täuschen, sein grimmiger Ausdruck verriet es ihr.

„Ich habe es gewusst.“ Ein Schatten glitt über sein Gesicht. Nick ließ die Hände sinken und trat zwei Schritte zurück. „Schau nicht so traurig. Wir bringen das schon in Ordnung.“

Sie schüttelte den Kopf. „Niemand hier kennt die ganze Wahrheit, Nick. Ich habe Angst, dass Chad Ansprüche auf mein Baby erhebt, wenn er zurückkommt.“ Sie schluchzte laut auf. Wenn Chad herausfand, dass er der Vater war, würde er sie unter Druck setzen, vielleicht sogar vor Gericht gehen. Ganz sicher musste sie dann das Kind hergeben.

„Niemals wird er mich heiraten – wer will schon die Hexe vom unheimlichen Hügel haben? Und wenn er mir das Kind wegnimmt und ich es nie wiedersehe? Seine Familie ist reich und besitzt so viel Einfluss …“

„Verlass die Stadt.“

„Und wohin soll ich denn gehen? Bestimmt nicht nach San Diego zu meinen Eltern. Ich kann nirgendwohin, Nick. Alles, was ich besitze, ist hier.“

„Dann verkauf das Haus.“

Sie schüttelte den Kopf. „Seit 1862 gehört es meiner Familie. Ich habe Tante Valentine vor ihrem Tod versprochen, es niemals zu verkaufen.“ Sie lachte. „Du siehst, ich stecke in der Klemme.“

Nick fuhr sich durchs Haar. Nervös, so kam es ihr vor. Aber weswegen?

„Nick?“

Er räusperte sich. „Meggie, du kannst dem Kind einen Namen geben. Es ist die einzige Lösung.“

„Danke für deinen Optimismus, aber ich habe keine Ahnung, wie.“

Nick holte tief Luft. „Heirate mich.“

Meg schwankte, bevor sie ihn stumm ansah.

„Sagtest du gerade, ich soll dich heiraten?“, fragte sie schließlich.

„Du hast Angst, dass Chad dir dein Kind wegnimmt. Das kann er nicht mehr, wenn du verheiratet bist, oder?“

„Doch, weil du nicht der Vater bist.“ Sie wandte sich ab, wobei sie die Hände in die Jackentaschen schob.

Das Mondlicht tupfte silbrige Glanzlichter in ihr Haar. Wie mochte sie reagieren, wenn er es streichelte? Schnell verwarf er diese Idee. Noch nie hatte er sein Herz an eine Frau verloren. Im Gegenteil, er hatte alles darangesetzt, sich nicht zu verlieben. Seine Erfahrungen mit Pflegefamilien waren eine eindringliche Lektion gewesen. Was war also jetzt in ihn gefahren?

Keine Panik, beschwichtigte er sich. Schließlich wäre es nur eine reine Zweckehe, um Meggie und ihr Kind vor Spencer zu beschützen.

„Wer in der Stadt weiß, dass ich nicht der Vater bin? Du hast es schließlich darauf angelegt, seine Identität geheim zu halten.“

„Was springt für dich dabei heraus, Nick?“

Er schaute auf ihren Rücken, auf die Fülle ihrer roten Haare. Sie war so schmal und schien schrecklich einsam zu sein. Vielleicht konnte er ihr helfen. Möglicherweise würde er ihr wider Erwarten etwas bedeuten. Hoffnung regte sich in ihm.

Aber Meggie hatte ihn etwas gefragt. Die Antwort war klar: Er wollte Gerechtigkeit. Genugtuung.

Er war nach Kane’s Crossing gekommen, um Chad Spencer zu ruinieren. Eine tiefe Wut war sein Antrieb gewesen, Millionen zu verdienen – und das starke Bedürfnis, diesen Leuten hier zu zeigen, wie sehr sie sich in ihm geirrt hatten.

Mühsam hatte er sich das College verdient. Beim Kauf seiner ersten Firma unterstützte ihn die Familie eines Freundes. Bald darauf konnte er sie mit erheblichem Gewinn verkaufen. Dann folgte die nächste Firma, die übernächste und so weiter und so weiter … Inzwischen war er mehrfacher Millionär.

