Himmlische Küsse - heiße Liebe

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Schnell erkennt die Architektin Jennifer, dass Aaron noch nie auf dem Bau gearbeitet hat. Doch etwas anderes beherrscht der attraktive Mann perfekt: Er küsst einfach himmlisch, und wenn er sie streichelt, ahnt Jennifer, wie aufregend die Liebe mit ihm sein muss ...


  • Erscheinungstag 27.07.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751522953
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Was zum Teufel tue ich hier?

Aaron McKade würde an diesem Montagmorgen nicht mitten im Stop-and-go-Verkehr von Los Angeles stecken, wenn sein Großvater nicht den Verstand verloren hätte. Er würde in seinem Büro an der Westküste sitzen, in der Niederlassung des Familienunternehmens – McKade Enterprises, einer Firma, die als Vertretung für Unternehmen arbeitete, die lateinamerikanische Märkte für ihre Produkte suchten.

Genervt über die geänderten Lebensumstände betrachtete er die Umgebung – seinen neuen Arbeitsplatz. Zwischen Santa Angelita, dem barrio in South Central Los Angeles, und dem eleganten Bunker Hill District, wo er in dem berühmten Bradshaw-Gebäude wohnte, lagen Welten.

Reihen von spanisch anmutenden Stuckhäusern in leuchtendem Blau, Grün und Rot säumten die Straßen und gaben dem Viertel den Anschein von Energie … und Hoffnung. Bei einigen Häusern war der Rasen ordentlich gemäht, und Bougainvilleen blühten im Überfluss, doch die meisten Häuser waren renovierungsbedürftig – und einige konnte man nur noch abreißen. Alte Blechkisten standen in den schmalen Einfahrten. Die BMWs und Lincolns der Drogendealer gab es hier nicht mehr, stattdessen Kinderfahrräder und Spielzeug.

Die Geschäftsstraße kämpfte ums Überleben. Aaron hatte nicht einen einzigen Supermarkt oder eine Drogerie gesehen, nur Spirituosengeschäfte, einen Tante-Emma-Laden und ansonsten verlassene Gebäude.

Die Ampel wechselte auf Grün, doch der Verkehr rührte sich nicht.

Was hatte Pop sich nur dabei gedacht? Aaron liebte seinen Großvater über alles, doch jetzt fragte er sich, ob der alte Mann unter Altersdemenz litt. Patrick McKade hatte die Bombe bei einem Telefonat letzte Woche platzen lassen. „Aaron, ich habe versäumt, dir etwas ganz Wichtiges beizubringen – nämlich Verantwortungsbewusstsein“, hatte sein Großvater gesagt.

Verantwortungsbewusstsein. Schon das Wort erschreckte Aaron.

„Mein Junge, es ist mein Fehler, dass du so unreif bist. Ich hätte mehr von dir verlangen sollen.“

Aaron war beleidigt gewesen. Unreif? Er war immerhin dreiunddreißig Jahre alt!

Der Verkehr bewegte sich ein paar Meter vorwärts. Aaron blickte auf die Karte auf seinem Schoß. Riker Avenue musste irgendwo in der Nähe sein. Frustriert sah er auf. Genau in dem Moment lief ihm eine alte Frau direkt vor den Truck. Aaron trat hart auf die Bremse. Der Sicherheitsgurt schnitt in seine Schulter ein. Die vordere Stoßstange berührte fast den Handwagen der Frau.

Mit geschürzten Lippen blickte die alte Frau durch die Windschutzscheibe. Aaron öffnete das Seitenfenster und steckte den Kopf hinaus, um sich zu entschuldigen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als die alte Frau ihm den gestreckten Mittelfinger zeigte. Verblüfft beobachtete er, wie sie über die Straße trippelte und alle Autos zwang, für sie und das schmutzige Wollknäuel anzuhalten, das in dem Wagen saß.

„Du musst auf eigenen Füßen stehen, Aaron, und für dich und deine Zukunft die Verantwortung übernehmen.“

Erst die verrückte Lady, und jetzt die Stimme seines Großvaters, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte.

