Familienbande - Mit Liebe gerettet (6-teilige Serie)

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NIE VERGAß ICH DEINE LIEBE

Der Job in Jack Hansons Firma ist für Samantha eine große Chance: Nach einer schweren Enttäuschung und ihrer Scheidung will sie ein neues Leben beginnen! Aber denkt Jack noch an die einzige süße Nacht, die sie vor Jahren miteinander verbracht haben? Samantha versucht sie zu vergessen! Doch mit jedem Tag in der Nähe ihres charmanten Chefs werden ihre Erinnerungen an jene leidenschaftliche Begegnung wieder stärker ...

EIN TRAUMHAFTES ANGEBOT

Wie wird es sein, wenn sie Tür an Tür mit diesem blendend aussehenden Mann schläft? Nina ahnt, dass aufregende Nächte vor ihr liegen, als sie in das Luxusapartment des Unternehmers David Hanson zieht. Tagsüber nimmt sie an seiner Seite geschäftliche Termine wahr, aber nachts liegt sie in ihrem Bett und träumt vom großen Glück. Und mit jeder Stunde in Davids Nähe wächst die Versuchung. Trotzdem zögert sie, seinem leidenschaftlichen Werben nachzugeben: Will David nur Sex? Oder sehnt er sich wie sie nach der Liebe für ein ganzes Leben?

TRAUMURLAUB MIT SÜSSEN FOLGEN

Eine Nacht voller Leidenschaft - das ist der perfekte Abschluss ihres Traumurlaubs auf Tahiti: Die hübsche Firmenchefin Delia McCray genießt jede Sekunde in den starken Armen des braungebrannten Surfers Andrew. Schon am nächsten Morgen fliegt sie nach Chicago zurück - und erlebt bald eine Überraschung: Sie erwartet ein Baby! Und dann trifft sie Andrew wieder. Er kennt offensichtlich nur ein Ziel: ihr Herz zu erobern! Delias Entschluss, ihr Kind alleine großzuziehen, gerät ins Wanken. Doch Andrew ist viel jünger als sie. Kann ihre Liebe den Altersunterschied überbrücken?

KÜSS MICH, HALT MICH, LIEBE MICH

Das ist die Chance für Evan Hanson! Als er nach Chicago zurückkehrt, übernimmt er im Familienkonzern einen wichtigen Posten! Allerdings aus einem einzigen Grund: Meredith Waters, seine einstige große Liebe, arbeitet hier. Evan kennt nur ein Ziel: Er möchte die hinreißende Frau zurückgewinnen. Und sein sinnliches Werben hat Erfolg - wieder liegt Meredith in seinen Armen. Evan träumt von einem neuen Glück mit ihr, da erfährt er: Meredith soll Werksspionage betreiben ...

EIN LIEBESLIEBE FÜR JENNY

Jenny genießt den prickelnden Flirt mit dem faszinierenden Anwalt Richard Warren. Obwohl ihr Verstand sie warnt, noch einmal auf einen so blendend aussehenden Mann "hereinzufallen". Doch beim romantischen Sightseeing in Tokio kommen sie sich gefährlich nah - und dann singt er bei einem Karaokeparty nur für sie ein Liebeslied: Jenny wird schwach. Süße Stunden der Leidenschaft erlebt sie in seinen Armen. Als Richard ihr jedoch am nächsten Tag gesteht, dass er sich nie wieder fest binden kann, trifft Jenny eine überstürzte Entscheidung ...

LIEBE IM LAND DES LÄCHELNS

Zärtlich blickt der attraktive Top-Manager Tom Taka die hübsche Helen an, und plötzlich klopft ihr Herz schneller! Dabei hat sie überhaupt nicht an einen Flirt gedacht, als sie zu Geschäftsverhandlungen nach Tokio gekommen ist: Nach einer glücklosen Ehe kann sie sich nicht mehr vorstellen, sich noch einmal zu verlieben. Doch dann zieht Tom sie bei einem romantischen Ausflug in seine Arme, und plötzlich weiß Helen: Jetzt geht es nicht mehr allein um die Zukunft ihres Verlags. Es geht um ihre eigene Zukunft mit dem faszinierenden Mann aus dem Land des Lächelns ...


  • Erscheinungstag 05.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716240
  • Seitenanzahl 912
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery, Wendy Warren, Victoria Pade, Elizabeth Harbison, Brenda Harlen, Allison Leigh

Familienbande - Mit Liebe gerettet (6-teilige Serie)

IMPRESSUM

Nie vergaß ich deine Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© by Susann Mallery
Originaltitel: „Prodigal Son“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1587 - 2007 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Stefanie Rudolph

Umschlagsmotive: GettyImages / jacoblund

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733735111

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Eigentlich hatte Samantha Edwards mit Vorstellungsgesprächen kein Problem. Dass sie ihren zukünftigen Chef schon nackt gesehen hatte, machte die Sache allerdings etwas kompliziert.

Zum Glück war nicht damit zu rechnen, dass Jack Hanson auf ihre einzige Liebesnacht zu sprechen kam, denn die lag fast zehn Jahre zurück. Wahrscheinlich erinnerte er sich nicht einmal mehr daran.

Samantha dagegen hatte nicht einen Augenblick dieser atemberaubenden Nacht vergessen – was sicher auch daran lag, dass Jack Hanson ein unglaublich guter Liebhaber war.

„Miss Edwards, Mr. Hanson erwartet Sie jetzt.“

Samantha stand auf und nickte der älteren Sekretärin hinter dem modernen Schreibtisch zu, bevor sie durch den Empfangsraum auf Jacks Bürotür zuging. Sie zog noch einmal ihren kurzen taillierten Blazer glatt. Für das Vorstellungsgespräch hatte sie sich bewusst konservativ gekleidet – für ihre Verhältnisse zumindest – und trug eine schwarze Hose und einen beige-schwarz karierten Blazer über einer cremefarbenen Seidenbluse.

Es war ihr schwergefallen, mit so wenig Farbe auszukommen, aber vor zehn Jahren war Jack Hanson das Paradebeispiel eines zugeknöpften Konservativen gewesen – außer natürlich im Bett.

Der frivole Gedanke kam ihr ausgerechnet in dem Moment, als sie die Bürotür öffnete, und sie gab sich große Mühe, ihn zu ignorieren, tief durchzuatmen und selbstbewusst auf den Mann zuzugehen, der hinter dem Schreibtisch stand.

„Hallo, Jack“, sagte sie und schüttelte ihm die Hand. „Lange her, was?“

„Samantha, wie schön, dich zu sehen.“

Er betrachtete sie so eingehend, dass sie unbewusst den Atem anhielt. Studierte er nur eine Bewerberin, oder dachte auch er dabei an ihre Vergangenheit?

Da er sich Zeit ließ, beschloss sie, die Gelegenheit für eigene Betrachtungen zu nutzen. Jack war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, und er strahlte noch immer Macht und Selbstbewusstsein aus. Für jemanden aus reichem Elternhaus war das vielleicht normal, doch Samantha hatte immer das Gefühl gehabt, dass Jack auch ohne diesen Vorteil Erfolg gehabt hätte. Er war einfach ein Gewinnertyp.

Die zehn Jahre waren fast spurlos an ihm vorübergegangen. Seine markanten Gesichtszüge zeigten lediglich eine neue Reife, die ihm gut stand.

Typisch, dachte Samantha und unterdrückte einen Seufzer. Ihn hat die Natur mit breiten Schultern und einem umwerfenden Lächeln gesegnet, und ich muss mich immer noch mit diesen wilden roten Haaren herumschlagen, die sich kaum bändigen lassen. Obendrein bin ich flach wie ein Brett, und das sowohl am Busen als auch am Po. Ist das fair?

„Bitte, setz dich doch“, sagte Jack.

„Danke.“

Auch er ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Der Chefsessel stand ihm gut, doch Samantha wusste zufällig, dass er den Job erst vor Kurzem übernommen hatte.

„Ich habe gelesen, dass dein Vater vor ein paar Monaten gestorben ist“, sagte sie. „Mein Beileid.“

„Danke. Deshalb arbeite ich jetzt hier. Der Aufsichtsrat hat mich gebeten, eine Zeit lang die Führung der Firma zu übernehmen.“

„Ich hatte mich auch schon gewundert“, erwiderte Samantha. „Als ich das letzte Mal von dir hörte, warst du Anwalt.“

„Das gefällt mir auch viel besser.“

„Aber du warst in Betriebswirtschaft so gut“, sagte sie. Das wusste sie aus erster Hand, schließlich hatten sie zusammen studiert und dabei im freundschaftlichen Wettstreit um die Bestnote gelegen – oft, indem sie sich gegenseitig halfen. Er war der Akkurate, Organisierte in ihrem Team gewesen, sie die Kreative und manchmal etwas Chaotische.

„Und trotzdem habe ich Betriebswirtschaft gehasst“, gab er zu. „Dabei wurde mir erst richtig klar, dass mir Jura viel mehr liegt.“

„Dann hat der Tod deines Vaters deine Pläne ganz schön durcheinandergebracht“, sagte Samantha.

Jack nickte. „Meine Kanzlei hat mich für drei Monate freigestellt. Diese Zeit werde ich ganz der Hanson Media Gruppe widmen.“

„Bist du sicher, dass du danach nicht doch bleiben willst?“

„Ich eigne mich nicht als Firmenchef.“

„Unterschätz dich nicht. Wie man hört, stellst du jetzt schon eine Menge neue Leute ein.“

„Das stimmt. Meinem Vater widerstrebte es zu delegieren, deshalb hat er bis zum Schluss mindestens drei Abteilungen selbst geleitet. Bei einer so großen Firma wie dieser halte ich das für unmöglich, wenn man gleichzeitig den Überblick über das Gesamtgeschäft behalten will. Deshalb suche ich die besten Kandidaten, um das Team zu verstärken.“

„Wie schmeichelhaft.“

„Es stimmt aber. Du bist nur hier, weil du gut bist. Ich brauche kreative Leute, das ist meine schwache Seite.“

Samantha lächelte. „Ein Mann, der zu seinen Schwächen steht. Wie ungewöhnlich.“

„Samantha, ich habe meine Prüfung im Fach Marketing nur bestanden, weil wir ein Team waren. Du hast mich durch den ganzen Kurs geschleppt.“

„Dafür hast du mir Nachhilfe in Buchhaltung und Controlling gegeben. Wir sind quitt.“

„Warum hast du New York verlassen?“, fragte Jack.

Samantha dachte an ihre Scheidung, beschloss jedoch, dieses Thema nicht mit Jack zu besprechen. „Ich brauchte mal einen Tapetenwechsel, schließlich habe ich seit dem Abschluss ununterbrochen dort gearbeitet. Und das hier ist ein Traumjob: die kreative Leitung der Internetentwicklung mit einem Budget in Millionenhöhe. Das ist unwiderstehlich, zumindest für mich. So sieht für mich das Paradies aus.“

„Sehr gut, für mich klingt es nämlich eher nach Hölle.“

Samantha lächelte verschmitzt. „Du hattest immer schon Angst vor einer leeren Seite“, bemerkte sie.

„Und du hast Regeln immer schon gehasst“, gab er zurück.

„Ich?“ Sie hob die Augenbrauen. „Du warst doch der Erste, der Regeln gebrochen hat, wenn es dir in den Kram passte.“

Jack hob die Schultern. „Was immer nötig ist, um das zu bekommen, was ich will. Und im Moment will ich eine fähige Mannschaft und eine Firma, die gut läuft. Lass uns über die Details reden.“

Er informierte sie über die bestehenden Internetauftritte verschiedener Zweige der Hanson Media Gruppe. Nachdem Samantha das Material überflogen hatte, sprachen sie über mögliche Wachstumschancen.

„Kinder“, erklärte Samantha nach einer Weile. „Das ist eine Zielgruppe, für die wir unglaublich viel tun könnten. Internetprogramme, die sie nach der Schule ansteuern – nicht nur mit Hausaufgabenhilfen, sondern auch mit interaktiven Angeboten, um Kinder im ganzen Land zusammenzubringen. Außerdem könnten wir im Rahmen bekannter Fernsehsendungen oder Kinderfilme als Sponsor auftreten. Und das wäre nur für die jüngeren Kinder. Für Teenager habe ich noch viel mehr Ideen.“

„Also bist du an dem Job interessiert“, sagte Jack.

„Ich habe nicht übertrieben, als ich sagte, für mich wäre er das Paradies.“

„Du hast ihn, wenn du möchtest“, sagte er. „Morgen bekommst du von der Personalabteilung die offizielle Bestätigung.“

„Im Ernst?“, fragte Samantha ein wenig überrumpelt.

„Wieso überrascht dich das? Du bist talentiert, qualifiziert und jemand, mit dem ich gerne arbeiten möchte.“

„Das klingt, als wäre ich ein Rettungshund.“

Jack grinste. „Wenn ich einen finden könnte, der auch einen Computer bedienen kann …“

„Also schön, ja, ich bin sehr interessiert“, sagte sie und lachte. „Aber ich muss dich warnen. Ich bin sehr kreativ, und ich möchte mein Team selbst leiten.“

„Einverstanden.“

„Wir werden keine Nadelstreifenanzüge tragen.“

„Solange ihr den Job gut macht, könnt ihr meinetwegen Froschkostüme anziehen.“

Warum überzeugte sie seine Antwort nicht wirklich? „Das ist nicht wie bei den Rechtswissenschaften, Jack. Man findet die Lösung nicht immer in einem Buch.“

„Kannst du nicht warten, bis ich mich wirklich danebenbenehme, bevor du mir einen Vortrag hältst?“, fragte er, aber es klang amüsiert. „Ich hab’s ja schon kapiert, kreative Menschen sind anders. Kein Problem.“

„Na gut.“

Samantha stand auf, und auch Jack erhob sich. Mit ihren hohen Absätzen war sie nur ein paar Zentimeter kleiner als er.

Er kam um den Schreibtisch herum und streckte ihr die Hand hin. „Hinterlass bei Mrs. Wycliff deine Nummer. Morgen früh bekommst du dann Nachricht von der Personalabteilung. Wann kannst du anfangen?“

„Anfang nächster Woche.“

„Gut. Dienstags halte ich immer eine Teambesprechung ab. Ich freue mich darauf, dich dort zu sehen.“

Mit klopfendem Herzen ging Samantha zur Tür. Eigentlich war alles gesagt. So ganz konnte sie es noch nicht fassen, dass sie diesen Traumjob wirklich an Land gezogen hatte – aber es gab noch etwas anderes, was sie auf einmal dringend klären musste.

„Das ist wirklich eine einzigartige Chance, Jack“, sagte sie. „Ich werde mein Bestes geben und dein Vertrauen in mich rechtfertigen.“

„Davon bin ich überzeugt.“

Beherzt blickte sie ihm in die Augen. „Ich war nicht sicher, dass du mir den Job geben würdest. Wegen unserer Vergangenheit.“

Er hob die Augenbrauen. „Warum sollte es etwas ausmachen, dass wir zusammen studiert haben?“, fragte er unschuldig.

„Das meinte ich nicht.“

Schweigend wartete er. Wusste er wirklich nicht, worauf sie hinauswollte, oder ließ er sie absichtlich zappeln? Sie spürte, wie sie rot wurde, aber sie hielt seinem Blick stand. „Ich meinte diese Nacht, in der wir … du weißt schon …“

„Schnee von gestern“, sagte er leichthin, mehr nicht.

Samantha war sich nicht ganz sicher, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Aber immerhin wusste sie jetzt, was sie hatte wissen wollen.

Als sich die Tür hinter Samantha geschlossen hatte, veränderte sich Jacks Gesichtsausdruck, und er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Es war ihm nicht schwergefallen, vor Samantha professionell aufzutreten, doch er musste zugeben, dass ihr Wiedersehen größeren Eindruck auf ihn gemacht hatte, als ihm lieb war.

Nicht, dass er ihr den Job nicht sowieso gegeben hätte. Auch die anderen Bewerber waren hoch qualifiziert gewesen, doch Samantha war als Einzige nicht in einem Anzug erschienen. Obwohl die Farben, die sie gewählt hatte, für sie ungewöhnlich dezent waren, konnte sie ihre kreative Ader doch nicht verbergen. Vielleicht lag es an der grünen Papageienbrosche, die sie am Revers trug, oder an den langen Ohrringen, die ihr fast bis auf die Schultern reichten. Vielleicht war es auch ihr feuerrotes Haar, das ein Eigenleben zu führen schien, jedenfalls strahlte sie eine Unabhängigkeit aus, die er bewunderte.

Bei der Diskussion der Internetprojekte hatte sie eine Energie versprüht, die er für die Firma dringend benötigte, und wenn sie lächelte … Jack schüttelte unwillig den Kopf. Ihm war nicht entgangen, wie der weich fließende Stoff ihrer Hose ihre schlanken Beine umschmeichelte. Oder wie voll und rot ihre Lippen waren.

Auch nach zehn Jahren reagierte er noch immer auf ihre Reize. Natürlich würde er das ignorieren und sie auf keinen Fall wissen lassen, wie sie auf ihn wirkte – schließlich hatte er sie gerade eingestellt. Trotzdem …

„Herein“, sagte er, aus seinen Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. Mrs. Wycliff kam herein, die auch schon die langjährige Sekretärin seines Vaters gewesen war.

„Hier sind die Tagesberichte“, sagte sie und legte ihm mehrere Akten hin.

„Danke.“

Stirnrunzelnd betrachtete er den hohen Stapel, der seine Abendlektüre sein würde. Theoretisch wusste er eine ganze Menge darüber, wie man eine Firma führt, aber leider hatten Theorie und Praxis in diesem Fall nicht viel gemeinsam. Wenn einer seiner Angestellten des Mordes angeklagt worden wäre, hätte er sofort gewusst, was zu tun war. Die Vorgänge in einer Aktiengesellschaft dagegen erschienen ihm diffus und schwer in den Griff zu bekommen.

„Wie ist die Stimmung unter den Angestellten?“, fragte er Mrs. Wycliff.

„Sie vermissen ihn“, erwiderte sie. „Ihr Vater war in der Firma sehr angesehen. Er war ein guter Mensch.“

Jack bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. George Hanson war ein Vollblutgeschäftsmann gewesen, der sein ganzes Leben der Firma gewidmet hatte, während seine Kinder eine Nebenrolle gespielt hatten. Nicht unbedingt das, was Jack als „guten Menschen“ bezeichnet hätte.

„Ja, es kommt mindestens einmal am Tag jemand vorbei, um mir zu sagen, wie sehr er vermisst wird“, erwiderte er. Die passende Antwort darauf war ihm trotzdem noch nicht eingefallen.

Mrs. Wycliff lächelte. „Wir wissen es alle zu schätzen, dass Sie eingesprungen sind, um Hanson Media zu führen. Für viele von uns ist die Firma wie ein Zuhause, es wäre schrecklich, wenn etwas passieren würde.“

„Was soll denn passieren?“ Jack war erst wenige Wochen hier, und bisher war es ihm lediglich problematisch erschienen, dass sein Vater zu viele Abteilungen selbst geleitet hatte. Nach der Einstellung der richtigen Leute würde alles wieder glattlaufen.

Mrs. Wycliff strich sich über ihr graues Haar und steckte eine Strähne in den Dutt zurück. „Ihr Vater war sehr stolz auf Sie, wussten Sie das?“

Jack ließ sich von dem plötzlichen Themenwechsel nicht täuschen und nahm sich vor, seine Sekretärin in Sicherheit zu wiegen, bevor er auf ihre Bemerkung zurückkam.

„Danke, dass Sie mir das sagen“, erwiderte er.

„Er hat oft davon gesprochen, wie erfolgreich Sie in der Kanzlei sind. Natürlich hätte er es gern gesehen, wenn Sie hier im Familienunternehmen gearbeitet hätten, aber er meinte, wenn Jura Sie glücklich macht, wäre er auch zufrieden.“

Jack war total überrascht. Ihm fielen die wütenden Diskussionen ein, die er mit seinem Vater geführt hatte. George Hanson hatte versucht, ihn zu bestechen, und ihm sogar gedroht, ihn zu enterben, um zu erreichen, dass Jack für die Firma arbeitete.

Andererseits hatte Jack schon länger den Verdacht, dass sich sein Vater in der Öffentlichkeit anders gab als im Familienkreis.

„Wir hatten eine Abmachung“, sagte er schließlich. „Ich war einverstanden, nach dem Jurastudium den Betriebswirt zu machen und mich dann zu entscheiden, was mir besser gefiel.“ Er zuckte die Achseln. „Die Wahl fiel mir wirklich nicht schwer.“

„Sie sind Ihrem Herzen und Ihren Anlagen gefolgt“, sagte Mrs. Wycliff. „Als Sie in der Kanzlei zum Partner ernannt wurden, hat er Sekt ausgegeben.“

„Juniorpartner“, korrigierte Jack automatisch. Sekt? Er hatte an dem Tag seinen Vater nicht erreichen können und stattdessen seine Stiefmutter Helen gebeten, ihm die Neuigkeit auszurichten. Sie hatte eine Glückwunschkarte und ein Geschenk geschickt. Höflich wie immer hatte sie mit beiden Namen unterzeichnet, aber Jack wusste, dass diese Geste allein ihre Idee war. Sein Vater hatte ihn nicht einmal zurückgerufen.

„Er war ein guter Mensch“, wiederholte Mrs. Wycliff. „Was immer auch geschieht, daran müssen Sie denken.“

„Das ist jetzt das zweite Mal, dass Sie eine geheimnisvolle Andeutung machen“, bemerkte Jack. „Vielleicht drücken Sie sich mal etwas klarer aus?“

Die an die sechzig Jahre alte Frau hatte dunkelblaue Augen und Gesichtszüge, die verrieten, dass sie in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein musste. Jack hätte vermutet, dass sie ein Verhältnis mit seinem Vater gehabt hatte, doch mittlerweile kannte er sie genügend, um zu wissen, dass ihre moralischen Grundsätze das niemals zugelassen hätten – auch wenn sein Vater sicherlich nicht abgeneigt gewesen wäre.

„Das kann ich nicht“, sagte sie leise.

„Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?“

Mrs. Wycliff blickte ihm direkt in die Augen. „Ich weiß nichts. Wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen sagen. Sie haben meine volle Loyalität.“

„Aber es gibt etwas, das ich wissen sollte?“

Sie zögerte. „Es ist nur so ein Gefühl. Es tut mir leid, aber Genaueres weiß ich auch nicht.“

Jack war sich ziemlich sicher, dass sie die Wahrheit sagte – oder sie war eine begnadete Schauspielerin.

Normalerweise misstraute er Gefühlen, es sei denn, es handelte sich eher um Instinkte. Schließlich hatte er auch als Anwalt schon gelegentlich seine vorbereiteten Fragen aus einem Bauchgefühl heraus geändert und damit richtiggelegen.

„Wenn Sie etwas wissen …“, begann er.

„Dann sage ich es Ihnen. Ich rede mit den Leuten und kann gut zuhören.“ Sie schluckte. „Ich habe vor ein paar Jahren meinen Mann verloren. Wir haben keine Kinder, und viele unserer Freunde sind nach Florida gezogen. Diese Firma ist alles, was ich habe. Ich würde alles tun, um sie zu schützen.“

„Danke.“

Sie nickte kurz und ging hinaus.

Geheimnisse und Intrigen – das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Zumal nicht einmal klar war, ob er und Mrs. Wycliff dasselbe Ziel hatten. Sie wollte, dass die Firma bis in alle Ewigkeit bestand, und er wollte so schnell wie möglich zurück in seine Kanzlei. Wenn es da jemals einen Interessenkonflikt gab, würde seine so loyale Sekretärin sich ganz schnell in einen erbitterten Feind verwandeln.

Zwei Tage später saß Samantha in einem leeren Büro und füllte endlose Formulare aus, um betriebliche Versicherungen, ihren Zugangspass, einen Parkplatz und ihre Kantinenkarte zu erhalten.

Noch immer konnte sie nicht ganz fassen, dass sie den Traumjob tatsächlich bekommen hatte, und war früher als vereinbart erschienen, um den Papierkram zu erledigen.

„Danke, Helen“, murmelte sie. Sie hatte es ihrer Freundin, der Witwe des verstorbenen George Hanson, zu verdanken, dass ihr Name auf der Liste der geeignetsten Bewerber gelandet war. Auf Helens Rat hin hatte sie das beim Bewerbungsgespräch allerdings nicht erwähnt. Aus unerfindlichen Gründen schienen Jack und seine Brüder zu glauben, dass Helen ein blondes Dummchen war, das George Hanson nur als Vorzeigeobjekt und Statussymbol geheiratet hatte.

Ich hoffe, dass ich dabei bin, wenn sie alle entdecken, dass sie nicht nur hübsch, sondern auch äußerst intelligent ist, dachte Samantha, während sie eins der Formulare schwungvoll unterschrieb.

„Guten Morgen.“

Als sie aufblickte, sah sie Jack in der offenen Tür stehen, der frisch geduscht und rasiert unerhört sexy aussah. Wieso reagierte ihr Körper, obwohl ihr Verstand absolut nicht interessiert war?

„Hi“, erwiderte sie.

„Ich hörte, dass du schon hier bist, um die Formalitäten zu erledigen“, sagte er und lehnte sich an den Türrahmen. „Danke, dass du angenommen hast.“

„Ich bin diejenige, die Grund zur Dankbarkeit hat“, erwiderte sie lachend. „Ich kann es gar nicht erwarten, endlich anzufangen. Aber zuerst muss ich mich hier durchkämpfen.“ Sie tippte auf die Formulare. „Man hat mir versprochen, dass ich noch heute meinen eigenen Firmenausweis bekomme, wenn ich alles richtig ausfülle – und den Schlüssel für mein Büro.“

„Ja, man hat mich schon vorgewarnt. Offenbar hast du sogar schon einen Termin für eine Besprechung mit mir. Meine Assistentin erwähnte so was.“

„Ja, Montagnachmittag. Ich werde mich am Wochenende vorbereiten, um auf dem Laufenden zu sein. Dann möchte ich mit dir die Eckpunkte besprechen, bevor ich mich mit meinem Team an die Arbeit mache.“

„Du brauchst nicht rund um die Uhr zu arbeiten“, sagte er.

„Ich weiß, aber ich freu mich wirklich drauf, und außerdem habe ich nichts anderes vor. Schließlich bin ich gerade erst nach Chicago gezogen und kenne mich hier überhaupt nicht aus.“

„Das ist doch erst recht ein Grund, das Wochenende zu nutzen, um die Gegend auszukundschaften.“

Sie legte den Kopf schräg. „Hmm, will mein neuer Chef mich etwa vom Arbeiten abhalten? Das wäre was Neues.“

„Ich will nicht, dass du dich an deinem ersten Wochenende schon völlig verausgabst. Ich brauche dich länger.“

Sie wusste, dass es scherzhaft gemeint war, und genoss es, dass Jack und sie so leicht zu ihrer früheren Freundschaft zurückkehrten. Aber musste ihr Köper so stark auf ihn reagieren?

Selbst jetzt, wo er ein paar Meter entfernt stand, glaubte sie, seine Atemzüge zu hören und die Wärme zu spüren, die er ausstrahlte.

So war es früher schon, dachte sie missmutig. Die zwei Jahre ihres Studiums hatte sie in ständiger sexueller Erregung verbracht – verursacht allein durch Jack. Doch sie hatte einen Freund gebraucht, keinen Liebhaber, und deshalb die körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen ignoriert. Dabei war es ihr sogar gelungen, ihr Interesse vor ihm zu verbergen.

Bis zu jener Nacht, als sie es einfach nicht mehr länger ausgehalten hatte.

Sie verdrängte die Erinnerungen. „Ich verspreche dir, dass ich die Stadt später noch ausgiebig erkunden werde“, sagte sie so neutral wie möglich. „Aber im Moment will ich mich einfach nur an die Arbeit machen.“

Jack hob beide Hände. „Na schön, ich gebe auf. Lass dich vom Job völlig vereinnahmen, ich werde mich nicht beklagen.“ Er ließ die Hände wieder sinken. „Hast du dich in deiner neuen Wohnung schon eingerichtet?“

„Ich habe nur zwei Koffer in ein Hotelzimmer stellen müssen, das hat nicht sehr lange gedauert.“

„Willst du keine eigene Wohnung?“

„Doch, schon, aber im Moment habe ich keine Zeit, eine zu suchen.“

Das war nur die halbe Wahrheit. Wenn sie auf Wohnungssuche ging, würde sie Zeit zum Nachdenken haben, und genau das wollte sie möglichst vermeiden.

„In dem Hochhaus, in dem ich wohne, gibt es voll möblierte Manager-Apartments, die monatsweise vermietet werden“, sagte er. „So bin ich zu meiner Wohnung gekommen – ich habe ein kleines Apartment für zwei Monate gemietet, festgestellt, dass es mir dort gefällt, und eine größere Wohnung im selben Haus gekauft.“

„Klingt interessant“, erwiderte sie vorsichtig.

Jack grinste jungenhaft. „Keine Sorge, es ist ein sehr geräumiges Hochhaus, wir würden uns so gut wie nie zufällig im Flur begegnen.“

Glaubte er, das wäre ein Problem für sie? Na ja, vielleicht war es eins. Tatsächlich hatte sie das Gefühl, dass es zu Komplikationen führen könnte, wenn sie Jack außerhalb der Firma traf. Möglicherweise war es sogar gefährlich für ihr inneres Gleichgewicht. Andererseits hatte sie sich geschworen, das Leben bei den Hörnern zu packen und vor der Wahrheit nicht mehr die Augen zu verschließen.

„Ich würde es mir gern ansehen“, sagte sie. „Hast du eine Kontaktperson oder Telefonnummer für mich?“

„In meinem Büro liegt eine Visitenkarte. Ich hole sie schnell.“

Während Jack den Flur hinunterging, widmete sich Samantha wieder den Formularen, doch statt der Fragebögen sah sie auf einmal die leere Wohnung vor sich, die sie vor drei Wochen in New York verlassen hatte.

Sie hatte einmal gedacht, dass sie für immer in New York bleiben würde, hatte sich eingeredet, dass sie ungefähr wüsste, wie ihr Leben verlaufen würde. Vor allem hatte sie gehofft, dass sich ihre Träume irgendwann erfüllen würden. Welche Ironie, dass die Trümmer dieser Illusion in sechs Umzugskisten passten und dass der Mann, der geschworen hatte, sie für immer zu lieben, sich als Lügner und Dieb entpuppt hatte.

2. KAPITEL

„Im Augenblick arbeiten wir an, äh, Upgrades“, sagte Arnie und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Die erste Stufe sollte, äh, Ende des Monats, äh, fertig sein.“

Jack fühlte mit dem jungen Mann, einem Computergenie aus der EDV-Abteilung, den das erste Treffen mit seinem neuen Chef offenbar äußerst nervös machte. Er studierte den Bericht vor sich und lächelte Arnie aufmunternd an. „Dann sind Sie ja völlig im Zeitplan“, sagte er freundlich. „Sehr gut.“

Arnie schluckte. „Danke. Wir haben uns große Mühe gegeben. Roger, äh, mein Chef, sagte, wir müssen das. Oh, aber natürlich nicht im negativen Sinn.“

„Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen“, erwiderte Jack und wünschte sich zum wiederholten Male, dass Arnies Chef Roger ebenfalls zu der Besprechung gekommen wäre. Arnies Unbehagen war schwer zu ertragen.

„Sie werden mit Samantha Edwards zusammenarbeiten“, fuhr er fort. „Sie hat heute angefangen und ist sehr kreativ. Ich bin sicher, dass ihre Ideen Sie beeindrucken werden.“

Und nicht nur ihre Ideen, dachte Jack. Samanthas gertenschlanke Figur und ihr ansteckendes Lächeln hatten schon ganz andere Männer schwachgemacht. Arnie dagegen sah aus wie der Junge, der nie ein Mädchen abbekam, so herzlos das auch klingen mochte. Er war blass, hatte dünnes braunes Haar, das bereits eine Glatze erkennen ließ, und hellbraune Augen hinter einer dicken Brille. Zu Jeans trug er ein kariertes T-Shirt, und seine ganze Haltung schien zu sagen „Bitte tu mir nichts“.

Arnie verzog das Gesicht, als wäre er nicht sicher, ob er lächeln sollte oder nicht. „Wie ich höre, soll es Erweiterungen im Bereich Internet geben. Das ist gut für meine Abteilung.“

„Jedenfalls wird es viel Arbeit geben.“

„Das schaffen wir, da bin ich sicher.“

„Ich auch“, erwiderte Jack. „Sobald Samantha ihre Pläne ausgearbeitet hat, wird sie sich mit Ihnen und Ihren Leuten zusammensetzen, um die Details zu besprechen. Möglicherweise gibt es ein Kapazitätsproblem beim Server, aber mit den technischen Dingen kenne ich mich nicht aus, dazu brauche ich Sie. Und Ihre Erfahrung, was den Starttermin der neuen Seiten angeht. Wir wollen so bald wie möglich loslegen.“

Arnie nickte heftig. „Okay. Klar. Das kann ich alles machen. Aber, äh, wissen Sie, George hat sich nie fürs Internet interessiert. Er hielt das Zeitschriftengeschäft immer für viel wichtiger.“

Einer der Gründe, warum die Hanson Media Gruppe in Schwierigkeiten steckt, dachte Jack. Zeitschriften zu produzieren war teuer.

„Ich sehe die Erweiterung des Internetauftritts als eine schnelle und kostengünstige Möglichkeit für das Firmenwachstum“, sagte Jack. „Nach dem Start der Website werden die laufenden Kosten sehr viel niedriger sein.“

„Oh, das sehe ich auch so“, erwiderte Arnie schnell. „Ich halte es für eine tolle Idee, und die meisten in meiner Abteilung auch. Aber nicht jeder denkt so.“

Die Bemerkung gefiel Jack ganz und gar nicht. „Wer denn zum Beispiel?“

Arnie wirkte wie ertappt. „Oh, ich meinte nur …“

„Wir sind ein Team“, erwiderte Jack. „Und nur so stark wie unser schwächstes Mitglied.“ Hoffentlich war das die größte Plattitüde, die ich diese Woche von mir geben muss, dachte er missmutig. Aber wenn es funktioniert …

Arnie wand sich noch ein wenig länger, zog den Kopf ein, seufzte und sagte dann: „Es ist Roger, mein Chef. Er hält nicht viel von Veränderungen.“

„Interessant“, bemerkte Jack und fragte sich, wie so jemand dazu kam, die EDV-Abteilung zu leiten. Andererseits hatte George Hanson ihn vielleicht absichtlich an diese Position gesetzt, weil er selbst von Hightech nichts hielt. „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit“, sagte Jack. „Ich werde Roger gegenüber nichts davon erwähnen, das verspreche ich Ihnen.“

Arnie seufzte. „Danke. Ich mag meinen Job wirklich, und ich würde nicht gerne, äh, gefeuert werden.“ Er verzog schmerzlich das Gesicht und fügte hinzu: „Ihr Vater war ein großartiger Mann.“

„Danke“, erwiderte Jack.

„Er war geduldig und freundlich und machte sich um seine Angestellten wirklich Gedanken. Wir haben alle so gern für ihn gearbeitet, und sein Tod war ein großer Schock für uns.“

Jack nickte. Wie immer war er unsicher, wie er auf solche Lobeshymnen reagieren sollte, zumal sie einen Mann beschrieben, den er so nicht kannte.

„Darf ich stören?“

Als er aufblickte, sah er Samantha in der Tür stehen, die von ihm zu Arnie blickte. „Bin ich zu früh oder zu spät?“

„Weder noch“, sagte er. „Du kommst genau richtig.“

Da sie den Job nun bekommen hatte, erschien es ihr offensichtlich nicht mehr nötig, sich konservativ zu kleiden. Keine Spur mehr von Beige und Schwarz – stattdessen trug sie einen langen Rock mit ineinanderlaufenden Rot-, Grün- und Lilatönen, darüber einen dunkelgrünen Pullover. Über eine Schulter hatte sie einen gemusterten Schal drapiert, und ihre langen Ohrringe klingelten mit den Dutzenden von Armreifen an jedem Handgelenk um die Wette.

„Das hier ist Arnie aus der EDV“, stellte Jack vor. „Er wird mit dir bei der Interneterweiterung zusammenarbeiten. Du sagst ihm, was du haben willst, und er sagt dir, ob es machbar ist. Arnie, darf ich Ihnen Samantha vorstellen?“

Arnie stand auf und wischte sich die Handflächen an der Hose ab, streckte Samantha dann die Hand hin. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, setzte ein zweites Mal an. „Äh, hi“, brachte er schließlich hervor, worauf er sofort flammend rot wurde.

„Guten Morgen“, strahlte Samantha ihn an. „Sie werden also mein neuer bester Freund sein, ja? Und sicher werden Sie nie ‚Nein‘ sagen, oder?“

Arnie stotterte etwas, ließ sich dann wieder auf seinen Platz sinken. Jack unterdrückte ein Lächeln. Wieder hatte Samantha eine Eroberung gemacht.

Kein Wunder, dachte er. Wenn sie einen Raum betrat, lagen ihr die Männer sofort zu Füßen, er selbst eingeschlossen. Er hatte eine Schwäche für sie, das ließ sich nicht leugnen. Selbst jetzt hätte er sie am liebsten in die Arme geschlossen und seine Hände in ihren roten Locken vergraben. Er wollte ihr in die Augen schauen und sie unter seinen Berührungen lustvoll erschauern spüren.

Aber das würde ein Traum bleiben. Sie war vor zehn Jahren nicht an ihm interessiert gewesen, und daran hatte sich wohl kaum etwas geändert.

Nun ja, bis auf diese eine Ausnahme, diese eine wunderbare Nacht … Aber einmal hatte ihr wohl gereicht, jedenfalls hatte sie ihm deutlich gezeigt, dass sie an einer Wiederholung nicht interessiert war.

„Lassen Sie sich von Samantha nicht herumkommandieren“, sagte er zu Arnie. „Das macht sie nämlich gerne.“

Samantha hob die Augenbrauen. „Ich? Soll das ein Witz sein? Ich bin ein Paradebeispiel für perfekte Zusammenarbeit.“

„Genau. Bis jemand sich dir in den Weg stellt. Dann trampelst du ihn gnadenlos nieder.“

Samantha, die sich neben Arnie an den Konferenztisch gesetzt hatte, tätschelte dem EDV-Mitarbeiter die Hand. „Hören Sie nicht auf ihn. Wir haben zusammen studiert, und offenbar hat er daran ganz andere Erinnerungen als ich. Ich habe noch nie jemanden niedergetrampelt.“ Sie zögerte kurz, lächelte dann. „Na ja, jedenfalls nicht sehr oft. Aber wenn ich etwas wirklich will, kann ich hartnäckig sein. Und aus Ihrer Abteilung habe ich sehr unterschiedliche Berichte gelesen, Arnie. Offenbar drängt die EDV schon länger auf die Erweiterung.“

„Das wusste ich nicht“, sagte Jack überrascht.

„Das liegt an Arnies Chef“, erwiderte Samantha. „Ich habe auch Memos gelesen, in denen Roger erklärt, warum er dagegen ist. Und darin wurde er offenbar unterstützt.“

Sie musste nicht sagen, von wem, das erriet Jack auch so. „Das war gestern“, erklärte er. „Lasst uns nach vorne blicken. Ihr zwei solltet euch zusammensetzen und über die Details reden.“

Samantha machte sich eine Notiz, sagte dann: „Ich werde Ihnen eine Mail schicken, Arnie, dann sagen Sie mir, wann es Ihnen am besten passt. Ich arbeite oft bis spätabends, ich hoffe, das ist in Ordnung.“

Arnies Wangen glühten. „Natürlich. Kein Problem. Ich werde da sein.“ Er stand auf und nickte ihr zu. „Jederzeit. Mailen Sie mich einfach an.“

„Danke für Ihre Hilfe“, sagte Jack.

Als Arnie gegangen war, wandte Jack sich Samantha zu. „Jetzt hast du einen Freund fürs Leben.“

„Arnie? Wie ich höre, soll er ein netter Kerl sein. Ich denke, dass wir gut zusammenarbeiten werden.“

Ihre Antwort versetzte Jack trotz besseren Wissens einen Stich. Samantha würde sich niemals für einen Mann wie Arnie interessieren, und wenn, sollte es ihm auch egal sein. Und doch …

„Und was hast du für mich?“, fragte er.

„Jede Menge fantastischer Ideen“, sagte sie und lächelte. „Mein Wochenende war sehr ergiebig. Ich habe mir die bestehenden Webseiten angeschaut, und die sind alles andere als toll. Es gibt jede Menge Verbesserungsmöglichkeiten. Ich würde gerne mit Seiten für Kinder bis zwölf anfangen, und ich möchte, dass sie hingerissen sind.“

Sie legte eine Aktenmappe auf den Tisch. „Zu den Teenagern kommen wir später, aber zuerst müssen wir für Furore sorgen. Ich will, dass es die Kinder gar nicht abwarten können, auf unsere Website zu gehen, wenn sie aus der Schule kommen. Wir müssen ihnen mehr bieten als Hausaufgabenhilfe und die coolste Adresse im Internet werden. Wir sollten ihnen die neuesten Trends vorstellen, von Sport bis Mode und Musik. Film-Trailer, Fernsehtipps. Außerdem sollten wir eine Art ‚Dr. Sommer‘ haben.“

Jack blickte sie verständnislos an. „Wer ist Dr. Sommer?“

Sie lachte. „Ich meine ein Beratungsforum. Der Name spielt keine Rolle. Aber das Geniale ist, dass es in Echtzeit und interaktiv ablaufen wird. Wie beim Chatten, die Kids bekommen sofort Antwort. Dafür habe ich schon eine Menge Ideen. Aber das Wichtigste ist die Sicherheit. Da müssen wir wirklich mit den neuesten Techniken arbeiten, damit die Kinder auf der Website geschützt sind.“

„Gefällt mir.“

„Gut.“ Wieder lächelte sie strahlend, und er hätte sie küssen können, so einladend fand er ihre roten Lippen.

„Du musst das aber nicht alles jedes Mal von mir absegnen lassen. Ich habe vollstes Vertrauen in dich.“

„Ich weiß, aber das hier sind wirklich große Änderungen.“

„Deshalb habe ich dich eingestellt.“

Sie betrachtete ihn prüfend. „Du überlässt das wirklich alles mir?“

„Natürlich.“

„Wow. Klasse. Dann werde ich mit meinem Team alles vorbereiten, und zum Schluss gibt es dann eine große Präsentation.“

„Ich freu mich schon drauf. Das ist mein Führungsstil, Samantha. Solange jemand nicht einen wirklich großen Fehler gemacht hat, kann er schalten und walten, wie er will.“

„Ich hätte gedacht, dass du mehr auf Kontrolle aus bist.“

„Weil ich einen Anzug trage?“

„Auch. Aber vor allem, weil du Anwalt bist.“

„Und wenn ich mich für Umweltrecht entschieden hätte?“

Sie grinste. „Hast du denn?“

„Nein. Strafrecht.“

„Ah, also trägst du nicht nur Anzüge, sondern Designeranzüge.“

„Meistens. Aber selbst in der Kanzlei gebe ich meinem Team genügend Raum, um eigene Erfahrungen zu machen. Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Davon geht die Welt nicht unter.“

Samantha strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Das klingt sehr ausgeglichen.“

„Ja, dafür halte ich mich auch.“

„Im Studium warst du noch nicht so. Eher …“

„Ein Erbsenzähler?“

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Das wollte ich nicht sagen.“

„Aber du hast es gedacht.“

„Na ja, ein bisschen vielleicht. Du hattest einen Lernplan.“

„Damit ich meine Zeit unter der Woche nicht vertrödelte und dafür die Wochenenden freihatte. Damit blieb mir jede Menge Freizeit.“

„Ja, ich weiß“, sagte sie und lachte. „Also gut, ich habe übertrieben. So steif warst du gar nicht. Aber trotzdem so viel besser organisiert als jeder andere Mann, den ich kannte. Du warst mir richtig unheimlich.“

Er fragte sich, ob das stimmte. Hatte er sie unbewusst erschreckt? Aber das spielte jetzt wohl keine Rolle mehr.