Er besaß die Mittel, es Spencer heimzuzahlen.

Sein Plan war simpel. Sein alter Studienfreund würde nacheinander Spencers Firmen aufkaufen – für ihn. Die Spielzeugfabrik, den Supermarkt, den Haushaltswarenladen … und das Kaufhaus. Schließlich die Banken. Vielleicht würde er Spencer großzügig den Hundesalon lassen …

Irgendwann würde Spencer dann erfahren, dass Nick Cassidy ihm alles genommen hatte, so wie dieser ihm seine Familie genommen hatte.

Meggie hatte sich umgedreht und musterte ihn misstrauisch. Verdammt, wie hatte Spencer es nur geschafft, sie zu verführen? Ein unerträglicher Gedanke, dass er sie berührt hatte und …

Sie streckte die Hand aus. Ein Bündel Dollarnoten lag darin. Sein Trinkgeld vom Nachmittag.

„Du schuldest mir nichts“, sagte sie.

Das stimmte nicht. Sie hatte ihm einen unvergesslichen, wundervollen, sonnenerfüllten Sommer geschenkt. Dafür schuldete er ihr was.

„Behalte es, Meggie.“

Sie hob den Kopf. „Ich nehme keine Almosen an. Genauso wenig wie einen Heiratsantrag aus Mitleid.“

Das war seine Meggie. Beim ersten Wiedersehen in der Bäckerei hatte er geglaubt, sie hätte ihr Feuer verloren. Aber da hatte er sich geirrt. Glücklicherweise.

Er deutete auf das Geld. „Stell dir vor, wie gut ich für deine Tochter oder deinen Sohn sorgen könnte.“

„Nick …“

„Wir könnten einen Treuhandfonds für das Kind einrichten. Ihm würde es nie an etwas fehlen.“

Schweigend senkte sie den Blick.

„Wir könnten jemand beauftragen, sich um Valentines Haus zu kümmern. Du könntest die Stadt verlassen, ohne dir Gedanken um die Zukunft machen zu müssen.“

Sie schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. „Ich weiß nichts über dich, Nick. Ich würde einen Fremden heiraten.“

„Ich bin immer noch derselbe wie damals.“

„Nein.“ Sie ließ die Hand sinken. „Das bist du nicht.“

Sie hatte recht. Er trat auf sie zu und drückte ihr sanft das Kinn hoch, bis sie ihn anschauen musste. Noch nie hatte er ein solches Verlangen verspürt, eine Frau zu berühren.

„Sechzehn Jahre verändern jeden Menschen, das stimmt.“ Noch immer schwelte die Wut in ihm. Sie würde erst erlöschen, wenn Chad Spencer bezahlt hatte.

Meg wich etwas zurück. „Ich verstehe immer noch nicht, warum du ein Kind großziehen willst, das nicht dein eigenes ist. Das Kind eines Mannes, den du hasst.“

Schuldgefühle packten ihn. Was sollte er denn antworten? Meggie, ich will den Mann leiden sehen, der mir meine Chance auf eine normale Familie gestohlen hat, will den Triumph genießen, zu wissen, dass ich ihm sein Kind genommen habe …?

Wie würde sie reagieren, wenn sie von seinen Rachegelüsten wüsste?

„Vertraue mir, dass es richtig ist, was ich tue“, sagte er, während er seine Skrupel vertrieb, sie zum Werkzeug seiner Rache zu machen.

Meg schwieg einen Moment. Ihre Haut schimmerte im Mondlicht. Wie es wohl wäre, wenn er seine Hände auf ihren Bauch legte? Unter seinen Fingern das pulsierende Leben darin spürte …?

Ihr Zögern dauerte schon viel zu lange.

Schließlich hielt er die Anspannung nicht mehr aus. „Meggie, du musst dich nicht sofort entscheiden. Du kannst mich im Edgewater Motel in der Nähe des Highways erreichen.“

„Ich weiß nicht, was ich antworten soll.“

Er versuchte zu lächeln. „Zerbrich dir später den Kopf darüber.“

„Nimm dein Geld.“ Nochmals hielt sie es ihm hin.