„Ich war all die Jahre zu sehr damit beschäftigt, die Firma aufzubauen. Sonst hätte ich bemerkt, dass einiges falsch läuft.“

Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Aaron sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass seine Eltern und seine Großmutter den Absturz des Privatflugzeuges überlebt hätten. Er war gerade ein Jahr alt gewesen, als das Unglück passiert war. Sein verwitweter Großvater hatte die Verantwortung für die drei Enkel übernommen, doch nie bemerkt, wie sehr die älteren Brüder Aaron beherrschten.

Und so hatte Aaron sich daran gewöhnt, dass seine Familie seine Entscheidungen beeinflusste, seine Probleme löste und Anweisungen gab, was er tun oder wohin er gehen sollte.

Nachdem das Gefühl der Demütigung abgeklungen war, hatte Aaron vor Wut gekocht. Was Pop von ihm verlangte, war absoluter Schwachsinn, brachte allerdings mit sich, dass er endlich einmal unabhängig von seinen Brüdern war, von Nelson, der das Büro in Chicago leitete, und Ryan, der die Zweigstelle in New York City führte.

„Ich habe Kontakt mit einem Geschäftsfreund aufgenommen. Er bietet dir die Vertretung eines Bauarbeiters in einem von Sponsoren geförderten Projekt an.“

Abgesehen davon, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, wie sein Großvater ihn einschätzte, fragte Aaron, wie man durch das Schwingen eines Hammers zu mehr Verantwortungsbewusstsein gelangen konnte.

Die Antwort seines Großvaters war eine weitere Beleidigung gewesen. „Körperliche Arbeit formt den Charakter. Denen zu helfen, die weniger Glück auf dieser Erde haben, wird dich lehren, das zu schätzen, was du hast.“

An diesen Job waren zwei Bedingungen geknüpft: Erstens musste Aaron einen falschen Namen benutzen und durfte seinen richtigen unter keinen Umständen preisgeben. Er sollte sich den Respekt der anderen durch Arbeit verdienen und nicht durch seinen Namen. Zweitens verlangte Pop, dass er drei Monate durchhielt.

Aaron umklammerte das Lenkrad. Am liebsten würde er jetzt ins Büro zurückkehren, seine Sachen packen und dann seinen Großvater anrufen und ihm sagen, er könne sich das Erbe an den Hut stecken. Andererseits wollte er zeigen, dass er in der Lage war, die Herausforderung anzunehmen und die Aufgabe erfolgreich durchzuführen.

„Du meldest dich Montag, 1. April, zur Stelle“, hatte sein Großvater abschließend gesagt.

Das konnte nur ein Aprilscherz sein. Ein Büromensch als Bauarbeiter. Wer würde mehr über diesen Scherz lachen – er oder sein neuer Boss?

In seinem Magen rumorte es. Wahrscheinlich lag es an dem Fettgeruch von gebratenen Chorizos, der durch die Ventilatoren der Klimaanlagen nach draußen gelangte.

Aaron verließ die Hauptstraße und hielt an der nächsten Kreuzung. Wen sollte er nach dem Weg fragen? Um sieben Uhr sollte er auf der Baustelle sein. Das war vor einer halben Stunde. Er hatte zwar Extrafahrzeit einkalkuliert, aber nicht damit gerechnet, gleich eine halbe Stunde wegen eines kleinen Unfalls direkt vor seiner Wohnung zu verlieren. Seinem Großvater würde es nicht gefallen, dass er schon am ersten Tag zu spät zu seinem Job kam.

Eine Gruppe lateinamerikanischer Teens kam um die Ecke. Ein paar Häuser weiter stand eine alte Frau vor der Haustür. Ein Schulbus hielt in der Nähe der Teenager und öffnete die Türen. Einer stieg ein, die anderen verschwanden hinter einer Hecke.

Drei Straßen weiter entdeckte Aaron ein Lebensmittelgeschäft. Er parkte in der Ladezone. Obwohl er die Kluft eines Arbeiters trug – T-Shirt, Jeans und Arbeiterstiefel – fiel er als Angloamerikaner in einer von überwiegend Lateinamerikanern bewohnten Gegend auf wie eine Banane zwischen Weintrauben.

„Guten Morgen“, begrüßte er den Verkäufer. „Können Sie mir sagen, wie ich in die Riker Avenue komme?“

„No habla inglés.“

Und Aaron sprach kein Spanisch. Aaron deutete aus dem Fenster und wiederholte: „Riker Avenue?“

Der Verkäufer deutete auf die Hinterseite des Ladens und antwortete: „Sí, Señor. Riker.“

„Danke … ich meine, gracias.“

„No problema.“ Der Mann grinste und entblößte die Lücken zwischen den wenigen ihm noch verbliebenen Zähnen.

