Das Wunder dieser stillen Nacht

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„Das Fest der Liebe“, flüstert Zoe beim Tannenbaumschmücken verzückt. Gerade hat Demetrius ihr eröffnet, dass er ihrer Ehe noch eine Chance geben will. Wird ein Weihnachtswunder wahr? Aber was ist, wenn Demetrius ihr trauriges Geheimnis erfährt?


  • Erscheinungstag 26.10.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503440
  • Seitenanzahl 149
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Alles war in die Wege geleitet.

Aber plötzlich überzeugte der Plan ihn nicht mehr so recht.

Demetrius Castanavo, der Kronprinz der Mirraccino-Inseln, verdrängte das Gefühl der Besorgnis, als er aus der klimatisierten schwarzen Limousine stieg. Es wird schon nichts schiefgehen. Er blickte zum klaren blauen Himmel auf und freute sich über diese letzte kleine Schönwetterfront, denn in den verbleibenden Wochen bis zum Weihnachtsfest würde es sich rasch abkühlen.

Demetrius schloss den Knopf seiner anthrazitfarbenen Anzugjacke, zupfte an beiden Ärmeln und straffte die Schultern. Heute musste er tadellos auftreten und perfekt aussehen. Das war lebenswichtig.

Demetrius, der königliche Playboy mit dem ausschweifenden Nachtleben, existierte nicht mehr. Die Zeit der Lässigkeit und des Widerstands gegen das System war vorbei. Jetzt ging es darum, ein angemessener und würdiger Erbe des Throns von Mirraccino zu werden. Immerhin war es sein Geburtsrecht, ob er es wollte oder nicht.

Und jetzt war er im Begriff, ein überaus wichtiges Interview zu geben, das der Gestaltung seines neuen, publikumswirksameren Images zuträglich sein und hoffentlich das Volk von Mirraccino im Sinne seiner Thronbesteigung umstimmen würde.

Er richtete den Blick auf die imposanten Stufen, die zu einem historischen Herrenhaus führten. Den Treppenabsatz bildete ein weitläufiges Podest mit großen weißen Säulen – ein würdiges Entree für das Gebäude im Hintergrund, das mit seinen blauen Fensterläden von zeitloser Schönheit war. Demetrius war froh, es retten zu können, indem er ihm neues Leben einhauchte.

Dieser gut durchdachte Plan hatte nur einen Haken: Zoe.

Seine Noch-Ehefrau.

Doch das Problem sollte bald gelöst sein – sehr bald schon.

Sein Security-Chef rückte nahe an ihn heran und flüsterte: „Die Presse erwartet Sie auf dem Vorbau, Königliche Hoheit.“

Demetrius schob die beunruhigenden Gedanken an seine Noch-Ehefrau zur Seite. Um sie würde er sich am nächsten Tag kümmern. „Gut. Die Sache muss schnellstens über die Bühne gebracht werden, wenn wir unseren heutigen Zeitplan einhalten wollen.“

Eilig stieg Demetrius die sich nach oben verjüngenden Stufen hinauf, die viel Raum einnahmen, aber den Charme des Bauwerks mit ausmachten. Er hatte auf jeden Fall richtig entschieden, als er darauf bestand, dass der barrierefreie Zugang an der Seite des Gebäudes angelegt wurde, leicht erreichbar, aber ohne die ansprechende Ästhetik des Ensembles zu stören.

Er hatte die Vision, die Schönheit des Herrenhauses mit Funktionalität zu paaren. In puncto Funktionalität erbrachten die Arbeiter gute Leistungen. Die Schönheit fiel in Zoes Ressort. Und morgen war ihr erster Arbeitstag.

Abseits an der anderen Seite des Vorbaus stand eine kleine, schlanke Brünette. Ihr Make-up war für seinen Geschmack ein wenig zu stark, doch Demetrius sagte sich, dass es wohl ihren häufigen Auftritten vor Fernsehkameras zuzuschreiben war. Interviews zählten zu seinen am wenigsten geliebten Aufgaben, doch manchmal waren sie unabdingbar – so wie jetzt.

