Cora Collection Band 59

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IM WARMEN GLANZ DER KERZEN von JUDY DUARTE
Ein geschmückter Tannenbaum, warmer Kerzenglanz und eine Frau, die ihn liebevoll umsorgt – das alles lässt den attraktiven Greg völlig kalt. Doch die zauberhafte Connie hat sich in den Kopf gesetzt, ihn davon zu überzeugen, dass Weihnachten das wunderbare Fest der Liebe ist …

NUR EIN GEBORGTES WEIHNACHTSGLÜCK? von JENNIFER FAYE
Weihnachten? Nein, danke! Was für TV-Moderator Jackson zählt, ist sein Job. Auch als er die Feiertage mit der schönen Serena eingeschneit auf einer Berghütte verbringen muss, denkt er an Flucht. Aber warum fühlt sich plötzlich dieser eine verbotene Kuss so unglaublich richtig an?

KÜSS MICH ZUM FEST DER LIEBE von CARA COLTER
Eigentlich kann Turner mit Weihnachten nichts anfangen. Trotzdem nimmt er von guten Freunden die Einladung zum Fest an. Prompt läuft ihm die bezaubernde Casey über den Weg – die ihn schmerzlich daran erinnert, was er nicht hat: Liebe, Familie, Zärtlichkeit …


  • Erscheinungstag 25.11.2022
  • Bandnummer 59
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508810
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Duarte, Jennifer Faye, Cara Colter

CORA COLLECTION BAND 59

1. KAPITEL

In der Hoffnung, den Wettlauf gegen den Sturm zu gewinnen, der den weiten Himmel von Texas verdüsterte, trat Greg Clayton das Gaspedal des Geländewagens durch.

Soeben war eine anstrengende Tournee zu Ende gegangen. Die Mitglieder seiner Country-Band hatten sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut, um das bevorstehende Thanksgiving, das wichtigste Familienfest des Jahres, sowie die anschließende Adventszeit im Kreise ihrer Lieben zu verbringen. Auch Greg war in ein Flugzeug gestiegen und nun mit einem Leihwagen auf dem Weg zu dem einzigen richtigen Zuhause seines bisherigen Lebens: die Ranch Rocking C.

Vor vierzehn Jahren hatte Granny Clayton ihn allein und verängstigt in ihrer Scheune aufgestöbert und einen Monat später seine Adoption in die Wege geleitet.

Nun, mit siebenundzwanzig, war er sein halbes Leben lang ein Clayton, und es war bei Weitem die bessere Hälfte.

Ein greller Blitz zerriss die Wolkendecke, die sich von Minute zu Minute bedrohlicher auftürmte. Es dauerte nicht lange, bis ein grollender Donner folgte.

Greg fluchte vor sich hin. Laut Wettervorhersage standen sintflutartige Regenfälle bevor. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zur Ranch. Doch die Landstraße wies an einer Stelle eine tiefe Senke auf, die häufig überschwemmt wurde. Er musste sie passieren, bevor der Regen einsetzte. Sonst gab es kein Durchkommen mehr.

Sein Handy klingelte. Er nahm es von der Gürtelklemme und meldete sich.

„Greg?“, fragte seine Mutter über atmosphärische Störungen in der Leitung hinweg. „Bist du das?“

„Ja, Granny. Ist bei dir alles okay?“

„Ja und nein. Mir geht es gut, aber Lester hatte einen Herzanfall.“

Lester war Vormann auf der Rocking C und leistete seit Jahren hervorragende Arbeit. „Das ist ja furchtbar.“

„Er war zu Besuch bei seiner Schwester in Houston, als es passiert ist. Ich fahre gerade zu ihm.“

„Wo bist du jetzt?“ Greg musterte den düsteren Himmel und hoffte, dass es nicht mehr weit bis zu ihrem Ziel war. Es gefiel ihm nicht, sie in ihrem hohen Alter auf der Straße unterwegs zu wissen.

„Hilda chauffiert mich. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“

Er verdrehte die Augen. Diese Mitteilung beruhigte ihn ganz und gar nicht, denn Hilda war fast so alt wie Granny. Die beiden gerieten bei ihren gemeinsamen Unternehmungen häufig in Schwierigkeiten, weil sie sich ständig auf irgendwelche Abenteuer einließen und Greg und seinen Brüdern ständig Anlass zur Sorge gaben. „Aber wo bist du?“

„Irgendwo im Randbezirk von Houston. Ich weiß nicht genau, wo, aber wir übernachten heute in einem Hotel. Es fängt gerade an zu nieseln, und wir wollen nicht länger als nötig auf der Straße bleiben.“

„Das erleichtert mich ungemein.“

„Wie weit hast du es denn noch bis zur Ranch?“

„Nur ein paar Meilen.“

„Gut. Zurzeit ist nur Connie da. Du erinnerst dich doch an sie, oder?“

„Natürlich. Ich habe sie doch im Juni bei deinem achtzigsten Geburtstag kennengelernt.“ Im Geist sah er sie deutlich vor sich: attraktiv und jung, die kurzen dunklen Haare von blonden Strähnchen durchzogen. Außerdem wusste er, dass sie einen meisterhaften Schokoladenkuchen backte. Denn sie war offiziell als Köchin auf der Ranch eingestellt – und inoffiziell von Granny, wie es so ihre Art war, auch gleich in den Schoß der Familie aufgenommen worden.

Mit etwas Glück köchelte bei seiner Ankunft etwas Schmackhaftes auf dem Herd. Er hatte keinen Bissen zu sich genommen, seit er in Las Vegas ins Flugzeug gestiegen war. In der ersten Klasse wurden zwar erfahrungsgemäß feine Speisen serviert, doch er hatte den ganzen Flug bis zum Hobby Airport in Houston verschlafen – vor lauter Erschöpfung nach dem letzten Auftritt der langen Tournee.

Nicht, dass er sich beklagen wollte. Er liebte die Bühne. Aber manchmal musste er seine kreativen Reserven auffüllen, und der beste Ort dafür war die Rocking C.

Deshalb freute er sich darauf, die Advents- und Weihnachtszeit mit dem Clayton-Clan zu verbringen, der in letzter Zeit noch angewachsen war. Sein älterer Bruder Jared war seit einigen Monaten mit Sabrina verheiratet, und Matt war inzwischen mit Tori verlobt.

Ja, Greg sah der Zeit mit seinen Brüdern und den neuen Schwägerinnen mit froher Erwartung entgegen.

„Ich habe allen Angestellten über Thanksgiving freigegeben“, erklärte Granny. „Aber Connie wollte nicht wegfahren. Also musste ich sie wohl oder übel ganz allein lassen, nachdem ich die Nachricht von Lesters Schlaganfall bekommen habe. Deshalb bin ich sehr froh, dass du auf dem Weg zu ihr bist. Vor allem, weil sich ein Sturm zusammenbraut.“

„Kein Problem. Ich leiste ihr gern Gesellschaft.“ Er lächelte. Er konnte das Wiedersehen mit Connie kaum erwarten. Obwohl sie sich vor fünf Monaten gewissermaßen auf geschwisterlicher Basis angefreundet hatten, war sie ihm gegenüber recht zurückhaltend geblieben. Ihre Schüchternheit oder ihr Desinteresse oder was immer es sein mochte, reizte ihn.

Die meisten Frauen, ob jung oder alt, ob Single oder liiert, neigten dazu, ihm schöne Augen zu machen. Daher gefiel es ihm ganz besonders, zur Abwechslung einmal selbst die Initiative ergreifen zu können.

Kaum endete das Gespräch mit Granny, da setzte auch schon der Regen ein.

Fünf Minuten später erreichte Greg die Ranch und parkte neben dem Haus. Er ging zur Hintertür hinein, zog sich die Stiefel aus und ließ sie im Windfang stehen.

In der Küche stieg ihm der Duft nach Zimt und weiteren weihnachtlichen Gewürzen in die Nase. Prompt knurrte sein Magen.

Er ging weiter ins Wohnzimmer und fand Connie schlafend auf der Couch. Sie hielt ein Kissen in den Armen und war bis zum Kinn in eine Wolldecke gehüllt. Ihre Haare waren gewachsen, die blonden Strähnchen verschwunden. Er konnte sich nicht entscheiden, ob es ihm so besser gefiel als früher. Jedenfalls war sie genau so hübsch, wie er es in Erinnerung hatte. Ihr Gesicht mit dem südländisch dunklen Teint leuchtete förmlich.

Wenn ihn sein Gedächtnis nicht täuschte, waren ihre Augen grün-braun. Um sicherzugehen, musste er allerdings warten, bis sie sich öffneten.

Er schmunzelte unwillkürlich. Irgendetwas sagte ihm, dass er den Aufenthalt auf der Ranch diesmal ganz besonders genießen würde. Und er malte sich bereits aus, mit Connie vor einem knisternden Kaminfeuer zu sitzen und dem Regen zu lauschen, der auf das Dach prasselte.

Ihm wurde bewusst, dass er nicht ewig dastehen und sie anstarren konnte. Also beschloss er, sie vorläufig schlafen zu lassen und sein Gepäck in sein Zimmer zu tragen. Doch kaum entfernte er sich einen Schritt, da knarrte eines der Dielenbretter.

Connie schoss auf dem Sofa hoch und rang mit weit aufgerissenen Augen nach Atem.

Ja, sie sind eindeutig grün. „Oh.“ Greg stellte seine Reisetasche ab. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Sie öffnete den Mund, brachte aber keinen einzigen Ton heraus.

Also fuhr er fort: „Du kennst mich doch noch, oder? Ich bin Greg. Grannys Sohn. Wir haben uns vor ein paar Monaten bei ihrer Geburtstagsparty kennengelernt.“

Sie strich sich durch die braunen Locken. Sie wirkte keineswegs beeindruckt und erwiderte gelassen: „Ich weiß, wer du bist.“

„Ich wollte gerade mein Gepäck verstauen. Danach mache ich mir was zu essen.“

„Das kann ich doch tun.“ Sie warf Kissen und Decke beiseite und enthüllte einen Bauch von der Größe eines Basketballs – oder eher eines Strandballs.

Verdammt. Sie ist schwanger.

Die Verblüffung musste sich auf seinem Gesicht widerspiegeln, denn sie rieb sich den vorgewölbten Leib und runzelte die Stirn. „Was hast du denn?“

„Du … du kriegst ein Baby?“

„Wusstest du das etwa nicht?“

„Nein.“ Weder seine Mutter noch seine Brüder hatten es für nötig befunden, ihn zu informieren. Aber warum nicht? Er war überzeugt, dass er kein Geheimnis daraus gemacht hatte, wie sehr er sich zu Connie hingezogen fühlte.

Ein Blitz zuckte über den Himmel und erhellte flüchtig den Raum.

Ihr Bauch sah so prall aus, als könnte er jeden Moment platzen. Kein Wunder, dass Granny sie so ungern allein auf der Ranch zurückgelassen hatte!

„Wann ist es denn so weit?“, fragte er in der unrealistischen Hoffnung, dass es noch ein oder zwei Monate dauerte. Selbst eine Woche hätte ihn schon einigermaßen beruhigt.

„Freitag.“

Es war schon Dienstag. Er betete, dass sich das Baby an den Terminplan halten möge.

Connie rieb sich das Kreuz und verzog das Gesicht.

„Was ist denn?“, fragte Greg.

Sie bog den Rücken durch. „Ich habe schon den ganzen Nachmittag Kreuzschmerzen.“

Er blickte zu der antiken Uhr auf dem Kaminsims. Viertel nach fünf. Wie schnell sich eine Situation doch ändern kann, sinnierte er. Gerade noch hatte er sich darauf gefreut, allein mit dieser Frau zu sein und seinen Charme bei ihr spielen zu lassen. Nun konnte er nur noch hoffen, dass das Baby nicht zu früh auf die Welt und Granny nicht zu spät auf die Ranch zurückkam.

„Ich koche dir etwas, während du deine Sachen wegräumst“, bot sie an.