„Dafür warst du der chaotischste Mensch, den ich je getroffen hatte“, erwiderte er.

„Es war eine verrückte Zeit“, gab sie zu. „Ich bin jetzt auch etwas ausgeglichener.“

„Hoffentlich nicht. Ich mochte deine Verrücktheiten. Erinnerst du dich daran, wie wir Weihnachten in einem Stall verbrachten, weil du wissen wolltest, wie das ist?“

Sie lachte. „Ja, und du hast mir die ganze Zeit erzählt, welch wichtige Rolle die Geografie dabei spielt.“

„Und ich hatte ja auch recht. Schließlich war in Pennsylvania tiefster Winter, das hatte nicht viel Ähnlichkeit mit Bethlehem.“

Trotz der Kälte hatten sie eine Menge Spaß gehabt. Die Verzweiflung, mit der er Samantha wollte, hatte ihn mehr zum Zittern gebracht als die Kälte, vor allem, als sie sich Wärme suchend an ihn gekuschelt hatte. Am nächsten Morgen hatte er sie zum Flughafen gebracht, damit sie die Feiertage mit ihrer Mutter verbringen konnte.

„Wie geht es eigentlich deiner Mutter?“, fragte er, als er an die alte Dame dachte.

Samanthas Lächeln verflog. „Sie ist vor drei Jahren gestorben.“

„Oh, das tut mir leid. Ich mochte sie wirklich gern.“

„Danke. Ich vermisse sie schrecklich. Sie war zwar schon eine Weile krank, also war es kein plötzlicher Abschied, aber es war trotzdem schlimm, sie zu verlieren.“ Sie sammelte ihre Blätter ein. „Gut, dann halte ich dich jetzt nicht länger von der Arbeit ab. Und ich muss an meiner Präsentation feilen, damit du begeistert bist. Und das wirst du sein.“

„Zweifellos.“

Er brachte sie zur Tür und setzte sich dann wieder an den Schreibtisch. Nur ein Verrückter oder ein Idiot würde sich weiterhin nach etwas sehnen, was er definitiv nicht haben konnte. Offenbar war er beides.

Ihr nächstes Opfer würde Arnie sein, der Jack jetzt schon leidtat. Der Unterschied zwischen ihnen beiden war, dass Arnie vermutlich von einem ‚Und-sie-lebten-glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage‘ träumen würde, während er selbst mit Samantha nur das Bett teilen wollte. Er hatte schon lange gelernt, Gefühle außen vor zu lassen und sich rein auf das Körperliche zu konzentrieren. Es hatte keinen Zweck, sein Herz aufs Spiel zu setzen, denn seiner Erfahrung nach war Liebe nie von Dauer.

Samantha war sich nicht sicher gewesen, was sie in einem „Manager-Apartment“ erwartete, doch alles in allem war ihre neue Wohnung eine angenehme Überraschung. Sie bestand aus einem großen Wohnzimmer, einem Essplatz und einer brauchbaren Küche, vor allem, wenn man, wie Samantha, nicht oft kochte. Im Schlafzimmer gab es außer dem riesigen Einbauschrank ein breites Doppelbett, eine Kommode und einen Fernsehschrank mit Fernseher.

Einer ihrer Lieblingsplätze war jedoch das Badezimmer mit seiner luxuriösen Whirlpool-Badewanne – und natürlich der voll ausgestattete Arbeitsplatz mit einem Schreibtisch für ihren Laptop, guter Beleuchtung und einem schnellen Internetzugang.

Der einzige Nachteil bestand eigentlich darin, dass ihre Wohnung nicht wirklich zu ihr passte. Die funktionellen Möbel waren in neutralen Farben gehalten, und es gab nichts Außergewöhnliches oder Peppiges. Trotzdem war die Wohnung besser als ein Hotelzimmer und fast doppelt so groß wie ihr altes Apartment in New York.

Samantha trat vor die Glasschiebetür, die auf den kleinen Balkon hinausging, und überlegte, in welchem Restaurant sie ihr Abendessen holen sollte. Insgesamt war sie sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung, nach Chicago zu ziehen. Es war gut gewesen, New York und die Erinnerungen an Vance hinter sich zu lassen, sosehr sie die Stadt auch liebte. Hier hatte sie die Chance, neu anzufangen, und sie würde …

Ein Klopfen unterbrach ihre Gedanken, und sie ging zur Tür und schaute durch den Spion.

„Jack?“, fragte sie überrascht und öffnete.

„Entschuldige, dass ich mich selbst einlade“, sagte er und hielt zwei Papiertragetüten hoch. „Ich komme mit chinesischem Essen. Wein habe ich auch mitgebracht. Es soll eine Art Willkommen sein. Wie wär’s?“

Freudig überrascht trat Samantha einen Schritt zurück, um ihn einzulassen. Doch statt Jack drängte sich ein schwarz-weißer Border Collie durch die Tür.

„Das ist Charlie“, sagte Jack. „Magst du Hunde?“

Samantha streckte Charlie die Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte, streichelte dann seinen Kopf. „Ich liebe sie.“ Sie ging vor dem Hund in die Hocke und kraulte sein Fell. „Du bist aber ein Schöner“, sagte sie und lachte, als er versuchte, ihr das Gesicht zu lecken.

„Er mag dich“, bemerkte Jack. „Schlauer Hund.“

„Kommt rein, ihr beiden.“

Sie führte Jack in die Küche, wo er den Wein öffnete und sie die Tüten auspackte. Zwischen den vielen Pappschachteln fand sie eine rote Plastikschüssel und einen Karton mit einem großen C darauf.

„Was ist das hier denn?“, fragte sie neugierig.

Jack grinste ein wenig verlegen. „Das ist für Charlie. Er liebt chinesisches Essen, und mein Stammrestaurant macht für ihn ein spezielles Reisgericht mit Rind, Huhn und Gemüse, aber weniger Salz und Gewürzen. Der Tierarzt hat nichts dagegen einzuwenden, also bekommt er es ab und zu als besondere Belohnung.“

Der steife Anwalt, den sie kannte, bestellte im Restaurant ein Spezialgericht für seinen Hund? Unglaublich. „Jetzt weiß ich, wer hier der Boss ist“, murmelte sie.

„Ja“, gab Jack bereitwillig zu. „Charlie.“

Als sie die Schachteln zum Tisch getragen hatten, bekam Charlie seine Schüssel, doch er wartete, bis Samantha und Jack sich gesetzt hatten, bevor er loslegte.

Jack prostete ihr mit dem Weinglas zu. „Willkommen im Haus. Ich hoffe, es gefällt dir.“

Sie stieß mit ihm an, trank dann einen Schluck. „Das ist sehr nett von dir.“

„Gern geschehen. Ich dachte mir, dass du dir vielleicht noch etwas fremd vorkommst.“

„Ein wenig. Ich mag die Wohnung, aber es fühlt sich komisch an, weil nichts hier mir gehört. Wie zum Beispiel die Teller hier.“ Sie hob den weißen schlichten Teller hoch. „So was käme mir nie ins Haus.“

„Weil sie zu normal sind?“

„Zu langweilig. Wie du weißt, liebe ich es bunt.“

„Stimmt. Aber wenn du mehr Zeit hast, kannst du dir ja immer noch was anderes suchen.“

„Eben. Und im Augenblick ist das hier eine gute Lösung. Alles in Reichweite.“

„Deshalb wohne ich ja auch hier. Eine Reinigung im Foyer, der Lebensmittelladen um die Ecke liefert nach Hause, mein Hundesitter wohnt gleich gegenüber. In der näheren Umgebung gibt es über zwanzig Restaurants und einen großen Park, den Charlie und ich am Wochenende unsicher machen.“

Samantha schaute auf den Hund, der seine Schüssel geleert hatte und nun den Boden nach vielleicht übersehenen Reiskörnern absuchte. „Er ist wirklich ein Prachtkerl. Aber braucht er nicht viel Bewegung und Zuwendung? Du arbeitest doch den ganzen Tag.“

„Oh, er kommt schon zurecht“, sagte Jack. „Ist es dir hier ruhig genug? Das ist mir gleich aufgefallen, man hört nichts von den Nachbarn. Solide Bauweise.“

Sie wollte schon zustimmen, als ihr auffiel, dass er das Thema elegant gewechselt hatte. „Ja, alles bestens. Und was wolltest du mir da gerade nicht erzählen?“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte er unschuldig.

„Über Charlie. Du hast das Thema gewechselt.“

„Worüber hatten wir denn gesprochen?“

„Darüber, dass er den ganzen Tag allein ist und trotzdem nicht deine Wohnung zerlegt.“

„Er beschäftigt sich eben anders.“

„Ach so? Schaut er Talkshows und löst Kreuzworträtsel?“

Jack seufzte. „Also schön, er geht in eine Hundetagesstätte. Ich weiß, es klingt albern, aber Border Collies sind Hütehunde und haben jede Menge Energie. Ich wollte nicht, dass er sich allein langweilt, deshalb bringe ich ihn dreimal die Woche dorthin. Dort kann er mit anderen Hunden spielen und sie zusammentreiben. Danach ist er so geschafft, dass er dienstags und donnerstags den ganzen Tag sowieso nur schläft. An den Tagen kommt dann die Hundesitterin und geht mit ihm spazieren.“

Seine Miene wirkte bei seinem Geständnis so angespannt, dass Samantha sah, wie schwer es ihm fiel, dieses Geheimnis zwischen Charlie und ihm mit jemandem zu teilen.

Sie bemühte sich sehr, nicht zu lächeln oder gar zu lachen. Das hätte er falsch verstanden, weil ihm vermutlich nicht klar war, wie attraktiv ein großer, starker, erfolgreicher Mann wirkte, der sich so viel Mühe mit seinem Hund gab.

„Du bist ein sehr verantwortungsbewusster Hundehalter“, sagte sie. „Das kann man leider nicht von allen behaupten.“

Offenbar wartete er auf die Pointe, denn er runzelte die Stirn, doch Samantha lächelte nur unschuldig und wechselte das Thema.

Nach dem Essen setzten sie sich ins Wohnzimmer, und Charlie stürzte sich auf den Sessel, gab aber auf, als Jack ihn zurückrief. Der Hund seufzte und ließ sich zu Samanthas Füßen auf dem Boden nieder.

Jack sah sich um, und sein Blick blieb an dem Bild über dem Kamin hängen. „Das ist so gar nicht dein Stil“, bemerkte er.

Samantha betrachtete die gedämpften Grün- und Blautöne. „Es ist sehr beruhigend.“

„Aber es gefällt dir nicht.“

„Na ja, es ist mir zu …“

„Normal?“

Sie lächelte. „Genau. Durchschnittlich. Keine interessanten Möbelstücke, keine Farbakzente.“

„Bei deiner nächsten Wohnung wirst du das nachholen.“

„Auf jeden Fall. Ich vermisse etwas Ausgefallenes.“

Jack verzog das Gesicht. „So wie diesen schrecklichen Überwurf, den du damals als Tischdecke in deiner Wohnung hattest? An den erinnere ich mich noch genau.“

„Er war wunderschön“, erklärte sie würdevoll. „Und die Farbauswahl war exquisit.“

„Er sah aus wie ein Albtraum aus einem Dalí-Gemälde.“

„Du hast einfach keinen Geschmack.“

„Dafür weiß ich, wann ich mich fürchten muss.“

Er grinste, und Samantha grinste zurück. So war es immer zwischen ihnen gewesen – sie waren selten einer Meinung und kamen trotzdem bestens miteinander aus. Dass es immer noch so war, gefiel ihr mindestens genauso gut wie der Mann selbst.

Er hatte den Anzug gegen Jeans und ein langärmliges Hemd getauscht und sah absolut sexy aus. Kontrollierter Sex-Appeal, dachte sie.

Schon immer hatte sie sich gefragt, was passieren würde, wenn er einmal seine kontrollierte Haltung aufgab und sich völlig gehen ließ. In ihrer Liebesnacht hatte sie einen Vorgeschmack darauf bekommen. Er war so leidenschaftlich gewesen, dass sie völlig überwältigt war und sich nach viel, viel mehr davon sehnte.

Schluss damit, sagte sie sich streng.

„Hast du keine Möbel und Bilder aus deiner New Yorker Wohnung?“, fragte Jack.

„Doch, einige Sachen habe ich einlagern lassen.“ Einige wenige. In seinem letzten Versuch, ihr seinen Willen aufzuzwingen, hatte Vance mit ihr über jedes Bild und jeden Teller gestritten. Am Ende war es einfacher und seltsam befreiend gewesen, ihm einfach alles zu überlassen.

In Jacks Augen glomm etwas wie Mitgefühl auf. „Ich weiß, dass du eine Scheidung hinter dir hast. Wie geht es dir damit?“

Sie hatte ihren Familienstand in den Formularen der Personalabteilung angeben müssen, also war sie nicht überrascht, dass Jack davon wusste. „Ganz gut. Am Anfang war es schwer. Zuerst kam diese ganze Litanei mit ‚Ich habe versagt‘, aber darüber bin ich hinweg. Jetzt fühle ich mich nur noch erleichtert.“

„Es ist eine harte Zeit“, sagte er.

Sie nickte. „Ich hatte wirklich gedacht, ich würde für den Rest meines Lebens mit diesem Mann verheiratet sein. Ich glaubte, ich hätte den perfekten Partner gefunden.“ Sie unterbrach sich. „Nicht perfekt an sich, aber genau richtig für mich. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.“

Was eine Untertreibung war. „Wir wollten in fast allen Bereichen ganz unterschiedliche Dinge. Damit hätte ich leben können, aber er hat seine Meinung geändert, als es darum ging, Kinder zu haben.“

Bewusst behielt sie ihren Plauderton bei, weil sie wusste, dass die Bitterkeit sie überwältigen würde, wenn sie ihre wahren Gefühle zeigte. Sie hatte im Moment keine Lust auf diese Art von Energieverschwendung.

„Das tut mir leid“, sagte Jack. „Ich weiß noch, dass du immer davon gesprochen hast, einmal Kinder zu haben.“

„Und das will ich auch immer noch. Ein paar Jahre bleiben mir ja noch.“

„Mehr als ein paar.“

Als ihre Blicke sich trafen, hatte Samantha Mühe, das Kribbeln in ihrer Magengegend zu ignorieren.

Es war Neugier gewesen, die Jack bewogen hatte, Samantha mit dem chinesischen Essen zu überraschen – aber auch das gute Gefühl, dass ihre Freundschaft all die Jahre überlebt hatte.

Jack mochte die Art, wie Samantha es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte und dabei ein Bein herunterhängen ließ, um Charlie mit ihrem nackten Fuß zu kraulen.

Sie lackierte immer noch ihre Fußnägel, stellte er fest – und das nicht nur mit rotem Nagellack. Auf jedem großen Zeh prangte eine kleine Blume, außerdem schmückte sie sich mit einem Zehenring. Keine der Frauen, mit denen er sonst ausging, war der Typ für so was. Natürlich trug auch keine von ihnen Jeans mit aufgestickten Blumen auf den Seitennähten oder Pullover, die eher wie bemalte Leinwände aussahen als wie Kleidungsstücke.

„Genug von mir“, sagte sie. „Wie ist es denn bei dir in Liebesdingen gelaufen?“

„Nicht sehr spannend. Ich war nie verheiratet, aber eine Weile verlobt.“

„Oh. Und es hat nicht geklappt?“

„Sie ist gestorben.“

Samantha riss die Augen auf. „Lieber Himmel, Jack, das tut mir leid.“

„Es ist jetzt ein paar Jahre her. Shelbys Wagen kam auf einer vereisten Brücke ins Schleudern und stürzte ins Wasser. Sie hat es nicht geschafft herauszukommen.“

„Wie furchtbar.“

Samantha war, wie er wusste, ein mitfühlender Mensch, der aber lieber gar keine Worte machte, als Plattitüden von sich zu geben – wofür er dankbar war. Damals hatte er all die abgedroschenen Phrasen, die sowieso nichts änderten, zur Genüge gehört. Und für ihn war unwiderruflich eine Welt zusammengebrochen, als er Shelbys Brief fand, den sie vor ihrem Tod geschrieben hatte.

„Standet ihr kurz vor der Hochzeit?“, fragte Samantha.

„Ja, eine Woche, um genau zu sein. Wir wollten Silvester heiraten.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Jetzt sind die Weihnachtsfeiertage für dich bestimmt die Hölle.“

„Es geht, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Hauptsächlich macht es mich wütend, weil es so unnötig war.“

Er selbst hatte seine Trauer, so gut es ging, bewältigt, aber er wusste, dass Shelbys Eltern noch nicht über ihren Tod hinweggekommen waren.

Charlie nutzte die Gesprächspause, um sich auf den Rücken zu drehen und Samantha seinen Bauch hinzuhalten, die gehorsam begann, ihn mit dem Fuß zu kraulen. Er ließ einen genüsslichen Seufzer hören.

„Dieser Hund nutzt es schamlos aus, wenn er mal einen Wohltäter findet“, bemerkte Jack.

Samantha grinste. „Ja, klar, weil du ihn ja auch nie verwöhnst.“

„Ich? Nie im Leben.“ Jack nahm einen Schluck Wein. „Und, wächst dir die Arbeit schon über den Kopf?“

„Beinahe. Es gibt so viel zu tun, und deshalb ist es so spannend. Es ist wirklich ein tolles Projekt.“

„Hast du schon von der großen Feier für unsere Anzeigenkunden gehört, die in ein paar Wochen stattfindet? Wir halten sie jährlich ab und geben uns große Mühe dabei. Abendgarderobe und auch sonst alles nur vom Feinsten.“

„Wirklich? Heißt das, ich habe eine Ausrede, um mir ein neues Kleid zu kaufen und umwerfend auszusehen?“

Der Gedanke daran, wie Samantha in einem langen eng anliegenden Abendkleid aussehen würde, steigerte seine eher geringe Vorfreude auf die Feier beträchtlich.

„Von wegen Ausrede, du folgst damit einem Auftrag deines Chefs.“

„Und du wirst im Smoking kommen?“

Jack verzog das Gesicht. „Richtig, das hatte ich ja ganz vergessen.“

„Du siehst bestimmt fantastisch aus. Alle Frauen werden dir zu Füßen liegen.“

„Das wird mit der Zeit auch langweilig“, erwiderte Jack, bemüht, keine Doppelbedeutung in ihre Worte hineinzuinterpretieren. Er hätte gerne geglaubt, dass Samantha mit ihm flirtete, aber andererseits hatte sie ihn früher so oft abblitzen lassen, dass er sich lieber nicht noch einmal die Finger verbrannte.

„Dann bist du in diesem Bereich wohl voll beschäftigt“, witzelte Samantha, und ihre grünen Augen sprühten vor Humor.

„Ja, ich kann nicht klagen.“

„Und wie genau äußert sich das?“

Jack spürte, dass sie gefährliches Gebiet betraten, aber er hatte keine Ahnung, wie er da wieder herauskommen sollte.

„Na ja, ich treffe mich mit Frauen“, erwiderte er vorsichtig.

„Ich nehme mal an, sie stehen dafür Schlange“, sagte sie leichthin. „Du siehst gut aus, bist erfolgreich, wohlhabend und Single. Ziemlich unwiderstehlich also.“

Das hatte er eigentlich auch immer gedacht, doch auf Samantha wirkte diese Mischung offenbar überhaupt nicht – wenn überhaupt, bewirkte sie bei ihr das Gegenteil.

„Manche Frauen widerstehen mir trotzdem“, sagte er leichthin. „Und bei dir? Hast du schon wieder Lust, mit Männern auszugehen?“

„Nein, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Eine Scheidung ist ein großer Dämpfer fürs Selbstwertgefühl. Jedenfalls für meins.“

Gerade bei Samantha, die immer so selbstbewusst, clever, witzig und wunderbar gewesen war, fiel ihm das schwer zu glauben. „Davon merkt man aber nichts.“

„Danke. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.“

„Das schaffst du ziemlich gut.“

Am liebsten hätte er ihr gesagt, dass sie so begehrenswert war wie früher und er es ihr jederzeit beweisen konnte.

Doch das war keine gute Idee, deshalb stand er auf. „Es ist ganz schön spät geworden, und Charlie und ich brauchen unseren Schönheitsschlaf.“ Er pfiff leise. „Komm, mein Junge.“

Charlie stand auf und reckte sich, leckte Samantha noch einmal die Hand und folgte Jack zur Tür.

Samantha begleitete die beiden hinaus. „Danke, dass du vorbeigekommen bist. Das Abendessen war wundervoll, genau wie die Gesellschaft.“ Sie ging in die Hocke und kraulte Charlie hinter den Ohren. „Du bist ein sehr attraktiver Kerl. Wir sollten uns bald mal wieder treffen.“

Charlie bellte zustimmend.

Na, das war ja klar, dachte Jack im Flur mit einem selbstironischen Lächeln. Jetzt kennen wir uns schon so lange, und sie verguckt sich in den Hund.

3. KAPITEL

Eine Woche später saß Jack am Schreibtisch seines Vaters und verfluchte den Tag, an dem er zugestimmt hatte, die Firma auch nur zeitweise zu leiten. Immer neue Krisen zeichneten sich ab, und ständig gab es schlechte Neuigkeiten. Im Augenblick wünschte er sich nur einen einzigen Tag, an dem einmal nichts schiefging.

Die Liste der Probleme schien endlos. Die EDV-Abteilung hatte ihm mitgeteilt, dass der verfügbare Webspace beinahe ausgeschöpft war und man mehr Serverkapazität brauchen würde, um den neuen Internetauftritt zu verwirklichen. Die Abonnementzahlen für die drei größten Zeitschriften waren im vergangenen Vierteljahr weiter gesunken. Etwa hunderttausend Zeitschriften waren bei einem Zugunglück auf dem Weg an die Westküste verbrannt. Und selbst Jack als Laie konnte erkennen, dass das Layout für das neue Haus- und Gartenmagazin stümperhaft gestaltet war.

Es wurde ihm einfach alles zu viel. Wie war sein Vater nur mit all diesen Problemen fertig geworden und hatte gleichzeitig noch mehrere Abteilungen geleitet?

