Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2015

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EIN GEFÄHRLICH PRICKELNDES SPIEL

"Ich biete Ihnen fünfhundert Dollar, wenn Sie heute Abend meine Freundin spielen." Abby stockt der Atem. Der sexy Multimillionär Matthew Smythe ist wirklich unverschämt, schließlich sollte sie nur das Dinner für seine Gäste vorbereiten! Doch seltsamerweise macht sein anzügliches Angebot sie nicht nur wütend - es löst auch ein höchst erregendes Prickeln in ihr aus. Und gegen jede Vernunft sagt Abby zu. Natürlich stellt sie dabei klar: "Ich werde nicht mit ihnen schlafen!" Auch wenn sie bereits ahnt, dass sie gegenüber Matthews Verführungskünsten machtlos sein wird …

HEIßE NÄCHTE MIT DEM MILLIARDÄR

Verlangen, unbezwingbare Sehnsucht - und Angst: Die widersprüchlichsten Gefühle stürmen auf Sabine ein. Denn vor ihrer Tür steht unvermittelt Gavin Brooks! Vor drei Jahren hatte sie eine heiße Affäre mit dem attraktiven New Yorker Milliardär, bis sie sich von ihm trennte. Ihre Welten waren so unterschiedlich, dass Sabine einfach nicht an ein Happy End glauben konnte, auch wenn sie die Nächte mit Gavin nie vergessen hat. Aber warum ist er jetzt in ihr bescheidenes Apartment nach Brooklyn gekommen? Kann es sein, dass er ihr größtes Geheimnis herausgefunden hat?

ES BEGANN IN LAS VEGAS ...

"Die Hochzeit war ein Fehler. Ich will keine Frau. Ich will keine Kinder." Nie hat Penny vergessen, mit welch eiskalten Worten Colton King sie vor zwei Jahren nach ihrer Blitzhochzeit in Las Vegas und sieben heißen Nächten abserviert hat. Sie hat wirklich allen Grund, den Millionär zu hassen! Warum verspürt sie dann gleichzeitig dieses verzehrende Verlangen, als er jetzt unerwartet bei ihr auftaucht? Schließlich muss sie fürchten, dass Colton nur aus einem Grund zu ihr zurückgekommen ist: Weil er ihr Geheimnis kennt - und sich holen will, was sie ihm in vorenthalten hat …


  • Erscheinungstag 03.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773717
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Kathryn Jensen, Andrea Laurence, Maureen Child

Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2015

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2001 by Kathryn Pearce
Originaltitel: „The American Earl“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1866 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Nina Hawranke

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733721084

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

 

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1. KAPITEL

Mit langen Schritten strebte Matthew Smythe wütend in den leeren Raum, seine persönliche Assistentin im Schlepptau. Sie wirkte wie ein kleines Ruderboot, das hilflos im brodelnden Kielwasser eines Schlachtschiffes trudelt. „Wieso ist nichts vorbereitet?“, blaffte Matthew. „Wo steckt Belinda?“

Paula Shapiro seufzte ergeben. „Sir, sie hat heute Morgen gekündigt. Schon vergessen?“ Aber wie immer hörte der Präsident von Smythe International nur das, was er hören wollte.

„Lächerlich! Die Frau hat doch erst vor zwei Monaten angefangen.“

„Ich denke, dass der Job ihr, wie den anderen auch, zu …“, Paula suchte nach einem unverfänglichen Wort, „… zu anspruchsvoll war. Es ist nicht leicht, aus dem Stehgreif solche Events auf die Beine zu stellen.“ Oder die Launen des Chefs zu ertragen, fügte sie im Stillen hinzu.

„Einen geschmackvollen Empfang für ein paar Kunden zu organisieren – wie schwierig kann das sein?“, brummte Matt und schaute sich stirnrunzelnd in dem kahlen Raum um. Längst hätte eine Bar aufgebaut sein sollen, ganz zu schweigen von einem üppigen Büfett importierter Köstlichkeiten, das die getönte Glasfront mit dem atemberaubenden Blick auf die Chicagoer Skyline hätte säumen sollen. Anstelle der Metallklappstühle hätten komfortable Sitzgelegenheiten bereitstehen müssen.

Vage erinnerte er sich daran, dass die letzte in einer langen Reihe von Kundenbetreuerinnen heute Morgen aufgeregt und verärgert gewirkt hatte. Aber er hatte Wichtigeres um die Ohren gehabt und nichts auf ihre Hysterie gegeben. Hätte er es doch getan! Paula war nicht im Büro gewesen, weil sie etwas für ihn erledigt hatte, ansonsten hätte sie das sich anbahnende Desaster gewittert. Jetzt war es zu spät.

Aufgebracht starrte er auf seine Armbanduhr. In weniger als zwei Stunden würden die Gäste eintreffen. Er fuhr sich mit den Fingern durchs dichte, dunkle Haar. „Was sollen wir tun? Irgendeine Idee?“

„Ich könnte Ihren Caterer anrufen“, schlug Paula zögernd vor.

Matt schüttelte den Kopf. „Und morgen Mittag würde Franco dann endlich mit einem einzigen ausgefallenen Dip auftauchen. Nein, kümmern Sie sich darum. Wir haben alles hier, was Sie brauchen.“

„Lord Smythe!“ Paula senkte das Kinn, verengte die Augen und stemmte die Fäuste in die ausladenden Hüften.

Das war kein gutes Zeichen, wie Matt wusste. Paula war eine intelligente Frau mittleren Alters mit dauergewellten blonden Haaren. Ihre Brille war an den Ecken des spitz zulaufenden Gestells mit Glitzersteinchen besetzt. Paula herrschte kompetent über sein Büro und machte willig Überstunden, wofür er sie großzügig entlohnte. Aber wenn sie ihn mit seinem Adelstitel anredete und das Kinn senkte, hieß das, dass er zu weit gegangen war.

„Es ist gerade einmal fünf Minuten her, dass ich Sie daran erinnert habe.“ Ihr funkelnder Blick wurde durchdringend. „Ich muss meinen Jüngsten zum Zahnarzt bringen.“

„Oh … ja, natürlich. Tut mir leid. Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, wodurch sich dieser Empfang retten ließe?“ Er könnte das Büfett selbst aufbauen, wusste jedoch nicht, ob das eine gute Idee war. Und damit hätte er noch immer niemanden, der sich um die Gäste kümmerte, was Belindas zweite Aufgabe gewesen wäre.

„Falls Sie in der Klemme stecken …“, ertönte eine sanfte weibliche Stimme in seinem Rücken, „… könnte ich die Sache in die Hand nehmen.“

Matt fuhr herum. In der Tür zum Konferenzzimmer stand eine zierliche junge Frau. Das Erste, was ihm auffiel, war ihre rote Mähne. Draußen musste es windig sein, denn einzelne Strähnen standen in alle Richtungen ab. Dennoch umrahmte das Haar ihre elfenhaften Züge überaus vorteilhaft und glänzte sogar in zerzaustem Zustand. Die zweite Besonderheit an ihr waren die langen Beine. In weniger konservativer Kleidung als dem marineblauen Kostüm, dessen Rock brav die Knie bedeckte, würde sie auf der Straße wahrscheinlich für ein Verkehrschaos sorgen. Matt musterte sie eingehender. Das flammend rote Haar hatte ihn darauf tippen lassen, dass ihre Augen grün waren, aber tatsächlich strahlten sie in einem satten Mokkabraun. Etwas durchzuckte ihn heiß. „Wer sind Sie?“, knurrte er.

Sie hatte ihre Visitenkarte schneller gezückt, als John Wayne seinen Colt hätte ziehen können. Sie trat vor und überreichte ihm die kleine pinkfarbene Karte.

„Abigail Benton.“ Sie betonte jede Silbe. „Ich repräsentiere das Cup and Saucer, einen Coffeeshop hier in Chicago. Vielleicht kennen Sie uns?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab. Worte sprudelten ihr über die vollen Lippen, die sie mit einem sinnlich beerenfarbenen Lipgloss geschminkt hatte. „Ich habe hier im Gebäude einen Termin, bin aber früh dran. Wenn Sie möchten, richte ich den Raum für Sie her. Wie viele Gäste erwarten Sie?“

Matt sah die junge Frau abschätzend an. Ihre geröteten Wangen und der Umstand, dass sie halb auf den Zehenspitzen stand, wiesen darauf hin, dass sie nicht ganz so selbstsicher war, wie sie vorgab. Trotzdem war ihr Auftritt verdammt überzeugend. Und er musste zugeben, dass er tatsächlich in der Bredouille saß. Was immer sie für ihn tun könnte, wäre besser als nichts. „Wir sind zu siebt, außer mir kommen drei Paare.“ Er wandte sich zum Gehen. „Paula, zeigen Sie ihr alles, und dann fort mit Ihnen, damit der junge Mann zum Zahnarzt kommt.“

Am Schreibtisch in seinem Büro zog Matt sich die Akten über seine Gäste heran. Die Schriftstücke bedeckten das goldene Familienwappen, das ins Leder der Schreibtischunterlage eingeprägt war. Er ging die persönlichen ebenso wie die geschäftlichen Profile in jedem Ordner durch. Bald allerdings schob er alles entnervt beiseite, weil er unfähig war, sich zu konzentrieren. Alles, was er vor seinem geistigen Auge sah, war der lodernd rote Schopf … und ihre Augen. Abigail Bentons Augen waren wirklich außergewöhnlich.

Unbarmherzig zwang er seine Aufmerksamkeit zurück auf die anstehende Aufgabe.

Die unmittelbare Katastrophe war abgewendet, aber was zum Teufel sollte aus den restlichen Meetings in dieser Woche werden? Und nächste Woche? Sein Terminplan quoll über. Er brauchte händeringend eine Angestellte, die sich seiner Kunden annahm. Smythe International pflegte den Ruf, seine Geschäftspartner überaus stilvoll zu bewirten: Sein Unternehmen gab glanzvolle, aber legere Dinnerpartys für Exporteure aus Übersee und Empfänge in gemütlicher Atmosphäre für amerikanische Einzelhändler, deren exklusive Läden Matt belieferte.

Sich in puncto Bewirtung spendabel zu zeigen, hatte sich für Matthew Smythe, den siebten Earl of Brighton, rentiert. Sein Katalog umfasste Hunderte Delikatessen aus aller Welt – die berühmte Valrhona-Schokolade aus Frankreich, neapolitanischen Kaffee, türkische Gewürze und feine Plätzchen aus England, die sich an einem gemütlichen Nachmittag zu einer nach Bergamotte duftenden Tasse Earl Grey genießen ließen.

Doch damit alles reibungslos lief, brauchte er zuverlässiges Personal. Gleich morgen würde er einige Anwärterinnen für Belindas Position zum Vorstellungsgespräch bitten. Aber bis dahin …

Sein Blick fiel auf die Visitenkarte, die er geistesabwesend auf den Schreibtisch hatte fallen lassen. Abigail, ein altmodischer Name für eine solch wilde Schönheit. Sie war jung, und falls er ihre Körpersprache richtig gedeutet hatte, war sie noch unerfahren in ihrem Metier. Vielleicht auch in anderen Bereichen. Hinter ihrem strahlenden Enthusiasmus verbarg sich Nervosität. Vermutlich war es verrückt, eine Fremde mit einer solch wichtigen Aufgabe zu betrauen. Aber er konnte sie ihr Möglichstes tun lassen – oder seine Gästeschar in ein Restaurant ausführen. Letzteres würde weder den Absatz seiner Produkte ankurbeln noch seinem Image dienen. Also musste er das Risiko auf sich nehmen.