Auf dem Vorbau angelangt, wandte er sich der Reporterin zu. Die Begrüßung fiel knapp und förmlich aus. Demetrius war entschlossen, das Interview rasch abzuhandeln. Ihm war bewusst: Je mehr Zeit er den Medien einräumte, desto mehr erfuhren sie. Und das war seiner Erfahrung nach selten von Vorteil.

Ms. Carla Russo, in Mirraccino das Gesicht der Unterhaltungssparte, hielt ein Mikrofon in der Hand. „Bevor wir anfangen, wüsste ich gern, ob Sie unseren Zuschauern eine Ankündigung zu machen haben.“

„Ja, ich habe etwas zu vermelden …“

„Oh, schön. Wir hören alle möglichen Gerüchte, und unsere Zuschauer fiebern Ihrer Bestätigung entgegen, dass Sie Ihre Prinzessin auserwählt haben.“

Wie bitte?

Der Kameramann rückte näher. Demetrius’ Kehle schnürte sich zu. Sie wussten von Zoe? Nein. Ausgeschlossen. Die Reporterin fragte mit Lügen nach der Wahrheit. Ganz einfach. Für eine Sensationsschlagzeile gab man alles. Tja, er würde ihr keine Sensation bieten.

Demetrius zwang sich zu einem eingeübten Lächeln. „Ich kann Ihnen versichern, dass in absehbarer Zukunft keine Prinzessin in Sicht ist.“

Dieses Interview durfte ihm nicht außer Kontrolle geraten. Nicht nur das Gebäude würde einen neuen Anstrich bekommen. Wenn sein Plan Erfolg hatte, würde sich auch seine Zukunft neu gestalten. Schließlich hatte er die Erfüllung seiner königlichen Pflichten lange genug vor sich her geschoben. Er war erwachsen geworden. Hatte hinzugelernt. Und jetzt wurde er zu dem Mann, der er von Anfang an hätte sein sollen.

Nachdem sein Zwillingsbruder Alexandro inzwischen geheiratet hatte und viel Zeit mit seiner Frau in deren Heimatland verbrachte, lasteten noch größere Verantwortlichkeiten auf den Schultern des Königs. Doch mit dessen Gesundheit stand es nicht zum Besten. Immer wieder ermahnten die Ärzte ihn kürzerzutreten. Und deswegen musste Demetrius’ Plan einfach aufgehen. Er wollte nicht, dass sein Vater einen Herzinfarkt oder Schlimmeres erlitt.

Der erste Teil seines Plans sah unter anderem vor, dass er das Vertrauen der Bevölkerung gewann. Der zweite Teil war schon ein wenig heikler: Er musste seine Noch-Gattin dazu bewegen, in aller Stille die Papiere zur Annullierung ihrer Ehe zu unterzeichnen. Dafür musste zunächst einmal die Frage geklärt werden, warum Zoe seit Monaten nicht auf die zugestellten Dokumente reagiert hatte.

Zu dem Zeitpunkt, als er sein Revitalisierungsprojekt endlich auf den Weg gebracht hatte, strebte auch Zoes Karriere als Innenarchitektin ihrem Höhepunkt zu. Sie hatte an einigen der beachtenswertesten Gebäude in Mirraccinos Hauptstadt Bellacitta mitgearbeitet. Da die Öffentlichkeit von ihrer Arbeit begeistert war, musste er sie einfach engagieren. Seine Berater, die von seiner Vergangenheit mit Zoe wussten, erklärten ihn für verrückt. Doch Demetrius versicherte, dass er gute Gründe für diese unkonventionelle Vorgehensweise hatte.

