Cora Collection Band 49

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ZWISCHEN PFLICHT UND ZÄRTLICHKEIT von KAREN ROSE SMITH
Als alleinerziehende Mutter hat Angela keine Zeit für einen Mann. Und doch fühlt sie sich in Gegenwart des ehemaligen Footballstars David Moore so begehrt wie nie. Hin- und hergerissen zwischen Mutterrolle und Sehnsucht nach Zärtlichkeit, muss Angela eine Entscheidung treffen …

VERSUCHUNG IN TEXAS von CATHY GILLEN THACKER
Um ihren Kindern das Erbe zu sichern, muss Rachel ein Jahr lang die Farm ihres verstorbenen Mannes führen. Doch überall stößt sie auf erbitterten Widerstand. Als nicht einmal ihr attraktiver Schwager Travis ihr helfen will, facht das Rachels Ehrgeiz nur noch mehr an.

WAGNIS DER LIEBE von JESSICA HART
Nie wieder ein alleinerziehender Vater! Das hat Perdita sich geschworen. Dann trifft sie ihren neuen Boss Edward Merrick. Der attraktive Vater von drei Kindern zieht sie sofort magisch an. Sind ihre Gefühle für ihn größer als ihre Angst davor, erneut verletzt zu werden?


  • Erscheinungstag 18.02.2022
  • Bandnummer 49
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508711
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Karen Rose Smith, Cathy Gillen Thacker, Jessica Hart

CORA COLLECTION BAND 49

1. KAPITEL

Sie war eine Betrügerin.

Jeder in der Nachbarschaft hielt Angela Schumacher für eine Supermutter, aber das stimmte schon seit Jahren nicht mehr. Da sie sich um zwei Jobs und drei Kinder – Olivia, Anthony und Michael – kümmern musste, war sie völlig ausgebrannt und mit den Nerven am Ende.

Angela parkte vor ihrem Haus, und während sie aus dem Wagen stieg, fielen ihr einige Strähnen ihres kinnlangen blonden Haars, das zu einem schicken Bob geschnitten war, ins Gesicht. Das schwindende Tageslicht hüllte die Szene, die sich Angela bot, in eine eigentümliche Atmosphäre. Vor der Tür stand ihre Nachbarin Zooey, die manchmal bei ihr als Babysitterin einsprang. Sie hielt Jack Levers kleinen Sohn auf dem Arm. Gleichzeitig stoppte sie Olivia, Michael und Jacks Tochter Emily, mit einer Handbewegung, während sie jemandem im Garten etwas zurief.

Besorgt, dass ihre sonst so unerschütterliche, schöne Nachbarin gestresst sein könnte, eilte Angela zu ihr. Sie hatte nie verstanden, warum Jack Lever so lange gebraucht hatte, um sich in seine hübsche, gertenschlanke Nanny zu verlieben. Aber mittlerweile waren die beiden verlobt und wollten bald heiraten, was alle im Danbury Way begeisterte.

„Jack, sei vorsichtig auf der Leiter“, rief Zooey.

„Welche Leiter?“, fragte Angela erstaunt. Was spielte sich hier eigentlich ab? Ob eine Katze aufs Dach geklettert war …? „Warum steigt Jack auf eine Leiter?“

Während sie sich Jackie auf die andere Hüfte setzte, antwortete Zooey ganz ruhig: „Wegen Anthony.“

Plötzlich fiel Angela auf, dass Anthony nicht mit den anderen Kindern vor der Tür stand. Ihr Herz raste, und ihr Mund wurde trocken. Panik durchfuhr sie. „Was stimmt nicht mit Anthony? Warum braucht ihr eine Leiter? Brennt es?“

„Nein, es brennt nicht. Er hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen, nachdem er sich mit Olivia gestritten hat. Anthony hat ihre Steinesammlung genommen, ist damit in seinem Zimmer verschwunden und lässt niemanden zu sich.“

Das war das Stichwort für die siebenjährige Olivia, zu Angela zu rennen und sich lauthals zu beschweren. „Mummy, ich hasse ihn“, weinte sie laut. „Er hat meine Steine!“

Olivias Steinesammlung war ihr kostbarster Besitz. Vermutlich hatte Anthony sie deshalb genommen. In den letzten Monaten hatte er sich sehr verändert. In den letzten Monaten, in denen sein Vater Jerome zwei Besuchstermine nicht eingehalten hatte.

Der fünfjährige Michael war hinter seiner Schwester hergekommen und schaute seine Mutter nun mit großen Augen an. „Es ist auch mein Zimmer. Aber er lässt mich nicht rein.“

„Jack wollte nur mal ins Fenster gucken, um zu sehen, ob es ihm gut geht“, versicherte Zooey.

In diesem Moment kam Jack um das Haus herum und lächelte Angela an. „Er ist so stur, wie nur Neunjährige es sein können. Natürlich hat er mich völlig ignoriert, als ich ans Fenster geklopft habe. Aber es ist nichts Schlimmes passiert. Er sitzt auf seinem Bett, hat Kopfhörer auf und spielt GameBoy.“

„Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll“, murmelte Angela. „Ich kann nun mal nicht all das ausgleichen, was Jerome versäumt.“

Nachdem sie die anderen Kinder ins Haus geschickt hatte, schaukelte Zooey den kleinen Jackie ein wenig auf dem Arm. „Vielleicht solltest du dich einmal nach dem ‚Big-Brother‘ – Programm im Gemeindezentrum erkundigen. Dort bieten einige Leute an, mit Kindern von sehr beschäftigten Eltern etwas zu unternehmen“ Sie blickte Jack an, als erwarte sie von ihm eine Bestätigung ihrer Worte.

Er zuckte mit den Schultern. „So hätte Anthony vielleicht einmal ein positives männliches Vorbild. Andererseits könntest du natürlich auch wieder heiraten …“ Jack schien sie necken zu wollen, und Angela wusste, dass er sie nur zum Lachen bringen wollte. Im Moment war ein Ehemann jedoch das Letzte, was sie suchte.

Ihr war allerdings klar, dass sie sich mehr mit Anthonys Problemen auseinandersetzen musste. Sie hatte sich schuldig gefühlt, als Jerome sie verlassen hatte. Es enttäuschte sie immer noch, dass er nicht verstand, was für Schätze seine Kinder waren. Deshalb hatte sie es mit ihrer Fürsorge übertrieben und besonders Anthony zu viel durchgehen lassen. Das würde jetzt aufhören, denn Anthony musste akzeptieren, dass sein Vater nicht mehr bei ihnen lebte. Und Angela würde ihm das erklären.

„Kannst du noch einige Minuten bleiben, bis ich mit Anthony geredet habe?“, bat sie Zooey.

„Kein Problem.“

Als Jack seinen Sohn von Zooey entgegennahm, gab er ihr einen schnellen Kuss. „Emily, kommst du mit mir?“

Seine Tochter, die so alt wie Olivia war, schüttelte den Kopf. „Olivia und ich müssen noch einiges besprechen.“

Jack blickte Angela fragend an.

„Sie kann gerne zum Abendessen bleiben.“

„Vielleicht können wir Jackie überreden, heute früh zu Bett zu gehen“, flüsterte Jack Zooey mit einem kleinen Abschiedskuss zu.

Angela ging ins Haus und in die Küche. Sie freute sich, dass Zooey und Jack ihr Glück gefunden hatten. Die beiden wollten am Valentinstag heiraten und wirkten wie das ideale Paar. Angela glaubte nicht, dass sie mit Jerome jemals so glücklich gewesen war.

Sie hatten geheiratet, weil sie einen Mann und eine Familie wollte. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie sechzehn gewesen war und ihre Adoptivschwester Megan vierzehn. Die Schwestern hatten sich gegenseitig getröstet und waren immer noch beste Freundinnen. Megan lebte sogar in der Wohnung über der Garage von Angelas Haus. Doch ihre Schwester hatte genau wie Zooey die große Liebe gefunden und würde heiraten. Und was werden sollte, wenn Megan auszog, wusste Angela nicht.

Vielleicht hatte Angela Jerome geheiratet, weil sie an die Liebe glauben wollte. Sie wollte beweisen, dass ein Mann auch länger bei der Familie bleiben konnte, als ihr Vater das getan hatte. Leider hatte sie lernen müssen, dass die meisten Männer gleich waren.

In der Küche suchte Angela nach einem Spieß. Damit eilte sie nach oben und überlegte währenddessen, was sie ihrem ältesten Kind sagen sollte.

Sie führte die Spitze des Spießes in das kleine Loch im Türknauf und öffnete das Schloss.

Seit ungefähr zwei Monaten sah Anthonys Zimmer noch chaotischer aus als früher. Michael war zwar auch nicht ordentlich – seine Socken und sein Spielzeug lagen auf dem gesamten Boden verstreut. Doch Anthonys Unordnung wirkte anders, so als hätte er sie absichtlich angerichtet. Papier lag auf dem Boden, eine halbe Banane faulte auf dem Nachttisch vor sich hin, und auf der Bettdecke türmten sich schmutzige Kleidungsstücke. Eigentlich sollten die Kinder jeden Tag ihr Bett machen, aber ihr ältester Sohn hielt sich nicht daran.

Er musste lernen, Regeln zu befolgen, selbst wenn das Leben manchmal ungerecht war.

Als Angela zum Bett ging, schaute ihr Sohn nicht einmal auf. Er hatte sich der Länge nach ausgestreckt, trug Kopfhörer und war mit dem GameBoy beschäftigt. Angela trat zu ihm und zog ihm die Stöpsel aus den Ohren.

„Hey!“

„Ich reagiere nicht auf hey. Ich höre nur auf Mom. Und wenn ich in dein Zimmer komme, dann kannst du mich ruhig ansehen.“

Bei ihrem strengen Tonfall riss Anthony die Augen auf und legte den GameBoy weg.

Sie zeigte auf das Bett. „Darf ich mich neben dich setzen?“

Ein vorsichtiger Blick.

„Dein Benehmen ist nicht in Ordnung.“

Er verzog den Mund, schwieg aber und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich weiß, dass du sauer bist, weil dein Dad die letzten Besuchstermine abgesagt hat. Aber das entschuldigt nicht dein Verhalten. Wir können jederzeit darüber reden.“

„Du bist doch nie hier.“

„Ich bin so oft hier, wie ich kann, aber ich muss viel arbeiten, damit wir das Haus behalten und Kleidung und Essen kaufen können. Wenn Tante Megan auszieht und heiratet, brauchen wir mehr Geld. Vielleicht finde ich schnell einen Mieter für ihre Wohnung, aber vorher werden wir knapp bei Kasse sein.“

Anthony wirkte überrascht.