„Nein.“

Überrascht sah sie ihn an. Damit hatte sie anscheinend nicht gerechnet. Dann zuckte sie mit den Schultern und öffnete den Mund, schloss ihn aber abrupt wieder, als ein Cabriolet auf sie zuraste. Lange Haare flatterten im Wind, Arme wurden herausgestreckt.

„Was zum Teufel soll das denn?“, rief Nick.

Meg drehte dem Wagen den Rücken zu. „Ignorier sie einfach.“

Mit knirschenden Reifen hielt der Wagen neben ihnen. Sieben junge Frauen drängten sich auf den Sitzen des Sportwagens.

„He, Meg, sollen wir dich mitnehmen?“, rief die Fahrerin. Sie hatte einen Pagenschnitt und blitzende Augen.

„Ja, Witchy Poo, komm mit uns“, rief eine andere. „Vielleicht kann sie unseren Wagen zum Mond fliegen lassen!“

Nick wollte sich schon einmischen, als die Fahrerin ihre Freundinnen zurückpfiff. „Haltet den Mund, ihr Hyänen.“ Sie blickte Nick an, dann Meg, die immer noch mit dem Rücken zum Wagen stand. „Alles in Ordnung, Meg?“

Nick sah, dass Meg die Lippen zusammenpresste. Nach einem Moment sagte sie: „Ja, alles okay.“

„Los, fahren wir!“, rief eine der jungen Frauen. Die Fahrerin schaute noch einmal auf Meg und Nick, dann trat sie das Gaspedal bis zum Boden durch. Mit durchdrehenden Reifen schoss das Cabriolet in einer Staubwolke davon. Es röhrte die Straße entlang, vorbei an den schmalen schmiedeeisernen Engeln des Friedhofstors und den schiefen Weidezaunpfählen.

Meg schaute ihnen hinterher. „Du willst Chad Spencer sehen? Nun, näher kommst du an ihn nicht heran.“

„Was meinst du damit?“

Sie lächelte, aber ihre Augen blieben ernst. „Die am Steuer war Ashlyn, Chads Schwester.“

Nick ballte die Hände, versuchte, das Brennen in seinem Herzen zu ignorieren. „Wieso rasen die wie die Verrückten nachts durch die Gegend?“

„Ashlyn hat die Junggesellinnen-Abschiedsparty für eine ihrer Freundinnen organisiert. Mit Getöse durch die Stadt rasen, Büstenhalter von Fahnenmasten flattern lassen und einige Anti-Spencer-Poster aufhängen. Sie gibt ihr Bestes, um die Familie in Verlegenheit zu bringen.“ Meg drehte sich um, und ihre Augen schimmerten auf einmal feucht.

Eine leichte Brise kam auf. Nick hätte Meggie am liebsten die feine Locke aus dem Gesicht gestrichen, die im Wind auf und ab tanzte. Ihre weichen roten Lippen berührt.

Sie lachte kurz auf. „Ich glaube, sie verabscheut Chad ebenso sehr wie du. Fast mag ich sie.“

„Eine Junggesellinnen-Abschiedsparty?“

„Ja, mit meinen übernatürlichen Kräften habe ich einen Angel Food Cake gebacken, der aus der Braut den reinsten Engel machen dürfte …“

Als er plötzlich in lautes Lachen ausbrach, stimmte sie ein. Diesmal hielt er sich nicht zurück, sondern strich ihr sanft mit dem Daumen über die Wange. „Ich bringe dich noch bis zur Haustür.“

Aber sie erstarrte unter seiner Berührung. In ihren Augen stand auf einmal Furcht. Erinnerungen überfluteten sie, die sie lieber vergessen wollte. „Ich schaffe es auch allein, danke.“

Sie entzog sich seiner Hand und stieg die Treppe hinauf zur massiven schwarzen Haustür. Er schaute ihr nach, bis sie drinnen verschwunden war.