Abby stand in der Mitte einer riesigen klimatisierten Kammer und schaute sich so aufgeregt um wie ein Kind, das man im Süßwarenladen sich selbst überlassen hat. Seit neun Monaten arbeitete sie nun für das Cup and Saucer. Es war besser, als im Kaufhaus Parfüm zu verkaufen oder in einem Schnellrestaurant zu kellnern. Während ihres Studiums an der Northwestern University hatte sie beides getan.

Das lag jetzt hoffentlich hinter ihr. Inzwischen hatte sie eine Festanstellung ergattert. Zwar erhielt sie nur den Mindestlohn, aber dafür wurde sie am Gewinn beteiligt! Und sie liebte ihren Job.

Zwei Tage vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte sie die Abschlussarbeit für ihren Master in Handelsmarketing fertiggestellt. Anschließend war sie auf Jobsuche gegangen. Sie hatte sich gedacht, dass sie sich ebenso gut für eine Stelle bewerben konnte, die ihr gefiel. Als Studentin hatte sie sich gern dann und wann einen Cappuccino oder Kräutertee im Cup and Saucer gegönnt – wenn sie sich diesen Luxus gerade hatte leisten können. Aber selbst wenn es um ihre Finanzen nicht zum Besten stand, hatte sie leidenschaftlich gern im kunterbunten Angebot an exotischen Tee- und Kaffeesorten, Konfekt aus aller Welt, zart-knusprigen Pasteten, hausgemachten Cranberry-Orangen-Muffins und Keksen mit Schokosplittern gestöbert. In dieser Welt könnte sie es für den Rest ihres Lebens aushalten.

Bei ihrem letzten Besuch auf der heimatlichen kleinen Farm südlich von Alton, Illinois, hatte sie ihrer Mutter ihren Traum anvertraut. „Ich werde ein paar Jahre lang arbeiten und sparen und alles lernen, was ich über die Feinkostbranche wissen muss“, hatte sie erklärt. „Anschließend eröffne ich einen kleinen Laden unten am Navy Pier in Chicago – das wäre traumhaft.“ Sie bebte förmlich vor Aufregung.

„Klingt gut, Liebes“, hatte ihre Mutter nachsichtig lächelnd erwidert und ihr den Arm getätschelt. Eine Frau sollte ruhig ein Hobby haben, bis sie eine Familie gründete – diese Ansicht ihrer Mutter hatte unausgesprochen im Raum gestanden. Abby hatte nur geseufzt. Ihre Mutter verstand ihre Träume eben nicht.

Dabei wünschte sie sich natürlich trotzdem einen Mann und Kinder, aber zunächst wollte sie sich selbst verwirklichen.

Mit frischem Mut machte sie sich daran, Gläser mit importierten Calamares und schwarzen Oliven aus Spanien, mit Wachsrinde überzogene Stilton- und Brie-Ecken, Cracker in farbenfrohen Verpackungen sowie frisches Obst und aufwendig verzierte Keksdosen aus den Regalen zu nehmen. Sie würde Süßes und Salziges, herzhaft Pikantes und aromatisch Mildes ausgewogen kombinieren, da sie den Geschmack der Gäste nicht kannte. Nachdem sie ihre Beute beiseitegelegt hatte, öffnete sie die schwere Tür zum Kühlraum und holte Brötchen, Pasteten, Brot und Fleisch heraus.

Wo hatte der Mann all diese Leckereien her? Abby merkte sich Markennamen und Herkunftsorte. Wer immer der Kerl war, für den sie hier das Büffet aufbaute, er war ein Gourmet und hatte ein Händchen für die richtigen Bezugsquellen. Womöglich kaufte er sogar bei Smythe International ein; immerhin befand er sich in demselben Gebäude wie das namhafte Delikatessen-Unternehmen. Sogar auf derselben Etage. Leider fand Abby nirgends einen Firmennamen, der verraten hätte, wem der Konferenzraum gehörte.

Sie sah auf die Uhr und keuchte entsetzt. Sie musste sich beeilen!

Als sie vierzig Minuten später fertig war, wirkte das Konferenzzimmer einladend und ansprechend. An der Bar standen sowohl gekühltes Quellwasser und heißes Wasser für Kräutertee als auch eine Auswahl an Weinen und Cocktail-Zutaten bereit. Auf einem runden Tisch wartete ein Büfett aus importierten und heimischen Delikatessen auf die Gäste.

Abby war versucht zu naschen, denn sie war hungrig. Aber ihr blieb nicht einmal mehr die Gelegenheit, jemandem Bescheid zu sagen, dass sie mit der Arbeit fertig war. Es war höchste Zeit für ihren Termin! Atemlos stürmte sie den Flur entlang und entzifferte im Laufen die Nummern an den Bürotüren. Sie war bereits zehn Minuten zu spät, aber mit etwas Glück war auch der Handelsvertreter unpünktlich. Normalerweise kamen die Vertreter ins Cup and Saucer, aber Abby hatte den geplanten Termin als Vorwand genommen, einen Blick in die Räumlichkeiten des berühmten Delikatessen-Importeurs zu werfen.

Schließlich entdeckte sie das Firmenschild von Smythe International, stürzte durch die Tür – und prallte gegen eine Wand aus Muskeln. „Uff“, machte der Mann im Anzug.

„Oh, tut mir leid, ich …“ Sie brach ab, als sie unwillkürlich rückwärts stolperte. Der Mann packte sie mit festem Griff an den Schultern und half ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden.

Langsam hob sie den Blick und erkannte den auffallend attraktiven Mann von vorhin. Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Tut mir schrecklich leid“, brachte sie atemlos heraus. „Ich war … ein wenig in Eile.“

Er starrte sie finster an. „Gibt es etwa ein Problem?“

„Nein, keineswegs. Der Raum ist fertig.“

Kritisch musterte er ihr Haar, ehe er ihr Kostüm von der Stange auf eine Weise in Augenschein nahm, die sie verlegen machte. „Sie werden sich umziehen müssen“, beschied er ihr.

„Wie bitte?“

„Diese biedere Aufmachung passt wohl kaum zu unseren exklusiven Genüssen und den ausgezeichneten Weinen.“

Sie starrte ihn an. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie groß er war, verglichen mit ihren gerade mal eins sechzig. Sie schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Ein Fels von einem Mann. Und etwas an ihm kam ihr seltsam bekannt vor, wenngleich sie bezweifelte, ihn je zuvor getroffen zu haben. „Das ist wohl ein Missverständnis.“ Sie schenkte ihm ein diplomatisches Lächeln, das ihn allerdings kaltließ. „Ich habe jetzt einen wichtigen Termin, und ich bin schon zu spät. Ich habe nur ausgeholfen, weil Not am Mann war.“

„Aus reiner Herzensgüte, richtig?“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

Abby versteifte sich, ihr Lächeln verblasste. „Richtig. Es gibt Menschen, die sind einfach nett. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich komme zu spät zu meinem Treffen mit dem Handelsvertreter von Smythe International.“ Sie wollte sich an ihm vorbeistehlen, aber er trat ihr mit einer fließenden Bewegung in den Weg.

„Ich habe Brian nach Hause geschickt.“

Sie runzelte die Stirn. Was redete er da? Die Art, wie er sie ansah, machte es ihr nicht gerade leichter, seinen Worten einen Sinn zu entnehmen. Es war, als zöge er sie mit seinem Blick aus. Und nicht nur die Kleidung; sein Blick bohrte sich tiefer, als wollte er sie prüfen. Es gefiel Abby nicht, aber sie würde sich von diesem Mann nicht noch mehr aus der Fassung bringen lassen, als es ohnehin schon der Fall war. Sie hatte Wichtigeres zu tun. „Er kann unmöglich fort sein“, wandte sie ein. „Ich habe den Termin vor zwei Wochen vereinbart.“

Es war, als hätte der Mann vor ihr sie gar nicht gehört. „Wo wohnen Sie?“, wollte er wissen.

Unglaublich! Erst zog er sie mit dem Blick förmlich aus, und nun erwartete er, dass sie ihm ihre Adresse verriet. „Verzeihung, aber das geht Sie ja wohl kaum etwas an.“

„Verdammt, ich bin doch kein Weiberheld!“

Der altmodische Ausdruck wirkte komisch, so wie er es sagte. Bildete sie es sich ein, oder sprach er mit einem leichten ausländischen Akzent? Britisch vielleicht?

„Ich will nur wissen“, fuhr der Mann fort, „ob Ihnen noch Zeit bleibt, nach Hause zu gehen und sich vor dem Empfang umzuziehen. Falls nicht – Belinda dürfte einige Kostüme dagelassen haben.“ Wieder dieser durchdringende Blick. „Sie scheinen dieselbe Größe zu haben.“

Abby funkelte ihn an. „Ich gehe bestimmt nicht nach Hause, sondern zurück zur Arbeit, da ich meinen Termin hier offenbar verpasst habe.“

„Ah, richtig.“ Er hob den Blick und lächelte. „Der kleine Coffeeshop drüben an der Oak Street. Ich war einige Male dort.“ Er nickte, behielt seine Meinung jedoch für sich.

„Es tut mir leid, dass ich nicht bleiben und mich um Ihre Gäste kümmern kann. Aber ich bin sicher, dass Sie auch allein zurechtkommen.“

Er verkniff sich einen Einwand. „Rufen Sie Ihren Chef an und nehmen Sie sich den Rest des Tages frei. Ich biete Ihnen fünf große Scheine dafür, dass Sie lächeln und nett zu meinen Gästen sind, die jeden Moment eintreffen.“

Ihr blieb der Mund offen stehen. „Fünfhundert Dollar?“ Erst einen Herzschlag später drang die übrige Botschaft zu ihr durch. „Das ist nicht mein Bereich, Mr …“

„Matthew Smythe.“ Er streckte ihr die Rechte hin, und da ging ihr auf, wo sie ihn gesehen hatte … oder zumindest Fotos von ihm: auf der Titelseite der Zeitschrift Fortune. Automatisch ergriff sie seine Hand. Im Geiste ging sie durch, was sie bislang von sich gegeben hatte. Vermutlich hatte sie wie eine Verrückte geklungen.

„Sie sind der Präsident von Smythe International“, brachte sie schwach heraus. „Des drittgrößten Importunternehmens dieser Branche in den USA.“ Sie hatte sowohl im Wall Street Journal als auch in der Fortune und in der Gesellschaftsspalte der Chicago Tribune über ihn gelesen. Überall wurde er nur „der amerikanische Earl“ genannt. Lord Matthew Smythe gehörte der britischen Aristokratie an und hatte in Amerika ein zweites Vermögen gemacht.