„Du sollst dir keine Sorgen machen. Wir werden es schon schaffen. Aber das ist der Grund, weshalb ich noch zusätzlich bei Felice’s Nieces arbeite. Wahrscheinlich hätte ich dir das alles schon vorher erklären sollen, aber ich vergesse manchmal, dass du älter und vernünftiger wirst.“

Als ihr Sohn wieder auf seinen GameBoy blickte und nicht antwortete, erinnerte sich Angela an Zooeys Vorschlag. „Im Gemeindezentrum gibt es ein sogenanntes Big-Brother-Programm, und ich erkundige mich mal, ob es dort nicht jemanden gibt, der etwas mit dir unternimmt.“

„Dad soll etwas mit mir unternehmen“, murmelte er.

„Das weiß ich, aber wir können deinem Vater nicht vorschreiben, was er zu tun hat. Statt unglücklich zu sein, weil er nicht kommt, sollten wir die Dinge selbst in die Hand nehmen.“

„Ich will aber nichts mit einem Fremden unternehmen!“, rief Anthony und drehte sich auf die Seite. Angela seufzte. Ein weiteres Problem.

Bei Felice’s Nieces, einem Bekleidungsgeschäft für Kinder und junge Leute, war meistens viel los. Angela musste tagsüber als Büroangestellte bei einem Zahnarzt jede Menge Schreibarbeiten erledigen. Deshalb arbeitete sie abends gern in dem Geschäft. Hier hatte sie viel Kontakt zu Kindern.

Als sie ein grünes Shirt zusammenlegte, das Olivia als Weihnachtsgeschenk gefallen könnte, wurde die Tür geöffnet. Angela blickte auf.

Ihr Herz schlug schneller, als sie den Mann sah, der gerade in das Geschäft kam. Groß, blond und breitschultrig, wirkte er wie der Traummann vieler Frauen. Seine Züge waren sehr markant, und er wirkte unter den kichernden Mädchen und den rosa Kleidchen ziemlich fehl am Platz. Wie alt er war, konnte sie nicht genau schätzen. Vielleicht so alt wie sie?

Widerstrebend wandte sie sich wieder den Shirts auf dem Tisch zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, dass er zur Kasse ging und mit der Geschäftsführerin sprach. Seine breiten Schultern füllten den grünen Pullover perfekt aus, und Angela konnte sich die Muskeln darunter genau vorstellen. Die graue Jeans saß wie angegossen, und er trug teure Sportschuhe. Angela fragte sich, ob er für jemanden ein Weihnachtsgeschenk kaufen wollte.

Jetzt hör schon auf, tadelte sie sich. Als würdest du dich gerade jetzt mit jemandem einlassen wollen. Dazu noch mit einem tollen Typ, dem drei Kinder und Hypothekenzahlungen sicher Angst einjagen.

Angela stapelte die Oberteile sorgfältig aufeinander, als eine tiefe Stimme sie zusammenfahren ließ.

„Sind Sie Angela Schumacher?“

Als sie sich umwandte, blickte sie in zwei faszinierende braune Augen. Direkt vor ihr stand der gut aussehende Mann, der eben das Geschäft betreten hatte.

Es fiel ihr schwer, ein Wort hervorzubringen. „Ich bin Angela“, antwortete sie nach einer kleinen Ewigkeit.

„Mein Name ist David Moore, und ich soll Anthonys ‚Big Brother‘ sein.“ Mit diesen Worten streckte er ihr seine Hand entgegen.

„Verstehe“, erwiderte sie und wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Also ergriff sie seine Hand, und sofort wurde ihr heiß. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, und sie fühlte sich wieder wie ein Teenager.

Nervös zog sie ihre Hand wieder zurück. „Man sagte mir, dass Sie mich anrufen, bevor Sie bei uns vorbeikommen.“

„Ich habe angerufen. Ihre Babysitterin Zooey hat mir gesagt, dass Sie heute hier arbeiten.“

„Oh, Zooey ist meine Nachbarin, aber sie passt auf meine Kinder auf, während meine Schwester auf Dienstreise ist und …“ Sie unterbrach sich, weil sie sich albern vorkam. „Es ist etwas kompliziert.“

„Das Leben kann schon mal schwierig sein.“

Sein Lächeln berührte sie tief. Was stimmte nicht mit ihr? Nach den Erfahrungen mit ihrem Ex-Mann wollte sie doch keine neue Beziehung!

Eine ihr unbekannte Stimme flüsterte leise in ihrem Kopf: Wer redet denn von einer Beziehung? Wie wäre es mit einer heißen Affäre?

Sie merkte, dass sie rot wurde. „Wohnen Sie hier in der Nähe?“ Angela konnte immer noch nicht verstehen, warum er sich die Mühe gemacht hatte, extra hier vorbeizukommen.

„Nein, aber mein Sportgeschäft liegt gegenüber – Moore’s Sporting Goods.“

„Ihnen gehört das?“

„Richtig. Nebenbei arbeite ich noch als Footballtrainer an der High-School. So bin ich mit dem Programm des Gemeindezentrums in Berührung gekommen.“

Seine Augen schimmerten auf einmal ein wenig grün, und Angela fragte sich, wie alt er wirklich war, wieso er ein Sportgeschäft hatte und warum er als Trainer arbeitete. Dabei spielte es gar keine Rolle, was der Mann machte, oder? Sie war nur daran interessiert, dass es Anthony gut ging.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, holte er ein gefaltetes Blatt aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. „Hier finden Sie meine Daten und ein paar Empfehlungen von Eltern, deren Kinder ich schon betreut habe. Wenn Sie nicht zufrieden sind, dann können Sie einen anderen Betreuer auswählen. Mir ist schon klar, dass Eltern jeden überprüfen müssen, der sich mit ihren Kindern beschäftigt.“

„Haben Sie Kinder?“

„Nein.“

Er trug keinen Ehering, obwohl auch das Angela gar nichts anging.

„Am Samstag könnte ich ein wenig Zeit mit Anthony verbringen.“

Zwei Tage blieben ihr, um seine Angaben zu überprüfen. Das sollte eigentlich reichen. „Samstagnachmittag wäre in Ordnung. Ich muss Ihnen aber gleich sagen, dass mein Sohn kein Interesse an einem Betreuer hat.“

„Vielleicht ändert er seine Meinung, wenn wir etwas unternehmen. Wir fangen einfach ganz langsam an.“

Sie blickte auf seinen Mund, und ihr wurde fast schwindelig. Ganz langsam. Ging er so auch mit Frauen um? Irgendetwas musste Bedürfnisse in ihr geweckt haben, von deren Existenz sie nicht einmal gewusst hatte.

„Ms Schumacher? Passen diese Sachen zusammen?“, fragte Denise, eine Zwölfjährige, die häufig ohne ihre Mutter in das Geschäft kam.

„Wie ich sehe, werden Sie gebraucht“, stellte David Moore fest. „Ich will Sie nicht weiter stören. Am Samstagnachmittag komme ich vorbei.“

„Samstagnachmittag“, wiederholte Angela und erinnerte sich, dass sie Hilfe für Anthony brauchte und keine heiße Affäre.

Dann lachte sie in sich hinein. Welche Mutter von drei Kindern konnte schon eine heiße Affäre haben?

Angela rieb sich die Hände, um sie zu wärmen. In der letzten Nacht hatte es geschneit, und obwohl es erst Anfang Dezember war, lag nun eine leichte Schneedecke über allem. Sie hatte gerade etwas Zeit übrig, also brachte sie die Lichterkette um die Haustür an.

Vorsichtig stieg Angela die kleine Leiter hoch und befestigte Haken an den Türpfosten, an die sie die Lichterkette hängen wollte Sie liebte ihr hübsches altes Haus sehr. Nachdem Jerome gegangen war, hatte Angela über der Garage ein Apartment für Megan bauen lassen. Für beide Frauen war diese Lösung optimal gewesen, aber am Ende des Monats würde Megan ausziehen, und Angela musste die Kosten für das Haus allein tragen, bis sie einen neuen Mieter fand.

Als ein Fahrzeug in ihre Einfahrt fuhr und kurz darauf eine Tür zugeschlagen wurde, drehte sie sich um.

Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren. David Moore kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. Sie war überrascht, weil sie schon fast damit gerechnet hatte, dass er nicht kommen würde, obwohl seine Referenzen ihn als zuverlässig beschrieben hatten.

„Die sieht aber nicht gerade stabil aus“, meinte David und zeigte auf die Leiter.

„Ich bin gleich fertig.“

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen. Schließlich bin ich größer.“

Ja, er war sehr groß. Von der Leiter aus konnte Angela erkennen, dass seine Haarfarbe eine Mischung aus blond und braun war. Wahrscheinlich lag es daran, dass einzelne Strähnen von der Sonne aufgehellt wurden. David Moore war sicher das ganze Jahr über gebräunt – denn zweifellos war er ein Sportler und verbrachte sicher viel Zeit im Freien.

Weil er ihr den Arm bot, hielt sie sich an ihm fest und spürte, wie stark er war. Als sie von der Leiter gestiegen war und neben David stand, kam sie sich klein und zerbrechlich vor.

„Haben Sie meine Daten überprüft?“

„Ja, alle Leute haben Sie gelobt.“

„Ich bin gern mit Kindern zusammen, und ich hoffe, dass sie auch gerne etwas mit mir unternehmen.“

Das klang jedenfalls nicht übermäßig eingebildet.

David nahm ihr den Hammer aus der Hand und stieg die Leiter hoch. „Haken?“, fragte er.

Sie nahm einige aus der Tasche und reichte sie ihm. In kürzester Zeit hatte er die Lichterkette um die Tür befestigt.

Er wandte sich ihr zu. „Ist Anthony da?“

„Er sitzt in seinem Zimmer und schmollt. Ich habe ihm gesagt, dass Sie vielleicht vorbeikommen. Mein Sohn will aber nichts mit einem ‚Big Brother‘ zu tun haben.“

Jedes Mal, wenn sie David Moore in die Augen sah, fühlte sie sich ganz überwältigt. Seinem Lebenslauf hatte sie entnommen, dass er achtundzwanzig war, drei Jahre jünger als sie. Nie hatte sie sich für jüngere Männer interessiert, aber David hatte etwas Atemberaubendes an sich.

„Wenn er von dem Programm nicht begeistert ist, sollten wir vielleicht über einen Umweg anfangen“, schlug David vor.