„Nein. Das kann ich dir nicht zumuten. Schon gar nicht, wenn du Schmerzen hast. Leg dich wieder hin. Ich mache mir ein Sandwich – und auch gleich eins für dich.“

„Wenn es dir nicht zu viele Umstände bereitet …“

„Nein. Ich tue es gern.“ Und das war keine leere Floskel. Er brauchte dringend etwas, um seine Hände zu beschäftigen und seine Gedanken von dem drohenden Fiasko abzulenken.

Connies Rücken schmerzte schon den ganzen Tag. Nun klopfte dazu ihr Herz vor lauter Aufregung über das unverhoffte Wiedersehen mit Greg.

Er hätte sich ihr nicht vorstellen müssen. Sie kannte den großen dunkelhaarigen Mann nur zu gut. Sein attraktives Gesicht zierte die Cover ihrer Lieblings-CDs; seine Stimme ertönte regelmäßig aus dem Radio.

Als sie erfahren hatte, dass der Sohn ihrer Arbeitgeberin der berühmte Greg Clayton war, dessen Hits laufend die Charts stürmten, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, zu kündigen und sich einen neuen Unterschlupf zu suchen.

Doch sie war zu dem Schluss gekommen, dass er nicht ahnen konnte, wer sie wirklich war und woher sie kam. Denn ihre kurzlebige Gesangskarriere hatte sich auf Auftritte in schäbigen Bars beschränkt und gehörte zu einer Zeit in ihrem Leben, die sie vergessen wollte.

Nach Ross’ letztem Wutanfall im Vollrausch hatte sie sich geschworen, sich nie wieder schlagen zu lassen und ihr Leben grundlegend zu ändern.

Es war ganz harmlos losgegangen, mit einem kleinen Schubs hier und einem harmlosen Stoß dort. Im Laufe der Zeit waren die Handgreiflichkeiten jedoch eskaliert.

Das erste Mal, als er richtig zugeschlagen hatte, waren ihre Lippen aufgeplatzt. Er hatte wie ein Baby geweint, sich reumütig entschuldigt und geschworen, dass es nie wieder vorkommen würde.

Wider besseres Wissen war Connie weich geworden, doch es war ihm nicht gelungen, sein Versprechen zu halten.

Nach seinem nächsten Wutausbruch hatte sie sich geweigert, länger mit ihm zu leben, und Anzeige gegen ihn erstattet.

Während Ross von Polizeibeamten abgeführt worden war, hatte er gedroht, dass es ihr noch leidtun würde.

Es tat ihr schon sehr lange leid. Dass sie sich überhaupt mit ihm eingelassen hatte, und dass sie bei ihm geblieben war, nachdem er zum ersten Mal die Stimme und die Hand gegen sie erhoben hatte.

Ein grollender Donnerschlag riss sie aus ihren düsteren Erinnerungen. Sie ging zum Fenster und spähte hinaus in den Regen. Ihre Mutter sagte immer, dass derart scheußliches Wetter nach einem Topf Suppe und frisch gebackenem Brot verlangte.

Connie stimmte zu, obwohl sich ihr wahres Können in der Küche auf Süßspeisen beschränkte. Seit sie auf der Ranch in der Küche regierte, lernte sie jedoch ganz allmählich, auch andere Gerichte zuzubereiten.

Seufzend rieb sie sich den schmerzenden Rücken. Hatte sie sich vielleicht übernommen oder verhoben? Oder zählte es einfach zu den gewöhnlichen Beschwerden in den letzten Schwangerschaftswochen? Danach musste sie beim nächsten Arzttermin unbedingt fragen.

Vielleicht war auch der Nachmittagsschlaf auf dem weichen Sofa schuld an den stärkeren Beschwerden.

Ein bisschen Bewegung konnte sicherlich nicht schaden. Also wanderte Connie durch das Haus, bis sie schließlich in der Küche landete. Ihr Gewissen regte sich, weil sie zu Mittag zwar einen Kuchen gebacken, aber nichts anderes zubereitet hatte. Schließlich war sie als Köchin angestellt und wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie ihre Pflichten aufgrund der familiären Atmosphäre nicht ernst genug nahm oder der Aufgabe wegen der Schwangerschaft nicht gewachsen war. Sie brauchte diesen Job und die sichere abgelegene Unterkunft.

Greg stand mit dem Rücken zur Tür an der Arbeitsfläche. Das lange dunkle Haar, das ihm über die breiten Schultern fiel, war im Nacken mit einem Lederband zusammengebunden. Er belud Brotscheiben mit Schinken, Truthahn, Käse, Tomatenscheiben und allem anderen, was der Kühlschrank sonst noch hergab.

Es erschien ihr seltsam, einem attraktiven und talentierten Prominenten von seinem Format so nahe zu sein und zu beobachten, wie er eine derart banale Aufgabe ausführte. Es faszinierte sie, doch sie war fest entschlossen, ihn nicht wie ein Groupie anzuhimmeln.

„Wie wäre es mit einem Stück Apfelkuchen?“, fragte sie, während sie die Küche betrat.

„Wunderbar. Ich bin nämlich ein ganz Süßer.“ Er blickte über die Schulter und schenkte ihr sein typisch charmantes Lächeln, das ihre Hormone in Aufruhr brachte – und zwar diejenigen, die nicht mit Mutterschaft zusammenhingen.

Obwohl sich ihre Gedanken und ihr Körper auf die bevorstehende Geburt vorbereiteten, fühlte sie sich durch Gregs Aufmerksamkeit als Frau geschmeichelt. Doch sie bemühte sich, es zu ignorieren, und schnitt äußerlich gelassen zwei Stücke vom Kuchen ab.

„Lass uns im Wohnzimmer essen“, schlug er vor. „Es wird allmählich kühl, und ich möchte ein Feuer machen. Außerdem hast du es dort bestimmt bequemer.“

Zehn Minuten später prasselte ein Feuer im Kamin. Sie setzte sich auf das Sofa und wickelte sich und ihr Ungeborenes in die Decke. Sie wollte es Amanda nennen, in Gedenken an ihre einst beste Freundin. Das Nachbarsmädchen war im selben Sommer aus der Stadt weggezogen, in dem Connies Vater gestorben war.

Es war ein grausamer Doppelschlag für die damals Zehnjährige gewesen. Und eine ganze Weile lang hatte sie den Kummer und die Einsamkeit kaum ertragen. Die Trauer war im Laufe der Zeit erträglich geworden, die Einsamkeit aber war ihr ständiger Begleiter geblieben.

Draußen tobte der Sturm. Wind heulte um das Haus. Regen prasselte unaufhaltsam auf das Dach.

„Hast du eigentlich Familie?“, wollte Greg unvermittelt wissen.

Sie wandte ihm den Kopf zu und nickte. „Mutter und Schwester.“

„Wohnen sie hier in der Nähe?“

„Nicht weit entfernt.“ Sie redete nicht gern über sich selbst. Sie war keine gute Lügnerin, und da die Wahrheit wehtat, zog sie es vor, das Thema zu wechseln.

„Granny hat gesagt, dass du die Feiertage hier verbringen möchtest.“

„Ich halte es für besser, wegen der ärztlichen Versorgung in der Nähe von Brighton Valley zu bleiben.“

„Du meinst Doc Graham? Soweit ich weiß, ist er der einzige Doktor in der Stadt, oder?“

„Er ist vor ein paar Monaten in den Ruhestand getreten. Frau Dr. Bramblett hat die Praxis übernommen.“

„Ach so? Ist dir das recht? Der Doc ist ja schon ziemlich betagt und die meisten wären an seiner Stelle schon vor zehn Jahren in Pension gegangen, aber er soll ein ausgezeichneter Diagnostiker sein, zumindest für einen Landarzt.“

„Ja, ich war ein bisschen enttäuscht, als er mich an Frau Dr. Bramblett verwiesen hat. Aber ich mag sie auch.“ Trotzdem war Connie nervös und ängstlich, was die Entbindung anging.

„Wird deine Mutter bei der Geburt dabei sein?“

„Ich denke nicht“, erwiderte sie vage. In Wirklichkeit wusste weder ihre Mutter noch ihre Schwester von der Schwangerschaft. Beide mochten Ross nicht und waren erleichtert über die Trennung, obwohl sie nichts von seinem Alkoholproblem und seinem Hang zur Gewalttätigkeit ahnten.

Ein wenig war Connie versucht, klein beizugeben und heim zu Mama zu laufen. Aber sie schreckte davor zurück, ihre Mutter durch ein uneheliches Enkelkind in Verlegenheit zu bringen. Denn Dinah Rawlings war eine bekannte Größe beim Fernsehen. Da ihr Publikum ebenso konservativ war wie sie selbst, konnte sie eine derartige Publicity ganz gewiss nicht gebrauchen.

Außerdem hatte sich die Mutter-Tochter-Beziehung seit dem Tod von Connies Vater ständig verschlechtert und war inzwischen praktisch nur noch Fassade. Zum Teil lag die Kluft an Dinahs Besessenheit von ihrem Beruf und den dummen Einschaltquoten. Aber es steckte noch mehr dahinter: die ungleiche Verteilung ihrer Zuwendung zugunsten ihrer älteren Tochter Becky.

Außerdem gab es einen weiteren Grund für Connie, sich von ihren Angehörigen zu distanzieren. Sie musste befürchten, dass Ross sie über ihre Familie ausfindig machen könnte. Das galt es unbedingt zu verhindern. Ebenso wenig durfte er erfahren, dass sie schwanger war. Er hatte mehrmals die Beherrschung verloren und sie zu einem Opfer häuslicher Gewalt gemacht. Wie viel mehr konnte er erst einem hilflosen Neugeborenen antun?

Nach dem Essen herrschte eine angespannte Atmosphäre im Haus. Da sich der Abend endlos auszudehnen drohte, schaltete Greg den Fernseher ein. Es schien zu helfen. Der Actionfilm ließ zumindest die Zeit schneller vergehen. Falls Connie seine Wahl missfiel, so ließ sie sich nichts anmerken.

Gegen acht Uhr, kurz vor dem Showdown, fiel der Strom aus. Mit einem Knistern wurde der Bildschirm schwarz und das gesamte Haus finster.

Der einzige verbleibende Lichtschein stammte vom Feuer im Kamin.

„Oh je“, flüsterte Connie mit zittriger Stimme.

„Keine Sorge.“ Greg stand aus dem Ledersessel auf und holte mehrere Kerzen von der Kommode. Er hielt eine nach der anderen mit dem Docht an die Flammen und verteilte sie im Raum.

Sobald das Wohnzimmer beleuchtet war, stellte er fest, dass Connie sich die Decke bis zur Nasenspitze hochhielt, wie um sich dahinter zu verstecken. „Es besteht kein Grund, Angst zu haben“, versicherte er.

„Es hat mir noch nie gefallen, allein in einem Sturm zu sein.“

Er schmunzelte. „He, du bist nicht allein. Du hast doch mich.“

Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte sie. Die Wärme in ihren Augen ließ sie besonders hübsch wirken.

Er erinnerte sich, dass ihr Nachname Montoya lautete. Daher vermutete er, dass Latinoblut in ihren Adern floss, genau wie in seinen. „Du solltest öfter lächeln“, bemerkte er.

„Ich hatte in letzter Zeit nicht viel Grund dazu.“

Er wartete auf eine Erklärung, doch die blieb aus. Er rang mit sich, ob er nachhaken oder das Thema auf sich beruhen lassen sollte. Doch er konnte an nichts anderes denken als an den Zustand der Frau, die neben ihm saß, und die Lebensumstände, die zu ihrer Schwangerschaft geführt hatten.