Seine – und ihre – Zukunft hing von ihr ab. Nick hoffte, sie traf die richtige Entscheidung.

3. KAPITEL

Drei Tage später hatte Meg sich immer noch nicht endgültig entschieden.

„Überstürze nichts, Meg“, mahnte Rachel Shane auf dem Weg zum Edgewater Motel. Ihr altersschwacher Kleinwagen nahm jedes Schlagloch mit, und Meg hielt sich den Bauch.

Sie warf ihrer besten Freundin einen strafenden Blick zu. „So bin ich nicht. Und ich habe lange und gründlich über diese Sache nachgedacht.“

„Ein Fremder. Der Typ könnte auch vom Mars sein, so wenig weißt du über ihn.“

„Ich bin ziemlich sicher, dass er von der Erde stammt, Rachel.“ Natürlich verstand sie die Besorgnis ihrer Freundin. Sie spiegelte nur ihre eigene wider. Aber Rachel hatte auch Grund zum Misstrauen.

Anfang des Jahres hatte ihr Ehemann sie mit ihrer fünfjährigen Tochter einfach sitzen lassen. Rachel stammte nicht aus Kane’s Crossing und wurde schräg angesehen. Genau wie Meg. Die beiden Frauen wurden Freundinnen.

Prüfend blickte Rachel Meg an. „Du hast mir nicht alles erzählt, oder täusche ich mich?“

Was denn? Dass Nick Cassidy sie in den Bann geschlagen hatte, seit er in die Bäckerei gekommen war wie ein einsamer Revolverheld zum Showdown? Dass er in ihr Bedürfnisse weckte, die sie besser nicht haben sollte?

„Erst vor fünf Monaten hat Chad dich so würdelos behandelt“, fuhr Rachel fort. „Da verstehe ich einfach nicht, wieso du scharf darauf bist, jemanden zu heiraten. Hör auf mich. Ich habe Erfahrungen mit Männern hat, die morgens aus dem Haus gehen, um nie wiederzukommen. Hoffentlich überlegst du es dir noch einmal mit diesem Heiratsantrag. Eine völlig verrückte Sache.“

Beinahe hätte Meg aus Stolz Nicks Vorschlag abgelehnt. Aber Ashlyn Spencer und ihre Freundinnen hatten sie nochmals daran erinnert, dass sie nicht wirklich nach Kane’s Crossing gehörte. Die Beleidigungen und Anfeindungen würden nie enden. Und wenn sie dann noch ein uneheliches Kind bekam …

Nur deshalb hatte sie noch einmal gründlich über Nicks Heiratsantrag nachgedacht. Es würde keine Liebesheirat werden, aber es war verlockend, dass sie und ihr Kind in sicheren Verhältnissen leben würden. Deswegen musste sie noch einmal mit ihm reden.

Sie fuhren auf der von herbstlich verfärbten Bäumen gesäumten Landstraße weiter, bis vor ihnen die schief hängende Neonreklame des Edgewater Motels auftauchte. Nicht weit von der Straße stand das niedrige weiße Motelgebäude mit seiner ebenso schiefen Veranda, den Liegestühlen und pinkfarbenen Türen. Nick musste in Zimmer sechs wohnen. Sein Wagen stand davor. Ein einsamer Pick-up.

„Da sind wir.“ Meg griff nach ihrer Tasche.

Rachel legte ihr die Hand auf den Arm.

„Ich komme mit rein.“

„Ich schaffe das schon allein. Ehrlich.“

„Das hast du bei Chad auch gedacht.“

Meg unterdrückte die aufsteigende Nervosität. „Rachel, danke für deine Besorgnis und deine Hilfe. Und auch dafür, dass du weißt, wann du aufhören musst, mir zuzusetzen.“

Und danke dafür, dass du mein Geheimnis bewahrt hast, fügte sie im Stillen hinzu.

Rachel – und nun Nick – waren die einzigen Menschen, denen sie vertraute. Und wenn sie sich in ihm täuschte, was dann?

Beruhigend lächelte Rachel sie an.