„Wir stehen ganz gut da“, murmelte er wegwerfend. „Hören Sie, verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Miss Benton, aber ich sitze in der Klemme. In einer Stunde stehen drei Vertreter florierender Einzelhandelsfirmen mitsamt Anhang vor der Tür.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs akkurat geschnittene Haar, das umgehend wieder in Form fiel. „Einfach nur Proben meiner importierten Waren zu präsentieren, genügt nicht als Verkaufsargument. Ich brauche einen Partner, der sich unter die Gäste mischt, Kommentare aufgreift, die Damen unterhält und eine liebenswürdige Miene zur Schau trägt. Ich brauche Sie.“ Die letzten drei Worte klangen beinahe wie ein Grollen.

„Aber ich kann nicht …“ Sie wollte einwenden, dass sie über keinerlei Erfahrung verfügte, was die Bewirtung derart exklusiver Gäste anging. Doch der potenzielle Nutzen ließ sie ihre Schüchternheit überwinden. Einmal abgesehen von den fünfhundert Dollar und der Tatsache, dass dieser Mann ihr etwas schuldig war, wenn sie ihm jetzt aushalf – die Erfahrungen und Kontakte, die ihr ein solcher Abend einbringen würde, wären unschätzbar wertvoll. Es wäre dumm, Nein zu sagen!

Abby atmete tief durch. „Ich ziehe mich um und bin vor Ablauf der Stunde zurück.“

„Dieses Kleid sieht auch toll aus“, bemerkte Dee D’Angello, Abbys Mitbewohnerin. „Ich weiß nicht, wieso du solch einen Aufstand wegen einer läppischen Cocktailparty machst.“ Dee hockte auf Abbys Bett und schaute zu, während Abby innerhalb einer Viertelstunde das sechste Kleid anprobierte.

„Wenn du ihn gesehen hättest, würdest du es verstehen“, erwiderte Abby trocken. „Der Mann ist umwerfend. Und sein Anzug! Das war bestimmt eine Maßanfertigung.“ Sie streifte sich ein anderes Kleid über, betrachtete sich in der Spiegeltür ihres Kleiderschrankes und strich ein paar Falten glatt. „Ich wette, allein seine Krawatte kostet mehr, als ich pro Woche verdiene.“

„Klingt so, als wäre da jemand scharf auf dich, Süße“, sagte Dee versonnen.

„Sei nicht albern. Ich will diesen Abend nur überstehen, um ein wenig Insiderwissen zu sammeln. Smythe steht an der Spitze der Welt, zu der ich gehören möchte.“

„Und du glaubst, dass sein Glanz auf dich abfärbt?“

Lachend schüttelte Abby den Kopf. „So naiv bin ich nicht. Es ist schlicht eine Chance, in die Import-Export-Branche hineinzuschnuppern. Einige Stunden mit Lord Smythe und seinen einflussreichen Klienten sind mehr wert als ein Jahr an der Uni. Sogar mehr als fünf Jahre im Cup and Saucer.“

„Schön und gut“, räumte Dee ein. „Aber sei vorsichtig. Reiche Leute führen ein Leben auf der Überholspur.“

Abby schob ihre Füße in beigefarbene Riemchenpumps und begutachtete, ob sie zum Gesamtbild passten. „Was hast du gesagt?“, fragte sie abwesend.

„Gib nicht mehr, als du dir leisten kannst.“ Dee sah sie unter halb geschlossenen Lidern und dunklen Wimpern hervor an.

Abby lachte. „Du meinst, ich sollte nicht mit einem von Smythes Kunden ins Bett springen, nur um einen Deal für ihn zu sichern? Keine Bange, das habe ich nicht vor.“

„Was ist mit Smythe selbst? Er klingt zum Anbeißen.“

Zugegeben, die Vorstellung hatte ihren Reiz. Abby seufzte. „Der Earl mag blendend aussehen, aber sein Ego ist so groß wie der Mount Rushmore, und sein hochtrabendes Auftreten stellt sogar das britische Königshaus in den Schatten. Ich würde mich auf gar keinen Fall mit ihm einlassen.“

„Na, dann“, murmelte Dee und hob ein türkisfarbenes Etuikleid vom Bett auf. „Zieh dieses an.“

„Bist du sicher?“ Oder vielmehr: War sie sich selbst sicher? Wollte sie ihre ungefährliche, einfache Welt wirklich verlassen, um Cocktails zu schlürfen und Marktgeheimnisse von Leuten aufzuschnappen, deren Einkommen zehn-, wenn nicht gar hundertmal so hoch war wie ihres?

Sie erinnerte sich daran, welche Macht Matthew Smythe verströmt, wie er ihr den Weg versperrt hatte, bis sie eingeknickt war. Seltsamerweise hatte sein aggressives Gebaren sie erregt. Nun fragte sie sich, ob es klug war, wegen eines sinnlichen Prickelns ihren gesunden Menschenverstand zu vergessen.

Sie konnte immer noch einen Rückzieher machen. Schließlich schuldete sie ihm nichts.

Etwas jedoch zog sie zu der Suite im fünfzehnten Stock hin, von der aus man den Blick über den exklusiven Lake Shore Drive und das stählern glänzende Wasser des Lake Michigan schweifen lassen konnte. Binnen eines Atemzugs war ihr klar, dass sie hingehen würde.

Sie würde nicht kommen. Matt wusste es einfach. Sie hatte es versprochen, aber die nervöse kleine Maus in ihr hatte kalte Füße bekommen. Ich hätte ihr mehr Geld bieten sollen, dachte er, während er den Flur auf- und abschritt und bei jeder Kehrtwende die Aufzugtüren aus poliertem Messing fixierte. Zwei seiner Gäste mit Begleitung hatte er bereits willkommen geheißen und in den Empfangsraum geleitet.

Der Aufzug kam; die Türen glitten auf. Matt schaute auf und rang sich, seiner schwarzen Stimmung zum Trotz, ein verkrampftes Lächeln für seine letzten Gäste ab. Gerade wollte er mit festem Schritt auf sie zustreben, um sie zu begrüßen, als er jäh innehielt.

Der Abend war warm, weshalb Abigail sich kein Tuch umgelegt hatte. Ihre bloßen, mit blassen Sommersprossen besprenkelten Schultern schimmerten cremeweiß wie frische Milch. Das Kleid war trägerlos und schien durch reine Willenskraft an ihrem Körper zu haften. Es umschmeichelte ihre Formen, ohne aufreizend oder billig zu wirken. Der Schnitt war zu schlicht für ein Designerkleid, aber der erlesene Türkiston betonte ihr rostrotes Haar, das ihr in Wellen über die Schultern fiel. Matt gefiel alles, was er sah, wie auch all das, was er sich nur ausmalen konnte.

Sie trat aus dem Fahrstuhl, schaute ihn an und hob eine Braue, als wollte sie sagen: Was denn? Ich bin doch da.

„Sie sind spät dran“, brummte er schroff. „Vier meiner Gäste sind bereits da.“

„Was tun Sie dann hier draußen?“

Auf Sie warten, hätte er sie beinahe angefahren, hielt sich jedoch zurück. Sie sollte nicht wissen, dass er nicht mehr mit ihrem Erscheinen gerechnet hatte. Er ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Ellbogen, woraufhin sie sich versteifte. „Entspannen Sie sich“, sagte er. „Das dient nur dem Schein.“

„Dem Schein?“ Aus den Augenwinkeln sah sie ihn argwöhnisch an.

„Es macht die Sache leichter, wenn meine Gäste annehmen, dass die Dame, die sie betreut, zugleich meine …“

… meine Geliebte ist.

Wieso kam ihm ausgerechnet dieses Wort in den Sinn? „Wenn sie glauben, dass wir beide …“, fuhr er langsam fort.

„Ein Paar sind?“, half sie ihm und lenkte den Satz damit in weniger schlüpfrige Bahnen.

„Genau. Wenn ich über Geschäftliches spreche, fühle ich mich nicht gern verpflichtet zu flirten.“

„Stellt das ein großes Problem dar?“, erkundigte sich Abigail mit einem verhalten süffisanten Lächeln. „Kommt es oft vor, dass Sie schmachtende Kundinnen oder den weiblichen Anhang von Klienten abwehren müssen?“

So wie sie es sagte, klang die Sache banal. Aber gelegentlich hatte es ihn schon in Verlegenheit gebracht, wenn manche Frauen unverhohlen mit ihm flirteten. Geschäft war Geschäft. Sex hatte durchaus einen festen Platz in seinem Leben, aber er trennte beides strikt. „Falls Sie vorhaben, die Besserwisserin zu spielen, können Sie gleich wieder gehen“, knurrte er.

Sie straffte sich und blieb abrupt stehen. „Sie sind derjenige, der das Thema zur Sprache gebracht hat, Lord Smythe. Ich sollte ein wenig über Sie wissen, wenn ich vorgeben soll, Ihre Freundin zu sein.“ Sie funkelte ihn herausfordernd an, ehe ihr Blick sanfter wurde. „Haben Sie das ernst gemeint – das mit den fünfhundert Dollar?“

„Selbstverständlich.“

Sie nickte zufrieden.

Matt ließ sich nicht davon kränken, dass sie offenbar nur eine großzügige Abfindung für die unangenehme Aufgabe entschädigen konnte, seine Freundin zu spielen. Er hatte Rotschöpfe ohnehin nie ausstehen können, redete er sich ein. Allerdings hatte er noch keinen derart umwerfenden Rotschopf getroffen.

Er schob den Gedanken beiseite. Zurück zum Geschäftlichen … „Ein paar Dinge sollten Sie tatsächlich wissen, bevor wir hineingehen.“ Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf ihr ernstes Gesicht. „Der stattlich gebaute Herr ist Ronald Franklin von …“

„Etwa von Franklin & James, die in jedem Einkaufszentrum landesweit eine Filiale haben?“, fiel sie ihm atemlos ins Wort.

„Ebender. Er und seine Gattin lassen sich nicht gern drängen. Also verkneifen Sie sich Kommentare über Produkte, Käufe oder Marketingstrategien. Unterhalten Sie die beiden einfach. Sie sind kürzlich Großeltern geworden, vielleicht versuchen Sie es auf dieser Schiene.“

Sie nickte und warf ihm einen leicht missbilligenden Blick zu. Er hatte keine Ahnung, warum. „Und das andere Paar?“, fragte sie.

„Ted Ramsey mit Begleiterin.“

Mehr brauchte er nicht zu sagen, erkannte er, als es in ihren Augen aufleuchtete. Sie war gut. Sehr gut.

„Der Casino-Mogul“, raunte sie.