„Einen Umweg?“

„Die Kinder genießen den ersten Schnee und rodeln schon. Ich habe sie eben gesehen.“

Angela verstand, was er sagen wollte. „Anthony hat einen Schlitten.“

„Die Sozialarbeiterin aus dem Gemeindezentrum hat mir gesagt, dass Anthony zwei Geschwister hat. Wollen die beiden nicht mitkommen? Wenn wir gemeinsam einen Ausflug machen, gewöhnt Anthony sich vielleicht an mich.“

„Soll ich mitfahren?“

„Wollen Sie denn nicht dabei sein, wenn ich zum ersten Mal mit Anthony zusammen bin?“

Der Mann war sehr einfühlsam. „Doch, das möchte ich.“

„Dann lassen Sie uns alle zusammen Schlittenfahren gehen. So kann ich mich vermutlich am ehesten mit Ihrem Sohn anfreunden.“

„Ich habe einige Cookies gebacken, und Kakao könnte ich auch mitnehmen.“

„Eine Frau, die noch backt!“, sagte er schmunzelnd. „Sie gehören zu einer aussterbenden Art.“

Etwas verlegen lächelte sie. „Ich koche und backe gerne. ­Besonders Süßes.“

David ließ den Blick über ihre taillierte grüne Wolljacke und die schwarzen Leggings gleiten. „So wie es aussieht, essen Sie aber nichts davon.“

Angela wurde rot. „Ich esse schon, aber ich bin so mit den zwei Jobs und den Kindern beschäftigt, dass ich wahrscheinlich alle Kalorien wieder verbrenne.“ Sie klappte die Leiter zusammen.

„Ich kann die nehmen. Steht sie normalerweise in der Garage?“

Angela nickte. „Gehen Sie einfach durch die Garage in die Küche. Ich rufe die Kinder und sage ihnen, dass sie sich fertigmachen sollen.“

Olivia und Michael, die gerade fernsahen, beäugten David interessiert, als ihre Mutter ihn vorstellte. Als sie dann auch noch sagte, dass sie Schlitten fahren wollten, brachen die beiden in Jubel aus und stürmten los, um sich anzuziehen.

Angela ging in den Flur und rief nach oben. „Anthony, kommst du bitte kurz zu mir? Mr Moore ist hier.“

Anthony kam zum Treppenabsatz und blickte auf seine Mutter und David hinunter.

„Komm runter“, bat sie und hoffte, dass er sich nicht gerade jetzt weigern würde.

Als Anthony unten angekommen war, streckte David seine Hand aus. „Hi, ich bin David Moore.“

„Ich brauche keinen, der mit mir ins Kino geht oder mich wie ein Baby behandelt“, verkündete Anthony trotzig.

„Das kann ich mir denken. Du bist schließlich alt genug, um zu wissen, was du willst. Aber ich dachte, wir könnten zusammen in den Schnee gehen. In meinem Wagen habe ich ein paar Rodel. Ihr könnt aber auch euren eigenen Schlitten mitnehmen. Ich dachte, wir gehen einfach alle gemeinsam.“

Anthony blickte seine Mutter an. „Du kommst mit Schlitten fahren?“

„Ja. So alt bin ich ja schließlich auch wieder nicht.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie das gesagt hatte.

„Du könntest dir etwas brechen“, murmelte Anthony.

David lachte. „Vielleicht sollten wir beide aufpassen, damit das nicht passiert.“

Man merkte, dass Anthony mit sich kämpfte. Er wollte nichts mit David unternehmen, aber er hatte Lust, Schlitten zu fahren. „Kommen Olivia und Michael auch mit?“

„Natürlich. Wir können alle etwas frische Luft gebrauchen“, bemerkte Angela, als wäre es nichts Besonderes, einen Ausflug zu unternehmen. Dabei machten sie das nur noch selten. Jeromes Abwesenheit war bei solchen Gelegenheiten noch deutlicher spürbar als sonst schon. Nicht, dass er ein besonderer Familienmensch gewesen wäre. Denn auch als er noch bei seiner Familie gelebt hatte, war er meist fort gewesen, entweder bei der Arbeit oder am Wochenende bei seinen eigenen Unternehmungen.

Angela hatte zu lange gebraucht, um herauszufinden, was ihr Mann trieb. Aber schließlich hatte sie in seiner Jackentasche ein Armband entdeckt und Jerome darauf angesprochen. Außerdem hatte eine Nachbarin Jerome in Begleitung einer Rothaarigen im Restaurant Entrée gesehen. Jerome hatte zwar behauptet, es habe sich um ein Geschäftsessen gehandelt, aber Angela glaubte ihm nicht. Sicher hatte er sich absichtlich mit dieser Frau gezeigt, damit Angela es herausfand. Wahrscheinlich wollte er erwischt werden, weil er keine Lust mehr auf Ehefrau und Kinder hatte. Als Angela eine Paartherapie vorschlug, hatte er sie nur ausgelacht und schlichtweg gesagt, dass er einfach nicht monogam veranlagt sei.

An jenem Abend schien er glücklich zu sein, sein Leben zu verändern. Zwei Wochen lang hatte Angela sich in den Schlaf geweint. Erst nachdem sie sich ihrer Schwester anvertraut hatte, wusste sie, dass sie ohne Jerome besser dran war. Doch er hatte sie sehr verletzt, und obwohl es schon drei Jahre her war, schmerzte diese Wunde immer noch.

„Weißt du, wo meine Stiefel sind?“, fragte Anthony und unterbrach ihre Gedanken.

„Wahrscheinlich im Keller. Während du dich umziehst, hole ich sie dir. Sag Olivia und Michael, dass sie unter ihren Parkas Pullover anziehen sollen.“

Anthony verzog das Gesicht und rannte die Treppe hoch.

Nachdem Angela die Stiefel der Kinder und ihre eigenen gefunden hatte, entdeckte sie David in der Küche, wo er gerade seine Jacke auszog.

„Wenn ich Ihnen helfe, dann kommen wir schneller weg – ehe Anthony seine Meinung wieder ändert.“

„Womit wollen Sie mir denn helfen?“

„Ich kann den Kakao kochen.“

„Gute Idee.“ Sie zeigte auf einen Schrank. „Da ist ein Milchtopf, und neben den Krügen steht das Schokoladenpulver.“

Um die Thermoskanne aus dem Oberschrank zu holen, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Sofort stand er hinter ihr, und sie spürte seine Stärke, seine Wärme und atmete seinen Duft nach Limone ein.

„Ich bin zu klein“, meinte sie. „Sicher hat Megan die Kanne dorthin gestellt. Sie ist größer als ich.“

„Megan?“

„Meine Schwester. Sie wohnt in dem Apartment über der Garage. Normalerweise hilft sie mir mit den Kindern, aber sie ist auf Geschäftsreise. Zooey, meine Nachbarin von gegenüber, unterstützt mich im Moment.“

Als David die Thermoskanne abstellte, berührte er Angela leicht mit dem Ellenbogen. Er stand direkt neben ihr.

Sie sollte sich zusammenreißen, denn wenn sie den ganzen Nachmittag mit dem Mann verbringen wollte, durfte sie sich nicht wie eine Idiotin benehmen.

„Mir ist aufgefallen, dass Anthony einen anderen Namen hat als Sie.“

„Nach der Scheidung habe ich meinen Mädchennamen wieder angenommen, um eine gewisse Unabhängigkeit zu zeigen.“

„Eine schlimme Scheidung?“

„Sicher hätte sie freundschaftlicher verlaufen können, aber wir haben wenigstens versucht, die Kinder an die erste Stelle zu setzen.“

„Aber ihr Ex-Mann hält sich nicht daran.“

„Jerome ist nicht besonders zuverlässig. Er hat die letzten beiden Besuchstermine mit den Kindern verpasst. Anthony hat am stärksten darauf reagiert. Ich fürchte, er glaubt, dass sein Vater ihn nicht liebt. In den vergangenen Wochen habe ich Jerome schon mehrmals angerufen und Nachrichten hinterlassen, aber er ruft nicht zurück.“

„Haben Sie sich deshalb im Gemeindezentrum gemeldet?“

„Ja. Ich bin bereit, alles auszuprobieren, denn Anthony soll nicht unter den Fehlern seiner Eltern leiden.“

David nickte und nahm sich die Dose mit dem Kakaopulver.

Da sie ihm etwas von sich berichtet hatte, wollte sie auch etwas über ihn erfahren. „Lebt Ihre Familie in der Nähe?“

„Mein Vater wohnt eine Stunde von hier entfernt, meine Schwester eine halbe Stunde. Leider sehe ich sie nicht so oft, wie ich sollte.“

„Ja, man hat immer zu viel zu tun. Seit Megan verlobt ist, bekomme ich sie auch nicht mehr so häufig zu Gesicht.“

„Wann hat sie sich verlobt?“

„Im Juli. Am Neujahrsabend wollen sie und Greg heiraten.“ Angela seufzte. „Ich werde sie vermissen, wenn sie ausgezogen ist.“

„Zieht sie weit weg?“

„Nein, sie bleibt in Rosewood, aber es wird nicht mehr das Gleiche sein. Nach der Scheidung hat sie mir sehr geholfen.“

David hörte ihr aufmerksam zu. Wann hatte das ein Mann jemals getan? Wirklich zugehört?

Er ist jünger als du, warnte die innere Stimme. Außerdem hast du drei Kinder. Als wäre der Altersunterschied nicht schon genug.

Trotzdem schaute David sie in diesem Moment an, als wären sie allein auf der Welt. Am liebsten wäre sie ihm durch sein kräftiges Haar gefahren. Der Duft seines Aftershaves reizte sie, ebenso wie die goldenen Sprenkel in seinen Augen.

Er hob einen Arm …

Wollte er ihre Wange berühren? Würde er sie gleich küssen?

Die körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen war fast greifbar.

2. KAPITEL

David wusste, dass er jegliches Begehren nach dieser Frau unterdrücken musste. Er trat einen großen Schritt zurück. „Ich kümmere mich mal besser um den Kakao.“

Angela schaute ihn aus ihren blauen Augen an. Was an ihr reizte ihn so?

„Natürlich.“ Ihre Stimme klang ausdruckslos.

Jetzt konnte er in ihrem Gesichtsausdruck Stolz sehen. Aber da war auch noch etwas anderes. Vielleicht Enttäuschung?

Sie würden nicht über das reden, was beinahe zwischen ihnen passiert wäre. Es fiel ihm schwer, sich auf den eigentlichen Grund seines Besuchs zu konzentrieren. Schließlich war er wegen ihres Sohnes hier.

Angela packte einige Cookies in Alufolie. „Das Schlittenfahren wird für die Kinder etwas ganz Besonderes sein. Im letzten Jahr waren wir nur zweimal im Schnee. Sind Sie als Kind oft gerodelt?“

„Ja, wir haben auf einer Farm gelebt. Es gab viele Möglichkeiten zum Schlittenfahren.“

„Was für eine Farm?“, fragte sie interessiert.

