Julia Extra Band 527

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RIVALEN ZUM VERLIEBEN von MILLIE ADAMS
Seine attraktive Businessrivalin Olive Monroe macht den isländischen Milliardär Gunnar Magnusson rasend vor Wut – und leider auch vor Verlangen! Gegen jede Vernunft lässt er sich mit ihr auf leidenschaftliche Zärtlichkeiten in seiner Penthouse-Suite ein. Mit ungeahnten Folgen …

DEM FALSCHEN PRINZEN VERSPROCHEN von JACKIE ASHENDEN
Prinzessin Lia ist verzweifelt: Nach einer verbotenen Liebesnacht schlägt ihr Herz für Prinz Rafael. Trotzdem muss sie jetzt die lange arrangierte Ehe mit seinem Halbbruder eingehen! Da stürmt Rafael in die Kirche und ruft: „Stopp!“

WIE KANNST DU UNSER GLÜCK VERRATEN von CAITLIN CREWS
Nie hat Milliardär Joaquin Vargas der betörenden Amalia verziehen, dass sie seine Liebe verriet. Als sie nach Jahren auf seine malerische Privatinsel im Mittelmeer zurückkehrt, ist sein Moment der Rache gekommen: Er will Amalia verführen – und dann fallen lassen!

MEIN HEISSGELIEBTER LÜGNER von LYNNE GRAHAM
Bei ihrem neuen Job in einer Milliardärsvilla trifft Haushälterin Leah den faszinierenden Gianni. Er stellt sich als Assistent des Hausbesitzers vor und verzaubert sie derart mit seinem Charme, dass sie sich ihm hingibt. Schockiert entdeckt sie danach, dass er sie belogen hat …


  • Erscheinungstag 06.12.2022
  • Bandnummer 527
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512190
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Millie Adams, Jackie Ashenden, Caitlin Crews, Lynne Graham

JULIA EXTRA BAND 527

MILLIE ADAMS

Rivalen zum Verlieben

Zwischen Olive und Milliardär Gunnar Magnusson sprühen die Funken der Wut – und der Leidenschaft! Obwohl er als ihr Konkurrent tabu ist, verfällt sie seinem gefährlich verführerischen Sex-Appeal …

JACKIE ASHENDEN

Dem falschen Prinzen versprochen

Schockiert entdeckt Prinz Rafael, dass Prinzessin Lia nach einer ein-zigen Nacht der Lust sein Kind unter dem Herzen trägt. Er muss verhindern, dass sie einen anderen heiratet! Um jeden Preis …

CAITLIN CREWS

Wie kannst du unser Glück verraten?

Auf der malerischen Insel Cap Morat trifft Amalia ihre heimliche Sommerliebe Joaquin wieder. Auch wenn er sie zu hassen scheint, weil sie ihn einst verlassen musste, knistert es heiß zwischen ihnen …

LYNNE GRAHAM

Mein heißgeliebter Lügner

Wer ist die sexy Meerjungfrau in seinem Pool? Der italienische Tycoon Giovanni Zanetti ist hingerissen von Haushälterin Leah. Damit sie nicht nur sein Geld sieht, gibt er vor, ein anderer zu sein …

1. KAPITEL

Gab es im Deutschen ein Wort für den nahezu unerträglichen Drang, jemanden ohrfeigen und gleichzeitig mit ihm flirten zu wollen?

Es musste ein solches Wort geben, fand Olive Monroe. Ihr Deutsch war durchaus passabel, doch der Begriff war ihr bisher nicht untergekommen – auch nicht auf Französisch, Japanisch, Chinesisch oder in einer der anderen Sprachen, die sie sich angeeignet hatte, um ihre Karriere als Geschäftsfrau voranzutreiben.

Solch ein Ausdruck würde genau beschreiben, was sie in Gunnar Magnussons Gegenwart mit wiederkehrender Regelmäßigkeit empfand.

Seit Olive denken konnte, war Gunnar, inzwischen Multimillionär, Mäzen, höchstwahrscheinlich Hobby-Wikinger und hauptberufliche Obernervensäge, ein rotes Tuch für sie.

Gunnar als Unruhestifter gehörte zu Olives frühesten Kindheitserinnerungen.

Bei ihrer ersten Begegnung war sie sechs, er sechzehn.

Nachdem ihre Väter sich ausgerechnet an Olives Geburtstag zu einer alles entscheidenden Geschäftsverhandlung zurückgezogen hatten, bei der die beiden als Konkurrenten für einen wichtigen Auftrag auftraten und auf keinen Fall gestört werden durften, saß sie in der Nähe des Eingangs zum Konferenzraum, vor sich ein Tisch voller klassischer Büroknabbereien. Ihr Vater hatte ihr eingeschärft, nichts anzurühren. Aber damit hatte er sicher nicht den köstlichen Schokomuffin gemeint, der einladend und scheinbar zur freien Verfügung vor ihr lag.

Als sie gerade ihren ganzen Mut zusammengenommen hatte, betrat ein blonder junger Mann den Vorraum – jedenfalls kam er ihr damals wie ein Mann vor – und verschlang den Muffin mit einem Bissen.

Anschließend wandte er sich zu Olive um, wobei sie etwas wie Scham im Blick seiner stahlblauen Augen wahrnahm, die sich aber schnell in eine Mischung aus Arroganz und Verachtung verwandelte.

Später fand sie heraus, dass es ich bei dem ungehobelten Kerl um den einzigen Spross des Hauptkonkurrenten ihres Vaters handelte.

Ausgerechnet Gunnar Magnusson, Sohn von Magnus Ragnarson, der meistgehassten Person in der Familie Monroe, hatte ihr den Muffin weggegessen.

Es wurde der enttäuschendste Geburtstag ihres Lebens.

In gewisser Hinsicht hatte ihr Vater zu der Enttäuschung beigetragen, schließlich hatte Olive seinetwegen während der brisanten Geschäftsbesprechung vor dem Konferenzraum ausharren müssen.

Ihre Mutter, die große Liebe ihres Vaters, war gestorben, als Olive noch ein Baby war. Statt ihre Erziehung in die Hände von Kindermädchen zu geben, hatte ihr Vater sie von Anfang an in sein Leben integriert, ihr nie das Gefühl vermittelt, lieber einen Sohn oder gar kein Kind gehabt haben zu wollen. Er behandelte sie als unverzichtbaren Teil seines Lebens – und seiner Firma, Magnus’ erster großer Liebe, bevor er ihrer Mutter begegnet war und sie geboren wurde.

Ihr war bewusst, dass ihr Vater ihr den Geburtstag nicht mit Absicht hatte verderben wollen. Er wollte ihr einen gemeinsamen Tag schenken. Später waren sie Sushi essen gegangen und hatten eine schöne Zeit miteinander verbracht.

Ihr Vater war Olives ein und alles. Welche Rolle spielte da eine geplatzte Geburtstagsparty mit Torte und Ponyreiten? Viel einfacher war es, Gunnar zum Sündenbock für den verdorbenen Geburtstag zu erklären.

Der gab sich im Übrigen bis heute nicht die geringste Mühe, Streitereien mit Olive aus dem Weg zu gehen. Im Gegenteil. Immer wieder gerieten die beiden aneinander!

Stein des Anstoßes war, dass ihre Väter in derselben Branche tätig waren und sich regelmäßig um dieselben Großprojekte bewarben.

Als Gunnar mit achtzehn von zu Hause auszog und sein eigenes High-Tech-Unternehmen gründete, hatte sie eine Zeitlang Ruhe vor ihm. Nur bei feierlichen Business-Events, auf denen er regelmäßig im Smoking auftauchte, war sie seinen Attacken auf ihr seelisches Gleichgewicht ausgesetzt.

Mit Schrecken erinnerte sie sich, wie sie ihm als Fünfzehnjährige auf einer Spendengala begegnet war. Als er die auf Hochglanz polierte Lobby des Fünf-Sterne-Hotels betrat, schien die Welt für sie plötzlich stillzustehen.

Die meisten Männer wirkten im Smoking verkrampft und blass. Offenbar konnten es sich nur durchtrainierte, niveauvolle Männer erlauben, dieses Kleidungsstück zu tragen. Gunnar mit seinen breiten Schultern, dem ausgeprägten Brustkorb, den muskulösen Armen und schmalen Hüften schien wie geschaffen dafür.

Olive war in eine riesige Kübelpflanze gestürzt.

Ausgerechnet Gunnar kam ihr zu Hilfe und befreite sie mit einigen geübten Griffen aus ihrer misslichen Lage, sodass Olive sich klein und hilflos fühlte. Sie lief rot an, während ihr ganzer Körper zu glühen schien.

Da war es wieder: Das kleine Mädchen, dem der böse Gunnar den Geburtstags-Muffin wegisst, nur dass sich dieses Mal eine andere Empfindung dazwischenmischte.

Sie war keine fünfzehn mehr und wusste, um welche Art von Gefühl es sich gehandelt hatte. Heute war sie froh über ihre Ahnungslosigkeit. Der würdelose Unfall mit der Zierpflanze war peinlich genug gewesen.

Die Erkenntnis, zum ersten Mal im Leben erotische Gefühle zu empfinden, hätte ihr damals gerade noch gefehlt.

Als sie siebzehn war, starb Gunnars Vater.

„Wir müssen zu seiner Beerdigung, Olive“, hatte ihr Vater mit sachlichem Ton verkündet.“

Sie sah ihn irritiert an. „Aber du hast ihn gehasst“.

„Wir waren Konkurrenten, und Konkurrenz belebt das Geschäft. Ihn zum Gegenspieler zu haben, hat einen knallharten Geschäftsmann aus mir gemacht.“

Damals durchschaute sie zum ersten Mal die komplexen und vielschichtigen Zusammenhänge von Geschäftsbeziehungen und war beinahe erleichtert über die Erkenntnis. Vielleicht waren ihre Gefühle gegenüber Gunnar ebenso geartet, handelte es sich gar nicht um Feindschaft, wenn sie ihm die Pest auf den Leib wünschte.

Man brauchte einen Gegenspieler, um im Leben voranzukommen.

Je durchtriebener, desto besser!

Nach dem Tod seines Vaters hatte Gunnar die Geschäftsführung von Magnum Enterprises übernommen und war von nun an wieder regelmäßiger Gast in Olives Leben.

Ihre Gefühle ihm gegenüber wurden dadurch noch zwiespältiger. Nun war er es, der den Konferenzsaal betrat, während sie noch immer vor der Tür warten musste.

„Eines Tages“, hatte ihr Vater verkündet, „wirst du ihm auf den Fersen sein. Und – wenn du alles gibst – den Sieg davontragen.“

Bei diesen Worten hatte er sie traurig angelächelt.

„Mir bleibt nicht mehr genügend Zeit“, fuhr er fort. „Aber du hast einen scharfen Verstand und kannst es schaffen. Vergiss nie: Man muss kämpfen – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Lass dich nie von Gefühlen leiten. Und gib nie auch nur einen Zentimeter nach.“

Bis heute hütete sie diese Worte wie ein Vermächtnis. Und jetzt war sie es, die den Sitzungssaal betrat. Jetzt war es ihre Schlacht.

Und Gunnar ihr Gegenspieler.

Sie hatten dasselbe Naturell, verhandelten wenn es sein musste stunden- und tagelang, um sich die lukrativsten Aufträge für ihr Unternehmen zu sichern.

Doch dieses Mal hatte sie einen wirklich großen Fisch an der Angel. Das Vermächtnis ihres Vaters, das Werk, für das er alles geopfert und das er nicht mehr hatte vollenden können.

Es hätte ihm alles bedeutet, wenn es Olive gelang, die Ambient-Touchscreen-Technologie nebst Betriebssystem an die weltgrößte Elektroautoflotte zu verkaufen.

Gunnar Magnusson war seit Jahren Vorreiter in Sachen grüner Energie. Aber Ambient war ihm auf den Fersen, Olive hatte einiges an Boden gutgemacht. Ihr Vater war noch von der alten Schule gewesen, war die Dinge in hergebrachter Art und Weise angegangen. Gunnars Vater Magnus war aus demselben Holz geschnitzt. Nur dass Gunnar Magnum Enterprises bereits vor zehn Jahren übernommen hatte, während Olive erst seit gut sechs Monaten an der Spitze von Ambient stand und alles dafür tat, die laufenden Projekte ihres Vaters zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, in die Tat umzusetzen, was er ihr beigebracht hatte.

