Historical Exklusiv Band 92

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ZERBRECHLICHES GLÜCK von ANNE HERRIES
Unruhige Zeiten herrschen im Jahr 1187, als Lady Elona sich auf den weiten Weg von Frankreich nach England begibt. Im Schutz von Sir Stefan und seinen Kriegern, reist sie zu Alain de Banewulf, dem man sie versprochen hat. Doch das Schicksal entscheidet anders: Elona verliebt sich in Stefan, der sie edlen Herzens küsst. Aber diese Liebe stürzt sie in einen Gewissenskonflikt. Denn Elonas zukünftiger Gemahl ist Stefans Bruder ...

HILFLOS IN DEINEN ARMEN von MARGARET MOORE
Stolz verwaltet die schöne Gillian d’Averette die Burg ihres verstorbenen Vaters. Kein Mann soll ihr diese Position streitig machen! Doch die Berührungen und Küsse des edlen Ritters Bayard de Boisbaston lassen sie dahinschmelzen und wecken nie gekannte Gefühle in ihr. Schon sehnt sich Gillian danach, die Seine zu werden – da erfährt sie von einer bösen Verschwörung. Treibt ihr Geliebter etwa nur ein Spiel mit ihr?


  • Erscheinungstag 09.11.2021
  • Bandnummer 92
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502306
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Herries, Margaret Moore

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 92

1. KAPITEL

Seid vorsichtig, Herrin!“

Lachend und mit blitzenden Augen blickte sich Elona nach ihrem Begleiter um. Sie trug keinen Schleier, sodass ihre roten Haare im Wind wehten. Sie waren von derselben prachtvollen Farbe wie die ihrer schottischen Mutter, die mit siebzehn geheiratet hatte, einem Sohn und später Elona das Leben schenkte und nach der Geburt gestorben war. Ihren Gatten ließ sie in Verzweiflung zurück. Elona hatte auch das Temperament ihrer Mutter geerbt, leicht aufbrausend und dann wieder ruhig, als wäre nichts geschehen. Zugleich war sie mitfühlend, treu und liebevoll denen gegenüber, die ihr etwas bedeuteten. Und ihre größte Zuneigung galt ihrem Vater, Lord John de Barre.

„Fangt mich, wenn Ihr könnt“, rief sie ihrem Knappen herausfordernd zu.

Die Schicksalsschläge schienen in diesem Jahr nicht enden zu wollen. Der Tod ihrer Stiefmutter Elizabeth und der furchtbare Mord an ihrem Bruder Pierre erfüllten sie bis heute mit tiefem Kummer, und sie sorgte sich um ihren kränkelnden Vater.

Lady Elizabeth war Engländerin gewesen, eine gute, freundliche Frau, die sich um Elonas Wohlergehen gekümmert und sie wie eine Mutter geliebt hatte. Elona und ihr Vater hatten ihr Hinscheiden zu Beginn des Jahres aufrichtig betrauert. Aber Pierres Tod hatte Lord de Barre das Herz gebrochen und einen gealterten und hinfälligen Mann aus ihm gemacht.

Jetzt aber schaute Elona über die Schulter zurück zu dem jungen Mann, während sie sich über den Hals des Pferdes beugte und es rücksichtslos antrieb. Schon immer war sie eine furchtlose Reiterin gewesen, was sie dem Unterricht ihres Vaters und ihres Bruders verdankte, die stolz auf das schöne Mädchen waren.

„Du hättest ein Junge werden sollen!“, hatte Pierre sie oft gehänselt.

Wie schrecklich sie ihn vermisste! In ihrer Einsamkeit hatte sie sich dem Knappen William de Grenville, der sie heute Morgen begleitete, zugewandt.

Als sie sah, dass er keine Chance hatte, sie auf seinem langsameren Pferd einzuholen, drosselte sie das Tempo und erlaubte ihm, an ihre Seite zu reiten.

„Eines Tages werdet Ihr noch stürzen und Euch das Genick brechen“, sagte Will streng. „Und dann wird Euer Vater mich tadeln, weil ich nicht besser auf Euch aufgepasst habe.“

„Armer Will“, antwortete Elona fröhlich. „Das wäre ungerecht von ihm. Ich tue stets, was mir gefällt, und Ihr könnt mich zu nichts zwingen.“ Sie hielt inne und seufzte. „Ihr mahnt mich zu Recht. Mein Vater leidet schon genug. Wenn ich sterben würde, wäre er ganz allein.“

„Nicht nur er würde um Euch trauern, Mylady.“

Wills dunkle Augen schienen vor Leidenschaft zu glühen, als er sie jetzt anschaute. Elona lächelte. Sie wusste sehr wohl, dass er sie liebte. An manchen Tagen glaubte sie, seine Gefühle zu erwidern. Er hatte sich seine Ritterwürde aber noch nicht verdient, sodass er nicht daran denken konnte, die Tochter von John de Barre zur Frau zu nehmen. Aber das konnte warten, denn Elona war erst siebzehn und hatte es mit dem Heiraten nicht eilig.

Nachdenklich runzelte sie die glatte Stirn, als sie daran dachte, dass Baron Danewold kürzlich bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hatte. Lord de Barre hatte sofort abgelehnt, denn er und seine Tochter konnten ihn nicht leiden. Sie wussten, dass der Baron nach den reichen Ländereien gierte, welche an die Besitztümer seiner ersten Frau angrenzten. Schon früher hatten die beiden Männer wegen der Grenze gestritten. Und wenn es auch keinen Beweis dafür gab, so war Lord de Barre fest davon überzeugt, dass der Baron hinter dem brutalen Mord an seinem Sohn steckte. Möglicherweise hatte er damit gerechnet, dass der alte Lord daraufhin sterben und seine Tochter schutzlos zurücklassen würde. Trotz zunehmender Gebrechlichkeit hatte sich Elonas Vater aber ans Leben geklammert. Er wollte so lange durchhalten, bis seine Tochter verheiratet und somit in Sicherheit sein würde.

Mittlerweile hatten sie den gut befestigten Besitz der de Barre erreicht, und Will half ihr vom Pferd. Ein wenig länger als nötig ruhten seine Hände auf ihrer Taille, sodass Elona errötete. Sie lächelte ihn an, ohne etwas sagen, weil sie sich ihrer eigenen Gefühle dem jungen Mann gegenüber nicht sicher war. Vielleicht sollte sie ihn heiraten, vielleicht auch nicht.

„Danke, Will“, meinte sie freundlich. „Bei schönem Wetter werden wir morgen wieder ausreiten.“

„Ihr wisst, ich warte nur darauf, Euch zu Diensten zu sein.“

Der Blick, den er ihr jetzt zuwarf, war so brennend, dass Elona sich ganz eigenartig fühlte. Will hatte einen weichen Mund, der zum Küssen einlud. Des Öfteren hatte sie sich gefragt, wie es wohl sein musste, von Wills starken Armen gehalten zu werden. Wenn er nur schon zum Ritter erhoben worden wäre, dann hätte sie ihm ihre Gunst schenken können, ohne den Vorwurf ihres Vaters fürchten zu müssen.

Sie wandte sich von ihrem Knappen ab, um ins Haus zu laufen. Ihre leichten Lederschuhe machten keinen Lärm auf den Fliesen der großen Halle, in der selbst während des heißen Sommers ein Feuer brannte. Die Burg wurde nie richtig warm. Mittlerweile war der Frühling ins Land gezogen, aber hier drinnen schlug ihr die Kälte entgegen.

Elona wandte sich der steinernen Wendeltreppe zu, die zu ihrer Kemenate führte. Als sie gerade den Fuß auf die unterste Stufe setzte, sprach sie der Verwalter ihres Vaters an.

„Ah, gut dass ich Euch treffe, Lady Elona“, sagte Griffin und lächelte die Tochter seines Herrn an. Er hielt sie für ein reizendes junges Mädchen, wenn auch manchmal etwas rücksichtslos. Doch sie war großzügig und ihrem Vater gegenüber sehr aufmerksam. Der hatte sie, obwohl er sie liebte, oft vernachlässigt und ihren Bruder vorgezogen. Schließlich waren Töchter keine Söhne, und bis zu seinem frühen Tod war Pierre der Liebling seines Vaters gewesen. „Lord de Barre bittet Euch in sein Privatgemach. Ich war dabei, mich auf die Suche nach Euch zu begeben, aber so habt Ihr mir die Mühe erspart.“

„Das freut mich“, antwortete sie lächelnd. Wie ihr Vater war auch der Verwalter in die Jahre gekommen und litt besonders bei feuchtem Wetter unter schmerzenden Gelenken. „Ich komme sofort. Sind die Nachrichten eingetroffen, die mein Vater erwartet?“

Griffin fragte sich, wie sie die Entscheidung aufnehmen würde, die Lord de Barre wegen ihrer Vermählung getroffen hatte. Es war üblich, dass Väter die Ehen ihrer Töchter arrangierten, aber Lady Elona schickte sich nicht immer sanftmütig drein, wenn etwas ohne ihre Zustimmung beschlossen und besiegelt worden war. Griffin hatte seinem Herrn zur Vorsicht geraten, aber dieser besaß das gleiche Temperament wie seine hitzköpfige Tochter. „Das wird Euer Vater Euch selbst mitteilen“, entgegnete Griffin.

„Das heißt, dass es mir nicht gefallen wird“, erwiderte Elona und verzog das Gesicht. Sie konnte sich vorstellen, worum es sich bei der Nachricht handelte, hatte aber keine Ahnung, wen man ihr zum Gatten bestimmte. Doch sie wollte keine Zeit vergeuden und ihren Vater zuerst anhören. Danach würde sie ihre Meinung vertreten, sollte es nötig sein.

Griffin erwiderte nichts. Wie immer verhält er sich ausweichend, dachte sie, während sie sich zu ihrem Vater begab.

John de Barre lächelte seiner Tochter zu, als sie in das kleine Privatgemach eintrat. Es lag der großen Halle genau gegenüber, sodass er das Geschehen dort verfolgen und gleichzeitig die Abgeschiedenheit genießen konnte, nach der er sich in diesen Tagen mehr und mehr sehnte.

„Der Ritt hat dir gutgetan, mein Kind“, sagte er, als sie ihn auf die Wange küsste. „Du siehst bezaubernd aus – genau wie deine selige Mutter.“ Er stieß einen Seufzer aus. Auch wenn er nicht aufhörte, um seine Gattin zu trauern, so hatte er Elona niemals die Schuld an ihrem Tod gegeben. Ein Kind konnte nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die Mutter bei seiner Geburt starb.

„Fühlt Ihr Euch nicht gut, Vater? Ihr seht müde aus.“

Das stimmte tatsächlich: Die Antwort aus England, die am Abend zuvor angekommen war, hatte ihn während der Nachtstunden wach gehalten. Er hatte seinen eigensüchtigen Wunsch besiegt, seine Tochter bei sich zu behalten. Um ihretwillen hatte er den Brief geschrieben, denn er fühlte, dass sich seine Zeit dem Ende zuneigte. Elona musste vor dem Bösen geschützt werden, das ihr, wie er befürchtete, nach seinem Tod drohen würde.

„Du hast recht, ich bin ein wenig müde, aber ansonsten wohlauf“, erwiderte er, nahm sie bei der Hand und führte sie zu der massiven Bank am Feuer. Die Bezüge der Kissen, die die harte Lehne polsterten, hatte Elona für ihn genäht. Er zog es vor, stehen zu bleiben, während er sie durch einen Wink aufforderte, Platz zu nehmen. „Bitte setz dich, Liebes. Ich muss dir etwas mitteilen. Soll ich Wein und Gebäck kommen lassen, damit du dich etwas erfrischst, bevor ich beginne?“

Ein leichtes Lächeln umspielte ihren Mund. „Wollt Ihr mich besänftigen, Vater? Hatte Euer Brief an meine Verwandte Erfolg?“

„Ja, in der Tat. Lady Alayne de Banewulf war außerordentlich freundlich und großzügig in ihrem Antwortschreiben. Es tut ihr leid, vom Tode deiner Stiefmutter zu hören und … von anderen Dingen.“ Lord de Barre schwieg und versuchte, seinen Kummer zu unterdrücken, der seinen ausgezehrten Körper erbeben ließ und ihn zu überwältigen drohte. Er fasste sich wieder und betrachtete seine Tochter, die so jung, stolz und willensstark war wie einst ihre Mutter. Ihr Gatte musste ein Mann sein, dem er vertrauen konnte, sonst würde ein hartes Leben außerhalb der schützenden Mauern ihres Heims auf sie warten. Er liebte Elona von ganzem Herzen, und er wusste auch, dass er sie in der Vergangenheit vernachlässigt hatte. „Ich schrieb ihr, warum ich eine Heirat für dich arrangieren möchte, und sie forderte mich auf, dich zu ihr zu schicken.“

„Werdet Ihr mit mir kommen, Vater?“

Er schüttelte den Kopf. „Die Reise würde ich nicht überleben. Ich werde dir deine Damen und Will de Grenville mitgeben, doch ich bleibe hier. In der Obhut deiner Verwandten kann dir nichts geschehen, bis ich einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe. Bis zu deiner Heirat sollst du Herzog Richards Mündel sein. Er wird wissen, was zu tun ist, sollte ich vorher eines natürlichen Todes sterben oder wie dein Bruder ermordet werden. Falls das geschieht, wird Herzog Richard deine Ländereien überwachen. Keiner wird ihm ungestraft widersprechen. Doch es dauert eine Weile, bis das vertraglich geregelt ist, und ich fürchte, dass dir vorher etwas zustoßen könnte.“

„Ich will Euch nicht verlassen, liebster Vater. Es geht Euch nicht gut. Ihr braucht mich, damit ich für Euch sorge und Euch Gesellschaft leiste.“

„Es ist am besten so, Kind“, erwiderte er seufzend. „Ich möchte mich nicht von dir trennen, Elona. Ich werde dich über die Maßen vermissen. Aber sollte mir etwas passieren, bevor der Herzog der Abmachung zugestimmt hat, wärst du der Gnade skrupelloser Männer ausgeliefert. Lady Alayne versprach, ihren Sohn zu senden, um dich zu holen. Er wird eine bewaffnete Eskorte mitbringen. Auf meine Männer werde ich nicht verzichten können, denn ich muss meinen Besitz schützen. Ich werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, um zu verhindern, dass das Land der de Barres in Danewolds Hände fällt.“

„Oh, Vater“, erwiderte Elona, während sie das schmerzerfüllte Schluchzen unterdrückte, das in ihr aufstieg. Wäre Pierre nicht so grausam getötet worden, müsste ihr Vater sie jetzt nicht fortschicken. „Muss ich wirklich nach England gehen und einen Mann heiraten, den ich nicht kenne?“

„Lady Alayne hat keine Heirat mit ihrem Sohn Alain de Banewulf versprochen“, entgegnete John de Barre. „Sie sagte, dass sie deine Beschützerin sein wird und dich, was eine Heirat betrifft, leiten will. Ihrer Ansicht nach wäre es besser, wenn ihr jungen Leute euch erst einmal kennenlernen würdet. Und dann, wenn es dir angebracht erscheint, wirst du heiraten. Wenn nicht, so schreibt sie, wird sie eine andere standesgemäße Verbindung für dich arrangieren. Es ist das Beste, was ich für dich tun kann, mein Kind. Wenn Elizabeth noch leben würde, könnte ich alles ihr überlassen …“ Erneut seufzte er. „Wir haben in diesem Jahr kein Glück gehabt, Elona. Füge mir keinen weiteren Kummer zu, indem du diese Heirat einfach ablehnst. Der junge Mann ist stattlich und aus guter Familie. Was kannst du mehr wollen?“

Elona hätte es ihm sagen können, doch sie schwieg, was ihr schwerfiel. Eine Weigerung hätte zu einem Streit geführt, und ihr Vater sah sehr erschöpft aus. Sie würde die Schuld daran tragen, wenn sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Im Moment blieb ihr nichts übrig, als Einverständnis vorzutäuschen. Aber sie würde nicht ruhen und nach einer Möglichkeit suchen, um dem Ganzen zu entkommen.