Schließlich fragte er rundweg: „Bist du unglücklich, weil du ein Baby bekommst?“

Sie streichelte ihren Bauch. „Das Timing hätte sicherlich besser sein können. Aber das ist nicht ihre Schuld.“

„Ihre?“

Sie lächelte erneut. „Es wird ein Mädchen.“

Greg dachte nicht oft an seine leibliche Mutter. Sie war bei seiner Geburt gestorben. Aber sie hatte ihm während der Schwangerschaft immer etwas vorgesungen und große Pläne gehegt, um ihm ein glückliches Zuhause und eine rosige Zukunft zu bieten. Das wusste er von Tia Guadalupe, seiner Tante.

Er war mit allem gesegnet, was seine Mutter sich für ihn gewünscht hatte. Doch es machte ihn traurig, dass sie es nicht miterleben, nicht daran teilhaben durfte. Und dass sie nie erfahren würde, wie sehr er sich darum bemühte, dass sie stolz auf ihn sein konnte.

Nun fragte er sich, ob es Connie mit ihrem Baby ebenso erging. Hegte sie Hoffnungen, schmiedete sie Pläne für die Zukunft ihres Kindes? War das Ungeborene für sie bereits zu einem realen Lebewesen geworden?

Zu seiner Verwunderung war ihm die Antwort darauf außerordentlich wichtig. „Wie willst du deine Tochter nennen?“, fragte er.

„Ich neige zu Amanda. Aber ich will erst mal abwarten, wie sie aussieht. Vielleicht passt Megan oder Tricia besser zu ihr.“

Das erschien ihm sinnvoll. Er wusste nicht, welchen Namen seine Mutter ihm zugedacht hatte. Die Wahl seiner Tante war auf Gregorio gefallen – nach dem Pater, der ihn auf die Welt geholt hatte.

Stille trat ein. Offensichtlich verlor sich jeder in seine eigenen Gedanken.

Die Kerzen verbreiteten einen sanften Schein im Raum; die Flammen züngelten im Kamin. Das Knistern der Scheite und das Prasseln des Regens an die Fensterscheiben zauberten eine romantisch-sinnliche Atmosphäre, die allein durch Connies Schwangerschaft gedämpft wurde.

„Willst du nach der Entbindung auf der Ranch bleiben?“, fragte Greg.

„Ja. Ich denke, Brighton Valley ist ein guter Ort, um ein Kind aufzuziehen.“

„Das mag sein. Aber ich bekomme einen Lagerkoller, wenn ich für längere Zeit in einem Nest wie diesem festsitze.“

„Ich schätze, bei deiner Karriere ist es eine gute Sache, dass du gern herumreist.“

„Das stimmt. Ich vermute, dass du dagegen lieber Wurzeln schlägst.“

„Jetzt mehr denn je.“ Sie warf ihm erneut ein Lächeln zu, und es ging ihm unter die Haut. „Nach dem Chaos, in das ich mich manövriert habe, hoffe ich auf ein ruhiges, beschauliches Leben.“

Normalerweise war es nicht Gregs Art, andere Leute auszufragen. Doch Connies Vorgeschichte interessierte ihn brennend. „Was für ein Chaos denn?“

„Sagen wir nur, dass die Schwangerschaft nicht geplant war.“

„Ich gehe davon aus, dass du nicht mehr mit dem Vater zusammen bist?“ Aufmerksam beobachtete er ihr Gesicht.

Sie nickte mit finsterer Miene. „Mich mit dem Mann einzulassen, war der größte Fehler meines Lebens.“

„Weiß er von dem Baby?“

„Nein. Und wenn ich es verhindern kann, wird er auch nie davon erfahren.“

„Der Kerl muss ein Schuft sein.“

Sie befingerte den Häkelrand der Decke, bevor sie zu Greg aufblickte. „Er ist gemein und krankhaft eifersüchtig, wenn er getrunken hat. Zum Schluss war er kaum noch nüchtern.“

Greg kannte solche Männer zur Genüge. Und obwohl er gern weiter gefragt hätte, dachte er sich, dass manche Erinnerungen lieber unangetastet bleiben sollten.

Eine Weile plauderten sie über belanglose unpersönliche Dinge. Als die antike Uhr auf dem Sims schließlich neun schlug, gähnte Connie und raffte sich mühsam vom Sofa auf. „Ich bin ziemlich erledigt. Ich gehe lieber ins Bett.“

„In Ordnung. Schlaf gut.“ Er blickte ihr nach und dachte versonnen, dass sie von hinten überhaupt nicht schwanger aussah.

Nach gerade einmal fünf Schritten blieb sie abrupt stehen und starrte erschrocken auf den Fußboden. Zu ihren Füßen breitete sich eine Pfütze aus. Sie wandte den Kopf zu Greg um und blickte ihn flehend und hilflos an, wie um ihn zu fragen, was sie tun sollte.

Er hatte keinen blassen Schimmer.

2. KAPITEL

Connie blinzelte mehrmals in der Hoffnung, dass sie sich irrte und die Fruchtblase nicht geplatzt war. Doch die Pfütze zu ihren Füßen blieb. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Der Schmerz im Rücken, der sie nun schon den ganzen Nachmittag plagte, verstärkte sich derart, dass ihr der Atem stockte. Dann breitete er sich nach vorn aus und durchfuhr sie wie ein Blitz.

Unwillkürlich krümmte Connie sich und hielt sich den Bauch.

Augenblicklich war Greg an ihrer Seite und legte einen Arm um sie. „Was ist? Was hast du?“

Kraftlos lehnte sie sich an ihn. „Ich … ich weiß nicht.“ Erlebte sie gerade ihre erste Wehe? Es musste wohl so sein.

Konzentrier dich, ermahnte sie sich und versuchte, die Instruktionen ihrer Ärztin und die Informationen in den Schwangerschaftsratgebern zu sondieren, die sie gelesen hatte. Schließlich verebbte der Schmerz. Langsam richtete sie sich auf. „Ich muss Dr. Bramblett anrufen. Sie weiß bestimmt, was zu tun ist.“

„Gute Idee.“ Greg reichte ihr sein Handy.

„Und ich sollte das da beseitigen.“ Sie deutete zu der Pfütze.

„Darum kümmere ich mich schon. Ruf du einfach die Ärztin an und setz dich. Sonst klappst du womöglich noch zusammen und verletzt dich.“

„Vielleicht solltest du mir etwas besorgen, worauf ich mich setzen kann. Ich will Grannys Polstersessel nicht ruinieren.“

Er nickte und eilte hinaus. Sie hätte schwören können, dass er leise fluchte, während sie Dr. Brambletts Nummer aus dem Gedächtnis wählte.

Anstatt der vertrauten freundlichen Ärztin meldete sich eine Frau vom Antwortdienst und erklärte kurz angebunden: „Dr. Bramblett ist nicht in der Stadt. Doc Graham übernimmt etwaige Notfälle.“

In gewisser Weise war Connie erleichtert über diese Mitteilung. Doc Graham mochte längst das Pensionsalter überschritten haben, aber er hatte in seiner fünfzigjährigen Praxis sehr viel Erfahrung gesammelt.

Als er sich schließlich meldete, verkündete sie: „Hier ist Connie Montoya. Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.“

„Wo sind Sie? Auf der Rocking C?“

„Ja.“

Er wohnte in Brighton Valley, gute zehn Minuten Fahrtzeit entfernt, und das Krankenhaus in Wexler lag etwa dreißig Meilen dahinter.

Anstatt ihr wie erwartet aufzutragen, ihn unverzüglich aufzusuchen, sagte er: „Ich fürchte, dass Sie dort festsitzen und niemand zu Ihnen kommen kann. Wegen der Überschwemmung.“

Bildete sie es sich nur ein, oder hörte sie einen Anflug von Angst in seiner großväterlichen Stimme? Ihr Herz pochte, und ihre Stimme wurde schrill. „Was soll ich tun?“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Sobald der Regen aufhört, ist die Landstraße für gewöhnlich wieder befahrbar.“

Sie wollte ihm glauben, doch es fiel ihr sehr schwer. Sie legte sich eine Hand auf den Bauch, wie um das Baby dadurch zu überreden, drinnen zu bleiben und auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten.

„Laut Wetterbericht werden die Regenfälle gegen Mitternacht abnehmen“, fuhr Doc Graham fort. „Danach dauert es nicht lange, bis die Straße wieder geöffnet wird. Bis dahin sollte bei Ihnen alles in Ordnung sein.“

Sollte? Was, wenn nicht? Was, wenn das Baby einen ärztlichen Eingriff erforderte? Oder sie selbst?

„Kann denn kein Krankenwagen durch?“, fragte Connie. „Oder vielleicht können Sie einen Helikopter schicken.“

„Ich fürchte nicht. Der Krankenwagen kann nicht früher kommen als ich. Und der Helikopter kann momentan nicht starten. Aber in ein paar Stunden …“

„Stunden?“, hakte sie entsetzt nach.

„Granny ist ein alter Hase in diesen Dingen. Im Laufe der Jahre hat sie mir geholfen, etliche Babys auf die Welt zu bringen. Also sind Sie in guten Händen, selbst wenn es zum Schlimmsten kommt.“

„Aber Granny ist nicht hier!“, rief Connie schrill, mit einem Anflug von Panik.

„Wer ist denn bei Ihnen? Sie sind doch nicht allein, oder?“

„Nein. Ich bin nicht allein. Greg ist bei mir.“

„Gut. Er ist mit Rindern und Pferden aufgewachsen. Er wird wissen, was zu tun ist, wenn es dazu kommt.“

Wenn es dazu kommt? Was meinte Doc damit? Wollte er etwa vorschlagen, dass ein Country-Sänger bei ihr Hebamme spielte? Und nicht nur irgendein Sänger, sondern der einzigartige Greg Clayton?

Sie stöhnte. Dass er mit Rindern und Pferden aufgewachsen war, beeindruckte sie nicht im Geringsten. Selbst wenn er studierter Tierarzt gewesen wäre, hätte es sie nicht beruhigt. Sie wollte einen Arzt für Humanmedizin bei sich haben, und sie wollte ihr Baby in einem Krankenhaus zur Welt bringen.

Doc gab ihr einige Anweisungen und fügte hinzu: „Sobald die Überschwemmung zurückgeht, komme ich zu Ihnen. Wenn der Wettermann recht behält und dieser Sturm hart und schnell zuschlägt, müsste ich noch vor dem Morgengrauen durchkommen.“

Connie spähte zum Fenster hinaus. Noch immer fiel sintflutartiger Regen.

„Aller Erfahrung nach lassen sich Erstlinge viel Zeit. Sie haben noch Stunden. Wahrscheinlich ist es nicht mal vor morgen Abend so weit.“

Sie konnte nur hoffen, dass er recht behielt.

Denn wohl fühlte sie sich nicht dabei, ohne Arzt auf der Ranch festzusitzen.

Was konnte Greg im Notfall schon tun? Dem Baby ein Schlaflied singen?

Nie zuvor in seinem ganzen Leben hatte Greg so viele Ängste ausgestanden. Und das wollte einiges heißen.

Denn bevor er zu Granny gezogen war, hatte es viele Gründe für ihn gegeben, sich zu fürchten. Zum Beispiel mit sechs Jahren, als er in einem mexikanischen Waisenhaus gelandet war, und mit dreizehn, als er sein Schicksal in die Hände harter Männer gelegt hatte, die ebenso von einem besseren Leben träumten wie er und dafür als Wanderarbeiter durchs Land zogen.

Nun, in Connies Zimmer, das er mit jeder Kerze und jeder Taschenlampe im Haus beleuchtet hatte, fühlte er sich überfordert wie nie zuvor.

Es war kurz nach Mitternacht. Seit drei Stunden saß er ununterbrochen in einem Sessel neben ihrem Bett und traute sich nicht, sie auch nur eine Sekunde allein zu lassen.

Offensichtlich wurden ihre Schmerzen immer schlimmer. Nach jeder Wehe nahm er ihr das feuchte Tuch von der Stirn, tauchte es in eine Schüssel mit kaltem Wasser und betupfte damit ihr Gesicht. Er wusste nicht, ob er ihr damit half oder nicht, aber er hatte es einmal in einem Kinofilm gesehen. Und er musste einfach irgendetwas tun, um sich nicht total nutzlos zu fühlen.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Greg.