Sein erster Grund war der, dass sie ein Gespür für Farben und Ausgestaltung hatte, ohne je zu übertreiben. Und der zweite Grund bestand in der Möglichkeit, an sie heranzukommen, ohne dass die Presse Verdacht schöpfte. Wenn sie in seiner Nähe arbeitete, bot ihm das zahlreiche Gelegenheiten, ihr die Antworten zu entlocken, die er zu einer unauffälligen Beendigung seiner kurzzeitigen Ehe benötigte.

Demetrius kämpfte um Ruhe und Gelassenheit. „Heute möchte ich mich auf Mirraccino, insbesondere auf die Erschließung der Südküste, konzentrieren, die mir und dem König sehr am Herzen liegt. Wir versprechen uns davon die Schaffung neuer Wohngebiete, einen Zuwachs an Gewerbe in dieser Gegend und neue Arbeitsplätze für die Ortsansässigen.“

„Dann entsprechen die Gerüchte über eine neue Prinzessin nicht der Wahrheit?“

Er konnte auf lebenslange Erfahrungen im Umgang mit den Medien zurückgreifen, sodass er die Reporterin höflich, aber entschieden in ihre Schranken verwies. „Sie sollen es als Erste erfahren, wenn ich meine Hochzeit bekanntgeben will. Aber ich denke, zunächst einmal möchten die Zuschauer mehr über das Projekt hören.“

Carla Russo zog die Brauen hoch. Ihr Blick ließ auf unausgesprochene Fragen schließen, doch Demetrius sah ihr fest in die Augen. Falls sie es wagte, weiterhin auf diese Weise in seinem Privatleben herumzuschnüffeln, würde er das Interview auf der Stelle beenden.

Die Röte stieg ihr in die Wangen, als sie endlich in die Kamera blickte. „Von dem Südküsten-Projekt wird eine ganze Reihe von Menschen profitieren. Wie genau sind Sie auf den Gedanken gekommen, diese Gegend wieder mit Leben zu füllen?“

„Die Pläne zur Urbanisierung dieses Areals existieren schon sehr lange, doch wir mussten zunächst sämtliche Besitzverhältnisse klären.“

Das Aufheulen eines Motors ließ ihn aufhorchen. Er sah sich nach der Lärmquelle um. Neben seiner Limousine hielt ein Taxi am Straßenrand. Eine große, gertenschlanke Brünette stieg aus dem blau-weißen Fahrzeug, drehte sich um und reichte dem Chauffeur das Fahrgeld durchs Beifahrerfenster. Hätte Demetrius es nicht besser gewusst, er hätte schwören können, dass es sich um seine Frau handelte. Doch er ließ nicht zu, dass seine Fantasie mit ihm durchging und das Interview auf den Kopf stellte.

Er wandte sich wieder der Reporterin zu. „Die Residenza del Rosa ist unser erstes Projekt. Zu Beginn des neuen Jahres nimmt die Einrichtung den Betrieb auf.“

„Sie haben also Pläne für mehr als nur das Herrenhaus?“ Carla Russo sah ihn erwartungsvoll an.

„Sì.“ Demetrius schluckte krampfhaft, bemüht, bei der Sache zu bleiben. „Die Residenza del Rosa ist schon längst auf den Weg gebracht. Sobald die Finanzierung steht, treten wir in die zweite Phase ein, nämlich den Bau erschwinglicher Wohnungen.“ Er hörte Absätze klacken, ließ sich jedoch nicht ablenken.

Der Chef seines Sicherheitsdienstes trat auf ihn zu. Demetrius hob einen Finger, zum Zeichen, dass er das Interview unterbrechen wollte. Der Sicherheitsmann neigte sich ihm zu und flüsterte ihm ins Ohr: „Eine Miss Sarris. Sie hat einen Ausweis und behauptet, dass sie hier arbeitet. Sollen wir sie durchlassen?“

„Oh, sehen Sie nur.“ Carla Russos Miene erhellte sich.

Zu spät. Sie hat Zoe entdeckt, dachte Demetrius frustriert.