„Ruf im Krankenhaus an, wenn du irgendetwas brauchst. Du hast ja meine Pagernummer.“

Meg stieg aus und schloss die Tür.

„Ich warte noch eine Minute.“

„Wieso macht sich eigentlich alle Welt so viele Sorgen um uns Schwangere?“, beschwerte sich Meg durchs offene Fenster. „Ich werde doch nicht innerhalb der nächsten Minute in den Wehen liegen.“

Rachel zog nur die Augenbrauen hoch und trommelte mit ihren Fingernägeln auf dem Lenkrad herum.

Meg atmete tief durch, dann marschierte sie auf die Nummer sechs zu. Sie atmete einmal tief durch und klopfte, widerstand dabei der Versuchung, über die Schulter zu Rachel hinzuschauen.

Die Tür öffnete sich, und Nick stand vor ihr. Er sah umwerfend aus. Das T-Shirt spannte sich über seiner breiten Brust, sodass sich jeder Muskel deutlich abzeichnete. Die ausgeblichene Jeans betonte seine langen, kräftigen Beine.

Erst als Rachels Wagen davonbrauste, wurde ihr bewusst, dass sie Nick die ganze Zeit angestarrt hatte. Er grinste sie an, während er seinen Arm gegen den Türrahmen stützte. Ein verrücktes Verlangen drängte sie, ihn anzufassen, über diese muskulöse Brust zu streichen …

Dummes Mädchen, schalt sie sich. Wie konnte sie nach den deprimierenden Erfahrungen mit Chad an Sex denken?

Und Nick mit seinem unverschämten Lächeln und seinem männlich-herben Duft war da auch keine Hilfe. Er stand so dicht vor ihr, dass sie seinen Atem hören konnte.

„Hi“, sagte er, während er immer noch am Türrahmen lehnte.

„Hallo. Darf ich reinkommen?“

Oder besser nicht? Es könnte sich als großer Fehler erweisen.

Schweigend musterte er sie, bis ihr das Blut ins Gesicht stieg. Was mochte ein Mann an einer täglich dicker werdenden Schwangeren finden, die nur Ärger brachte? Plötzlich grinste er wieder und wich einen Schritt beiseite.

Meg betrat das Zimmer mit dem Gefühl, dass sie sich eigentlich ganz gut hielt – bis sie es sah.

Das Bett.

Nun war sie genau in die Situation geraten, die ihr schnell über den Kopf wachsen konnte.

Nick stemmte die Hände in die Seiten und lächelte amüsiert, als sie mit großen Augen auf das Bett sah. „Keine Angst, es wird dich nicht verschlingen.“

Es ist aber wirklich riesig, dachte Meg. Ein Doppelbett, bedeckt mit einem bunten Quilt. Die restliche Einrichtung war schauderhaft. Zwei schlichte Nachttische mit hässlichen Lampen, ein winziger Fernseher, dessen Kanäle noch mit Hand eingestellt werden mussten, und dazu eine Kommode mit einem hohen, halb blinden Spiegel darüber … in dem sich ausgerechnet das Bett spiegelte.

„Natürlich nicht.“ Sie räusperte sich und wandte dem besagten Möbelstück den Rücken zu. Dann versuchte sie zu lachen, was ihr nicht gelang. Hastig presste sie die Lippen zusammen.

Als sie weder Nick noch das Bett im Blickfeld hatte, fühlte sie sich gleich besser. „Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich hier bin.“

Nick verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.

Meg atmete noch einmal tief durch. „Die Wahrheit ist, ich weiß nicht, was ich dir wegen der Heirat sagen soll.“

Er nickte. Ein Muskel zuckte verräterisch an seinem Oberarm, eine schnelle, hektische Bewegung, als wolle er einen Schlag abwehren.

Könnte dieser Mann ein guter Vater für ihr Kind sein? Konnte er vergessen, dass Chad Spencer eine ziemlich aktive Rolle beim Zustandekommen des Babys gespielt hatte? „Mir sind so viele Gründe eingefallen, Nein zu sagen.“

„Ich habe sie schon gestern Abend gehört“, erwiderte er mit einer Stimme, bei der es Meg heiß über den Rücken lief.