Nach der Unterredung mit ihrem Vater suchte Elona sofort ihren Lieblingsknappen auf. Sie musste ihn über den Mann ausfragen, der ihr als Gatte vorgeschlagen worden war.

„Von Alain de Banewulf weiß ich nichts“, erwiderte Will. „Aber ich habe von seinem Bruder, Sir Stefan, gehört.“

Etwas in seiner Stimme ließ Elona erschauern. „Sagt mir, was erzählt man sich über ihn?“

„Manche behaupten, er sei ein gewissenhafter Mann“, meinte Will nachdenklich. Ihm war zu Ohren gekommen, dass der englische Ritter sehr enthaltsam lebe, weder trinke noch sich mit Weibsbildern herumtreiben würde. „Er war keine fünfzehn Jahre alt, als er in Herzog Richards Dienste trat, wo er durch seine Taten Ruhm und Ehre erlangt hat – aber einige halten ihn für streng und unnachgiebig.“

Elona runzelte die Stirn. Alain de Banewulfs Bruder musste ein kalter und humorloser Mensch sein. Wie gut, dass ich nicht ihn heiraten soll, dachte sie erleichtert.

„Dann brauche ich mir über diesen Sir Stefan nicht den Kopf zerbrechen“, entgegnete sie. „Wenn er dem Herzog dient, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass wir einander je treffen werden …“

„Wir sind schon da, Orlando“, verkündete Stefan, als sie aus dem großen Wald ritten, der das Rittergut seines Vaters umgab. Er zügelte sein Pferd, um einen Blick auf die Burg zu werfen. Sie war beeindruckend, in gutem Zustand und nach der neuesten Art und Weise befestigt. Doch sie erschien ihm kleiner als vor vielen Jahren, wo er sie das letzte Mal gesehen hatte. Seit er in Diensten des Herzogs Richard von Aquitanien stand, war er vor ein paar Monaten zum ersten Mal wieder nach England zurückgekehrt. „Sag mir, was du davon hältst – stell dir vor, wir wollten sie belagern, so wie Taillebourg.“

Sir Orlando of Wildersham lächelte, als er sich daran erinnerte. Stefan war damals erst siebzehn gewesen, jung, eifrig und einer der besten Kämpfer, der ihm je begegnet war. An diesem Tag rettete Stefan ihm das Leben. Seitdem waren sie die besten Freunde.

Prüfend ließ Orlando den Blick über die Verbesserungen schweifen, die an dem Gebäude vorgenommen worden waren. Wie Stefan war auch er darin geübt, die Schwachstellen einer Burg zu erkennen und den besten Weg zu finden, um ihre Verteidigung zu durchbrechen. Vor einigen Jahren hatte er mit angesehen, wie Taillebourg dem Erdboden gleichgemacht worden war. Die Festung, die als uneinnehmbar gegolten hatte, war allzu leicht zu erobern gewesen.

„Es reicht aus“, antwortete er mit seiner tiefen Stimme, „in König Henrys England. Aber wenn sich die Dinge ändern … dann müsste an dem Gebäude noch einiges getan werden.“

„Du hast recht“, stimmt Stefan ihm zu. „Die ganzen Jahre hat England Glück gehabt, lebte friedvoll und sicher unter der Regentschaft Henry II. – aber wie du und ich wissen, liegen der König und seine Söhne oft miteinander im Streit.“

Sir Orlando lächelte spöttisch. Die Brut aus dem Hause Plantagenet war widerspenstiges Gesindel, Vater gegen Söhne, Bruder gegen Bruder. Mehr als ein Mal hatten die Brüder gegen den König rebelliert, und selbst jetzt gab es Streit zwischen Richard und Henry. Wer konnte sagen, was geschehen würde, wenn der alte König starb?

„Mein Vater, Sir Ralph de Banewulf, war Henry immer treu ergeben“, meinte Stefan. „Aber auf welcher Seite wird er stehen, wenn die Söhne nach Henrys Tod um den Thron kämpfen?“

„Sicher auf der des rechtmäßigen Erben – Herzog Richard“, vermutete Orlando.

„Vielleicht …“

Stefan runzelte die Stirn, als ihm bewusst wurde, dass er keine Ahnung hatte, wem sich sein Vater zur Treue verpflichtet fühlte. Wie sollte er auch, denn schließlich war er im zarten Alter von fünf Jahren zu einem Verwandten geschickt worden. Harald of Wotten war ein braver Mann, der für seine Erziehung gesorgt hatte. Doch weit weg von seinem Vater und dem Zuhause, das er liebte, war Stefan dabei fast zugrunde gegangen. Die Wiedervermählung seines Vaters mit einer schönen Frau, die Geburt eines Halbbruders und danach einer Halbschwester ließen seinen Schmerz noch größer werden – vor allen Dingen, als er bei einer kurzen Rückkehr in die elterliche Burg feststellen musste, wie viel glücklicher sein Vater mit Lady Alayne an seiner Seite war.

Irgendwann hatte er allerdings gelernt, sich von seiner Verbitterung nicht beherrschen zu lassen. Als mutiger Kämpfer war er zu Ruhm und in Herzog Richards Diensten auch zu großem Reichtum gekommen. Bei seiner Rückkehr nach England vor drei Monaten hatte er sich das große Landgut Sanscombe gekauft. Zwar war er nach der Eroberung von Taillebourg von Herzog Richard zum Ritter erhoben worden, aber als Besitzer des Guts durfte er auch den Titel eines Barons Sanscombe führen.

„Erwartet dein Vater dich?“

„Ich schickte ihm vor ein paar Tagen eine Nachricht“, erwiderte Stefan. Er lächelte seinen Freund traurig an. „Auf Banewulf werden sie sich kaum noch an mich erinnern.“

„Ich bezweifle, dass sie dich das nächste Mal vergessen werden“, entgegnete Orlando, was sein Freund mit einem leisen Lachen quittierte. Manche hielten Sir Stefan für kalt, doch wer ihn kannte, bemerkte den Humor in seinen grauen Augen. Auch wenn man ihn nicht als schön bezeichnen konnte, besaß er eine Ausstrahlung, die andere anzog. Außerdem sagte man ihm Bärenkräfte nach.

„In den vergangenen Jahren bin ich vermutlich ein bisschen größer geworden“, scherzte er.

„Wieso hast du eigentlich beschlossen, zurückzukehren?“

Stefan warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Er war sich selbst nicht sicher, was ihn nach zehn Jahren Soldatenleben in die englische Heimat trieb. Sein Vater war nicht mehr jung, sein Halbbruder musste mittlerweile zum Mann herangewachsen sein, und Marguerite war schon eine junge Frau von fünfzehn.

„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich hatte niemals daran gedacht, Banewulf wieder zu besuchen.“

Stefan verfiel in Schweigen, während er und sein Begleiter über die Zugbrücke ritten. Was führte ihn in diesem Frühling 1187 nur nach Banewulf? Was erwartete er bloß von dieser Rückkehr?

Doch tief in seinem Innern verspürte Stefan ein unbekanntes Verlangen. Der Wunsch, Banewulf wiederzusehen, war mit der Zeit so stark geworden, dass er ihm nicht widerstehen konnte.

„Es hat viel zu lange gedauert, Stefan.“ Lächelnd und mit ausgebreiteten Armen ging Lady Alayne auf ihren Stiefsohn zu. „Wir sind entzückt, dich hier bei uns zu haben, und hoffen, dass du so lange bleibst, wie es dir gefällt.“

Sie scheint sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert zu haben, dachte Stefan, während er ihre Hand zu einem höflichen Kuss an seine Lippen führte.

„Ich danke Euch für diesen herzlichen Empfang“, sagte er. „Darf ich Euch meinen guten Freund Sir Orlando of Wildersham vorstellen? Er ist auf dem Weg nach London und war so freundlich, mich hierher zu begleiten. Ich hoffe, es macht Euch keine Umstände, ihn für heute Nacht zu beherbergen?“

„Wie sollte es?“, erwiderte Lady Alayne. „Ein Freund von dir wird in meinem Haus immer willkommen sein, Stefan.“

„Eure Gastfreundschaft ehrt mich“, entgegnete Orlando mit einer eleganten Verbeugung, wobei sein Blick auf das Mädchen fiel, das gemeinsam mit einem jungen Mann hinter der Burgherrin stand. Wie schön es war!

„Wie oft haben wir von dir gesprochen, Stefan“, rief Alayne aus. „Du warst noch ein Junge, als du uns verlassen hast, und bist jetzt zu einem schönen, starken Mann gereift.“ Sie betrachtete ihn mit Wohlgefallen. Verglichen mit den meisten Männern von Stand kleidete er sich einfach und schlicht. Darin ähnelte er seinem Vater. Beide zogen Schwarz oder Grau den schillernden Pfauenfarben vor, die die Höflinge so sehr liebten.

„Dein Ruhm hat sich überall verbreitet, Stefan. Wir wissen von deinen tapferen Taten im Kampf und dass du ein geschätzter Ratgeber Herzog Richards bist.“

„Ja, und ich kann bestätigen, dass er jedes der vielen preisenden Worte verdient“, fügte Orlando hinzu.

„Das ist nur Gerede“, ging Stefan gleichgültig über das Lob hinweg. Er sah, dass der junge Mann und das Mädchen darauf warteten, ihn begrüßen zu dürfen. Beide ähnelten ihrer Mutter: blond, schlank und mit grünblauen Augen. Attraktiv und geschmeidig schienen sie ihm, der sich in seiner Familie immer wie ein Fremder gefühlt hatte, vor Zufriedenheit nur so zu strahlen. Neugierig blickten sie ihm entgegen. Anscheinend freuten sie sich, ihn nach so langer Zeit willkommen zu heißen. Nur sein Vater war nirgends zu sehen. Es versetzte Stefan einen Stich, dass Sir Ralph sich nicht die Mühe gemacht hatte, bei seiner Rückkehr anwesend zu sein. Aus schmalen Augen sah er Alayne an. „Mein Vater ist nicht hier?“

„Leider! Er hatte dringende Geschäfte zu erledigen. Wir waren nicht sicher, wann wir dich erwarten durften. Aber er wird da sein, wenn wir heute Abend gemeinsam feiern.“ Alayne drehte sich um und winkte ihre Sprösslinge nach vorn. „Hier sind dein Bruder und deine Schwester, um dich zu begrüßen.“

„Alain – Marguerite“, sagte Stefan. Sobald er die Wissbegierde in den Augen seines Halbbruders wahrnahm, musste er innerlich schmunzeln. Es war nicht das erste Mal, dass er einen jungen Mann sah, der es nicht erwarten konnte, Einzelheiten über die Schlachten zu hören. Marguerite hielt sich scheu zurück, bevor sie sein Lächeln erwiderte. Sie kann schon mit der Schönheit ihrer Mutter konkurrieren, dachte er. „Es tut gut, euch beide zu sehen.“

„Wir konnten deinen Besuch kaum erwarten“, erwiderte Alain. „Du hast so viel erlebt.“

„Willkommen auf Banewulf“, fügte Marguerite leise hinzu. „Wir sind glücklich, dich bei uns zu haben.“ Schüchtern schaute sie zu Stefans Freund. „Und Euch, Sir Orlando.“

„Marguerite spricht für uns alle“, versicherte Alayne. „Komm, Stefan. Ein Gemach ist vorbereitet, wo du alles zu deiner Bequemlichkeit vorfindest. Alain wird dich hinführen und dafür sorgen, dass es dir an nichts fehlt. Sir Orlando, trinkt ein Glas Wein mit mir, während meine Diener eine Kammer für Euch herrichten.“ Sie lächelte und senkte die Stimme. „Ich möchte mehr über die tapferen Taten meines Stiefsohns hören, und wir müssen ihn ja nicht in Verlegenheit bringen.“

Stefan vernahm die Antwort seines Freundes nicht mehr. Er ließ sich zu dem Teil des Gebäudes führen, in dem die jungen unverheirateten Männer wohnten. Selbst wenn die meisten auf dem Boden der Halle schliefen, so standen auf Banewulf für die Familie und hochgeschätzte Gäste immer eigene Räume zur Verfügung.

„Dein Zimmer liegt neben meinem, so wie früher“, teilte Alain ihm mit, dem die Freude über das Wiedersehen anzusehen war. „Das heißt, wir werden miteinander reden können. Ich möchte von all den Schlachten hören, in denen du gekämpft hast. Und von den Männern, die du getötet hast.“

„Ich bin nicht stolz darauf, Menschen getötet zu haben – abgesehen von einigen, die es nicht verdienten, zu leben. In einer Schlacht muss man den Feind um jeden Preis bekämpfen. Doch wann immer es möglich ist, lasse ich Gnade walten. Herzog Richard ist genauso, obwohl er auch grausam sein kann.“ Es hatte Zeiten gegeben, da war des Herzogs Urteil gnadenlos gewesen, aber der widerspenstige Adel war nur durch eine harte Hand im Zaum zu halten.

„Man erzählt, er sei furchtlos.“

„Ja, das stimmt. Manche behaupten sogar, er habe das Herz eines Löwen.“

„Und du die Kraft eines Bären.“ Alain grinste. In seinen Augen blitzte ein knabenhafter Übermut, obwohl er mittlerweile erwachsen war. „Erinnerst du dich daran, wie wir als Jungen miteinander gerungen haben? Du hättest mich leicht schlagen können, aber du hast mich oft gewinnen lassen.“

„Du warst noch ein Kind, und ich besaß schon die Kraft eines Mannes. Es wäre nicht recht von mir gewesen, sie gegen dich einzusetzen.“

„Irgendwann müssen wir wieder unsere Kräfte messen. Du wirst merken, dass es jetzt nicht mehr so einfach ist, mich zu besiegen.“

Schweigend musterte Stefan ihn. Im Vergleich zu seinem eigenen kräftigen Körperbau wirkte Alain zierlich. Doch er vermutete, dass sich unter dem eleganten Äußeren eine zähe Kraft verbarg. Alain trug Blau und Silber, die üppigen Ärmel seiner Tunika hatten tiefe Schlitze, und sein lederner Gürtel war mit Silber verziert. Stefan lächelte innerlich. Außer am Hofe von Aquitanien hatte er selten solchen Putz gesehen!

„Warst du erst kürzlich am Hof?“, fragte er ausweichend. Alain schien enttäuscht darüber, dass Stefan seine Herausforderung offensichtlich zurückwies.