Wären nicht jene Momente nach dem Begräbnis ihres Vaters gewesen, hätten sie nicht die geringsten Gewissensbisse bezüglich der Art und Weise geplagt, wie sie an die für das heutige Meeting so wichtigen Informationen herangekommen war.

Böse Zungen würden es Betriebsspionage nennen. Aber dieser Auftrag würde die Geschäfte ihres Unternehmens auf Jahre sicherstellen, den Weg bereiten für Innovationen und moderne Technologien im Bereich Ökomobilität. Und Olive hätte gut und gerne zehn Jahre Ruhe vor Gunnar.

Auch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wäre sie nicht in der Lage, ein weiteres Mal auf einem solchen Level für einen Großauftrag zu kämpfen. Seit Jahren spielten sie und Gunnar auf geschäftlichem Parkett Katz und Maus miteinander. Aber während die Magnum-Technologie allgegenwärtig war, stellte Ambient Produkte für Anspruchsvolle her – und vertrieb mit Erfolg das für diese Technologie notwendige Smartphone.

Magnum produzierte grafische Benutzeroberflächen für Computersysteme sowie Back-End-Software für so gut wie alles, was chipbasiert funktionierte. Das hatte Gunnar einen Großauftrag von Seiten der weltweit größten Fluggesellschaft beschert, deren Flugzeuge seither mit Magnum-Mikrochips gesteuert wurden.

Alles drehte sich um die globale Vorherrschaft. Und je mehr Fahrzeuge chipbasiert angetrieben wurden, desto umkämpfter wurde der Markt.

Eigentlich fand Olive Ambient zu schade für diese Schlangengrube. Stattdessen legte sie Wert auf flache Strukturen, Visualisierung und Design. Und Nachhaltigkeit. Ihrer Ansicht nach war Magnum ein anonymer Konzern. Das würde sie für sich zu nutzen wissen.

Aber natürlich erst in der abschließenden, entscheidenden Präsentation. Sie würde sich hüten, sich auf einem sterilen Korridor mit dem Erfolgsrezept ihrer Firma zu brüsten.

Noch zwanzig Minuten bis zum Beginn des Meetings. Ihr lief plötzlich das Wasser im Mund zusammen.

Weil sie Heißhunger auf einen Schokomuffin hatte.

Zur Hölle mit Gunnar!

Genau aus diesem Grund brauchte sie Abstand. Mochte ihr Vater in Magnus eine Instanz gesehen haben, an der er sich messen konnte. Konkurrenz belebte das Geschäft. Doch Olive fühlte sich von Gunnar alles andere als „belebt“, ganz zu schweigen, dass sie durch ihn härter geworden wäre.

Vielmehr bekam sie in seiner Anwesenheit weiche Knie.

Sie hatte nicht anders handeln können, wollte sie beweisen, dass es auch anders ging, dass sie ihres Vaters Tochter war.

Sie musste eine knallharte Geschäftsfrau werden.

Was nur funktionierte, wenn Gunnar sich nicht ständig in ihr Leben einmischte.

Olive vernahm energische Schritte auf dem Korridor und blickte auf. In einem maßgeschneiderten marineblauen Anzug, der seine maskuline Figur betonte, kam Gunnar direkt auf sie zu: groß, blond, sorgfältig gestutzter Bart. Olive hatte das Gefühl, als würde Gunnar mit dem stechenden Röntgenblick seiner blauen Augen direkt durch den Stoff ihres Rollkragenpullovers hindurchsehen.

Sie trug nur ungern businessmäßige Hosenanzüge.

„Kleine Olive“, rief er ihr entgegen. „Wie schön dich zu sehen.“

So hatte er sie schon immer genannt.

Sogar beim Begräbnis ihres Vaters: „Kleine Olive. Wie geht es dir?

Gunnar einmal nicht auf geschäftlichem Parkett oder einer glamourösen Wohltätigkeitsgala zu begegnen, sondern in der Stille, die sich nach dem Begräbnis breitgemacht hatte, und seinen durchdringenden Blick auf sich zu spüren, der ausnahmsweise einmal nicht herausfordernd und provozierend war, hätte sie um ein Haar die zur Schau gestellte Fassung gekostet.

Sein Blick hatte ehrliche Sorge ausgedrückt.

Sie war in Tränen ausgebrochen.

Er hatte sie fest in seinen Armen gehalten.

Schnell vertrieb Olive die Erinnerungen.

„Hallo Gunnar. Heute gar nicht auf Plünderzug?“

Gunnar zog die Stirn in Falten.

„Man braucht von Zeit zu Zeit eine Pause vom Brandschatzen.“

„Tatsächlich? Was führt dich dann hierher?“

„Die einen nennen es Plündern, die anderen Business. Ich habe dich durchschaut: Wenn es darum geht, mit den Besten zu konkurrieren, spielst du gern die Opferrolle.“

„Immerhin geht jede zweite Runde an mich. Und da hältst du dich immer noch für den Besten?“

„Manchen Kunden ist eine schöne Verpackung wichtiger als die Funktion“.

„Falsch. Manche Firmen bieten beides an und blicken über den Tellerrand hinaus.“ Mit diesen Worten trat sie einen Schritt auf ihn zu und zupfte kokett am Revers seines Jacketts. Sie bereute ihr Verhalten sofort. Die Elektrizität zwischen ihr und Gunnar existierte immer noch und war geradezu mit Händen greifbar.

Sie versuchte krampfhaft, sich an all die Situationen zu erinnern, in denen sie mit ihm aneinandergeraten war, nur nicht an das eine Mal, als er sie aus dem Blumentopf befreit hatte.

Und schon gar nicht an den schwersten Tag ihres Lebens, an dem sie von ihrem Vater hatte Abschied nehmen müssen und sich allein gefühlt hatte wie nie zuvor. Es war Gunnar gewesen, der sie damals in das leere Haus ihrer Familie gebracht hatte.

Und schon gar nicht daran, wie er ihr gegenüber im Wohnzimmer saß und sie voll ehrlichem Mitgefühl ansah. Wie er sie weinen, reden, Erinnerungen an ihren Vater mit ihm austauschen ließ. Und sie schließlich, in eine weiche Decke gehüllt, ins obere Stockwerk trug.

Als er sie vor der Schlafzimmertür sanft absetzte, legte sie ihm mit zerzausten Haaren und vom Weinen geröteten Augen zärtlich die Hand auf die Brust und spürte seinen Herzschlag.

Er hatte im Erdgeschoss sein Jackett abgelegt und trug ein weißes, am Hals offenes Oberhemd. In diesem Moment hatte Olive ihn plötzlich begehrt. Sie war nicht mehr das fünfzehnjährige Mädchen und sich ihres Begehrens mehr als bewusst.

Also hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt, bis ihr Mund nur noch einen Zentimeter von seinem entfernt gewesen war.

„Nicht, Olive“.

Die Zurückweisung schmerzte noch heute.

„Schlaf jetzt. Du bist müde und traurig. Morgen früh wirst du mir dankbar sein.“

Er hatte sie gekränkt, zutiefst verletzt, auch wenn er sie kurz zuvor noch mit seiner aufrichtigen Sorge vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt hatte.

Als sie das nächste Mal geschäftlich aufeinandertrafen, tat er, als hätte die Szene nie stattgefunden. Olive war darüber wütend und erleichtert zugleich. Wütend, weil sie sich immer noch zu ihm hingezogen fühlte, erleichtert, weil er sie nicht mit der Erinnerung an den peinlichen Kussversuch demütigte.

Leider war sie alles andere als über ihn hinweg. Umso entschlossener war sie, diesen Auftrag um jeden Preis an Land zu ziehen. So vieles hing davon ab. Dass der Traum ihres Vaters sich erfüllte. Dass sie sich als so stark und durchsetzungsfähig erwies, wie er es von ihr erwartet hatte. Dass Gunnar endlich aus ihrem Leben verschwand und die Achterbahnfahrt der Gefühle ein Ende hatte.

Denn auch jetzt noch spürte sie die pulsierende Elektrizität, hatte sie all die Monate über empfunden.

Schon viel länger, um ehrlich zu sein. Seit Jahren drehten ihre nächtlichen Fantasien sich um diesen ungehobelten Wikinger, der sie entführte und in seinem Langhaus gefangen hielt … Davon brauchte niemand etwas zu erfahren, auch nicht von dem Stapel historischer Wikinger-Liebesromane.

Das neue Buch von Caitlin Crews hatte Olive nächtelang in Atem gehalten.

Ganz sicher nicht die geeignete Lektüre vor einer Wiederbegegnung mit Gunnar. Doch letzten Endes spielte es ohnehin keine Rolle, welche Art von Büchern sie vor einem Aufeinandertreffen mit ihm las. Dieser Teil ihres Gefühlslebens gehörte ohnehin ihm. So vieles in ihrem Leben war mit ihm verbunden und prägend für ihre Vorstellungen von Erotik, Leidenschaft und Romantik.

Sie hätte sich einreden können, dass die Romantik in ihrem Leben nur deshalb zu kurz kam, weil sie sich intensiv darauf vorbereitete, die Geschäftsleitung von Ambient zu übernehmen.

Doch die Wahrheit war komplizierter, hatte in erster Linie mit Island und mit Gunnar zu tun.

„Originelles Outfit“, stellte er fest und wies mit der Hand auf ihre sportliche Kleidung. „Kenne ich noch gar nicht an dir“

„Ich will keineswegs originell sein, sondern versuche nur, meine kostbare Zeit nicht mit überflüssigen Details zu verschwenden, die nichts mit Innovationen zu tun haben.“

„Ich habe dir etwas mitgebracht“, antwortete Gunnar und ging über ihre Bemerkung hinweg.

Sie ahnte, was jetzt kam. Er griff in seine Aktentasche und zog einen in Papier gewickelten Schokomuffin hervor. Dieses Scheusal! Und sie reagierte auch noch wie ein Pawlowscher Hund, was er wahrscheinlich eiskalt einkalkuliert hatte.

Irgendwann war er dazu übergegangen, ihr Schokomuffins zu jedem Pitch Meeting mitzubringen, die dadurch für sie natürlich noch aufgeheizter wurden.

Sie und Gunnar hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, nie einzeln vor dem Kunden zu präsentieren, um dessen Auftrag sie sich bewarben. Stattdessen zogen sie generell gemeinsam in jede Schlacht. Die Zuschauer rissen sich geradezu um einen Platz in den vorderen Reihen, um zu sehen, wer am Ende die Nase vorn hatte.

Er behauptete, der Schokomuffin sei ein Friedensangebot, doch sie glaubte ihm kein Wort. Für sie lag auf der Hand, dass er sie lediglich provozieren wollte. Das Problem war nur, dass sie inzwischen geradezu süchtig danach war, vor jedem Meeting einen Muffin kredenzt zu bekommen.

Sollte sie ablehnen, würde Gunnar das Manöver sofort durchschauen.

„Danke“, sagte sie kurz angebunden und griff nach dem Muffin.

Dass ihr Magen knurrte, überging sie mit einem strahlenden Lächeln.

Genussvoll knabberte sie an dem Zuckerguss, und als sie aufblickte, spürte sie Gunnars vor Leidenschaft glühenden Blick auf sich.

Diese Leidenschaft beruhte eindeutig auf Gegenseitigkeit.

„Wer den Auftrag bekommt“, sagte sie schließlich, „wird eine Weile ziemlich eingebunden sein … Ich fürchte, wir werden uns nur selten sehen.“

„Vermutlich“, erwiderte er.

Sie drehte den Muffin im Kreis und schleckte genussvoll die schokoladige Buttercreme ab. „Du wirst mir fehlen“, verkündete sie, als ihre Blicke sich begegneten. „Oder zumindest deine Muffins.“

„Ich besorge dir ein Abonnement für den Lieferservice einer Konditorei.“

Mit einer theatralischen Geste legte sie sich die Hand auf die Brust und blickte ihn mit gespielter Traurigkeit an. „Das würde den Schmerz etwas lindern.“

„Und wenn du den Zuschlag nicht bekommst?“, fuhr sie nach einer Weile fort. „Verschwindest du dann von der Bildfläche und lenkst deine Aufmerksamkeit auf andere Unternehmungen?“

„Dazu wird es nicht kommen.“

„Oh doch, Gunnar. Dieses Mal ziehst du den Kürzeren.“ Sie schenkte ihm erneut ein strahlendes Lächeln.