Bestimmt wäre es schön, jede Nacht jemanden wie Nick neben sich zu haben. Jemand, der nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Herz wärmte. Jemand, dem sie – irgendwann – einmal etwas bedeutete.

Aber wie viele Männer heirateten schon eine Frau, die schon bald das Kind eines anderen auf die Welt brachte? Vielleicht war Nick der Einzige, mit dem sie ihren Wunsch nach einer Familie verwirklichen konnte.

Schweigend lehnte er noch immer an der Wand.

Wie viele Geheimnisse verbarg er vor ihr? Aber wollte sie diese wirklich kennen?

„Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir diesen Vorschlag gemacht hast. Und bevor wir ernsthaft darüber reden, möchte ich es wissen.“

„Du hast recht. Ich habe dir noch nichts erklärt.“ Er schüttelte den Kopf, bevor er mit einem belustigten Blick auf das Bett deutete. „Leider gibt es hier keine Stühle, Meggie. Du willst doch nicht die ganze Zeit stehen, oder?“

Zögernd setzte sie sich auf die Bettkante und seufzte erleichtert auf, weil sie die Beine entlasten konnte.

„Ich hätte wohl gleich sagen sollen, dass es nur eine Ehe auf dem Papier sein wird. Das sollte dich ein wenig beruhigen.“

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Aber … es bleibt doch eine Ehe.“

„Ja, ich weiß, das ist ein schwerwiegender Entschluss.“ Er schaute ihr offen ins Gesicht. „Und du sollst auch wissen, dass ich damals Chaney’s Drugstore nicht in die Luft gesprengt habe.“

Meg runzelte die Stirn. Machte er sich über sie lustig? „Nick, das ist sechzehn Jahren her. Belastet es dich immer noch?“

„Die Renos waren für mich das, was ich mir unter einer richtigen Familie vorstellte. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt. Als Spencer die Bombe hochgehen ließ, zerstörte er nicht nur den Drugstore, sondern auch das Vertrauen der Renos in mich. Meine Pflegeeltern sprachen danach nie wieder ein Wort mit mir. Ihr Sohn Sam, der für mich wie ein Bruder war, auch nicht“, sagte er grimmig.

Dass sein Hass so tief ging, war Meg nicht klar gewesen. Und wieder fragte sie sich, warum Nick der Vater von Chads Kind sein wollte.

„Meine Pflegeeltern bekomme ich nicht zurück. Und vielleicht will Sam immer noch nichts mit mir zu tun haben“, fuhr Nick fort. „Aber ich werde unter allen Umständen dafür sorgen, dass Chad Spencer in dieser Stadt niemals wieder jemanden verletzt. Und das schließt dich mit ein, Meg. Dich und das Baby.“

Ihr schnürte sich die Kehle zu. Es war lange her, dass sie einem Menschen so viel bedeutet hatte. Nick war hier, um Tante Valentines Platz einzunehmen. Vielleicht würde sie doch wieder eine Familie haben …

Nur Nicks Hass störte sie. Er war aus jedem seiner Worte herauszuhören und machte ihr Angst – und doch vertraute sie ihm. Dass er sie heiraten wollte, erfüllte sie mit einem warmen Gefühl und gab ihr wieder Selbstvertrauen. So viele Jahre war sie hier in Kane’s Crossing Spott und Häme ausgesetzt gewesen.

Sie blickte ihm ins Gesicht. Sein Angebot, ihr Baby zu beschützen, durfte sie nicht ausschlagen. Es war ein Geschenk des Himmels.

Meg rang sich ein Lächeln ab. „Wie schnell können die Formalitäten erledigt sein?“

Seine Schultern entspannten sich. „Ich werde noch heute mit dem Standesbeamten sprechen. Und vergiss nicht …“ Er stieß sich von der Wand ab und legte ihr die Hand auf die Schulter. „… du brauchst dir jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Ich kümmere mich um Spencer.“

Meg wünschte, das würde sie beruhigen.