„Gar nicht so schlecht, wenn ich gerade keine Wehe habe“, erwiderte sie in dem Versuch, die Atmosphäre aufzulockern.

Seiner Schätzung nach hielten die Wehen fast zwei Minuten an, und der Abstand zwischen ihnen verkürzte sich zusehends. Er musste Connie zugutehalten, dass sie nicht schrie. Andernfalls wäre ihm inzwischen der eiskalte Schweiß ausgebrochen. Seine Nerven, die er einmal für stark wie Stahlseile gehalten hatte, erschienen ihm nun wie zerkochte Spaghetti.

„Dr. Graham hat gesagt, dass Erstlinge Stunden brauchen, bis sie wirklich kommen. Und dass er es hierher schaffen müsste, bevor wir ihn brauchen.“

„Das ist gut zu wissen.“ Er fragte sich, wen sie beruhigen wollte – ihn oder sich selbst. Aber eigentlich war es egal. So oder so mussten sie das Fiasko gemeinsam durchstehen.

Und es war ein gewaltiges Fiasko. Er war so gar nicht in seinem Element und fühlte sich völlig hilflos. Er hatte zwar zahlreiche Geburten auf der Ranch miterlebt, aber nur bei Tieren. Er blickte zu Connie hinunter, in ihr verkrampftes Gesicht, und seine Angst verstärkte sich.

Was, wenn etwas schiefging? Was, wenn er nicht wusste, was zu tun war und wie er ihr beistehen konnte?

Er bemühte sich, seine Besorgnis zu mäßigen, während sie dem Sturm trotzten – dem Sturm draußen ebenso wie dem, der in Connies Körper tobte.

Schließlich, um kurz nach ein Uhr morgens, griff sie nach Greg und klammerte sich an seinen Unterarm. Schmerz verdunkelte ihre Augen. „Bleibt die Straße noch lange gesperrt?“

„Der Regen hat beträchtlich nachgelassen. Sobald er ganz aufhört, wird das Wasser zurückgehen.“

„So langsam wird es unerträglich“, flüsterte sie. „Ich kann also nur hoffen, dass du recht hast.

Das hoffte auch er.

Was, wenn etwas schiefging – wie in jener Nacht, in der er zur Welt gekommen war?

Seine richtige Mutter, Maria Vasquez, hatte in Mexiko gelebt und im neunten Schwangerschaftsmonat beschlossen, zur Geburt ihres Babys in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Sie war in Houston zur Welt gekommen, nach dem Tod ihrer Eltern aber nach Mexiko zu einer älteren Schwester gezogen. Da der Kindesvater ein Herumtreiber war, der sie weder zu heiraten noch Verantwortung für sein Kind zu übernehmen gedachte, war sie ganz auf sich allein gestellt …“

Maria wusste, dass die amerikanische Staatsbürgerschaft, die sie selbst durch Geburt besaß, ihrem Kind Vorteile einbrachte, die ihm in Mexiko versagt blieben. Also überredete sie ihre Schwester Guadalupe, die so gar nicht risikobereit war, das kleine Heimatdorf zu verlassen und mit ihr nach Texas zu gehen.

Kaum hatten sie die Grenze überschritten, als Marias Fruchtblase platzte und die Wehen einsetzten. Sie versuchten, Houston zu erreichen, aber die Geburt schritt zu schnell voran. Also beschlossen sie, in der nächsten Ortschaft anzuhalten, die sie erreichten. Mittlerweile war es spätnachts und nichts geöffnet – keine Tankstelle, kein Hotel, kein Restaurant.

Schließlich erreichten sie eine kleine Kirche. Guadalupe hämmerte an die Tür, bis ein Priester antwortete. Er rief einen Krankenwagen und gab sein Bestes, um Maria beizustehen, aber es stellten sich Komplikationen ein. Die ärztliche Hilfe kam zu spät. Maria starb nach der Entbindung und wurde auf dem Friedhof der Kirche begraben …

Die Erinnerung an die Vergangenheit, an Tia Guadalupes Erzählungen, verstärkten nur noch Gregs Ängste. Immer mehr beschlich ihn die Befürchtung, dass sich die Geschichte wiederholen könnte.

Eigentlich war er kein besonders religiöser Mensch, obwohl er nach dem gütigen Pater Gregorio getauft worden war. Doch nun betete er darum, dass der Regen aufhören und der Doktor es rechtzeitig auf die Rocking C schaffen möge.

Selbst wenn es zutraf, dass Erstlinge stundenlang auf sich warten ließen, fürchtete Greg, dass Connies Baby nichts von dieser Regel wissen könnte.

„Oh mein Gott.“ Ein überwältigender Drang zu pressen ergriff Connie. Flehend starrte sie Greg an – den einzigen Menschen auf der Welt, der ihr nun noch helfen konnte.

Doch als sich ihre Blicke begegneten, brachte sie kein weiteres Wort heraus und konnte ihm nicht sagen, was in ihr vorging. Instinktiv spannte sie den Bauch an, krümmte sich und stöhnte.

„Was ist denn?“, fragte er nervös. Inzwischen bemühte er sich nicht einmal mehr, die Besorgnis aus seiner Stimme zu verbannen.

Der Ärmste! Er hat genauso viel Angst wie ich – oder vielleicht sogar noch mehr. Dabei stehe ich schon Todesängste aus.

Sie konnte in diesem Moment nichts dagegen tun, außer dem Urinstinkt ihres Körpers zu folgen und das Baby hinaus in die Welt zu pressen.

Schließlich, zwischen hecheln und stöhnen, brachte sie hervor: „Das … Baby … kommt.“

„Nein!“ Mit panisch aufgerissenen Augen beugte Greg sich zu ihr vor. „Nicht pressen. Kannst du nicht noch ein bisschen warten …“

„Bist du verrückt geworden? Verschwinde und lass mich in Ruhe!“

Er stand auf.

„Bitte geh nicht“, flehte sie inständig.

„Natürlich nicht. Ich dachte nur, ich sollte Wasser aufsetzen oder so. Oder mir zumindest die Hände waschen.“ Er strich sich mit den Fingern durch das Haar, wie wenn er vergessen hätte, dass es von einem Lederband zusammengehalten wurde.

Der arme Kerl! Beinahe tat er Connie leid, weil sie ihn durch ihre Wehen derart in Verzweiflung stürzte. Aber nur beinahe. Er war alles, was sie hatte, und er musste ihr beistehen.

Natürlich war alles ihre eigene Schuld. Sie hätte beizeiten nach Hause zurückkehren sollen. Auf Händen und Knien hätte sie ihre Mutter um Verzeihung bitten müssen. Aber dazu war es nun zu spät.

„Ob ich bereit bin oder nicht, ich kriege dieses Baby. Und ich kriege es jetzt.“

„Oh verdammt“, murrte er.

Zum Glück machte er keine Anstalten zu gehen, auch wenn ihm anzusehen war, dass seine Angst ins Unermessliche wuchs.

Sie saßen fest – nur sie drei, ein Mann, eine Frau und ein Baby, durch das Schicksal in einer einsamen stürmischen Nacht zusammengeführt.

„Oh Gott“, flüsterte sie, „lass mein Baby nicht sterben.“

Greg erblasste bei ihren Worten. Seine Augen wurden feucht. Dann blinzelte er mehrmals, um sich zu fassen. „Komm schon, Connie, hab keine Angst. Gemeinsam sind wir stark. Frauen kriegen Babys seit Anbeginn der Zeit. Das ist kein großes Ding. Wir stehen das zusammen durch. Und später werden wir bestimmt darüber lachen.“

Auf gar keinen Fall werde ich es witzig finden, schoss es ihr durch den Kopf. Dennoch wusste sie seinen Versuch zu schätzen, sie zu beruhigen und ihr Mut zu machen für die schwere Aufgabe, die ihr bevorstand. Doch bevor sie ihm danken konnte, übernahm ihr Körper die Kontrolle und zwang sie, erneut zu pressen, diesmal mit aller Kraft.

Nachdem der Drang verklungen war, zog Greg das Laken von ihren Beinen und forderte sie auf: „Zieh dir das Höschen aus.“

„Was?“, hakte sie entsetzt nach.

Geduldig erklärte er: „Wenn du es anbehältst, kann ich das Baby schlecht holen.“

Während Connie sich abmühte, um die Unterwäsche auszuziehen – wie es das Schicksal wollte, ein extra großes altmodisches Exemplar, das Granny für sie gekauft hatte –, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Dann kicherte sie, wie sie es manchmal zu den unmöglichsten Zeiten und an den unpassendsten Orten tat, wenn sie nervös war. „Was bin ich doch für ein Glückspilz! Ich frage mich, wie viele Frauen wohl behaupten können, dass der berühmte Greg Clayton sie gebeten hat, sich das Höschen auszuziehen.“

„Sehr witzig.“

Sie vermutete, dass sich Unmengen von weiblichen Fans um ihn rissen. Schließlich wusste sie, dass sich sogar zahlreiche Groupies um die South Forty Band scharten, obwohl die Mitglieder längst nicht so gut aussehend und populär waren wie Greg. „Allerdings ist dieses besondere Erlebnis wohl einzigartig für uns beide.“

„Da hast du allerdings recht.“

„Nach allem, was ich heute Nacht durchmache, werde ich nie wieder einwilligen, für einen Mann mein Höschen auszuziehen. Wenn es einer auch nur vorschlägt, gebe ich ihm eins über den Schädel mit dem erstbesten schweren Gegenstand, den ich finden kann.“

Greg grinste matt. „Das werde ich mir merken.“ Dann holte er tief Luft, griff zu seinem Handy und gab eine Nummer ein.

„Was tust du da?“

„Ich rufe den Doc an. Er muss mich anleiten. Wie du gesagt hast, kommt das Baby jetzt, ob wir es wollen oder nicht.“

Während Connie presste, bis sie blau im Gesicht war, musste sie ihm zustimmen. Offensichtlich war sie eine der seltenen Frauen, denen eine rasche Entbindung vorherbestimmt war.

Und der Einzige, der ihr noch helfen konnte, ihr Baby zur Welt zu bringen, war Greg.

Sie konnte nur hoffen, dass der attraktive Sänger der Aufgabe gewachsen war.

Mit steifen, mechanischen Bewegungen leitete Greg die Entbindung in die Wege. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er wischte sie mit dem Hemdsärmel fort.

Das werden mir meine Bandmitglieder niemals glauben, dachte er. Er konnte es selbst kaum fassen. Wäre ihm Zeit dazu geblieben, hätte er sich gezwickt, um sich zu überzeugen, dass er nicht träumte.

Sein Handy lag neben ihm, auf Lautsprecher geschaltet, und Doc Graham half ihm mit detaillierten Anweisungen durch die beängstigendste, nervenaufreibendste Nacht seines Lebens.

Er blickte zu Connie. Ihr Gesicht war verzerrt und gerötet vor Anstrengung. Keuchend mühte sie sich ab, um ihr Baby herauszupressen.

Hatte Pater Gregorio sich bei Marias Entbindung ebenso gefühlt? Halb wahnsinnig vor Angst? Total überfordert?

Ein eiskalter Schauer rann Greg über den Rücken bei dem Gedanken daran, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war.

Entschieden schüttelte er die Panik ab und konzentrierte sich auf die momentane Situation. Er musste Connie helfen, ob er wollte oder nicht.

Akribisch befolgte er die Anweisungen des erfahrenen Landarztes und verkündete schließlich: „Der Kopf ist da.“

Wenige Augenblicke später glitt ihm das Baby in die Hände. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass es zu atmen, zu schreien begann. Als das winzige Wesen schließlich ein schrilles Geheul ausstieß, das die Stille zerriss und seine Ankunft unwiderruflich bestätigte, seufzte er erleichtert auf.

Schritt für Schritt befolgte Greg die ärztlichen Anweisungen. Und während die Minuten verstrichen, überflügelte Bewunderung die Angst, die ihn beherrschte, seit die Wehen eingesetzt hatten.