Die Augen der Reporterin leuchteten, als hätte man ihr ein großes Geschenk gemacht. „Ist das nicht die Innenarchitektin, Zoe Sarris?“

Bevor er ihr antwortete, forderte Demetrius seinen Sicherheitschef, wenn auch unwillig, mit einem Nicken auf, Zoe zu ihnen zu lassen. Das Timing dieser Frau war schon merkwürdig. Zuerst verließ sie ihn wenige Stunden, nachdem sie ihm ihr Jawort gegeben hatte, und jetzt … Wie schaffte sie das?

Er spürte den Blick der Reporterin und räusperte sich. „Ja, das ist Miss Sarris.“

„Was mag sie hier wollen?“ Die Reporterin sah ihn forschend an. „Haben Sie das arrangiert?“

Er versagte sich mit einiger Mühe einen missbilligenden Blick angesichts der wilden Spekulationen der Reporterin wie auch der Tatsache, dass seine Noch-Ehefrau im Begriff war, sein wichtiges Interview zu ruinieren. „Nein. Anscheinend ist sie gekommen, um zu arbeiten. Wir hatten das große Glück, Miss Sarris engagieren zu können, damit sie eine einladende und entspannende Umgebung für die zukünftigen Bewohner der Residenza del Rosa schafft.“

„Miss Sarris soll die frühere Schönheit dieses herrschaftlichen Hauses wiederherstellen?“

„Wir hoffen, dass sie das vorhandene Potenzial nutzt, aber dennoch frischen Wind in das Bauwerk bringt.“

Carla Russo nickte verstehend. „Großartig, dass sie sich uns anschließen und unseren Zuschauern einen Eindruck von ihren Plänen für dieses Bauwerk vermitteln kann. Ich kenne ihre Arbeit – sie ist fantastisch. Wir könnten Vorher-/Nachher-Aufnahmen vom Herrenhaus machen, natürlich nur mit Ihrer Erlaubnis.“

„Das klingt gut.“

Demetrius folgte Carla Russos Blick auf die besagte Frau. Zoes Garderobe, ein kurzer schwarzer Rock mit pinkfarbener Bluse, war unauffällig. Doch ihre wundervollen Rundungen – Rundungen, die Demetrius immer noch in- und auswendig kannte – kamen darin bestens zur Geltung. Zoe setzte ihre dunkle Sonnenbrille ab, schüttelte ihre braunen Locken und schob sich die Brille dann wie einen Haarreif ins Haar.

Ganz gleich, was zwischen ihnen vorgefallen war, dass sie eine Schönheit war, ließ sich nicht leugnen.

Ihre Beine waren lang, perfekt geformt und leicht gebräunt. Monatelang hatte er Zoe nicht gesehen. Traumerscheinungen zählten nicht, denn die reichten bei Weitem nicht an die Wirklichkeit heran.

„Hier in der Sonne ist es sehr warm. Vielleicht sollten wir ein schattigeres Plätzchen aufsuchen.“ Carla Russo gab dem Kameramann ein Zeichen, dass er eine Pause einlegen sollte. „Prinz Demetrius, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Der besorgte Ton der Frage riss ihn aus seiner Versunkenheit. Er atmete tief durch. Mühsam löste er den Blick von Zoe und sah der Reporterin ins neugierige Gesicht.

Ganz schlecht, Demetrius. Lass dich nicht ablenken.

Er räusperte sich. „Verzeihung. Mir war gerade etwas Wichtiges eingefallen. Ich muss es mir kurz notieren.“ Er zückte sein Smartphone, tippte etwas ein und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Gut, wo waren wir stehengeblieben?“

„Vielleicht sollten wir auf Miss Sarris warten.“

Demetrius hätte sie von seinen Männern abweisen lassen sollen. Wie sollte er sich auf das Interview konzentrieren, wenn sein einziges Bedürfnis darin bestand, Zoe zur Rede zu stellen?

Konzentrier dich auf die Tagesordnung.