Er verzog spöttisch den Mund und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die strahlend weißen Schneidezähne. „Schokolade“, sagte er, „genau hier“.

„Kein Wunder, du Schlaumeier“, erwiderte Olive, schloss hastig den Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne.

„Ich esse einen Schokomuffin.“

„Dennoch“, erwiderte er. „Vielleicht machst du dich vor dem Meeting noch etwas zurecht.“

„Bin gleich zurück.“

Sie suchte schnell das nächstgelegene Bad auf und vergewisserte sich, dass ihre Zähne in makellosem Zustand waren. Dann wurde es höchste Zeit, sich in den Konferenzraum zu begeben.

Armer Gunnar. Er konnte einem fast leidtun. Sie kannte seine gesamte Präsentation seit Monaten in- und auswendig und hatte für ihr Angebot die eigene Technologie entsprechend angepasst, was Gunnar natürlich nie erfahren würde.

Sie war sich ihrer Sache so sicher, dass sie sich während seines Vortrags zurücklehnen und auf seine Hände konzentrieren konnte, die Art, wie er Diagramme und Prototypen präsentierte. Sie lauschte auf die Art und Weise, wie er einzelne Worte betonte, betrachtete Gunnars maskuline Statur, die breiten Schultern. Der Prototyp eines brandschatzenden Wikingers.

Es wollte ihr partout nicht einleuchten, wie man einen Mann abgrundtief hassen und zugleich den innigen Wunsch verspüren konnte, ausgerechnet mit ihm im Bett zu landen. Olive war alles andere als prüde, wie die Auswahl ihrer Bettlektüre zeigte …

Doch sie stürzte sich lieber in die Arbeit. Sie hatte vor langer Zeit den Entschluss gefasst, sich mit keinem Mann einzulassen, der sie nicht mindestens ebenso in Begeisterungsstürme versetzte wie eine neuartige, bahnbrechende Technologie. Oder wie Gunnar Magnusson.

Wenn ein Mann, den sie nicht leiden konnte, ein so brennendes Verlangen an den verborgensten Stellen ihres Körpers wachrufen konnte, müsste dies einem Mann, der ihr gefiel, doch allein mit der Kraft seines Blickes gelingen. Olive hatte nie den Drang verspürt, in erotischen Dingen zu experimentieren, wenn sie auch einige Männer geküsst hatte. Doch was bedeutete das verglichen mit den Fantasien, die ein einziger verzehrender Blick von Gunnar ihren nächtlichen Fantasien bescherte?

Jener Augenblick in ihrem Familienanwesen, als ihr Atem sich mit Gunnars vermischte und sie ihm so nah gewesen war, dass sie die Hitze seines Körpers durch den dünnen Stoff seines Hemdes spüren konnte …

Seitdem spukte die Szene in ihrem Kopf herum, auch wenn sie beide heute so taten, als hätte jener von Zärtlichkeit und Nähe erfüllte Abend nie stattgefunden.

Was ist mein Problem? fragte Olive sich.

Was ist mein Problem?

Entweder es gelang ihr, sich von Gunnar loszusagen, oder es würde nie einen anderen Mann in ihrem Leben geben.

Niemals.

Gunnar hatte seinen Vortrag inzwischen beendet. Olive hatte ihren Auftritt.

„Besten Dank, Mr. Magnussson“, begann sie. „Das war ausgesprochen aufschlussreich. Ich glaube allerdings, Mr. Yamamoto, dass es einen weitaus attraktiveren Ansatz gibt.“ Was nun folgte, war sozusagen das Todesurteil für das von Gunnar angepriesene System. Sie legte noch den kleinsten Mangel in seinem Konzept offen. Sie hatte ihre Erwiderung tausendmal überarbeitet, durchgespielt und ein System entwickelt, das Gunnars geradezu vernichtete. Mit klug durchdachten Argumenten, die ihr Team für sie ausgearbeitet hatte, erklärte sie mitreißend, bodenständig und verständlich ihren Plan für die Flotte des Kunden.

Letzten Endes ging der Zuschlag an Olive.

„Glückwunsch, Miss Monroe, die Wahl für die Ausstattung unserer Fahrzeugflotte ist einstimmig auf Ambient gefallen.“

Gunnar zeigte keinerlei Reaktion. Es war nicht das erste Mal, dass er Olive gegenüber den Kürzeren zog. Doch dies war seine schwerste Niederlage. Tapfer schüttelte er die Hand des Kunden und lächelte.

„Vielleicht ergibt sich zu einem späteren Zeitpunkt die Gelegenheit zur Kooperation.“

„Man kann nie wissen“, erwiderte Mr. Yamamoto.

Anschließend verließen Olive und Gunnar den Konferenzraum und durchquerten gemeinsam die Vorhalle.

„Zu dumm, dass wir uns die nächsten zehn Jahren nicht sehen werden“, sagte Olive. „Aber ich bin komplett ausgebucht.“

„Du hast souverän gesiegt“, gab Gunnar zu. „Dein Produkt ist einzigartig, das muss der Neid dir lassen.“

„Das sagst du? Welch erstaunliches Zugeständnis.“

„Ohne Fairplay geht es nicht. Der Beste muss gewinnen. Hast du Pläne für den restlichen Aufenthalt in Tokio?“

„Nicht wirklich.“ Sushi im Hotel und weiter in meinem Buch schmökern.

„Verstehe“, gab Gunnar zurück. „Wo bist du untergebracht?“

„In dem Hotel gleich die Straße hinunter.“

Sie betraten den Fahrstuhl, und die Tür schloss sich hinter ihnen. Dann blickten sie sich an. Olive lächelte. „Was sagst du zu meinen Zähnen?“

„Scharf“, erwiderte Gunnar.

„Damit ich dich besser fressen kann.“

„Was dir bereits gelungen ist.“

„Nimm es nicht zu schwer.“

„Im Business und in der Liebe ist alles erlaubt.“

Olive lächelte verschmitzt. „Du sagst es.“

Sie bezweifelte, dass Gunnar die monatelangen Spionageaktivitäten im innersten Kreis seiner Firma für erlaubt halten würde, doch das war ihr in diesem Moment gleichgültig. Es war ihr gelungen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: den Auftrag an Land zu ziehen und Gunnar ein für alle Mal aus ihrem Leben zu verbannen. Endlich konnte sie einen Schlussstrich unter diese sinnlose Leidenschaft ziehen, würde sie nicht mehr atemlos, am ganzen Körper zitternd und schweißgebadet aus einem schwülen Traum erwachen, in dem er die Hauptrolle spielte und sie zu einem überwältigenden Höhepunkt gekommen war.

Ein Gefühl tiefer Zufriedenheit durchströmte ihren Körper.

Wie lange hatte sie sich nach dieser Art Glück gesehnt!

Ich habe es geschafft, Dad! Und du hattest recht: Konkurrenz belebt das Geschäft. Aber es war nicht Gunnar, der durch seine Konkurrenz eine Geschäftsfrau aus mir gemacht hat, sondern du. Du kannst stolz auf mich sein.

„Und wo wohnst du?“, wollte sie wissen.

„In demselben Hotel wie du, glaube ich.“

„Kein Wunder“, gab Olive zurück. „Das Beste in fußläufiger Lage“.

Genau darin lag das Problem mit Gunnar: Fast immer zog er die gleichen logischen Schlussfolgerungen. Sie folgten der Strategie „kenne deinen Feind“ – doch das hier war „kenne deinen Feind zu gut.“

Sie gingen gemeinsam durch die belebte, auf Hochglanz polierte Hotellobby.

„Obergeschoss“.

„Genau wie ich.“

Ein weiteres Mal betraten sie gemeinsam einen Aufzug, erneut schloss sich die Tür. Doch dieses Mal hörte Olive das Schlagen ihres Herzens.

„Lust, auf deinen Triumph anzustoßen?“ erkundigte er sich.

„Warum nicht?“

„Perfekt.“

Olive spürte, dass sich in ihrem Innern etwas zusammenbraute – eine Ahnung, ein Vorgefühl. Als sich die Aufzugtüren auf den kurzen Korridor öffneten, an dem die Penthousezimmer lagen, führte Gunnar Olive in entgegengesetzter Richtung ihres Apartments zu seiner Suite, deren Tür er mit seinem Smartphone öffnete.

„Nach dir.“

„Merci.“

Seine Penthousesuite unterschied sich vollständig von Olives. Sie war komplett in Schwarz gehalten, polierte Böden, moderne, elegant geschwungene Kunstgegenstände.

Von dem riesigen Panoramafenster hatte man einen atemberaubenden Blick auf die Skyline und das chaotische Treiben in den Straßen. Die dicken Scheiben schufen eine angenehme Distanz.

„Ich liebe Tokio“, sagte sie.

„Ich bevorzuge die Berge“, erwiderte er. „Aber Städte haben auch ihren Reiz.“

Olive wandte sich zu ihm um. Er stand am Küchentresen, die Hände flach auf die glänzende schwarze Fläche gelegt.

Ausgesprochen schön geformte Männerhände.

„Stimmt“, gab Olive zurück. „Nur dass man im Gebirge allein ist.“

„Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mich für die Einsamkeit entscheiden.“

„Ich nicht“, erklärte sie. „Geschäftsessen, Partys, Netzwerke schaffen … Ich könnte ohne all das nicht leben.“

In Wirklichkeit war ihr Alltag erschreckend leer. Doch das war ihre Wahl. Zwar hatte ihr Vater ihr die Wichtigkeit von Netzwerken ans Herz gelegt und ihr beigebracht, sie zum eigenen Vorteil und gewinnbringend zu nutzen. Doch er hatte sie auch mit Nachdruck darauf hingewiesen, wie wichtig es war, einen Schutzwall um sich zu errichten.

Ihr kam es vor, als lebte sie in permanentem Widerspruch zu den eigenen Gefühlen.

Unverbindlich lächeln und ja nichts von sich preisgeben!

Deshalb fühlte sie sich nach einem Geschäftsabschluss oder harten Verhandlungen so verletzlich.

Es war unmöglich, bei solchen Anlässen die kühl kalkulierende Geschäftsfrau zu mimen, ohne sich hinterher in irgendeiner Form dafür zu belohnen, am besten mit einem heißen Bad und einem guten Buch.

Sie sollte in Gunnars Gegenwart nicht an heiße Schaumbäder denken. Aber vielleicht … Etwas zwischen ihnen hatte sich verändert. Etwas lag plötzlich in der Luft.

Sie durfte jetzt nicht die Kontrolle über sich verlieren. Doch sie war drauf und dran, genau das zu tun und konnte fühlen, wie ihr Schutzwall viel zu früh einstürzte.

Dies wäre der Moment gewesen, um einen romantischen Liebesroman zu lesen. Allein. Der Moment, sich einsam zu fühlen. Allein. Der Moment zu weinen. Allein.

Aber nicht in Gunnars Gegenwart …

Es gab zwischen ihnen nichts mehr zu besprechen. Warum also war sie wirklich hier?

Du weißt, warum du hier bist. Nur deshalb bist du hergekommen!

Es würde für sehr lange Zeit das letzte Zusammentreffen mit Gunnar Magnusson sein. Vielleicht würden sie sich nie wieder um denselben Auftrag bemühen. Ihre Unternehmen waren inzwischen in unterschiedlichen Branchen tätig. Vielleicht hatten sie gerade ihren letzten Kampf gegeneinander ausgetragen.

Der lange ersehnte Moment war gekommen.

Mit sechzehn hatte Olive zum ersten Mal die Sehnsucht gespürt, Gunnar zu küssen.

Es war wie in einem Fiebertraum. Etwas in ihr war geschehen, als er sie mit einem spöttischen Lächeln abspeiste, während er sich vorbereitete, zum ersten Mal als Verhandlungsführer von Magnum in die Schlacht mit ihrem Vater einzutreten.

Damals war er es gewesen, der den Sieg davontrug. Den ganzen Rückflug über hatten Olive Schuldgefühle geplagt, war sie verwirrt und voller Scham gewesen. Seitdem waren ihre Fantasien und Bedürfnisse mit ihrem Körper gereift.

Weder die Zeit, die Feindschaft zur Magnusson-Familie noch der gesunde Menschenverstand hatten es vermocht, diese Gefühle abklingen zu lassen.

Vor sechs Monaten hatte sie Gunnar begehrt, ihn gewollt, aber er hatte sie zurückgewiesen.