Gewissenhaft säuberte er das schreiende zappelnde Baby und wickelte es in eine weiche Decke. Dann legte er es Connie in die Arme.

Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie bettete sich ihre Tochter auf die Brust und flüsterte ihr zu: „Hallo, Sweetheart. Willkommen in der Welt.“

Ein Gefühl der Ehrfurcht beschlich ihn; eine beispiellose Hochstimmung stieg in ihm auf; ein verblüfftes Staunen packte ihn.

„Oh mein Gott“, murmelte Connie. Flüchtig blickte sie von dem Neugeborenen zu Greg hoch. „Sieh sie dir bloß mal an.“

Er sah. Und obwohl das winzige Wesen dünn und zerknittert war und eine unheimliche Ähnlichkeit mit E.T., dem Außerirdischen, aufwies, dachte er unwillkürlich: Das ist das niedlichste Alien, das ich je gesehen habe. „Sie ist bildhübsch. Willst du sie immer noch Amanda nennen?“

„Ich weiß nicht. Sieht sie für dich eher wie eine Isabella aus?“

Es wunderte ihn, dass sie ihn nach seiner Meinung fragte. „Es klingt wie ein furchtbar großer Name für ein kleines Baby, aber ich denke, sie wird hineinwachsen.“

„Ich könnte es zu Bella abkürzen.“

Greg musterte das kleine Bündel mit dem engelhaften Gesicht, dem rosigen Mund, dem dunklen Flaumhaar. „Belle oder Bella passt zu ihr. Beide wären schöne Namen für eine kleine Prinzessin.“ Und damit wandte er den Blick von Mutter und Kind ab und tat alles, was in seiner Macht stand, damit Connie es behaglich hatte.

Als seine Aufgabe erledigt war, als er sich schließlich zurückziehen und die Tür schließen konnte, war er nicht dazu imstande. Stattdessen suchte er nach Gründen, um zu bleiben.

Bin ich wirklich der erste Mensch, der dieses Baby berührt hat? Bin ich es, der die Nabelschnur durchtrennt hat?

Lange Zeit saß er stumm am Bett, überwältigt von Emotionen, die er nicht analysieren konnte, die er nie zuvor erlebt, nie erwartet hatte.

Schließlich stand er auf, doch er behielt Mutter und Kind unablässig im Auge. Vielleicht war er auch in eine Beschützerrolle geschlüpft.

So oder so, er konnte nicht umhin, ein bisschen Neid zu empfinden. Nicht, dass er darauf hoffte, sich der neuen kleinen Familie anzuschließen. Er hatte seinen Teil beigetragen und konnte nun seiner eigenen Wege gehen. Doch während Connie ihrer Tochter liebevolle Worte zuflüsterte, wirkte ihre sanfte Stimme faszinierend und ihr Anblick herzerwärmend rührend auf ihn.

Als das Baby sie mit schielenden Augen ansah, stockte Greg der Atem. Wiederum fragte er sich, ob er das Recht hatte, an diesem speziellen Augenblick teilzuhaben. Doch er war unfähig, sich abzuwenden.

Nicht nur der Anblick, den Mutter und Kind ihm boten, beeindruckte ihn. Er bewunderte außerdem die Frau, die so tapfer Schmerzen und Ängste bekämpft hatte und nun eine überwältigende Mütterlichkeit und eine faszinierende Schönheit ausstrahlte.

Connie wiegte ihre winzige Tochter in den Armen, blickte zu ihm hoch und lächelte. „Danke, Greg. Ich weiß nicht, was ich ohne dich angefangen hätte.“

„Das war keine große Sache“, wehrte er ab. Dabei war es in Wirklichkeit größer als groß. Es war ungeheuer riesig. Er glaubte nicht, dass er diesen Moment je vergessen konnte. Er hatte ein Wunder miterlebt, und was ihm vorher wie die schlimmste Nacht seines Lebens erschienen war, hatte sich irgendwie in die schönste verwandelt.

Es war die Art von Nacht, in der es einen Musiker drängt, zu seiner Gitarre zu greifen und bis zum Morgengrauen wach zu bleiben, um einen Song zur Erinnerung an das überwältigende Erlebnis zu kreieren.

3. KAPITEL

Das Telefon klingelte kurz vor Tagesanbruch. Hastig griff Greg zum Hörer, bevor Connie und das Baby von dem Lärm aufwachten.

Beide schliefen seit einer kleinen Weile, und so sollte es bleiben. Sie war in den letzten Stunden durch die Hölle gegangen und verdiente eine ungestörte Ruhepause. „Hallo?“, flüsterte er.

„Hier ist Doc Graham. Wie geht es unserer Patientin?“

„Gut. Sie schläft, und das Baby auch.“ Das allein hieß natürlich nicht, dass alles in Ordnung war, weshalb Greg alle paar Minuten nachsehen ging. Er wollte sich überzeugen, dass sie noch atmeten und ihre Gesichtsfarbe gesund aussah. „Aber ich werde mich wesentlich besser fühlen, wenn Sie erst mal hier sind und meine Diagnose bestätigen.“

„Es dauert nicht mehr lange. Ich habe gerade die bewusste Senke passiert und müsste in fünf oder zehn Minuten eintreffen.“

„Das erleichtert mich ungemein.“

„Sie haben übrigens großartige Arbeit geleistet“, lobte der Arzt.

Das sah Greg anders. Im Vergleich zu Connies Höchstleistung war sein Beitrag eher geringfügig. Es erschien ihm nicht richtig, Lob einzuheimsen. „Ich habe ja nicht viel getan. Ich bin nur heilfroh, dass es keine Komplikationen gegeben hat.“

„Das bin ich auch. Wie geht es Ihnen, mein Junge?“

„Ganz gut. Jetzt, wo das Schlimmste vorbei ist.“

„Es war eine lange Nacht. Sie sind bestimmt müde. Sobald ich da bin, können Sie sich hinlegen.“

„Okay“, sagte Greg, doch eigentlich verspürte er nicht einmal einen Anflug von Müdigkeit. Im Gegenteil. Er war total aufgedreht und in Hochstimmung. „Dann bis gleich.“ Er legte den Hörer auf, ging in die Küche und stellte Kaffee auf. Doch anstatt sich zu setzen oder am Fenster nach dem Arzt Ausschau zu halten, ging er, um nach Mutter und Kind zu sehen. Nur um sicherzugehen, dass es ihnen an nichts fehlte, dass sie ruhig schliefen.

Connies Miene wirkte ganz sanft und mütterlich. Ihr Kopf lag auf einem flauschigen Kissen, die braunen Locken waren auf der weißen Baumwollhülle ausgebreitet. Sie trug kein Make-up und keine aufreizende Kleidung, und doch war er von ihrer Schönheit fasziniert.

Schon bei der ersten Begegnung hatte er sie als attraktiv empfunden, nun wirkte sie noch reizvoller. Vielleicht war es die Stärke und Tapferkeit, die sie während der schrecklichen Schmerzen in der vergangenen Nacht bewiesen hatte. Oder vielleicht war es auch etwas ganz anderes.

Er wusste nur, dass er sich unausweichlich zu ihr hingezogen fühlte.

Sie hielt das Baby an sich gedrückt, dicht an ihrem Herzen. Eine Weile hatten sie es Isabella genannt. Doch aus irgendeinem Grund passte der Name nicht richtig. Sie hatte sich nun endgültig für Amanda entschieden, was ihm sehr zusagte, weil es „liebenswert“ bedeutete. Denn mit dem flaumigen schwarzen Haar war Amanda ein süßes kleines Ding und zumindest in seinen Augen das hübscheste kleine Mädchen diesseits des Äquators.

Er lehnte sich an den Türrahmen und betrachtete die beiden eine ganze Weile, bis er überzeugt war, dass keine unerwarteten Komplikationen eingetreten waren. Dann erst ging er zur Haustür und trat hinaus auf die Veranda, um dort auf die Ankunft von Doc Graham zu warten.

Während Greg an der hölzernen Brüstung lehnte und beobachtete, wie der neue Morgen in Rosa und Orange am Himmel heraufzog, genoss er die Atmosphäre auf der Ranch. Manchmal vermisste er diesen Ort und die Leute, die ihm wichtig geworden waren. Doch wann immer er zu Hause war, fehlten ihm die Mitglieder seiner Band. Dann sehnte er sich nach der Ekstase, in die er auf der Bühne geriet, nach der erwartungsvollen Erregung, wenn er einen neuen Song ankündigte, nach der Begeisterung seiner Fans.

Doc Grahams roter Pick-up bog in den Hof ein. Ein Vorderrad traf eine der unzähligen Pfützen und sandte einen Schauer Schmutzwasser gen Himmel.

Greg beobachtete, wie der alte Mann vom Fahrersitz glitt, nach seinem Arztkoffer griff und zur Haustür kam. „Guten Morgen.“

„Das ist es gewiss.“ Der Arzt putzte sich die Schuhe an der Fußmatte ab und betrat das warme Haus. Er zog sich den feuchten Regenmantel aus und hängte ihn an die Garderobe neben der Tür. „Also, sagen Sie mir eines. Werden Sie Ihre Gitarre gegen ein Stethoskop vertauschen?“

„Auf gar keinen Fall. Aber ein Baby zur Welt zu bringen, ist eine Erfahrung, die ich ganz bestimmt nie vergessen werde.“

Vermutlich konnte der Doc dieses Gefühl nicht nachempfinden. Wahrscheinlich hatte er im letzten halben Jahrhundert Tausende von Babys entbunden, wodurch das Wunder der Geburt für ihn zur Routine geworden war.

Mit leichtem Schritt, um Mutter und Kind nicht zu wecken, führte Greg den alten Mann über den Flur zu Connies Zimmer.

Doc dagegen nahm keine Rücksicht auf den Schlaf seiner Patientinnen und rief schon an der Tür: „Wer konnte es denn da nicht erwarten, ihren ersten Truthahn zu Thanksgiving zu kosten?“

Connie öffnete die Augen und schenkte dem Doktor ein hübsches Lächeln. Dann betrachtete sie mit verklärter Miene das schlafende Baby in ihrer Armbeuge.

Der Arzt trat an das Bett. „Wissen Sie, ich glaube wirklich, dass es das hübscheste Neugeborene ist, das ich je erblickt habe.“ Dann schickte er sich an, Connie zu untersuchen.

Greg blieb unschlüssig im Türrahmen stehen. Sollte er lieber ins Wohnzimmer gehen, um ihre Privatsphäre zu schützen? Doch er konnte sich einfach nicht dazu bringen, sich abzuwenden. Was, wenn er bei der Entbindung etwas falsch gemacht oder etwas versäumt hatte? Das musste er unverzüglich wissen. Außerdem glaubte er, ein berechtigtes Interesse an Mutter und Kind erworben zu haben.

Den Grund dafür konnte er sich allerdings nicht erklären. Schließlich hatte er nicht darum gebeten, an der Geburt beteiligt zu werden. Aber er war durch höhere Gewalt in Form des Gewittersturms unwiderruflich hineingezogen und zu einem wesentlichen, wenn auch vorübergehenden Bestandteil geworden. Er wusste nicht, wann diese Rolle enden würde. Aber bis dahin schaffte er es einfach nicht, Mutter und Kind für längere Zeit zu verlassen.

Ebenso wenig konnte er das unglaubliche Gefühl der Verwunderung abschütteln, wann immer er das winzige Baby betrachtete. Er war in dieser Nacht Teil eines Wunders geworden, und irgendetwas verriet ihm, dass sein Leben nie wieder so sein würde wie zuvor.