„Entschuldigung.“ Zoe konnte ihn nicht offen ansehen. „Ich wusste nicht, dass heute jemand anwesend sein würde. Wenn es gestattet ist, gehe ich einfach ins Haus und mache mir ein paar Notizen.“

„Kein Problem.“ Demetrius trat zurück, um Zoe vorbeizulassen.

„Moment.“ Carla Russo stellte sich ihr in den Weg. „Miss Sarris, haben Sie ein paar Minuten Zeit, mit uns zu reden?“

Zoe schüttelte den Kopf. „Ich will mich nicht aufdrängen.“

„Das tun Sie nicht. Ich würde Sie vielmehr gern zitieren. Aber zunächst einmal muss ich meinen Kameramann aufstöbern. Er wollte ein paar Aufnahmen von den Instandsetzungsarbeiten am Herrenhaus machen.“

Demetrius wartete, bis die Reporterin außer Hörweite war, dann wandte er sich an Zoe. „Was willst du hier?“

„Das sagte ich bereits. Ich will mir Notizen machen.“ Sie sah ihn fest an. „Und was machst du hier?“

Um nicht in diesem Moment schon persönlich zu werden, begnügte er sich mit den Worten: „Ich bin der Prinz und habe jedes Recht, hier zu sein. Schließlich untersteht dieses Projekt der unmittelbaren Kontrolle der Krone.“

„Natürlich.“ Ihre Wangen färbten sich rosig. „Das ist mir klar. Aber deine Anwesenheit hat mich einfach überrumpelt.“

„Hör mal, eines solltest du wissen …“

„Entschuldigen Sie bitte.“ Die Reporterin gesellte sich lächelnd wieder zu ihnen.

Demetrius hüstelte. Es war höchste Zeit, diese Angelegenheit zu einem Ende zu bringen, bevor sie völlig aus dem Ruder lief. Statt das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, fügte er seinem Ruf womöglich irreparablen Schaden zu, wenn die Wahrheit über seine sehr kurze, sehr überstürzte Heirat ans Licht kam.

Demetrius trat vor. „Miss Sarris hat mich gerade wissen lassen, dass sie leider nicht bleiben kann.“

2. KAPITEL

Nein, ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk war dieses Wiedersehen nicht.

Es war vielmehr eine schöne Bescherung.

Zoe sah Demetrius mit hochgezogenen Augenbrauen an. Alle möglichen Fragen schossen ihr durch den Kopf. Zum Beispiel, was genau ihr Ex-Mann im Schilde führte? Allerdings war ihre Ehe annulliert worden, also war er nicht ihr Ex. Was war er dann? Ihre märchenhafte Vergangenheit? Ihr köstlicher Fehltritt?

Nicht, dass es wichtig gewesen wäre.

„Der Prinz hat recht. Ich wollte hier nur kurz etwas überprüfen.“ Zoe setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen.“

Sie ging um Demetrius herum und entfernte sich. Die beiden führten ihr Interview fort, und Zoe konnte ihre Stimmen noch eine Weile hören. Erst als sie am anderen Ende des Vorbaus angelangt war, warf sie einen Blick über die Schulter zurück.

Sie musterte Demetrius’ maßgeschneiderten anthrazitfarbenen Anzug und die polierten Schuhe. Er wirkte sehr attraktiv in seiner Designer-Kleidung. Sein Haar war kürzer als früher und gut gestylt. So viel zu dem lässigen Prinzen, dem es gleich war, wie er aussah. Das Blatt hatte sich eindeutig gewendet. Der Mann vor der Kamera strahlte unübersehbar Seriosität aus.

Als sein finsterer Blick sie traf, stockte ihr der Atem. Es war sonnenklar, dass sie der letzte Mensch war, mit dem er an diesem Tag gerechnet hatte. Und er freute sich keineswegs, sie zu sehen. Würde er ihr den Auftrag entziehen?