„Du glaubst, ich sei ein zu fein aufgeputzter Bursche, um es mit dir aufzunehmen? Halte mich nicht für einen Schwächling, Bruder.“

Mit einem belustigten Funkeln in den Augen gab Stefan nach. „Na gut, das wird sich morgen erweisen. Hast du Lust, mit mir zu trainieren, Alain?“

„Gewiss doch! Gern!“ Das strahlende Lächeln des Jüngeren war sofort wieder da. „Ist Herzog Richard ein guter Mann, um in seine Dienste zu treten?“

„Ich finde, ja. Hast du das etwa vor?“

„Ich habe darüber nachgedacht.“ Alains Gesicht verriet Unzufriedenheit. „Irgendwie muss ich doch meinen Weg in der Welt machen. Ich kann nicht immer zu Hause bleiben.“

„Bist du hier unglücklich?“

„Nein, natürlich nicht. Ich hatte eine wunderbare Kindheit, besaß die Liebe meiner Eltern, und mein Vater hat mich gut ausgebildet. Aber ich sehne mich nach Abenteuern.“

„Vielleicht war das Leben zu leicht für dich?“

„Das würde ich nicht sagen. Vater hat mir nichts erspart. Ich arbeitete so hart wie irgendeiner hier auf Banewulf. Dabei hätte ich vom König zum Ritter ernannt werden können, nachdem ich als sein Streiter das Turnier gewonnen hatte. Aber ich bat darum, mir die Sporen durch eine würdigere Tat verdienen zu dürfen.“

„Du bist noch nicht zum Ritter ernannt worden?“ Als Stefan seine Ritterwürde erhalten hatte, war er zwei Jahre jünger gewesen als Alain heute. Doch er hatte sie sich in der Schlacht verdient. „Wenn dir der Sinn nach Abenteuern steht, solltest du ins Ausland reisen, Bruder. Ich denke, Vater könnte das arrangieren.“

„Ich muss mir meine Schwertleite verdienen“, beharrte Alain. „Ich werde dich jetzt nicht mit Fragen quälen“, fügte er lächelnd hinzu, „denn du wirst dich ausruhen und etwas erfrischen wollen – aber wir werden später noch mehr über all das reden?“

„Natürlich, so viel du willst“, erwiderte Stefan und fasste ihn an den Schultern. „Ich hoffe, wir werden Freunde?“

„Das waren wir doch immer“, entgegnete Alain leicht verwundert.

Stefan runzelte die Stirn, als sich die Tür hinter seinem Halbbruder schloss. Stimmte das? Waren sie Freunde gewesen? Vielleicht. Er hoffte, dass es so war, denn das bedeutete, dass Alain nie etwas von der Eifersucht gemerkt hatte, für die Stefan sich schämte.

Auch seine Stiefmutter hatte ihn nicht fortschicken wollen, wie Stefan sich eingestehen musste. Sie war stets gut zu ihm gewesen. Nein, es war sein Vater, der ihn nicht bei sich haben wollte. Es verletzte ihn, dass Sir Ralph selbst jetzt die Erfüllung seiner Pflichten wichtiger war als die Heimkehr seines Sohnes. Stefan unterdrückte das bittere Gefühl, das in ihm aufstieg. Es war an der Zeit, solche Dinge hinter sich zu lassen. Er war nach Banewulf zurückgekehrt, weil er eine Familie haben wollte. Diese Erkenntnis war nur langsam in ihm gereift, doch die aufrichtige Wärme seines Halbruders hatte ihm klargemacht, dass er sich nach dem Gefühl der Zugehörigkeit sehnte. Zu lange hatte er sich selbst ausgeschlossen.

„Verzeihst du mir, dass ich bei deiner Ankunft nicht da war?“, fragte Sir Ralph später am Nachmittag, während er fest die Hand seines ältesten Sohnes umfasste. Obwohl er bereits auf die Fünfzig zuging, war er immer noch ein stattlicher Mann, dem Stefan in Aussehen und Gestalt ähnelte. „Es musste sein. Einer meiner Gefolgsmänner lag im Sterben. Es war sein Wunsch, dass ich seinen letzten Willen bezeuge. Über Jahre hinweg hat er mir treu gedient. Es war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte.“

„Macht Euch keine Gedanken“, versicherte Stefan, und sein Ärger schmolz sofort dahin. Er hätte genauso gehandelt. „Eure Gattin, Alain und Marguerite gaben mir das Gefühl, willkommen zu sein, Sir.“

„Warum auch nicht? Das hier war immer dein Heim, Stefan.“

Warum habt Ihr mich dann fortgeschickt? Warum habt Ihr mir das Herz gebrochen? Er sprach die Fragen nicht aus, die ihn seit seiner Kindheit quälten. Schließlich war er nicht mehr der kleine Junge von damals.

„Ich komme nur zu Besuch, Vater. Ich habe Sanscombe Manor gekauft.“

„Und somit auch den Titel.“ Sir Ralph nickte. „Das hast du gut gemacht, Stefan. Aber durch Geburtsrecht steht Banewulf dir als meinem ältesten Sohn zu. Alain hat die Ländereien seiner Mutter und einen kleinen Landsitz, den ich für ihn erworben habe.“

„Banewulf gehört Euch, Vater. Ich hoffe, Ihr werdet Euch daran noch viele Jahre als rechtmäßiger Burgherr erfreuen.“

„Mag sein“, meinte Sir Ralph achselzuckend. „Ich wollte sicher sein, dass du verstehst.“

Stefan nickte. Als erstgeborener Sohn konnte er von Rechts wegen den Besitz beanspruchen. Doch sein eigenes Anwesen war größer und reicher, selbst wenn er damit nie geprahlt hätte.

„Vielleicht werde ich einmal mehr als nur einen Sohn haben. In diesem Fall besäße ich dann genug Ländereien.“

„Hast du vor, dir eine Braut zu suchen?“

„Nun ja, es gibt noch keine bestimmte – aber für einen Mann kommt die Zeit, wo er an Söhne denkt.“

„Das ist wahr“, pflichtete Ralph ihm bei. „Bloß ich möchte nicht, dass du nur aus diesem Grund heiratest. Suche dir deine Frau mit Sorgfalt aus, Stefan. Reichtum und Schönheit sind verlockend, es gibt indes andere Qualitäten, die wichtiger sind.“

„Ich muss erst noch eine Frau treffen, die ich genügend bewundere, um sie zu heiraten.“

„Du solltest deine Stiefmutter um Rat bitten. Letzten Sommer hat sie deinen Stiefbruder zu einem Turnier am Hofe begleitet. Vielleicht weiß sie eine passende Verbindung für dich.“

„Ihr wart nicht dabei?“

„Mich hatte zuvor ein Fieber aufs Lager geworfen. Ich hatte mich schon wieder davon erholt, sonst hätte sie mich nicht allein gelassen, aber ich fühlte mich zu erschöpft, um die Reise zu unternehmen.“

„Ihr kränkelt doch wohl nicht?“ Ein seltsamer Schmerz griff Stefan ans Herz. Hatte er diese Aussöhnung zu lange aufgeschoben? Wenn sein Vater gestorben wäre, bevor sie Gelegenheit gehabt hätten, einander besser kennenzulernen … Rasch schob er diesen dummen Gedanken beiseite.

„Nein, nein“, entgegnete Ralph lachend. „Es ist ein Fieber, das alle paar Jahre auftritt. Alayne hat mich wie immer geheilt. Aber, um die Wahrheit zu sagen, ich habe kein großes Interesse mehr an dieser Art von Versammlungen bei Hofe, sodass es mir als Entschuldigung gelegen kommt, zu Hause zu bleiben.“

„Ein Mann kann der Pracht müde werden“, stimmte Stefan ihm zu. „Ich habe viel von diesem Leben gesehen und finde auch, dass es für mich nicht länger den Reiz hat, den es einmal besaß.“

„Du bist klug, mein Sohn“, erwiderte Ralph. „Du hast deine Kämpfe gefochten und kannst jetzt das Leben genießen. Suche dir eine Frau. Ich möchte meine Enkel sehen, bevor zu viele Jahre vergehen.“

Stefan verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. Bis jetzt hatte er keinen Gedanken ans Heiraten verschwendet. Doch vielleicht war es das, was ihn in den letzten Monaten nicht hatte zur Ruhe kommen lassen.

„Vielleicht suche ich den Rat Eurer Gattin, Vater. Fragen schadet schließlich nicht.“

„Dein Vater erzählte mir, dass du dir eine Frau nehmen willst?“

Stefan warf seiner Stiefmutter einen belustigten Blick zu, während er mit ihr im Garten der Burg spazieren ging. Sie machte einen lebhaften, ja fast eifrigen Eindruck, und er vermutete, dass sie sich schon längst Gedanken über seine Vermählung machte.

„Wenn ich eine ebenso schöne, kluge und warmherzige Dame finden würde, wie Ihr es seid, so könnte ich zu einer Heirat überredet werden.“

Alayne hatte ein entzückendes, ein wenig heiseres Lachen. Kein Wunder, dass einige sie in ihrer Jugend eine Zauberin genannt hatten.

„Du schmeichelst mir, Stefan. Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich meine Fehler.“

„Ich glaube nicht, dass Ihr meinen Vater je enttäuscht habt.“

„Ich habe bei einem Sturz beinahe unser erstes Kind verloren. Er schalt mich dafür. Daraufhin glaubte ich, dass er das Kind liebte und nicht mich, womit ich deinem Vater unrecht tat. Als er jünger war, besaß er kein großes Talent für schöne Worte. In dieser Hinsicht bist du ihm wirklich sehr ähnlich. Mit den Jahren ist er weicher geworden. Die richtige Frau könnte bei dir das Gleiche bewirken – dir nämlich zeigen, wie du das Glück finden kannst, mein Lieber.“

„Wollt Ihr sie für mich aussuchen?“

„Ich werde mein Bestes tun“, erwiderte Alayne. „Ich möchte dich aber auch um einen Gefallen bitten. Es gibt da eine Dame, eine Verwandte von mir, der ich Zuflucht versprochen habe. Vielleicht werden sie und dein Bruder heiraten, was aber noch nicht beschlossen ist.“

„Doch Ihr hofft es?“

„Vor allem hoffe ich, dass sie bei uns in Sicherheit ist. Baron Danewold will sie für sich, und er ist gemein und intrigant. Ich weiß, wie das ist. Bevor ich deinen Vater heiratete, ist mir etwas Ähnliches passiert. Elonas Vater, Lord de Barre, ist krank und kann sie zurzeit nicht beschützen. Deshalb hat er uns um Hilfe gebeten.“ Sie blickte ihn an. „Würdest du sie hierher bringen?“

„Wo lebt sie?“

„In der Normandie. Ich weiß, ich verlange viel von dir, Stefan.“

„Das ist nicht der Rede wert, denn ich muss wegen geschäftlicher Angelegenheiten dorthin. Ich könnte Herzog Richard meine Aufwartung machen und dann mit der Dame nach Banewulf zurückkehren.“ Stefan dachte nach. „Aber würde mein Bruder nicht lieber gehen, denn schließlich wird diese Dame vielleicht seine Braut?“

„Ich möchte nicht, dass er sich verpflichtet fühlt, Elona zu heiraten, nur weil er mir eine Freude machen will. Alain ist ein empfindsamer Mensch, Stefan. Ich will, dass er seine Frau erst kennenlernt, bevor er sich erklärt.“ Sie seufzte tief. „Manchmal habe ich Angst um ihn. Er ist nicht wie du oder dein Vater – und er ist ruhelos.“

„Nun, ich habe bemerkt, dass er schnell verletzt ist“, gestand Stefan. „Nicht körperlich. Er ist ein sehr guter Kämpfer, und ich hatte Mühe, ihn zu besiegen, als wir miteinander rangen. Aber in seiner Seele sieht es anders aus.“

„Vielleicht habe ich ihn verwöhnt. Ralph wollte ihn wie dich fortgeben. Nur war Alain als Junge immer so zart und kränkelte oft. Dein Vater gab meinem Wunsch nach, ihn bei mir behalten zu dürfen. Mittlerweile frage ich mich, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe.“

„Ist Alain immer noch so häufig krank?“

„Oh nein. Unter der Obhut deines Vaters wurde er stark und selbstbewusst – bloß denke ich jetzt, dass meine Entscheidung nicht gut für ihn war. Er sehnt sich danach, zu reisen. Ich befürchte, dass wir ihn bald verlieren werden.“

„Er kann nicht sein Leben lang bei Euch bleiben.“ Stefan fand Alaynes Sorge um Alain übertrieben, doch er schwieg. Er mochte seine Stiefmutter zu sehr, um sie zu kränken.

„Glaubt Ihr nicht, er würde es mir übel nehmen, wenn ich seine zukünftige Braut nach England bringe?“

„Elona könnte in Gefahr sein“, sagte Alayne beunruhigt. „Als erfahrener Ritter weißt du, wie du sie schützen kannst.“

„Nun gut“, entgegnete er. „Ich werde sie begleiten – und Ihr findet in der Zwischenzeit eine Dame, die bereit ist, einen ungehobelten Kerl wie mich zu heiraten.“

„Du bist zuweilen ein wenig ernst, das ist wahr“, meinte Alayne mit einem Lächeln, das ihr Urteil milderte. „Dein Vater war genauso, als ich ihn das erste Mal traf. Die richtige Frau wird dich lehren, öfter zu lachen, Stefan.“

„Wenn ich sie finde!“ Er schaute sie schuldbewusst an. „Ich verlass mich auf Euch, Frau Mutter.“

„Und ich werde mein Bestes tun, lieber Sohn.“

„Innerhalb von zwei Monaten werde ich wieder da sein. Ihr habt mein Wort. Schließlich kann es nicht so schwer sein, eine Dame von ihrer Burg zu Euch zu geleiten – oder?“

Er ahnte nicht, wie bald er diese Worte verwünschen würde.

2. KAPITEL

Elona spazierte durch den Burggarten, während sie angestrengt überlegte, wie sie ihren Vater zum Nachgeben bringen konnte. Ein weiterer Brief von Alayne de Banewulf war eingetroffen. Nun bestand ihr Vater darauf, dass sie mit diesem Sir Stefan nach England ging!

Sie hatte Will gebeten, so viel wie möglich über ihn herauszufinden, doch bis jetzt konnte er ihr kaum mehr berichten, als er ihr bereits erzählt hatte. In ihrem Kopf war das Bild eines strengen, kalten Mannes entstanden, und sie hatte bereits begonnen, ihren ganzen Groll gegen ihn zu richten. Wenn er nicht versprochen hätte, sie zu begleiten, hätte sie vielleicht zu Hause bleiben können. Offensichtlich war seinem Bruder Alain diese Reise nicht zuzumuten.

Was war das für ein Mann, der sich damit zufriedengab, dass sein Bruder die ihm versprochene Braut holte? Sicherlich wollte er diese Verbindung gar nicht. Hatte man ihn vielleicht dazu gezwungen?

Eine Welle der Rebellion stieg in ihr auf. Sie würde sich nicht mit jemandem verheiraten lassen, der sie nicht wollte! Doch wenn sie sich dickköpfig weigerte, würde sie ihrem Vater Kummer bereiten.

Er war zurzeit so schwach. Wie konnte sie ihn verlassen und dabei wissen, dass sie ihn nie wiedersehen würde? Es würde ihr das Herz brechen.

Ihr widerspenstiger Geist wurde hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, ihrem Vater zu gehorchen, und dem Verlangen, dieser unwillkommenen Heirat zu entgehen. Wenn es nur jemanden gäbe, der ihr zu Hilfe käme!

Ihr Blick fiel auf den jungen Knappen, der einige Schritte von ihr entfernt stand. Will war unerfahren, aber stark und tapfer – doch sie fürchtete, dass ihr Vater einer Heirat zwischen ihnen niemals zustimmen würde.

Und selbst wenn – wollte sie sich denn wirklich ihr ganzes Leben lang an ihn binden? Vielleicht wäre es immerhin besser, als gezwungen zu werden, einen Mann zu ehelichen, den sie nicht kannte und nicht lieben wollte.