Nach der Untersuchung erklärte der Arzt Mutter wie Tochter für gesund. „Vor einigen Jahren hätte ich mich einfach hingesetzt, eine Tasse Kaffee getrunken und später noch einmal nach Ihnen gesehen. Aber es kann nie schaden, eine zweite Meinung einzuholen. Deshalb schicke ich Sie vorsichtshalber zu einer gründlichen Untersuchung nach Wexler ins Krankenhaus.“

Das konnte Greg nur recht sein. Er war froh für jede weitere Bestätigung, dass alles in Ordnung war. „Nehmen Sie die beiden mit? Oder soll ich sie hinfahren?“

„Weder noch“, erwiderte der Doc. „Ich habe einen Krankenwagen bestellt. Er wird in ein paar Minuten hier sein. Aber inzwischen könnte ich diese Tasse Kaffee gebrauchen, von der ich gesprochen habe.“

„Kein Problem. Ich habe vorhin erst welchen aufgesetzt.“

Kurz darauf saßen die beiden Männer mit dampfenden Kaffeebechern am Küchentisch. Dort fragte Greg den Arzt, worauf nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei Mutter und Kind zu achten war. Er vermutete, dass Granny genau wusste, was zu tun war, aber es war fraglich, wann sie zurückkehren würde.

Momentan blieb nichts weiter zu tun, als seinen Kaffee zu trinken und ein großes Stück von Connies köstlichem Apfelkuchen zu genießen.

Verdammt, die Frau ist ein Genie in der Küche, dachte er anerkennend. Er freute sich bereits auf den Truthahn zu Thanksgiving – vorausgesetzt, dass sie ihn zubereitete. Oder sollte er lieber bei Carolines Imbiss etwas zum Mitnehmen bestellen?

„Haben Sie die Nachrichten verfolgt?“, erkundigte sich der Doc.

„Nein. Ich fürchte, ich war in den letzten Stunden anderweitig beschäftigt.“ Greg trank einen Schluck Kaffee. „Was gibt es Neues?“

„Angeblich soll ein weiterer Sturm aufziehen. Wenn er zuschlägt, könnten Sie hier für eine Weile festsitzen.“

Solange es Connie und dem Baby gut ging, kümmerte es Greg nicht weiter.

„Falls Sie Vorräte aufstocken müssen, sollten Sie es gleich heute tun. Da der Boden bereits durchnässt ist, wird das Wasser in der Senke beim nächsten Mal nicht so schnell zurückgehen.“

„Ich denke, wir sind gerüstet. Granny hat die Speisekammer eigentlich immer gefüllt. Aber vorsichtshalber gehe ich mal nachsehen. Wann soll der nächste Regen einsetzen?“

„Morgen in aller Frühe. Das Unwetter wird viele geplante Familientreffen zu Thanksgiving verhindern.“

„Hoffentlich gibt es keine allzu großen Verspätungen bei den Flügen“, überlegte Greg. „Matt und Tori sollen morgen aus Wyoming ankommen.“

„Das kann man nicht wissen.“ Der Arzt nahm einen Bissen von seinem Kuchen, schloss die Augen und kaute genüsslich. „Mm. Das ist köstlich.“

„Connie ist eine gute Köchin, aber da sie es für eine Weile ruhig angehen lassen muss, wird sie sich mit dem zufriedengeben müssen, was ich ihr auftische.“ Greg grinste. „Ich hoffe, sie mag Dosensuppe und Sandwiches.“

Der Doc schmunzelte. „Ich glaube nicht, dass sie besonders verwöhnt ist.“ Er aß seinen Kuchen auf, schob den Stuhl zurück und stand auf. „Ich muss jetzt zur Tidball-Ranch und mir Elmers großen Zeh ansehen. Grace sagt, dass er ziemlich starke Schmerzen hat.“

„Was hat er denn damit angestellt?“

„Er schwört, dass er gar nichts gemacht hat. Ich tippe auf Gicht.“ Doc durchquerte die Küche. „Nun, ich bin dann mal weg.“

„Bevor der Krankenwagen kommt?“

„Ja. Er muss jeden Moment hier sein. Außerdem ist es eine reine Formsache. Ich bin sicher, das Krankenhaus behält weder Connie noch das Baby länger als ein paar Stunden da. Es geht beiden gut.“

Das konnte Greg nur hoffen. Er begleitete den Arzt zur Haustür, bedankte sich und wartete, bis der weißhaarige alte Mann in seinem Pick-up davongefahren war.

Schließlich kehrte Greg zu Connie zurück. Auf einen Ellenbogen gestützt, studierte sie eingehend Amandas Finger und Zehen. Sie blickte zu ihm auf. Ihr Gesicht leuchtete beinahe madonnenhaft. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das ihm tief unter die Haut ging. „Sie ist absolut perfekt.“

Er grinste. „Ja, das denke ich auch.“ Er lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete die beiden aufmerksam.

Von seiner Tante wusste er, wie sehr seine Mutter sich auf seine Ankunft gefreut und sich erträumt hatte, dass er es einmal zu etwas brachte im Leben. Hätte sie ihn so zärtlich im Arm gehalten, wie Connie nun Amanda hielt? Hätte sie über seinen Anblick gestaunt?

Vermutlich.

Wie so oft wünschte er, sie hätte ihn aufwachsen sehen und miterlebt, dass aus ihm jemand geworden war, zu dem andere Leute aufblickten.

Nicht, dass Tia Guadalupe kein guter Ersatz gewesen wäre. Allerdings nur bis zu seinem sechsten Lebensjahr. Dann war auch sie gestorben. Der Verlust hatte ihn tief getroffen.

Greg schüttelte diese Erinnerungen ab und dankte seinem Schicksal, das ihn zu Granny geführt hatte. Etwas Besseres hätte ihm nicht passieren können, als von ihr adoptiert und in den beständig wachsenden Clayton-Clan aufgenommen zu werden.

Doch obwohl die Rocking C seit zwanzig Jahren sein einziges Zuhause darstellte, wollte er nicht dort leben und arbeiten. Nicht, dass es ihn störte, während seiner Besuche gewisse Aufgaben zu erledigen. Aber er liebte das Rampenlicht. Ruhm und Glamour brachten ihn erst zur vollen Entfaltung.

Wann immer er auf die Bühne hinausging und sich der jubelnden Menge stellte, wusste er, dass er es geschafft hatte. Dass er zu dem erfolgreichen Mann geworden war, den Maria sich von ihm erhofft hatte; dass er den Traum lebte, den sie sich für ihn erträumt hatte.

„Eigentlich wollte ich heute Vormittag Pasteten backen“, sagte Connie und riss ihn damit aus seinen Überlegungen. „Aber das muss warten. Vielleicht ist mir am Nachmittag mehr danach zumute.“

„In der nächsten Zeit wirst du auf keinen Fall in der Küche arbeiten“, widersprach er.

„Aber morgen ist Thanksgiving.“ Sie stand vom Bett auf. „Und alle kommen zum Essen her. Deshalb habe ich geplant …“

„Diese Pläne haben sich letzte Nacht geändert. Also denk nicht mal daran.“

„Aber es ist mein Job …“

„Nicht heute. Und auch nicht morgen.“

Sie öffnete den Mund, um erneut zu protestieren.

Greg stieß sich vom Türrahmen ab und richtete sich zu voller Größe auf. „Zwing mich nicht, meine Autorität walten zu lassen.“

„Also gut.“ Connie sank zurück auf das Bett. „Aber vielleicht solltest du Sabrina anrufen und sie um Hilfe bitten.“

„Darüber mache ich mir momentan keine Gedanken.“

„Warum nicht?“

„Zum einen soll es wieder regnen, was bedeutet, dass Jared und Sabrina vielleicht gar nicht durchkommen und wir die Feier für ein paar Tage verschieben müssen. Wie auch immer, ich schaffe das schon allein.“ Allerdings nur als letzten Ausweg, wenn alle Stricke reißen. Er war nicht besonders geschickt in der Küche. Bei der Inspektion der Speisekammer war er jedoch auf einige Fertiggerichte gestoßen, die hoffentlich sogar ein unbeschriebenes Blatt wie er zubereiten konnte.

Doch Connie, die zweifellos eine großartige Köchin war, gab sich vermutlich nicht mit derart schlichten Mahlzeiten zufrieden. Er vermutete, dass sie großen Wert darauf legte, ein richtiges Festmahl aufzutischen.

Dieser Gedankengang brachte ihn zurück zu der Idee, sich an Caroline vom Imbiss in Brighton Valley zu wenden. Er beschloss, ihr das Dreifache der Unkosten für ein Festessen zum Mitnehmen anzubieten. Obwohl er nicht absehen konnte, wie viele Mitglieder des Clayton-Clans zu erwarten waren, wollte er auf Biegen und Brechen für ein rundum gelungenes Fest sorgen.

Wenn er etwas gelernt hatte, seit er mit dreizehn aus dem Waisenheim weggelaufen und nach Texas getrampt war, dann war es, dass man mit Geld alles kaufen kann.

Doc Grahams optimistische Prognose erwies sich als zutreffend. Die Ärzte im Krankenhaus von Wexler bestätigten, dass Mutter und Kind sich bester Gesundheit erfreuten, sodass Greg die beiden noch am selben Tag zurück auf die Ranch holen konnte.

Am nächsten Morgen stand Connie am Fenster ihres Zimmers, betrachtete den Himmel und stellte fest, dass Doc Graham sich in einem anderen Punkt jedoch geirrt hatte, ebenso wie der Wettermann. Der Regen fiel längst nicht so dicht wie vorausgesagt. Zumindest nicht in Brighton Valley.

Houston dagegen bekam die volle Gewalt des Sturms ab. Laut Greg, der ständig Nachrichten und Wetterbericht verfolgte, gab es beträchtliche Verzögerungen in der Luftfahrt wie im Straßenverkehr. Demnach musste die Familienfeier höchstwahrscheinlich auf Freitag oder Samstag verschoben werden.

Ursprünglich hatte Connie geplant, mit der Feiertagsgestaltung in diesem Jahr aufs Ganze zu gehen. Schließlich war es ihr erster Versuch, Thanksgiving so üppig auszurichten, wie ihre Mutter es stets tat.

Allerdings sah sie ein, dass sie sich so kurz nach der Entbindung lieber schonen sollte. Sie beschloss, erst im nächsten Jahr alle Register zu ziehen – sofern sie dann überhaupt noch auf der Rocking C lebte.

Und jetzt stand ja erst mal Weihnachten vor der Tür.

Dinah pflegte zu diesem Anlass ein besonders großes Spektakel zu veranstalten, obwohl sie mehr Zeit am Set ihrer Sendung In der Küche mit Dinah verbrachte als zu Hause und ihre Töchter dazu verdonnerte, an der Festtagsausgabe mitzuwirken.

Connie hasste es, vor der Kamera eine glückliche Miene aufzulegen und das Mitglied der perfektesten Familie von Amerika zu spielen.

Früher einmal, vor dem Tod ihres Vaters, war sie wirklich glücklich gewesen. Damals hatte ihre Mutter zu Hause Kekse und Kuchen gebacken und eigenhändig den Tannenbaum geschmückt. Selbst mit geringen Mitteln war es ihr gelungen, die kleine Zweizimmerwohnung in Houston zum schönsten Ort auf der Welt zu machen.

Doch seit sie beim Fernsehen arbeitete, war alles anders.

Connie rief sich in Erinnerung, dass sie nun selbst ein Kind hatte, für das sie ihre eigene Familientraditionen schaffen wollte. Und wenn Amanda selbstgebastelten Schmuck aus dem Kindergarten oder der Schule mitbrachte, sollte er einen Ehrenplatz im Haus erhalten und nicht beiseitegeräumt werden zugunsten teuer gekaufter Luxusartikel.

Die Familie muss an erster Stelle stehen, dachte Connie und schwor sich, das zu einer unumstößlichen Regel zu machen.

Sobald sie einen weinerlichen Laut hörte, wandte sie sich vom Fenster ab und ging zu dem kleinen Korbwagen. Amanda zappelte und strampelte – ein untrügliches Anzeichen dafür, dass sie hungrig war.

„Hallo, Süße.“ Behutsam hob Connie sie hoch und küsste sie auf die Wange. Dann setzte sie sich in den Schaukelstuhl und knöpfte sich das Nachthemd auf.