Jack lehnte sich im Stuhl zurück und rieb sich die Schläfen. Die Antwort auf diese Frage kannte er bereits: George Hanson hatte seinen Job nicht gut gemacht. Einige Bereiche waren aus dem Ruder gelaufen, und niemand hatte sie korrigieren können, weil sich bereits die nächste Krise abzeichnete.

Soweit Jack das beurteilen konnte, gab es nur eine Möglichkeit, die Hanson Media Gruppe zu retten – er brauchte weitere Unterstützung, zusätzlich zu den bereits eingestellten neuen Abteilungsleitern.

Er ließ Mrs. Wycliff kommen und bat sie, sich zu setzen.

„Ich muss unbedingt meine Brüder erreichen“, sagte er. „Ich hab da ein Problem, das ich allein nicht gelöst bekomme. Wissen Sie zufällig, wo sich Evan und Andrew zurzeit herumtreiben?“

Falls Mrs. Wycliff überrascht war, dass er das nicht wusste, verbarg sie es gut. „Tut mir leid, nein“, erwiderte sie. „Soll ich sie für Sie finden?“

„Ja, bitte. Am besten lässt sich ihre Spur in den Kreditkartenabrechnungen verfolgen.“ Evan liebte Europa, wo er sämtliche attraktive Orte unsicher machte, und Andrew exklusive Sportarten, sodass er im Sommer an exklusiven Stränden und im Winter in teuren Wintersportorten zu finden war.

Jack kannte das Psycho-Geschwafel über Geschwister, nach dem jedes Kind auf seine eigene Weise die Aufmerksamkeit der Eltern zu erregen versuchte. Er selbst hatte es darauf angelegt, in allem, was er tat, der Beste zu sein.

Sein Vater hatte ihm früh erklärt, dass er die Firma übernehmen würde, und lange Zeit hatte er sich darauf vorbereitet. Doch am Ende hatte er das Familienunternehmen genauso im Stich gelassen wie seine Brüder. Stolz war sein Vater auf keinen von ihnen gewesen.

Ob Evan und Andrew je Schuldgefühle hatten? Jack hatte versucht, sich mit seinem Vater auszusöhnen, aber der alte Herr schien daran nie sonderlich interessiert zu sein. Er hatte immer nur davon geredet, dass Jacks Platz in der Firma war.

Jedenfalls machte es Jack viel mehr zu schaffen, dass der Kontakt zu seinen Brüdern verloren gegangen war, als dass er seinen Vater enttäuscht hatte.

„Ich kümmere mich sofort darum“, sagte Mrs. Wycliff. „Haben Sie schon mit Ihrem Onkel gesprochen?“

„Nicht über dieses Problem, aber das ist eine gute Idee“, erwiderte Jack. „Danke.“

Seine Sekretärin stand auf. „Ich werde Ihnen Bescheid sagen, sobald ich sie gefunden habe“, versprach sie und ging hinaus.

Jack wählte die Durchwahl seines Onkels. „Hallo, hättest du kurz Zeit?“

„Natürlich.“

Die PR-Abteilung befand sich einen Stock tiefer, und Jack nahm die Treppe. Sein Onkel David und sein Vater, die Brüder waren, unterschieden sich wie Tag und Nacht. Während George sein Leben der Firma widmete, hatte David immer Zeit für seine Neffen gehabt.

Davids Büro war so eingerichtet, dass es sowohl Besucher beeindruckte als auch eine entspannte Atmosphäre schuf. David stand auf, um seinem Neffen die Hand zu schütteln, und umarmte ihn dann kurz.

„Wie läuft’s?“, fragte er und bot Jack einen Platz auf der Couch am Ende des Raums an. „Gibt’s immer noch Probleme?“

„Jeden Tag neue“, seufzte Jack. „Es wird Zeit für ein paar gute Nachrichten. Wir könnten die Abwechslung alle brauchen.“

David war, wie alle Hansons, groß und hatte braunes Haar. Er war beinahe zwanzig Jahre jünger als sein Bruder George, was vielleicht erklärte, warum er seinen Neffen nähergestanden hatte als ihr eigener Vater.

„Wieso übernimmst du eigentlich nicht die Leitung?“, fuhr Jack fort. „Du weißt mehr über die Firma als sonst jemand hier. Du würdest das mit links machen.“

„Aber es ist nicht mein Ding“, sagte David. „Und selbst wenn ich mich dazu berufen fühlte, würde ich den Letzten Willen meines Bruders respektieren. Er wollte, dass einer seiner Söhne sie übernimmt.“

„Das wissen wir noch gar nicht“, sagte Jack. „Genaueres erfahren wir erst bei der Testamentseröffnung.“ Er fluchte halblaut. „Was hat sich Vater nur dabei gedacht, uns drei Monate warten zu lassen, bis das Testament verlesen wird? Das ist doch verrückt. Bis dahin kann niemand wirkliche Entscheidungen treffen. Ich kann nur hoffen, dass sich Evan und Andrew wenigstens zur Testamentseröffnung blicken lassen. Du hast auch keine Idee, wo ich sie finden kann, oder?“

„Leider nicht“, erwiderte David. „Es ist schade, dass wir uns so völlig aus den Augen verloren haben. Aber da fällt mir ein, ich habe eine Pressemitteilung über die neuen Angestellten herausgegeben, und einer der Namen kam mir doch sehr bekannt vor.“

„Samantha war die beste Bewerberin“, sagte Jack.

„Das bezweifle ich nicht. Aber es war interessant, ihren Namen zu lesen. Ich erinnere mich von früher an sie. Sie ist die Frau, die du haben wolltest, aber nicht gekriegt hast.“

„So war es nicht“, erklärte Jack.

„Aber so, wie du über sie gesprochen hast, klang es ganz danach.“

„Das ist lange her. Jetzt liegen die Dinge anders.“

„Ist sie verheiratet?“

„Nein.“

„Na, dann gibt dir das Schicksal ja vielleicht eine zweite Chance.“

Jack blickte seinen Onkel scharf an. „Ich glaube nicht an Schicksal. Und schon gar nicht an zweite Chancen.“

Davids Gesichtsausdruck wurde ernst. „Nicht jede Frau ist wie Shelby.“

„Das weiß ich.“ Jack stellte die Tasse ab und stand auf. „Mach dir um mich keine Sorgen, mir geht’s gut. Und Samantha ist eine Mitarbeiterin, sonst nichts.“

„Du lügst“, sagte David und grinste. „Aber wenn es dir so wichtig ist, tue ich so, als ob ich es nicht merke.“

„Super, danke. Und wenn du zufällig herausfindest, wo mein Brüder sich rumtreiben, lass es mich wissen.“

„Mach ich.“

„Ach du liebe Güte“, sage Helen Hanson, als sie sich in Samanthas Wohnung umsah. „Sehr …“

„Dezent? Beige? Langweilig?“, schlug Samantha lachend vor.

„Na ja, so könnte man es auch ausdrücken.“ Helen trat einen Schritt auf die Freundin zu und umarmte sie. „Jedenfalls bin ich froh, dass du hier bist.“

„Ich auch. Aus New York herauszukommen war wichtig für mich, und du hast das möglich gemacht.“

Helen ließ sich auf die Couch sinken und winkte ab. „Ach was, ich habe dir nur ein Vorstellungsgespräch besorgt. Den Job hast du ganz allein an Land gezogen.“

Samantha ließ sich neben Helen nieder und legte eine Hand auf ihren Arm. „Du siehst müde aus. Wie geht es dir?“

„Ich bin müde. Und noch immer fassungslos. Nach fast zwei Monaten sollte ich mich an den Gedanken gewöhnt haben, aber …“ Helen stiegen Tränen in die Augen, aber sie blinzelte sie weg. „Verdammt, ich wollte nicht mehr weinen.“

„Es gibt keine Zeitbeschränkung für Trauer.“

„Ich weiß. Es ist lieb von dir, dass du dir Sorgen um mich machst. Mir geht’s gut.“

„Nein, tut es nicht.“

„Also schön, ich tue so, als ob es mir gut ginge, und die meiste Zeit komme ich ja auch zurecht. Immerhin schaffe ich es jetzt schon ein oder zwei Stunden lang, nicht in Tränen auszubrechen. Am Anfang waren es nur Minuten. Aber ich vermisse ihn so sehr und fühle mich so einsam.“

Darauf gab es nichts zu sagen. Helen stand nach dem Tod ihres Mannes George wirklich ganz alleine da – eine eigene Familie besaß sie nicht, und seine Söhne hatten sie auch nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen.

„Hast du schon mal mit Jack geredet?“, fragte Samantha. „Er trauert doch bestimmt genauso um seinen Vater.“

„Ich weiß“, sagte Helen und tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen ab. „Er ist sehr höflich und besorgt, aber wir stehen uns nicht nahe. Ich habe es ja versucht, immer wieder, aber ganz gleich, was ich auch tat, ich kam an die Jungs einfach nicht ran.“ Sie schniefte. „Wahrscheinlich sollte ich sie auch nicht Jungs nennen, schließlich sind sie alle erwachsen. Aber George hat so von ihnen gesprochen, von seinen Jungs.

Samantha schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Eigentlich hätten sie dich vergöttern müssen.“

„Tja, ich habe wirklich alles ausprobiert, was mir einfiel, und an guten Tagen redete ich mir ein, dass es gar nicht an mir lag. George war ein wunderbarer Mann, aber er hatte keinen engen Kontakt zu seinen Söhnen. Ich weiß nicht, woran das lag, die Probleme hatten sie schon, bevor ich ihn heiratete. Aber ich habe ihn so sehr geliebt.“

„Ich weiß.“

Helen versuchte ein Lächeln. „Also gut, genug davon. Ich bin nicht zum Weinen hergekommen. Lass uns von dir reden. Wie gefällt dir dein neuer Job?“

Da sie nicht wusste, wie sie ihrer Freundin helfen sollte, akzeptierte Samantha den Themenwechsel. Vielleicht konnte sie so Helen ein paar Minuten von ihrem Schmerz ablenken.

„Ich liebe ihn“, schwärmte sie. „Es gibt wahnsinnig viel zu tun, was mir gut passt, du weißt, dass ich gern ausgelastet bin. Ich habe so viele Ideen für die neuen Webseiten, dass ich schon einen Block und Stift auf den Nachttisch gelegt habe, weil ich nachts ein paarmal aufwache, wenn mir wieder etwas eingefallen ist.“

„Oha, da werden wir ja in ein paar Wochen darüber reden müssen, dass du auch mal Freizeit brauchst.“

„Vielleicht“, erwiderte Samantha und lachte. „Aber im Augenblick bin ich wirklich glücklich damit. Ich mag meine Mitarbeiter, und ich kann wirklich einen Beitrag leisten. Perfekt.“

„Vermisst du Vance?“

„Nein, und das meine ich ehrlich. Eigentlich müsste es schlimmer sein, aber seine Unehrlichkeit und sein Verrat haben den Rest meiner Liebe wohl erstickt. Erst dachte ich, ich könnte ihm nie verzeihen, aber jetzt ist er mir so egal, dass ich nicht einmal mehr darüber nachdenke. Ich will keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden.“

„Sehr gut. Du hast einen Neuanfang gewagt und bist wieder auf die Füße gekommen. Sieh dich um, vielleicht verliebst du dich ja wieder.“

Samantha kreuzte die Finger vor Helens Gesicht: „Weiche von mir, Versuchung! Von Beziehungen und Liebe habe ich erst mal die Nase voll. Mit Männern bin ich durch.“

„Für immer?“

„Für eine ganze Weile. Diesen Stress habe ich gründlich satt.“

„Es ist doch nicht immer so“, warf Helen ein. „Vance war eben nicht der Richtige, und du hast das rechtzeitig herausgefunden und bist gegangen. Aber deshalb kannst du doch nicht den Rest deines Lebens allein bleiben. Du solltest die Chance auf eine große Liebe nicht verpassen. Ich glaube fest daran, dass jeder einen Seelenpartner hat.“

„Und George war deiner.“

„Er war alles für mich“, sagte Helen lächelnd. „Ich hatte solches Glück, dass ich ihm begegnet bin. Wir hatten so viel gemeinsam. Daran will ich mich immer erinnern – was wir teilten und wie viel wir einander bedeuteten. So etwas werde ich nie wieder erleben.“

Samantha war sich nicht sicher, ob das stimmte. Helen war noch relativ jung und eine schöne Frau. Bestimmt würde auch sie noch mal einen Mann finden, den sie liebte.

„Wo wir gerade von Männern sprechen, wie kommst du denn mit Jack klar?“, fragte Helen.

„Sehr gut. Er arbeitet sehr effizient und gibt mir genügend Freiraum, um dasselbe zu tun.“

„Und?“ Helen hob die Augenbrauen.

„Und was?“

„Sprühen noch immer die Funken zwischen euch wie beim Studium? Ich weiß noch, wie wir damals ewig darüber diskutiert haben, ob du dich mit ihm einlassen sollst oder nicht. Und ich erinnere mich daran, dass ich dich beschworen habe, es zu wagen, aber leider hast du nicht auf mich gehört.“

„Er ist nicht mein Typ“, meinte Samantha und vermied damit die Beantwortung der Frage nach den Funken. Hauptsächlich, weil sie nicht zugeben wollte, dass diese Funken jedes Mal einen Schwelbrand in ihr auslösten, wenn sie Jack begegnete.

„Es geht nicht immer um den Typ“, sagte Helen. „Manchmal macht uns ein Mann einfach an.“

„Wenn du meinst …“

„Jack ist nicht wie Vance. Er ist ehrlich, und er wurde auch schon verletzt.“

Samantha schüttelte den Kopf. „Willst du uns etwa verkuppeln? Lass es lieber, danach ist mir im Moment überhaupt nicht zumute.“

„Will ich ja auch nicht. Ich sage nur, dass Jack ein guter Fang ist.“

„Für eine andere vielleicht.“

„Wenn du meinst …“

Jacks letzte Besprechung an diesem Tag endete um vier, und als er ins Büro zurückkehrte, fand er mehrere leere Umzugskisten vor, die Mrs. Wycliff für ihn besorgt hatte.

Er hatte vor, die persönlichen Sachen seines Vaters aus dem Büro zu räumen und einzulagern, bis seine Brüder zurückkehrten. Dann würden sie sich zu dritt mit Helen zusammensetzen, um zu klären, wer was haben wollte.

Zuerst nahm er sich das Bücherregal vor, warf einige alte Telefonbücher gleich ins Altpapier, hielt dann inne, als er im nächsten Fach zu den Fotos kam, die seinen Vater mit wichtigen Kunden, Lokalpolitikern und Angestellten zeigten.

„Keine Familienfotos“, murmelte Jack. Kein Bild von seinen Söhnen oder Schnappschüsse aus dem Urlaub. Was wahrscheinlich daran lag, dass sie selten zusammen verreist waren. Nach dem Tod seiner Mutter waren Feiertage und lange Wochenenden eine traurige Angelegenheit gewesen.

Er räumte den Rest des Bücherregals aus und machte sich dann an das Sideboard. Er brauchte Platz, um Berichte und Quartalsbilanzen abzulegen, und das Sideboard war perfekt dafür. Als er die Akten durchsah, die jetzt darin standen, bemerkte er, dass einige über zehn Jahre alt waren. War das der Grund dafür, dass es der Firma schlecht ging – dass sein Vater unfähig gewesen war, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren?

Als er alle Kartons mit Dokumenten und Aktenordnern gefüllt hatte, griff er nach dem Stapel Quartalsbilanzen und wollte sie in das Fach stellen, doch sie waren zu hoch dafür.

„Komisch“, murmelte er und betrachtete die Außenhöhe des Sideboards. „Sie müssten eigentlich genau hineinpassen.“

Als er den Raum innen abtastete, stellte er fest, dass das Bodenbrett viel höher als nötig war, und nach weiterem Suchen fand er einen kleinen Metallhebel. Er zog daran, und das Bodenbrett schwang nach oben auf und gab den Blick auf einen langen schmalen Hohlraum frei, in dem mehrere ledergebundene Bücher lagen.

Zuerst dachte Jack, sein Vater hätte Tagebuch geführt, und sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken, dass er vielleicht zum ersten Mal erfahren würde, was George Hanson wirklich gedacht hatte. Doch als er das erste Buch aufschlug, fand er keine persönlichen Notizen, sondern nur endlose Zahlenreihen.

Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass er eine detaillierte Bilanz in den Händen hielt. Als er das Datum sah, zog sich sein Magen zusammen. Sie stammte aus dem vorigen Jahr. Dabei hatte Jack erst am Vormittag die Bilanz aus dem Vorjahr gelesen. Er kannte die Zahlen, und sie sahen völlig anders aus als die, die er jetzt vor sich hatte.

Obwohl er sich dessen ganz sicher war, verglich er die offiziellen Zahlen dennoch mit denen, die sein Vater versteckt hatte. Die Posten waren dieselben, doch die Summen unterschieden sich gewaltig – die geheime Buchhaltung seines Vaters sah bei Weitem nicht so rosig aus wie die offizielle.

In Jack stieg Ärger auf, und gleichzeitig fühlte er sich hintergangen. George Hanson hatte die Wahrheit darüber, wie es wirklich um die Firma stand, vor allen verborgen. Wie er es geschafft hatte, war Jack ein Rätsel, aber den Beweis dafür hielt er in den Händen.

Die Firma stand kurz vor dem Bankrott, und da es sich um eine Aktiengesellschaft handelte, hatte sich sein Vater des vorsätzlichen Betrugs schuldig gemacht. Damit steckte nicht nur die Firma in fast unüberwindlichen Schwierigkeiten, sondern auch Jack.

4. KAPITEL

Jack ging die Bücher immer wieder durch, in der Hoffnung, doch noch einen Hinweis darauf zu finden, dass er sich getäuscht hatte. Aber mit jeder Summe, jeder Spalte wurde deutlicher, dass sein Vater die Angestellten, die Aktionäre und seine Familie bewusst betrogen hatte.

Als er aufstand und ans Fenster trat, von wo aus die nächtlich beleuchtete Skyline von Chicago zu sehen war, fühlte er sich wie in einer Falle. Bei so schlechten Neuigkeiten würde der Aufsichtsrat ihn bedrängen, länger zu bleiben als die vereinbarten drei Monate. Diese Zeit reichte einfach nicht aus, um eine solche Katastrophe auszubügeln. Das sah er ja ein – aber was hatte das mit ihm zu tun?

Es klopfte kurz, dann wurde die Tür geöffnet. Müde drehte er sich um.

„Du machst Überstunden“, sagte Samantha, als sie auf ihn zukam. „Ich dachte mir, dass du noch hier bist. Ihr Manager könnt doch nie genug von der Arbeit bekommen. Aber du solltest auch einmal …“ Sie unterbrach sich und starrte ihn an. „Was ist passiert?“

Und er hatte immer gedacht, er hätte ein Pokerface. Es gab keinen Grund, Samantha die Wahrheit zu verschweigen, zumal er am nächsten Morgen sowieso eine Notfallkonferenz mit dem Aufsichtsrat einberufen würde. Er musste die wahre finanzielle Lage sofort melden, erst dem Rat, dann den Investoren und der Finanzwelt. Sein Vater hatte darauf bestanden, an die Börse zu gehen, nun unterstand die Firma der Börsenaufsichtsbehörde.

„Ich habe eine zweite Buchhaltung gefunden“, sagte er und machte eine Kopfbewegung zum Sideboard hin. „Mein Vater hat sie hier versteckt, und als ich sie mit den offiziellen Zahlen verglich, stellte ich fest, dass beträchtliche Ausgaben und Verluste dort nicht auftauchen.“

Samantha riss die Augen auf. „Du meinst Betrug?“

„Ja, so muss man es wohl nennen. Wir müssen eine Betriebsprüfung machen lassen und herausfinden, wie schlimm es wirklich steht. Es sieht nicht gut aus. Wir müssen mit Ermittlungen der Börsenaufsichtsbehörde rechnen, was zu schlechter Presse und einem Aktiensturz führen wird.“

Er wandte sich wieder dem Fenster zu. „Wenigstens gehört ein großer Aktienanteil der Familie, also können wir nicht einfach aufgekauft werden. Und durch das neue Management und vollkommene Offenheit lässt sich der Schaden vielleicht begrenzen.“

„Ich bin sprachlos“, sagte Samantha.

„Das geht mir auch so. Nicht gerade das, was man von seinem neuen Arbeitgeber hören will, was? Kündigst du jetzt?“

„Was?“ Samantha trat neben ihn. „Nein, natürlich nicht. Wie geht es dir damit?“

„Ich bin nicht gerade begeistert. Es hätte ja auch mal gute Nachrichten geben können.“

„Jack, offenbar hat dein Vater euch, die Firma und die Öffentlichkeit betrogen. Das muss doch ein Schlag für dich sein.“

Jack zuckte die Achseln. „Für ihn wäre es schlimmer. Gut, dass er tot ist, sonst käme er ins Gefängnis. Es überrascht mich eigentlich nicht wirklich, ehrlich gesagt. Kein Wunder, dass er mehrere Abteilungen leitete und gegen die Einführung neuer Technologien war. Das machte es ihm leichter, die Wahrheit zu vertuschen. Ich frage mich nur, ob David davon wusste.“

„Wirst du ihn fragen?“

„Natürlich, ich werde jeden fragen. Wir können die Krise nur abwenden, indem wir sofort einen Plan aufstellen und jeden finden, der George geholfen haben könnte.“

„Du solltest auch mit Helen sprechen“, schlug Samantha vor. „Vielleicht weiß sie etwas.“

Jack blickte sie scharf an. „Meinst du, sie steckt da mit drin?“

„Wie bitte? Nein! Helen würde Betrug niemals dulden. Aber sie weiß vielleicht, ob George in letzter Zeit gestresst wirkte oder sich verändert hat. Und vielleicht hat sie gute Vorschläge.“

„Ich brauche keine Modeberatung.“

Samantha schien die Beleidigung ihrer Freundin persönlich zu nehmen. „So denkst du also von ihr? Dass sie ein blondes Dummchen ist, das sich nur für Mode und Schmuck interessiert?“

Jack zuckte die Schultern. „Ich kenne sie ja kaum.“

„Und woran liegt das wohl? Sie gehört jetzt schon eine ganze Weile zu eurer Familie. Warum hast du dich nie bemüht, sie besser kennenzulernen?“

„Ich kenne diesen Typ Frau.“

„Helen ist kein ‚Typ‘, sondern ein Mensch, und zwar ein ganz anderer, als du denkst. Das ist ja wirklich Ironie – du denkst, dein Vater hätte die Firma heruntergewirtschaftet, weil er an alten Klischees festhielt, aber du bist keinen Deut besser.“

Samantha machte sich Notizen, während einer ihrer Mitarbeiter seine Präsentation abschloss. „Sehr gut, Phil“, sagte sie. „Ich mag das Farbschema, mit dem du arbeitest, um die Navigation zu erleichtern.“

„Kinder reagieren stark auf Farben. Ich dachte mir, dass wir das Schema auch auf die anderen Altersgruppen übertragen könnten. Also steht Blau zum Beispiel immer für Mathematik, aber bei den Kleinen ist es heller und wird dann bis zu den Teenagern hin immer dunkler.“

„Sehr schön“, sagte Samantha, blickte dann zu Arnie hinüber. „Lässt sich das machen?“

„Kein Problem, wenn es erst einmal programmiert ist“, sagte der.