Zoe wurde flau im Magen. Dieser Job war nicht nur spektakulär, sondern auch hervorragend bezahlt. Es würde ihrem nicht besonders prall gefüllten Bankkonto zugutekommen und sie mit genügend finanziellen Mitteln ausstatten, um weiterhin ihre kranke Mutter unterstützen zu können. Wie sie ohne diesen Job über die Runden kommen sollte, wusste Zoe nicht.

Sie hatte zu lange verweilt. Es war höchste Zeit, ins Haus zu schlüpfen, fort von den Paparazzi, fort von den Fragen – fort von Demetrius’ vorwurfsvollem Blick. Sie hatte den Haupteingang des Herrenhauses beinahe erreicht, als ein Mann hinter einer der Säulen hervortrat.

„Ein Lächeln für die Kamera, Süße.“ Er fotografierte sie.

Das Blitzlicht blendete sie kurz. Sie stand da wie angewurzelt. Was zum Teufel …?

Der Mann war ziemlich klein und hatte einen Bierbauch. Einen Rasierer hatte er wohl lange nicht benutzt, und sein fettiges Haar war in Strähnen quer über den Schädel gekämmt. Mit schmalen Augen sah er Zoe an. „Sie werden verrückt nach Ihnen sein.“

„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“

„Ich bin der Mann, der Ihnen Ihre Geheimnisse entlockt.“

Ausgeschlossen, dass er zum Team der Reporterin gehörte. Zoe wich zurück. Dabei übersah sie eine Stufe hinter ihr, stolperte und schrie auf.

„Zoe?“, rief Demetrius.

Sie ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzufinden. Und da packte sie plötzlich jemand am Ellenbogen und zog sie auf sicheren Boden. Zoe fing Demetrius’ besorgten Blick auf.

„Ist alles in Ordnung?“ Seine Stimme klang barsch vor Sorge.

„Mir fehlt nichts.“ Sie schaute sich um, doch der Fotograf, der sie so erschreckt hatte, war verschwunden.

„Hast du diesen Mann gesehen?“

Demetrius schüttelte den Kopf. „Gehörte er zu den Bauarbeitern?“

„Das glaube ich nicht. Er hatte eine Kamera.“

Demetrius rief einen seiner Security-Leute zu sich und unterhielt sich im Flüsterton mit ihm. Dann wandte er sich wieder Zoe zu. „Keine Angst. Falls er noch hier ist, finden sie ihn. Weißt du, was er hier wollte?“

Zoe schüttelte den Kopf.

Carla Russo eilte herbei. „Ist alles in Ordnung?“

„Da war ein Mann“, erklärte Demetrius. „Er hat Miss Sarris einen Schrecken eingejagt.“

Die Reporterin senkte ihr Mikrofon. „Ich habe ihn flüchtig gesehen, bevor er davoneilte.“

Zoe war froh, dass ihn außer ihr noch jemand bemerkt hatte. „Wissen Sie, wer er ist?“

„Seinen Namen kenne ich nicht.“ Die Reporterin zog die dunklen Brauen zusammen. „Aber ich habe ihn schon mal gesehen. Er ist offenbar freier Journalist und verkauft jeden Dreck, den er über Promis ausgräbt, an das meistbietende Blatt. Er sieht nicht so aus, aber er hat einen guten Riecher für Skandalgeschichten.“ Sie blickte von Demetrius zu Zoe. „Nun, Prinz Demetrius, wissen Sie, warum er Sie ausspioniert?“

Demetrius furchte die Stirn. „Ich habe nicht die geringste Ahnung.“

Die Reporterin streifte Zoe mit einem besorgten Blick. „Ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?“

Zoe nickte. „Ich muss jetzt los.“

„Nicht so eilig, bitte.“ Carla Russo gab ihrem Kameramann ein Zeichen, dass er filmen sollte. „Wenn Sie schon einmal hier sind, könnten Sie uns doch vielleicht schildern, mit welchen Veränderungen das Herrenhaus nach der Renovierung aufwarten wird?“

Unter Aufbietung ihrer geballten Willenskraft lächelte Zoe in die Kamera. „Gern. Sofern Prinz Demetrius keine Einwände hat.“

Er schaute demonstrativ auf seine Rolex. „Dazu bleibt wohl noch Zeit. Aber es muss schnell gehen. In Kürze habe ich noch einen Termin.“

„Klar.“ Die Augen der Reporterin funkelten triumphierend.