„Wir waren auf Milchviehhaltung spezialisiert. Mein Dad betreibt die Farm immer noch, aber ich weiß nicht, wie lange er es noch schafft.“

„Und Ihre Mutter?“

„Sie starb an Krebs, als ich noch ein Teenager war.“

„Das tut mir leid. Es ist schlimm, wenn man einen Elternteil verliert. Meine Eltern haben sich auch getrennt, und ich habe meinen Dad nach der Scheidung nur noch selten gesehen. Deshalb kann ich gut nachempfinden, was Anthony zurzeit durchmacht.“

„Mal sehen, ob wir ihm helfen können.“

Ihr Lächeln löste bei ihm sofort das Verlangen aus, sie zu küssen. Ob sie wohl wusste, welche Wirkung sie auf ihn hatte?

Während sie in der Küche alles zusammenpackten, hatten sich die Kinder umgezogen. Jetzt waren alle bereit für den Ausflug. Anthony hielt zwar Abstand zu David, aber immerhin kam er mit auf den Ausflug.

Angela hatte sich schnell eine türkisfarbene Skihose und eine passende Jacke angezogen. Sie wirkte in dem Outfit sehr zierlich, aber nicht zerbrechlich.

Ihm fiel seine ehemalige Verlobte ein. Sie hatte sich von ihm getrennt, weil seine Karriere ruiniert war. Scheinbar hätte sie gerne etwas von dem Ruhm abbekommen, den sein Vater sich auch immer für ihn gewünscht hatte. Als Jessica ihn verlassen hatte, während er in der Reha versuchte, sein Bein wieder zu bewegen, war er sehr verletzt gewesen.

Auch jetzt mit achtundzwanzig wurde er aus Frauen immer noch nicht schlau. Allerdings hatte er es in den letzten Jahren auch gar nicht mehr versucht. Manchmal kam es ihm so vor, als passe er nicht zu den Männern seiner Generation, die mit einer Frau nach der anderen ins Bett stiegen und sich so verhielten, als sei die Liebe bloß ein Spiel.

Als David eine halbe Stunde später seinen Schlitten vom Gepäckträger seines Wagens hob, sah er, dass Angela ebenfalls einen aus ihrem Auto holte. Michael griff danach, schwankte ein wenig, weil der Schlitten recht groß war, und lief dann zu dem Hügel, den sie sich zum Rodeln ausgesucht hatten.

„Warte, Michael!“, rief Angela.

„Ich passe auf ihn auf“, bot David an. „Lassen Sie sich ruhig Zeit.“ Er ging Michael hinterher.

Bald merkte er, dass ihm Anthony mit einigen Metern Abstand folgte. Mit ihm würde es nicht leicht werden, aber wenn er geduldig war, würde sich der Neunjährige vielleicht öffnen. So war es bisher immer gewesen.

David hatte schon öfter die Erfahrung gemacht, dass ihn vor allem vaterlose Jungs mochten. Vermutlich weil er eine Lücke in ihrem Leben füllte und ihnen ein männliches Vorbild war, das sie bisher vermisst hatten.

Die nächste Stunde verging wie im Flug, während sie mehrmals den Hügel hinunterrodelten. Davids Puls raste, aber das lag eher an der Nähe zu Angela und weniger an der Geschwindigkeit des Schlittens.

Anthony hielt immer Abstand zu den anderen, aber er sah ­David ab und zu neugierig an. Er hatte einen Freund auf dem Hügel getroffen, und einmal waren die beiden Jungen mit auf Davids Schlitten gerodelt. Danach war Anthony aber sofort wieder weggegangen. David fiel auf, dass Angela das Geschehen verfolgte, aber sich nicht selbst am Rodeln beteiligte. Glaubte sie, dass sie keinen Spaß haben durfte, wenn die Kinder dabei waren?

Obwohl sie eine Tasse mit heißer Schokolade in der Hand hielt, waren ihre Nase und die Wangen rot vor Kälte. Wenn Angela sich nicht mit ein wenig Bewegung aufwärmte, mussten sie bald nach Hause gehen.

Trotz der Warnung seiner inneren Stimme, auf Abstand zu bleiben, ging David zu Angela. „Haben Sie nicht Lust, einmal mit mir zu rodeln?“

„Eher nicht“, erwiderte sie höflich.

„Haben Sie Angst, dass ich Sie in den Schnee fallen lasse?“

Sie lächelte ihn an. „Vielleicht. Ich stehe nicht unbedingt auf Geschwindigkeit.“

„Kommen Sie schon. Sie müssen den Kindern zeigen, dass Sie auch Spaß haben können.“

„Muss ich das wirklich?“

„Natürlich. Ich habe festgestellt, dass sich viele Kinder innerlich von ihren Eltern entfernen, weil sie sich gar nicht vorstellen können, dass ihre Eltern auch einmal jung waren.“

Sie beobachte ihre Kinder, wie sie im Schnee herumtobten, und schien nachzudenken.

Nun wandte sie sich an einen großen Mann, der vor ein paar Minuten mit seiner Tochter angekommen war und nun am Picknicktisch stand. David hatte interessiert beobachtet, wie sich Angela mit ihm unterhalten hatte, bevor seine Tochter zu Olivia lief, um mit ihr Schlitten zu fahren.

„Hey, Jack“, rief Angela ihm zu. „Kannst du einen Moment auf meine Kinder aufpassen?“

„Kein Problem“, antwortete er.

Sie wandte sich an David. „Einverstanden, aber nur einmal.“

„Dann müssen Sie aber lachen, damit die Kinder glauben, dass Sie Spaß haben, selbst wenn es nicht der Fall ist.“

Jetzt musste sie wirklich lachen, und sofort gefiel sie ihm noch besser.

Einige Minuten später stellte er den Schlitten in Position. „Am besten steige ich zuerst auf, und Sie setzen sich zwischen meine Beine.“

Ihre blauen Augen weiteten sich, und einen Moment lang sah es so aus, als wolle sie weglaufen. Wahrscheinlich war sie doch nicht an ihm interessiert, und er hatte sich das einfach nur eingebildet.

„Wir werden schneller unten angekommen sein, als Sie Ihren Namen sagen können.“ Er setzte sich auf den Schlitten und wies herausfordernd auf den Platz vor sich.

Nach kurzem Zögern setzte sie sich vorne auf den Schlitten und rutschte dann so weit nach hinten, dass sie fast Davids Brust berührte.

„Wenn ich den Schlitten steuern soll, dann muss ich die Arme um Sie legen.“

„Okay“, erwiderte sie leise.

Das Ganze war eine schlechte Idee gewesen. Seine Knie berührten ihre Hüften. Als er sich vorbeugte und die Arme um Angela legte, sog sie scharf die Luft ein. Aber dann reichte sie ihm das Seil.

„Bleiben Sie ganz locker“, bat er sie, und sein Kinn berührte fast ihre Schulter. „Dann tut es nicht so weh, wenn wir umfallen.“

„Will ich das wirklich?“, murmelte sie leise und blickte zum Himmel.

Seine Arme lagen eng an ihrem Körper. Trotz der Kälte spürte David ihre Wärme und die Anziehungskraft zwischen ihnen.

Mit einem kräftigen Stoß setzt er den Schlitten in Bewegung. „Halten Sie sich fest“, rief er, als sie den Hügel hinunterglitten.

Angela hielt sich an seinen Armen fest. Und weder der Wind in seinem Gesicht noch die zunehmende Geschwindigkeit waren auch nur annähernd so aufregend wie das Gefühl, das die Nähe dieser Frau in ihm hervorrief. Während der Fahrt lehnte sie sich stärker gegen seine Brust, und David beugte sich vor, um Angela Sicherheit zu geben. Ihr Parfum, das sich mit dem Duft der Nadelbäume und des frischen Schnees vermischte, machte ihn ganz benommen. Selbst beim Football hatte er keine solche Begeisterung und Erregung gespürt. Es überraschte ihn, denn er hatte immer gedacht, für ihn könnte es nichts Aufregenderes als dieses Spiel geben. Doch Angela Schumacher belehrte ihn eines Besseren.

In Davids Augen war die Schlittenfahrt viel zu schnell vorbei. Keiner von ihnen sagte ein Wort, und sie blieben einfach auf dem Schlitten sitzen.

„Das war toll“, meinte er schließlich, weil er sie zum Reden bringen wollte.

Als sie über die Schulter blickte, kamen sich ihre Gesichter ganz nah. „Unbeschreiblich.“

Ihre Lippen waren sanft geschwungen, und ihr Kinn war ganz zart. Am liebsten hätte er sie jetzt geküsst. Aber wenn er das tat, hätte er die Chance verspielt, mit Anthony Freundschaft zu schließen, und deswegen war er schließlich hier. Denn die wichtigsten Ziele in seinem Leben waren, ein guter Geschäftsmann zu werden und sich erfolgreich um schwierige Kinder zu kümmern.

Er rückte ein wenig von ihr ab. „Schön, dass es Ihnen gefallen hat.“

Sie schien zu merken, dass er sich um Abstand bemühte, und stand abrupt auf. Um ihre Hände zu wärmen, schlug sie sie mehrmals gegeneinander. „Ich glaube, wir sollten jetzt gehen. Den Kindern ist sicher genauso kalt wie mir.“

Ihm war gar nicht kalt, denn ein inneres Feuer hatte die Kälte verdrängt. Leider würde dieses Feuer nur Probleme mit sich bringen. „Vielleicht können wir sie mit etwas von der heißen ­Schokolade aufwärmen und dabei reden. Anthony hat mich bis jetzt noch nicht einmal richtig angesehen, und ich würde wenigstens das gerne erreichen.“

„Gut, heiße Schokolade. Wir haben auch noch einige Cookies übrig.“

Langsam gingen sie den Hügel hoch. Kurz bevor sie oben angekommen waren, rutschte Angela aus.

Schnell hielt David sie fest. Wieder kamen sie sich ganz nah, und er fragte sich, ob er sie hätte fallen lassen sollen.

Natürlich nicht! Aber es hätte wenigstens diese verführerische Berührung verhindert.

Sobald sie das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, löste sie sich von ihm. „Danke“, sagte sie leise und ging weiter. Offenbar nahm sie ungern Hilfe in Anspruch und war stolz auf ihre Unabhängigkeit.

Aber was wusste er schon, was in ihrem Kopf vor sich ging? Damals nach dem schweren Autounfall, bei dem einer seiner Freunde getötet und er selbst verletzt worden war, hatte er eines gelernt: dass man an den Handlungen einer Frau nicht immer ablesen konnte, was in ihrem Kopf vorging. Jessica hätte damals für ihre Paraderolle der fürsorglichen Verlobten einen Oscar gewinnen können. Sie besuchte ihn regelmäßig mit einem strahlenden Lächeln und munterte ihn auch am Telefon auf, dass er sicher bald wieder gesund würde.