Während sie Amanda stillte, dachte sie an alles, was in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen war. Vor allem fragte sie sich, was sie nur ohne Greg getan hätte. Er verhielt sich einfach wundervoll und sah seit der Entbindung immer wieder nach ihr und dem Baby.

„He, ihr zwei“, sagte er wie aufs Stichwort von der Tür her. Dann murmelte er verlegen: „Oh, entschuldige.“

„Schon gut.“ Sie lächelte ihn an. „Nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben, sollte uns nichts mehr peinlich sein.“

„Da hast du wohl recht.“ Er heftete den Blick auf Amanda.

Oder fasziniert ihn mein üppiger Busen?

Entschieden verwarf sie diese Idee, die ihr ganz spontan in den Sinn gekommen war. Ein Baby zu stillen, hatte nichts Erotisches an sich. Dass ihre Gedanken überhaupt in diese Richtung wanderten, war verrückt.

„Sie haut aber ganz schön rein“, bemerkte Greg.

Connie senkte den Kopf und beobachtete, wie gierig Amanda saugte. „Ja, das stimmt. Sie hat den richtigen Dreh inzwischen heraus.“

„Übrigens habe ich das Dinner für Thanksgiving geregelt.“

„Wie denn? Hast du Sabrina oder Tori um Hilfe gebeten?“

„Sie wären bestimmt gern eingesprungen. Aber in einigen Gegenden sind die Straßen immer noch unbefahrbar. Deshalb wissen Jared und Sabrina noch nicht, wann sie kommen können. Matt hat mich vor einer Stunde angerufen. Tori und er sitzen am Flughafen fest. Der Abflug ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.“

„Was ist mit Granny?“, fragte Connie. „Kommt sie heute noch nach Hause?“

„Nein. Sie und Hilda wollen an dem Galadinner in ihrem Hotel in Houston teilnehmen. Aber ich hoffe, dass sie morgen eintrudeln. Wenn sie es schaffen, werde ich einen Truthahn mit allen Beilagen parat haben.“

„Du kannst einen Truthahn zubereiten?“, hakte sie erstaunt nach. Sie war ein wenig betroffen und fühlte sich plötzlich ebenso inkompetent, wie wenn sie ihre Mutter routiniert und perfekt gestylt in der Fernsehküche hantieren sah.

„Nein. Ich hatte eine bessere Idee. Caroline vom Imbiss kocht für uns ein Festmahl auf Abruf.“

Connie lächelte. Auf diese Weise kamen sie gewiss zu einem schmackhafteren Essen, als sie selbst zubereitet hätte. Schließlich bestand kein Zweifel daran, dass sie nicht mit dem Gen der perfekten Hausfrau gesegnet war.

„Wir beide haben heute Abend also sozusagen eine kleine Privatfeier.“

„Das klingt gut. Was steht auf dem Speiseplan?“

„Makkaroni mit Tomatensoße.“ Er grinste. „Ich habe eine Fertigpackung in der Speisekammer gefunden. Ich hoffe, es ist dir recht.“

Sie wusste von Grannys Vorrat an Speisen, die Kinder wie Sabrinas kleiner Neffe Joey gern aßen. Dazu zählten außer Nudelgerichten auch Fischstäbchen, Erdnussbutter und Wackelpeter.

Eigentlich war Connie kein Fan von Fertigprodukten, aber das wollte sie nicht zugeben. Dass Greg sich so sehr bemühte, sie zu versorgen, war wesentlich wichtiger als eine Mahlzeit, die ihr nicht schmeckte.

„Ich kann nicht besonders gut Gemüse“, gestand er ein. „Sind dir grüne Bohnen aus der Dose recht?“

„Sicher.“ Sie erwartete, dass er sich abwandte und hinausging, doch er blieb an den Türrahmen gelehnt stehen und schaute ihr beim Stillen zu. Aus irgendeinem Grund schien er sich das Vorrecht verdient zu haben, sodass sie es nicht als Verletzung ihrer Intimsphäre auffasste.

„Weißt du“, sinnierte sie gerührt, „du tust weit mehr für mich als zu erwarten wäre von einem Mann, der auf einen dringend benötigten Urlaub nach Hause gekommen ist.“

Greg zuckte die Schultern. „Das war zwar nicht der geplante Urlaubsauftakt, aber ich bin froh, dass ich rechtzeitig hier war. Es wäre nicht gut gewesen für dich, es allein durchzustehen.“

In diesem Punkt konnte sie ihm nur beipflichten. Sie wollte nicht einmal daran denken, wie viel mehr Angst sie ohne ihn ausgestanden hätte.

Den Blick immer noch auf das Baby geheftet, verkündete er: „Es ist erstaunlich. Ich kann es nicht fassen, dass sie vor zwei Tagen noch in deinem Bauch war. Wenn man sie jetzt so sieht …“

Connie nickte bedächtig und betrachtete ihre Tochter. Es erschien ihr wie ein Wunder, dass sie nun Mutter war.

Das Wort Mutter ließ sie stets an Dinah Rawlings denken. Die Superhausfrau. Die TV-Größe, die vor der Kamera aus vier Wänden und ein paar Geräten ein vollkommenes Zuhause erschuf, war in Wirklichkeit eine Witwe, deren jüngste Tochter mit achtzehn von zu Hause weggelaufen war. Das ergebene Publikum hatte keinen blassen Schimmer davon, dass das Privatleben ihres Lieblings ganz und gar nicht perfekt war.

Nachdenklich blickte Connie zu dem Telefon auf dem Nachttisch. Sie beabsichtigte vorläufig noch nicht, die Bombe platzen zu lassen und mit ihrer Mutter reinen Tisch zu machen. Aber es konnte wohl nichts schaden, zumindest einen schönen Feiertag zu wünschen.

„Greg? Würdest du Amanda bitte nehmen, während ich meine Mom anrufe?“, bat sie. Auf diese Weise musste sie keine Ausflüchte machen, falls Amanda aufwachte und weinte.

„Natürlich.“ Behutsam hob er das kostbare Bündel auf die Arme und trug es aus dem Zimmer.

Sobald er fort war, griff Connie zum Hörer.

Rebecca, ihre ältere Schwester, meldete sich beim zweiten Klingeln.

„Hallo, Becky. Ich bin’s. Ich wollte dir und Mom nur ein schönes Thanksgiving wünschen.“

„Oh, mein Gott, Connie! Wo steckst du? Kommst du nicht nach Hause?“

„Nein, dieses Jahr nicht. Ich habe einen neuen Job und ich … Ich muss …“ So viel dazu, dass ich nicht lügen wollte. „Ich bekomme keinen Urlaub.“

„Oh nein, wie schade! Mom wollte dieses Thanksgiving zu dem allerschönsten Fest überhaupt machen. Ohne dich wird jetzt wohl nichts daraus.“

Die Enttäuschung war verständlich. Dinah legte nun einmal großen Wert auf viel Theater an den Feiertagen. Dafür wollte sie beide Töchter um sich vereinen, obwohl sie sich immer nur von Rebecca bei den Vorbereitungen helfen ließ.

Ich konnte ihr ja in der Küche nie etwas gut genug machen, dachte Connie finster. Sie räusperte sich, wie um die Erinnerungen dadurch abzuschütteln. „Ich kann nicht lange telefonieren, Becky. Holst du bitte Mom?“

„Sicher.“

Einen Moment später meldete sich Dinah. Sie stellte dieselben Fragen wie Rebecca, bekam dieselben Antworten und wollte dann wissen: „Was machst du denn beruflich? Du singst doch nicht wieder in einer Band, oder?“

„Nein. Ich arbeite jetzt auf einer Ranch.“

„Als was denn?“

„Köchin.“

„Ausgerechnet du?“ Dinah lachte. „Entschuldige, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du mit einem Verpflegungswagen herumkutschierst und für eine Horde Cowboys kochst.“

„Mein Arbeitsplatz ist eine sehr schöne Küche.“

„Das erleichtert mich. Aber wo hast du denn kochen gelernt?“

Nicht bei dir. Du hattest ja nie Zeit, es mir beizubringen. „Ich habe viele Frauenzeitschriften gelesen“, erklärte Connie. Sie setzte den Schaukelstuhl in Bewegung. „Und wie geht es dir so?“

„Großartig. Die Quoten steigen ständig. Und ich bin zu einem Gastauftritt in Elizabeth Bronsons nächster Talkshow eingeladen.“

Connie kannte weder die Frau noch die Sendung, aber sie wollte nicht unwissend erscheinen und gratulierte daher.

„Und wie geht es dir so? Du triffst dich doch hoffentlich nicht mehr mit … diesem Mann?“

Vor einem Jahr hätte Connie ihre Mutter daran erinnert, dass der Name dieses Mannes Ross lautete. Doch nun wollte auch sie ihn vergessen. „Nein. Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen.“

„Das ist gut zu wissen. Du kannst einen viel Besseren finden.“

Bestimmt, aber du hättest doch an jedem etwas auszusetzen.

„Das habe ich ihm auch gesagt“, fuhr Dinah fort, „als er neulich vor meiner Tür stand und nach dir gefragt hat.“

„Ross hat mich gesucht?“ Connies Herz begann zu pochen. „Wann war das?“

„Das erste Mal zu Ostern. Ich erinnere mich, weil wir an dem Tag eine Sondersendung gedreht haben. Dann war er noch mal vor einem Monat oder so hier. Ich habe ihm gesagt, dass ich dich lange nicht gesehen habe, aber ich denke, er hat es mir nicht geglaubt.“

Connies Magen verkrampfte sich. Sie hatte gehofft, dass Ross inzwischen anderweitig liiert wäre und sich nicht mehr mit ihr beschäftigte.

Dennoch wollte sie mit ihrer Mutter nicht über dieses Thema sprechen. Oder mit irgendjemandem sonst. Er war ein Irrtum. Eine schlechte Erinnerung.

„Also, Mom, ich wollte dir und Becky einfach einen schönen Feiertag wünschen und euch sagen, dass es mir gutgeht.“

„Wo liegt denn diese Ranch?“

Sie überlegte, ob sie wahrheitsgemäß antworten sollte. Aber nach den neuesten Enthüllungen über Ross durfte sie weniger denn je riskieren, dass ihre Mutter sich verplapperte und ihm einen Hinweis gab. „Sie liegt etwa eine Stunde von Houston entfernt. Da fällt mir gerade was ein. Du lebst doch in einer bewachten Wohnanlage. Warum lässt du Ross nicht von der Gästeliste streichen?“

„Die Idee ist gut. Ich versuche, morgen auf dem Weg zum Sender daran zu denken.“

Connie atmete im Stillen auf. „Gut.“

„Also, wo genau steckst du denn nun?“

„Hör mal, Mom, ich habe etwas im Backofen stehen, also will ich im Moment nicht ins Detail gehen. Jedenfalls hattest du recht, was Ross angeht. Er war wirklich nicht der Richtige für mich. Aber offensichtlich ist er davon nicht so überzeugt wie ich. Falls er also wieder auftauchen und nach mir fragen sollte, ist es mir lieber, wenn du nicht weißt, wo ich bin. Auf diese Weise musst du ihn nicht anlügen.“

„Ich kann durchaus ein Geheimnis wahren“, entgegnete Dinah pikiert. „Außerdem riskiere ich ganz bestimmt nicht, eine Versöhnung zwischen euch zu provozieren.“

„Dann ist es ja gut.“

„Du weißt doch genau, dass ich nie begriffen habe, was du an dem schlampigen langmähnigen Musikus gefunden hast.“

Unwillkürlich zuckte Connie zusammen. Auch Greg war langhaarig. Noch dazu prangten Tattoos auf seinen Armen. Das hatte sie bisher zwar nicht mit eigenen Augen gesehen, aber auf dem sehr erotischen Cover seiner letzten CD war er mit bloßem Oberkörper abgebildet. War er dadurch automatisch bei Dinah untendurch?