Tage später rückte Nick wiederholt seine Krawatte zurecht. Er hasste diese Dinger. Immer hatte er das Gefühl, eine Schlinge um den Hals zu tragen. Heute, am Tag seiner Hochzeit, noch mehr als sonst.

Er schaute sich in dem kleinen, blumengeschmückten Raum des Standesamtes um. Lieber hätte er einfach ein Stück Papier in die Hand gedrückt bekommen. Aber er wusste, Meggie sah das anders. Für eine Frau war es ein besonderes Ereignis, Braut zu sein, also hatte er für einen feierlichen Rahmen gesorgt.

Ashlyn Spencer stand neben ihm und wiegte sich im Takt des Hochzeitsmarsches. Eine Spencer auf seiner Hochzeit. Das hätte er sich im Traum nicht vorstellen können.

Voller Bewunderung schaute er auf Meg. Entschlossen hatte sie alle möglichen Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Rachel Shane, die die Trauzeugin sein sollte, war leider zu einem Notfall ins Krankenhaus gerufen worden. So hatte sie Deacon Chaney, ihren einsamen Gast kurz vor Ladenschluss der Bäckerei, mehr oder weniger zwangsverpflichtet. Als sie am Gemischtwarenladen am Stadtrand vorbeifuhren, wurde ihr klar, dass es besser wäre, noch einen zweiten Trauzeugen zu haben.

Ashlyn saß auf der abgesackten Veranda, rauchte mit den alten Männern Zigarre und riss Witze. Für ein Mitglied der Familie Spencer benahm sie sich völlig untypisch. Meg sprang trotz ihres sich rundenden Bauchs aus dem Wagen und kehrte gleich darauf mit Ashlyn zurück. Ashlyn bekam den Platz neben Deacon.

Trotz allem hatte Nick doch das Gefühl, sein Leben würde sich von nun an zum Besseren wenden.

Meg tauchte an Deacons Arm auf. Er war leicht angesäuselt. Megs Gesicht war gerötet, und sie lächelte. Ein warmes Gefühl erfüllte Nick bei ihrem Anblick. Sie hielt einen Strauß purpurroter und gelber Wildblumen in den Händen, den Ashlyn schnell besorgt hatte, während sie warteten, dass die Paare vor ihnen getraut wurden. Einige der Blütenblätter schmückten auch ihre roten Locken, und sie sah ein wenig aus wie eins der Blumenkinder aus den Sechzigerjahren. Ihr Kleid erinnerte ihn an die Meggie, die sie mit zwölf gewesen war – schillernd, zigeunerhaft. Es hatte lange Ärmel und bauschte sich von der Taille abwärts bis zu ihren Knöcheln. Das zarte Rosa schimmerte wie hauchfeine Libellenflügel und ließ ihre samtige Haut leuchten. Eine Perlenkette schmückte ihren schlanken Hals, und auf einmal empfand Nick seine Krawatte nicht mehr ganz so sehr als Bestrafung.

Als der Hochzeitsmarsch ausklang, geleitete Deacon Meg an Nicks Seite. Dann ging alles sehr schnell: goldene Ringe, Libellenflügel, Blumen, Ja, ich will und Meggies weiche Lippen.

Meg und er schauten sich etwas überrascht an, als der Standesbeamte sie aufforderte, die Trauung mit einem Kuss zu besiegeln. Übers Küssen hatten sie nicht geredet.

Sie blickte zu Boden, während ihr die Röte ins Gesicht stieg, bis ihre Wangen und Haare fast die gleiche Farbe hatten. Er wollte nicht, dass sie glaubte, sie wäre nicht begehrenswert. Aber sie sol...

Autor

Crystal Green
Crystal Green – oder bürgerlich Chris Marie Green – wurde in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Doch sie blieb nicht lange: Sie zog zunächst nach Südkalifornien, von dort nach Kentucky und wieder zurück nach Kalifornien. Die Reisezeit vertrieb sie sich, indem sie Gedichte und Kurzgeschichten über die ultimativen Superhelden Supermann und Indiana...
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Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills & Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.

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