Heute weinte Olive nicht. Die Enttäuschung war verflogen.

Sie hatte den Sieg davongetragen. Seine Ausflüchte von damals, Olives momentane Verletzlichkeit nicht auszunutzen, zählten nicht mehr.

Vielleicht würde Gunnar sie ein weiteres Mal zurückweisen. Aber was würde das schon bedeuten? Schließlich würde sie ihn so schnell nicht wiedersehen.

Es war ihre Gelegenheit. Und sie würde sie nutzen.

„Ich weiß, dass du nicht auf Rollkragenpullover stehst“, erklärte sie. „Was hältst du davon, wenn ich ihn einfach …“ Mit diesen Worten zog sie sich den Pullover entschlossen über den Kopf.

2. KAPITEL

Olive beobachtete wie gebannt Gunnars Gesichtsausdruck und versuchte, irgendeine Reaktion darin zu erkennen. Unter ihrem Rollkragenpullover trug sie nichts als einen schlichten schwarzen BH. Schließlich war das hier nicht geplant gewesen, obwohl …

War nicht alles darauf hinausgelaufen?

Nicht für Olive. Doch jetzt wollte sie es, wollte es zumindest auf einen Versuch ankommen lassen.

Sie hatte in ihrem bisherigen Leben immer nur gegeben, alles dem Traum ihres Vaters untergeordnet. Aus Loyalität und Liebe.

Jetzt wollte sie einmal etwas nur für sich.

Ob er dasselbe empfand? Sie hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was in ihm vorging. Würde er sie erneut zurückweisen?

Gunnar eilte ein spezieller Ruf als Liebhaber voraus. Dabei war er kein Playboy, der sich mit seinen sexuellen Eroberungen brüstete. Aber es gab Gerüchte. Über seine speziellen Fähigkeiten in dem Bereich. Über seine … besonderen Vorzüge. Seine Ausdauer.

Sein Gesicht war ausdruckslos. Wollte er sie auf die Folter spannen? Jedenfalls lachte er nicht. Stattdessen lockerte er den Knoten seiner Krawatte und kam langsam, mit starrem Raubtierblick auf sie zu.

Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

„Oh“, brachte sie hervor, bevor er sie mit den Armen umfing und seine Lippen wie in einem reißenden Strudel unterdrückter Leidenschaft, der sie beide mit sich in den Abgrund zu ziehen drohte, auf ihre presste.

Endlich, endlich küsste er sie. Nicht umsonst hatte sie so lange warten müssen, denn dieser Kuss entschädigte für alles, ging weit darüber hinaus. In diesem Kuss lagen die Gefühle aus jeder einzelnen Seite all der Liebesromane, die sie bisher gelesen hatte, all der Seiten voller Anspannung und Begehren, die sie jedes Mal hoffend und voller Sehnsucht zurückließen.

Er ergriff Besitz von ihrem Mund. Sein Kuss war heiß und fordernd, und sie öffnete ihre Lippen und erwiderte spielerisch die fordernden Bewegungen seiner Zunge.

Dann befreite sie Gunnar von der Krawatte und warf sie zu Boden.

„Danke, dass du ein so guter Verlierer bist“, sagte sie atemlos und zerrte an seinem Hemd, bis die Knöpfe in alle Richtungen absprangen.

Der Anblick seines Brustkorbs übertraf alle Erwartungen.

Mit beiden Händen strich sie hingebungsvoll über seine Brust und spürte, wie ihre Erregung weiter und weiter anwuchs.

Auf der sonnengebräunten Haut kräuselte sich dichtes blondes Brusthaar. Seine Muskulatur war durchtrainiert und gut definiert.

Er war das Objekt ihrer erotischen Träume und Fantasien.

Mehr als das.

Gunnar war …

Sie spürte seinen heißen, stoßweisen Atem, während er sich vorbeugte und ihr spielerisch in den Hals biss. „Wir wissen beide, dass wir unserem Schicksal nicht entrinnen können, Olive.“

Ihr ganzer Körper wurde von einem wärmenden Gefühl der Erleichterung erfasst.

„Glaub bloß nicht, dass du deswegen einen Freifahrtschein hast“, sagte sie.

Dabei wusste sie nur zu genau, dass das Gegenteil der Fall war. Dass alles auf diesen Moment hinausgelaufen war, als wäre es seit Ewigkeiten in Stein gemeißelt.

Ihr Körper war geradezu darauf programmiert, einzig und allein auf Gunnar Magnusson anzusprechen, auch wenn dies gegen alle Gesetze der Vernunft verstieß, denn er war das genaue Gegenteil dessen, was sie sich wünschen sollte.

Wäre da nicht … Olive war eine intelligente und ehrgeizige Frau. Einen Mann, der diese Kriterien nicht ebenso erfüllte, könnte sie niemals akzeptieren. Von daher kam nur ein … raubschatzender Wikinger von heute infrage, dessen Anzüge zwar wie eine zweite Haut saßen, bei dem man aber jeden Moment damit rechnen musste, dass er eine Axt hervorzog.

Alles andere wäre ein fauler Kompromiss. Und niemand hatte Olive beigebracht, Kompromisse zu schließen.

Erobern, zerstören, dominieren. Bei dem letzten Wort bekam sie weiche Knie. Der Gedanke, von einem starken Mann dominiert zu werden, ließ heiße Schauer über ihren Rücken laufen. Einem Mann, dem sie sich unterwerfen wollte. Genau das war der Grund, weshalb sie sich derart zu Gunnar hingezogen fühlte, auch wenn er sie gleichzeitig in den Wahnsinn trieb.

„Für mich schon“, sagte er herausfordernd und ließ die Hand unter den Bund ihrer Hose und dann unter ihren Slip gleiten. Schließlich berührte er mit seinen kräftigen, rauen Fingern ihre empfindsamste Stelle, das Zentrum ihrer Lust, das nur zu bereit für Gunnars Liebkosungen war.

„So viel zum Thema Freifahrtschein, Olive.“

Die erregte Anspannung in seiner Stimme brachte Olive fast um den Verstand.

Ebenso die Art und Weise, wie die Wildheit in seinem Blick die eigene Erregung nur schwach verbergen konnte.

In ihnen beiden brannte dasselbe Feuer, und dieses Bewusstsein ließ ihre Erregung ins Unermessliche wachsen.

Er liebkoste sie überall, ließ die Fingerkuppen über ihre zarte, von der Erregung erhitzte Haut kreisen, bis er erneut auf ihrer empfindsamsten Stelle verharrte und schließlich in sie eindrang.

Sie stöhnte auf und klammerte sich an Gunnars breite Schultern.

„Gunnar.“

„Gib zu, dass du dich mir schon lange hingeben willst, immer schon davon geträumt hast. Nicht nur damals bei deinem Kussversuch.“

Wenn er wüsste, wie recht er hat, schoss es ihr durch den Kopf. Dass er der einzige Mann war, den sie jemals wirklich begehrt und von dem sie in all den Jahren geträumt hatte. Dass sie ihn an ihrem achtzehnten Geburtstag vor Erregung zitternd kurz davor gewesen war, ihn heimlich zu besuchen, einem dieser Geburtstage in einem anonymen Bürokomplex, an dem ihr Vater wieder einmal vor einem wichtigen Geschäftsabschluss stand.

Von Gesetzes wegen war sie volljährig und konnte frei entscheiden, mit wem sie ins Bett ging, hatte aber letzten Endes Angst vor der eigenen Courage.

Dass sie sich Gunnar heute nach all der Zeit endlich hingab, war sie der achtzehnjährigen Olive von damals schuldig. Von ihren Fantasien und davon, wie lange sie ihn bereits begehrte, brauchte er nichts zu wissen.

Also bilde dir ja nicht ein, einen Freifahrtschein zu besitzen, Gunnar Magnusson.

Aufgewühlt spürte sie, wie verletzlich sie in diesem Augenblick war. Sie musste unbedingt auf ihr emotionales Gleichgewicht achtgeben.

Sollte er ruhig an die körperliche Anziehungskraft glauben, die zwischen ihnen pulsierte – ihre naiven Teenagerfantasien, in denen er die Hauptrolle spielte, würde sie niemals preisgeben.

In diesem Moment spürte sie, wie er bei dem immer fordernder werdenden Spiel seiner Finger noch tiefer in sie eindrang und sich der Blick seiner stahlblauen Augen in ihrem zu verlieren schien.

„Ich spüre doch, wie sehr du es willst“, flüsterte er heiser.

Olive strich mit der Handfläche über den Reißverschluss seiner Hose.

„Du aber auch“, erwiderte sie.

Sie konnte seine Erregung unter ihrer Hand nur zu deutlich spüren, so hart, so groß, dass sich in ihrem jungfräulichen Körper Nerven regten, von denen sie bisher nichts geahnt hatte.

Schnell zog sie die Hand zurück und spürte im nächsten Moment enttäuscht, wie auch seine Finger ihrem Körper entglitten. Doch gleich umschloss er Olive wieder mit den Armen und öffnete mit einem geübten Handgriff ihren BH. Sie schwelgte genussvoll in dem Gefühl, und die sichere Gewissheit, Gunnars Blick vollkommen ausgeliefert zu sein, steigerte ihre Erregung abermals.

Sie riss ihm fast das Jackett von den Schultern, bevor sie sein Hemd vollständig aufknöpfte. Danach wandte sie sich kurz ab, streifte ihre Schuhe ab und ließ sie schwungvoll durch den Raum fliegen. Nachdem Hose und Slip zu Boden geschwebt waren, stand sie mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung völlig nackt vor ihm.

Im nächsten Moment fand sie sich sitzend auf der schwarzen Samtcouch im Wohnbereich des Penthouses wieder, die Haltung ladylike, so wie man es ihr im Unterricht für gute Manieren beigebracht hatte. Beinahe musste sie über sich selbst lachen, weil sie sich noch in einer Situation wie dieser spröde und formell benahm.

Seine Lippen formten sich zu einem Lächeln, während er die Hände in Richtung Gürtel sinken ließ. Bei diesem Anblick glaubte sie, mit jeder Faser, jeder Zelle ihres Körpers in einem heißen Meer aus Seligkeit zu versinken. Gunnar öffnete langsam die Gürtelschnalle, ließ das Leder über seine Handfläche gleiten und zog den Gürtel schließlich mit einem Ruck vollständig aus den Schlaufen. Bei diesem Geräusch wurde ihr Körper von einem schwindelerregenden Gemisch aus Vorfreude und Leidenschaft durchlaufen.

„Endlich am Ziel deiner Wünsche?“, fragte er.

„Sag mir lieber, wie lange du schon davon träumst“, gab Olive zurück. Wenn es ihm Vergnügen bereitete, ihr das Geständnis einer lang unterdrückten Leidenschaft abzuringen, konnte sie mit ihm dasselbe Spiel spielen.

„Willst du das wirklich wissen?“

Er öffnete herausfordernd langsam den Reißverschluss seiner Hose, streifte Schuhe und Socken ab und zog sich schließlich komplett aus.

Obwohl sie jede Wette eingegangen wäre, dass an diesem Mann nichts, aber auch gar nichts klein war, und trotz der Gerüchte, die über ihn kursierten, war sie beim Anblick seiner kraftvollen, gewaltigen Erektion nicht sicher, ob sie … ob sie auf solche … Ausmaße vorbereitet war.

„Öffne dich für mich“, forderte er sie auf.

Olive verharrte auf der Sofakante und gab schließlich den Blick auf ihre intimste Stelle frei. Er stand vor ihr und verschlang sie geradezu mit Blicken, und obwohl er sie nicht berührte … fühlte Olive sich von blau leuchtenden Blitzen durchzuckt, als würde er sie streicheln und liebkosen.

Olive ließ die Hand an ihrem Körper hinabgleiten, um sich endlich selbst von dem quälenden Druck zu befreien.

„Nicht“, sagte Gunnar fast streng und hielt ihre Hand fest. „Erst wenn ich es dir erlaube.“

„Nicht gerade das, was man Emanzipation nennt“, erwiderte Olive.

„Man könnte es auch Spiel nennen, Olive. Wenn du mitspielen willst, musst du dich an die Regeln halten.“

Olive wurde von einem Zittern ergriffen und war drauf und dran, die Kontrolle über sich zu verlieren. Genau davon hatte sie in ihren wildesten Fantasien geträumt. Er rief die dunkelsten und unanständigsten Sehnsüchte in ihr wach, klar und deutlich, wie auf einer Leinwand.