Was denkst du dir eigentlich? fragte sie sich verdrießlich. Was kümmerte es sie, ob er Anklang bei ihrer Mutter fand? Schließlich waren sie sich nicht aus freien Stücken so nahegekommen. Und deshalb hatten die Vertraulichkeiten zwischen ihnen nichts zu bedeuten und konnten zu nichts führen.

Für einen Außenstehenden mochte es scheinen, als ob sie Vater, Mutter, Kind spielten. Aber das war nur Fassade – wie die Fernsehküche, die das glückliche Zuhause widerspiegeln sollte, das Dinah Rawlings angeblich für ihre Töchter schuf.

„Hör mal, Mom, ich muss jetzt wirklich zurück in die Küche.“ Natürlich war es gelogen, zumal Greg sich an diesem Abend um das Essen kümmerte.

„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du kochst, noch dazu für eine Horde Cowboys. Was gibt es denn heute?“, wollte Dinah wissen.

„Das übliche Festtagsgericht.“

„Ich hoffe, dass alles gut läuft.“

Das hoffte Connie auch. Und interessanterweise bereute sie nicht, dass sie in diesem Jahr auf Dinahs Gourmetküche verzichten musste. Im Gegenteil. Sie freute sich auf Makkaroni und Tomatensoße – frisch aus der Packung – mit einem gut aussehenden Countrysänger.

4. KAPITEL

Greg konnte sich selbst nicht erklären, warum er ständig den Drang verspürte, nach Amanda und Connie zu sehen. Er versuchte, das Bedürfnis abzuschütteln, aber es wollte ihm nicht gelingen, Distanz zu wahren.

Dass ihn die Mutter-Kind-Beziehung derart interessierte, lag vielleicht daran, dass er seine leibliche Mutter nie kennengelernt hatte.

Der Gedanke daran, dass er Vollwaise war, erweckte wie immer Erinnerungen an die Erzählungen seiner Tante über die Nacht seiner Geburt.

Maria und Guadalupe waren in einem klapprigen Auto nach Texas aufgebrochen, mit all ihren Habseligkeiten in Plastiktüten und Pappkartons verstaut. Es war ein langer Weg von ihrem kleinen mexikanischen Heimatdorf, doch Maria war fest entschlossen, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren, wo sie geboren und aufgewachsen war. Sie nahm das Risiko um ihres ungeborenen Babys willen auf sich und bezahlte dafür mit ihrem Leben.

Als häusliche und schüchterne Person hatte Guadalupe das einfache Leben und ihr Zuhause in Mexiko eigentlich gar nicht aufgeben wollen und nur in die beschwerliche Reise eingewilligt, weil Maria so entschlossen und überzeugend auf sie eingeredet und sie mit ihrer Begeisterung angesteckt hatte.

Nach dem Tod ihrer kleinen Schwester sah Guadalupe keinen Grund mehr, in den Staaten zu bleiben. Also kehrte sie mit ihrem Neffen Gregorio gleich nach seiner Taufe zurück in ihr Heimatdorf Rio San Juan. Dort zog sie ihn so liebevoll wie einen eigenen Sohn auf. Fast täglich erzählte sie ihm Geschichten von seiner Mutter, einer Träumerin mit großen Plänen für seine Zukunft.

Maria hatte von Anfang an, auch ohne ärztliche Untersuchung, vorausgesehen, dass es ein Junge wurde. „Ich hatte eine Vision. Dieser kleine Junge wird zu einem ganz besonderen Menschen heranwachsen. Vielleicht wird er sogar Präsident der Vereinigten Staaten.“

Gregorio, der mit dem Optimismus und der Zielstrebigkeit seiner Mutter gesegnet war, glaubte bald selbst daran.

Doch das Schicksal war eigensinnig. Wie so oft zerstörte es auch diesmal die schönsten Träume, vereitelte die kühnsten Pläne.

Kurz nach seinem sechsten Geburtstag erkrankte Guadalupe, die körperlich nie besonders kräftig gewesen war, an Blinddarmentzündung. Ein Arzt aus dem Nachbarort operierte sie, doch es stellten sich Komplikationen ein. Sie bekam eine Lungenentzündung und starb wenige Tage später.

Da keine weiteren Angehörigen vorhanden waren, landete Gregorio in einem Waisenhaus. Dort wurde der Junge, der von sich glaubte, zu Höherem berufen zu sein, eines unter vielen armen Waisenkindern.

Es war eine traurige Zeit in seinem Leben, aber er hörte nicht auf, an sich selbst und an den Erfolg zu glauben, den seine Mutter ihm vorausgesagt hatte. Und er hielt an der Vorstellung fest, dass die Vereinigten Staaten das Land sind, in dem Milch und Honig fließen.

Daher interessierte er sich sehr für die amerikanischen Hilfskräfte, die mit verschiedenen Wohlfahrtsverbänden nach Mexiko kamen und Kleidung, Lebensmittel und Spielzeug für die unterprivilegierten Kinder mitbrachten. Sie nahmen Reparaturen an den Gebäuden vor und beschäftigten sich mit den Waisen, lasen ihnen vor und brachten ihnen Spiele und Lieder bei.

Gregorio war klüger als die meisten. Er wusste, dass er Englischkenntnisse brauchte, wenn er irgendwann in die USA ziehen und den Traum seiner Mutter wahr machen wollte. Also nutzte er jede Gelegenheit, die Sprache der Besucher zu lernen. Und mit zwölf hatte er sich ein solides Grundwissen angeeignet.

Immer wieder schlug das Schicksal Türen vor ihm zu, doch er fuhr fort, nach einem offenen Fenster zu suchen. Eines Tages schließlich, während einer Exkursion, bot sich ihm die Gelegenheit, dem Leben im Waisenheim zu entfliehen, und er packte sie beim Schopf.

Seitdem dankte er jeden Tag seinem Glücksstern dafür, dass er schließlich Granny gefunden hatte und sie zu seiner Mutter geworden war.

Dass Greg sich auf der Rocking C eingelebt und sein neues Zuhause zu schätzen gelernt hatte, bedeutete allerdings nicht, dass er auf Dauer an diesen Ort gefesselt sein wollte. Er brauchte das sprühende Leben, das er für sich erschaffen hatte, und erst im strahlenden Rampenlicht der Musikwelt blühte er richtig auf.

Wann immer er auf der Bühne stand, mit seiner Gitarre in der Hand und dem Applaus seiner Fans in den Ohren, wusste er, dass er angekommen war. Dass er das Leben führte, das seine leibliche Mutter sich für ihn gewünscht hatte, das ihm vorherbestimmt war.

Nun, während er in der Küche mit Töpfen und Pfannen hantierte, um eine Mahlzeit für sich und Connie zu bereiten, wurde ihm bewusst, wie weit das Dasein auf der Ranch von dem Leben entfernt war, wie er es liebte. Doch es dauerte ja nicht mehr lange bis zu seiner nächsten Tournee.

Er war kein besonders guter Koch, hatte es nie sein müssen. Solange er denken konnte, war immer jemand da gewesen, der ihm die Mahlzeiten zubereitete – Guadalupe, die Köche im Waisenhaus, Granny. Und seit er erwachsen war, aß er meistens in Restaurants.

Er ging in die Speisekammer und holte die Packung Makkaroni, auf der in großen Lettern stand: kinderleichte Zubereitung. Also befolgte er die Anweisungen und stellte fest, dass die Behauptung zutraf.

Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und schenkte ein Glas Milch für Connie ein, stellte alles auf ein Tablett und trug es ins Wohnzimmer. Zum Nachtisch sollte es Apfelkuchen geben. Den wollte er später holen. Zwei Stücke waren nur noch übrig.

Sie stand in einem hellblauen Bademantel beim Kamin und betrachtete ein Foto, das Granny am ersten gemeinsamen Weihnachtsfest von Greg und seinen Brüdern gemacht hatte.

Sie drehte sich um, als er eintrat, und lächelte mit dem Foto in der Hand. „Das ist ein schönes Bild von euch.“

Er stellte das Tablett auf den Couchtisch. „Es wurde eine Woche nach meiner Ankunft auf der Ranch aufgenommen.“

„Offensichtlich hast du ein blaues Auge. Hat dir das einer deiner Brüder verpasst?“

„Nein. Ich hatte einen Zusammenstoß mit einem der Arbeiter, bei denen ich gelebt hatte, und war ziemlich zerschunden, als Granny mich in ihrer Scheune gefunden hat. Das Auge war eine Zeit lang total zugeschwollen.“

Connies Miene wurde ernst. „Das ist ja furchtbar. Wie alt warst du da?“

„Dreizehn.“

„Und du hast bei Arbeitern gelebt?“

Er war sich nicht sicher, wie viel er ihr von seinen frühen Jahren anvertrauen wollte. Außerdem dachte er nicht gern an jene Phase seines Lebens zurück. Aber etwas an ihrem Blick ging ihm unter die Haut, und die Worte kamen ihm erstaunlich leicht über die Lippen. „Wir haben zusammen gelebt und gearbeitet. Aber das ist sehr lange her.“

Sie betrachtete das Foto erneut. Sinnierte sie, wie schnell die Zeit verging? Oder dachte sie daran, dass er zu jung gewesen war, um harte körperliche Arbeit zu leisten, um sich von einem mindestens zwanzig Jahre älteren Mann schlagen zu lassen?

„Ich wurde in Texas geboren“, eröffnete Greg, ohne genau zu wissen, warum er sich verpflichtet fühlte, sich ihr zu erklären. „Aber ich habe die ersten sechs Jahre meines Lebens bei meiner Tante in Mexiko verbracht. Nach ihrem Tod wurde ich in ein Waisenheim gesteckt.“

Mitfühlend runzelte Connie die Stirn. „Das tut mir leid. Es muss schlimm für dich gewesen sein.“

In einem Waisenhaus zu leben? Oder wegzulaufen, mit harten Männern durch das Land zu ziehen und von früh bis spät zu arbeiten? Eigentlich beides. Doch am schlimmsten waren für ihn die ersten Nächte im Waisenhaus gewesen. Er hatte sich wochenlang in den Schlaf geweint und nie verwunden, dass er in einem Haufen anderer Waisenkinder um seine Identität kämpfen musste. „He, du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben. Es war wirklich nicht so schlimm. Und es hat mich zu dem gemacht, der ich bin.“

Eine Weile dachte sie darüber nach. Dann, als er sich schon freute, dass dieses Thema abgeschlossen war, hakte sie nach: „Wenn du schon mit dreizehn bei den Arbeitern gelebt hast, bist du nicht besonders lange im Waisenhaus geblieben. Wurdest du adoptiert?“ 

„Nein. Ich bin ausgerissen.“ Greg sah die Fragen in ihren Augen, und obwohl er für gewöhnlich nicht über die traurigen Tage vor der Bekanntschaft mit Granny redete, sah er keinen Grund, seine Vergangenheit vor Connie zu verbergen. „Eines Tages, bei einem Gruppenausflug, bin ich einfach abgehauen. Ich hatte schon oft daran gedacht wegzulaufen, aber nie den Mut gehabt. Doch während ich so allein herumspaziert bin, habe ich zwei Männer darüber reden hören, dass sie nach Texas trampen wollten, um dort zu arbeiten. Da wusste ich, dass es womöglich meine einzige Chance sein könnte, vor meiner Volljährigkeit in die Staaten zu kommen. Also habe ich sie gefragt, ob sie mich mitnehmen.“

„Du bist einfach mit Fremden mitgefahren?“

Er nickte. „Ich war felsenfest überzeugt, dass es mir bestimmt war, in den USA zu leben. Im Nachhinein sehe ich ein, dass es ziemlich gefährlich für ein Kind war. Es hätte schlecht ausgehen können. Aber damals war ich viel vertrauensseliger. Ich habe ihnen erzählt, dass mein Vater in Texas lebt, und sie haben mich mitgenommen.“

Autor

Judy Duarte
Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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Jennifer Faye
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Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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