„Gut.“ Samantha hatte es sich angewöhnt, immer jemanden aus der EDV-Abteilung hinzuzuziehen, wenn sie Besprechungen zur Gestaltung der Website abhielt. Auf diese Weise ließen sich Änderungen noch leichter umsetzen.

„Man könnte auch, äh, Untermenüs verwenden“, schlug Arnie vor. Er erklärte das Prinzip, und das ganze Team stimmte zu. Arnie allerdings hatte nur Augen für Samantha.

Sie hatte schon gemerkt, dass der unscheinbare Mann für sie schwärmte, und war nicht sicher, wie sie damit umgehen sollte. Im Augenblick wollte sie überhaupt keinen Mann, aber Arnie wäre auch nicht ihr Typ gewesen. Er war nett und freundlich, aber nichts an ihm löste in ihr ein Kribbeln aus.

Ganz im Gegensatz zu Jack, der in diesem Moment hereinkam und sich leise setzte. Sofort meldeten sich die eindeutigen Signale in Samanthas Körper, und es ärgerte sie, dass sie so stark auf ihn reagierte, zumal sie noch immer böse auf ihn war. Sie ertappte sich sogar dabei, wie sie sich unwillkürlich aufrechter hinsetzte und ihre Brust vorschob, obwohl das bei ihrer Körbchengröße eine eher sinnlose Geste war.

Das ist ja wieder mal typisch, dachte sie. Arnie, der interessiert, freundlich, intelligent und wahrscheinlich total unkompliziert war, ließ sie gefühlsmäßig völlig kalt, während Jack, der sie mit seiner Sturheit in den Wahnsinn trieb, tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern ließ. Seine Vorurteile gegen Helen machten sie echt wütend, aber im Augenblick musste sie sich auf die Besprechung konzentrieren.

Mehrere Mitarbeiter hatten Vorschläge für kurze Spiele, die die Kinder als Belohnung für gelöste Aufgaben spielen konnten.

Während weitere Ideen und Vorschläge diskutiert wurden, bemühte sich Samantha bewusst, nicht zu Jack hinüberzublicken. Da er ihr Chef war, wäre es vernünftig gewesen, ihren Streit beizulegen. Doch als Helens loyale Freundin war sie noch immer viel zu wütend auf ihn.

„Das sollte uns für den Augenblick genug zu tun geben“, schloss Samantha die Besprechung. „Gute Arbeit, Leute. Ich bin beeindruckt. Das nächste Treffen ist am Freitag.“

Ihre Mitarbeiter verließen den Sitzungssaal, nur Arnie blieb noch einen Moment zurück. Als er sah, dass Jack ebenfalls sitzen geblieben war, folgte er den anderen.

Samantha sammelte ihre Notizen ein. „Wir machen Fortschritte“, sagte sie.

„Ja, das sehe ich. Dein Team arbeitet gut zusammen. Mir gefällt die Richtung.“

„Gut.“

„Ich mag deine Art zu führen. Du behältst das letzte Wort, aber zwingst niemandem deine Meinung auf.“

„Das wäre ja auch nicht besonders produktiv“, erwiderte sie. „Was ich denke, weiß ich ja schließlich selbst. Ich will ihre Ideen hören.“

„Nicht jeder kann das.“

Da ihr keine Antwort einfiel, schwieg sie.

„Du bist immer noch böse auf mich“, stellte Jack fest.

„Ich verstehe einfach nicht, warum du eine so schlechte Meinung von Helen hast, zumal du sie kaum kennst“, sagte Samantha. „Wenn du Zeit mit ihr verbracht und dabei festgestellt hättest, dass sie schrecklich ist, könnte ich das ja sogar verstehen. Aber du hast sie nur ein paarmal flüchtig getroffen und glaubst, sie wäre die legendäre böse Stiefmutter.“

„Es geht doch nicht darum, dass sie meine Stiefmutter ist“, sagte Jack.

„Was ist es denn dann?“

Jack zögerte. „Sie ist viel jünger als mein Vater. Und mein Vater war kein netter Mensch.“

„Ach so, daher weht der Wind! Du glaubst, sie hat ihn wegen seines Geldes geheiratet.“ Wieder spürte sie, wie Ärger in ihr aufstieg. „Ich kenne Helen seit Ewigkeiten, meine Mutter hat sie damals als Babysitterin für mich eingestellt. Für mich gehört sie zur Familie, und ich vertraue ihr blind. Ich weiß, dass sie deinen Vater unglaublich geliebt hat. Das kommt dir vielleicht seltsam vor, weil es zwischen dir und ihm dieses Gefühl nicht gab, aber es ist trotzdem so. Für sie war er die Liebe ihres Lebens. Und für mich ist sie wie eine Schwester.“

„Das klingt sehr aufrichtig“, sagte Jack und stand auf.

„Ist es auch.“

Sie standen sich gegenüber und blickten sich in die Augen, und schließlich zuckte Jack die Achseln. „Dann hast du wohl recht.“

Samantha war so überrascht, dass sie sich beinahe auf ihren Stuhl zurücksinken ließ. „Wie bitte?“

„Du hast mich noch nie angelogen, Sam, und ich kenne dich ziemlich gut. Weder warst du jemals unehrlich, noch lässt du dich von Leuten blenden. Also respektiere ich deine Meinung über Helen.“

„Und was genau bedeutet das jetzt?“

„Du bist davon überzeugt, dass sie ein guter Mensch ist. Und du hast völlig recht, ich kenne sie kaum. Vielleicht ist sie ganz anders, als ich dachte.“

Einfach so? Samantha betrachtete Jack prüfend, um herauszufinden, ob er sich einen Scherz erlaubte, aber er wirkte völlig ernst.

„Also gut“, sagte sie schließlich. „Das akzeptiere ich.“

„Dann streiten wir jetzt nicht mehr?“

„Ich denke nicht.“

„Das klingt eher enttäuscht.“

„Ich habe im Moment jede Menge überflüssige Energie“, gab sie zu. „Und ich weiß nicht, wie ich sie aufbrauchen kann.“

Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie spürte, wie er erstarrte. Auf einmal war die Atmosphäre zwischen ihnen aufgeladen, und es hatte nichts mit ihrem Streit zu tun. Sie war sich seiner Nähe so intensiv bewusst, dass sie ihn am liebsten an sich gezogen und leidenschaftlich geküsst hätte, und sie spürte, dass es ihm ebenso ging. Dabei fühlte sie sich hin und her gerissen. Ihr Verstand riet ihr, so schnell und weit wie möglich wegzulaufen, während ihr Körper sich danach sehnte, sich an Jack zu schmiegen und ihn nie mehr loszulassen.

Jack fasste sich als Erster. Er räusperte sich und blickte auf seine Armbanduhr. „Ich muss die Aufsichtsratssitzung morgen vorbereiten.“

„Fliegen sie alle extra her?“

„Die meisten, aber einige schalten sich auch per Konferenzschaltung zu.“

„In der Zeitung stand heute noch nichts von der Sitzung.“

„Das würde mich auch wundern. Bis acht Uhr gestern Abend wussten nur du und ich davon.“

„Oh. Ich habe niemandem gegenüber etwas erwähnt.“

„Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

Damit ging er hinaus. Samantha ließ sich auf den Stuhl zurücksinken und wartete darauf, dass das Verlangen in ihr abebbte.

Jack wartete genau bis elf Uhr dreißig, bevor er den Konferenzraum betrat, in dem der Aufsichtsrat tagen würde. Die fünf Anwesenden standen auf, zwei weitere Räte beteiligten sich per Telefonkonferenz. Der Vorsitzende, ein missmutiger Mann Ende sechzig namens Baynes, begrüßte alle und bat sie, sich wieder zu setzen.

Jack erklärte die Lage, wie er die zweite, geheime Buchhaltung gefunden und welche Maßnahmen er bereits eingeleitet hatte.

„Die Hauptbuchhalterin hat sich von allem Kopien gemacht“, sagte er. „Bis zum Ende der Woche sollten wir wissen, wie ernst die finanzielle Lage wirklich ist. Ich habe eine Presseerklärung vorbereitet, die wir nach dieser Sitzung herausgeben werden.“

„Wie konnte es überhaupt so weit kommen?“, fragte der Vorsitzende.

Alle blickten zu Jack. „Keine Ahnung“, antwortete der ehrlich. „Bevor Sie mich baten, meinen verstorbenen Vater zu vertreten, habe ich als Anwalt praktiziert. Aber lassen Sie mich die Frage an Sie weitergeben – wieso wusste niemand von Ihnen davon?“

Baynes blickte ihn scharf an. „Was soll das heißen?“

„Sie sind der Aufsichtsrat, viele von Ihnen kennen meinen Vater seit Jahren. Hat er nicht mit Ihnen gesprochen?“

„George hat sich niemandem anvertraut“, sagte Baynes. „Er hat immer deutlich gemacht, dass dies seine Firma ist und er sich von niemandem reinreden lässt.“

„Also haben Sie einfach so zugesehen, wie er den Karren in den Dreck fährt?“

Die einzige Frau im Rat, Mrs. Keen, beugte sich vor. „Wir hatten keinen Anlass, an der Richtigkeit der Bilanzen, die George uns präsentiert hat, zu zweifeln. Ihr Vater war kein schlechter Mensch, Jack, sondern einfach nur überfordert.“

Das scheinen alle zu glauben, dachte Jack missmutig. „Und hätten Sie das nicht merken und dafür sorgen müssen, dass er entlastet wird?“

„Indem Sie uns angreifen, werden Sie das Problem auch nicht lösen“, bemerkte Baynes gekränkt.

Natürlich nicht, dachte Jack. Weil sie alle nur daran interessiert sind, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.

„Wir müssen vor der Öffentlichkeit an einem Strang ziehen“, sagte Mrs. Keen.

„Ganz recht“, stimmte Mr. Baynes zu. „Und es würde einen guten Eindruck machen, wenn der Aufsichtsrat vermelden könnte, dass Sie für längere Zeit die Firmenleitung übernehmen werden, Jack.“

„Ich habe Ihnen drei Monate versprochen, und daran hat sich nichts geändert“, sagte Jack.

„Seien Sie doch vernünftig“, entgegnete der Vorsitzende. „Wir stecken in einer schlimmen Krise. Die Existenz der gesamten Firma ist in Gefahr. Sie haben eine Verantwortung gegenüber den Angestellten und den Aktionären.“

„Nein, die haben Sie als Aufsichtsrat.“

„Sie sind der älteste Sohn, also sein natürlicher Nachfolger.“

„Ich habe auch noch zwei Brüder“, bemerkte Jack trocken.

„Und die treiben sich wer weiß wo herum. Außerdem haben sie nicht die nötige Ausbildung.“

Jack rang um Fassung. Mit einem Wutausbruch kam er nicht weiter. „Drei Monate“, wiederholte er. „Mehr nicht. Sie sollten anfangen, sich nach einem neuen Firmenchef umzuschauen. Ich schlage vor, Sie suchen sich einen, der weiß, was er tut.“

„Aber …“

Jack stand auf. „Ende der Diskussion. Ich werde meine Meinung dazu nicht ändern. Außerdem wissen wir noch gar nicht, wer die Aktienmehrheit geerbt hat. Die Anteile meines Vaters gehören im Augenblick niemandem – wer weiß, vielleicht hat er ja bestimmt, dass sie verkauft werden.“

Diese Aussicht bereitete den Räten offensichtliches Unbehagen, und Jack nutzte die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.

„Komm schon, komm schon“, rief Samantha und versuchte, den Ball so zu hypnotisieren, dass er glatt durch den Korb fiel. Einen Moment balancierte er auf dem Korbrand, dann fiel er durch das Netz. „Woohoo!“ Sie hielt Patti, einer ihrer Grafikerinnen, die Hand zum Abklatschen hin. „Wir führen!“

Patti erwiderte die Geste und ging dann wieder in Position. Basketball im Flur direkt vor ihrem Büro zu spielen entsprach zwar vielleicht nicht ganz den Firmengebräuchen, aber Samantha hielt es für eine gute Maßnahme für sich und ihre Leute, um nach einem langen Arbeitstag den Kopf wieder freizubekommen.

„Das war Glück“, bemerkte Phil und dribbelte den Ball heran. Samantha blockte ihn ab und schlug den Ball fort, der den Flur hinunterrollte.

Als Jack um die Ecke kam und den Ball aufhob, breitete sich Schweigen aus. Samantha spürte, dass alle sie anblickten. Sie wusste, dass Jack sich gerade mit dem Aufsichtsrat herumgeschlagen hatte, und erwartete geradezu, dass er seine schlechte Laune an ihr auslassen würde.

Er hob die Augenbrauen. „Wer gewinnt?“

„Mein Team“, erwiderte sie. „Wir hatten den ganzen Tag Besprechungen und …“

„Kein Grund für Rechtfertigungen“, erwiderte er und schlug den Ball auf. „Kann ich mitspielen?“

Samantha blickte zu Phil, der die Schultern zuckte. „Klar“, sagte sie.

Nachdem er Phil den Ball zurückgeworfen hatte, zog Jack sein Jackett aus und legte die Krawatte ab, dann krempelte er die Ärmel auf.

„Wer ist im anderen Team?“, fragte er.

„Ich“, antwortete Phil und stellte die anderen vor. „Wenn Sie gut sind, können Sie bei uns mitspielen.“

Jack grinste. „Na ja, ich weiß, dass der Ball in den Korb muss.“

Zehn Minuten später war klar, dass er sie hereingelegt hatte. Jack war nicht nur gut, sondern fantastisch. Ganz gleich aus welchem Winkel er warf, er traf fast immer. Er brachte Phils Team in Führung, das schließlich mit sechs Punkten Vorsprung gewann.

„Du spielst wie ein Profi“, sagte Samantha atemlos.

„Na ja, ich hatte genug Übung. Im Jurastudium haben wir auch immer gespielt, um nach einem langen Tag auf andere Gedanken zu kommen.“

Samantha erinnerte sich, dass er auch im Wirtschaftsstudium manchmal auf dem Basketballplatz gewesen war, aber sie hatte damals nie mitgemacht.

Jetzt wusste sie auch wieder, warum – während des Spiels Jack so nahe zu sein war einfach eine zu große Versuchung gewesen. Sie mochte es, wie er sein Team einbezog, wie elegant er sich bewegte. Ganz zu schweigen von dem Blick auf seine durchtrainierten Bauchmuskeln, wenn sein Hemd beim Werfen hochrutschte.

Ganz schlechte Idee, ermahnte sie sich. Den eigenen Chef anzuschwärmen führte immer zu Problemen. Aber auch wenn sie noch lange nicht bereit war, eine neue Beziehung einzugehen – vielleicht war es ja an der Zeit für eine nette kleine Affäre.

„Danke, dass ich mitspielen durfte“, sagte Jack zu Phil.

„Jederzeit gerne.“

„Um die Ecke ist eine Kneipe“, fuhr Jack fort. „Ich würde gerne eine Runde spendieren. In einer halben Stunde?“

Phil grinste. „Super, danke.“

Samantha wartete, bis alle wieder in ihren Büros verschwunden waren. „Das wäre nicht nötig gewesen.“

„Sie einzuladen? Ich wollte aber gern. Es war nicht selbstverständlich, dass ich mitspielen konnte. Und ich brauchte die Pause.“

„Oje, die Sitzung war wohl hart?“

„Und wie. Du kommst doch auch, oder?“

Eigentlich hätte sie ablehnen sollen. „Klar komm ich mit.“

„Schön.“

Er lächelte sie an, und sie bekam weiche Knie. Ein wenig benommen ging sie in ihr Büro zurück. Eine Affäre also – eigentlich keine schlechte Idee.

5. KAPITEL

Roger Arnet war ein großer schlanker Mittfünfziger mit blonden Haaren. Er schüttelte Jack die Hand und ließ sich dann auf dem Besucherstuhl vor Jacks Schreibtisch nieder.

„Wie kommen Sie zurecht?“, fragte er freundlich. „Ihr Vater war ein großartiger Mann. Wirklich ganz großartig. Es ist bestimmt nicht leicht, in seine Fußstapfen zu treten.“

Wie immer blieb Jack eine Antwort schuldig. Die Presse hatte die Nachricht über die gefälschten Bilanzen veröffentlicht, und wenn auch die Reaktion der Finanzwelt relativ gemäßigt war, weil die Hanson Media Gruppe nicht zu den ganz Großen gehörte, waren die Mitarbeiter doch geschockt gewesen. Jack fragte sich, wie Roger sein Bild von dem „großartigen Mann“ mit dem des Lügners und Betrügers in Übereinstimmung brachte.

„Ich arbeite mich ganz gut ein“, erwiderte er neutral.

„Gut. Sehr gut.“ Roger lächelte. „Wie ich höre, sind Sie Rechtsanwalt.“

„Ja.“

„Ihr Vater war sehr enttäuscht, dass Sie sich für die Kanzlei entschieden haben.“

Hatte George mit jedem in der Firma über ihn gesprochen? „Jetzt bin ich ja hier“, erwiderte Jack. „Und deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen. Wir planen einige Veränderungen.“

„Davon habe ich gehört. Ich war im Urlaub, und als ich zurückkam, war das die große Neuigkeit. Interneterweiterung, was? Haben Sie sich das gut überlegt?“

„Das habe ich.“

Roger nahm seine Brille ab und begann, sie mit einem Taschentuch zu putzen. „Arnie hat mir von Ihren Plänen erzählt. Ehrgeizig. Sehr ehrgeizig. Ein bisschen zu sehr, wenn Sie mich fragen.“

„Wollen Sie damit andeuten, dass wir nicht dazu fähig sind, den Webauftritt zu erweitern?“

„Erweiterung ist so eine Sache. Was Sie vorschlagen, geht außerdem weit darüber hinaus. Aber die Idee stammt auch nicht von Ihnen, oder? Sondern von diesem jungen Ding. Samantha irgendwas.“

„Edwards. Und sie hat meine volle Unterstützung.“

„Natürlich. Sie engagiert sich sehr, aber meiner Erfahrung nach ist es besser, die Dinge langsam angehen zu lassen. Einen Schritt nach dem anderen. Neue Medien sind ja gut und schön, aber diese Firma wurde als Zeitschriftenverlag gegründet.“

„Magazine sind teuer in der Herstellung und schwerfällig“, erwiderte Jack. „Wir haben keinen Titel mit einer Auflage von über einer Million, und bei den meisten schreiben wir rote Zahlen. Das Internet ist mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Kultur, und wir können uns relativ leicht den wechselnden Trends anpassen.“

Roger nickte, doch Jack kam ins Grübeln. Sollte der Leiter der EDV-Abteilung nicht auf mehr neue Technologien drängen statt auf weniger?

„Arnie hat das alles schon erwähnt“, sagte Roger bedächtig, „aber er ist jung und oft überschäumend. Ich hoffe, er hat Ihnen keine Rosinen in den Kopf gesetzt.“

Jack war im Allgemeinen gerne bereit, sich auf die Erfahrung der älteren Mitarbeiter zu stützen, aber er ließ sich nicht gern wie ein Idiot behandeln.

Er straffte die Schultern und blickte Roger direkt an. „Lassen Sie mich ganz offen sein“, begann er. „Diese Firma steht kurz vor dem Konkurs. Ich bin sicher, Sie haben die neuesten Entwicklungen verfolgt. Alles beim Alten zu belassen wird uns nicht aus der Krise bringen. Wir brauchen Veränderungen, und das schnell. Ich glaube, dass die Interneterweiterung ein Schritt in die richtige Richtung ist. Entweder Sie unterstützen das, oder Sie suchen sich eine Firma, die Ihnen besser gefällt.“

Roger zwinkerte überrascht. „Das ist sehr direkt.“

„Mag sein. Ich habe viel Gutes über Sie gehört und hoffe, dass Sie bleiben, aber wenn Sie das tun, dann müssen Sie die neue Linie unterstützen.“

„Gut, ich werde darüber nachdenken. Was die Interneterweiterung angeht, bin ich hauptsächlich um die Sicherheit besorgt. Mit Kindern als Zielgruppe ist man sehr angreifbar.“

„Für die Kinder einen sicheren Raum zu schaffen ist unsere erste Priorität“, sagte Jack. „Samantha und Arnie arbeiten da sehr eng zusammen. Es wäre gut, wenn Sie das ebenfalls im Blick behalten würden. Kommen Sie jederzeit zu mir, wenn Sie Schwachstellen entdecken.“

Das überraschte den älteren Mann offenbar. „Wieso sollten Sie mir trauen?“

„Weil ich glaube, dass Ihnen die Sicherheit der Kinder tatsächlich am Herzen liegt. Deshalb sind Sie ideal als letzte Instanz, denn Sie werden keine Schlampereien zulassen.“

„Danke. Ich werde über alles nachdenken und mich wieder melden.“

„Natürlich. Danke, dass Sie gekommen sind.“

Sie schüttelten sich die Hände, doch in der Tür drehte Roger sich noch einmal um. „Ich wünschte, Sie hätten Ihren Vater bei der Arbeit sehen können, Jack. Er war brillant. Einfach brillant.“

„Ja, das hörte ich bereits.