Langsam kam er auf sie zu, jede Faser seines Körpers ganz Wikinger. Er streckte die Hand aus und legte sie unter ihr Kinn. Schließlich beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie.

Der Kuss war heiß, tief, fordernd, ein Vorgeschmack auf das, was er mit den pulsierenden, fordernden Bewegungen seiner Zunge, die jetzt die Tiefen ihres Mundes erforschten und in ihrem Innern nichts als hilflose Verwüstung zurückließen, an anderen Stellen ihres Körpers anrichten würde.

Sie saß noch immer um Kontrolle bemüht auf der Sofakante, während er vor ihr stehend ihr Kinn hielt. Dann trat er noch näher auf sie zu, mit der freien Hand die jetzt noch gewaltigere Erektion umfassend und führte sie immer näher an ihre Lippen heran. Ungeduldig, fast gierig öffnete sie die Lippen und nahm die schimmernde Spitze seiner Männlichkeit in sich auf. Dadurch ermutigt streckte er die Hüfte vor und drang tief in ihren Mund ein. Hungrig nach mehr umfasste sie mit sanftem Druck die Wurzel seines Schafts.

Wovon sie bisher nur fantasiert hatte, erfüllte sich in diesem Augenblick: in einer Haltung der Unterwürfigkeit einen Mann vor Leidenschaft schwach werden zu lassen.

Wie oft hatte sie diese Szene in ihren Träumen durchgespielt! Und obwohl es jetzt neu für sie war, schien sie genau zu wissen, was sie tat.

Sie hatte viel über den Liebesakt gelesen und dabei in hemmungslosen Fantasien geschwelgt, in denen sie sich irgendwann in genau der Stellung befand wie jetzt und Gunnar hingebungsvoll verwöhnte.

Unvermittelt entzog er sich ihr.

„Jetzt bin ich an der Reihe.“

Er kniete sich vor ihr nieder, umfasste ihre Hüften und brachte Olive dazu, sich auf die Armlehne der Couch zu setzen. Er platzierte ihren einen Arm auf die Rückenlehne und die Hand des anderen Arms auf der Sofakante, damit sie sich abstützen konnte. Im nächsten Moment spreizte er gebieterisch ihre Beine auseinander, sodass ihr einer Fuß auf der Couch, der andere auf den flauschigen Teppich gestützt war. Mit den Händen umfasste er ihre Pobacken, lehnte sich vor und begann, Olive mit dem heißen, fordernden Spiel seiner Zunge zu liebkosen.

Er hielt sich in keiner Weise zurück, sog gierig an dem empfindsamen Zentrum ihrer Lust und führte schließlich erneut zwei Finger in sie ein. Es begann ein hypnotisierender Rhythmus, erzeugt von dem die Sinne beraubenden Zusammenspiel seiner Zunge und seiner magischen Hände.

Lustvoll bog sie sich seinen Lippen entgegen und konnte dabei an den zarten Innenseiten ihrer Schenkel seinen Bart spüren, während das Spiel seiner Zunge immer fordernder und wilder wurde.

„Gunnar“, brachte sie heiser hervor, vergrub die Hände in seinem Haar und begann, die Hüften im Rhythmus seiner Zunge zu bewegen.

„Jetzt darfst du kommen“, sagte Gunnar und strich mit der ganzen Zunge über ihre empfindsamste, von tausend Nervenbahnen durchzogene Stelle. Vor ihren geschlossenen Augen sah sie die Welt in einem Gewitter aus zuckenden Blitzen in sich zusammenstürzen.

Sie konnte sich nicht länger zurückhalten. Wellen der Leidenschaft fegten über ihren Körper hinweg. Nachdem sie den Gipfel ihrer Gefühle erreicht hatte, verharrte sie in derselben Position. Gunnar bewegte sich erneut auf sie zu, presste nun seine harte, erregte Männlichkeit zwischen ihre Schenkel und stimulierte endlos lange mit seiner glänzenden Spitze das Zentrum ihrer Lust.

„Bitte“, flehte Olive. „Bitte.“

„Sag mir, was du willst“.

„Nimm mich endlich.“ Die Worte brachen unkontrolliert aus ihr hervor.

„Das also will die harmlose kleine Olive“, erwiderte Gunnar. „Ich soll dich nehmen, damit dein Hunger endlich gestillt ist?“

Olive brachte nur ein heiseres „Ja“ hervor.

Dann war Gunnar ihr plötzlich ganz nah. Ein unbeschreibliches Gefühl überwältigte sie fast, als er in sie eindrang und sie schließlich ganz ausfüllte.

Olive ließ den Kopf mit einem wilden Schrei nach hinten fallen, und sie gab sich hemmungslos ihrer eigenen Leidenschaft hin.

„Dein Hunger ist nur vorübergehend gestillt“, flüsterte er, die Lippen dicht an ihrem Mund. „Du wirst dich nach mir verzehren, einzig und allein nach mir. Und du kannst nichts dagegen tun.“

Er begann, die Hüften zu bewegen, drang tief, noch tiefer in sie ein. Seine Stöße wurden heftiger und fordernder, und sie glaubte fast, diesen absoluten Hochgenuss, von dem sie nach und nach erfasst wurde, nicht überleben zu können.

Ohne sich ihr zu entziehen, stand er vom Sofa auf und trug sie an sich geklammert aus dem Zimmer. Für einen kurzen Moment entglitt er ihr, um sie auf das Bett zu legen. Olive war bewusst, dass sie nun in ihrer Lust offen, erhitzt und willig vor ihm lag, und es machte ihr nicht das Geringste aus.

Im nächsten Moment war er über ihr und drang erneut so kraftvoll in sie ein, dass sie beide wie berauscht aufschrien.

„Du bekommst mich nicht mehr aus dem Kopf“, flüsterte sie.

„Dann gib mir jetzt alles von dir“, erwiderte er.

Wieder hatte sie das Gefühl, in tausend Teile zu zerspringen, sie zitterte, warf sich lustvoll hin und her und erlebte schließlich einen Höhepunkt, der tiefer und intensiver war, als derjenige zuvor. Auch Gunnar konnte sich nicht länger zurückhalten. Er stöhnte auf und kam heftig und hemmungslos.

Dann war es vorüber.

Sie hatte es wirklich getan. Hatte einen deutlichen und endgültigen Schlussstrich unter das Kapitel Gunnar gezogen.

Warum aber hatte sie dermaßen gezittert, warum wurde ihr ganzer Körper von diesem heißen Schauer durchlaufen? Und warum um alles in der Welt kamen ihr gerade jetzt die Tränen? Warum kam sie sich verletzlich vor?

„Glückwunsch“, sagte er und begab sich ins Bad. Olive blieb noch einen Moment liegen, dann erhob auch sie sich langsam, ging zurück ins Wohnzimmer und sammelte ihre Kleidungsstücke zusammen.

Sie fühlte sich bis ins Mark erschüttert. Dennoch rang sie sich ein Lächeln ab.

Sie hatte gesiegt. Auf ganzer Linie gesiegt.

Sie hatte den Auftrag in der Tasche, und das Kapitel Gunnar war beendet.

Die Stimme in ihr, die ihr einreden wollte, etwas verloren zu haben, würde sie zum Schweigen bringen.

Bevor sie alle Brücken hinter sich abbrach, hatte sie ihre geheimsten Fantasien ausgelebt. Und sie hatten alle Erwartungen übertroffen. Wenn sie in Zukunft allein zu Bett ging, gab es ein echtes, konkretes Erlebnis, an das sie zurückdenken konnte, musste sie sich nicht länger mit Fantasien begnügen.

Es war von Anfang an klar gewesen, dass es für sie und Gunnar nicht mehr als eine Nacht geben würde.

Doch diese eine Nacht hatte ihre Aufgabe erfüllt.

3. KAPITEL

Als zwei Monate später eine Notiz mit Olive Monroes Namen auf seinem Schreibtisch auftauchte, hielt Gunnar es zunächst für eine Sinnestäuschung.

Warum ließ sie ihm keine Ruhe, verfolgte ihn bei allem, was er tat, als wäre er von einem bösen Geist besessen, sodass er nachts schweißgebadet in seinem zerwühlten Bett erwachte?

Ungestillte Leidenschaft – so etwas ließ er normalerweise nicht auf sich sitzen.

Was er wollte, bekam er. Ob einen Schokomuffin oder eine Frau. Und genau das war der Stein des Anstoßes mit Olive Monroe.

Keinen anderen Menschen auf der Welt durchschaute er so gut wie sie.

Und kein anderer Mensch hatte sich dermaßen in seine Seele eingebrannt.

Ein anderer Typ Mann hätte von … Liebe gesprochen. Aber er war nicht der andere Typ Mann. Er sprach im Zusammenhang mit Olive höchstens von Anziehung oder Schutzbedürftigkeit – seit sie ihn als achtzehnjähriger Teenager mit ihren unsicheren und zugleich leidenschaftlichen Blicken fast verschlungen hatte.

Es stimmte, dass er jede Frau haben konnte, die er wollte. Aber er verließ nie den Boden moralischer Integrität. Und er hatte nur zu gut gespürt, worauf Olives Sehnsüchte gerichtet waren, und worauf das hinausführte. Er hätte sich zu einem Objekt ihres Verlangens machen können, doch stattdessen …

Hatte er alles darangesetzt, nicht in die Fußstapfen eines Magnus Ragnarson zu treten. Gunnar tat alles dafür, sich nicht zu einem Mann zu entwickeln, der in Frauen lediglich einen Gebrauchsgegenstand sah und sie davonjagte, wenn er genug von ihnen hatte, der moralisch verwerfliche, umweltschädliche Geschäftspraktiken verfolgte, die Familien seiner Angestellten entwurzelten und den Arbeitern für ihre mitunter gesundheitsschädlichen Tätigkeiten Hungerlöhne zahlte. Nur aus diesem Grund ging er zu Olive auf Distanz.

Nur dass seine Leidenschaft für Olive sich auf diese Weise nicht zügeln ließ.

Er ging nicht deshalb keinem öffentlichen Streit mit ihr aus dem Weg, um Aufsehen zu erregen. Er stritt mit ihr, weil er es genoss, weil ein Streit mit Olive ihm mehr gab, als Sex mit anderen Frauen.

Sie an dem Abend nach dem Begräbnis ihres Vaters zurückzuweisen, hatte ihm alles abverlangt, und in den zurückliegenden zwei Monaten hatte er immer wieder mit dem Gedanken gespielt, sie anzurufen. Was sprach gegen eine Affäre? Doch Selbstverleugnung war in Bezug auf Olive seine wichtigste Tugend, also hatte er sich dagegen entschieden.

Nein, es handelte sich nicht um eine Sinnestäuschung. Olives Name stand schwarz auf weiß auf dem Notizzettel, den sein Assistent ihm überreicht hatte, der mit fahrigen Bewegungen neben ihm stand und sich ganz offensichtlich in seiner Haut unwohl fühlte.

„Kann ich Sie kurz sprechen?“, fragte Jason.

„Worum geht es?“

„Wissen Sie, wie Olive Monroe an den Auftrag mit der Fahrzeugflotte gekommen ist?“

Warum sollte Gunnar das nicht wissen? Sie hatte seine Präsentation in Schutt und Asche argumentiert. Ihre war in jeder Hinsicht die überzeugendere gewesen, weil sie das bessere Produkt hatte.

„Ich freue mich immer über geheime Einblicke“, antwortete er seinem Mitarbeiter.

„Sie kannte Ihre Produkte, und Ihre Präsentation.“

Etwas in Gunnar kam wie aus heiterem Himmel zum Stillstand. „Das kann nicht sein“.

„Leider doch“, beharrte der Mann. „Sie … sie hat mich dafür bezahlt, dass ich ihr Informationen beschaffe.“

Es kam Gunnar so vor, als wäre seine Welt mit einem Schlag komplett aus den Fugen geraten. Er war wie erstarrt. Ausgerechnet ihm passierte das, ihm, der sich immer mit seiner Menschenkenntnis brüstete! Sich in einem Menschen zu täuschen, hatte sein Leben und das von geliebten Menschen schon einmal zerstört. Damals war er fest entschlossen gewesen, dass ihm dieser Fehler kein zweites Mal unterlaufen durfte.