„Mogul?“ Matt verkniff sich ein amüsiertes Lächeln. Die Bezeichnung schien ihm ein wenig hochgestochen für einen schlichten Immobilienspekulanten, der mit ein paar Grundstücken in Brooklyn angefangen hatte und inzwischen protzige Spielhöllen in Las Vegas und Atlantic City baute. In Matts Augen hatte der Bursche eine Menge Geld verschleudert und einfach nur Glück gehabt. Diese Art von schnellem, schluderigem Glück hielt oft nicht lange an. „Nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Er erwägt, gehobene Geschäfte in seine Casinos zu integrieren und dort Importwaren anzubieten. Die Umsatzprognosen sind bombastisch. Ich wäre gern derjenige, der ihn beliefert.“

„Verständlich. Wie trete ich an ihn heran?“

„Gar nicht, sofern es sich vermeiden lässt. Seien Sie höflich, aber schenken Sie ihm kein aufreizendes Lächeln, sonst könnten wir ihn verlieren. Die Frau an seiner Seite ist neu, und er ist verrückt nach ihr. Man munkelt, dass sie zum eifersüchtigen Typ gehört. Beschäftigen Sie sich also mit ihr statt mit ihm. Behandeln Sie sie wie eine Königin und meiden Sie Blickkontakt mit ihm.“

Kopfschüttelnd stieß Abigail die Luft aus. „Woher wissen Sie das alles? Lassen Sie CIA-Agenten für sich spionieren?“

„Ganz so dramatisch ist es nicht.“ Aber in seine Geschäftspraktiken würde er sie nicht einweihen. „Kommen Sie, gehen wir hinein. Die Duprés sollten auch bald hier sein. Mrs Dupré gehört eine Kette von Souvenirläden mit Filialen in ganz New England.“

Sie ließ sich durch die Tür führen. Die beiden anwesenden Paare drehten sich um, und Matt stellte Abigail vor. Wenige Minuten später hatte sie die frischgebackenen Großeltern von der Gruppe losgeeist und zum Büfett begleitet. Matt entging nicht, dass sie ihren Teller ebenfalls großzügig füllte. Vermutlich hatte sie keine Zeit zum Essen gehabt. Gemeinhin sah er es nicht gern, wenn seine Angestellten sich so bedienten, aber die Franklins ließen sich offenbar anstecken, denn auch sie nahmen von allem Dargebotenen mehr als nur einen Höflichkeitshappen. Das wertete er als gutes Zeichen.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Ted Ramsey und seine Begleiterin. Der Kerl war ein zu kurz geratener, grobschlächtiger Rüpel. Matt mochte weder sein Gebaren noch seine Art, Geschäfte zu machen, doch das war belanglos. Er wollte ihn als Kunden. Ramsey musste das spüren, denn er kam gleich aufs Geld zu sprechen, während seine blonde Prinzessin mit großen Augen den Zahlen lauschte, die hin- und hergeworfen wurden.

Zwanzig Minuten darauf kamen die Duprés. Matt wollte Ramsey nicht stehen lassen, denn er spürte, dass sie kurz vor einer Einigung standen. Andererseits konnte er die Neuankömmlinge nicht ignorieren. Auf sein Zeichen hin entzog sich Abigail elegant den Franklins, um die Duprés in Empfang zu nehmen. Wenig später hatte sie ihre vier Gäste um die Bar geschart, und die beiden Frauen lachten über etwas, das Abigail gesagt hatte, während die Männer sie mit verhaltener Faszination beäugten. Matt war beeindruckt.

Nachdem er seinen Deal mit Ramsey unter Dach und Fach gebracht und ihn verabschiedet hatte, trat er von hinten an Abigail heran und legte ihr eine Hand an die Hüfte. Er rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht zusammenzuckte. Lächelnd wandte sie sich um. „Wir unterhalten uns gerade ganz wunderbar. Wusstest du, dass Caroline Aquarelle malt? Sie ist eine richtige Künstlerin.“

„Aber nicht doch“, protestierte Mrs Franklin, strahlte aber übers ganze Gesicht. „Ich bin die reinste Dilettantin.“

Matt lächelte unverbindlich … und gab einen grunzenden Schmerzenslaut von sich. Hatte ihm Abigail gerade ihren Ellbogen in die Rippen gerammt? „Ich würde Ihr Werk gern einmal bewundern“, presste er hastig hervor und sah Abigail unauffällig an.

Ja, sie wirkte zufrieden.

„Oh, ich würde mich geehrt fühlen“, gurrte Mrs Franklin. „Sind Sie oft an der Westküste?“

„Ich habe ein Haus in Los Angeles“, erwiderte er.

„Und ein Penthouse in New York, wie ich soeben erfahren habe“, warf Mr Franklin ein. „Wie auch ein Haus auf Bermuda. Dem Earl gefällt es offenbar an vielen Orten.“

Matt nickte. „Es gefällt mir auch, meinen Geschäftspartnern eine abwechslungsreiche Kulisse für Unterredungen zu bieten. Wie wäre es, wenn Sie alle im September für eine Woche auf Bermuda zu mir stießen? Der September dort ist wunderbar, dann sind die meisten Touristen fort.“ Da war auch noch das Anwesen in England, das sein Vater ihm geschenkt hatte. Aber in seine Heimat war er nicht zurückgekehrt, seit er sie mit einundzwanzig Jahren verlassen hatte.

Mrs Franklin lächelte Abigail hoffnungsvoll an. „Ach, würden wir Sie dort sehen, meine Liebe? Ronald verabscheut es, shoppen zu gehen, aber ich gehe so ungern allein.“

Abigail zögerte, offenbar unsicher, was sie entgegnen sollte.

„Ich versuche noch, sie zu überreden, es in ihrem vollen Terminkalender unterzubringen“, sagte Matt rasch und drückte Abigail die Hand. „Stimmt das nicht, Liebling?“

Sie lächelte schwach. „Er kann sehr überzeugend sein.“

Um elf Uhr gingen die letzten Gäste. Matt rief seinen Fahrer an, damit dieser die beiden Paare zu ihren Hotels brachte. Er begleitete sie zum Aufzug, wo er sie verabschiedete. Als er zurück ins Konferenzzimmer kam, war Abigail damit beschäftigt, die Essensreste einzupacken und das Büfett abzuräumen.

„Lassen Sie das einfach stehen“, meinte er.

„Aber es verdirbt, wenn es liegen bleibt.“

„Die Putzkolonne entsorgt es in ein paar Stunden.“

„Das alles soll in den Müll?“ Abigail riss die Augen auf. „All diese fantastischen Sachen dürften mehrere Hundert Dollar wert sein.“

„Sie können es gern mitnehmen.“

„Wirklich?“

Ihre Reaktion war charmant: Ihr Erstaunen angesichts des unerwarteten Geschenks wirkte so offen und arglos wie das eines Kindes. Im Umgang mit seinen Gästen allerdings hatte sie sich reif, aufgeweckt und sogar eine Spur raffiniert gezeigt. Er hatte sie nicht eines seiner Produkte anpreisen hören, und dennoch war er sicher, dass sein Marketingleiter morgen Bestellungen entgegennehmen würde.

„Danke, das ist wirklich nett von Ihnen“, murmelte sie, während sie alles rasch in einer Papiertüte verstaute. „Davon werden meine Mitbewohnerin und ich eine Woche lang satt werden.“

„Tatsächlich?“ Er rückte näher. Ihr Duft gefiel ihm. Sie war nur dezent parfümiert, roch aber wie frisch geduscht. Vermutlich von vorhin, als sie sich überstürzt frisch gemacht haben musste.

Bestimmt liebte sie ausgedehnte Schaumbäder, schoss es Matt durch den Kopf. Ein verführerischer Gedanke. Jäh sah er im Geiste ihre langen Beine, die unter einer duftigen Schaumschicht mit seinen verschlungen waren. In seiner unteren Körperregion wallte Hitze auf. Hastig trat er zurück und zwang sich, an das unerledigte Geschäft zu denken. Er zog fünf noch glatte Hundertdollarscheine aus seiner Geldklammer.

Als sie sich umdrehte, die Papiertüte an sich gedrückt, fiel ihr Blick auf das Geld. „Oh, Sie müssen mich wirklich nicht …“

„Nehmen Sie es.“ Offenbar konnte sie es brauchen. Was verdiente sie schon als schlichte Verkäuferin? Wahrscheinlich gerade einmal den Mindestlohn.

„Aber ich habe mich großartig amüsiert. Ich glaube kaum, dass ich das Geld verdient habe, Lord Smythe.“

„Matt“, hörte er sich sagen.

Stirnrunzelnd musterte sie ihn. „In Ordnung. Matt. Ich denke, ich habe den Abend nicht weniger genossen als Sie … und das hier dürfte eine hinreichende Vergütung sein.“ Sie hielt die Tüte mit ihren Schätzen hoch.

„Jetzt nehmen Sie das verfluchte Geld schon.“

Wachsam sah sie zu ihm auf, wie ein kleines Tier, das den nächsten Schritt eines Beutegreifers einzuschätzen sucht. „Also schön.“ Langsam griff sie danach.

Ihre Fingerspitzen berührten sich, und er hatte das Gefühl, dass seine spürbar wärmer wurden. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, aber er war sicher, es sich nicht eingebildet zu haben. Er meinte, ihre Lippen beben zu sehen. Sie wich einen Schritt zurück. Er ließ den Blick auf ihren nackten Schultern ruhen. Wie gern er diese Schultern mit seinen Lippen liebkosen würde.

„Ich sollte besser gehen“, hauchte sie.

„Haben Sie einen Wagen?“

„Ich werde mir ein Taxi rufen.“

„Mein Fahrer wird bald zurück sein. Wir setzen Sie an Ihrer Wohnung ab.“

Er spürte, dass sie auch dies ausschlagen wollte, aber sie besann sich, presste die leicht geöffneten Lippen aufeinander und nickte stumm.

Es war lange her, merkte Matt, dass er eine Frau getroffen hatte, die ihn so sehr faszinierte wie Abigail Benton.

2. KAPITEL

Matts Wagen ähnelte keiner dieser affigen Stretch-Limousinen, die – so lang wie eine Bowlingbahn – gern von Teenagern zum Abschlussball gemietet wurden. Matthew Smythe fuhr einen reinen Geschäftswagen. Im Fond hinter der Scheibe, die den Fahrer vom Fahrgastraum trennte, hatten gerade einmal sechs Personen Platz. CD-Player und Minibar waren die einzigen Zugeständnisse an das Vergnügen. Matt musste zugeben, dass sich beides schon bewährt hatte, wenn er in Begleitung einer attraktiven Frau gewesen war, die sich entspannen wollte … mit ihm.

Das Fahrzeug war innen wie außen schwarz gehalten – eine mit Leder ausgekleidete Höhle, die lautlos und wie auf Schienen dahinglitt. Der Wagen gefiel ihm besser als seine Häuser, denn er war schlicht, effizient, mobil und schön. Hier konnte er ohne Ablenkung denken und arbeiten oder sich eine Auszeit gönnen.

Abigail saß am äußersten Ende der halbmondförmigen Rückbank und starrte entschlossen aus dem Fenster. Sie wirkte jung und verletzlich. Matt hatte den Eindruck, dass er sie einschüchterte – obgleich ihm ein Rätsel war, wodurch. Er gab sich Mühe, nicht auf ihre langen Beine zu starren. „Sie haben Ihre Sache gut gemacht“, murmelte er.

Ein scheues Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber sie sah ihn nicht an. „Danke.“

„Ich brauche jemanden in Vollzeit für die Kundenbetreuung.“

Nun wandte sie sich ihm zu. Ihre Augen, die ihn bisher an Kaffee mit einem Spritzer Sahne erinnert hatten, wirkten im schummrigen Wageninnern dunkler. „Ist das ein Jobangebot?“

„Ja.“ Seine Menschenkenntnis war treffsicher. Er wusste einfach, dass Abigail die Richtige war.