„Oh, Will“, schluchzte Elona, als sie an diesem Morgen im warmen Sonnenschein zusammen spazieren gingen. „Mein Vater sagt, dass Stefan de Banewulf in wenigen Tagen hier sein wird, um mich nach England zu bringen. Sie wollen mich mit Lady Alaynes Sohn verheiraten. Niemals werde ich mein Zuhause wiedersehen.“

In ihren hübschen Augen standen Tränen, als sie zu dem jungen Mann aufschaute, dessen Gesellschaft ihr einziger Trost war. Es widerstrebte ihr, alles, was ihr so vertraut war, zu verlassen. Außerdem war da die große Angst vor dem Unbekannten, auch wenn sie es sich niemals eingestanden hätte: in ein fremdes Land zu reisen und einen Mann zu heiraten, den sie noch nie gesehen hatte! Da wurde selbst das kühnste Herz mutlos.

„Habt Ihr denn versucht, Euren Vater zu überzeugen, Euch hierbleiben zu lassen?“ In Wills Augen konnte man den Schock erkennen, den die Nachricht ihm versetzt hatte.

Elona schüttelte den Kopf. „Ich kann es nicht. Er ist so glücklich, dass er es mir möglich gemacht hat, bei meiner Verwandten zu leben. Ihr wisst, es geht Vater nicht besser. Wer weiß, was geschieht, wenn ich aufbegehre? Ich möchte ihm nicht wehtun oder ihn verärgern.“

„Soll ich zu Lord de Barre gehen und um Eure Hand bitten, Elona? Ich schwöre, ich würde ihn und Euch mit meinem Leben verteidigen. Ihr hättet keinen Grund, Danewold zu fürchten, wenn ich die Streitkräfte Eures Vaters befehligte.“ Seine Stimme war voller Leidenschaft, und seine Augen leuchteten, als er zum ersten Mal von seinen Träumen zu sprechen wagte.

Einen Moment lang flammte in Elona Zuversicht auf. Wenn sie Will heiratete, konnte sie bei ihrem Vater bleiben. Sie musste nicht nach England gehen – doch wie sollte der junge Knappe das Kommando über die Männer ihres Vaters übernehmen? Bevor er sich nicht als tapferer Ritter bewährt hatte, würden die Männer ihm nicht folgen.

Ihre Hoffnung erstarb, als ihr klar wurde, dass das keine Lösung war. „Ihr seid noch nicht zum Ritter geschlagen, Will“, wandte sie vorsichtig ein.

„Das könnte Euer Vater regeln, wenn er wollte. Ich schwöre Euch, Danewold würde weder Euch noch Euren Vater bedrohen, wäre ich Euer Gatte.“

Was für ein netter, großherziger Mann Will doch war! Manchmal glaubte sie, es müsse ihr leichtfallen, ihn zu lieben. Sie hegte wirklich mehr als nur ein flüchtiges Gefühl für ihn. Doch in ihrem Herzen wusste sie, dass Lord Barre diesen Antrag ablehnen würde. Er würde Will ihrer nicht für würdig halten.

„Ich glaube nicht, dass mein Vater Euch erhörte, Will.“

„Ihr wisst, dass ich Euch liebe?“ Ein Hauch von Verzweiflung klang in seiner Stimme mit.

Elona blickte zu ihm auf und entdeckte etwas in seinen ausdrucksvollen Augen, das sie zuvor nicht wahrgenommen hatte. Nein, das war nicht die Schwärmerei eines verliebten Jungen, sondern die brennende Leidenschaft eines Mannes. Ihr weicher Mund zitterte, als er näher trat, sie in die Arme nahm und mit hungrigem Verlangen küsste, dessen Wildheit sie erschreckte. Doch sie klammerte sich an ihn. Seine bedingungslose Hingabe tröstete sie. Sie erkannte, dass dieser Mann aufrichtig bereit war zu tun, was sie von ihm verlangte. Die Macht, die sie als Frau besaß, flößte ihr ein wenig Angst ein. Sie hatte sie noch nie zuvor ausprobiert.

„Du musst nicht mit meinem Vater sprechen“, sagte sie, als er sie losließ. „Denn er könnte dich fortschicken. Nein, bleib bei mir, Will, sei mein Freund und Beschützer. Wenn ich merke, dass ich den Sohn meiner Verwandten nicht heiraten kann, dann – werde ich mit dir durchbrennen. Wenn wir als Ehepaar zu meinem Vater zurückkehren, wird er uns schon nicht verstoßen.“

„Sollten wir ihm unsere Gefühle füreinander nicht jetzt offenbaren?“ Will war ein ehrlicher Mann und wollte seinen Herrn nicht enttäuschen.

„Ich glaube, er würde böse werden“, erwiderte Elona. „Wir müssen uns überlegen, wie du zum Ritter geschlagen werden kannst. Dann würde mein Vater dich akzeptieren.“

Eigentlich wäre es die Aufgabe ihres Vaters gewesen, mir diese Würden zu sichern, dachte Will ein wenig wehmütig. Er hatte seinem Herrn treu gedient. Schon längst hätte man diese Ehre durch Herzog Richards Hand erbitten müssen. Er kam aus einer guten, aber armen Familie und hatte gehofft, im Dienste von John de Barre aufzusteigen. Doch schließlich erkannte er, dass er sich wohl anderswo umsehen musste, wenn er zu Reichtum und Ehre kommen wollte. Nur seine Hingabe an Elona hielt ihn noch auf der Burg.

„Ich stehe Euch wie immer zu Diensten“, sagte er laut und kniete nieder, um ihren Rocksaum zu küssen. „Ich schwöre, lieber zu sterben, als Danewold oder irgendjemand anderem zu erlauben, Euch ein Leid anzutun.“

Mit roten Wangen bat Elona ihn, aufzustehen. Sein Bekenntnis machte sie ein wenig verlegen. Doch es hatte sie auch erregt. Bis zu diesem Tag war sie sich über die Tiefe seiner Zuneigung nicht im Klaren gewesen. Sie gab ihr Selbstvertrauen. Will würde sie niemals verlassen! Wenn es sein musste, würde sie eben mit ihm davonlaufen.

„Ihr seid mein liebster Freund“, meinte sie. „Aber wir dürfen nichts überstürzen. Für den Augenblick müssen wir noch abwarten …“

Sie standen am Waldrand, der nördlich an den Besitz ihres Vaters grenzte, und konnten von jedem Reiter, der sich vom Norden her näherte, gesehen werden. Doch sie waren so sehr miteinander beschäftigt, dass sie weder die kleine Gruppe von Reitern in der Ferne noch den einzelnen Mann wahrnahmen, der seinen Leuten vorausgeritten war und jetzt nahe genug stand, um Wills Schwur zu sehen und zu hören.

Der Mann runzelte die Stirn, während er das Paar dabei beobachtete, wie es sich umwandte und auf die Burg zuging. Was war dort geschehen? Was brüteten die beiden aus?

Stefan bemerkte, dass sie sich trennten, als sie sich dem Haus näherten. Jetzt ging der junge Mann einige Schritte hinter der Dame. Hatte er recht mit seinem Verdacht? War er gerade Zeuge eines verliebten Stelldicheins gewesen? War das die Braut seines Bruders, die er nach Banewulf geleiten sollte?

Zorn kochte in ihm hoch. Er würde nicht schweigend zusehen, wie Alain besudeltes Gut erhielt. Wenn diese Frau sich einem Liebhaber hingegeben hatte … Aber er durfte nicht zu hart über sie urteilen. Offensichtlich war der junge Mann ihr völlig ergeben. Die Dame hingegen war schwerer zu durchschauen. Stefan beschloss, sie im Auge zu behalten. Er hatte Lady Alayne versprochen, ihre Verwandte sicher nach Banewulf zu bringen, und das würde er auch tun. Der Himmel mochte jedem grünen Jungen beistehen, der versuchen würde, ihn daran zu hindern. Falls sich sein Verdacht bestätigte, dass die Dame nicht so rein wie schön war – und sie war zweifellos entzückend –, würde er es seiner Stiefmutter und Alain mitteilen.

Für den Moment musste er abwarten und wachsam sein. Und bevor er sich eine endgültige Meinung bildete, musste er auch mit dem Vater der jungen Dame sprechen, um sich ein Bild von ihm zu machen. Danach würde er seine Tochter besser beurteilen können.

Als Elona am späteren Nachmittag die Halle betrat, um die Gäste zu begrüßen, trug sie ein Kleid aus smaragdgrüner Seide. Es war ein schwerer, kostbarer, mit silberfarbener Stickerei verzierter Stoff, der wie die Kappe aus Silberfäden, die ihr glänzendes Haar zusammenhielt, im Licht der Fackeln schimmerte. Um ihren Hals hing ein schlichtes silbernes Kreuz, das ihr bis zur Taille reichte. Es war ein einfacher Schmuck, der ihre königliche Haltung unterstrich.

Sie war das Bild der stolzen Tochter eines reichen Herrn. Ihre Augen glühten nur so vor Aufsässigkeit. Im Fackelschein wirkte ihr Haar wie eine Flamme, die kein Schleier bändigen konnte. Ihr schönes Gesicht war kalt und zeigte nichts von dem Sturm, der in ihr tobte.

„Verehrter Lord of Sanscombe“, sagte John de Barre voller Genugtuung, während er auf seine liebreizende Tochter blickte, von der er wusste, dass sie die höchste Auszeichnung für jeden Mann war. Wenn er daran gedacht hätte, hätte er vielleicht auch eine Verbindung mit diesem ältesten Sohn von Ralph de Banewulf ins Auge gefasst. Es gab sicher nur wenige in Frankreich, die nicht von seinen tapferen Taten gehört hatten. „Darf ich Euch meine Tochter Elona vorstellen?“

„Es ist mir eine Ehre“, sagte Stefan, während er sich über ihre Hand beugte. Doch sein Gesichtsausdruck war ernst, sein Blick kühl, als er sie begrüßte – sie war tatsächlich die Frau, die er zuvor gesehen hatte. Beim Himmel, was für eine stolze Schönheit! Doch ihren Liebhaber hatte sie nicht so kalt angeblickt. „Ich weiß, dass Lady Alayne glücklich darüber ist, Euch auf Banewulf zu begrüßen.“

„Ich danke Euch. Und ich bin glücklich, Euch im Haus meines Vaters willkommen zu heißen, aber ich fürchte, wir müssen unsere Reise um ein paar Tage verschieben.“

„Warum das, Elona?“ John de Barre war durch ihr Benehmen und das seines Besuchers verwirrt. Die beiden schienen sich schon auf den ersten Blick nicht ausstehen zu können. Wie schade.

„Meine Amme ist krank und kann nicht reisen. Und ohne sie gehe ich nicht – es würde mir das Herz brechen.“

„Du machst zu viel Getue um eine alte Frau“, schalt ihr Vater sie. „Wenn Melise dich nicht begleiten kann, muss sie eben zurückbleiben. Sir Stefan wird sich nicht länger als einen Tag hier aufhalten wollen. Er ist ein viel beschäftigter Mann und hat noch anderes zu tun. Wie können uns glücklich schätzen, dass er den ganzen Weg auf sich genommen hat, um dich zu geleiten, Tochter.“

Stirnrunzelnd biss sich Elona auf die Lippen und schwieg. Stefan sah etwas in ihren Augen aufblitzen – war es Kummer? Wenn ja, dann verbarg sie ihn schnell wieder. Vielleicht war sie doch nicht so treulos, wie er gedacht hatte. Eine so schöne Frau konnte viele Bewunderer haben und trotzdem rein und unschuldig sein. Er durfte nicht vorschnell ein Urteil fällen.

„Ich kann Eurer Amme drei Tage geben“, entgegnete er. „Dann brechen wir auf. Ich muss eine wichtige Nachricht von Herzog Richard an seinen Vater, den König, überbringen.“

Elona sah ein, dass sie geschlagen war, und beugte zustimmend den Kopf. Ihr Vater würde seine Meinung nicht mehr ändern. Er hatte ihre Reise nach England beschlossen, und sie musste ihm gehorchen. Aber hatte sie ihn erst einmal verlassen, sah die Sache anders aus. Sie würde diesem Mann Fragen stellen, versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen, auch wenn das nicht einfach sein würde. Und wenn sie das Gefühl hatte, dass sie eine Heirat mit seinem Halbbruder nicht ertragen könnte, würde sie Will bitten, sie zu entführen.

Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, fühlte sie sich etwas ruhiger. Nun betrachtete sie den Mann, der sie fortbringen sollte, genauer. Er war groß, kräftig und wirkte streng, mit langem dunklem Haar und Augen von der Farbe nassen Granits. Er war kein schöner Mann, aber auch nicht hässlich oder abstoßend.

Stefan Banewulfs eiskalter Blick lag auf ihrem Gesicht, und ihr war, als versuchte er, ihre Gedanken zu lesen. Er betrachtete sie argwöhnisch, als würde er ihr nicht über den Weg trauen, als könne er sie nicht leiden – aber warum nur? Sie hatten sich doch erst jetzt zum ersten Mal gesehen. Was war der Grund für seine Abneigung?

Müsste sie ihn heiraten, würde sie noch diese Nacht fliehen und bei den Nonnen Zuflucht suchen!

„Es ist freundlich von Euch, mir so viel von Eurer kostbaren Zeit zu schenken, mein Herr“, sagte sie, während sie sich ein Lächeln abrang, das etwas zu steif ausfiel. Trotz ihres inneren Aufruhrs bemühte sie sich um Selbstbeherrschung. Wenn sie sein Vertrauen gewinnen wollte, musste sie ihr Temperament und ihre Zunge im Zaum halten. „Vielleicht ist meine Amme ja bereit, noch bevor die drei Tage vorüber sind. Melise ist sehr stark, wenn auch alt. Und sie verlässt nur widerstrebend das Zuhause, das sie seit jeher kennt.“

„Ich kann mir vorstellen, dass ihr die Trennung schwerfallen wird und Euch auch“, erwiderte Stefan, wobei er einen Anflug von Mitleid für Elona verspürte. Er selbst wusste, wie es war, von seinen Lieben fortgerissen zu werden, daher konnte er ihre Gefühle verstehen. „Es ist niemals leicht, das Heim und die Menschen, die man liebt, zu verlassen. Doch ich glaube, dass Ihr in Lady Alaynes Haus von ganzem Herzen willkommen seid. Sie bat mich ausdrücklich, Euch dies auszurichten.“

„Und Euer Bruder, Sir? Wird auch er mich in Eurem Haus willkommen heißen?“

„Ich denke, das wird er“, versicherte Stefan ihr, während er sie aufmerksam beobachtete. Was ging nur in ihrem Kopf vor? „Doch es ist an ihm, es Euch zu sagen, wenn Ihr ihn trefft. Ich bin nur Euer Begleiter. Banewulf ist nicht mein Zuhause.“

„Ich hörte, dass Ihr viele Jahre in Aquitanien gelebt habt?“ Elona trat von ihm weg, ein wenig näher zum Feuer hin.

„Vor einigen Monaten bin ich nach England zurückgekehrt und habe mir ein Gut gekauft. Ich möchte mir mein eigenes Heim schaffen. Mein Vater ist noch ein gesunder, starker Mann, und ich hoffe, es wird viele Jahre dauern, bis ich einmal seine Besitztümer erbe. Deshalb habe ich eigene Pläne gemacht.“

Wieso schienen seine Augen auf den Grund ihrer Seele blicken zu können? Elona wandte sich ab und streckte die Hände zum Feuer hin. Sie fürchtete sich ein wenig vor diesem ernsten Mann, auch wenn sie nicht glaubte, dass er ihr Böses wollte.