Und plötzlich war er konfrontiert mit dem Verrat seines Mitarbeiters und von …

Und einem Betrug, den Olive begangen hatte. Olive, die er immer hatte beschützen, von der er Unheil hatte fernhalten wollen …

Aber sie gehörte wohl doch zu jenem Schlag von Geschäftsleuten, die nur darauf aus waren, in die eigenen Taschen zu wirtschaften und andere zum eigenen Vorteil übers Ohr hauten. Die kleine Olive, die sich stets für etwas Besonderes gehalten hatte, war nichts als eine gewöhnliche Diebin.

„Sie haben also für sie gearbeitet?“

„Ja“, antwortete Jason.

„Ich vermute mal, dass Sie nicht aus schlechtem Gewissen gerade jetzt auspacken.“

„Nein“, erwiderte sein Mitarbeiter zögernd.

„Warum dann?“

„Weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass ihr Unternehmen keine Zukunft hat. Sie hat augenblicklich wohl … Probleme. Irgendeinen wunden Punkt.“

„In welcher Hinsicht?“, fragte Gunnar gereizt.

„Sie scheint nicht mehr sie selbst zu sein, was auch ihrem Team nicht entgangen ist. Sie lässt sich in der Firma kaum sehen oder kommt sehr spät. Womöglich hat sie sich in eine persönliche Sackgasse manövriert.“

„Und woran denken Sie da?“

„Ein Alkoholproblem? Zu viele Partys? Jedenfalls verliere ich mehr und mehr den Glauben daran, dass sie die Zukunft der Firma ist.“

Selbst unter diesen Umständen, spürte er den Impuls, für sie in die Bresche zu springen. War ihr nicht bereits in jungen Jahren eine gewaltige Last auferlegt worden?

Sie hat dir die ganze Zeit über etwas vorgespielt.

Er ließ die Gedanken zurück zu jenem Abend nach dem Begräbnis ihres Vaters schweifen, erinnerte sich an ihre Tränen, ihre Zerbrechlichkeit.

Theater, wie alles andere auch! Wie konnte die Frau, die ihn derart hintergangen hatte, gleichzeitig das zarte Wesen sein, das ihm in stummem Begehren ihr Gesicht zum Kuss hingehalten hatte?

„Was genau wollen Sie?“, fragte Gunnar.

„Einen sicheren Arbeitsplatz. Ich kann beweisen, dass Olive den Auftrag auf betrügerische Weise an Land gezogen hat. Sie können sie auffliegen lassen und selbst den Yamamoto-Auftrag …“

Gunnar musste plötzlich lachen, kam aus dem Lachen nicht mehr heraus.

„Ich verhandle nicht mit Verrätern. Räumen Sie Ihren Schreibtisch.“

Olive war am Ende ihrer Kräfte. Sie kränkelte seit Wochen und weigerte sich hartnäckig, sich den wahren Grund für ihre Unpässlichkeit einzugestehen. Er würde ihr bisheriges Leben ins Wanken bringen. Natürlich war es kein Rätsel, warum ihre Regel den zweiten Monat in Folge ausblieb. Auch nicht, warum ihr morgens übel war, sie sich angeschlagen und müde fühlte. Immerhin hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben Sex gehabt, und das in jeder Hinsicht ungeschützt.

Ausgerechnet sie und Gunnar, zwei der hellsten Köpfe in Sachen Hightech, waren so unglaublich naiv gewesen, kein Kondom zu verwenden.

Sie machte ihm schwere Vorwürfe, schließlich war sie noch Jungfrau gewesen, und er hätte es besser wissen müssen. Natürlich hätte auch sie sich klüger verhalten können. Jetzt holte die Realität sie ein.

Sie hatte alles zerstört! Hatte sie nicht zur großen Vordenkerin der Firma avancieren wollen? Und nun war sie kaum imstande, aufrecht am Schreibtisch zu sitzen.

Sie hatte zugelassen, von ihrem Erzfeind schwanger zu werden.

Da sie ohnehin allein im Raum war, ließ Olive sich hinter ihrem Schreibtisch zu Boden sinken und zog eine Packung Cracker aus der oberen Schreibtischschublade. Sie knabberte lustlos an dem salzigen Gebäck. Dann drückte sie die Packung gegen ihre Brust.

Sie fühlte sich erbärmlich und wurde immer wieder von Panikattacken heimgesucht. Beim Kampf um den Großauftrag war sie obenauf gewesen, doch der Versuch, Gunnar aus ihrem Leben zu drängen, war gründlich danebengegangen, sollte ihr Verdacht sich bestätigen. Dann wäre er auf eine Weise ein Teil ihres Lebens, wie sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte.

In diesem Augenblick entstand Unruhe vor ihrer Bürotür. Es hörte sich wie ein Handgemenge an, und schließlich näherten sich unruhige Schritte. Im nächsten Moment flog die Bürotür auf.

Sie hob den Kopf in die Höhe wie ein Erdmännchen vor seinem Bau, und plötzlich stand Gunnar vor ihr. Sie sank in sich zusammen, und es kam ihr vor, als ragten nur ihre Augen über die Schreibtischplatte.

„Olive.“ Der Name klang aus seinem Mund wie eine Warnung

„Was verschafft mir die Ehre?“, fragte sie und gab sich Mühe, ein strahlendes Lächeln auf die Lippen zu zaubern, das ihr aber wie eine Grimasse vorkam.

Er ging um den Schreibtisch herum, während Olive sich zusammenkauerte und mit hochgezogenen Knien die Packung Cracker an die Brust presste.

„Hast du ernsthaft geglaubt, damit durchzukommen?“

Sie wurde von einer weiteren Panikattacke heimgesucht. Wie hatte er davon erfahren? Sie wusste es doch eigentlich selbst noch nicht.

„Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wovon du sprichst“, flüsterte sie.

„Von deinem kläglichen Ausflug in die Welt der Betriebsspionage.“

Obwohl ihr Innenleben ein einziger Scherbenhaufen war, bemühte sie sich um Lässigkeit.

„Ach das“, erwiderte sie und wischte sich mit gespielter Gleichgültigkeit ein paar Krümel von den Knien. „Ich dachte, alles ist erlaubt.“

Plötzlich verengten sich Gunnars Augen zu schmalen Schlitzen. „Was genau machst du eigentlich gerade?“

„Ich habe mich krankgemeldet.“

„Und warum bist du dann im Büro?“

„Für den Fall, dass es Arbeit gibt. Und vertreibe mir die Zeit mit Crackern“.

„Auf dem Boden.“

„Genau. Es gab da eine schwedische Studie zur Steigerung der Produktivität in flexiblen Arbeitswelten. Man arbeitet, wo man sich am wohlsten fühlt.“

„Olive“, sagte Gunnar. Seine Stimme klang noch strenger als vorher.

Erst jetzt wurde sie sich der ganzen Absurdität ihrer Situation bewusst. Gunnar würde in vielerlei Hinsicht immer ihr Todfeind bleiben, diese Feindschaft war ihr von Kindesbeinen an eingetrichtert worden. Andererseits war er unter den ihr verbliebenen Menschen derjenige, den sie am besten kannte. Seit dem Tod ihres Vaters vor sechs Monaten war der bohrende Schmerz der Trauer nicht ein einziges Mal von ihrer Seite gewichen, und um neue Freunde zu finden, fehlte ihr die Zeit.

Soviel sie wusste, hatte auch Gunnar keine Freunde – dafür eine Geliebte nach der anderen. Zu denen auch sie inzwischen zählte. Dennoch kannten die beiden einander gut. Und gerade jetzt hätte sie ihm nur zu gern ihr Herz ausgeschüttet – wäre er nicht selbst der eigentliche Grund ihres Kummers.

„Wenn alles erlaubt ist, hast du sicher nichts gegen das einzuwenden, was jetzt kommt“, sagte er.

Er ging vor ihr in die Knie, und Olive spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog.

Dann nahm er ihr die Crackerpackung aus der Hand. „Ich brauche deine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.“

„Was hast du gegen Cracker?“, fragte sie. „Solange man sie nicht im Bett zu sich nimmt.“

„Stimmt. Du bist danach nicht einmal auf einen Snack geblieben.“

„Mir war nicht bewusst, dass der Tisch sozusagen reich gedeckt war.“

Sein eiskalter Blick blitzte auf. „War er auch nicht.“

„Na bitte“, erwiderte Olive schwach. „Warum beklagst du dich dann?“

„Du hast das Thema Bett angeschnitten“.

Er sah sie nur an, mit diesen blauen Augen, deren Blick sie tiefer durchdrang, als es ihr recht sein konnte.

„Ich werde dich ruinieren“, sagte er wie beiläufig.

„Bitte was?“

„Du weißt, dass dein Verhalten illegal war. Das wird jedes Gericht der Welt bestätigen.“

„Es dürfte schwierig sein, eine zuständige Gerichtsbarkeit zu finden. Wir sind geschäftlich überall auf dem Globus unterwegs, unterhalten Niederlassungen weltweit.“ Dennoch war der Schreck Olive in die Glieder gefahren. Ihr Herz raste. Doch was noch schlimmer war: Sie fühlte sich schuldig.

Gunnars Wut kam nicht überraschend für sie. Doch irgendwo in ihrem Innern nagte auch das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als das Spiel unverfroren weiterzutreiben.

Wie man einen Rückzieher macht, hatte ihr Vater ihr nicht beigebracht. Höchstens wie man in Deckung ging.

Doch im Moment war Angriff die beste Verteidigung.

„Du hast mindestens an einem Punkt das Recht gebrochen, nämlich als du Jason, einen meiner engsten Mitarbeiter, zur Spionage verleitet hast.“

„Diese kleine Ratte. Dann hat er mich verpfiffen?“

„Seit wann können Ratten pfeifen?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Olive zornig. Sie beugte sich vor, riss ihm die Packung Cracker aus der Hand und stand auf. In diesem Augenblick wich alles Blut aus ihrem Kopf.

Sie brachte ein „Gunnar“ hervor. Sein Gesicht war das Letzte, was sie sah, bevor sie ohnmächtig in seine Arme sank.

4. KAPITEL

Gunnar hatte Olive nie für schwach gehalten. Immer hatte sie stark und couragiert auf ihn gewirkt, jederzeit imstande, in gleicher Weise auszuteilen wie einzustecken. Plötzlich lag sie ohnmächtig in seinen Armen, und er wusste, dass sie nicht schauspielerte. Ihre bläulichen Lippen sprachen eine deutliche Sprache. Er hob sie auf seinen Arm und trug sie aus dem Büro.

Die Mitarbeiter blickten ihn entgeistert an.

„Ein Glas Wasser, schnell!“

Die Frau hinter dem Empfangstresen sah misstrauisch drein. Niemand rührte sich, niemand machte Anstalten, der Chefin beizustehen, der es augenscheinlich schlecht ging.

Jason hatte von einem Alkoholproblem gesprochen, doch hier lag ganz offensichtlich eine andere Ursache vor.

„Lächerlicher Haufen“, grummelte Gunnar vor sich hin, während er, Olive im Arm, den Korridor hinablief. Er war wütend auf sie, weil sie nicht diejenige war, für die er sie gehalten hatte. Bei dieser Einsicht verspürte er einen schmerzhaften Stich im Herzen. Noch kurz zuvor hätte er sie am liebsten in die Wüste geschickt, und dann traf er auf ein hilflos Cracker knabberndes Häuflein Elend!

Etwas war faul an der Sache, die ganze Situation stank zum Himmel. Diese verflixte Frau! Ihm drängte sich die Frage auf, ob der Betrug von langer Hand geplant gewesen war. Sie hatte die perfekte Geschäftsfrau gespielt, im Grunde ihres Herzens ein sanftmütiges Wesen, das es zu beschützen galt.

Immer hatte er Schokomuffins für sie dabeigehabt, und was als Scherz begann, wurde inzwischen von ihm erwartet. Irgendwann musste es ihr gelungen sein, unbemerkt die harte Schale seines Selbstschutzes zu durchdringen.

Irgendwann hatte er Gefühle für sie entwickelt. Echte Gefühle.

Doch nun … hatte sie ihn hintergangen. Die Wunde brannte wie Feuer.

Sein Lebensmotto war, auf niemanden angewiesen zu sein, nicht abhängig zu sein von der Gunst anderer, in dem Bewusstsein, nur sich selbst vertrauen zu können.