Sie wirkte weniger überrascht als vielmehr nachdenklich. „Was hätte ich zu tun?“

„Das, was Sie heute Abend getan haben. Die Bewirtung meiner Gäste organisieren und parat stehen, um sie gemeinsam mit mir zu empfangen.“

Sie neigte den Kopf zur Seite und schaute ihn skeptisch an. „Das ist ja wohl kaum ein Vollzeitjob.“

„Darüber hinaus erwarte ich von Ihnen, dass Sie mich zu meinen übrigen Geschäftsstandorten begleiten.“

„Sie verfügen über Firmenaußenstellen sowie über Häuser in Los Angeles, New York und auf den Bermuda-Inseln, richtig?“

„Die Villa auf Bermuda zählt im Grunde nicht zu den Firmensitzen – obwohl ich dort vermutlich nicht weniger Geschäfte abgeschlossen habe als andernorts. Vor allem meinen japanischen und deutschen Kunden gefällt es dort.“

Etwas beunruhigend Scharfsichtiges blitzte in den Tiefen ihrer wunderschönen Augen auf. „Sie erwarten also, dass ich meinen Job kündige, um mit Ihnen davonzufliegen und mich ins Partyleben zu stürzen – habe ich das richtig verstanden?“

Er zuckte kaum merklich zusammen, drauf und dran, sich gegen ihre Einschätzung seines Lebenswandels zu verwehren. Sein Leben war keineswegs eine einzige Party; er hatte verdammt hart für seinen Erfolg geschuftet. Aber er würde sich nicht von einer besseren Verkäuferin in eine Debatte über seine Geschäftspraktiken verwickeln lassen. „Ich denke, dass eine kluge junge Dame wie Sie sich für die bessere von zwei Positionen zu entscheiden weiß“, erwiderte er ruhig.

Lange sah sie ihn an. Ja, dachte er, hinter diesen betörenden Augen arbeitet es jetzt wie wild.

„Aus dem wenigen, was Paula mir erzählt hat, schließe ich, dass meine Vorgängerinnen sich alle nicht lange gehalten haben.“

„Was offenkundig daran lag, dass sie für die Stelle nicht geeignet waren“, konterte er.

„Und ich bin es?“

„Ich denke schon.“

Sie nickte, behielt ihre Gedanken aber für sich. Matt hatte es nie ausstehen können, hingehalten zu werden. Ungewissheit empfand er als quälend. Er war versucht, Abigail eine Antwort zu entlocken, hielt sich jedoch zurück.

„Und wer garantiert mir, dass ich nicht in ein paar Wochen wieder auf der Straße stehe?“, fragte sie endlich.

„Denken Sie nach, Abigail. Was zur Hölle können Sie schon lernen, indem Sie Studenten Cappuccino servieren? Ich biete Ihnen die Chance, Kontakte zu Leuten zu knüpfen, die einige der erfolgreichsten, renommiertesten Unternehmen weltweit leiten.“

„Das weiß ich ja!“, entgegnete sie scharf. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen. „Aber ich will wissen, worauf ich mich einlasse. Und ich will einen Vertrag … einen Jahresvertrag.“

„Sollen Sie haben.“

Sie blinzelte überrascht. „Und meine – beschränkten – Pflichten werden darin genau festgelegt.“ Ihr prüder, förmlicher Ton passte nicht zu ihren langen, glatten Beinen.

„Absolut“, willigte Matt ein. Er würde ihr nicht die Genugtuung verschaffen, auf die inoffiziellen Pflichten einzugehen, die sie vermutlich so nervös machten. Mit Angestellten hatte er sich noch nie eingelassen.

Dass seine Gedanken gerade in eben diese Richtung wanderten, konnte er jedoch nicht verhindern. Abigail duftete so gut. Und das besondere Rot ihres Haars ließ ihn darüber nachdenken, Blondinen und Brünette künftig links liegen zu lassen. Abigail war einfach faszinierend.

„Ich werde nämlich nicht mit Ihnen schlafen, Mr Smythe.“

Es war also heraus. Nun musste er Verständnis für ihre Sorgen heucheln. „Mir ist nicht daran gelegen, mit Ihnen ins Bett zu gehen, Miss Benton. Mir käme nie in den Sinn, mich einer Frau als Gegenleistung für eine Anstellung sexuell zu nähern“, erklärte er deutlich. Das Letzte, das eine Führungskraft heutzutage brauchte, war eine Klage wegen sexueller Belästigung.

Sie nickte, offenbar zufrieden. Ob sie ihm glaubte, konnte er nicht sagen. Er wusste ja nicht einmal, ob er sich selbst glaubte. Mit Abigail Benton zu schlafen, reizte ihn zusehends mehr. Je länger sie um dieses Thema herumschlich, desto ausgiebiger beschäftigte es seine Fantasie.

„Was würden Sie mir zahlen?“, fragte sie.

Er unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Sie war bereit, übers Eingemachte zu reden. Wie er es liebte, sich mit einem würdigen Gegner zu messen. Er nahm Stift und Papier und schrieb eine Zahl auf.

Mit einer grazilen Bewegung zupfte Abigail ihm den Zettel aus den Fingern, rümpfte jedoch nach einem Blick darauf die Nase. „Soll ich davon etwa auch meine Reisekosten decken?“

„Natürlich nicht.“

Sie seufzte. „Meine Garderobe ist nicht gerade üppig. Ich weiß nicht, ob ich es mir leisten kann, mich Ihren Ansprüchen gemäß zu kleiden.“

Mist. Er nahm einen neuen Zettel und kritzelte eine höhere Summe darauf, plus eine generöse Aufwandsentschädigung für Kleidung. Auch diesen Zettel nahm sie entgegen.

Ihre Augen wurden groß, aber wieder seufzte sie. „Tut mir leid, das ist wirklich mehr als großzügig. Aber um ehrlich zu sein, geht es mir gar nicht ums Geld. Ich habe schlicht nicht das Gefühl, dass dies eine sichere Stelle für mich wäre. Aber genau das brauche ich derzeit mehr als alles andere.“ Sie sah ihn um Verständnis heischend an. „Ich will sparen, um einen eigenen kleinen Gourmetladen am Lake Michigan zu eröffnen. Außerdem hatte ich nie die Absicht, Chicago zu verlassen. Ich stamme von hier, wissen Sie, und ich weiß Ihr Angebot zu schätz…“

Ungeduldig schrieb er eine dritte Zahl auf, doppelt so hoch wie sein erstes Angebot. Für ihn war die Summe eine Bagatelle, aber Abigail würde sie unverschämt hoch erscheinen. Ruckartig hielt er ihr den Zettel hin und beobachtete mit diebischem Vergnügen, wie die Verzweiflung in ihrer Miene Schock wich.

„Lord Smythe!“

„Matt.“

Sie seufzte und sah ihn so flehend an, als hoffte sie darauf, dass er ihren Widerstand ohne weitere Erklärung hinnehmen würde.

„Zum Teufel“, murmelte er, weil er verstand, was sie wollte – Erfolg ohne Risiko. Doch selbst davor fürchtete sie sich. Abigail, dachte er, es wird Zeit, dass jemand dich von deinem sicheren kleinen Seerosenblatt schubst. Und er benötigte jemanden wie sie, der ihn bei Geschäftsessen und ähnlichen Gelegenheiten unterstützte. Mitbewerber wie Joseph Cooper Imports saßen ihm seit Jahren im Nacken. Was immer er tun konnte, um sich an der Spitze zu halten, würde er tun.

Er schrieb eine vierte Zahl nieder. „Mein letztes Angebot. Entscheiden Sie sich nicht sofort. Schlafen Sie eine Nacht darüber.“

Sie wollte etwas sagen, aber er war schneller: „Besprechen Sie das Angebot mit Ihrer Mitbewohnerin, Ihren Eltern, Ihrem Priester – mir ist es gleich, mit wem. Teilen Sie mir morgen Ihre Entscheidung mit. Falls Sie wirklich Ihren eigenen Laden oder eines Tages gar eine Kette haben wollen, sollten Sie die Chance nutzen.“

Immer noch starrte sie ungläubig auf die Summe.

„Sehen Sie es so“, fuhr er fort. „Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist, dass Sie härter denn je arbeiten müssen. Aber dafür hätten Sie Ihr Gründungskapital viermal schneller zusammen als in irgendeiner anderen Anstellung. Und Sie würden die Branche in- und auswendig kennenlernen.“

Die Limousine hielt. Der Fahrer öffnete die Tür. Abigail stieg aus, in der einen Hand die Zettel, in der anderen Handtasche und Tüte. Verstört starrte sie ihn an, als hoffte sie, doch noch zu begreifen, was hier gespielt wurde.

„Es wird keine bösen Überraschungen geben, Miss Benton. Ich brauche intelligente, engagierte Leute um mich, und ich denke, dass Sie zu dieser Sorte gehören.“ Er sah sie durchdringend an, um sie wissen zu lassen, dass es ihm ernst war. „Rufen Sie mich an. Es geht um Ihre Zukunft.“

Auf seine vage Geste hin schloss der Fahrer die Tür. Matt lächelte breit. Nun, er war Abigail gegenüber durchaus aufrichtig gewesen, was die beschränkten Pflichten anging. Dennoch war es eine verlockende Vorstellung, mit ihr zu schlafen. Äußerst verlockend.

Sollte Abigail sich allerdings entscheiden, für ihn zu arbeiten, konnte er es sich nicht leisten, sie zu seiner Geliebten zu machen. Dafür wäre sie in anderer Hinsicht zu wertvoll für ihn. Und das Geschäft kam stets an erster Stelle.

In dieser Nacht tat Abby kein Auge zu. Erst als der Morgen blass und rosig anbrach, fiel sie in einen unruhigen Dämmerschlaf. Als der Wecker klingelte, drückte sie einmal, zweimal die Schlummertaste, ehe sie das verflixte Ding an die Wand pfefferte. Danach zog sie sich das Kissen über den Kopf. Was interessierte es sie, wie spät es war? Sie brauchte Schlaf.

„Und? Wie war es gestern Abend?“, drang eine viel zu muntere Stimme zu ihr durch.

Vorsichtig spähte Abby unter dem Kissen hervor. In der Tür zu ihrem Schlafzimmer stand Dee und nippte an ihrer morgendlichen Tasse Kaffee. Abby verfluchte Dees mitleidloses Herz. „Lass mich in Ruhe.“

„Es ist Samstag. Musst du nicht um neun Uhr im Cup and Saucer sein?“

„Oh, Gott, ja. Das hatte ich ganz vergessen.“ Abby warf das Kissen beiseite, presste sich die Fingerspitzen an die Schläfen und blinzelte ins Morgenlicht.

„So schlimm, hm?“, tippte Dee. „Langweilige Leute, mieser Fraß und der Boss hat dich angebaggert. Armes Baby.“

„Nicht ganz.“ Abby setzte sich auf. „Die Leute waren interessant, das Essen war besser als alles, das ich je gegessen habe, und Smythe hat mir einen Job angeboten, bei dem ich viermal mehr verdienen würde als jetzt.“

„Was für ein Flop.“ In Dees Augen blitzte es schalkhaft.