Aaron stieg wieder in seinen Truck, bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und dann noch einmal rechts. Riker Avenue. Er entdeckte einige ältere Pick-ups und noch weitere Klapperkisten vor einer Baustelle. Aaron parkte und lief über die Straße.

„Entschuldigung“, sprach Aaron einen Mann an, der aus dem Haus kam. „Wo finde ich den Bauleiter?“

„¿Quien?“

Aaron deutete auf die Baustelle. „Barrio Amigo?“

„Sí.“

Bingo!

In dem Moment brüllte eine kräftige weibliche Stimme über ihm etwas auf Spanisch. Aaron blickte hoch.

Eine Frau mit einem Werkzeuggürtel um die Hüften und einem Hammer in der Hand balancierte am Rand des Daches entlang. Der Schutzhelm versperrte Aaron den Blick auf ihre Augen, aber nicht auf ihre energischen Gesichtszüge. Sie trug ein weißes T-Shirt, auf das mit großen roten Buchstaben die Worte Barrio Amigo gedruckt waren.

„Wo finde ich den Bauleiter?“, rief Aaron hinauf.

„Wer will das wissen?“, fragte sie in perfektem Englisch.

„Aaron Mc… Aaron Smith!“ Als sie sich nicht vom Fleck rührte, fügte er hinzu: „Ich bin dieser Truppe zugeteilt worden!“

„Sie sind der Ersatzmann?“ Ungläubig blickte sie zu ihm hinunter.

„Ja, der bin ich“, erwiderte er lächelnd.

„Bin gleich bei Ihnen.“ Sie kletterte das Dach hinauf und verschwand über den First.

Er presste die Lippen zusammen, als der Trupp ihn anstarrte. Was glaubten sie, was er tun würde? Mit einem Armvoll Schindeln weglaufen?

Die Frau kam um das Haus herum und wies die Männer mit ein paar scharfen Befehlen an, zurück an ihre Arbeit zu gehen, was Aarons Vermutung bestätigte. Der Wirbelwind, der auf ihn zukam, war die Bauleiterin.

Sie blieb ein paar Schritte vor ihm stehen und musterte ihn von oben bis unten. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie absolut nicht mit ihm einverstanden – etwas, was ihm beim anderen Geschlecht nur selten passierte.

„Aaron Smith. Melde mich zur Arbeit.“ Er streckte die Hand aus.

Sie reichte ihm die Hand. Plötzlich legte sie den Kopf in den Nacken und lachte. Der kehlige Laut überraschte ihn. Bei diesem zierlichen Körper hätte er eine piepsige Stimme erwartet.

„Was ist daran so lustig?“

„Jennifer Alvarado, Bauleiterin“, stellte sie sich vor und fügte dann schnell hinzu: „Eigentlich hatte ich jemanden mit Erfahrung angefordert.“

„Ich habe Erfahrung.“ Wenn man das Bauen mit Legosteinen als Erfahrung bezeichnen konnte.

Sie nahm den Schutzhelm ab, und ein langer pechschwarzer Pferdeschwanz fiel ihr über den Rücken. Sie hatte mandelförmige Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, sinnliche Lippen und strahlend weiße Zähne. Auch ohne Make-up war diese Frau schöner als alle, mit denen er bisher ausgegangen war. Und dieser Werkzeuggürtel um die weiblichen Hüften war ein sehr aufreizendes modisches Accessoire.

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Haben Sie schon einmal auf dem Bau gearbeitet?“

Kleine Schweißperlen traten auf seine Stirn. „Ja“, log er.

„Egal. Sie sind sowieso gefeuert.“

„Gefeuert? Sie können mich doch nicht feuern.“

Sie sah auf ihre Uhr. „Es ist acht Uhr. Wir beginnen Punkt sieben.“

„Ich habe mich verfahren. Fragen Sie den Mann in dem Lebensmittelgeschäft nicht weit von hier. Er wird bestätigen, dass ich nach dem Weg gefragt habe. Diese Straße ist nicht so einfach zu finden.“

„Sie sind nicht aus der Gegend und …“

„Ma’am. Ich brauche diesen Job. Geben Sie mir eine Chance.“ Um drei Monate in der Crew dieser Frau zu überleben, würde er viele Chancen benötigen. Entschlossen, es zu schaffen und ein für alle Mal zu beweisen, dass er auch allein im Leben zurechtkam, hielt Aaron dem abschätzenden Blick der Frau stand.