Dass es sich bei all dem um nichts als Theater gehandelt hatte, war ihm aber erst bewusst geworden, als sie ihn verließ. Am Tag nach dem Unfall hatte jeder gewusst, dass seine Träume von einer Karriere in der NFL, der amerikanischen Football-Nationalliga, zerstört waren. Einschließlich Jessica. Möglicherweise hatte sie ihn auch gar nicht geliebt, sondern nur von einem Leben in ­Luxus an seiner Seite geträumt. Sie war gegangen, weil er nach dem Unfall nicht mehr ihren Vorstellungen entsprach.

Heutzutage schien es nicht mehr üblich, ein Versprechen zu halten.

Angela zitterte, als sie oben am Hügel ankamen. Das lag jedoch nicht so sehr an der Kälte als vielmehr an David Moore. Wenn er sie so intensiv ansah, fühlte sie sich fast wie ein Teenager,. Er lächelte so sanft und hörte ihr mit erstaunlicher Aufmerksamkeit zu, dass er auf sie wie der perfekte Mann wirkte. Aber nichts davon war eine Entschuldigung für ihre Reaktion. Schließlich ging es hier um Anthony.

Olivia kam zu ihnen gerannt.

„Ich hole die Jungs und verstaue ihre Schlitten“, bot David mit einer Lässigkeit an, um die Angela ihn beneidete.

„Ja, ich packe schon mal die restlichen Kekse ein.“

Olivia zog ihren Schlitten hinter sich her, während sie zum ­Wagen gingen. „Müssen wir schon nach Hause fahren?“

„Auf jeden Fall, sonst erfrierst du noch.“

„Wie war es denn, mit Mr Moore Schlitten zu fahren?“, wollte Olivia wissen.

„Es war so schnell vorbei, dass ich mich kaum erinnern kann.“

Lügnerin, sagte eine innere Stimme.

„Er ist ein heißer Typ, nicht wahr?“

Angela starrte ihre Tochter an. Sie war doch erst sieben. „Wie redest du denn?“

„Ich sehe fern“, erwiderte Olivia schlagfertig. „Außerdem ­reden die älteren Mädchen im Bus auch so, Mom.“

Wo waren bloß die Siebenjährigen hingekommen, die mit Puppen spielten, Puzzles legten oder mit den Freundinnen Seil sprangen?

„Ich glaube, du magst ihn“, stellte Olivia grinsend fest.

Super! Offensichtlich hatte selbst ihre Tochter schon gemerkt, wie sie auf den Mann reagierte.

„Mr Moore wird sich hoffentlich einige Zeit mit Anthony ­beschäftigen. Das ist schon alles.“

„Du willst nicht mit ihm ausgehen?“, wollte Olivia neugierig wissen.

„Natürlich nicht. Außerdem habe ich gar keine Zeit für sowas.“ Sie legte Olivia einen Arm um die Schultern. „Ich habe euch Kinder. Was brauche ich da sonst?“

„Du vermisst Daddy immer noch, oder?“

„Ich vermisse, wie wir früher gelebt haben. Mir fehlt ein Erwachsener im Haus, mit dem ich reden kann und mit dem ich besonders verbunden bin. Aber ich kann deinem Vater nicht vorschreiben, was er tun soll. Ich wünschte, er würde euch öfter besuchen. Aber er versucht gerade, ein neues Geschäft aufzubauen, und das macht viel Arbeit.“

„Mir fehlt Daddy, aber mir fehlt nicht, wenn ihr euch gezankt habt, weil er so selten zu Hause war.“

Sie musste daran denken, dass Kinder alles sahen und hörten. „Heute sind wir eine andere Familie als früher. Aber das ist okay.“

„Also, willst du nicht mit Mr Moore ins Kino gehen oder so?“

„Nein“, entgegnete Angela und bemühte sich, entschlossen zu klingen. „Das habe ich nicht vor. Er soll Anthonys Freund ­werden, damit dein Bruder sich wieder besser fühlt.“

„Ja, dann kommt Anthony hoffentlich nicht mehr in mein Zimmer, um mich zu ärgern.“

Zehn Minuten später saßen alle im Auto, tranken heiße Schokolade und aßen die restlichen Kekse.

„Deine Mom backt prima Cookies“, bemerkte David.

„Manche Moms backen überhaupt nicht“, kommentierte Olivia. Sie klang schockiert, als könne sie sich das gar nicht vorstellen.

Plötzlich stand einer von Anthonys Freunden vor der Autotür.

„Hi, Simon“, begrüßte Angela ihn.

Simon zeigte auf David. „Mein Dad sagt, er hat für die NFL gespielt.“

Anthony warf David einen Blick von der Seite zu. „Stimmt das?“

„Ich war für die NFL aufgestellt, und ich habe am Training teilgenommen, aber ich hatte nie die Chance zu spielen. Bei einem Autounfall wurde mein Bein schwer verletzt.“

„So ein Pech“, erwiderte Simon bedauernd. „Dad meint, dass Sie jetzt ein prima Trainer sind. Die Raiders haben fast alle Spiele gewonnen.“

„Dein Dad ist wohl ein Football-Fan?“

„Er sitzt immer vor dem Fernseher und guckt sich alle möglichen Sportsendungen an. Ma gefällt das gar nicht. Deshalb hat sie gesagt, dass wir morgen einen Weihnachtsbaum holen und Dad mitkommen muss.“

„Cool, einen Weihnachtsbaum fällen“, meinte Anthony sehnsüchtig.

Angela merkte, dass David ihren Sohn genau ansah. „Wenn ihr euch einen Baum aussucht, könnte ich ihn für euch absägen.“

„Dürfen wir, Mom?“, fragte Anthony aufgeregt.

Die strahlenden Augen ihres Sohnes machten Angela ganz glücklich. In den letzten Wochen hatte er nie so froh ausgesehen. „Wenn Mr Moore den Baum wirklich für uns fällen will, habe ich nichts dagegen.“

„Gut, dann treffen wir uns morgen um zwei an der Baumschule“, schlug David vor.

„Zwei ist in Ordnung.“ Angela redete sich ein, dass sie sich nur auf den Ausflug freute, weil Anthony so begeistert war. Es hatte rein gar nichts damit zu tun, dass sie David wiedersehen würde.

Nachdem Simon sich verabschiedet hatte, öffnete David die Beifahrertür, um auszusteigen. „Ich sollte mich langsam auf den Weg machen.“

„Warten Sie“, bat sie.

David schloss die Tür wieder und sah sie an.

„Vielen Dank“, sagte sie leise. „Sind Sie sicher, dass Sie uns morgen begleiten wollen?“

„Völlig sicher. Es ist schon lange her, dass ich einen Weihnachtsbaum ausgesucht habe. Bis morgen um zwei.“

Er stieg aus, winkte kurz und ging zu seinem Wagen. Unwillkürlich sah Angela ihm hinterher. Er war drei Jahre jünger als sie, unverheiratet und einfach unwiderstehlich. Sie dagegen war eine alleinerziehende Mutter, die eine große Verantwortung und wenig Freizeit hatte. Aber der morgige Ausflug war wichtig für die Kinder, und sie würde das nicht vergessen.

Nachdem alle auf ihren Plätzen saßen, startete Angela den ­Motor. „Schnallt euch bitte an.“

Sie erinnerte sich daran, wie David sie beim Schlittenfahren umfasst hatte. Einen kurzen Augenblick lang hatte sie sich wieder jung und frei gefühlt.

Seufzend machte sie sich auf den Weg nach Hause.

Olivia, Michael und Anthony liefen von Baum zu Baum und stritten sich darum, welcher perfekt in ihr Wohnzimmer passen würde. „Sind sich die drei auch mal einig?“, wollte David von Angela wissen.

Sie lachte. „Ab und zu. Ich bin so froh, dass Anthony heute dabei ist. Endlich macht ihm mal wieder etwas Spaß.“

Zu seiner eigenen Überraschung amüsierte David sich auch. Eigentlich hatte er die Unternehmung mit der ganzen Familie nur vorgeschlagen, um Anthony näherzukommen. Aber er musste sich eingestehen, dass ihm die Sache Spaß machte.

In diesem Augenblick kam Anthony auf sie zu und zeigte auf eine Douglas-Fichte. „Den Baum wollen wir.“

„Ich will den da hinten“, widersprach Michael.

„Der ist nicht so groß“, mischte Olivia sich ein. „Wir wollen einen großen Baum.“

Unvermittelt wandte Anthony sich an David. „Ich weiß, dass du nicht in der NFL spielst, aber kennst du Leute, die dabei sind? Schließlich hast du doch mit ihnen trainiert, oder?“

„Ja, sagt dir der Name Duke Smith etwas?“

„Wow! Duke Smith! Klar, ich habe ihn im Fernsehen gesehen.“ Anthony blickte auf den Baum und dann wieder zu David. „Vielleicht kannst du uns helfen, den Baum aufzustellen. Was meinst du, Mom? Kann er mitkommen?“

„Er kann auch zum Essen bleiben“, schlug Olivia vor.

Angela sah ganz verblüfft aus.

David wusste, dass er noch weitere Fragen zum Thema Football beantworten musste, wenn er beim Aufstellen des Baumes half. Und vielleicht kam das Gespräch dann auf noch viel persönlichere Fragen, zum Beispiel wie er überhaupt zu diesem Big-Brother-Programm gelangt war. Er war sich nicht sicher, ob er diese Dinge mit Angela diskutieren wollte.

Als er schwieg, fasste Angela sich wieder und fragte: „Haben Sie andere Pläne? Sicher möchten Sie Ihr freies Wochenende genießen.“

„Ja, aber ich habe lange nicht mehr geholfen, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Wollt ihr mich wirklich mitnehmen?“ Dabei schaute er Anthony an.

Diesmal sah der Junge ihm in die Augen. „Ja. Letztes Jahr hat Mom es allein gemacht, und der Baum ist am nächsten Tag umgefallen. So ein Chaos.“

Als Angela verlegen lächelte, hätte David sie am liebsten ­geküsst. Sie sah einfach hinreißend aus, wenn sie errötete. „Ihr Sohn ist praktisch veranlagt.“

„Er will bloß nicht, dass noch mehr seiner liebsten Christbaumkugeln zu Bruch gehen.“

„Wenigstens haben sie einen Baum ausgesucht, der gerade gewachsen ist.“ David grinste, während er seine Säge von dem Schlitten holte, mit dem er den Baum transportieren wollte.