„Hör auf damit. Das ist nicht komisch.“

„Siehst du mich lachen? Klingt ganz so, als wärest du mitten in einem Traum gelandet. Wieso wirkst du wie ein gehetzter Vogel Strauß, statt vor Freude auf dem Bett herumzuspringen?“

Abby verdrehte die Augen. Wie sollte sie Dee nur ihre wirren Gefühle erklären? „Weil ich ihm nicht traue. Und ebenso wenig traue ich mir selbst, wenn es darum geht, die richtige Entscheidung zu treffen.“

Dee setzte sich auf die Bettkante. „Erzähl Mama alles.“

Abby nahm einen Schluck aus der Tasse ihrer Freundin. „Er ist … Ich weiß auch nicht … überwältigend. Du müsstest ihn erleben, um es zu verstehen. Wenn Matthew Smythe einen Raum betritt, weiß man einfach, dass er mit allem, was er haben will, wieder hinausgeht. Ich wette, er schließt nächste Woche gleich mit allen drei hohen Tieren von gestern Abend Geschäfte ab. Und als er mich in seiner Limo nach Hause gebracht hat …“

„In seiner Limo?“ Dee hob eine tiefschwarze Braue.

„Ja, in seiner Limo. Er will, dass ich für ihn arbeite. Als ich nicht sofort zugestimmt habe, hat er das Gehalt immer wieder erhöht. Dabei hat er beteuert, rein geschäftliche Motive und keine Hintergedanken zu haben.“

„Das behaupten sie immer“, erwiderte Dee versonnen, wenn auch nicht sonderlich empört.

„Es klang so, als meinte er es tatsächlich ernst. Das war es, was mich beunruhigt hat.“

„Wolltest du etwa, dass er dich anmacht?“

„Natürlich nicht! Zumindest glaube ich das nicht. Aber als er es nicht getan hat, war ich irgendwie … enttäuscht.“ Abby gestikulierte wild. „Es ist so schwer zu erklären. In seiner Gegenwart traue ich mir selbst nicht. Da fühle ich mich wie ein Raumschiff in einem dieser Science-Fiction-Filme – mein Schutzschild bricht zusammen.“

Dee lachte. „Du armes Ding.“

„Das Dumme ist, dass der Job einfach perfekt wäre. Er würde mich ein gutes Stück voranbringen, was den eigenen Laden angeht. Ich müsste lediglich zwei, drei Jahre für Smythe arbeiten, dann hätte ich mein Startkapital zusammen und obendrein noch die Erfahrung, die man zum Führen eines eigenen Geschäfts braucht.“

„Aber?“

„Aber ich dürfte meinen Schutzschild nicht einen Moment lang herunterlassen.“

„Denn das möchtest du nicht nach allem, was vorgefallen ist, stimmt’s?“

Die Frage tat weh, denn Dee bezog sich auf die Männer, die in Abbys Leben getreten waren, nur um zu erfahren, dass sie vorhatte, vor ihrer Hochzeit mit niemandem zu schlafen. Mit Richard Wooten hatte sie es immerhin fast bis vor den Altar geschafft – mit Betonung auf „fast“.

Abby nickte. Erst jetzt gestand sie sich ein, was sie den ganzen Abend über empfunden hatte. „Er sieht unbeschreiblich gut aus, und ich finde keine Worte für das, was er in mir auslöst.“ Sie zögerte. „Aber das ist noch nicht alles.“

„Ich bin ganz Ohr.“ Dee nahm einen Schluck Kaffee, ohne Abby aus den Augen zu lassen.

„Ich bin nicht sicher, ob ich ihm abnehmen kann, dass er die Finger von mir lassen will. Ich weiß, das klingt widersprüchlich; schließlich habe ich gerade erst gesagt, wie sexy ich ihn finde. Aber wenn er mich in diesem Punkt anlügt, kann ich ihm dann überhaupt vertrauen? Zum Beispiel darin, dass er mich nicht nach wenigen Monaten feuert?“

Dee zuckte mit den Achseln. „Da ist was dran. Würdest du hier in Chicago arbeiten?“

„Zeitweise.“ Abby kaute auf der Unterlippe und starrte auf ihre Glastiersammlung. Einige der Figuren besaß sie seit der siebten Klasse, und ihre Eltern schenkten ihr zum Geburtstag und zu Weihnachten regelmäßig weitere. „Ich soll ihn auf Reisen begleiten, seine Empfänge und Partys organisieren, mich überall um seine Kunden kümmern.“

Dee schüttelte betont feierlich den Kopf. „Welch hartes Los …“

Abby funkelte sie wütend an. „Du machst dich über mich lustig.“

„Wirklich?“ Dee zwinkerte ihr zu.

Ehe Abby ihr ein Kissen an den Kopf werfen konnte, klingelte das Telefon. Sie griff danach.

„Ich möchte umgehend Ihre Antwort“, grollte eine Stimme aus dem Hörer, noch ehe Abby die Chance hatte, sich zu melden.

„Lord Smythe!“ Peinlich berührt zog Abby sich die Bettdecke über ihr dünnes Nachthemd … um sich gleich darauf albern vorzukommen, als Dee über diese reflexartige Reaktion lachte. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, darüber nachzudenk…“

„Sie haben eine Nacht über mein Angebot geschlafen“, fiel er ihr ins Wort. „Wenn Ihre Entscheidung jetzt nicht steht, tut sie es auch in vierundzwanzig Stunden nicht.“

Abby warf Dee einen verzweifelten Blick zu, doch Dee sah sie nur amüsiert an. Ihre Freundin war definitiv keine Hilfe.

Abby räusperte sich. „Wenn ich für Sie arbeiten würde, würde sich eine Menge für mich ändern. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Chicago eigentlich nicht verlassen möchte, und …“

„Haben Sie Familie hier?“

Bildete sie es sich nur ein, oder war sein Ton eine Nuance weicher geworden? „Nicht in der Stadt, sondern dreißig Meilen entfernt.“

„Erfreuen sich Ihre Eltern guter Gesundheit?“

„Ja.“

„Haben Sie einen Freund?“

„Nein“, antwortete sie automatisch, wenngleich sie bei jedem anderen Bewerbungsgespräch erwidert hätte, dass das niemanden etwas anging.

„Persönliche Bindungen haben Sie also keine“, murmelte er. „Verstehe.“

Was sollte das bitte schön heißen, fragte sie sich gehetzt.

„Erklären Sie mir doch, Abby …“, fuhr er in seinem tiefen Bariton fort, der sie warm durchrieselte, „… was hält Sie eigentlich in dieser Stadt?“

Ja, was? Vielleicht schlicht der Umstand, dass sie nie einen anderen Wohnort in Erwägung gezogen hatte. Sie fühlte sich geborgen in ihrer vertrauten Umgebung. „Nichts“, flüsterte sie. „Nichts hält mich hier. Chicago ist einfach mein Zuhause.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Es war ein vorsätzliches Schweigen, argwöhnte sie, um sie über das nachdenken zu lassen, was sie gerade gesagt hatte. Und das tat sie. Sie wog die Vorteile ab … und die Gefahren. So hohe Risiken wie die, die eine Anstellung bei Matthew Smythe mit sich brachte, hatte sie nie eingehen wollen. Ihr zog sich der Magen zusammen.

Dee knuffte sie unsanft und formte stumm die Worte: „Nimm an!“

Abby atmete tief durch. „Ich muss meiner Chefin Bescheid geben.“

„Ich will, dass Sie heute anfangen.“

„Aber ich …“

„Montagmorgen fliegen wir nach New York. Sie werden sich das Wochenende über mit allem rund um die Firma vertraut machen müssen. Ich möchte Sie heute gegen Mittag in meinem Büro sehen.“

Abby hielt die Hand übers Telefon und flüsterte Dee zu: „Ich verhandele mit Attila dem Hunnenkönig!“

Dee kicherte. „Aggressivität liegt ihnen im Blut, Schätzchen.“

Nicht jedem Mann, dachte Abby. Ihr Instinkt riet ihr eindringlich, Nein zu sagen, schon um Smythe zu ärgern. Aber damit würde sie sich ins eigene Fleisch schneiden. Hunderte, nein Tausende junger Frauen hätten die Gelegenheit sofort ergriffen.

Durchs Telefon meinte sie eine andere Stimme zu hören, eine weibliche. Abby lauschte, konnte jedoch nichts verstehen.

Dann wandte sich Matt wieder an sie, sein Tonfall deutlich freundlicher als zuvor. „Falls Sie mit den Bedingungen und dem Gehalt einverstanden sind, wird Paula Sie einweisen. Sie bittet Sie, ihr zu sagen, wann es Ihnen passt; sie richtet sich ganz nach Ihnen.“ Er klang wie ein Schuljunge, der die Worte seines Lehrers wiederholt. Jemand hatte ihn also zu mehr Höflichkeit angehalten. Interessant, dachte Abby.

„Ich kann meine Chefin nicht im Regen stehen lassen“, erwiderte sie. „Erst muss ich einen Ersatz für mich auftreiben. Ich melde mich, wenn ich weiß, wann ich anfangen kann.“

Nachdem das Gespräch beendet war, starrte Matt das Telefon an und dachte über den Verlauf der Unterhaltung nach. Abigail hatte im Grunde nicht zugesagt, sondern ihn lediglich davon in Kenntnis gesetzt, dass sie erscheinen würde, sobald sie konnte – falls sie konnte. Es war, als würden sie nach wie vor um die Vorherrschaft ringen. Aber um welche Art von Vorherrschaft? Er hatte das Verhältnis zwischen Boss und Angestellten immer für eine klar umrissene Sache gehalten. Er war derjenige, der sagte, wo es langging!

Nachdem Paula sein Büro verlassen hatte, lehnte er sich in seinem skandinavischen Bürosessel zurück, schwang die Beine auf die polierte Teakholzplatte seines Schreibtisches und ging die Angelegenheit im Geiste nochmals durch.

Abigail war auf Erfolg aus und ein heller Kopf, kein Zweifel. Doch innerlich war sie auf der Hut.

Ihm selbst war Vorsicht fremd. Vermutlich lag es daran, dass er sich nie Sorgen gemacht hatte, zu versagen. Das Familienvermögen war immer da gewesen – eine Art Sicherheitsnetz, das ihn aufgefangen hätte. Wer einige Millionen auf einem Londoner Bankkonto liegen hatte, machte sich keine Gedanken über etwaige Fehltritte.

Dabei war Matt gar nicht darauf aus, mehr Geld zu scheffeln; das war für ihn ohne Belang. Sein Erfolgsstreben führte er vielmehr darauf zurück, dass er seinem Vater seine Unabhängigkeit demonstrieren wollte. Er war weder auf dessen Vermögen noch auf das Anwesen im Süden Englands angewiesen, das mit dem Titel einherging.

Der Earl of Suffolk, sein Vater, hatte ein ums andere Mal bewiesen, dass er seine Söhne nicht brauchte. Matt hatte darum die erstbeste Chance ergriffen, um nach Amerika zu gehen und auf eigenen Füßen zu stehen – auch wenn er damit Geld, soziale und geschäftliche Beziehungen sowie den Grundbesitz hinter sich gelassen hatte.

Abigail hingegen verfügte über keinerlei finanzielle Sicherheit.

Er kannte Menschen wie sie, denn Paula hatte, als er sie eingestellt hatte, ähnlich dagestanden – wenn auch etwas älter und mit zwei Söhnen.

Die bloße Vorstellung, Abigail könnte in ihrem derzeitigen Job genügend Geld für ein eigenes Geschäft beiseitelegen, war lächerlich.