Nach seinem Treffen mit Roger brauchte Jack unbedingt eine Abwechslung, und er klopfte an Samanthas Bürotür. „Hast du einen Moment Zeit?“

„Klar, komm rein und setz dich.“

Jack ließ den Blick über die hellen Möbel, die farbenfrohen Drucke an der Wand und das lilafarbene Sofa wandern. In nur anderthalb Wochen hatte Samantha dem Büro ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt.

„Interessante Dekoration“, sagte er, als er sich niederließ.

Sie grinste. „Du findest es schrecklich.“

„Das wäre zu viel gesagt.“

„Im Möbellager der Firma gibt’s wirklich tolle Sachen.“

„Von denen einige offenbar seit den Sechzigerjahren dort liegen.“

„Stimmt. Ich wollte nicht über die Stränge schlagen, aber ich brauche einfach Farbe als Inspiration.“

Was offenbar auch auf ihre Kleidung zutraf. Heute trug sie über schwarzen Hosen eine orangegoldene weite Bluse und das Haar dazu offen. Ihre roten Locken verfingen sich immer wieder in den großen Traumfänger-Ohrringen.

Er dagegen konnte nur mit einem grauen Anzug, einem weißen Hemd und der traditionell weinroten Krawatte aufwarten. Verschiedener konnten zwei Menschen nicht sein – was ihre Freundschaft immer schon so spannend gemacht hatte.

„Was ist los?“, fragte sie.

„Hast du schon mit Roger Arnet gesprochen?“

„Das ist Arnies Chef, oder? Wir haben uns nur kurz begrüßt.“

„Deshalb wollte ich dich vorwarnen. Er scheint Veränderungen gegenüber nicht sehr aufgeschlossen zu sein und findet die Interneterweiterung zu ehrgeizig.“

„Na super, das fehlte mir noch.“

„Immerhin habe ich ihm schon gesagt, dass er uns entweder unterstützen oder sich einen neuen Job suchen kann.“

„Oha.“

„Jetzt ist er wohl ein wenig kompromissbereiter. Aber einen seiner Einwände halte ich für richtig, und das ist der Sicherheitsfaktor.“

„Wir arbeiten bereits daran und werden nur die neuesten Technologien einsetzen.“

„Vielleicht könntest du Roger zu diesem Thema ins Team holen.“

Samantha zuckte zusammen. „Muss ich?“

Manchmal klang sie wie eine Zwölfjährige. Jack unterdrückte ein Lächeln. „Nein, aber ich wollte dir nur sagen, dass es manchmal klug ist, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die anderer Meinung sind als wir. Wenn du ihm einen Platz im Team gibst, wird er sich leichter umstimmen lassen. Wenn ich muss, werde ich ihn entlassen, aber das wäre nur eine Notlösung. Die Berichte über ihn sind ausgezeichnet.“

„Also gut, dann werde ich vernünftig sein und mit ihm zusammenarbeiten“, gab Samantha nach. „Aber es wird mir nicht gefallen.“

„Das verlangt auch niemand.“

„Wenigstens etwas.“

Sie stand auf und ging zu einem kleinen Tisch in der Ecke, auf dem eine Kaffeekanne stand. Als Jack auf ihre Frage nickte, schenkte sie zwei Tassen ein.

Wie immer, seit er sie kannte, schnupperte sie an dem Kaffee, bevor sie den ersten Schluck nahm. Früher hatte er sie damit aufgezogen, und sie hatte es vehement abgestritten, dann hatte er ihr eine Tasse gereicht, sie hatte geschnuppert, und sie hatten beide gelacht.

Diesmal sagte er nichts. Vor ein paar Tagen hatte sie ihn abends in der Bar nach dem Basketballspiel wieder einmal eiskalt abblitzen lassen, als er ihr angeboten hatte, sie nach Hause zu bringen. Er musste sich endlich damit abfinden, dass sie nichts von ihm wissen wollte.

Seltsam nur, dass sie so kühl bleiben konnte, wenn ihn das Verlangen nach ihr beinahe umbrachte.

„Jedenfalls ist es nicht langweilig, hier zu arbeiten“, sagte sie. „Das musst du zugeben.“

„Im Moment würde ich für ein paar Tage ohne Katastrophen viel geben.“

„Du hattest es wirklich nicht leicht in den letzten Wochen.“

Er zuckte die Achseln. „Tja, da kann man wohl nichts machen. Fühlst du dich noch wohl in deiner Wohnung?“

„Ja, sehr. Es ist wirklich sehr bequem mit den vielen Restaurants in der Nähe. Dieses Wochenende wollte ich die Gegend mal etwas genauer erkunden. Bis jetzt kenne ich nur mein Büro, meine Wohnung und die Pizzeria gleich gegenüber.“

Jack musste wirklich an sich halten, um sich ihr nicht als Führer anzubieten. Normalerweise ging er samstags morgens mit Charlie in den Park, aber ein ausgedehnter Spaziergang würde dem Hund auch gefallen. Sie könnten …

Nein, sagte er sich. Samantha hatte deutlich gezeigt, dass sie nicht interessiert war. Er würde sie nicht weiter bedrängen.

„Im Internet findest du viele Infos und Tipps über die Stadt“, sagte er stattdessen neutral. „Sehenswürdigkeiten, Vorschläge für Rundgänge und so was.“

„Danke“, erwiderte sie ein wenig überrascht. „Da werde ich mal nachschauen. Aber wenn du nichts vorhast, könnten wir vielleicht …“

Mrs. Wycliff klopfte an den Türrahmen. „Mr. Hanson, Sie haben einen Anruf von Mr. Baynes.“

Sofort stand Jack auf. „Entschuldige“, sagte er. Ihm war bewusst, dass Samantha eben hatte vorschlagen wollen, am Wochenende gemeinsam etwas zu unternehmen. Und obwohl er nur allzu gern mehr Zeit mit ihr verbracht hätte, wusste er, dass das ein Riesenfehler sein würde.

Am Samstag kleidete sich Samantha passend zum kühlen trockenen Wetter und suchte alles zusammen, was sie für eine ausgedehnte Erkundungstour brauchen würde. Auf dem Weg nach draußen dachte sie kurz daran, bei Jack vorbeizugehen und ihn zu fragen, ob er nicht mitkommen wollte, aber sie hatte das Gefühl, dass er ablehnen würde.

Warum nur störte es sie so, dass er es offenbar endlich aufgegeben hatte, mehr für sie zu sein als ihr Chef? Immerhin hatte sie ihm gegenüber nur allzu deutlich gemacht, dass sie nicht interessiert war.

Genug davon, dachte sie, als sie aus dem Gebäude trat. Für den Rest des Tages würde sie einfach nicht mehr an Jack denken, sondern einfach ihren freien Tag genießen und …

Jemand stieß sie von hinten in die Kniekehlen, und als sie sich umdrehte, sah sie Charlie. Der Border Collie schien sie anzugrinsen und bellte zur Begrüßung.

„Guten Morgen“, sagte Jack. In seinen ausgeblichenen Jeans und einem Sweatshirt sah er jungenhaft und zum Anbeißen aus.

„Hi.“

„Gehst du auf Entdeckungstour?“

Samantha deutete stolz auf ihren Lederrucksack. „Ich habe alles dabei, was ich brauche. Stadtpläne, Trinkwasser, Geld fürs Taxi, falls ich mich verlaufe.“

„Ist ein guter Tag dafür, heute wird es nicht zu heiß.“

Eine verlegene Pause entstand. „Und du gehst mit Charlie in den Park?“, fragte sie schließlich.

Er nickte. „Jeden Samstag, bei jedem Wetter.“

Abwesend kraulte sie dem Hund die Ohren. Es wäre nur vernünftig, wenn jetzt jeder seiner Wege ging. Aber sie fühlte sich irgendwie allein. Außerdem mochte sie Jack und wollte wenigstens ihre Freundschaft genießen.

„Kann auch ein Nicht-Hundebesitzer mitkommen?“, fragte sie.

Nach kurzem Zögern lächelte er. „Aber sicher. Wenn mein Arm vom Frisbeewerfen lahm wird, kannst du übernehmen.“

„Gern.“ Nebeneinander gingen sie los. „Wie bist du eigentlich zu Charlie gekommen?“, fragte sie. „Bist du mit Hunden aufgewachsen?“

„Nein, ich wollte eigentlich gar kein Haustier, aber dann hat mich ein Kollege aus der Kanzlei zum Essen eingeladen. Später erfuhr ich, dass das nur ein Vorwand war. Seine Hündin hatte Junge bekommen, und er suchte ein Zuhause für sie. Charlie und ich kamen uns beim Tauziehen näher.“

Samantha lachte. „Wer hätte gedacht, dass ein hartgesottener Anwalt so leicht rumzukriegen ist.“

„Verrat das bloß keinem. Ein paar Wochen später zog Charlie bei mir ein, und ich fand schnell heraus, dass kleine Hunde eine Menge Arbeit machen. Ein Jahr lang hat er alles angenagt, was er nur kriegen konnte. Dann habe ich mit ihm eine Hundeschule besucht, und seitdem verstehen wir uns besser.“

Sie blieben an einer Ampel stehen, wo der Hund geduldig wartete, bis es grün wurde.

Auf der anderen Seite betraten sie den Park und durchquerten eine große baumbestandene Fläche, bis sie zu einem Rasenplatz kamen, auf dem bereits einige andere Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern spielten. Jack suchte einen sonnigen Platz und stellte seinen Rucksack ab.

„Du hast Zubehör mitgebracht“, staunte Samantha. „Was genau treibt ihr hier eigentlich?“

Jack zog eine Decke und einen Ball aus dem Rucksack. „Die Decke ist für mich“, betonte er. „Der Ball für Charlie. Wir fangen damit an und arbeiten uns dann zum Frisbee hoch.“

Nachdem er Charlies Leine gelöst hatte, warf er den roten Gummiball. Charlie rannte sofort los, nahm ihn auf und kam damit zurück.

„Ich bin beeindruckt“, gab Samantha zu.

Charlie kam auf sie zugestürmt und legte ihr den Ball zu Füßen. Sie verzog das Gesicht. „Ich werfe wie ein Mädchen“, erklärte sie dem Hund. „Du wirst keine Freude mit mir haben.“

Jack lachte. „Na los, trau dich. Er ist nicht anspruchsvoll.“

„Das sagst du, aber ihr habt mich noch nicht werfen sehen.“

Sie hob den etwas glitschigen Ball auf, holte tief Luft und warf ihn, so weit sie konnte. Er flog etwa ein Drittel so weit wie vorher. Charlie blickte sie an, als wollte er fragen, ob das wirklich ihr bester Wurf war, bevor er hinterherjagte. Als er diesmal zurückkam, legte er den Ball wieder vor Jack ab.

„Von wegen ‚nicht anspruchsvoll‘“, murmelte sie.

Jack lachte und warf den Ball erneut.

Sie setzten sich auf die Decke, und Samantha genoss die Morgensonne und die friedliche Atmosphäre im Park. Familien waren mit ihren Kindern unterwegs, Hunde tobten, während Jack unermüdlich den Ball warf.

Nach etwa einer Viertelstunde ließ sich Charlie neben ihnen nieder.

„Er macht nur eine Pause“, verriet Jack. „Danach kommen wir zum Frisbee. Das musst du sehen, er fängt fast jedes Mal.“

Samantha kraulte den weichen Hundebauch. „Ich kann’s kaum abwarten.“

„Er wird sich für dich besonders ins Zeug legen.“

„Das hoffe ich doch.“

Charlie leckte ihr den Arm, wedelte mit dem Schwanz und schloss genüsslich die Augen.

„Was für ein Leben“, sagte sie. „Ich habe mich in New York schon immer gewundert, wie die Hunde es in der Stadt aushalten, aber Charlie fehlt es ja wirklich an nichts.“

„Soll das eine Anspielung auf die Hundetagesstätte sein?“, fragte Jack misstrauisch.

„Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich mich darüber lustig machen?“ Samantha bemühte sich um einen ernsten Gesichtsausdruck.

„Irgendwie glaube ich dir nicht, also wechseln wir lieber das Thema. Vermisst du New York?“

„Ja, schon. Die Stadt ist einfach toll. Aber ich fühle mich hier auch wohl. Es ist eine andere Atmosphäre, aber im positiven Sinne. In New York hatte ich immer das Gefühl, ich müsste irgendwohin oder etwas tun, damit ich nichts verpasste, aber hier ist das Leben ruhiger.“

„Und vermisst du deinen Ex?“

Es war eine diskrete Art, auf ihre Scheidung zu sprechen zu kommen, und wenn überhaupt jemand, dann hatte Jack ein Recht, sie danach zu fragen.

„Nein“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Die Ehe war schon lange kaputt, bevor ich ihn verließ. Leider habe ich es nur nicht gemerkt.“

„Und sah er das auch so?“

„Nein. Vance war nicht besonders glücklich darüber, dass ich ging.“ Sie dachte an ihre Streitereien, seine Drohungen und sein Gebrüll. „Aber ich konnte ihm nicht mehr vertrauen, und wenn das Vertrauen erst zerstört ist, geht gar nichts mehr.“

„Er hat dich betrogen?“

„Nicht im herkömmlichen Sinn“, erklärte sie. „Ich habe Vance bei der Arbeit kennengelernt – ich betreute damals ein gemeinnütziges Projekt. Er ist Herzspezialist und hat einen ausgezeichneten Ruf. Jeder hielt uns für das perfekte Paar. Ich auch. Er war geschieden, hatte aber noch engen Kontakt zu seinen Kindern. Das beeindruckte mich.“

„Du hast dir immer Kinder gewünscht“, sagte Jack. „Darüber haben wir früher oft gesprochen.“

Samantha lachte. „Richtig. Du meintest, zwei wären genug, und ich wollte vier. Drei fandest du blöd, weil man mit einer ungeraden Zahl beim Reisen Schwierigkeiten hat. Du warst immer so praktisch veranlagt.“

„Es stimmt doch auch. Versuch mal ein Hotelzimmer mit fünf Schlafgelegenheiten zu finden.“

„Okay, ein Punkt für dich. Aber jedenfalls wusste Vance auch, dass ich Kinder wollte. Wir hatten ausgiebig darüber gesprochen.“

Das hat sogar den Ausschlag gegeben, dachte sie bitter. Dass er einverstanden war. „Wir hatten sogar schon Namen ausgesucht.“

„Und er hat seine Meinung geändert?“

„Schlimmer. Er hat gelogen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich war so dumm. Wir hatten beschlossen, noch ein bisschen zu warten, unsere Ehe erst zu genießen. Als ich dann anfangen wollte, es zu versuchen, schob er es immer wieder auf, aber ich dachte mir nichts dabei. Schließlich brachte ich ihn dazu, zuzustimmen, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war.“

Es gab noch andere Gründe, warum sie Vance schließlich verlassen hatte, aber dieser hier war am einfachsten zu erklären.

„Es vergingen Monate, und nichts tat sich. Ich sprach mit meinem Frauenarzt, der einige Tests durchführte. Natürlich dachte ich automatisch, dass es an mir lag, schließlich hatte Vance schon eigene Kinder. Aber bei mir war alles in Ordnung, und irgendwann sollte auch Vance sich untersuchen lassen. Er weigerte sich jedoch monatelang und rückte erst dann mit der Wahrheit heraus: Er hatte sich nach der Geburt seines jüngsten Sohnes sterilisieren lassen. Und mich die ganze Zeit belogen.“

Auf so ein Ende ihrer Geschichte war Jack nicht gefasst gewesen. „Samantha, das tut mir leid“, sagte er.

„Mir auch.“ Samantha kraulte Charlie den Bauch. „Ich war so wütend, aber vor allem war ich verletzt. Warum hatte er mir nicht die Wahrheit gesagt, als wir anfingen, miteinander auszugehen? Aber nein, er log. Und noch schlimmer, er ließ mich eine ganze Weile in dem Glauben, ich könnte keine Kinder bekommen. Machte sogar Andeutungen darüber, dass seine erste Frau keine Probleme gehabt hätte, von ihm schwanger zu werden.“

Jack wusste nicht, was er sagen sollte. Das Verhalten des Mannes konnte er sich nicht erklären. Warum hatte er bei etwas gelogen, das früher oder später sowieso herauskommen würde? Warum hatte er Samantha geheiratet, wenn er wusste, dass sie unbedingt Kinder wollte und er nicht?

„Und was hat er dazu gesagt?“

„Nicht viel. Das machte alles noch viel schlimmer. Er war nie bereit, Fehler einzugestehen oder überhaupt einzusehen, dass er im Unrecht war. Es tat unglaublich weh, die Wahrheit herauszufinden. Es war, als hätte ich ihn nie wirklich gekannt, als hätte ich mich total in ihm getäuscht. Ich hielt ihn für etwas Besonderes, und er war nichts als ein elender Lügner.“

Noch immer konnte er in ihren Augen sehen, wie verletzt sie war. Es dauerte wahrscheinlich lange, bis man so einen Verrat verarbeitet hatte, zumal er ein wenig von ihrer Vergangenheit wusste: Ihr Vater war ohne Vorwarnung eines Tages einfach verschwunden und hatte sie und ihre Mutter sitzen lassen. Kein Wunder, dass sie Männern gegenüber misstrauisch war.

„Aber lass uns über etwas Angenehmeres reden“, schlug sie mit einem zittrigen Lächeln vor. „Über dich zum Beispiel. Ein erfolgreicher Anwalt, was? Wer hätte das gedacht.“

„Es ist das, was mir Spaß macht.“

„Aber es ist so trocken.“

Er grinste. „Für mich nicht.“

„All die dicken Bücher, die man lesen muss, Präzedenzfälle, Gesetze – damit könnte ich absolut nichts anfangen.“

„Ganz zu schweigen von der langweiligen Kleidung“, bemerkte er.

„Allerdings. Ständig dunkle Anzüge, da bekommt man ja Depressionen. Was hast du vor? Willst du Seniorpartner werden?“

„Das wäre eine Möglichkeit.“

„Und die andere?“

„Ich würde gern ein Richteramt übernehmen.“

Samantha streckte die Beine aus und stützte sich auf der Decke auf. „Wow, das ist ziemlich cool. Ich glaube, du wärst ein sehr guter Richter. Du bist besonnen und siehst immer alle Seiten. Wenn nur die Roben nicht so schwarz wären.“

Er lachte. „Jeder Beruf hat seine Schattenseiten.“

„Richter Hanson.“ Samantha ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. „Das klingt gut. Umso mehr ein Grund, der Hanson Media Gruppe so schnell wie möglich den Rücken zu kehren.“

„Eben.“

„Was bedeutet, dass jede neue Katastrophe in der Firma dich persönlich betrifft, weil es dich davon abhält, deine Träume wahr zu machen. Das muss hart für dich sein.“

Es überraschte ihn nicht, wie gut sie ihn verstand. Sie hatten niemals Kommunikationsprobleme gehabt, denn zu ihrer Freundschaft gehörten lange Nächte, in denen sie diskutierten, sich stritten und Gemeinsamkeiten suchten.

„Drei Monate habe ich dem Aufsichtsrat zugestanden“, sagte er. „Mehr nicht.“

„Die Firma wird ohne dich nicht dieselbe sein“, erklärte sie. „Aber ich kann verstehen, warum du gehen willst.“

Charlie stand auf, streckte sich und schaute sehnsüchtig zum Rucksack. Lachend erhob sich Jack, holte das Frisbee heraus und warf es, so weit er konnte. Charlie rannte hinterher und fing es im Flug auf.

Samantha klatschte in die Hände. „Hast du das gesehen? Er ist unglaublich. Fängt er jedes Mal so toll?“

„Meistens. Border Collies sind sehr wendig.“

„Ja, das sieht man.“

Charlie brachte die Scheibe zurück und legte sie Jack zu Füßen, der sie diesmal noch weiter warf.

„Wahnsinn“, staunte Samantha und sprang auf. „Das ist doch mal ein toller Zeitvertreib für einen Samstagmorgen. Kommst du immer hierher?“

„Manchmal joggen wir auch am See entlang. Den musst du auch unbedingt sehen. Du wirst jede Menge toller Sachen hier entdecken.“

„Bestimmt“, sagte sie abwesend, während sie dem Hund zusah. „Aber da ich nicht Auto fahre, komme ich nicht überall hin.“

„Was? Hast du kein Auto oder keinen Führerschein?“

„Weder noch. Vergiss nicht, ich habe die meiste Zeit meines Lebens in Manhattan gelebt, da ist ein Auto eher hinderlich.“

„Du kannst wirklich nicht Auto fahren?“, wiederholte er ungläubig. So was hatte er noch nie gehört.

„Auch wenn du die Frage noch drei Mal wiederholst, die Antwort wird sich nicht ändern“, bemerkte sie. „So ungewöhnlich ist das doch auch wieder nicht.“

„Soll ich es dir beibringen?“

Er hatte ganz automatisch gefragt, ohne groß darüber nachzudenken. Sofort bereitete er sich innerlich auf ihre übliche Abfuhr vor.

„Ich habe gesehen, was du für einen Schlitten fährst“, erwiderte sie. „Da würde ich ja vor Angst sterben, was kaputt zu machen.“

War das ein Ja?

„Ich könnte eine Rostlaube besorgen.“

„Wirklich? Das wäre etwas anderes.“ Sie betrachtete ihn prüfend. „Du würdest mich nicht anschreien, oder?“

„Das ist nicht meine Art.“

Charlie bellte, um ihn daran zu erinnern, das Frisbee zu werfen, doch Jack ignorierte ihn.

„Dann danke für das Angebot“, sagte sie. „Ich nehme sehr gerne an. Aber wenn du es dir anders überlegst, musst du es mir sagen. Ich will nicht, dass du irgendwas machst, wozu du gar keine Lust hast.“

„Das ist auch nicht meine Art.“

Sie lachte. „Jack, im Augenblick arbeitest du in einem Job, den du hasst, weil du glaubst, du müsstest es tun.“

Als er merkte, dass sie recht hatte, fiel er in ihr Lachen ein. „Na ja, das zählen wir mal nicht mit.“

Wieder bellte Charlie, und er und Samantha bückten sich gleichzeitig nach dem Frisbee, das der Hund vor ihnen abgelegt hatte. Dabei stießen sie mit den Schultern zusammen und kamen ins Taumeln.