Doch auf halbem Weg musste er in Bezug auf Olive selbstgefällig geworden sein, hatte er sich zu sehr auf seine Fähigkeit verlassen, unaufrichtige von ehrlichen Menschen auf Anhieb unterscheiden zu können. Er hätte ihr nie erlauben dürfen, hinter diese Fassade zu blicken.

Sogar in dieser Situation, in der er sich um ihren Gesundheitszustand kümmern musste, errichtete er einen neuen emotionalen Schutzwall gegen sie und das, was er für sie empfand.

Genau der richtige Moment für solche Fragen, sagte er voller Bitterkeit zu sich selbst, während er ihren erschlafften Körper durch die Lobby ihres Geschäftshochhauses und dann durch eine Drehtür nach draußen trug. Sein Fahrer hielt direkt vor der Auffahrt. „Zur nächstgelegenen Privatpraxis“, befahl er. „Die Kosten spielen keine Rolle. Ich muss herausfinden, was mit ihr los ist.“

„Sie haben sie doch nicht etwa vergiftet?“, fragte der Fahrer.

Die Rivalität zwischen Olive und Gunnar war ein offenes Geheimnis. Alle Zeitungen berichteten darüber. Ihre Wortgefechte um Großaufträge kamen einem Show-Event gleich, sodass er manchmal den Verdacht hatte, die Kunden nahmen ihre Angebote nur deshalb in die engere Wahl, um sich diese Show nicht entgehen zu lassen.

Du liebst es, mit ihr zu streiten. Du liebst es, mit ihr zusammen zu sein.

Doch nun galt es erst einmal, einen passenden Arzt für Olive zu finden, Streitlust hin oder her.

Er trug ihren bewusstlosen Körper bis an die Bordsteinkante, stieß die Beifahrertür auf und hob Olive auf den Sitz. Anschließend zwängte er sich neben sie. Erst als er die Tür hinter sich zuzog, gab sie ein schwaches Lebenszeichen von sich.

Der Fahrer fuhr los, und im nächsten Moment glitt der Wagen durch den dichten New Yorker Straßenverkehr.

„Bist du okay?“ fragte Gunnar.

„Ich glaube, mir wird schlecht.“

„Wenn du dich in meinem Wagen übergibst, kannst du mit einer saftigen Rechnung für die Reinigung rechnen.“

„Mir ist sterbenselend“, brachte sie schwach hervor. Er spürte einen Stich in der Herzgegend. Trotz seiner Wut erwachte bei der kleinsten Schwäche, die Olive zeigte, der kriegerische Wikinger in ihm, der sie vor allem Unheil beschützen will.

„Im Ernst?“, fragte er.

„Im Ernst was?“

„Ob du im Ernst stirbst?“

„Wenn du mich umbringst, schon.“

„Die Rede war von ruinieren, nicht von umbringen.“

Sie lag mehr, als dass sie saß, den Handrücken gegen ihre Stirn gepresst. Plötzlich fuhr sie unvermittelt auf, als nehme sie ihre Umgebung erst jetzt wahr.

„Wohin fahren wir?“

„Zum Arzt, wohin sonst?“

„Nein“, erwiderte sie und richtete sich ruckartig auf. „Ich brauche keinen Arzt. Lass mich aussteigen.“

„Du bist in deinem Büro zusammengebrochen und in meinen Armen gelandet. Kurz vorher fand ich dich auf dem Boden kniend und Cracker essend auf. Wahrscheinlich bist du dehydriert und brauchst eine Infusion.“

„Der Schock des Wiedersehens muss mir in die Glieder gefahren sein. Und deine Drohungen. Wenn du mich zum Arzt bringst, bringe ich dich wegen Entführung vor Gericht.“

Er zog ironisch die Augenbrauen in die Höhe. „Das würdest du tun?“

„Der Arzt wird feststellen, dass du mich unter psychischen Druck gesetzt hast.“

„Ich bezweifle, dass er mich als Ursache für deinen psychischen Stress diagnostizieren wird.“

Plötzlich musste sie lachen, kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Er verstand nicht den Grund für ihren plötzlichen Sinneswandel. „Das … das ist einfach zum Brüllen. Wirklich. Hohe Kunst, ganz großes Kino.“

„Ich habe keinen Schimmer, wovon du sprichst.“

„Nein, wie könntest du auch.“

„Olive“, erwiderte Gunnar, wobei seine Stimme angespannt und schneidend klang. „Sag mir, was mit dir los ist.“

„Ich dachte, du bist Doktor Allwissend. Sag du es mir. Vor allen Dingen sag mir, wie du mich zu ruinieren gedenkst.“

„Ich will, dass Ambient eine Tochtergesellschaft von Magnum wird.“

Auch wenn ein Teil von ihm sie beschützen wollte, konnte es für ihren Fehltritt nur eine gerechte Strafe geben.

„Du willst mich aufkaufen?“

„Du sagst es.“

„Damit verstößt du gegen sämtliche Kartellvorschriften, Gunnar. Für ein solches Vorgehen bekommst du niemals grünes Licht.“

„Widerspruch, Euer Ehren. Denk doch nur an andere multinationale Technologiekonzerne.“

„Von der Größe deiner Firma?“

„Wie deiner. Außerdem ist mein Konzern in unterschiedliche Tätigkeitsfelder unterteilt.“

„Und du glaubst im Ernst, ich würde zustimmen?“

„Die Alternative heißt Gefängnis.“

„Du würdest mich tatsächlich ins Gefängnis wandern lassen?“

„Denk in Ruhe darüber nach. Hätte dein Vater meinen nicht auch hinter schwedische Gardinen gebracht, wenn er gekonnt hätte?“

„Du kennst die Antwort.“

„Und da soll ich dich verschonen, weil du eine Frau bist?“

„In etwa“, erwiderte Olive. „Noch dazu eine junge, und junge Frauen steckt man nicht einfach so ins Gefängnis.“

„Schon mal etwas von Frauengefängnissen gehört?“

Olive atmete wütend aus, was beinahe wie ein Schnauben klang. „Das wäre eine unglaubliche Gemeinheit.“

Sie schien nicht daran zu glauben, dass er es wirklich so weit kommen lassen würde.

„War es nicht auch eine Gemeinheit, dir verbotenerweise Zugang zu meinen geschäftlichen Unterlagen zu verschaffen und mich zu allem Überfluss auch noch zu … verführen?“

„Ich soll dich verführt haben?“, gab Olive zurück. „Dass ich nicht lache. Wer wird denn in allen einschlägigen Onlineforen für seine erotischen Fähigkeiten gerühmt? Wenn hier jemand verführt wurde, dann doch wohl …“

„Habe ich mir den Pullover vom Leib gerissen?“

„Nun … das nicht. Ich wollte etwas hinter mich bringen. Ein für alle Mal. Und dich anschließend nie mehr wiedersehen. Ich wollte in der Geschäftswelt an der Spitze stehen und unter diese … Sache einen Schlussstrich ziehen, die immer zwischen uns stand. Wir können nicht so tun, als gäbe es das alles nicht. Kaum treffen wir bei einer Präsentation aufeinander, gibt es Streit. Wenn Streiten mit dem meistgehassten Mann mich mehr erregt als die Küsse eines anderen, dann ist etwas faul.“

Ihr Geständnis ließ sie in seinen Augen wieder in einem menschlicheren Licht erscheinen. Fast hätte er in ihr seine Olive wiedererkannt.

Der man leider nicht über den Weg trauen konnte.

Aber selbst wenn das Gegenteil der Fall wäre …

Sie mochte einen Platz in seinem Herzen gehabt haben, doch er hatte in all den Jahren keinen Annäherungsversuch unternommen, weil er wusste, wohin das führte …

Wenn Liebe etwas mit Romantik zu tun hatte, dann hatte er nie geliebt.

Es waren zwei Paar Schuhe, einerseits aus der Distanz Olives Beschützer zu spielen, sich für ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit verantwortlich zu fühlen, und andererseits den Wunsch zu hegen, eine Familie zu gründen und eine Frau auf diese Weise an sein Leben zu binden.

Er hatte sie nie berührt, weil er wusste, dass er sie nur verletzen würde.

Nun hatte sie ihn verletzt. Nein, „verletzt“ war nicht der richtige Ausdruck. Er kochte vor Wut.

„Danke für den Vortrag“, sagte er. „Bist du fertig?“

„Voll und ganz“.

„Jetzt kommt erst einmal der Arzt zu Wort.“

Olive sah aus dem Fenster. „Wo sind wir?“

„Beim Arzt.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Die Privatpraxis befand sich in einem eleganten Geschäftskomplex. Sie kamen sofort an die Reihe. Eine Arzthelferin maß Fieber und checkte Olives Vitalwerte. Sie selbst lag in eine weiche Decke gehüllt auf einem samtenen Sofa.

„Ich brauche keinen Arzt“, protestierte sie.

„Sie scheinen dehydriert zu sein“, stellte die Arzthelferin fest.

„Meine Worte“, sagte Gunnar.

„Willst du sichergehen, dass ich nicht dehydriert bin, bevor du mich ins Gefängnis wandern lässt?“

„Ich bevorzuge gesunde Rivalen. Darum halte ich auch nichts von Betriebsspionage, Olive. Gleiche Bedingungen für alle.“

„Bitte gehen Sie durch diese Tür“, bat die Arzthelferin. „Dahinter befindet sich ein WC. Wir nehmen eine Urinprobe und kümmern uns anschließend um Ihren Flüssigkeitshaushalt.“

„Ich will keine Urinprobe abgeben“, protestierte sie.

Gunnar hätte es sich nicht träumen lassen, jemals Zeuge von Olives Diskussion darüber zu werden, welche Proben sie einem Arzt zu geben bereit war. Warum sie ausgerechnet diese eine Probe nicht abgeben wollte, war ihm ein Rätsel.

„Keine Sorge, wir behandeln das diskret“, redete die Arzthelferin beruhigend auf sie ein. „Sollten wir irgendwelche … Substanzen finden …“

„Das ist es nicht“, fiel Olive ihr ins Wort. „Ich nehme keine Drogen, sondern möchte nur vermeiden, dass Sie … in meine Privatsphäre eindringen. Außerdem habe ich eine Phobie vor diesen Laborbechern.“

Er verfolgte den Tag gedanklich bis in jedes Detail zurück. Wie er in ihr Büro gestürmt war und sie beim Essen von Crackern ertappt hatte. Die plötzliche Ohnmacht. Ihr abwehrendes Verhalten. Dass sie sich nun standhaft weigerte, ausgerechnet diese Probe abzugeben … Wenn keine Drogen dahintersteckten, wie Olive unmissverständlich versichert hatte, kam nur ein Grund infrage.

„Olive“, sagte er, und seine Stimme klang beinahe drohend. „Bist du schwanger?“

5. KAPITEL

Olive hatte das Gefühl, als stürzten die brokatverkleideten Wände dieser merkwürdigen Arztpraxis über ihr zusammen. Mit Unschuldsmiene erwiderte sie: „Nicht dass ich wüsste.“

„Keine Anzeichen?“, fasste er hartnäckig nach.

„Ich … ich weiß nicht.“

„Dann mach endlich diesen verdammten Test“, befahl er.

„Du kannst mich nicht zwingen.“

„Olive“, sagte er.

„Ich …“

Ihr Gesicht war plötzlich bleich. „Nicht wieder ohnmächtig werden“, befahl er.

„Man fordert niemanden auf, nicht in Ohnmacht zu fallen“, erwiderte sie. „Es ergibt keinen Sinn, derartige Befehle zu erteilen. Schließlich wird niemand freiwillig ohnmächtig. Wenn du mich weiterhin so anstarrst, weicht mir auch noch das letzte Blut aus dem Kopf, und ich falle wirklich um.“

Das Atmen fiel ihr schwer, und sie presste erneut den Handrücken gegen ihre Stirn. „Für das Ausbleiben der Regel gibt es die verschiedensten Ursachen.“

„Aber die wahrscheinlichste ist eine Schwangerschaft“, erwiderte die Arzthelferin.

Olive wurde schwindlig. Sie hatte keine Vorstellung davon, wie es war, Mutter zu sein. Diese Option hatte sie einfach nie in Erwägung gezogen, und die Aussicht, dass sich ihre ganze Welt mit einem Schlag verändern könnte … war unerträglich.