„Zuvor hattet Ihr zu viel zu tun, um ans Sesshaftwerden zu denken. Ihr seid berühmt, Sir Stefan. Euer Name ist als der eines furchterregenden Streiters und eines Ehrenmannes mit dem von Herzog Richard verbunden.“

Stefans Gesichtsausdruck blieb unverändert. „Ihr seid zu freundlich. Ich habe nur meinem Herrn gedient, wie es meine Pflicht ist.“

„Ja, einige würden es wohl so ausdrücken“, sagte sie, entschlossen fortzufahren, ganz gleich, wie oft sie eine Abfuhr erhalten würde. „Doch ich habe gehört, dass Ihr, obwohl Ihr ein tapferer und erfahrener Soldat seid, Euren Feinden gegenüber Milde gezeigt habt, wann immer es möglich war.“

„Es bereitet mir keine Freude, einem Gegner das Leben zu nehmen“, erwiderte Stefan, und seine Stimme klang rau in ihren Ohren. „Doch wenn es sein muss, tue ich es, ohne lange zu überlegen.“

Elona wandte sich um. Ihr zitterten die Knie beim Anblick seines harten Mundes, der kalten, gnadenlosen Augen. Jetzt wusste sie, dass er kein Mann war, der sich von seinem Vorhaben abhalten ließ, und wie ein Pfeil drang die Furcht in ihr Herz. Aber zugleich trug er tief verborgen in seinem Innern eine Wunde. Sie spürte es instinktiv, spürte seine große Einsamkeit, und etwas in ihr neigte sich zu ihm. Doch ihr ganzes Wesen schreckte vor diesem Gefühl zurück. Sie wollte ihm keine Sympathie entgegenbringen. Sie hatte vor, ihn zu benutzen und dann, wenn sie es so entschied, sein Vertrauen zu verraten.

Ihr Blick schweifte durch den Raum und blieb an Will de Grenville hängen. Er beobachtete sie mit einer Mischung aus Besorgnis und – war das etwa Eifersucht? Beruhigend lächelte sie ihm zu. Er musste nicht befürchten, dass sie ihn fallen ließ, um bei diesem Mann Schutz zu suchen. An Stefan de Banewulf war nichts Sanftes, das konnte sie sehen.

Als sie wieder zu dem englischen Ritter blickte, sah sie erneut diesen kalten Ausdruck in seinen Augen, und Furcht stieg in ihr auf. Hatte er ihr Lächeln bemerkt? Ihr Geheimnis erraten? Doch wie sollte er? Sie selbst wusste nicht einmal genau, was in ihrem Herzen und in ihrem Kopf vor sich ging.

„Komm, meine Tochter“, sagte John de Barre. „Es ist Zeit zum Abendessen. Sir Stefan ist heute viele Meilen gereist und wird sich ausruhen wollen. Und seine Männer ebenso. Morgen werden wir ein Fest veranstalten, doch heute Abend speisen wir in Ruhe zu Abend.“

„Ja, Vater.“ Elona ging zu ihm. Die dunklen Schatten unter seinen Augen verrieten ihr, dass er müde war. Bei seinem Anblick wurde ihr das Herz schwer vor Angst. Sie durfte nichts tun, das seinen Tod beschleunigte. Sonst würde sie sich ihr ganzes Leben lang Vorwürfe machen.

„Und wie geht es Euch heute?“, fragte Stefan, als er am nächsten Morgen zufällig im Garten auf Elona traf. Es war ein schöner Tag, die Luft war warm, und die Sonne brach gerade durch die Wolken. Wie üblich war er in der Dämmerung aufgestanden, um seine Männer zu trainieren. Doch für sie war es eigentlich noch zu früh, um bereits auf den Beinen zu sein. Als sein Blick über ihr liebliches Gesicht glitt, sah er die zarten Schatten unter den Augen. „Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen?“

Elona hob stolz den Kopf. „Gewiss, Sir.“ Nie hätte sie ihm eingestanden, dass sie die ganze Nacht keine Ruhe gefunden hatte – und das seinetwegen!

„Dann hat Euch die Sorge um Eure Amme nicht wach gehalten?“, fragte Stefan, während ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte. „Ich hoffe, es geht ihr heute nicht schlechter?“

„Nicht schlechter, aber auch nicht besser“, entgegnete Elona. Insgeheim ärgerte sie sich, dass sie in die Falle getappt war. „Sie braucht noch einige Tage, um reisen zu können.“

„Hoffen wir, dass sie bald gesund wird“, meinte er. „Ich fürchte, ich kann nicht auf sie warten. Meine Geschäfte dulden keinen Aufschub.“

„Eure Geschäfte sind Eure Sache, Sir. Wäre ich ein Mann und könnte tun, was mir beliebt, hätte ich mich nicht in Eure Hand gegeben. Ich wäre gereist, wann und wie es mir gefällt.“

„Leider ist es nicht so“, erwiderte Stefan. „Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich bei anderen in der Pflicht stehe und mein Bestes tun werde, den Auftrag auszuführen, den sie mir gegeben haben – trotz Eurer Bemühungen, mein Vorhaben zu durchkreuzen.“

„Ich verstehe Euch nicht, Sir.“

„Wirklich nicht?“ Einen Moment lang hätte sie schwören können, dass da ein Lachen in seinen Augen aufblitzte. Doch im nächsten Augenblick war es verschwunden, und seine Miene war abweisend. „Dann tue ich Euch vielleicht unrecht? Entschuldigt mich. Ich habe schon genug Zeit mit Tändeleien verschwendet.“

Elona sah ihm nach, während sie erregt mit dem Fuß auf den Boden klopfte. Was sollte sie davon halten? Dass sie mit ihrer Dummheit seine Zeit verschwendet hatte? Oder steckte ein tieferer Sinn hinter seinen Worten?

Was beunruhigte sie nur so an diesem Mann?

Drei Tage vergingen, ohne dass Elona einen Grund fand, ihre Reise weiter hinauszuzögern. Am Morgen des vierten Tages war sie gezwungen, tränenreich von ihrem Vater Abschied zu nehmen. Zuletzt hatte sie doch beschlossen, Melise zurückzulassen. Für die alte Frau würde die Reise zu anstrengend werden.

„Ich werde dich niemals wiedersehen, mein Kind“, sagte Melise, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. „Mir bleibt nur noch das Grab.“

„Bitte, nicht!“

Elona zerriss es fast das Herz, als sie den Kummer ihrer Amme sah. Sie standen im Burghof und wandten den anderen den Rücken zu, um einander Lebewohl zu sagen und sich in der morgendlichen Kühle ein letztes Mal zärtlich zu umarmen.

„Ich bin genauso traurig wie du“, entgegnete Elona mit tränennassen Augen. „Aber verzweifle nicht, liebes Herz. Vielleicht bin ich früher wieder bei euch, als du denkst …“ Abrupt brach sie ab, als sie jemanden dicht hinter sich spürte. Sie wandte sich um und erblickte Stefan. Der Mann bewegte sich so leise wie eine Katze! Sie hatte ihn nicht kommen hören.

Warum musste er sich an sie heranschleichen? Mit zornig funkelnden Augen starrte sie ihn an. Sie war entschlossener denn je, so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückzukehren. Ihr Vater würde sie doch sicher willkommen heißen, wenn sie mit einem Mann verheiratet wäre, der sie und die Ländereien der de Barres beschützen konnte?

„Verzeiht mir, wenn ich mich einmische“, sagte Stefan mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. Was führte dieses halsstarrige Frauenzimmer jetzt schon wieder im Schilde? Er würde auf der Hut sein müssen. Dreimal seit seiner Ankunft hatte er sie mit ihrem Knappen ins Gespräch vertieft angetroffen. Und dabei hatte Will de Grenville sie immer so angesehen, dass ihm seine Gefühle deutlich ins Gesicht geschrieben standen. Der junge Mann war völlig vernarrt in sie und zweifellos bereit, alles zu tun, was sie von ihm verlangte. „Ich weiß, dass die Trennung Euch schmerzt, aber wir müssen aufbrechen. Ich darf keine Zeit mehr verlieren.“

Damit wollte er wohl andeuten, dass er sich ihretwillen schon zu sehr verspätet hatte! Elona kochte vor Wut, während sie ihrer Amme einen letzten Kuss auf die Wange drückte. Könnte sie ihn doch nur mit einem Wort oder Blick zum Teufel schicken! Aber dieser Mann ließ nicht mit sich spaßen!

„Ich werde immer an dich denken, vergiss das nicht“, sagte sie zu Melise, bevor sie sich rasch abwandte, um nicht in lautes, kummervolles Schluchzen auszubrechen. Mit ihrem Vater hatte sie heute Morgen bereits unter vier Augen gesprochen, sodass sie ihm jetzt nur kurz zunickte, während er mit den anderen dastand und zusah, wie man ihr auf ihren Zelter half. Wäre sie jetzt zu ihm gegangen, hätte sie ihn wahrscheinlich gebeten, hierbleiben zu dürfen. Aber weder ihr Stolz noch die Sorge um ihren Vater ließen es zu, dass sie vor dem Mann Schwäche zeigte, den sie als ihren Feind zu betrachten begann.

„Ich bin bereit, Sir.“

Elona hob den Kopf und setzte eine stolze, kalte Miene auf, bevor sie sich kerzengerade im Sattel aufrichtete und nach vorn schaute. Sie würde Sir Stefan genauso eisig begegnen wie er ihr. Er sollte sehen, dass sie kein kleines Mädchen war, das man wie ein Gepäckstück behandeln durfte.

Als sie die Burg ihres Vaters verließen, ritt Will an ihre Seite. Sie warf ihm einen Blick zu und nickte. Doch nicht einmal für ihn hatte sie ein Lächeln übrig. Es war, als hätte dieser Abschied ihr das Herz aus der Brust gerissen. Im Stillen gab sie dem Mann, der vor ihr ritt, die Schuld an dieser schrecklichen Qual. Er hatte sie von zu Hause fortgeholt, sie gezwungen, sich von ihrer geliebten Melise zu trennen. Hätte er noch eine Woche gewartet, wäre die alte Amme vielleicht fähig gewesen, die Reise auf sich zu nehmen.

In Elona wuchs der Entschluss, die Pläne derjenigen, die beschlossen hatten, sie an einen Mann zu verheiraten, den sie noch nie gesehen hatte, zu durchkreuzen. In diesem Moment wandte Stefan den Kopf und sah sie an. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Etwas sagte ihr, dass er ahnte, was sie vorhatte. Es war ihr unerklärlich, wie er es hatte erraten können. In Zukunft würde sie auf der Hut sein müssen.

Es ist nicht zu übersehen, dass der junge Knappe seiner Dame ergeben ist, dachte Stefan, der Will de Grenville beobachtete, wie er sich mit Elona unterhielt, nachdem er ihr aus dem Sattel geholfen hatte. Als Knappe war es seine Pflicht, ihr behilflich zu sein. Aber Will nutzte jede Gelegenheit, sie zu berühren, und seine Augen hingen wie die eines treuen Hündchens an ihr. Träumte der dumme junge Mann vielleicht davon, sie zu heiraten? Das war unmöglich, denn er war ihr von seinem Rang her nicht ebenbürtig. Eine solche Heirat würde man nie erlauben.

Stefan schaute sich um. Seine Leute bauten das Lager für die Nacht auf, während die Diener damit beschäftigt waren, die Zelte und Pavillons herzurichten. Er hatte befohlen, sein eigenes Zelt so dicht wie möglich neben Elonas aufzustellen, um jeden ihrer Schritte überwachen zu können. Er traute dem Mädchen nicht. Sie hatte ein dickköpfiges Wesen. Zweimal, bevor sie das Haus ihres Vaters verließen, hatte er versucht, sich mit ihr zu verständigen. Aber sie hatte ihn nur hochmütig angesehen und sich in eine würdevolle Haltung geflüchtet. Er war der Meinung, ihr Vater hätte sie vielleicht öfter übers Knie legen sollen, als sie noch jünger war.

Als Stefan Elonas lebhafte Blicke bemerkte, während sie jetzt mit ihrem Knappen redete, fragte er sich, was sie ausheckte. Er hatte einen Gesprächsfetzen ihrer Unterhaltung mit der alten Amme aufgeschnappt, der ihn beunruhigte. Vielleicht bin ich früher wieder bei euch, als du denkst. Hatte sie Melise nur angelogen, um sie zu trösten – oder plante sie wirklich, zu ihrem Vater zurückzukehren?

Doch wenn sie so sehr gegen diese Heirat war, warum hatte sie dann nicht gleich dagegen protestiert? Dieser Lord de Barre war kein übler Mann. Als er mit Stefan gesprochen hatte, schien er ehrlich um die Zukunft seiner Tochter besorgt zu sein.

„Sie darf Danewold nicht in die Hände fallen“, hatte John de Barre gewarnt. „Als seine Gattin würde es ihr schlecht ergehen, denn es liegt ihm nur am Reichtum und seinem Aufstieg. Meine arme Tochter braucht jemanden, der sie liebt und beschützt. Ist Euer Bruder solch ein Mann, Sir Stefan? Über Euren Vater habe ich Gutes gehört, und die ganze Welt kennt Eure Taten. Von Eurem Bruder allerdings weiß man wenig.“

„Alain ist ein braver und tapferer Mann“, sagte Stefan. „Bis jetzt ist er noch nicht zum Ritter geschlagen worden. Der König hätte es letzten Sommer getan, als Alain für ihn im Turnier siegte. Doch mein Bruder bat darum, sich diese Ehre im Kampf oder durch eine tapfere Tat verdienen zu dürfen. Dazu hat er bis jetzt wenig Gelegenheit gehabt. Sollte er sich eine Frau nehmen wollen, wird mein Vater dafür sorgen, dass er die Ritterwürde erhält.“

„Kann er Elona beschützen?“, beharrte der besorgte Vater. „Es gibt noch andere, die sie gut behandeln und aufrichtig lieben würden – doch Ihr wisst, dass ein Mann stark sein muss, um seine Frau und sein Land zu schützen. Ist Euer Bruder dazu in der Lage?“

„Ich bin mir sicher, dass er über große Kräfte verfügt …“

Stefan hatte nicht hinzugefügt, dass er seinen Bruder für feinfühlig hielt und dass er vielleicht zu sanft und zu gut war, um der richtige Mann für eine stolze und temperamentvolle Schönheit wie Elona zu sein. Um sie zu zähmen, brauchte es einen anderen!

An diesem Punkt bemerkte Stefan, wohin ihn seine Gedanken führten, und er hatte sie sich sofort verboten. Elona war eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Etwas an der Art, wie sie ihn anschaute, reizte ihn so sehr wie bei keiner anderen – doch sie war nicht für ihn bestimmt. Gefühle, die in ihm für die hochmütige Schönheit erwachten, musste er rücksichtslos unterdrücken. Sie war Alain versprochen, und er musste sie unberührt auf Banewulf abgeben. Es verletzte seinen ritterlichen Ehrenkodex, wenn er wollüstige Empfindungen für sie hegte.

Besser, sie konnte ihn nicht leiden, als dass er in Gefahr kam, ein heiliges Vertrauen zu verraten! Aber da waren diese Augenblicke, in denen er fleischliche Lust verspürte, was bei einer so reizvollen Frau nicht verwunderlich war.

In wenigen Wochen würden sie Banewulf erreicht haben. Er wäre kein ganzer Mann, wenn er seine niederen Instinkte nicht so lange beherrschen könnte!

Kein weibliches Wesen würde ihn dazu bringen, gegen seine Ehre zu handeln. Selbst wenn es so schön war wie Elona de Barre.

„Ich sage Euch, ich traue ihm nicht“, flüsterte Elona. Andauernd mussten sie auf der Hut sein, nicht belauscht zu werden. „Wie er mich anschaut … mich beobachtet …“ In der Tat, jedes Mal, wenn sie sich umsah, schien er sie mit seinen Augen zu verfolgen.