Sie streckte entschlossen das Kinn vor. „Nein.“

Er bewunderte, wie sie den Blickkontakt mit ihm hielt – was nicht leicht war, da sie ihm kaum bis an die Schultern reichte. Mit seinen einssechsundachtzig überragte er sie um einiges.

„Ich bin die Einzige, die fließend Englisch spricht, und ich halte mich nicht den ganzen Tag auf der Baustelle auf. Ein Durcheinander aufgrund von Verständigungsproblemen kann ich mir nicht leisten.“

„Die Sprachbarriere ist kein Problem.“ Verdammt, wenn es darum ging, ein Haus zu bauen, war die Sprache egal. Er hatte in keiner Sprache eine Ahnung davon.

„Tut mir leid. Sie sind gefeuert.“

Was nun?

Obwohl der Trupp zu arbeiten schien, hielt jeder der Männer ein wachsames Auge auf die Chefin, was Aaron zeigte, dass diese Frau sich mehr als nur den Respekt und die Loyalität dieser Gruppe verdient hatte.

Es wurde Zeit, mit schwereren Geschützen aufzufahren. „Wenn Sie mich feuern, dann zeige ich Ihre Organisation wegen Diskriminierung an.“

„¡Está loco!“

„Sie halten mich für verrückt.“ Als sie ihn aus großen Augen ansah, grinste er. „Ich verstehe mehr, als Sie denken.“

„Wenn Sie diesen Job wirklich so dringend brauchen, wie Sie behaupten, dann bezweifle ich, dass Sie Geld für einen Rechtsanwalt haben.“

„Es gibt viele Kanzleien in dieser Stadt, die so einen Fall gern umsonst übernehmen.“

„Sie bluffen, Mr. Smith.“

„Sind Sie bereit, das Risiko einzugehen, Miss Alvarado?“

Sie legte die Hand an den Hammer, der von ihrem Gürtel hinabbaumelte. Wahrscheinlich würde sie ihm damit am liebsten eins überziehen.

„Wie sieht es mit einer zweiten Chance aus?“

„Unter einer Bedingung.“

Schon wieder Bedingungen? Erst sein Großvater. Jetzt sie. „Und die wäre?“

„Bringen Sie bis heute Abend die Dämmpappe im Wohnzimmer und im Flur an. Übrigens, hier auf dem Bau duzen sich alle.“

„Und wenn ich es nicht schaffe?“

„Dann bist du arbeitslos.“

Jennifer ging um das Haus herum und ließ sich auf einen Stapel Dachschindeln fallen. Sie atmete tief durch, um den aufsteigenden Frust abzubauen – falls man das nervöse Gefühl im Magen überhaupt als Frust bezeichnen konnte.

Der neue Mann im Trupp, Mr. Smith, konnte ihr nichts vormachen. Bauarbeiter … ja, klar. Und sie war ein Supermodel. Wenn ihn seine nagelneuen Jeans und die blitzblanken Arbeitsstiefel nicht verraten hätten, dann hätten seine Hände es getan. Sauber, kaum Schwielen, gepflegte Nägel. Der Mann war ein Betrüger. Ein unglaublich attraktiver zwar, aber nichtsdestotrotz ein Betrüger.

Barrio Amigo stellte normalerweise nur Latinos aus der Umgebung ein. Warum schickte ihr der Chef jemanden, der zuvor – und darauf würde sie ihre beste Bohrmaschine verwetten – noch nie durch Santa Angelita gefahren war? Und warum hatte Louisa, die Sekretärin von Barrio Amigo, ihr nicht Bescheid gesagt, dass der Ersatzmann heute anfangen würde?

Sie hatte einen Mann mit Erfahrung erwartet, einen, der für zwei arbeiten konnte. Wegen des ungewöhnlich regnerischen Wetters war die Crew mit Mrs. Benitos’ Haus zwei Wochen im Rückstand. Jennifer hatte der Frau versprochen, dass sie bis Ende Mai einziehen konnte, und jetzt war schon der 1. April.