Nachdem David die Fichte abgesägt und ordentlich festgezurrt hatte, fragte Anthony, ob er den Schlitten ziehen dürfe. Michael wollte unbedingt auch helfen. David zeigte auf den Weg zu einer Scheune, wo der Eigentümer der Baumschule die Bäume zusammenband, damit sie leichter zu transportieren waren. Alle Kinder machten sich gemeinsam auf den Weg, und ausnahmsweise mal ohne zu streiten.

„Der Friede hält sicher nicht lange an“, bemerkte Angela lächelnd.

David wusste, dass Olivia ihre Mutter mit der Einladung überrascht hatte. „Ich muss nicht zum Essen bleiben. Schließlich sind Sie gar nicht darauf eingestellt.“

Einen Moment dachte sie nach. „Alle Kinder möchten, dass Sie dabei sind“, meinte sie schließlich. „Sicher sehnen sie sich nach einer Vaterfigur. Die Frage ist, ob Sie das wollen? Sich um Anthony zu kümmern ist eine Sache, aber noch zwei weitere Kinder im Schlepptau zu haben ist etwas anderes.“

„Das macht mir nichts aus. Ihre Kinder sind prima. Allerdings habe ich vor, mich auch mal mit Anthony allein zu beschäftigen, weil er besondere Aufmerksamkeit braucht.“

„Sie haben recht. Jerome hat nie viel Zeit mit ihm verbracht, aber wann immer es möglich war, ist Anthony hinter seinem Dad hergelaufen.“

„Wir könnten uns auf dem Nachhauseweg eine Pizza holen“, schlug er vor, denn er wollte ihr keine Umstände machen.

„Nein, das brauchen wir nicht. Im Kühlschrank habe ich noch Roastbeef. Ich könnte es aufwärmen und Sandwiches dazu ­machen. Passt Ihnen das?“

„Klingt gut. Sie versuchen wirklich, die perfekte Mutter zu sein, nicht wahr?“

„Ist das denn falsch?“

„Nein, wenn es Sie nicht überfordert.“

„Das tut es schon, aber so lange ich kann, will ich mein ­Bestes geben.“

Angela und er konnten die Kinder hören, aber die Bäume verbargen sie vor den Blicken der drei. Es kam ihm fast so vor, als seien sie ganz allein auf der Welt.

Um den Baum auf dem Schlitten festzubinden, hatte er seine Handschuhe ausgezogen. Als er nun ein Strähne von Angelas Haar sanft aus ihrem Geschicht strich, fühlte er, wie weich ihre Haut war. Ihre Augen schienen in einem noch intensiveren Blau zu leuchten, und er sah in ihnen die gleiche Sehnsucht, die er selbst spürte. Vermutlich fragten sich gerade beide, wie es wäre, wenn sie sich küssten. Würde ein Feuer zwischen ihnen auflodern … würde die Erde unter ihren Füßen beben?

Normalerweise reagierte er gar nicht so impulsiv. Aber sein Verlangen trieb ihn dazu, den Augenblick zu nutzen. Er musste einfach herausfinden, ob es wirklich zwischen ihnen funkte. Als er den Kopf neigte, hob sie ihr Kinn. Seine Lippen streiften ihre.

Dauerte der Kuss nur einige Sekunden? Oder eine ganze Stunde?

Jegliches Zeitgefühl war ihm verloren gegangen, als er behutsam die Zunge in ihren Mund gleiten ließ. Angela erwiderte den Kuss leidenschaftlich.

Plötzlich hörten sie das Lachen der Kinder, und David trat sofort zurück. Er war völlig verwirrt.

Das war unmöglich. Der Kuss hatte doch nur ganz kurz gedauert. Wieso war er dann so erregt? Warum wollte er sie gleich hier im Schnee zwischen den Weihnachtsbäumen lieben?

„Das hätte ich nicht tun sollen. Wenn Anthony merkt, dass zwischen uns etwas läuft, dann lässt er nie zu, dass ich mich mit ihm anfreunde.“

„Du hast recht“, murmelte sie. „Und ich bin nicht auf der Suche nach … nach einer Beziehung. Mir fehlen einfach Zeit und Energie dafür. Männer haben mich bis jetzt nur enttäuscht.“

Ihre Worte erschütterten ihn. „Ich versuche, dich nicht zu enttäuschen, was Anthony angeht“, versprach er ernst. „Komm, damit wir die Kinder einholen.“

Sie widersprach nicht, und er wusste, dass sie auch nicht mehr allein mit ihm hinter den dreien zurückbleiben wollte. Offenbar war sie verletzt worden, und vielleicht nicht nur von ihrem Ex-Mann. Angela und er hatten Erfahrungen gemacht, die nichts anderes als eine heiße Affäre zuließen.

Und heiß würde sie sein. Schon dieser eine Kuss hatte ihm das gezeigt.

An erster Stelle stand jedoch Anthony, und deshalb musste er sich von Angela Schumacher fernhalten.

3. KAPITEL

Am Sonntagabend klingelte es an der Tür.

Angela war immer noch wie betäubt von Davids Kuss. Die Berührung hatte sie regelrecht umgehauen, aber sie hatte so getan, als ob nichts passiert wäre. Nachdem er mit ihnen gegessen hatte, war David nach Hause gefahren. Während die Kinder jetzt ausnahmsweise einmal friedlich vor dem Fernseher saßen, räumte sie die leeren Schachteln für den Weihnachtsschmuck weg.

Als sie nun die Haustür öffnete, stand sie ihrer Nachbarin Rebecca Peters gegenüber, die demonstrativ die Hand emporhielt.

„Wie schön!“ Angela sah auf den edlen Diamanten an Rebeccas Finger und umarmte die Freundin herzlich. „Ich bin beeindruckt! Wann wollt ihr denn heiraten?“

Ehe die Freundin jedoch antworten konnte, fasste Angela sie am Arm und zog sie ins Haus. „Ich mache uns einen Tee, und du kannst mir alles erzählen.“

Rebecca folgte Angela in die gemütliche Küche.

„Ich wusste, dass er bald fragen würde“, behauptete Angela, nachdem sie einen weiteren Blick auf den Ring an Rebeccas Finger geworfen hatte.

„Ich auch“, vertraute Rebecca ihr mit einem scheuen Lächeln an. „Ich liebe Joe so sehr. Er musste heute leider in die Praxis fahren, und da dachte ich mir, ich könnte die gute Nachricht schon mal mit dir teilen.“

Während Angela das Wasser für den Tee aufsetzte, hielt Rebecca ihre Hand ins Licht. „Wahrscheinlich heiraten wir im Frühling. Ich möchte ein tolles Brautkleid und Blumenmädchen. Und am besten strahlenden Sonnenschein.“

Einige Minuten redeten sie über das Kleid, das Rebecca aussuchen würde, über die Farben, die die Brautjungfern tragen sollten, und über die Örtlichkeiten für einen Empfang.

Währenddessen bereitete Angela den Tee zu.

„Eigentlich bin ich ja noch aus einem anderen Grund hier“, gab Rebecca zu. „Wer war denn der tolle Typ, der heute Nachmittag in deiner Einfahrt stand?“

„Sag mal, warst du nicht viel zu beschäftigt, um noch andere tolle Typen zu entdecken?“, neckte Angela sie.

„Joe und ich können schließlich nicht die ganze Zeit im Bett verbringen“, erwiderte sie und errötete leicht.

Beide Frauen lachten. Doch als Angela an David dachte, räusperte sie sich. Er wollte am Freitag mit Anthony ins Kino gehen, so viel war schon verabredet. Und etwas anderes gibt es auch nicht zu planen, ermahnte sie sich.

„Er wird Anthonys ‚Big Brother‘ sein. Gestern waren wir alle beim Schlittenfahren, und heute haben wir einen Weihnachtsbaum ausgesucht.“

„Anthonys ‚Big Brother‘ “, wiederholte Rebecca. „Hm. Bist du sicher, dass das alles ist?“

„Er ist jünger als ich“, betonte Angela.

„Wie viel jünger?“

„Drei Jahre.“

„Aber das ist doch gar nichts.“

„Vielleicht.“

„Ist er Single?“

„Oh, ja.“

„Was macht er?“

„Er hat ein Sportgeschäft gegenüber von Felice’s Nieces“.

„Reden wir etwa von David Moore?“, fragte Rebecca besorgt.

„Kennst du ihn?“

„Nein, aber ich habe einiges über ihn gehört.“

„Was denn?“, fragte Angela beunruhigt.

Nach kurzem Zögern fuhr Rebecca fort. „Also, du musst wissen, dass die Sache passiert ist, bevor ich hierher gezogen bin. Aber es gab damals wohl einen Streit beim Football, und er musste deshalb Sozialdienst leisten.“

Schockiert lehnte Angela sich an den Tisch. „Hat er sich etwa mit jemandem geprügelt?“

Rebecca nickte. „Ja, mit einem anderen Trainer.“

„Das verstehe ich nicht. Wieso kann er dann noch als Trainer arbeiten, und warum wurde er sogar als Betreuer eingeteilt?“

„Die Einzelheiten kenne ich auch nicht. Ich wollte nur, dass du es weißt. Wie kommt Anthony denn mit ihm klar?“

„Bis David heute Abend gegangen ist, haben sie die ganze Zeit über Football geredet. Ich glaube, er gewöhnt sich langsam an ihn, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich noch will, dass David Moore Zeit mit meinem Sohn verbringt.“

„Vielleicht hätte ich besser nichts gesagt.“

„Ich werde herausfinden, was damals passiert ist“, beschloss Angela. Sie würde David morgen anrufen und ihn zu einem Kaffee einladen. Dann ließ sich die Situation hoffentlich klären.

„Was soll Joe denn zur Hochzeit tragen?“, fragte sie Rebecca, um das Thema zu wechseln. Sie wollte jetzt nicht an ihre ­Sorgen denken, sondern lieber die tollen Neuigkeiten ihrer Freundin genießen.

Im Coffeeshop Latte & Lunch herrschte reger Betrieb. Obwohl sie noch gar keinen Kaffee getrunken hatte, schien sich Angelas Herzschlag zu beschleunigen. Das bevorstehende Treffen machte sie nervös, denn sie fürchtete, es könnte in einer Auseinandersetzung enden. Und das war das Letzte, was sie mit David haben wollte.

Außerdem musste sie die ganze Zeit an den Kuss denken. Sie spürte schon wieder dieses Kribbeln, gegen das sie nichts unternehmen konnte.

David wartete an einem Tisch in der Ecke auf sie. Als er aufstand, sah er sie ernst an. „Wenn ich gewusst hätte, was du magst, hätte ich schon etwas für dich bestellt.“

Sie sah, dass er eine Tasse schwarzen Kaffee vor sich hatte.

„Ich hole mir etwas und komme sofort wieder.“ Eigentlich wollte sie zwar gar nichts trinken, aber so konnte sie das Unvermeidliche noch etwas hinauszögern.