„Sir Stefan ist ein Ehrenmann“, erwiderte Will, denn er hatte sich unter die Männer des englischen Ritters gemischt und Geschichten gehört, die in ihm größte Bewunderung geweckt hatten. „Ich glaube, er will Euch nur schützen, Herrin.“

„Er mag mich nicht. Ich spüre seine Feindschaft – sein Misstrauen. Glaubt mir, Will, ich habe versucht, diese Barriere zu durchbrechen. Es ist leichter, Blut aus einem Stein zu pressen, als diesem Sir Stefan eine Gefühlsregung zu entlocken!“

„Sie sagen alle, dass Alain de Banewulf ganz anders sei als sein Bruder – ein fröhlicher Mann, der lächle und sich höfisch kleide. Er habe aber auch schon mehrere Turniere gewonnen. Sie erzählen, dass nur sein Bruder ihn im Ringen schlagen könne. Aber es gäbe auch nur sehr wenige, die Sir Stefan darin besiegen könnten. Er soll die Kraft von zehn Männern besitzen.“

„Er kommt mir wie ein großer Bär vor, und ich hasse ihn“, stieß Elona leidenschaftlich hervor. „Er weiß alles übers Kämpfen und über den Krieg, aber nichts über Freundlichkeit und die Liebe. Ihr müsst mir helfen, ihm zu entfliehen, Will.“

„Seid Ihr sicher?“ Wills Herz raste. Er wollte Elona zur Frau, doch gleichzeitig fürchtete er, dass sie sich später vielleicht über seinen niederen Stand beklagen könne. „Meint Ihr nicht, es wäre besser, zuerst Banewulf zu besuchen? Ihr müsst der Heirat nicht zustimmen. In ein paar Monaten könnte ich zum Ritter geschlagen werden – dann würde ich in allen Ehren um Eure Hand anhalten.“

„Das hört sich ja plötzlich ganz anders an“, rief Elona mit vor Zorn funkelnden Augen. „Erst vor ein paar Tagen batet Ihr mich, mit Euch zu fliehen.“

„Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich frage mich nur, ob es nicht besser wäre, wenn ich für eine Weile in Sir Richards Dienste träte, um mir dort meine Ritterwürde zu verdienen …“ Die Würde, die John de Barre ihm bis jetzt verweigert hatte.

„Aber wenn Ihr in Sir Richards Dienst tretet …“ Elona runzelte die Stirn. Er konnte nicht für einige Monate im Dienst eines anderen Herrn stehen und dann zu ihrem Vater zurückkehren. „Das würde bedeuten, dass wir …“ Sie brach ab, als sie sah, wie Stefan mit großen Schritten auf sie zueilte. Wie immer blickte er finster, und ein leichter Angstschauer überlief sie. „Schweig, Will“, sagte sie, als er sprechen wollte. „Wir reden später darüber. Verlasst mich jetzt. Ich möchte mich allein mit Sir Stefan unterhalten.“

„Euer Zelt steht bereit“, verkündete Stefan. Sein Gesicht war so ausdruckslos wie seine Stimme. „Und Eure Mägde erwarten Euch. Ich nehme an, Ihr wollt Euch frisch machen, bevor wir speisen.“

Elona blickte ihn an und senkte dann schnell die dichten Wimpern wie einen Schleier über die Augen. Glaubte er etwa, dass sie ihm beim Abendessen Gesellschaft leisten würde? Sie bemerkte, dass die beiden größten Zelte nebeneinander aufgeschlagen worden waren. Eines davon gehörte Stefan de Banewulf. War ihr das andere zugewiesen worden, damit er in ihrer Nähe war, um sie an einer Flucht zu hindern?

„Ich verlange nur ein leichtes Nachtmahl, das ich in meinem Zelt einnehme“, teilte sie ihm mit eisiger Stimme mit. „Ich bin müde und möchte allein sein, Sir.“

„Wie Ihr wünscht“, meinte er und blickte noch mürrischer drein. „Ich muss Euch davor warnen, in der Dunkelheit spazieren zu gehen. Meine Männer haben strikte Anweisung, das Lager bei Nacht streng zu bewachen. Jeder, der hier herumwandert, muss mit Konsequenzen rechnen. Es würde mir auch nichts ausmachen, wenn Ihr zufällig etwas grob behandelt würdet.“

„Ich denke, Eure Männer kennen mich gut genug, Sir!“, erwiderte sie mit trotzig gerecktem Kinn.

„Kennt Ihr nicht das Sprichwort ‚In der Nacht sind alle Katzen grau‘?“ Stefans weiße Zähne schimmerten in der Dämmerung, als er plötzlich lächelte. „Manche Feinde sind gerissen und schicken Frauen aus, damit sie für sie spionieren. Ich möchte auch vermeiden, dass man Euch fälschlicherweise für eine Lagerhure hält. Es könnte peinlich für Euch werden, wenn nicht gar schlimmer.“

Eine heftige Röte überzog Elonas Wangen. „Ihr wagt es, mich zu beleidigen? In meines Vaters Haus hättet Ihr Euch das nicht getraut!“

„Ich versuchte nur, Euch vor Beleidigungen zu schützen“, entgegnete Stefan, und in seinen Augen blitzte so etwas wie Vergnügen auf. „Männer trinken manchmal am Abend, wenn sie keinen Dienst haben, und bekommen heißes Blut – Ich möchte Euch diesen Unannehmlichkeiten nicht aussetzen. Außerdem gibt es ja keinen Grund, warum Ihr Euer Zelt nach Einbruch der Dunkelheit verlassen solltet – oder?“

„Nein, natürlich nicht“, fauchte Elona zurück. Konnte er Gedanken lesen? Sie hatte gehofft, sich mit Will davonschleichen zu können, während seine Männer schliefen. Doch wie es schien, würde es immer einen geben, der sie bewachte. „Ihr hättet Euch Eure Worte sparen können.“

Mit stolz erhobenem Kopf rauschte sie an ihm vorbei, wobei ihr Herz heftig in ihrer Brust pochte. Für einen kurzen Augenblick hatte etwas anderes in seinem Blick gelegen, etwas, das sie erschreckte.

Ob es klug gewesen war, sich Will anzuvertrauen? Sir Stefans Worte hatten sie daran erinnert, wie schutzlos sie in dieser von Männern beherrschten Welt war. Er selbst war angeblich ein Ehrenmann – aber es gab andere, die nicht nach dem Ehrenkodex handelten, der das Leben eines wahren Ritters bestimmte. Die Gesetze der Ritterlichkeit, die bestimmten, dass eine Dame immer mit Höflichkeit und Respekt behandelt werden musste, die Gesetze, die von einem Mann verlangten, dass seine Ehre das Wichtigste für ihn war, ließen sich nicht auf alle, die sich „Ritter“ nannten, anwenden. Baron Danewold gehörte zu dieser Sorte – und Elona wusste, dass sie eher sterben würde, als seine Frau zu werden.

Wieder einmal quälte sie die Unentschlossenheit, während sie in ihr Zelt ging und nach ihren Frauen rief. Sie setzte sich auf einen Hocker, den man ihr bereitgestellt hatte. Die Dienerinnen lösten ihr das Haar und bürsteten es, bis es ihr in seidigen Wellen über den Rücken floss.

„Sie sagen, Alain de Banewulf sei sehr gut aussehend“, bemerkte Julia kichernd, als sie ihrer Herrin aus dem Kleid half, das sie den ganzen Tag getragen hatte, und ihr stattdessen ein hauchfeines Seidennachthemd überstreifte. „Er singt wie eine Nachtigall, und sein Haar hat die Farbe von reifem Korn. Seine Augen sind wie der Sommerhimmel.“

„Woher weißt du das, Julia?“

„Oh … von einem von Sir Stefans Männern“, gestand die Dienerin errötend. „Er verbrachte einige Zeit auf Banewulf und meinte, es sei ein schönes Anwesen.“

„Aber Banewulf gehört Sir Ralph. Eines Tages wird er es seinem ältesten Sohn vermachen“, entgegnete Elona nachdenklich. „Alain ist nur der Zweitgeborene. Deshalb glaube ich, dass er die Ländereien seiner Mutter in Frankreich erben wird, die auch ganz beträchtlich sind.“

„Aber Sir Stefan ist der Reichere von beiden“, hob Bethany hervor, während sie Elona die feinen ledernen Reitstiefel von den Füßen zog und ihr dann parfümiertes Wasser brachte, damit sie sich Gesicht und Hände waschen konnte. „Er ist so ein hübscher und feiner Mann – stark und tapfer. Ich denke, er gäbe einen würdigen Ehemann für Euch ab, Herrin.“

„Daran solltest du nicht einmal im Traum denken!“, schrie Elona entsetzt. „Eher würde ich Baron Danewold heiraten als diesen Eisblock.“

„Sir Stefan ist nicht kalt“, erwiderte Bethany mit einem leichten Lächeln um die Mundwinkel. „Er mag kein Schönling sein, aber er ist attraktiv. Er hat solch eine noble Haltung und ein ganz anderes Gesicht, wenn er lächelt. Habt Ihr nicht bemerkt, wie er Euch ansieht? Dann würdet Ihr wissen, dass unter dem Eis Feuer lodert.“

„Gott möge mir gnädig sein!“, sagte Elona und bekreuzigte sich. „Ich würde mir das Haar abschneiden und in Sack und Asche gehen, wenn ich wüsste, dass er mich begehrlich anschaut. Nein, nein, Bethany, du hast unrecht. Sir Stefan verachtet mich und misstraut mir.“

„Wenn er mich doch nur so ansehen würde“, beharrte Bethany. Doch ein Blick ihrer Herrin brachte sie zum Schweigen. „Verzeiht, es war bloß ein Scherz.“

„Denk nach, bevor du sprichst“, sagte Elona. Das Letzte, was sie sich wünschte, war, dass Sir Stefan sie wollüstig anschaute – und doch war da neulich etwas anderes in seinem Blick gewesen. Sie hatte es selbst bemerkt. Er begehrte sie doch wohl nicht heimlich? Nein, das war ausgeschlossen!

Bethany war eine närrische Person wie alle Dienerinnen. Ihre Köpfe waren voller Geschichten von hübschen Rittern, Liebe und den Erzählungen von Königin Eleonores Hof, welcher die Tradition der hohen Minne begründet hatte.

Es war ganz vergnüglich, sich die langen Winterabende mit Geschichten über gewagte Feste, die im Namen der Liebe stattfanden, zu vertreiben, doch Elona wusste nur zu gut, dass diese tiefe Empfindung in der Ehe selten anzutreffen war. Sie war lediglich ein Arrangement, das mächtige Männer zu ihrem eigenen Vorteil eingingen. Die Frauen waren dabei nur die Schachfiguren, die sie nach ihrem Willen bewegten. Selbst ihr Vater hatte sich nicht anders verhalten, wenngleich Elona auch davon überzeugt war, dass er sie vor Schlimmerem hatte bewahren wollen. Hätte er sie nur einmal nach ihren Wünschen gefragt, könnte sie jetzt mit Will verheiratet sein und sicher zu Hause sitzen.

Hörte sie da nicht eine leise Stimme in ihrem Innern, die ihr zuflüsterte, dass sie in Wahrheit gar nicht Wills Frau werden wollte? Sie beschloss, nicht darauf zu hören.

„Möchtet Ihr etwas essen?“ Bethany stellte eine Schüssel mit Früchten neben die Liege, auf der Elona es sich bequem gemacht machte. Warum nur hatte ihr Vater nicht dafür gesorgt, dass man Will schon längst zum Ritter geschlagen hatte?

Doch würde diese Ehre ihn zu dem Mann machen, den sie sich in ihren geheimsten Träumen als Gatten vorstellte?

Elona lächelte heimlich über ihre Torheit, nippte an ihrem Wein und biss in eine saftige Pflaume, bis ihr der Saft über das Kinn lief, den sie mit einem Tuch abwischte. Julia spielte die Leier und sang ein Liebeslied dazu. Elona schloss die Augen und ließ sich von der sanften Melodie in den Schlaf lullen.

Sie war müde, denn Sir Stefan hatte sie während des ganzen Tages nur eine halbe Stunde rasten lassen. Was für ein Tyrann er doch ist, dachte sie.

Die Frauen bereiteten sich jetzt am Fußende von Elonas Liege mit strohgestopften Matratzen ihre Ruhestatt. Draußen brannten die Lagerfeuer noch hell, und Männer patrouillierten abwechselnd rund ums Lager, jederzeit bereit, plötzliche Angriffe abzuwehren. Sie waren ein großer Trupp und würden es sicher nicht mit den Wegelagerern zu tun bekommen, welche die Wälder durchstreiften. Auch Wölfe würden es nicht wagen, sich dem Lager zu nähern. Doch es mochte andere geben, die wussten, welches kostbare Gut hier bewacht wurde, sodass sie versucht sein konnten, es ihnen unter der Nase wegzuschnappen. Deshalb hatte Sir Stefan seinen Leuten befohlen, wachsam zu sein.

Ob sie es jetzt wagen durfte, sich davonzuschleichen? Elona überlegte angestrengt. Einer von Sir Stefans Männern würde ihr Zelt bewachen. Sie konnte aber unter der Rückwand hindurchkriechen und Will suchen. Er würde irgendwo in der Nähe der Pferde schlafen. Sie könnten ihre Pferde nehmen und fliehen, während die meisten im Lager schliefen.

Nein, heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, dachte sie. Es war besser, Will zu sagen, dass er sich bereithalten solle. Morgen Nacht wäre auch noch eine gute Gelegenheit. Sie konnte doch auf das Verständnis ihres Vaters hoffen? Vielleicht würde er zuerst böse sein, aber wenn sie ihm sagte, dass sie ihn nicht verlassen könnte, dann würde er sie verstehen – oder?

In seinem Zelt aß Stefan nur wenig von dem Mahl, das ihm aufgetragen worden war. Er dachte über Lady Elona nach. Es war offensichtlich, dass sie ihn nicht mochte. Er hatte sie oft im Umgang mit ihren Frauen beobachtet, für die sie stets ein Lächeln und herzliche Worte hatte. Wenn auch keine so herzlichen wie für Will de Grenville.

Planten die beiden etwa, durchzubrennen? Er hatte gesehen, wie der Knappe sie vor Lord de Barres Burg geküsst hatte. Im Lager steckten sie bei jeder Gelegenheit die Köpfe zusammen und flüsterten. Glaubte der törichte junge Mann etwa, dass er den ganzen Besitz ihres Vaters erhalten würde, wenn er sie heiratete?

Diese Verbindung würde Lord de Barre nie dulden. Eher würde er seine Ländereien Herzog Richard übertragen, als seine Tochter einem Mann zu geben, den er ihrer für nicht würdig erachtete.

Neugierig geworden, hatte Stefan die Frage nach Will de Grenvilles Ritterschaft gestellt und mehr über die Geschichte des jungen Mannes erfahren.

„Will ist ein tapferer Bursche“, hatte John de Barre ihm anvertraut. „Seine Mutter war aus guter Familie – eine Verwandte von mir –, aber sie wurde von einem Schuft entehrt, und ihr Vater verheiratete sie an einen Mann unter ihrem Rang, damit das Kind einen Namen bekam. Will muss sich die Sporen in der Schlacht verdienen, wenn er meine Tochter zur Frau nehmen will, denn ich kann sie ihm guten Gewissens nicht verschaffen.“

„Kennt er die Wahrheit über seine Geburt?“

„Nein – noch kennt sie irgendjemand hier in der Burg“, hatte de Barre erwidert. „Ich weiß, dass zwischen Elona und dem jungen Mann eine Zuneigung besteht, und wenn er nicht der Bastard eines niedrig geborenen Schuftes wäre, hätte ich die Verbindung mit Wohlwollen betrachtet. Doch in ihm fließt schlechtes Blut. Ich will ihn nicht mit meiner Tochter vermählt sehen. Deshalb habe ich an Lady Alayne geschrieben. Es ist besser, Elona lebt bis zu ihrer Hochzeit fern von ihrem Heim. Hier hat sie keine Möglichkeit, eine gute Partie zu machen, und ich bin zu krank, um mit ihr an den Hof zu gehen. In England wird sich alles zu ihrer Zufriedenheit finden.“

Stefan war klar, dass er eine Flucht unbedingt verhindern musste. John de Barre würde es ihm nicht danken, wenn er Elona vor Danewold rettete, nur um sie einem Mann in die Hände fallen zu lassen, der weit unter ihr stand.