Jack drehte sich und streckte die Arme aus, um Samantha aufzufangen oder zumindest den Fall zu dämpfen. Sie landeten hart auf der Decke, und einen Augenblick blieb ihm die Luft weg.

Als er wieder zu sich kam, lag Samantha auf ihm, und er spürte den Druck ihrer Brüste auf seinem Oberkörper.

Ihre Blicke trafen sich, und etwas in ihren Augen sagte ihm, dass er sie jetzt unbedingt küssen sollte.

Es gab natürlich auch eine Menge Gründe, warum er es besser nicht tat, aber das eine Argument dafür überwog sie alle – er hatte sich einfach schon zu lange danach gesehnt.

6. KAPITEL

Samantha spürte, wie seine Lippen leicht ihre streiften. Natürlich hätte sie ihn ganz einfach aufhalten können, indem sie etwas sagte oder aufstand. Es wäre das Vernünftigste gewesen. Doch sie bewegte sich nicht, hauptsächlich deswegen, weil sie sich noch so lebhaft an seine Küsse in jener einen Nacht erinnerte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie in ihrer Fantasie viel heißer waren als in Wirklichkeit. Wenn sie Jack jetzt küsste, hatte sie wenigstens eine Vergleichsmöglichkeit.

Als sie stillhielt, umfasste er ihr Gesicht mit den Händen, dann küsste er sie wieder, diesmal leidenschaftlicher.

Samantha spürte, wie Wärme in ihr aufstieg und ihr Herzschlag sich beschleunigte. Sie wollte Jack noch näher spüren, obwohl sie schon auf ihm lag und ihre Körper sich berührten. Auf einmal reichte ihr selbst das nicht mehr. Sie wollte alles.

Als er ihr das Haar aus dem Gesicht schob und seine Finger in ihren Locken vergrub, schmiegte sie sich noch enger an ihn. Sie spürte seine heißen Lippen auf ihren und erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, die sie selbst überraschte. Ungeduldig wünschte sie sich, er würde aufhören, mit ihrem Haar zu spielen, und sie stattdessen berühren … überall.

Als ihre Zungen sich trafen, hatte sie das Gefühl, sich aufzulösen. Endlich ließ er seine Hände ihren Rücken hinunterwandern und begann, sie zu streicheln, und sie reagierte darauf, indem sie unwillkürlich die Hüften bewegte. Dabei spürte sie, dass auch er mehr als bereit für sie war.

Nur zu gut erinnerte sie sich daran, wie er sie in jener Nacht berührt und liebkost hatte – überall. Sie wusste wieder genau, wie er nackt aussah und wie oft sie sich damals geliebt hatten. Nichts hatte sie damals mehr gewollt als eine Wiederholung dieser wunderbaren Nacht, doch sie hatte der Versuchung widerstanden, weil sie wusste, dass er ihr das Herz brechen würde.

Zu dumm, dass sich daran bis heute nichts geändert hatte. Vergeblich versuchte sie sich einzureden, dass sie ja gar nicht an einer Beziehung interessiert war, sondern nur daran, wie fantastisch sie körperlich zusammenpassten. Wer sagte denn, dass …

Ein anhaltendes Bellen brachte sie schließlich zur Vernunft, und als sie den Kopf hob, blickte sie direkt auf Charlies Nase.

Unter ihr stöhnte Jack: „Ich glaube, ich muss mit dem Hund mal ein ernstes Wort reden.“

Erst jetzt wurde Samantha bewusst, dass sie sich in einem öffentlichen Park befanden und sich ziemlich ungebührlich aufführten. Schweigend rollte sie sich auf die Decke und stand dann schnell auf.

Jack folgte ihr langsam. Abwesend griff er nach dem Frisbee und warf es, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen.

„Es ist helllichter Tag, und wir sind im Park“, sagte sie, mehr zu sich selbst. Das war selbst für sie äußerst ungewöhnlich. Normalerweise bestand sie immer darauf, dass gewisse Dinge im Bett und bei Dunkelheit stattfanden. Die einzige Ausnahme von dieser Regel stand zufällig gerade neben ihr.

„Niemand hat uns gesehen“, beruhigte Jack sie.

Es war wie immer. Solange sie Jack widerstand, war alles in Ordnung, aber wenn sie auch nur eine Sekunde lang nachgab, verlor sie völlig den Kopf.

„Ich sollte dich und Charlie wohl besser weiterspielen lassen“, meinte sie lahm.

In seinen dunklen Augen glühte Leidenschaft. „Das musst du nicht.“

„Es ist besser so.“

Er presste die Lippen aufeinander. „Lass mich raten. Du bereust, was passiert ist?“

Sein resignierter Tonfall traf sie mehr als seine Worte. Offenbar erwartete er geradezu, dass sie einen Rückzieher machte – weil sie das immer tat. Sie hatte ihre Gründe dafür, aber wenn es nach ihr ging, würde er die nie erfahren.

„Danke für alles“, sagte sie und versuchte ein Lächeln. „Bis Montag.“

Sie zögerte, ging dann aber, als er nichts sagte. Erwartete sie etwa, dass er sie aufhielt? Das war unwahrscheinlich, nachdem sie ihn so oft hatte abblitzen lassen.

Jack blickte ihr nach. Wie immer sandte Samantha widersprüchliche Signale aus. War das der Grund dafür, dass er sie so sehr begehrte – dass er nie wusste, woran er bei ihr war?

„Das ist ja nicht gerade die beste Voraussetzung für eine Beziehung“, murmelte er vor sich hin, während er für Charlie das Frisbee warf.

Immerhin war er sich jetzt sicher, dass Samantha ihn ebenso begehrte wie er sie. Das hatte er deutlich gespürt. Zwar war sie davon offenbar nicht gerade begeistert, aber wenigstens fand sie ihn nicht völlig abstoßend.

Lag es an ihm, oder wäre sie vor jedem Mann davongelaufen? Doch eigentlich spielte das ja wohl keine Rolle. Seltsam, dass er sich eigentlich für ziemlich intelligent hielt, nur versagte sein Verstand regelmäßig, wenn es um Samantha ging. Schließlich glaubte er nicht, dass sie Seelenpartner waren, und an einer langfristigen Beziehung war er sowieso nicht interessiert.

Wozu also die ganze Mühe? Er wollte Sex mit ihr, und zwar nicht nur für eine Nacht. Er hielt es immer so, dass er sich eine Gefährtin für einige Monate aussuchte, dafür sorgte, dass sie beide ihren Spaß hatten, und dann wieder auseinandergingen, wenn einer von ihnen sich eingeengt fühlte.

Allerdings wäre Samantha für so etwas wahrscheinlich nicht zu haben. Besser, er vergaß die ganze Sache endlich.

Samantha hatte den Rest des Wochenendes damit verbracht, sich selbst ins Gewissen zu reden. Also schön, sie hatte Angst, verletzt zu werden, aber deshalb musste sie sich nicht gleich wie eine Idiotin benehmen. Entweder sie war an Jack interessiert oder nicht, aber ihm widersprüchliche Signale zu geben war nicht fair. Jack hatte ein Recht auf eine Entschuldigung.

Auf dem Weg zu seinem Büro straffte sie die Schultern und nahm allen Mut zusammen, dann ging sie am leeren Schreibtisch von Mrs. Wycliff vorbei direkt auf die Tür zu, trat ein und schloss sie dann sorgfältig wieder hinter sich.

„Hi, Jack“, begann sie. „Ich wollte dir nur sagen, dass …“

Entsetzt blieb sie mitten im Raum stehen. Er saß am Konferenztisch, das Lautsprechertelefon vor sich, war umgeben von Aktenstapeln und sah aus, als hätte er schreckliche Neuigkeiten erfahren.

„Was ist passiert?“, rief sie und eilte an seine Seite. „Bist du okay?“

Er zuckte die Achseln. „Alles in Ordnung. Ich hatte nur gerade eine Telefonkonferenz mit einigen Investoren und Anlegern. Es lief nicht sonderlich gut.“

Sofort fühlte sich Samantha noch schlechter. Er hatte wirklich schon genug Sorgen, und sie quälte ihn auch noch an den Wochenenden.

„Das tut mir leid“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber. „Sie hatten wohl viele Fragen?“

„Oh ja, und auch jede Menge Vorschläge, von denen die meisten nichts taugten. Aber dafür werde ich ja wohl so gut bezahlt, was? Damit ich den Prügelknaben spiele.“

Nur, dass Jack weder an dem Geld noch an dem Job interessiert war.

„Aber deshalb bist du nicht hier“, fuhr er fort. „Was gibt’s?“

„Ich wollte dir nur sagen, wie leid es mir tut, was am Samstag …“

„Stopp“, unterbrach er sie. „Das ist nicht nötig.“

„Aber ich möchte es dir gerne erklären. Es war nicht so, wie du denkst.“

Als er die Augenbrauen hob, seufzte sie. „Also schön, vielleicht ist es so, wie du denkst. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich will, aber ich arbeite daran. Du darfst nicht glauben, dass es an dir liegt, denn das tut es nicht. Es liegt an mir – und daran, wer du bist. Allerdings nicht daran, wie du bist.“

Er lächelte. „Das war jetzt nicht sehr logisch, aber das macht nichts. Vergessen wir’s einfach, okay? Es hat dir nicht gefallen, was passiert ist, und das kann ich akzeptieren.“

Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass ihr der Kuss sehr wohl gefallen hatte, aber das wäre nicht sehr hilfreich gewesen. „Du drückst alle meine Alarmknöpfe“, sagte sie stattdessen. „Weil du teilweise dieselben Eigenschaften hast wie mein Exmann.“

„Und nicht unbedingt die guten, was?“, sagte Jack.

„Leider nicht.“

„Das ist wohl Pech.“ Er blickte aus dem Fenster auf die Skyline, die von schweren Regenwolken verhangen war. „Das Leben wäre wirklich ohne Beziehungen viel einfacher.“

„Aber dann wären wir wie Roboter.“

„Oder sehr vernünftige Leute. Wie Vulkanier.“

Sie lächelte. „Spitze Ohren würden dir nicht stehen.“

„Aber ich mag ihre Philosophie. Keine Gefühle, das klingt verlockend.“

„Weil Gefühle anstrengend sind?“

„Eher unberechenbar. Als ich klein war, kam ich zum Beispiel wirklich toll mit meinen Brüdern aus. Mein Vater war immer bei der Arbeit, also hingen wir drei zusammen wie die Kletten und ärgerten das jeweilige Kindermädchen.“

„Ihr wart bestimmt eine Landplage.“

„Erfindungsreich und nicht müde zu kriegen. Aber ich weiß einfach nicht, warum wir drei auf einmal keine Familie mehr waren. David sagt das schon lange. Wir halten nicht zusammen, wir unterstützen uns nicht gegenseitig. Natürlich kann ich meinem Vater die Schuld daran geben, aber immerhin sind wir mittlerweile erwachsen, und er lebt nicht mehr. Wir brauchen eine neue Ausrede.“

„Vielleicht ja auch nur eine Gelegenheit, um wieder zusammenzukommen. Möchtest du denn wieder engeren Kontakt zu deinen Brüdern?“

Jack nickte. „Vielleicht könnten wir zusammen einen Weg aus diesem Schlamassel finden. Aber Evan und Andrew rufen nicht einmal zurück. Zur Testamentseröffnung muss ich sie wahrscheinlich mit Gewalt herschleppen. Das ist doch einfach verrückt.“

„Aber sie werden kommen, und dann kannst du mit ihnen reden.“

„Ich weiß ja nicht einmal mehr, was ich sagen soll. Ist das nicht traurig?“

„Vielleicht solltest du mal mit Helen sprechen“, schlug Samantha vor. „Ihr fällt vielleicht ein Weg ein.“

„Nein, danke.“

Samantha hatte den Vorschlag gemacht, weil sie Jack wirklich helfen wollte, und fühlte wieder Ärger in sich aufsteigen. „Was ist bloß los mit dir? Warum gibst du ihr nicht wenigstens eine Chance? Sie hat dir nie etwas getan. Sag mir nur einen Anlass, wo sie sich dir gegenüber nicht korrekt verhalten hat.“

„Es gibt keine konkreten Beispiele.“

„Was ist es also dann? Du hast gesagt, dass du mir vertraust und aufhören wirst, so schlecht von ihr zu denken.“

„Ich denke doch gar nicht schlecht von ihr.“

„Ach nein? Und warum redest du dann nicht mit ihr? Sie ist sehr intelligent. Du könntest sie auch wegen der Probleme mit der Firma um Hilfe bitten.“

„Mein Vater hat diese Dinge bestimmt nicht mit ihr besprochen.“

„Und woher willst du das wissen?“

„Er hat sich niemandem anvertraut.“

„Soviel du weißt. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass er sie vielleicht geheiratet hat, gerade weil sie intelligent ist und gute Ideen hat? Damit er einen Ansprechpartner hatte, wenn es Probleme gab?“ Samantha hob beide Hände. „Ich sage, nicht dass es so gewesen sein muss. Aber wir können es eben nicht wissen. Du behandelst Helen, als wäre sie eine Wasserstoffblondine, die dein Vater wegen ihrer Brüste geheiratet hat. Das ist dumm von dir, Jack. Du hast womöglich eine Verbündete und weigerst dich, mit ihr zu reden.“

„Du bist eine sehr loyale Freundin.“

„Helen verdient das auch. Wirst du wenigstens darüber nachdenken?“

„Versprochen.“

Sie wusste, dass er es ernst meinte, trotzdem verstand sie nicht, wie es überhaupt so weit hatte kommen können.

„Ich kenne mich mit großen Familien nicht aus“, gab sie zu. „Meine Mutter und ich waren immer allein.“

„Du vermisst sie bestimmt noch sehr“, meinte Jack.

Samantha nickte. Vor allem die Zeit kurz vor der Scheidung war schlimm gewesen. „Wir hatten immer eine enge Bindung, und nachdem mein Vater uns verlassen hat, schlossen wir uns noch enger zusammen. Wenn man sich gemeinsam darum sorgen muss, wo man die nächste Mahlzeit herbekommt, hat man keine Zeit, sich über Kleinigkeiten zu streiten.“

„Der Mann war ein Mistkerl“, bemerkte Jack. „Hast du je wieder mit ihm gesprochen?“

„Ich habe es versucht, aber er verweigerte den Kontakt. Irgendwann habe ich es dann aufgegeben. Er hatte einfach kein Interesse an mir. Wie ich hörte, ist er inzwischen auch gestorben.“

„Um ihn tut es mir nicht leid.“

„Ich frage mich nur immer, was man hätte ändern können. Ich wollte ja kein Geld von ihm, sondern nur eine Beziehung zu meinem Vater. Aber das hat er offenbar nie begriffen. Warum sind solche Sachen bloß so schwierig?“

„Da fragst du den Falschen.“

Samantha stand auf. „Ich glaube, jetzt habe ich dir genug Zeit gestohlen. Ich wollte mich ja nur entschuldigen.“

„Nicht nötig.“

„Danke, Jack.“

Als sie ging, war sie nicht sicher, ob sie die Lage verbessert oder verschlimmert hatte. Wahrscheinlich konnte sie das Problem nur lösen, wenn sie endgültig eine Entscheidung traf und konsequent blieb.

Als Jack vom Mittagessen mit dem Leiter der Finanzabteilung zurückkam, wartete Helen in seinem Büro.

Sie lächelte, als er hereinkam. „Ich war gerade in der Gegend und dachte, ich schau mal vorbei“, sagte sie.

Normalerweise hätte er sie höflich und schnellstmöglich wieder hinauskomplimentiert, aber dank des Gesprächs mit Samantha war er nun wirklich neugierig, warum seine Stiefmutter gekommen war.

Er bot ihr einen Platz auf dem Ledersofa an, und Helen setzte sich. Jack betrachtete sie zum ersten Mal genauer. Sie war eine schöne Frau, blond und nur ein paar Jahre älter als er selbst. Ihm kam sie noch immer wie die klassische Vorzeigefrau vor, allerdings trug sie statt ihrer normalerweise farbenfrohen Kleidung einen dunkelblauen taillierten Hosenanzug, hatte das Haar zu einem Knoten geschlungen und war nicht wie sonst mit teurem Schmuck behängt, sondern trug nur schlichte Ohrringe und ihren Ehering.

„Wie geht es dir?“, fragte er. „Ist im Haus alles in Ordnung?“

Sie runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Du bist ganz allein, und es ist ein großes Anwesen. Ich wollte nur wissen, ob du zurechtkommst.“

„Du machst dir doch wohl kaum Sorgen um mich.“

„Ich frage aber.“

„Also schön, es geht einigermaßen. Das Haus kommt mir natürlich schrecklich leer vor, aber dein Vater hat immer lange gearbeitet, also bin ich daran gewöhnt, dort allein zu sein.“

„Und kannst du schlafen?“

„Nicht wirklich“, seufzte sie. „Ich erwarte immer noch, dass George hereinkommt und sich entschuldigt, weil es wieder so spät geworden ist. Aber er kommt natürlich nicht.“ Sie lächelte traurig. „Genug davon. Deshalb bin ich nicht hier. Ich wollte eigentlich fragen, wie es dir geht. Du hast harte Wochen hinter dir.“

„Du hast wohl Zeitung gelesen.“

„Alle, die ich kriegen konnte. Zum Glück wurde die Sache in den überregionalen kaum erwähnt, aber die Lokalpresse war schlimm genug. Es tut mir so leid, Jack, ich wünschte, ich könnte helfen.“

„Wusstest du von den gefälschten Bilanzen?“ Er beobachtete sie bei ihrer Antwort genau, doch sie verzog keine Miene.

„Nein. George hat mit mir nicht oft über die Firma gesprochen. Ich hätte es gern gehabt, weil es mich interessierte, aber es lag ihm einfach nicht. Ich fand ihn im letzten Jahr sehr angespannt, und ich wusste, dass es Probleme gab. Dass es so schlimm steht, war mir allerdings nicht klar.“

Jack wollte ihr gerne glauben, zumal Helen bis zur Testamentseröffnung die Verfügungsgewalt über die Aktienanteile seines Vaters hatte. Auch noch innerhalb der Firma gegen jemanden kämpfen zu müssen wäre einfach zu viel gewesen.

„Weißt du, was in seinem Testament steht?“, fragte er geradeheraus.

„Nein. Auch das hat er nicht mit mir besprochen.“

„Worüber hat er überhaupt geredet?“

„Alltägliche Dinge.“ Sie schlug die Beine übereinander. „Jack, ich bin nicht dein Feind. Ich habe immer geglaubt, dass alles besser würde, wenn du, dein Vater und deine Brüder sich nur versöhnen könnten.“

„Das ist sehr großherzig von dir.“

Sie seufzte. „Also bist du immer noch gegen mich.“

„Ich kenne dich überhaupt nicht. Wieso sollte ich gegen dich sein?“

„Das wüsste ich auch gern“, sagte sie überraschenderweise. „Ich wollte dich und deine Brüder wirklich gerne kennenlernen, und ich habe euch alle drei mehrmals eingeladen. Aber du bist als Einziger überhaupt gekommen, und das auch nur einmal.“

Jack erinnerte sich an das unangenehme Abendessen. Sein Vater hatte die ganze Zeit darüber geredet, wie falsch es von Jack war, sich für eine Karriere als Anwalt zu entscheiden, wenn er für die Hanson Media Gruppe arbeiten konnte, und dass er niemals Erfolg haben würde. Noch vor dem Hauptgang war Jack gegangen.

„Man kam nicht leicht mit ihm aus“, bemerkte er.

„Ich weiß, aber das hat er nicht mit Absicht gemacht. Er wollte, dass du glücklich bist.“

„Ach ja? Er wollte, dass ich die Firma leite, ganz gleich, wie ich darüber denke.“

„Und hier bist du nun“, sagte sie leise.

„Ich Glückspilz.“

„Ich wünschte, die Dinge lägen anders“, sagte sie. „Vor allem wünschte ich, er wäre noch am Leben. Nicht nur für mich, sondern auch für dich. Dann müsstest du nicht hier sein.“

„Was bleibt mir schon übrig“, sagte Jack mürrisch.

„Du bist auch am besten geeignet. Es tut mir leid, dass dich das von deiner Berufung abhält, aber die Firma ist auch wichtig. Wir müssen alle Opfer bringen.“

„Bisher scheine ich aber der Einzige zu sein, der Opfer bringt. Ich wüsste zu gerne, was in dem Testament steht. Vielleicht hat er ja alles dir hinterlassen, und wenn ich genügend Fehler mache, feuerst du mich.“

Sie schüttelte den Kopf. „Darauf würde ich nicht wetten. George hat immer gern für Überraschungen gesorgt, er hat bestimmt kein langweiliges Testament verfasst.“

Das glaubte er ihr aufs Wort. „Wenn er die Firma mir hinterlassen hat, verkaufe ich sie“, erklärte er.

„Einfach so?“, fragte Helen entsetzt. „Die Firma war sein Leben.“

„Das weiß ich besser als jeder andere, dich vielleicht ausgenommen.“

„Ich habe ihn geliebt, ich kann ihm seine Fehler verzeihen.“

Jack entging nicht der subtile Hinweis, dass er das auch tun sollte. Am liebsten hätte er Helen gefragt, wie man so was machte. Wie Helen ihr Herz einem Mann hatte schenken können, für den sie immer an zweiter Stelle gekommen war. Aber wozu? Seiner Erfahrung nach verschwanden Menschen, die einen eigentlich lieben sollten, sowieso immer – sie arbeiteten ständig, verließen einen oder starben. Am Ende blieb man immer allein.

7. KAPITEL

Samantha war sich sicher, dass die Fahrstunde katastrophal verlaufen würde.

„Na, bekommst du Zweifel?“, fragte Jack, der auf dem Beifahrersitz des alten VW saß. Sie standen auf einem leeren Parkplatz.

„Mehr als das. Ich bin schon bei Bedauern und Reue angekommen“, erklärte sie.

„Du machst das schon. Es ist ganz einfach. Denk daran, wie viele Leute komplett verrückt sind und trotzdem Auto fahren können.“

„Ich werde mich kaum besser fühlen, wenn ich daran denke, dass nur Irre die Straßen bevölkern“, erwiderte sie. „Lass uns doch lieber an all die sicheren verantwortungsbewussten Fahrer denken.“

„Es gibt viele davon, und du wirst auch einer werden. Du musst dich nur entspannen.“

Toller Ratschlag. Verzweifelt blickte Samantha durch die Windschutzscheibe, ob nicht ein plötzlicher Regenguss die Fahrstunde vereiteln würde, doch der Himmel war wolkenlos.