„Geht es um den Kuss?“, wollte er wissen, als sie wieder zum Tisch zurückgekehrt war.

„Nein, ich habe etwas erfahren und möchte gern darüber reden.“

„Was denn?“

„Eine Nachbarin hat mir erzählt, dass du als Trainer beim Football in eine Schlägerei verwickelt warst.“

„Haben meine Empfehlungen dich nicht überzeugt?“

„Bevor ich von der Schlägerei wusste, schon. Aber ich weiß nicht, ob ich Anthony jemandem anvertrauen möchte, der schnell in Rage gerät.“

„Hast du bisher schon etwas von dieser Rage bemerkt?“

„Nein, aber das heißt ja nichts. Schließlich kennen wir uns erst seit zwei Tagen. Außerdem habe ich gehört, dass Männer, die zu Wutausbrüchen neigen, das häufig gut verbergen können.“

David sah sie an. „Was passiert ist, ist kein Geheimnis. Ich gebe zu, dass ich nach meinem Unfall sehr wütend war. Mein Leben war plötzlich völlig verändert, und es fiel mir schwer, das zu akzeptieren. Nach einer Weile hatte ich dann aber wieder ein Ziel vor Augen. Ich wollte mein eigenes Geschäft eröffnen. Also habe ich in einem Sägewerk gearbeitet, bis ich genug Geld verdient hatte. Und zusätzlich habe ich noch eine Footballmannschaft trainiert.

An jenem Abend hat ein Spiel stattgefunden, und einer meiner Spieler wurde von einem anderen angerempelt. Die beiden Jungen haben angefangen zu kämpfen, und der Trainer der gegnerischen Mannschaft hat sich eingemischt. Ich habe ihn aufgefordert, wegzugehen, aber er hat ausgeholt. Nur um mich zu verteidigen, habe ich zurückgeschlagen. Und um meinen Spieler zu schützen.“

Ganz offensichtlich war die Situation nicht eindeutig gewesen. Angela wusste nicht, was sie sagen sollte. Vor ihrer Scheidung hatte sie geglaubt, eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Aus der Art, wie David mit den Kindern umging, hatte sie geschlossen, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun könnte.

Ihr Schweigen deutete David so, dass sie noch mehr Informationen haben wollte. „Der Polizeichef war auch beim Spiel, und bevor einer von uns noch einmal zuschlagen konnte, hat er den Kampf schon unterbrochen. Er schlug uns vor, fünfzig Sozialstunden zu leisten, in denen wir uns um problematische Kinder kümmern sollten. So bin ich überhaupt erst zu dem ‚Big-Brother‘ – Programm gekommen.“

„Dieser andere Trainer sollte keine Kinder betreuen, wenn er sich nicht beherrschen kann. Was hat sich der Polizeichef bloß dabei gedacht?“, fragte Angela empört.

„Er wusste, dass wir uns im Eifer des Gefechts von der Situation hatten hinreißen lassen, genauso wie die Spieler. Witherspoon ist kein schlechter Mensch, ich habe ihn später besser kennengelernt. Er hätte nicht ausholen dürfen, und ich hätte keinesfalls zurückschlagen sollen.“

Angela gefiel, dass David die Verantwortung für das Geschehene übernahm.

„Damals war ich dreiundzwanzig und habe versucht, meinen Weg zu finden. In den letzten fünf Jahren habe ich viel gelernt. Während der ganzen Zeit habe ich Kinder betreut, und niemand hatte jemals Grund zur Klage. Du kannst gern im Gemeindezentrum die Akten über mich einsehen. In erster Linie solltest du dir jedoch den Mann ansehen, der ich heute bin, und nicht an den denken, der ich früher vielleicht mal war.“

„Ich kann nicht einschätzen, wer du heute bist.“

„Du bist Mutter und musst dir deine eigene Meinung bilden. Anthony ist dein Sohn, und natürlich möchtest du niemanden in seiner Nähe haben, der keinen guten Einfluss auf ihn hat.“

Viele andere Männer hätten sich wahrscheinlich darüber aufgeregt, dass sie auf den Klatsch gehört hatte, aber David schien nicht verärgert zu sein. Er hatte sich jedoch von ihr zurückgezogen. Das Begehren, das sie vorher in seinem Blick bemerkt hatte, war verschwunden.

Während sie in seine schönen braunen Augen sah, konnte sie keine Entscheidung fällen. „Ich muss über alles nachdenken.“

David stand auf. „Tu das. Im Gemeindezentrum findet man sicher auch einen anderen Betreuer für Anthony. An eines solltest du jedoch denken. Aus meinen Fehlern habe ich gelernt, und heute bin ich mit meinem Leben zufrieden. Ruf mich an, wenn ich Anthony am Freitag mit ins Kino nehmen soll.“ Er holte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und legte sie auf den Tisch. „Hier ist auch meine Handy-Nummer drauf, falls du sie brauchst.“

Damit verließ er das Lokal, und Angela fühlte sich … leer.

Am Mittwochnachmittag war David im Gespräch mit einem Kunden, als das Telefon an der Kasse klingelte.

„Für Sie“, meldete Edgar Pawalski, Davids Mitarbeiter. „Ein Notfall.“

David ging ans Telefon. Hoffentlich war seinem Dad nichts passiert.

Eine hohe Frauenstimme war zu hören. „Mr Moore? Man hat mir gesagt, dass Sie Anthony Buffingtons ‚Big Brother‘ sind.“

„Ja, das stimmt.“

„Ich bin die Leiterin der Rosewood Elementary School. Anthony hat hier nach dem Unterricht noch Basketball gespielt und sich dabei den Arm verletzt, aber ich kann seine Eltern nicht erreichen. Er hat etwas von einer Tante gesagt, aber die ist wohl auf Geschäftsreise. Der Junge hat starke Schmerzen, und als ich ihn fragte, wen ich noch anrufen könnte, hat er Sie erwähnt.“

„Sie können Ms Schumacher nicht erreichen? Haben Sie es schon bei Felice’s Nieces versucht?“

„Anthony hat uns gesagt, dass sie stundenweise dort arbeitet. Vielleicht ist ihr Handy nicht aufgeladen oder sie hat es ausgestellt. Anthony geht es schlecht, und er ist sehr aufgeregt. Könnten Sie vorbeikommen und mit ihm reden, bis wir die Mutter erreicht haben?“

„Wie stark ist seine Verletzung?“

„Ich bin zwar keine Ärztin, aber meines Erachtens ist der Arm gebrochen.“

„Ich mache mich sofort auf den Weg.“

„Kommen Sie am besten ins Krankenzimmer der Schule, aber melden Sie sich bitte erst im Sekretariat an.“

„In Ordnung. Bis gleich.“

Zehn Minuten später hatte David mit der Schulsekretärin gesprochen und ging durch den Flur zum Krankenzimmer.

Als er dort ankam, sah er Anthony auf einer Liege sitzen, während die Krankenschwester etwas in ihren Computer tippte.

David klopfte an die offene Tür. „Ich bin David Moore“, stellte er sich vor.

„Oh, Mr Moore. Ich habe Ms Schumacher gerade erreicht. Sie ist schon auf dem Weg.“

„Mom wird so sauer sein“, murmelte Anthony, und seine Augen füllten sich mit Tränen. David setzte sich neben ihn.

„Warum? Es ist doch nicht deine Schuld, dass du gefallen bist.“

„Ich sollte heute nicht länger bleiben, weil sie arbeiten muss. Aber ich habe so lange gebettelt, bis sie es erlaubt hat, und jetzt kann sie nicht mal arbeiten, weil sie mich abholen muss. Sie wird richtig böse sein.“

David berührte den Jungen unwillkürlich an der Schulter.

„So wie ich deine Mutter kenne, wird sie nicht sauer sein, sondern nur besorgt. Sie will, dass es dir gut geht.“

„Aber mir geht es nicht gut. Ich muss ins Krankenhaus.“

In diesem Moment eilte Angela in das Krankenzimmer und blieb stehen, als sie David sah.

„Anthony hat die Schwester gebeten, mich anzurufen, als man dich nicht erreichen konnte“, erklärte er ruhig.

„Ich habe gestern Abend vergessen, mein Handy aufzuladen. Als ich bei Felice’s Nieces ankam, hat schon die Mitteilung auf mich gewartet, dass ich in der Schule anrufen soll.“

Als Angela zu Anthony trat, stand David auf. Behutsam legte sie einen Arm um die Schulter ihres Sohnes. „Oh, mein Schatz. Wie geht es dir?“

„Es tut weh, Mom.“

David merkte, dass der Junge versuchte, für seine Mutter tapfer zu sein, aber es gelang ihm nicht besonders gut. „Tut mir leid, dass ich gefallen bin. Ich hätte nicht bleiben sollen. Wenn ich auf dich gehört hätte …“

„Ist schon gut“, beruhigte sie ihn. „Wichtig ist jetzt nur, dass sich jemand um dich kümmert.“

Angela wirkte sehr nervös, obwohl sie sich bemühte, das zu verbergen. Ihre Hand zitterte ein wenig, und David hielt es für besser, wenn sie jetzt nicht selbst Auto fuhr.

„Soll ich euch ins Krankenhaus bringen?“

Angela begegnete seinem Blick, und es schien, als stünde das letzte Gespräch zwischen ihnen. „Darum kann ich dich nicht bitten.“

„Das musst du gar nicht, denn ich biete es dir ja an. Es ist für alle sicherer, wenn ich fahre.“

Angela atmete tief ein. „Ja, vermutlich hast du recht.“

Die Krankenschwester stand auf. „Wir haben für Notfälle einen Rollstuhl hier. Damit kann ich Anthony nach draußen schieben.“

Fünfzehn Minuten später waren sie im Krankenhaus. Angela hatte mit dem Kinderarzt telefoniert, und der hatte ihr geraten, gleich in die Notaufnahme zu gehen. Bis Angela sämtliche Dokumente ausgefüllt und ein Orthopäde Anthonys Arm untersucht hatte, war eine Stunde vergangen. Der Junge wollte unbedingt, dass David mit ins Untersuchungszimmer kam.

„Ich brauche Röntgenaufnahmen“, erklärte der Arzt Angela. „Ich hole jemanden für Ihren Sohn. Möchten Sie mit dabei sein?“

„Kann Mr Moore mitkommen?“, fragte Anthony den Arzt.