Sie begann, weitschweifige Fragen zu dem Projekt zu stellen, während der Kameramann die gesamte Veranstaltung filmte. Es war schon schlimm genug, dass Zoe ihrem Ex-Mann über den Weg laufen musste, aber mit ihm zusammen für eine Primetime-Fernsehsendung gefilmt zu werden, das war zu viel. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?

„Wie haben Sie sich kennengelernt?“

Zoe improvisierte. „Wir kennen uns gar nicht richtig.“

Die Reporterin zog die Brauen hoch. „Das ist ja interessant. Ich hätte schwören können, dass Sie sich gut kennen. Sind Sie sicher, dass es nicht vorher schon ein gemeinsames Projekt gegeben hat? Ein gesellschaftliches Ereignis?“

„Wir verkehren nicht in den gleichen Gesellschaftskreisen“, erklärte Zoe absolut wahrheitsgetreu.

Endlich fand Demetrius seine Sprache wieder. „Dieses ist tatsächlich unsere erste Zusammenarbeit, und vielleicht erinnert Miss Sarris sich nicht, aber wir sind einander flüchtig bei der Eröffnung der DiCapria-Zentrale begegnet. Deren Innenausstattung hat sie so exzellent gemeistert, dass ihr Name mir gleich in den Sinn kam, als das Residenza-del-Rosa-Projekt ins Leben gerufen wurde.“

Natürlich hatte Zoe besagten Moment keineswegs vergessen. Schließlich hatte sich an dem Abend ihr Leben grundlegend verändert. Wie konnte Demetrius dann über ihre allererste Begegnung auf der DiCapria-Party reden, als wäre es eine unbedeutende, folgenlose Zusammenkunft gewesen? Auf dieser Party hatte sie ihr Herz an ihn verloren.

„Das DiCapria-Bürohaus ist sehr beeindruckend“, stimmte die Reporterin zu und wandte sich wieder Zoe zu: „Würden Sie sagen, dass Sie damit Ihren Durchbruch als Innenarchitektin geschafft hatten?“

„Ich denke schon.“ Zoe war sehr stolz auf das Projekt. Man hatte ihr viele Freiräume gelassen und sie hatte sie zur größten Zufriedenheit der Auftraggeber genutzt.

„Wir werden versuchen, Bildmaterial des Gebäudes zu bekommen.“ Die Reporterin machte sich eine Notiz.

Zoes Wangen schmerzten langsam vom ständigen Lächeln. Haben die nicht allmählich genug Filmmaterial? Doch als sie den Blick hob, sah sie, dass der Kameramann seine Filmausrüstung gegen eine Digitalkamera ausgetauscht hatte.

Während die Reporterin mit dem Kameramann sprach, neigte Demetrius sich Zoe zu und flüsterte ihr ins Ohr: „Durchhalten! Wenn wir tun, was sie verlangt, geht alles viel schneller und einfacher, als wenn wir versuchen würden, uns zu drücken.“

Sein spritzig-frisches Aftershave weckte Erinnerungen. Zoe wusste noch allzu gut, wie es war, sich an ihn zu schmiegen und die Lippen auf die glatte Haut an seinem Hals zu pressen. Sein Puls pochte unter ihrem Mund, wenn sie eine Spur von Küssen von seinem Kinn bis hinunter auf seine Brust zog …

Mit einem Stöhnen schob sie diese Gedanken von sich.

Autor

Jennifer Faye
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