Außerdem war sie seinem Bruder versprochen. Er musste dafür sorgen, dass sie sicher ihren Bestimmungsort erreichte.

Zuerst hatte er geglaubt, der Knappe wäre ihr Geliebter, doch dann hatte er seine Meinung geändert. Es stimmte, sie war stolz und hochmütig, aber sie hatte auch etwas Unschuldiges und Unberührtes an sich, und Will de Grenville schaute mit einer Mischung aus Liebe und Respekt zu ihr auf. Stefan konnte keine Geste von intimer Vertrautheit beobachten, wie sie Liebende gern untereinander austauschten.

Nein, im Augenblick war sie noch rein, und er musste dafür sorgen, dass sie es bis zu ihrem Hochzeitstag blieb. Und das bedeutete, dass er seine eigene brennende Begierde im Zaum halten musste – eine Begierde, die er selten so stark verspürt hatte. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er für keine Frau je so empfunden hatte.

Es lag wohl auch daran, dass sie ihn mit solcher Verachtung behandelte. In der Vergangenheit waren Frauen nur allzu empfänglich für seine Aufmerksamkeiten gewesen. Früh hatte er, jung und unerfahren, in einem Heuschober auf Banewulf seine erste Frau besessen. Danach hatte es noch andere gegeben. Einige waren schöne, kultivierte Frauen vom Hof in Aquitanien gewesen. Sein bislang letztes Verhältnis mit der intriganten Isobel de Montaine, Gattin von Lord Alfredo de Montaine, hatte ihm allerdings die Lust auf Frauen, die allzu verrückt nach ihm waren, verdorben.

Er erinnerte sich an die giftigen Worte, die Isobel ihm ins Ohr gehaucht hatte, als sie bebend vor Lust neben ihm auf den seidenen Kissen lag. Sie hatte ihn gebeten, sie von ihrem Mann zu befreien, der sie, wie sie sagte, langweilte und ihr Verlangen nicht befriedigen konnte. Und sie hatte ihm angeboten, ihren ganzen Reichtum mit ihm zu teilen.

Unruhig schritt Stefan in seinem Zelt auf und ab. Warum fiel ihm jetzt Isobel ein? Sie war es nicht wert, dass er auch nur einen Gedanken an sie verschwendete.

Voller Entsetzen war er bei ihrem Vorschlag, ihren Mann im Turnier zu töten, zurückgeschreckt. Ja, er hatte sie sogar aus dem Bett geworfen, sodass sie auf dem Boden lag und ihn böse ansah, als er ihr erklärte, dass er sein Lager nicht mit einer Schlange teile.

„Du bist ein Narr“, schrie sie, und ihr schmachtender Blick, mit dem sie ihn sonst beglückte, wurde hasserfüllt. „Eines Tages wirst du deinen Meister finden, Stefan de Banewulf. Keine Frau kann dein Herz rühren. Weißt du, was sie über dich sagen? Sie nennen dich einen wahren Ritter, einen Ritter voller Ehre. Ich aber denke, du hast bloß Angst vor der Liebe – Angst, dir zu nehmen, was dir zusteht. Mit mir an deiner Seite hättest du einer der mächtigsten Streiter der Christenheit werden können – aber eines Tages wirst du deine verdiente Strafe erhalten. Dann wird eine Frau dein Herz wie mit Dornen treffen, die du nicht herausziehen kannst. Dann wirst du wissen, was es heißt, zurückgestoßen zu werden.“

„Ja, das kann geschehen, Isobel“, hatte Stefan voller Abscheu erwidert. „Aber wenn ich Liebeskummer haben werde, dann sicher nicht wegen dir.“

Sie hatte geschworen, sich irgendwann an ihm zu rächen, doch er hatte nur darüber gelächelt. Er lächelte auch jetzt, als er den Weinbecher absetzte, an dem er nur genippt hatte. Wie entzückt Isobel wäre, wenn sie wüsste, dass ihre Prophezeiung dabei war, sich zu erfüllen – dass er sich nach einer Frau verzehrte, die ihm niemals gehören würde.

Fluchend verdrängte Stefan die fiebrigen Gedanken. Er war ein Narr! Elona de Barre war nicht für ihn bestimmt, und je eher er das einsah, desto besser.

3. KAPITEL

Wollt Ihr das wirklich wagen?“ Unsicher schaute Will sie an. „Ich glaube nicht, dass sich Sir Stefan gern von einer Frau zum Narren halten lässt.“

„Er wird es ja nicht wissen“, erwiderte Elona. „Letzte Nacht lud er mich ein, mit ihm zu dinieren, und ich lehnte ab. Heute Nacht bitte ich ihn in mein Zelt zum Abendessen und werde ihm tüchtig schweren Wein einschenken. Ich selbst werde nur wenig trinken. Wenn er dann geht, werde ich unter der Rückwand meines Zeltes hindurchkriechen und Euch treffen. Irgendwie müsst Ihr es schaffen, unsere Pferde bereitzuhalten.“

„Aber was ist mit Euren Frauen?“

„Sie können uns folgen, wenn meine Flucht entdeckt worden ist“, erwiderte Elona. „Es ist meine einzige Chance, Will. Wenn wir jetzt fliehen, sind wir bald auf der Burg meines Vaters.“

„Ich glaube nicht, dass Lord de Barre sehr erfreut sein wird, uns zu sehen.“

„Wenn ich ihm sage, dass mir die Trennung von ihm fast das Herz gebrochen hat und dass ich zu Hause bleiben und Euch heiraten will, wird er es verstehen.“

„Nehmen wir einmal an, Sir Stefan verfolgt uns?“

„Warum sollte er? Er hat Eile, dem englischen König seine Botschaft zu überbringen. Er wird alles mit einem Achselzucken abtun und mich vergessen. Warum sollte er sich die Mühe machen, nach uns zu suchen?“

Will warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Die Flucht aus dem Lager würde nicht so leicht sein, wie sie es sich vorstellte. Doch er war zu verliebt, um ihren Plan abzulehnen.

„Ich warte nachher auf Euch“, versprach er. „Aber seid vorsichtig, Herrin.“

„Ich werde schon dafür sorgen, dass der englische Ritter gut schläft“, meinte sie mit verächtlichem Lächeln. „Wenn er erst einmal genug von meinem Wein getrunken hat, wird er nicht mehr auf mich aufpassen können.“

Misstrauisch kniff Stefan die Augen zusammen, als er das bestrickende Lächeln Elonas sah und ihre Einladung vernahm, mit ihr zu Abend zu essen. Ihr plötzlicher Stimmungsumschwung machte ihn argwöhnisch, und etwas an der Haltung Will de Grenvilles hieß ihn, wachsam zu sein. Als er kurz zuvor mit dem Knappen gesprochen hatte, machte dieser einen nervösen Eindruck, als würde er sich in seiner Haut nicht wohlfühlen.

Was führte dieses Mädchen jetzt schon wieder im Schilde? Nun, fürs Erste würde er ihre Einladung annehmen.

„Ihr seid sehr gütig“, antwortete er und neigte leicht den Kopf. „Ich freue mich darauf, mit Euch zu speisen.“

„Die Freude liegt ganz bei mir, Sir.“

Es war klar, dass sie etwas vorhatte.

Stefan zog die beste Tunika an, die er dabeihatte, und legte noch einen nachtblauen Talar an, um dem Ereignis angemessen gekleidet zu sein. Zuvor war er noch rasch zum Fluss gegangen und hatte in dem eisigen Wasser gebadet, wie er es immer tat, wenn er Gelegenheit dazu hatte. Er wusste, dass Elonas Frauen Wasser in ihr Zelt getragen hatten, damit auch sie sich vom Staub des Tages säubern konnte.

Sie trug dasselbe smaragdgrüne Gewand wie am Abend, als Lord de Barre sie einander vorgestellt hatte. Stefan nahm an, dass es ihr bestes war. Er hatte bemerkt, dass ihre Kleidung von guter Qualität war, doch sie schien nicht so viel davon zu besitzen, wie es bei wohlhabenden Damen ihres Standes üblich war, was ihm ein wenig seltsam erschien. Er war überzeugt gewesen, dass Lord de Barre seine Tochter verwöhnt hatte.

Stefan beschloss, mehr über sie zu erfahren.

Und so nahm er auf dem gepolsterten Schemel Platz, der für ihn bereitstand, während Elonas Dienerinnen Essen und Trinken auftrugen. Wie es seine Gewohnheit war, nahm er nur wenig zu sich. Es wurde ein guter Burgunder gereicht, den Elonas Vater ihnen für die Reise mitgegeben hatte. Doch für Stefans Geschmack war er ein wenig zu schwer, und normalerweise hätte er ihn mit Wasser getrunken. Er bat aber nicht um einen anderen, sondern nippte nur an seinem Becher und setzte ihn wieder ab.

Elona schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln. „Wollt Ihr nicht noch etwas Wein, Sir? Ist er nicht nach Eurem Geschmack? Hättet Ihr lieber Bier?“

„Ich trinke nie viel“, sagte Stefan. „Und wie ich sehe, Ihr auch nicht. Mögt Ihr den Wein Eures Vaters nicht?“

„Er ist ganz gut“, antwortete sie knapp. Offenbar ärgerte sie sich über seine Frage. „Aber mehr nach dem Geschmack eines Mannes, denke ich.“

„Vielleicht“, entgegnete er mit einem unergründlichen Lächeln. „Wenn Ihr glaubt, dass ich betrunken werde und vergesse, heute Nacht ein Auge auf Euch zu haben, dann täuscht Ihr Euch. Und selbst wenn es so wäre, würde es Euch nichts nützen. Männer, die Wache halten, trinken nicht während des Dienstes. Wir leben nach dieser Regel, denn sie hat uns in vielen Schlachten Sicherheit gegeben. Ihr müsstet den Männern schon etwas ins Essen tun, wenn Ihr Euch fortschleichen wolltet. Außerdem hat man Euren dummen Knappen gewarnt. Er soll ja keinen Versuch unternehmen, Pferde zu stehlen, wenn er nicht ausgepeitscht werden will.“

„Wie könnt Ihr es wagen, mir oder meinem Knappen zu drohen?“ Elona sprang auf. „Ich bin keine Gefangene! Wenn ich nach Hause zurückkehren will, werde ich es tun. Ihr könnt mich nicht daran hindern.“

„Oh, ich denke, Ihr werdet noch entdecken, dass ich mit Euch machen kann, was ich will“, meinte Stefan, während er sich langsam erhob. Innerlich musste er lächeln, als sie sich jetzt wütend auf ihn warf und versuchte, mit geballten Fäusten auf ihn einzuschlagen. Er packte sie bei den Handgelenken, sodass sie nur noch hilflos zappelte. „Wie auch immer, meine Absichten sind absolut ehrenhaft. Wäre es nicht so, würde ich Euch eine ganz andere Seite von mir zeigen.“ Das Funkeln in seinen Augen ließ ihr den Atem stocken. Was meinte er damit? Sie setzte eine hochmütige und verächtliche Miene auf.

„Ich hasse Euch! Ihr seid nichts als ein ungehobelter Soldat.“

„In der Tat, da sagt Ihr die Wahrheit.“ Stefan lachte und ließ ihre Handgelenke los. Sein Lächeln erstarb, als er sah, wie sie sie rieb. „Verzeiht mir, wenn ich Euch wehgetan habe. Ich bin mir meiner Kraft nicht immer bewusst.“

„Es ist nichts, aber Ihr seid ein Scheusal“, fauchte sie. „Was für einen Unterschied macht es schon für Euch, wenn ich wieder nach Hause gehe? Warum sollte es Euch interessieren, was aus mir wird?“

„Um die Wahrheit zu sagen, es interessiert mich wirklich nicht. Aber ich habe Lady Alayne mein Wort gegeben“, antwortete er ungerührt. „Es war der Wunsch Eures Vaters, dass ich mich um Euch kümmere, und ob Ihr wollt oder nicht, genau das werde ich tun.“

„Bleibt!“, rief sie, als er sich umwandte, um ihr Zelt zu verlassen. „Ihr habt Will doch nicht bestraft? Es war nicht seine Idee.“

„Ich weiß sehr gut, woher diese Idee kam. Master de Grenville traue ich mehr Verstand zu“, entgegnete er grinsend. „Lasst Euch etwas Besseres einfallen, wenn Ihr mir entkommen wollt. Und jetzt wünsche ich Euch süße Träume. Bleibt nicht die ganze Nacht wach, Elona, wir haben morgen eine lange Reise vor uns. Ich möchte nicht, dass Ihr völlig erschöpft seid vor Ärger über etwas, was Ihr nicht ändern könnt.“

„Macht, dass Ihr rauskommt“, schrie Elona, schnappte sich ein Kissen von der Liege und warf es nach ihm. „Ich hasse Euch! Ihr seid ein arroganter, selbstzufriedener Flegel. Ich wünschte, ich hätte Euch nie gesehen.“

Als er lachend hinausging, stieß sie einen wütenden Schrei aus. Wie konnte er nur wissen, was in ihrem Kopf vorging? War sie so leicht zu durchschauen?

Er sollte verdammt sein, verdammt! Am liebsten würde sie ihm die Augen ausreißen und ihn lebend an die Jagdhunde verfüttern … Der Gedanke tröstete sie ein wenig, wenn sie auch bezweifelte, zu einer solchen Tat fähig zu sein. Aber er war so entsetzlich eingebildet, und sie fühlte sich so hilflos.

Es musste einen Weg geben, ihm zu entkommen.

Nachdem sie, wie es Elona schien, in wildem Tempo geritten waren, näherten sie sich der Küste. Manchmal hatte sie gedacht, dass die Eile ihres Begleiters daher kam, weil er es nicht erwarten konnte, sie loszuwerden. Als sie sich jedoch deswegen bei Will beklagte, verriet er ihr den wahren Grund. Man hatte einige von Baron Danewolds Männern entdeckt, die sie verfolgten. Einer von ihnen war gefangen worden.

„Er hat uns ausspioniert?“ Elona überlief es kalt. Bis zu diesem Augenblick hatte sie geglaubt, der Baron würde die Abweisung seines Antrags mit Haltung hinnehmen. „Warum sollte Danewold so etwas tun, Will? Er muss doch wissen, dass es eine Heirat zwischen uns nicht geben kann. Mein Vater hat ihm dies unmissverständlich klargemacht.“

„Er glaubt, dass Euer Vater nachgeben würde, wenn …“ Will zögerte, und eine leichte Röte überzog sein Gesicht, denn es schickte sich nicht, mit einer Dame von hoher Geburt über solche Dinge zu sprechen – einer Dame, von der er wusste, dass sie noch unberührt war.