Angela wirkte verletzt, und ihre Augen wurden feucht. „Wieso denn nicht ich?“

„Oh, Mom, du weinst doch jetzt schon. Mr Moore ist an so was gewöhnt, schließlich hat er selbst viel Sport gemacht.“ Er sah David an. „Sind Sie nach dem Unfall auch geröntgt worden?“

„Ja, und es wurden alle möglichen Tests mit mir gemacht.“

„Siehst du, Mom.“

Sie wandte sich an David. „Macht es dir nichts aus?“

„Nein, überhaupt nicht. Beruhige dich. Sicher sind wir bald wieder zurück.“

Sobald ein Pfleger Anthony zum Röntgen gebracht hatte, ging alles sehr schnell. David lenkte den Jungen so gut es ging ab, und als Anthony wieder in das Untersuchungszimmer zurückkam, hatten sie schon ein wenig Freundschaft geschlossen. Angela sah ein, dass all das vergebens wäre, wenn sie jetzt einen anderen Betreuer für ihren Sohn auswählte.

Als der Arzt Angela über das Ergebnis der Röntgenuntersuchung informierte, stellte David fest, dass sie zwar sehr mitgenommen war, ihre Besorgnis aber tapfer verdrängte und dem Arzt sehr sachlich begegnete.

„Der Arm ist gebrochen“, verkündete der Arzt. „Am besten richten wir ihn sofort, damit der Junge nicht noch länger leiden muss. Hast du schon etwas gegessen, mein Junge?“

„Nein, Sir. Seit dem Mittagessen nichts mehr.“

„Prima, dann können wir ja gleich loslegen.“

Angela gab ihrem Sohn noch einen Kuss, dann schob eine Krankenschwester Anthony auch schon mit dem Rollstuhl weg.

David hob die Tasche mit Anthonys Schulsachen auf. „Komm, wir gehen in den Warteraum in der Chirurgie. Wenn Anthony fertig ist, wird er auf diese Station verlegt.“

Als Angela sich ihm zuwandte, konnte er sehen, wie blass sie war.

„Ihm geht es bald wieder besser“, beruhigte David sie.

„Das weiß ich, aber er ist noch so klein. Das Krankenhaus ist riesig, und ich möchte nicht, dass er Angst hat. Und hoffentlich muss er später nicht unter den Folgen des Unfalles leiden.“

„Er wird wieder gesund. Nichts kann diesen Jungen aufhalten.“

Sie senkte den Kopf, und David wurde augenblicklich klar, warum. Er nahm ihre Hand und zog Angela in den jetzt leeren Untersuchungsraum. Mit einer Hand umfasste er Angelas Kinn und hob ihren Kopf. Tränen rannen über ihre Wangen.

„Was ist los?“, fragte er sanft.

„Ich wollte alles richtig machen. Ich habe einen Mann geheiratet, mit dem ich mein Leben verbringen wollte. Wir waren mit unseren drei wunderbaren Kindern glücklich, bis ich herausfand, dass er mich betrogen hat. Megan hat mir sehr geholfen, aber sie zieht bald aus, und ich musste den zusätzlichen Job annehmen. Jetzt ist Anthony auch noch verletzt. Jerome kann ich nicht erreichen, und es kommt mir so vor, als ob es ihn gar nicht interessiert, dass er eine Familie hat. Oder hatte. Irgendwie glaube ich, dass alles meine Schuld ist.“

Sie weinte heftig, und David nahm sie in die Arme, um sie zu trösten. Angela schmiegte sich an ihn, und er konnte ihre Brüste durch ihren Pullover spüren. Ihr süßer, blumiger Duft stieg ihm in die Nase und weckte Sehnsucht nach ihr. Zuerst war sie ihm wie die Verkörperung einer unabhängigen Frau erschienen, aber jetzt zeigte sich, dass ein Mann ihr doch mit Unterstützung und Trost zur Seite stehen konnte.

Wer war die echte Angela? Wollte sie wirklich unabhängig sein? Wollte sie einen Mann an ihrer Seite? Brauchte sie jemanden, auf den sie sich verlassen konnte? Oder suchte sie einfach nur ein leichteres Leben als das einer alleinerziehenden Mutter?

Jessica hatte sich von ihm ein Leben in Luxus erhofft, aber das hatte er erst gemerkt, nachdem sie ihn verlassen hatte.

Er würde niemals mehr der leichte Ausweg für eine Frau sein!

Angelas Schluchzer waren verstummt, und sie lehnte sich jetzt ruhig an ihn. David kämpfte das Verlangen nach ihr zurück und schob sie sanft von sich.

Verwirrt sah sie ihn an. „Tut mir leid. Normalerweise reagiere ich nicht so.“

„Warum entschuldigst du dich? Es ist doch ganz natürlich, dass du dir Sorgen um deinen verletzten Sohn machst.“

„Ich verschwinde noch kurz zur Toilette, und komme dann ins Wartezimmer. Es tut mir leid, dass du in die Sache hineingezogen wurdest. Ich wollte mich nicht so gehen lassen.“ Sie fuhr sich durch die Haare. „Bestimmt sehe ich furchtbar aus.“

„Selbst wenn du es wolltest, würdest du nie furchtbar aussehen“, erwiderte er, ohne sich stoppen zu können.

Ihre Wangen wurden rot. „In fünf Minuten bin ich im Wartezimmer.“

Während Angela über den Flur ging, fragte David sich, wie weit er an ihrem Leben teilhaben wollte.

Dabei wusste er nicht einmal, ob sie ihn noch als Betreuer für ihren Sohn haben wollte. Sollte er wirklich dieser Betreuer sein … oder sollte er lieber jetzt verschwinden?

Als Angela am folgenden Abend die Luxuslimousine in ihrer Einfahrt sah, war sie äußerst erstaunt. David und ein großer breitschultriger Mann stiegen aus.

Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte sich versteckt. Seit David sie im Krankenhaus getröstet hatte, fürchtete sie sich vor einem Wiedersehen mit ihm. Was gestern passiert war, entsprach so gar nicht ihrem Wesen. Stress war ein ständiger Begleiter, und sie wusste eigentlich damit umzugehen. Aber Anthonys Verletzung zusätzlich zu all ihren anderen Sorgen war doch zu viel gewesen.

Was dachte David Moore jetzt von ihr? Er hatte sich wie ein perfekter Gentleman verhalten und geduldig mit ihr gewartet. Danach hatte er sie und Anthony nach Hause gefahren. Mehr als einmal hatte sie sich bedankt, aber er war gar nicht darauf eingegangen und hatte lässig abgewunken. Der erschöpfte Anthony hatte ihre ganze Aufmerksamkeit gefordert, und so war sie nicht dazu gekommen, sich weiter mit David zu beschäftigen oder auch nur darüber nachzudenken, was zwischen ihnen geschehen war. Unbewusst ging sie davon aus, ihn nicht wiederzusehen.

Aber er war da, und ihr war auch klar, warum. Er sorgte sich um Anthony.

Obwohl sie kein großer Football-Fan war, kannte sie trotzdem die Spielregeln und die wichtigsten Spieler. Und der Mann neben David war Duke Smith, Anthonys Lieblingsspieler. David hatte ihn für ihren Sohn mitgebracht!

Was würde er sagen, wenn er die beiden hier sähe?

Sie öffnete den Männern die Tür und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Doch die Begrüßung ließ gar keinen Platz für peinliche Momente.

Überwältigt schüttelte sie die Hand des Verteidigers. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich hätte nie gedacht, dass David Sie mitbringen würde.“

„Gestern hatte ich ein Meeting in New York und habe später mit David telefoniert, um ein Treffen vorzuschlagen. Er hat mir von Ihrem Jungen erzählt.“

„Anthony hat mich heute Morgen angerufen“, informierte David sie.

„Er hat mir gar nichts davon gesagt. Hoffentlich wird er dir nicht lästig.“

„Kein Problem. Ich wusste nicht, ob du mich hier haben willst, aber ich dachte, Duke und ich könnten Anthony etwas aufheitern. Er hat gestern so niedergeschlagen gewirkt.“

Eigentlich wollte sie vorher noch mit David über Anthonys Betreuung reden, aber sie wollte das nicht vor Duke breittreten.

„Er ist in seinem Zimmer. Michael ist auch da und nervt ihn wahrscheinlich.“

„Schöne Gegend hier“, meinte Duke und zeigte auf die Straße. „Ich habe gerade mein erstes Haus gekauft. Hat sogar einen Pool. Ist schon ein komisches Gefühl, Hauseigentümer zu sein.“

Bei einem schnellen Blick zu David bemerkte Angela, wie ein Schatten über sein Gesicht zog. Würde er gerne so wie Duke leben?

„Ein Haus zu haben kann auch eine Belastung sein. Immer muss irgendetwas repariert oder angeschafft werden“, stellte sie fest.

Plötzlich rief Michael aus Anthonys Schlafzimmer. „Mom, ­Anthony ärgert mich!“

Angela schüttelte den Kopf. „Soll ich euch anmelden, oder wollen ihr die Jungs überraschen?“

„Überraschung ist immer ein guter Angriff“, erwiderte David lächelnd.

Sie wies auf die Treppe. „Da geht’s lang.“

Als Duke nach oben ging, fasste sie David am Arm. Er trug ein Football-Trikot, und darunter konnte sie seine Muskeln fühlen – hart und kräftig. „Kann ich dich noch kurz unter vier Augen sprechen, bevor ihr nachher geht?“

„Sicher. Ich sehe zu, dass wir eine Gelegenheit dazu finden.“

Sie spürte die Wärme seiner Haut und hörte die Sanftheit in seiner Stimme.

Dann ging er weiter die Treppe hoch, und sie fragte sich, ob sie wegen Anthony mit ihm reden wollte … oder ihretwegen.

„Guck mal, Mom, Duke hat auf meinem Gipsverband unterschrieben! Ist das nicht toll? Er hat sogar einen Football gemalt.“

Nachdem die Männer sich eine halbe Stunde mit Anthony und Michael beschäftigt hatten, war Angela nach oben gegangen, um sie zu retten. Sie sollten nicht glauben, dass sie den ganzen Abend bleiben mussten.

„Er heißt Mr Smith“, erinnerte sie ihren Sohn.

„Jeder nennt mich Duke“, versicherte Davids Freund grinsend. „Mich stört das nicht. Ich habe Ihrem Sohn gerade erklärt, wie ich mich fit halte.“ Er zeigte auf David. „Er kann dir wirklich erzählen, wie man Muskeln aufbaut. Nach seinem Unfall war er einen Monat lang in der Reha, und dann hatte er drei weitere Monate Physiotherapie.“

David schüttelte leicht den Kopf, so als wollte er nicht darüber reden. Was wohl der Grund dafür war? Irgendetwas hatte David schließlich zu dem starken und hilfsbereiten Mann gemacht, der er heute war.

Michael kam zu Angela und sah sie an. „Ich habe Hunger, Mom. Können wir bald essen?“

Autor

Karen Rose Smith
Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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