Natürlich. Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Louisa hatte Aaron Smith als Aprilscherz geschickt! Schön wäre es. Aber es passte nicht zu Louisa.

„Wer ist dieser anglo?“ Juan, Jennifers rechte Hand, kam die Leiter an der rückwärtigen Wand des Hauses heruntergeklettert. Er sprach ziemlich gut Englisch – wenn er wollte – und überwachte die Truppe, wenn Jennifer einmal fortmusste.

„Sein Name ist Aaron Smith. Ersatz für Ricardo.“ Ricardo hatte vor einer Woche einen Bandscheibenvorfall erlitten und war krankgeschrieben.

„Sieht nicht wie ein Bauarbeiter aus.“

„Ich bezweifle, dass er den Tag durchhalten wird.“ Sie lugte um die Ecke und wurde Zeuge, wie der Neue mit der schweren Dämmpappe davontaumelte. Sie drehte sich wieder zu Juan. „Behältst du ihn bitte im Auge, während ich zum Büro fahre?“

„Sí.“ Juan kletterte die Leiter wieder hinauf und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Fünf Minuten später stieg Jennifer in ihren Truck und machte sich auf den Weg zur Geschäftsstelle der gemeinnützigen Organisation. Das Büro der Gesellschaft befand sich in einem Einkaufszentrum, das schon bessere Tage gesehen hatte. Ein „Geschlossen“-Schild hing an der Tür. Jennifer schloss mit ihrem eigenen Schlüssel auf und ging direkt an den Metallschrank mit den Akten. Sie suchte die Unterlagen der Angestellten durch, fand jedoch keine Akte mit Aarons Namen.

Als Nächstes wühlte sie durch die Unterlagen im Eingangskorb der Sekretärin. Wieder nichts. Existierte Aaron Smith überhaupt? Sie nahm einen Zettel und bat Louisa in einer kurzen Notiz, sie auf dem Handy anzurufen. Dann verließ sie das Büro und schloss die Tür hinter sich zu. Als sie zur Baustelle zurückkehrte, machten die Männer gerade Mittagspause.

„Geh nicht rein“, warnte Juan und versperrte die Haustür.

„Ich dachte, du hättest ein Auge auf ihn gehabt.“

„Keine Zeit.“ Juan schüttelte verärgert den Kopf und murmelte, dass er den Schaden wieder ausbügeln würde, den der anglo angerichtet hatte.

Als Jennifer das Haus betrat, drang ein fröhliches Pfeifen an ihr Ohr. Aaron schien sich zu amüsieren. Kein Wunder – er war verrückt geworden!

„He, Boss.“ Er strahlte sie an.

Sie blickte ihn finster an.

„Ich mache gute Fortschritte.“

Sie trat näher an die Wand, betrachtete sein Werk und erschauderte. Er hatte die falschen Nägel benutzt, und dann waren sie auch noch schief in die Dämmplatten geschlagen worden. Sie drehte sich langsam im Kreis und betrachtete den ganzen Raum. Die Kinnlade fiel ihr hinunter.

„Stimmt irgendetwas nicht?“

„Wo sind die Steckdosen geblieben? Die Lüftungsklappen?“

„Steckdosen? Lüftungsklappen?“

„Diese Dinger, in die man die Stecker von Lampen und Fernsehern steckt? Und die Klappen, durch die warme und kalte Luft in dem Raum kommt.“

Er kratzte sich am Kopf. „Mist, die muss ich überdeckt haben.“

Sie wusste nicht, ob sie über seinen verdutzten Gesichtsausdruck weinen oder lachen sollte. „Los, reiß die Dämmpappe wieder ab, schneide die Öffnungen hinein und nagel sie dann wieder an. Ich bezweifle, dass du das bis heute Abend schaffen wirst. Wenn doch, dann komm zu mir.“ Sie tippte mit der Fingerspitze auf einen Nagelkopf. „Das sind übrigens die falschen Nägel, außerdem müssen sie gerade hineingeschlagen werden.“

Sie nahm ihm Hammer und Nagel aus der Hand. „So“, sagte sie und schlug den Nagel mit einem einzigen Schlag gerade in die Wand.

„Sensationell.“

Das Kompliment verwirrte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal einem Mann imponiert hatte. Ach, verdammt. Es war egal, was Smith von ihr dachte. Solange er ihre Autorität respektierte … Aber warum weckten diese klaren blauen Augen in ihr das Verlangen, irgendetwas zu tun, was seine Aufmerksamkeit erregte?