„Ihr meint, wenn er mich entführen und entehren würde?“ Elona war nicht so naiv, dass sie die Gefahren, die einem schutzlosen Mädchen drohten, nicht gekannt hätte. Wenn sie auch immer von ihrer Familie beschützt und behütet worden war, so wusste sie sehr wohl, was einigen unglücklichen Mädchen aus dem Dorf widerfahren war, denen ihre Stiefmutter und sie geholfen hatten, wenn sie konnten. „Aber sicher würde er es nicht wagen, Sir Stefans Männer anzugreifen?“

„Nicht, solange er Euch rund um die Uhr bewachen lässt“, gab Will mit widerstrebender Bewunderung zu. „Es wäre für Danewolds Männer schwierig, ins Lager einzudringen – zumindest auf französischer Seite. In England lässt seine Wachsamkeit vielleicht nach. Doch der Baron besitzt hier wie dort Ländereien.“

Zum ersten Mal begriff Elona, in welcher Gefahr sie schwebte. Wenn der Baron sie um jeden Preis haben wollte … Sie durfte sich das gar nicht ausmalen! „Was sagt Ihr dazu, Will?“

Sie hatte in diesen letzten Tagen lange nachgedacht. Sie spürte, dass es besser war, eher früher als später zu fliehen, wenn sie es denn wirklich wollte. Doch sie wusste, dass Will recht hatte. Sie wurde ständig beobachtet. Und wenn ihre Bewachung auch sehr diskret vor sich ging, so war ihr doch klar, dass man jeden Fluchtversuch entdecken würde. Und nachdem es ihr nicht gelungen war, Stefan betrunken zu machen, war ihr noch keine andere Möglichkeit eingefallen, ihn zu überlisten.

„Ich glaube nicht, dass wir flüchten können“, sagte Will, womit er ihre Befürchtung bestätigte. „Wir beide werden bewacht, und ich wurde gewarnt, keinen Versuch zu unternehmen, Pferde zu stehlen. Ich gäbe mein Leben, um Euch zu dienen, doch allein kann ich keinen Kampf für Euch gewinnen.“

„So gebt Ihr alle Hoffnung auf?“ Enttäuschung und Zorn waren ihr ins hübsche Gesicht geschrieben, auch wenn es ungerecht war, Will Vorwürfe zu machen, wo ihr selbst kein Ausweg eingefallen war. Und jetzt, da ihr klar geworden war, wie gefährlich solch ein Abenteuer sein konnte, hatte die Sache bereits etwas an Reiz verloren. Wenn sie beide allein ritten, konnte sie leicht die Beute der Männer des Barons werden. „Ich habe mehr von Euch gehalten, Will. Aber wie es scheint, liegt Euch überhaupt nichts an mir.“ Als sie erkannte, wie töricht ihre Pläne gewesen waren, stiegen ihr Tränen in die Augen.

Sie gingen im Schatten einiger Bäume auf und ab. Stefan war gezwungen gewesen, eine längere Rast einzulegen, damit seine Männer an einem der Wagen Reparaturen ausführen konnten. Kurz nachdem sie ihre Reise am Morgen fortgesetzt hatten, war eine Deichsel gebrochen. Es war nicht das erste Mal, dass ein kleiner Unfall sie aufhielt, und Elona wusste, dass Sir Stefan versuchen würde, den Zeitverlust wieder wettzumachen.

„Ihr wisst, dass ich Euch anbete“, rief Will. Ihr verachtungsvoller Ton verletzte ihn. „Ich gebe nicht so leicht auf, Elona, aber vielleicht haben wir mehr Glück zu entkommen, wenn wir erst einmal in England sind – vielleicht auf Banewulf selbst. Dort werden sie Euch nicht so streng bewachen. Warum sollten sie? Sie werden nicht erwarten, dass Ihr fortlauft …“

Elona nickte wortlos. Sie war ungerecht und wusste es, doch sie wehrte sich dagegen, so eingeengt zu sein. Warum sollten sie nicht jetzt sofort die Gelegenheit ergreifen? Sie standen am Rande des Lagers. Wenn sie noch in dieser Minute im Wald verschwänden … Doch Sir Stefan beobachtete sie, den Blick halb unter langen, dichten Wimpern verborgen.

Er besitzt die Augen eines Habichts, dachte sie wütend. Kühn wie die eines Raubvogels – und sie war sein Opfer. Eine unvorsichtige Bewegung von ihr, und er würde sich auf sie stürzen und dann …

Warum verwirrte sie die Vorstellung, dass Sir Stefan sich wie ein Raubvogel auf sie stürzte? Warum ließ der Gedanke, seine Beute zu sein, ihr den Atem stocken und das Herz rasen? Hoch erhobenen Hauptes und mit geraden Schultern ging sie schnurstracks auf ihn zu, ganz stolze Dame, während sie vor Zorn kochte. Von Will konnte sie keine Hilfe erwarten, das war ihr jetzt klar. Er schien, genau wie ihre dummen Dienerinnen, völlig Sir Stefans Zauber erlegen zu sein! Also würde sie ihre Enttäuschung an dem Mann auslassen, der die Ursache all ihres Verdrusses war.

„Wie lange dauert es noch, bis wir die Küste erreichen?“, fragte sie herrisch.

„Ich hoffte, vor Anbruch der Dämmerung auf dem Schiff zu sein.“

„Was für eine erfreuliche Nachricht. Ich habe diese Reise langsam satt.“

„Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Habt Ihr es denn so eilig?“

„Je schneller wir an unserem Bestimmungsort sind, desto eher werde ich von Eurer Gegenwart befreit.“

„Ach so, ich verstehe …“

Stefan kniff seine Augen zusammen und musterte sie. Brütete sie einen neuen Plan aus, um ihn zu überlisten? Es war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass sie sich anscheinend über ihren Knappen geärgert hatte. Ein feines Lächeln spielte um seinen Mund. Wie es schien, waren seine Vorsichtsmaßnahmen gegen Danewold ein zweischneidiges Schwert. Sie hielten genauso erfolgreich die junge Dame und ihren Anbeter im Lager wie Danewolds Männer draußen.

Der Spion, den sie gefangen hatten, war sehr schnell bereit gewesen zu reden, nachdem man ihn vor die Wahl gestellt hatte, ihm andernfalls die Zunge zu spalten. Solche Grausamkeiten waren eigentlich gegen Stefans Prinzipien als christlicher Ritter, doch die Drohung hatte schon genügt, um aus dem Mann einen geschwätzigen Narren zu machen, der, wenn nötig, bereit war, seine eigene Mutter zu verraten.

Danewolds Männer hatten den Befehl, Sir Stefans Eskorte zu beobachten und ihr unbemerkt zu folgen, nicht mehr. Allem Anschein nach war der Baron im Moment klug genug, einen offenen Kampf mit Stefans kampferprobten Männern zu vermeiden. Aber Danewold glich einer gefährlichen Schlange, die sich im Unterholz versteckte, eine Gelegenheit abwartete und dann unerwartet zuschlug.

„Diese Verspätung ist ermüdend“, beklagte sich Elona, die sein schweigend grübelnder Blick erboste. Er war ein Buch mit sieben Siegeln für sie. Nie wusste sie, was er dachte. „Warum geben Eure Männer nicht besser auf die Wagen acht?“

„Unfälle geschehen nun einmal“, erwiderte Stefan. Doch er wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Einer der Männer hatte ihm gesagt, er glaube, dass die Deichsel angesägt worden war.

Vielleicht hatte Danewold gehofft, sie in einer misslichen Lage zu überraschen? Wenn ja, dann war er enttäuscht worden. Aber für Stefan gab es noch einen anderen Verdächtigen. William de Grenville hatte mehr Möglichkeiten, solch einen Zwischenfall zu verursachen, als Danewolds Männer. Aber was für einen Vorteil erhoffte er sich von so einer kleinen Verspätung? Es war kein ernsthafter Schaden entstanden, weder Mensch noch Tier verletzt worden. Schlimmstenfalls war es eine Verzögerungstaktik. Aber wozu?

Es schien keinen Grund dafür zu geben. Außer, dass Danewold dadurch die Gelegenheit bekommen konnte, auf der Straße vor ihnen eine Falle vorzubereiten.

Stefan schickte zwei Männer voraus, um die Lage auszukundschaften und ihn vor einem Anschlag zu warnen, doch sie konnten nichts entdecken. Danewold schien sich damit zufriedenzugeben, auf einen geeigneten Zeitpunkt zum Angriff zu lauern. Er glich mehr einem Aasfresser, der auf die Reste der Beute wartet, die ihm ein wilder Wolf übrig lässt, als einem Raubtier. Stefans Ruf, ein furchterregender Krieger zu sein, genügte, um jeden, außer den Mutigsten, zurückzuhalten.

Wenn es also nicht Danewold oder Will war … Er konnte schwören, dass all seine eigenen Männer ihm gegenüber absolut loyal waren. Trotzdem würde er in Zukunft besonders wachsam sein. Das kleine Geheimnis würde bald aufgedeckt werden.

„Wie viele Tage werden wir noch unterwegs sein, wenn wir England erst einmal erreicht haben?“

Elonas Frage unterbrach seine Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Sie hatte schlechte Laune und benutzte ihn als Prügelknaben. Nun gut, seine Schultern waren breit genug. Außerdem sah sie bezaubernd aus, wenn sie wütend war. Während er ihr reizendes Gesicht betrachtete, wurde er von dem Verlangen ergriffen, sie in die Arme zu nehmen und all die Enttäuschungen und Verletzungen, die sie in ihrem Innern empfinden musste, einfach fortzuküssen … Nein, diese Grenze durfte er niemals überschreiten.

„Drei Tage, bevor wir Henrys Hof erreichen“, teilte Stefan ihr mit. „Dort werden wir eine Weile bleiben. Wie Ihr wisst, habe ich eine Nachricht von Herzog Richard für den König. Außerdem dachte ich, dass es Euch Freude machen würde, den Hof zu besuchen. Euer Vater sagte mir, Ihr würdet vielleicht gerne bei den Londoner Händlern Seide kaufen wollen.“

Was für eine wunderbare Idee, dachte Elona. Aber aus welchem Grund sollte ausgerechnet Stefan ihr eine Freude bereiten wollen? Seine Miene verfinsterte sich stets, wenn er sie anschaute – obwohl sie gesehen hatte, wie er mit seinen Männern lachte, und auch mit ihr, als sie versucht hatte, ihn betrunken zu machen –; nein, er verabscheute sie. Plötzlich verschwand ihr Zorn. Sie war der Verzweiflung so nahe, dass sie einen leisen Seufzer ausstieß.

„Seid Ihr sehr erschöpft?“, fragte Stefan. Der sanfte Tonfall seiner Stimme ließ ihr Herz einen Sprung machen. „Wenn wir erst einmal auf dem Schiff sind, werdet Ihr Euch ausruhen können. Ich fürchte, ich habe Euch zu sehr zur Eile angetrieben.“

„Nein, ich bin nicht erschöpft“, erwiderte sie. Hielt er sie für ein solch zartes Püppchen? Stolz reckte sie den Kopf und verbannte die momentane Verzweiflung aus ihrem Herzen. „Nur traurig, dass meine Amme nicht bei mir ist. Aber vielleicht ist es besser so. Meine arme Melise hätte diese Reise bestimmt nicht überstanden.“

„Vermisst Ihr sie sehr?“

„Ja …“ Elona musste sich räuspern. Seine unerwartete Freundlichkeit rief ein Gefühl in ihr wach, das ihr schmerzhaft die Kehle zuschnürte. Wenn sie böse auf ihn war, konnte sie ihre Lage leichter ertragen. „Sie liebt mich wie eine Mutter, und ich liebe sie. Ich glaube, es brach ihr das Herz, dass sie nicht mitkommen konnte.“

„Ihr könnt sie holen lassen, wenn Ihr Euch auf Banewulf eingerichtet habt. Sie könnte mit einer kleinen Eskorte so schnell oder langsam reisen, wie es ihr gefällt. Ich denke, dass es leichter für sie wäre, wenn sie in einem Wagen mit einer Strohmatratze unterwegs ist, auf der sie liegen könnte, und mit einer jungen Frau, die sich um sie kümmerte. Das wäre alles ganz einfach.“

Jetzt war Elona völlig überwältigt und fast den Tränen nahe. „Ihr zeigt mir gegenüber eine unerwartete Fürsorge, Sir. Ich dachte nicht, dass Ihr meine Gefühle in dieser Angelegenheit versteht.“

„Ich wette, Ihr hieltet mich für einen gefühllosen Tyrannen.“ Stefan lachte aus voller Brust. Sein Lachen hatte einen seltsam angenehmen Klang, rau und warm. „Nun, da habt Ihr nicht ganz unrecht. Manchmal kann ich ungeduldig und schroff sein – aber auch großzügig. Wenn wir auf dem Schiff nach England sind, soll ein Mann zu Eurem Vater zurückkehren und alles für die alte Frau vorbereiten, damit sie zu Euch gebracht werden kann. Das ist nun wirklich kein Problem.“

„Ich danke Euch. Ihr seid in der Tat sehr großzügig“, entgegnete Elona, bevor sie sich rasch abwandte. Sie hatte Angst, doch noch weinen zu müssen. Seine Liebenswürdigkeit hatte sie aus der Fassung gebracht. Er war ihr so streng und hart vorgekommen, und nun bot er ihr solch ein kostbares Geschenk an! Man hatte ihr erzählt, er sei ein tapferer, aufrichtiger Ritter, und sie wollte es nicht glauben. Nun fing sie an, ihn so zu sehen, wie es wohl die anderen taten – und erkannte, wie schwach und hohl einige Männer im Vergleich zu ihm waren.

Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Und ihr wurde klar, dass sie sich selbst zum Narren gemacht hatte, als sie glaubte, ihr Vater würde je in eine Vermählung zwischen ihr und William de Grenville einwilligen. Und wenn sie wirklich ihr Herz fragte, sehnte sie sich in Wahrheit gar nicht danach …

Aber wonach sehnte sie sich dann? Elona konnte die Frage, die so plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht war, nicht beantworten. Ruhig und besonnen betrachtet, schien es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie nach Hause zurückkehren konnte. Zumindest nicht so lange, bis sie vermählt war und nicht mehr in Gefahr schwebte, entführt zu werden. Aber wünschte sie wirklich, Alain de Banewulf zu heiraten? Aus den Gesprächsfetzen ihrer Frauen und auch von Stefan selbst hatte sie erfahren, dass er ein angenehmer junger Mann war, wenn auch unerfahren und vielleicht auch nicht geeigneter, eine Truppe zu befehligen, als ihr Knappe.

Es schien, dass Frauen immer von der Gnade der Männer abhingen, von denen einige mehr Skrupel hatten als andere. Vermutlich hatte ihr Vater recht gehabt. Wegen der reichen Ländereien, die sie eines Tages erben würde, musste sie entweder einen Mann heiraten, der stark genug war, ihren Besitz für sie zu verteidigen, oder ins Kloster gehen.

Ein dem Fasten und dem Gebet geweihtes Leben schien ihr nicht sehr verlockend, und da sie im Grunde ihres Herzens ein vernünftiges Mädchen war, sah Elona ein, dass sie sich zu einer Heirat entschließen musste. Doch da gab es immer noch ein Problem. Wer sollte ihr Ehemann werden? Aber warum sollte sie andere für sich wählen lassen – warum nicht selbst das Schicksal in die Hand nehmen? Niemand konnte sie zwingen, jemanden gegen ihren Willen zu heiraten, denn ihr Vater hatte bis jetzt keinen Vertrag unterzeichnet.

Autor

Anne Herries

Anne Herries ist die Tochter einer Lehrerin und eines Damen Friseurs. Nachdem sie mit 15 von der High School abging, arbeitete sie bis zu ihrer Hochzeit bei ihrem Vater im Laden. Dann führte sie ihren eigenen Friseur Salon, welchen sie jedoch aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen und ihrem...

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