Es gab Tausende Singles wie Paula und Abigail – sie kamen gerade so über die Runden, klammerten sich aber hartnäckig an ihre Träume von Schuldenfreiheit oder gar einem Eigenheim. Matt hielt sich nicht für einen Wohltäter, genoss jedoch die Vorstellung, seinen Mitarbeitern zu ermöglichen, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Einige nutzten sie. Andere nicht.

Zu welcher Gruppe würde Abigail zählen?

Matt schob einige Mappen in seine Aktentasche, verlangte nach seinem Wagen und erledigte noch zwei wichtige Telefonate. Als er forschen Schrittes den Empfangsbereich durchquerte, schaute Paula auf. „Ihr neues Mädchen für alles hat gerade angerufen. Da Sie telefoniert haben, habe ich mit ihr gesprochen. Sie wird gegen vierzehn Uhr hier sein.“

„Gut. Weisen Sie sie ein, wie besprochen?“

Paula nickte, sah ihn aber merkwürdig an. „Werden Sie nicht dabei sein?“

„Ich kann nicht sagen, wann ich mit meinen Terminen durch sein werde. Übernehmen Sie das ruhig.“

Bevor er hinaus auf den Korridor ging, zögerte er. „Danke, dass Sie an einem Samstag hergekommen sind, Paula. Werden Sie an diesem Wochenende trotzdem genügend Zeit für Ihre Jungs haben?“

Sie lachte. „Samstags haben junge Männer ohnehin eigene Pläne. Oder wissen Sie nicht mehr, wie das Leben war, ehe man zwanzig wurde? Morgen allerdings führen sie mich zum Brunch aus.“

Matt lächelte, froh darüber, sie vor Stolz strahlen zu sehen. In wenigen Jahren würden ihre Söhne aufs College gehen. Er würde sich nach Stipendien oder einem privaten Sponsor umsehen müssen. „Viel Spaß morgen. Sie können gehen, sobald Sie Abigail das Nötigste erklärt haben. Sie soll auf mich warten, und bis dahin kann sie sich mit den Kundenakten befassen.“

Während er auf den Aufzug wartete, dachte er an Abigail. Im Grunde war es die Fortsetzung eines Gedankens … Als er letzte Nacht in den Schlaf geglitten war, hatte Abigail ihn heimgesucht mit ihren herrlichen Beinen, ihren mokkabraunen Augen, der roten Lockenmähne, die ihr über die Schultern strömte … Wie außergewöhnlich sie war.

Aber bestimmt würde er im Arbeitsalltag genügend Dinge an ihr entdecken, die ihn nerven und seinen aufsässigen Hormonen einen Dämpfer verpassen würden. Dann brauchte er solche Gedanken nicht länger zu fürchten.

Abbys Einstand bei Smythe International war unspektakulär. Sie wurde von Paula Shapiro empfangen, die sie ja schon am Vortag gesehen hatte. „Mein offizieller Titel lautet Assistentin der Geschäftsleitung“, stellte Paula sich vor und zwinkerte ihr zu. „Gewöhnliche Tippse trifft es allerdings eher. Meine vorrangige Aufgabe besteht darin, den Mann daran zu hindern, sich selbst und uns durch Arbeit umzubringen.“

Abby lachte nervös. „Offenbar sagt es ihm zu, wenn Anstehendes prompt erledigt wird … und seinen Anweisungen gemäß.“

„Oh, er weiß, was er will, so viel ist sicher. Und wenn er es nicht bekommt, ist die Hölle los. Ich gebe Ihnen einen Rat“, flüsterte Paula ihr auf dem Weg in einen Konferenzraum vertrauensvoll zu. „Sie werden am besten mit ihm fertig, wenn Sie keine Angst zeigen. Er ist klug genug, sich nicht mit mir anzulegen, aber die letzten vier Kundenbetreuerinnen hat er vergrault, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Davor hatte sich eine in ihn verliebt, und das war ihr Todesurteil. Geschäftliches und Privates trennt Matthew nämlich strikt.“

Abby schüttelte den Kopf. Das klang alles andere als ermutigend. „Was ich mich frage … Wie lange haben meine Vorgängerinnen jeweils durchgehalten?“

„Ein Jahr war die längste Frist, zwei Wochen die kürzeste. Ich hoffe, dass Sie eine Weile bei uns bleiben.“ Paula drückte ihr den Arm und wies mit einer Geste auf einen langen Mahagonitisch, auf dem sich Schnellhefter stapelten. „Ein wenig Stabilität würde uns guttun. Ständig mit neuen Leuten zu arbeiten, ist nicht eben leicht.“

Abby lächelte zuversichtlicher, als ihr zumute war. „Ich lasse mir mit Entscheidungen vielleicht etwas Zeit, aber leicht einzuschüchtern bin ich nicht.“

„Gut, dann wollen wir uns an die Arbeit machen. Zunächst werde ich Sie über die Personen ins Bild setzen, die Sie in New York treffen werden.“

Sie gingen mehrere Akten durch, ehe Paula sie über die übrigen Firmenbüros informierte und ihr erklärte, was genau von ihr verlangt wurde. Um halb fünf schaute Paula auf die Uhr. „Ich muss los. Matthew hat darum gebeten, dass Sie auf ihn warten. Vielleicht mögen Sie sich schon einmal die Korrespondenz in der Akte Miller und Capshaw vornehmen?“

„Wird er noch lange brauchen?“ Abby aß früh zu Abend und verspürte bereits einen Anflug von Hunger.

Paula zuckte mit den Schultern. „Er ist unberechenbar, aber ich denke, dass er in spätestens einer Stunde hier sein wird.“

Abby nickte. Eine Stunde würde sie mühelos durchhalten.

Nach einiger Zeit rieb sie sich die müden Augen und schaute zur Wanduhr. Es war Viertel vor sieben. Sie durchstöberte Schränke und Schubladen in der Hoffnung, auf einen vergessenen Schokoriegel oder Apfel zu stoßen, doch vergebens. Ihr Magen grummelte ungeduldig. Abby erwog, den übervollen Vorratsraum zu plündern, aber gewiss gab es eine Vorschrift, die Angestellten untersagte, sich über die für die Gäste bestimmten Leckereien herzumachen. Es gab mehrere Restaurants in der Nähe, allerdings keines, das lieferte. Sie war angewiesen worden, auf ihren Chef zu warten. Vermutlich würde er ausgerechnet dann auftauchen, wenn sie kurz fort war, um sich etwas zu essen zu holen. Also wartete sie und wurde zunehmend gereizter.

Um halb acht war sie halb verhungert und wütend. Er hätte sie zumindest anrufen können, verdammt! Sie durchsuchte Paulas Schreibtisch nach seiner Nummer, aber es gab keine Rollkartei, und die Schubladen waren verschlossen. Falls sich auf dem Computer eine Telefonliste befand, wäre diese bestimmt passwortgeschützt.

In ihrer wachsenden Verzweiflung betrat sie Matts Büro. Irgendwo mussten sich doch seine Kontaktdaten finden. Sie schaltete das Licht an. In dem Raum befanden sich keine Aktenschränke, nur ein riesiger Schreibtisch aus einer exotisch anmutenden Holzart mit Ebenholzintarsien an den Ecken, dazu ein maskulin wirkender Sessel und zwei Besucherstühle. Ein Orientteppich in satten Gold- und Blautönen bedeckte das glänzende Parkett. Matt legte offenbar Wert auf Schlichtheit, ließ sich diese aber auch etwas kosten.

Sie ging zum Tisch hinüber. Auf der ledernen Schreibtischunterlage befand sich, säuberlich aufgeschichtet, ein Stapel ungeöffneter Briefe, daneben lag ein Brieföffner mit Elfenbeingriff, in welches ein Familienwappen eingeprägt war. Sein Familienwappen?

Halbherzig blätterte sie die Briefe durch. Einer fiel ihr ins Auge – oder vielmehr der Name des Empfängers, der auf das Kuvert gedruckt war: Lord Matthew Robert Smythe, siebter Earl of Brighton.

Abby fuhr mit den Fingerspitzen über das cremeweiße Papier.

Laut Absender kam der Brief aus London. Das Schreiben stammte offenbar von einer Anwaltskanzlei. Weshalb wohl war Matt überhaupt nach Amerika gekommen, um eine Firma aufzubauen, wenn er doch in Großbritannien verwurzelt war? Sein Akzent war kaum wahrnehmbar, und mehr als einmal hatte sie gespürt, dass es ihm widerstrebte, wenn man ihn mit seinem Adelstitel anredete. Das kam ihr seltsam vor, fast so, als versuchte er seine Vergangenheit bewusst zu verdrängen, sie auszulöschen. Warum? Wollte er nur seine Privatsphäre schützen – oder steckte etwas anderes dahinter?

Kopfschüttelnd rief sie sich zur Ordnung. Schließlich bestand kein Anlass, sich mit den Schrullen ihres neuen Vorgesetzten zu befassen. Oder etwa doch? Sie verließ sein Büro. Falls er unliebsame Personen und Orte einfach aus seinem Leben strich, betraf das sie und die übrigen Angestellten womöglich sehr wohl, nicht wahr?

Vielleicht hatte Paula ihr im Hinblick auf ihre Vorgängerinnen nicht die ganze Wahrheit gesagt. Wer wusste schon, was Matt dazu beigetragen hatte, dass sie alle aufgegeben hatten? Eventuell hatte er sie sogar gefeuert. Falls dem so war, endete sie in wenigen Monaten womöglich genauso: mitten in New York, Los Angeles oder Hongkong sitzen gelassen, ohne Job oder auch nur die Möglichkeit, zurück in ihr sicheres, vertrautes Chicago zu gelangen.

Der Gedanke ließ sie schaudern, doch gleich darauf wurde sie wütend. Erneut sah sie auf die Uhr. Es war fast acht. Sie schlang sich ihre Handtasche über die Schulter, knipste das Licht aus und schloss die Bürotür hinter sich ab. Wieso sollte sie auf einen Kerl warten, dem das Wohl seiner Mitarbeiter völlig gleichgültig war?

Matt schritt durch die von Marmor und Glas dominierte Lobby. Er war bereits an dem Mann vom Wachpersonal vorbei, als dieser ihm hinter seiner Glasscheibe zuwinkte. „Einen Moment bitte, Lord Smythe. Eine junge Dame hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen.“

„Eine junge Dame?“ Matt musste kurz nachdenken, ehe ihm aufging, dass nur Abigail gemeint sein konnte. Er griff sich im Vorbeigehen den Zettel und betrat den wartenden Aufzug. Bevor er seine Etage erreicht hatte, hatte er die Notiz überflogen und verfluchte die Frauenwelt im Allgemeinen. Sobald die Fahrstuhltüren sich öffneten, drückte er ungehalten den Knopf fürs Erdgeschoss und fuhr wieder hinunter ins Foyer.

Er schäumte innerlich noch immer, als er Abigails Apartmenthaus in Chicagos berühmtem, zentral gelegenem Stadtteil The Loop erreichte. Ein Mann, voll beladen mit Lebensmitteln, schob sich soeben durch die Haustür, und Matt folgte ihm, ohne innezuhalten. Die Briefkästen waren mit den Namen der Mieter und den Apartmentnummern versehen. Einen Fahrstuhl entdeckte er nicht; also entschied er sich für die Metalltreppe und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Mit jedem Treppenabsatz brodelte sein Zorn heißer. An Apartment 4B angelangt, hämmerte er mit geballter Faust gegen die Tür, wodurch ein Blätterregen von einem verdorrten Blumenkranz zu Boden rieselte.

Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und Abby spähte hindurch, einen Käsetoast schon halb im Mund. „Was tun Sie denn …“

„Was tun Sie hier?“, unterbrach er sie und drängte sich unaufgefordert in die kleine Wohnung. „Haben Sie Probleme damit, eine simple Anweisung zu verstehen? Warten Sie auf mich. Oder hat Paula sich nicht klar genug ausgedrückt?“

Abigail stand in der offenen Tür und starrte ihn an, als wäre er ein Elch, der sich in ihr Wohnzimmer verirrt hatte. „Sie haben grauenhafte Manieren.“

„Meine Umgangsformen sind jetzt nicht das Thema“, knurrte er. „Ich hatte vor, heute Abend einige wichtige Unterlagen mit Ihnen durchzugehen.“

„Ich habe lange genug auf Sie gewartet“, gab Abby zurück und drückte die Tür mit dem Fuß zu. „Weit über die reguläre Arbeitszeit hinaus, und das an einem Samstag. Ich hatte einen Bärenhunger, es gab nichts zu essen, und eine Möglichkeit, Sie zu kontaktieren, bestand auch nicht. Es hätte ja sein können, dass Sie mich völlig vergessen hatten. Dann würde ich jetzt immer noch warten.“

Matt zuckte zusammen. War er wirklich derart rücksichtslos gewesen? Er hatte vorgehabt, sie zu einem Geschäftsessen einzuladen. Er selbst aß nie vor acht oder neun Uhr zu Abend, und so war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass sie es anders gewöhnt sein könnte. So leicht würde er sie jedoch nicht vom Haken lassen. „In diesem Job stehen Sie vierundzwanzig Stunden in Bereitschaft, Miss Benton.“

„Nein“, erwiderte sie knapp. „Keineswegs.“ Abermals biss sie von ihrem Toast ab, kaute und schluckte, wobei sie Matt so unverwandt wie kühl fixierte. „Ich werde hart arbeiten, aber mich dabei nicht vernachlässigen. Und deshalb werde ich nicht Däumchen drehend und halb verhungert in einem leeren Büro darauf warten, für Sie springen zu dürfen.“

Matt funkelte sie an. Er spürte ein Gefühl der Hitze seinen Nacken hinaufkriechen. Nicht einmal Paula wagte es, so mit ihm zu reden – ohne den Respekt, der ihm als Mitglied des britischen Hochadels gebührte, ihm, der Millionen gemacht hatte und …

Er blinzelte, schockiert über das, was ihm da gerade durch den Kopf geschossen war. Wessen Stimme war das gewesen? Seine eigene jedenfalls nicht.

Respekt – der alte Earl, sein Vater, hatte ihm ständig damit in den Ohren gelegen.

Das Ansehen der Familie in der gehobenen Gesellschaft war immer überaus wichtig für seinen alten Herrn, den Earl of Suffolk, gewesen. Daher hatte sein Vater alle Konventionen in den Wind geschlagen und durchgesetzt, dass auch seine drei Söhne zum Earl erhoben wurden. Aus diesem Grund gab es jetzt vier Earls in der Familie.

Erinnerungen an eine unglückliche, einsame Vergangenheit stiegen in ihm auf und drohten ihn zu überwältigen. Der Earl of Suffolk war der letzte Mensch auf Erden, dem er nacheifern wollte.

Abigail redete noch immer. Matt versuchte, sich auf ihre Worte zu konzentrieren.

„… und wenn ich aufgegessen habe, werde ich noch einmal darüber nachdenken, ob ich diesen Job als Ihre persönliche Sklavin überhaupt behalten soll.“ In ihren Augen blitzte es herausfordernd.

Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen. Wirkte er tatsächlich wie ein tyrannischer Sklaventreiber? Wenn er es recht bedachte, war es wirklich ein wenig gedankenlos gewesen, sie nicht einmal anzurufen und sich zu erkundigen, ob sie mit seinen Plänen einverstanden war. „Es, ähm, es tut mir leid“, murmelte er stockend, während sie das letzte Stück Toast verspeiste.

„Das sollte es auch.“ Sie leckte sich Butter und Krümel von den Fingerspitzen.

„Ich arbeite von morgens früh bis abends spät und esse, wenn ich zwischendurch gerade Zeit habe“, erklärte er. „Vermutlich bin ich davon ausgegangen, dass andere Menschen es ebenso handhaben.“

„Verstehen Sie mich nicht falsch“, entgegnete sie. „Ich bin durchaus in der Lage, in meinem Job alles zu geben. Aber wenn ich nicht dann und wann etwas esse, bin ich nur ein halber Mensch.“

Er lachte leise. „Das geht natürlich nicht, dass Sie nur ein halber Mensch sind.“ Die ganze Abigail gefiel ihm besser.

Sie zuckte mit den Achseln. „Vielleicht sind Ihre früheren Kundenbetreuerinnen allesamt verhungert.“

Dieses Mal lachte er laut heraus. Sie besaß Humor – und Mumm! „Wohl kaum. Ich weiß nicht genau, weshalb sie gegangen sind. Wobei ich einigen nicht nachgetrauert habe. Die Damen hatten kein solches Händchen für Menschen wie Sie.“

Abigail schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln.

Er hatte ihr schmeicheln wollen, ja, aber das Kompliment war ernst gemeint. Sie war tatsächlich gut. Sehr gut sogar. Mit ihrer offenen, freundlichen Art hatte sie seine Gäste für sich eingenommen. Matt trat näher, aus dem unerklärlichen Verlangen heraus, den Abstand zwischen ihnen zu verringern. „Zur Rettung meiner Ehre sei gesagt, dass ich vorhatte, Sie zum Dinner auszuführen. In dem Restaurant gibt es im hinteren Bereich einen ruhigen Tisch, wo wir unseren Arbeitstag in einem angenehmeren Ambiente als im Büro hätten beschließen können.“

„Oh.“ Das nahm ihr sichtlich den Wind aus den Segeln.

„Wir könnten immer noch hingehen. Wie wäre es, wenn Sie Ihr Sandwich als Vorspeise betrachteten?“ Ihn lockte die Vorstellung, Abigail gegenüberzusitzen, ihr Gesicht in den warmen Schein einer Kerze getaucht …

Sie schüttelte den Kopf, wenn auch scheinbar widerwillig. „Ich bin ziemlich fertig. Könnten wir uns auch anderweitig auf die Reise vorbereiten?“

„Ich rufe Sie morgen gegen zehn Uhr an, sofern Ihnen das recht ist, und gebe Ihnen ein paar Details durch. Alles Übrige können wir am Montag im Flieger besprechen. Ich bringe auch Ihren Vertrag mit, damit Sie ihn in Ruhe durchgehen können.“

„Gut. Danke.“

Einen Moment lang stand er da und rang gegen den Drang an, sie zu küssen – ein Drang, der immer stärker geworden war, seit er ihre Wohnung betreten hatte. Der Impuls war fast übermächtig … aber falsch, hielt er sich vor Augen. Stattdessen schüttelte er ihr die Hand. Ein armseliger Ersatz, aber was half es? „Danke, dass Sie die Stelle angenommen haben“, sagte er. „Ich werde alles tun, damit Sie es nicht bereuen.“

3. KAPITEL

Zwei Tage später trat Abby aus dem privaten Lift in das Penthouse an der Fifth Avenue und schaute sich mit klopfendem Herzen um. Matthew Smythes New Yorker Behausung war stilvoll eingerichtet, ganz in Schwarz und Weiß gehalten. Es gab weder Grautöne noch andere Farben. Die Ausstattung passte zu seiner Persönlichkeit, befand Abby. Schwarz oder Weiß, Ja oder Nein … nie ein Vielleicht.

Das Foyer war schachbrettartig mit schwarzen Onyx- und weißen Marmorfliesen ausgelegt, die sich bis zum Wohnzimmer zogen. Niveauvoll gestaltete Skulpturen weiblicher Körper aus schneeweißem Alabaster flankierten den breiten Durchgang, hinter dem sich die Suite erstreckte. Ein cremefarbener Berberteppich bedeckte den Boden. Zwei schwarze Ledersofas umrahmten einen ausladenden Glastisch. Die üppigen Blumenarrangements aus Lilien, Rosen und Schleierkraut in zwei identischen Vasen links und rechts auf dem Kaminsims glichen Wolken aus reinweißen Blüten.

Viel Muße, über den Geschmack ihres Chefs nachzudenken, blieb Abby allerdings nicht. Die Mappe in ihren Händen enthielt den Reiseplan für die nächsten zehn Tage. Zwischen den Meetings würde ihr kaum Zeit zum Verschnaufen bleiben.

„Wie ich schon sagte, gibt es hier eine zweite, separate Suite für meine Angestellten“, erklärte Matthew und wies geistesabwesend auf eine Tür, während er zum Telefon griff. „Sie werden vollkommen ungestört sein. Suchen Sie sich das beste der drei Zimmer aus, machen Sie sich in Ruhe frisch. Ich muss vor dem Haversfield-Meeting um drei noch einige Anrufe erledigen.“

Fast hätte sich Abby an dem Lachen verschluckt, das sie gerade noch unterdrücken konnte. In Ruhe? Ihr blieben ganze dreißig Minuten. Statt der erhofften Dusche würde sie sich mit ein paar Spritzern Parfüm und einem Lockenstab begnügen müssen.

Während sie hastig auspackte, dachte sie wieder an den Brief, den sie auf seinem Schreibtisch gefunden hatte. Kein Wunder, dass er daran gewöhnt war, seinen Willen durchzusetzen. Als Kind, das inmitten von aristokratischem Luxus aufgewachsen war, war er bestimmt völlig verhätschelt worden. Vermutlich war er von seinen Eltern geschäftlich hier in den Staaten eingesetzt worden. Seine größte Sorge bestand wahrscheinlich in der Frage, wie viele Tausend Dollar er pro Tag seinem Vermögen hinzufügen konnte. Er zuckte ja nicht einmal mit der Wimper, wenn eine Angestellte ging und eine neue ihren Platz einnahm.

Abby hatte egozentrische Menschen nie ausstehen können. Der Earl of Brighton war außerdem noch stinkreich und somit erst recht nicht ihr Typ.

Na und?

Sie hatte den Job schließlich nicht wegen Matthew Smythes einnehmendem Wesen angenommen. Ihre Gründe waren rein praktischer Natur.

Ein Problem allerdings gab es. Obwohl er sie von oben herab behandelte, fühlte sie sich von ihm angezogen. Und sie war nicht die Einzige.

Autor

Kathryn Jensen

Kathryn Jensen lebt in Maryland. Glücklicherweise genau zwischen den zwei spannenden Städten Washington, D.C. und Baltimore. Aber der Mittelatlantik war nicht immer ihr zu Hause. Zu den vielen Ländern, in denen sie gelebt hat, zählen unter anderen Italien, Texas, Connecticut und Massachusetts. Viele Länder, die sie auch bereist hat, haben...

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