„Meine Regel ist lediglich zweimal ausgeblieben.“

„Sodass eine Schwangerschaft im Bereich des Wahrscheinlichen liegt“, stellte die Arzthelferin fest.

„Sie habe ich nicht gefragt“, gab Olive gereizt zurück und richtete ihren ganzen Zorn auf die arme Frau, die ihr blass und ratlos gegenübersaß.

„Immerhin müsste ich dann nicht länger fürchten, von dir hinter Gitter gebracht zu werden“, erwiderte Olive und lächelte schwach. Was für ein geschmackloser Scherz, fand sie.

„Führen Sie den Test durch“, sagte Gunnar an die Arzthelferin gewandt. „Aber bitte mit oberster Priorität.“

Olive kapitulierte. Wie die gesamte Praxis war auch das Bad geschmackvoll und luxuriös ausgestattet: pinkfarbene Tapeten, in der Ecke eine mit glänzendem Samt bezogene Chaiselongue. Na großartig, ging es ihr durch den Kopf. Noch eine Couch, um ohnmächtig zu werden.

Die funktionellen Laborbecher standen in seltsamem Gegensatz zu der restlichen Ausstattung der Praxis. Schnell füllte sie den Becher und stellte ihn in die dafür vorgesehene Nische in der Wand. Dann setzte sie sich kurz auf den Rand der Chaiselongue und legte sich schließlich darauf. Das Herz schlug ihr fast bis zum Hals. Was sollte sie tun? Was sollten sie und Gunnar tun?

Er war wütend auf sie, kochte geradezu vor Zorn. Und sie musste gestehen, dass er jedes Recht dazu hatte. Sie hatte krampfhaft nach Wegen gesucht, ihr Verhalten zu rechtfertigen, all dem einen Anstrich von Rationalität zu verleihen, damit es sich irgendwie … vernünftig anfühlte.

Sie hatte sich um jeden Preis von ihm befreien, endlich die quälenden Gefühlsaufwallungen loswerden wollen, die sie bei seinem Anblick jedes Mal heimsuchten.

Alles war auf diesen einen Punkt zugelaufen: ihre eine große Schwäche hinter sich zu lassen, um ihre vorherbestimmte Zukunft wieder in die eigenen Hände nehmen zu können.

Und dann stand plötzlich alles auf der Kippe.

Jemand klopfte vorsichtig an die Tür.

„Ich muss mich kurz ausruhen“, rief sie gereizt.

„Ich bin’s nur“, erwiderte die Arzthelferin und trat ein.

„Und, haben sie ihm das Ergebnis bereits mitgeteilt?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Selbstverständlich nicht. Es ist Ihr Testergebnis, Olive, nicht seins. Ich weiß ja auch gar nicht, in welchem Verhältnis Sie zu ihm stehen …“

„Ach wirklich? Lesen Sie keine Zeitungen?“

„Okay“, erwiderte die Frau und hob beschwichtigend die Hände. „Ich versuche so zu tun, als würde ich Sie beide nicht kennen.“

„Und das Ergebnis?“

„Wissen Sie es nicht längst, Olive?“ fragte die Arzthelferin sanft.

Plötzlich liefen Tränen über ihr Gesicht. Sie war der Frau unendlich dankbar, dass sie das Testergebnis vertraulich behandelt hatte, denn sie hätte es nicht ertragen, vor Gunnar das heulende Elend zu werden.

Was für ein merkwürdiges, neurotisches und einsames Leben sie führte! Ihr Vater war gestorben, ihre Mutter hatte sie nicht gekannt, und dabei hätte sie die beiden gerade jetzt so sehr gebraucht.

Obwohl sie für ihren Vater eine Enttäuschung wäre. Sie spürte diese Erkenntnis wie eine erdrückende Last.

„Was soll ich tun?“

„Die Entscheidung liegt bei Ihnen. Sie sind nicht verpflichtet, ihm das Testergebnis mitzuteilen. Erzählen Sie ihm irgendeine Geschichte.“

Doch Olive wusste nur zu gut, dass man einen Gunnar Magnusson nicht anlog.

„Also auf in den Kampf!“

Sie atmete tief durch und wappnete sich für das, was nun kam. Dann rief sie sich die Beweggründe für ihr Verhalten der zurückliegenden Monate in Erinnerung, die ja durchaus Hand und Fuß gehabt hatten.

Auch dieser Situation würde sie letzten Endes einen Sinn abringen. Aber Feigheit lag ihr nicht. Also nahm sie sich vor, das Heft selbst in die Hand zu nehmen.

Immerhin war sie niemand Geringeres als Olive Monroe, Geschäftsführerin von Ambient Technologies, der beigebracht worden war, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und Gunnar war … Er war halt Gunnar… Aber seine Erbanlagen …

Gott im Himmel, ging es ihr durch den Kopf, ein Kind von ihnen beiden musste ein Genie werden.

Das Kind … Bereits jetzt stand fest, dass sie es bekommen würde.

Du weißt genau, dass das feststeht, meldete sich eine innere Stimme zu Wort.

Als sie sich nach einem tiefen Atemzug auf den Weg ins Wartezimmer machen wollte, kam die Arzthelferin noch einmal zu ihr herein. „Die Infusion“, sagte sie.

Kurz darauf fand sich Olive in einem stilvoll eingerichteten Ruheraum wieder, an eine Kanüle mit Nährflüssigkeit angeschlossen, in eine weitere Decke gehüllt.

Sicher kein würdevoller Anblick, ging es ihr durch den Kopf.

Zu allem Überfluss befand sich Gunnar in dem Raum und blickte sie, die Arme vor dem muskulösen Brustkorb verschränkt, streng an.

„Also“, begann sie, trotz der weichen, flauschigen Decke um Haltung bemüht, den Arm auf ein Kissen gestützt. „Ich bin schwanger“, sagte sie. „Interessant, nicht?“

„Interessant ist wohl kaum der richtige Ausdruck“, erwiderte er.

„Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht sicher, dass du der Vater bist.“

In seinem Blick stand plötzlich ein bedrohliches Funkeln. Olive fühlte sich in einen ihrer Wikingerromane versetzt.

„Ach nein?“, fragte er mit verdächtig ruhiger Stimme.

„Es könnte doch sein, dass …“

„Willst du mir weismachen, dass die Liebhaber seit unserem Techtelmechtel bei dir Schlange gestanden haben?“

„Klingt, also würdest du dich nicht dazuzählen.“

„Vorsicht, Olive Monroe. Du begibst dich auf gefährliches Eis. Also, ist das Kind von mir?“

„Bin ich Hellseherin?“, erwiderte sie. Ihr war plötzlich übel.

Natürlich war es von ihm. Außer ihm hatte sie noch nie einen Mann nackt gesehen, von Sex ganz zu schweigen. Sie hatte nie jemand anderen als ihn begehrt. Die Situation war völlig verkorkst. Das Paradebeispiel einer aus dem Ruder gelaufenen Jungmädchenfantasie.

Ihr Vater hatte ihr beigebracht, nie ohne Druckmittel in eine Verhandlung einzusteigen, und was sie jetzt brauchte, war Zeit, um ein solches Druckmittel ausfindig zu machen. Zumindest brauchte sie irgendeinen Anhaltspunkt.

Doch sie befand sich in einer Schockstarre.

Dabei war eine Schwangerschaft nach ungeschütztem Sex das Logischste auf der Welt.

Dabei hatte sie doch nur etwas empfinden, Gunnar ganz nah sein, sich endlich der Verlockung hingeben wollen, die seine Hände und sein Körper ihr all die Jahre versprochen hatten. Und nun lag sie hier in dieser Arztpraxis.

6. KAPITEL

Man hätte Olives Wutschrei beinahe als grotesk empfinden können, wäre Gunnar nicht ebenso wütend gewesen. Er hatte nichts und niemanden an sich herankommen lassen, und nun war ausgerechnet die Frau, die ihm den Kopf verdreht hatte, von ihm schwanger.

„Dein Stammhalter“, sagte sie. „Dass ich nicht lache. Hast du vergessen, dass ich die Inhaberin einer der größten Tech-Konzerne weltweit bin …“

„In Kürze ehemalige Inhaberin, auch wenn ich dich als Geschäftsführerin behalte. Ich brauche dein gutes Image.“

Sie schälte sich aus den Decken, ohne Rücksicht auf die Infusion, deren Kanüle in ihrer Hand steckte. „Ich gebe meine Firma nicht her.“

„Wer mit dem Feuer spielt, läuft Gefahr, sich zu verbrennen, Olive. Dein Protest ist wenig überzeugend. Du hättest daran denken sollen, bevor du es gewagt hast, mich reinzulegen. Mit mir ist nun einmal nicht zu spaßen.“

„Mit mir erst recht nicht“, erwiderte Olive, schäumend vor Wut.

Sogar in ihrem jammervollen Zustand, nur mit dem obligatorischen schwarzen Rollkragenpullover und einer schwarzen Hose bekleidet, ungeschminkt, das braune Haar zu einem flachen Dutt zurückgebunden, wirkte sie ausgesprochen verführerisch. Nur zu gut erinnerte er sich, wie es sich angefühlt hatte, sie zu lieben, ihren Körper zu liebkosen und fest von ihr umschlossen einem triumphalen Höhepunkt entgegenzustreben. Dass sie seither andere Liebhaber gehabt haben könnte, sollte ihn wohl rasend machen vor Eifersucht. Er selbst hatte keine andere Frau auch nur angesehen.

Er saß neben ihr und beobachtete, wie die Infusionsflasche sich langsam leerte und die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte.

Als die Nährflüssigkeit durchgelaufen war, kam die Arzthelferin zurück und entfernte die Kanüle aus Olives Handrücken.

„Brauchen Sie Hilfe, um sie zum Wagen zu bringen?“, fragte sie.

„Nicht nötig.“

Er hob sie aus dem Bett und nahm die Decken mit. „Ich sorge dafür, dass es ihr an nichts fehlt.“

Er hatte mit Widerstand gerechnet, doch stattdessen fühlte sie sich verdächtig schlaff an. Enttäuscht gestand er sich ein, dass er es lieber hatte, wenn sie stöhnte und ihre Krallen ausfuhr.

Doch Olive schien plötzlich völlig erschöpft zu sein.

Er trug sie nach draußen, wo sein Fahrer im Wagen auf sie wartete.

„Zum Flughafen“, ordnete er an.

„Aber ich habe nichts bei mir“, wandte sie ein. „Und wer füttert meinen Goldfisch?“

„Du besitzt einen Goldfisch?“

Gunnar stellte erfreut fest, dass ihre Lebensgeister zurückkehrten.

„Nein“, antwortete sie. „Aber wäre doch möglich.“

„Wäre es nicht, das weißt du so gut wie ich. Falls du wirklich einen hättest, würdest du garantiert einen Weg finden, ihn über eine Handy-App zu ernähren.“

„Handy-App. Für einen Technikfreak klingst du wie ein Dinosaurier.“

„So oft wie du geschäftlich unterwegs bist, ist deine Wohnung sicher optimal dafür ausgelegt, dass du jederzeit alles stehen und liegen lassen kannst.“

„Ich stecke mitten in einem wichtigen Projekt und habe keine Zeit, mit dir zu verreisen.“

„Dann hast du wenigstens auch keine Zeit, mich zu verraten“.

Wie das klingt, dachte Olive. Verraten.

Sie waren Feinde, genauer gesagt Konkurrenten. Ziemlich sicher handelte es sich also gar nicht um Verrat.

Es sei denn, sie hatte Verrat an dem Bild begangen, das er sich von ihr gemacht hatte, wo er es doch so hasste, sich zu täuschen.

„Das kommt auf den Blickwinkel an“, erwiderte sie. „Und ich kann nicht glauben, dass du mich …“

„Würde ich auch nicht. Wäre ich ein Mann von diesem Schlag, hättest du es längst zu spüren bekommen, Olive. Dann hätte ich dich längst in den Ruin getrieben.“

Den Rest der Strecke zu Gunnars Privatjet schwiegen sie.

Das sportlich geschnittene Flugzeug wartete auf der Rollbahn. Das Haus, das er in Island bewohnte, lag versteckt zwischen zerklüfteten Felsen direkt über einer heißen Quelle und war sein einziger Rückzugsort. Niemand kannte dieses Refugium, nicht einmal die Medien. Der perfekte Ort, um Olive dorthin zu entführen.

Autor

Millie Adams
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Jackie Ashenden
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Caitlin Crews
Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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