Der Neue interessierte sie. Trotzdem ließ sie besser die Finger von ihm. Bei Männern, vor allem anglos, traute sie ihrer Menschenkenntnis nicht. Ein anglo hatte ihr Leben und das ihrer Familie zerstört.

Aufgewühlt durch die Erinnerung an die Vergangenheit, räusperte sie sich. „Zeit für die Mittagspause.“

Ein paar Minuten später verließ Aaron das Haus, ging an seinen Truck und holte sich sein Lunchpaket. Er kehrte in den Vorgarten zurück und blieb in der Nähe der Männer stehen, die sich auf den Rasen gesetzt hatten. Als keiner aus der Gruppe auf seine Anwesenheit reagierte, ging er weiter und setzte sich allein unter einen Zitronenbaum.

Jennifer widerstand der Versuchung, zu Aaron zu gehen. Sie kannte das Gefühl, Außenseiter zu sein, war es selbst auf vielen Baustellen gewesen, weil sie eine Frau war. Doch sie hatte sich durchgesetzt.

Aaron aber würde sowieso nicht länger als bis zum Ende des Tages bleiben.

„Feierabend!“, rief die Bauleiterin von irgendwo außerhalb des Hauses.

Aaron rollte seine verspannten Schultern. Offensichtlich war sein dreimaliges Training im Fitnessstudio nicht zu vergleichen mit der Arbeit auf dem Bau. Den ganzen Tag hatte er Dämmpappe angenagelt, wieder abgerissen, Öffnungen eingeschnitten und erneut angenagelt. Und er hatte nicht einmal die Hälfte des Raums fertig.

„Smith, komm raus!“

Jennifer Alvarado. Selbst ihr Name klang sexy. Als er nach draußen kam, merkte er, dass der Rest der Crew schon weg war. Außer Juan, der in der Nähe seines Trucks herumlungerte. Der Mann kümmerte sich für Aarons Geschmack etwas zu sehr um die Bauleiterin.

„Hier.“ Jennifer hielt ihm ein Stück Papier unter die Nase.

„Ein Scheck?“

„Warum sollst du bis Freitag warten, um dir den Lohn für einen Tag zu holen?“

„Du willst mich wirklich feuern, nur weil ich nicht fertig geworden bin?“

„Du bist zu langsam, Smith.“

„Ich bleibe und mache den Rest fertig, ohne dafür Überstunden zu berechnen.“

„Nein. Ich brauche jemanden mit mehr Erfahrung. Wir sind bereits in Verzug, und morgen vergeudet die Crew wertvolle Zeit damit, deine Arbeit zu beenden.“

„Aber …“

„Smith.“

„Aaron.“

„Aaron.“ Die Anspannung in ihren Schultern verschwand.

Interessant.

„Ich weiß, dass du dich sehr bemüht hast.“ Sie verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Hätten wir uns unter anderen Umständen kennengelernt, hätte ich dich für einen Geschäftsmann gehalten. Ich könnte mir vorstellen, dass du gut hinter einen Schreibtisch passt.“

Wenn du wüsstest, Lady. Er wollte protestieren, doch sie unterbrach ihn … wieder einmal.

„Ich muss vor Anbruch der Dunkelheit noch zu einer anderen Baustelle.“ Kurz vor ihrem Wagen drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Du wohnst nicht hier in Santa Angelita, oder?“

„Nein.“

„Findest du zurück?“

„Sicher.“ Ihre Sorge um sein Wohlergehen ärgerte ihn. Erinnerte ihn an das mangelnde Vertrauen, das seine Brüder und sein Großvater in ihn hatten. Als sie keine Anstalten machte, in ihren Wagen zu steigen, sagte er: „Ich bringe nur noch den Hammer und die Nägel ins Haus.“

Er kehrte ins Haus zurück und hoffte, dass die Bauleiterin endlich losfahren würde. Doch nein, noch immer stand ihr Truck an der Straßenecke. Er musste also wegfahren und sich zurückschleichen, sobald die Luft rein war. Er stieg in seinen Ford und entfernte sich.

Morgen früh würde die resolute Señorita feststellen, dass Aaron Smith kein Versager war.