„Du musst das nicht tun“, sagte sie. „Ich kann auch einen Fahrlehrer engagieren.“

„Ich tue das gern. Es wird Spaß machen.“

Ja, ihm vielleicht. Samantha umschloss das Lenkrad mit beiden Händen. „Ich glaube, ich kann das nicht.“

„Na klar kannst du das. Du hast Angst, das ist verständlich, aber wenn du erst mal darüber hinweg bist, wird es prima laufen. Denk an dein Ziel – du wirst unabhängig sein von Zügen und Bussen und kannst überall hinkommen. Du bist frei. Schließ die Augen.“

Irritiert blickte Samantha zu ihm hinüber. „Ich bin zwar blutiger Anfänger, aber selbst ich weiß, dass das kein sonderlich kluger Ratschlag ist.“

Er lachte. „Bevor wir losfahren, kannst du sie wieder aufmachen. Also los.“

Sie gehorchte.

„Nun stell dir vor, dass du auf einer Autobahn fährst, mit breiten Fahrspuren. In der Mitte ist eine Leitplanke, du brauchst dir also keine Sorgen um den Gegenverkehr zu machen. Es sind nur ein paar Autos unterwegs, und keins ist in deiner Nähe. Es ist ein wunderschöner Tag, du fährst nach Norden, nach Wisconsin. Kannst du es dir vorstellen?“

Sie gab sich Mühe, sich auf das Bild der Straße zu konzentrieren und nicht auf die Bäume oder Telefonmasten am Straßenrand, die sie umnieten konnte, und stellte sich vor, mühelos zu fahren, die Spur zu wechseln und sogar jemanden zu überholen.

„Jetzt stell dir vor, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Es ist eine Raststätte, und du parkst und steigst aus. Du fühlst dich wohl, du bist Auto gefahren, und es war leicht.“

Mit einem tiefen Atemzug öffnete sie die Augen. „Also gut, ich bin bereit.“

„Gut. Wir haben die Grundlagen besprochen. Was hast du behalten?“

Sie gingen noch einmal die wichtigsten Schritte durch, dann schlug Jack vor, zur Praxis zu kommen. Vorsichtig ließ Samantha den Motor an, stellte das Automatikgetriebe auf „D“ und blickte in den Rückspiegel. Zum Glück waren sie auf dem Parkplatz ganz allein.

„Also los“, murmelte sie, nahm den Fuß von der Bremse und gab ein wenig Gas.

Der Wagen bewegte sich vorwärts. Es war weniger schlimm, als sie gedacht hatte.

„Blinke und biege nach rechts ab“, sagte Jack.

Als sie gehorchte, drehte sie das Lenkrad zu weit, sodass sie im Kreis fuhr.

„Tut mir leid.“

„Nichts passiert, mach dir keine Gedanken. Wir sind ja schließlich zum Üben hier. Wenn du es beim ersten Mal gleich könntest, müsstest du es ja nicht lernen.“

Er ist so gelassen und freundlich, dachte sie. Vance hätte sie jetzt schon längst angebrüllt.

„Versuch es noch einmal.“

„Okay.“ Sie fuhr geradeaus, setzte den Blinker und bog rechts ab. Der Wagen gehorchte ihr. „Wow, das war einfach.“

„Sag ich doch. Wir drehen hier noch ein paar Runden, dann fahren wir auf die Straße.“

„Die Straße?“, schrie sie entsetzt. Auf dem Rücksitz hob Charlie verschlafen den Kopf.

„Du kannst ja nicht immer nur auf einem Parkplatz deine Runden drehen.“

„Warum nicht? Es ist ein wunderschöner Parkplatz. Ich mag ihn. Hier könnte ich leben.“

„Du packst das schon. Komm, fahr weiter. Hier entlang.“

Sie fuhr noch fünf Minuten kreuz und quer auf dem Parkplatz herum, dann deutete Jack auf die Ausfahrt. „Wir sind in einem Industriegebiet, und samstags ist hier kaum jemand unterwegs. Atme tief durch, dann los.“

Mit feuchten Händen gehorchte sie. Geradeaus ging es zur Autobahn, doch sie wählte erst mal eine Seitenstraße. Morgen war auch noch ein Tag.

„Und?“, fragte er, als sie gemeinsam durch die Gemüseabteilung des Supermarkts gingen.

„Du warst wunderbar“, sagte sie. „Geduldig, ruhig und unermüdlich darin, meine Fragen zu beantworten.“

„Danke für das Kompliment, aber ich meinte das Fahren. Es war nicht so schlimm, oder?“

Es stimmte. Nach fast einer Stunde im Industriegebiet hatte sie sich sogar getraut, in die Stadt zurückzufahren.

„Du bist ein guter Lehrer.“

„Und du eine gute Fahrerin.“

Sie seufzte. „Wirklich? Wenn ich richtig gut bin, werde ich die Führerscheinprüfung machen.“

„Und dir ein eigenes Auto kaufen.“

„Oh. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Hm, vielleicht ein Cabrio?“

„Im Winter nicht sehr praktisch.“

„Oder einen Geländewagen. Die sind schön groß, und man kann alles damit transportieren.“

„Hast du denn etwas zu transportieren?“

„Äh, nein. Muss man das?“

„Nicht unbedingt.“

„Oder vielleicht einen mit Hybridantrieb? Die sind umweltfreundlich, und ich recycle immer.“

Er warf ihr einen Blick zu, als wären ihr plötzlich Hörner gewachsen.

„Was ist denn?“

„Nichts. Bist du so weit?“

Sie blickte sehnsüchtig auf die überteuerten Erdbeeren, nickte dann.

„Der Laden hier liefert auch“, bemerkte er, als er ihren schweren Korb zur Kasse schleppte.

„Ich weiß, aber ich wähle gern selbst aus. Dann kann ich mir im letzten Moment noch überlegen, was ich essen will.“

„Was? Du planst die Menüfolge nicht wochenweise im Voraus und bleibst dabei?“, fragte er.

Einen Augenblick lang blickte sie ihn fassungslos an, dann merkte sie, dass er sie aufzog. „Nein, tue ich nicht. Das wäre mehr dein Ding, oder?“

„Na, in letzter Zeit hatte ich einige Überraschungen.“

Wahrscheinlich bezog er sich auf die Firma, aber auf einmal wünschte sie sich, dass er ihren Kuss meinte.

Es war schön gewesen, wieder so zu fühlen, zu begehren und begehrt zu werden. Ihr Selbstbewusstsein hatte unter der Scheidung gelitten, und auch wenn sie im Augenblick wahrscheinlich nur auf Jack so heftig reagierte, gab ihr das doch Hoffnung für die Zukunft.

Draußen half er ihr, die Einkäufe zu verstauen, dann stieg er auf der Beifahrerseite ein. „Los geht’s“, sagte er.

„Warte, ich kann doch nicht zum Haus zurückfahren!“

„Wieso nicht, es ist doch gleich um die Ecke.“

„Aber dann muss ich einparken. Vielleicht sogar rückwärts.“

„Das kriegst du schon hin.“

Sie starrte ihn ungläubig an, aber er gab nicht nach. Schließlich stieg sie widerwillig ein. „Ich könnte auch nach Hause laufen“, murrte sie.

„Und deine Einkäufe?“

„Die könntest du tragen.“

„Werde ich aber nicht.“

Was für ein Sturkopf!

„Also schön, ich fahre, aber wenn was Schlimmes passiert, dann musst du übernehmen. Und das mit dem Abendessen, zu dem ich dich eingeladen habe, überlege ich mir noch mal.“

„Das wäre auch nicht nötig gewesen, es hat mir Spaß gemacht.“

Sie blickte ihn an und fragte sich, was in ihm vorging. Vielleicht wollte er nicht mit ihr essen?

„Ich koche gerne für dich“, sagte sie. „Aber ich kann auch verstehen, wenn du lieber nicht kommen möchtest.“

„Wir sind doch Freunde, oder?“

Sie nickte.

„Dann komme ich gern.“

Genau um sieben stand Jack bei Samantha vor der Tür, Charlie im Schlepptau. Wenn das Gespräch ins Stocken kam, konnten sie immer noch über den Hund reden. Wie blöd, dachte er. Er wollte in Bezug auf Samantha so gern alles richtig machen – ihr Chef sein und ihr Freund –, doch selbst jetzt, wo er nur vor ihrer Tür stand, spürte er schon wieder Verlangen in sich aufsteigen.

„Du bist gekommen“, sagte sie, als sie auf sein Klopfen hin öffnete.

„Gab es daran Zweifel?“

„Ich hoffe nicht. Kommt rein.“

Er ließ Charlie den Vortritt, um sich innerlich auf die Wolke von Farbe, weich fließendem Stoff und Parfum vorzubereiten, die Samantha umgab.

Sie hatte Jeans und Sweatshirt vom Vormittag gegen ein weich fallendes Top und einen langen Rock eingetauscht, dessen Saum auf ihre nackten Füße fiel, und strahlte in so vielen Farben, dass er nicht wusste, wo er zuerst hinschauen sollte.

Ihr langes lockiges Haar fiel offen über ihre Schultern, von denen eine ebenfalls nackt war, weil der weite Ausschnitt der Bluse zur Seite gerutscht war. An ihren bloßen Armen klingelten Armreifen, die Zehennägel waren bemalt, und sie trug Zehenringe.

„Ich bin froh, dass du dich gefangen hast“, bemerkte er.

„Wie meinst du das?“

„Seit du hierhergezogen bist, kamst du mir ein bisschen konservativ vor. Zwar hast du im Büroflur Basketball gespielt und bunte Farben getragen, aber es war weniger wild als früher. Heute siehst du zum ersten Mal aus wie die Samantha, die ich kenne.“

Sie lächelte. „Das ist das Netteste, was du mir je gesagt hast. Danke.“

„Gern geschehen.“

„Komm“, sagte sie und zog ihn am Arm in die Küche. „Ich habe Wein, und ich werde dem Macho in dir schmeicheln und dich die Flasche öffnen lassen.“

„Mein Lebensziel“, sagte er.

Sie ließen sich mit dem Wein und der Vorspeise im Esszimmer nieder. Charlie wählte die Couch und schlief sofort ein.

„Ich kann ihn da runterkriegen, wenn du willst“, sagte Jack. „Er ist ein toller Hund, aber er haart.“

„Kein Problem. Mit ein paar Hundehaaren wird die Wohnung gleich gemütlicher aussehen. Im Moment ist sie mir noch zu makellos.“

„Und das geht natürlich gar nicht.“

Sie tauchte ein Häppchen in Pfeffersoße. „Die Schönheit des Lebens findet man im Unerwarteten und Unregelmäßigen. Hast du schon mal einen perfekten Wasserfall gesehen oder einen symmetrischen Sonnenuntergang?“

„Also rein astronomisch gesehen, geht die Sonne jeden Abend genau gleich unter.“ Er grinste, als sie spielerisch mit dem Handrücken nach ihm schlug.

„Du weißt, was ich meine“, sagte sie. „Die Farben, die Wolken …“

„Ja, schon gut.“

„Die Zeitungen schreiben langsam wieder etwas positiver über die Firma“, bemerkte sie nach einem Schluck Wein. „Vor allem die Feier für die Anzeigenkunden scheint gut anzukommen.“

„David reißt sich ein Bein aus, um für positive Presse zu sorgen.“

„Du magst ihn gern, nicht?“

„Ja, manchmal war er mehr wie ein Vater für mich als mein eigener. Er hat sich immer Zeit genommen. Das reicht manchmal schon.“

„Ich weiß. Nachdem mein Vater uns verlassen hat, habe ich ihn schrecklich vermisst. Natürlich war es traumatisch, von einem Tag auf den anderen bettelarm zu sein, aber wenn ich mir hätte aussuchen können, ob ich das Geld oder meinen Vater zurückhaben wollte, hätte ich mich immer für meinen Vater entschieden.“

„Du hast ihn nie wiedergesehen, nachdem er euch verlassen hatte?“

„Nein, er war eines Morgens einfach weg. Natürlich fiel es mir danach schwer zu glauben, dass er mich überhaupt geliebt hatte, wenn er mich einfach zurückließ wie einen alten Koffer. Meine Mutter hat gekämpft wie eine Löwin, um wenigstens Alimente zu bekommen, aber er konnte sich teure Anwälte leisten und musste schließlich fast gar nichts zahlen – erstaunlich, wenn man bedenkt, wie reich er war. Er versprach ihr wohl öfter, mich abzuholen, kam dann aber nicht. Schließlich gab sie es auf. Es war leichter für mich, mich damit abzufinden, als immer wieder zu hoffen.“

Jack konnte sich nicht vorstellen, warum ein Mann seine kleine Tochter einfach verließ. Sein eigener Vater hatte zumindest das äußere Bild aufrechterhalten und war zum Beispiel zu Jacks Abschlussfeier auf dem College gekommen.

„Er hat viel mehr verloren als du“, sagte Jack.

„Danke. Das hab ich mir auch immer gesagt, trotzdem habe ich mir geschworen, nicht denselben Fehler zu machen wie meine Mutter. Mir war es völlig egal, ob ein Mann Geld hatte oder nicht, solange ich ihm wichtig war und wir dieselben Dinge wollten.“

Ihre Worte trafen ihn. Vor zehn Jahren war er dieser Mann gewesen, aber das hatte sie nicht sehen wollen.

„Und Vance war dieser Mann?“, fragte er.

„Ja, zumindest dachte ich das. Er war schon einmal verheiratet gewesen, also war er vorsichtig. Das gefiel mir, es erschien mir vernünftig. Jetzt weiß ich natürlich, dass ich ein Idiot war.“

„Hinterher ist man immer schlauer.“

„Schon, aber ich hab mich wirklich dämlich angestellt. Er hatte immer wieder erwähnt, dass seine erste Frau nur hinter seinem Geld her war und von allem das Beste, Neuste und Größte wollte. Also bemühte ich mich, nicht wie sie zu sein, und habe nie etwas von ihm verlangt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich merkte, dass er genau das beabsichtigt hatte.“

„Er hat dich manipuliert?“

„Ja, wahrscheinlich von Anfang an“, seufzte sie. „Ich gebe es nicht gerne zu, weil es mich noch dümmer aussehen lässt. Er ist Herzspezialist mit einer riesigen erfolgreichen Praxis. Als wir über Heirat sprachen, hatte er Angst, sie im Fall einer Scheidung zu verlieren, und ich wollte ihn unbedingt glücklich machen.“

Jack verzog das Gesicht. „Ihr habt einen Ehevertrag geschlossen?“

„Oh ja. Ich war sogar vernünftig genug, das ganze Ding zu lesen. Aber ich habe es nicht durch einen Anwalt prüfen lassen. Wozu dafür Geld verschwenden, dachte ich. Später merkte ich, dass er mich reingelegt hatte. Er hat noch Witze darüber gemacht, dass seine erste Frau zu dumm war, um über den ersten Absatz hinauszugelangen, aber dass ich bestimmt alles verstehen würde.“

Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich zu stolz war oder ihm beweisen wollte, dass ich nicht wie sie war, jedenfalls verzichtete ich auf den Anwalt und habe das Kleingedruckte nicht mitbekommen.“

Jack kannte genügend Horrorgeschichten von Kollegen, die Scheidungsrecht praktizierten, um das Ende zu ahnen. „Er hat dich über den Tisch gezogen.“

„Und wie. Ich hatte keinerlei Anspruch auf die Praxis oder sein Einkommen daraus, aber alles, was ich besaß, war gemeinsamer Besitz. Ich bekam nichts von ihm und er von mir von allem die Hälfte. Zum Glück besaß ich wenigstens nicht genug, als dass es wirklich wehgetan hätte.“

„Das tut mir leid“, sagte er und griff über den Tisch nach ihrer Hand.

„Das muss es nicht. Es war eine wichtige Lektion. Es hat mich gelehrt, dass ich besser ganz ohne Mann auskomme.“

„Wir sind nicht alle so wie Vance.“

„Ich weiß.“ Samantha erwiderte den Druck seiner Finger. „Ich gebe mir selbst mindestens genauso viel Schuld wie ihm. Es gab Warnzeichen, die ich nicht sehen wollte.“

So vernünftig das auch klang, am liebsten hätte er Vance aufgespürt und eins auf die Nase gegeben. Was für ein Mistkerl.

„Soll ich einen Kollegen bitten, sich das Scheidungsurteil mal anzusehen? Vielleicht kannst du noch etwas rausholen.“

„Danke, aber ich bin durch damit. Ich will die Vergangenheit hinter mir lassen, und das ist so schon schwierig genug. Nicht, weil mir Vance noch etwas bedeutet, sondern weil ich so vorsichtig war und trotzdem reingefallen bin.“

„Weshalb du jetzt noch misstrauischer bist.“

„Oh ja. Nach meinem Vater und Vance bin ich jetzt fest davon überzeugt, dass jeder Mann mich aufs Kreuz legen will, und zwar nicht im Bett.“

„Ist das nicht die Stelle, wo du sagen solltest, ‚Anwesende ausgenommen‘?“

Sie blickte ihn ernst an. „Das würde ich gerne. Du bist ein guter Kerl, Jack, das weiß ich.“

„Aber?“

„Aber du bist reich und hast viel Einfluss. Das kann ich einfach nicht vergessen.“

„Oje. Wir geben ja ein schönes Paar ab. Du denkst, dass ein Mann dich nur dazu bringen will, ihm zu vertrauen, damit er dich umso leichter sitzen lassen kann, und ich bin davon überzeugt, dass jeder, der mir etwas bedeutet, aus meinem Leben verschwindet. Ist das normal?“

„Ich glaube, so was wie normal gibt es gar nicht“, sagte sie grinsend.

„Glaubst du das wirklich?“

„Manchmal. Ich weiß, dass ich nicht für den Rest meines Lebens misstrauisch sein kann. Ich versuche ja schon, so zu werden wie früher.“ Sie zupfte an ihrer Bluse. „Indem ich mich so anziehe, zum Beispiel. Vance hasste meine Zigeunerkleidung, wie er es nannte. Er sagte mir ständig, ich müsste endlich erwachsen werden.“

„Dein freier Geist ist eine deiner besten Eigenschaften. Wie schade, dass er das nicht erkannt hat.“

„So war er eben. Er wollte, dass ich mich auf eine bestimmte Weise kleidete und benahm.“

„Ein Kontrollfreak?“

„Na ja, er ist angesehener Arzt, er hatte Angst um sein Image.“

„Ich kenne Anwälte, die auch so sind. Wenn sie erst Seniorpartner geworden sind, wird es für ihre Frauen wirklich schlimm. Auf einmal ist all das, was ihnen vorher gefallen hat, nicht mehr gut genug. Ich begreife das einfach nicht.“

„Weil du vernünftig bist, aber das kann nicht jeder von sich behaupten.“

Sie ließ seine Hand los und lehnte sich zurück. „Jetzt, wo du die Geschichte meiner armseligen Scheidung kennst, verstehst du hoffentlich, warum ich mich dir gegenüber so widersprüchlich verhalte. Ich weiß, dass ich mich nicht ewig auf meine Vergangenheit herausreden kann, aber ich hoffe, du akzeptierst meine Entschuldigung.“

Ungläubig starrte er sie an. Bis jetzt wäre er nie darauf gekommen, dass ihr Verhalten Gründe haben könnte, die nichts mit ihm zu tun hatten.

„Was ist los? Du schaust so komisch.“

Er schüttelte den Kopf. „Mir ist zum ersten Mal richtig bewusst geworden, dass dein Verhalten nichts mit mir persönlich zu tun hat. Trotzdem, ich komme aus reichem Haus, ich habe einen anstrengenden Beruf. Oberflächlich gesehen bin ich die Verkörperung all dessen, was du gerade vermeiden willst.“

„Genau.“

Wenigstens ist sie ehrlich, dachte er missmutig. „Da steht eine Menge zwischen uns“, sagte er so leichthin wie möglich. „Ich sollte vielleicht aufhören, mir solche Mühe zu geben.“

„Ich komme mir schrecklich vor“, sagte sie zerknirscht. „Du bist total lieb zu mir, seit ich hier bin. Und früher, im Studium, warst du mein allerbester Freund. Du bist ein wunderbarer Mann. Rein verstandesmäßig weiß ich, dass du mir niemals wehtun würdest.“

„Aber der Rest ist nicht überzeugt.“

„Nein. Aber andererseits wäre es wohl gut, wenn ich meinen Ängsten ins Gesicht sehen würde.“

Die Idee gefiel ihm – oder war das nur wieder eine ihrer widersprüchlichen Botschaften?

„Das musst du nicht“, sagte er.

„Doch, denn alles andere wäre feige. Ich möchte, dass wir Freunde sind.“

Na wunderbar, das waren ja gewaltige Fortschritte. „Das sind wir doch schon.“

„Und darüber bin ich froh. Ich liebe meine Arbeit und möchte mir diese Chance nicht verderben.“

„Das wirst du nicht.“

„Hoffentlich nicht. Andererseits …“ Sie biss sich auf die Lippe und blickte ihn an.

Bei jeder anderen Frau hätte er das als Einladung aufgefasst. Aber bei Samantha konnte man sich nie sicher sein. Besser, er ging kein Risiko ein.

„Weißt du noch, wie wir im Park gelernt haben und diese Frau vorbeikam, die ihren Hund suchte?“, fragte er. „Du hast gesagt, wir müssen ihr suchen helfen.“

Sie grinste. „Ja. Und du hast gesagt, dass der Hund niemals zu Fremden kommen würde, und ich meinte, dann müssten wir ihn mit Essen locken. Also gingen wir zum Metzger und kauften Knochen.“

Autor

Susan Mallery

Die SPIEGEL-Bestsellerautorin Susan Mallery unterhält ein Millionenpublikum mit ihren Frauenromanen voll großer Gefühle und tiefgründigem Humor. Mallery lebt mit ihrem Ehemann und ihrem kleinen, aber unerschrockenen Zwergpudel in Seattle.

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