2. KAPITEL

„He, Jennifer, komm sieh dir das an!“, rief Juan.

„Lass mich raten. Ein Graffiti-Künstler hat das Innere des Hauses verschönt.“

Juan lachte leise in sich hinein und schüttelte den Kopf.

Jennifer trat ins Haus und schnappte nach Luft. Der gesamte Flur und auch das Wohnzimmer waren mit Dämmpappe versehen, jede Steckdosenöffnung, jeder Belüftungsschacht war sichtbar, auch wenn die Ränder etwas ausgezackt waren. Juan zog sie durch den Flur zur Garderobe. Sofort fiel ihr ein Paar ungewöhnlich sauberer Männerarbeitsstiefel ins Auge.

An die Wand gelehnt, den Kopf zur Seite geneigt, schlief Aaron Smith wie ein Baby. Die dunklen Bartstoppeln verliehen ihm ein verwegenes Aussehen, und die Mundwinkel hatte er leicht nach oben gezogen, als würde er gerade etwas Angenehmes träumen.

Unglaublich. Er musste bis in die frühen Morgenstunden gearbeitet haben, um den Raum fertig zu bekommen. In einer Welt, in der Loyalität nicht mehr selbstverständlich war, war Aarons Arbeitseinstellung sehr erfrischend.

„Nicht perfekt, aber die Arbeit ist gemacht“, sagte Juan.

„Lass ihn schlafen, bis die anderen kommen.“ Nachdem sie das Haus verlassen hatten, sah Jennifer sich auf der Straße nach Aarons Truck um und fand ihn zu ihrer Überraschung unter einem teilweise eingestürzten Carport am Ende der Straße.

Jennifer hatte am vergangenen Tag noch einen Anruf von Louisa bekommen. Die Sekretärin wusste nichts weiter über Aaron Smith, als dass die Leitung der Organisation ihn Jennifers Truppe für drei Monate zugeteilt hatte. Als Adresse hatte sie nur eine Postfachnummer.

Juan folgte ihrem Blick zu Aarons Truck. „Bleibt er?“

„Uns fehlt ein Mann. Was meinst du?“ Sie vertraute Juans Urteil.

„Der anglo verdient eine weitere Chance. Und wir sind mit dem Dach in Verzug.“

„Der Mann muss aber beaufsichtigt werden.“

„Pedro kann mir dabei helfen.“

In Gedanken malte sie sich aus, wie Aaron auf dem Dach herumtanzte und womöglich abstürzte. Sie stöhnte leise auf. Das Letzte, was Barrio Amigo gebrauchen konnte, war ein Arbeitsunfall. Aber Juan hatte recht. Das Dach musste so schnell wie möglich fertig werden. Wenn der Lieferant vor zwei Wochen nicht die falschen Schindeln geliefert hätte, wäre es längst fertig. Trotzdem … Aaron konnte mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte Juan: „Keine Sorge. Ich werde dafür sorgen, dass deinem hombre nichts passiert.“

Meinem Mann? Liebe Güte, war ihr Interesse an Aaron so offensichtlich?

Bevor sie noch länger über Juans Bemerkung nachdenken konnte, erschien der Rest des Trupps, und Jennifer verteilte die Aufgaben für den Tag. Die Männer machten sich an die Arbeit, und Jennifer ging ins Haus, um Aaron zu wecken.

Sie stellte sich neben ihn und lauschte seinen leisen Schnarchtönen. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie sich so sehr zu ihm hingezogen fühlte?

Ihr Verlobter hatte sie belogen, hatte sich als jemand ausgegeben, der er nicht war. Ohne dass sie es wusste, hatte er ihren Bruder in illegale Machenschaften gezogen und wenig später ihre Familie zerstört.

Nie wieder würde sie einen Mann so nah an sich heranlassen, dass er ihr oder ihrer Familie wehtun könnte.

Aber Aaron hatte so ein unwiderstehliches Lächeln …

Autor

Marin Thomas
Marin wuchs im Mittel-Westen von Janesville, Wisconsin auf. Typisch für echte Stadtkinder war alles, woran Marin denken konnte, Janesville nach der Highschool zu verlassen. Sie war optimistisch, dass die Welt mehr als das bot, was sie bis dahin gesehen hatte. Sie spielte Basketball an der Universität von Missouri in Columbia...
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