Julia Extra Band 528

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SINNLICHER SKANDAL IM PALAST von CAITLIN CREWS
Kronprinz Zeus verführt die mittellose Zofe Nina zu einer einzigen Nacht der Lust. Natürlich nur, um einen Skandal zu provozieren! So entgeht er der standesgemäßen Pflichtehe, die sein Vater arrangiert hat. Der perfekte Plan – bis Nina ihn mit einem süßen Geständnis überrascht …

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  • Erscheinungstag 03.01.2023
  • Bandnummer 528
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518086
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caitlin Crews, Lucy King, Dani Collins, Kate Hewitt

JULIA EXTRA BAND 528

1. KAPITEL

Schlösser, Paläste und all diese Insignien des Königtums, dachte Nina Graine nüchtern, sind in der Fantasie viel schöner als in der Realität. Sie musste es wissen, denn sie hatte ausreichend von dieser Realität erlebt. Als sie noch im Waisenhaus lebte, wo sie aufgewachsen war, hatte auch sie sich märchenhafte Schlösser vorgestellt, in denen fröhliche Lieder erklangen und glückliche Menschen im Kreise tanzten. Tausende Mal hatte sie davon geträumt. Doch dann lernte sie die Realität kennen: Schlösser waren dunkle, zugige alte Gemäuer. Die meisten waren früher Festungen gewesen, an Orten erbaut, wo plündernde Armeen und Barbaren mit einem Minimum an Aufwand abgewehrt werden konnten. Sie waren vollgestopft mit muffigen Wandteppichen und Trophäen vergangener Schlachten. Mochten sie auch noch so gründlich modernisiert worden sein, es spukten immer zu viele Geister darin herum.

Bei Palästen hingegen ging es weniger ums Verteidigen als vielmehr ums In-Szene-Setzen: „Seht mich an“, rief ein Palast. „Ich bin schöner als alle anderen!“ So auch der Palast des Königreichs Theosia, einer sonnigen Insel im Mittelmeer. Die Könige von Theosia hatten ihn „Palast der Götter“ genannt.

Fast wären Nina die derzeitigen Bewohner des Palastes in den Sinn gekommen: der alte, kranke König Kronos und sein einziger Sohn und Erbe, der ruchlose, skandalumwitterte, beunruhigend attraktive Prinz Zeus. Doch sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den stickigen kleinen Raum, in dem man sie warten ließ. Ein Raum, wie es ihn wohl in jedem Palast gab: versteckt im Verwaltungstrakt, den ein königlicher Fuß nur selten betrat.

Nina war hierhergebracht worden, nachdem sie einer Reihe von Palastwächtern ihr Anliegen vorgetragen hatte. Schließlich hatte man sie an das Palastpersonal übergeben, und der hochnäsigste und herablassendste Butler, der ihr je begegnet war, führte sie in diesen Raum.

Nina versuchte, es sich auf einem Sofa bequem zu machen, das anscheinend einzig und allein dem Zweck diente, Störenfriede zu entmutigen. Kein Wunder, dass es unten im Keller stand, dort, wo alle Arten von kleinen Grausamkeiten und heftige Rangordnungskämpfe herrschten: Im Untergeschoss – so war es in jedem Königreich oder aufgeblasenen Fürstentum – wurde ein Palast der Götter zum Palast der Gorgonen. Könige und Königinnen übten Macht aus, führten Kriege und erteilten Befehle. Sie setzten Prinzen und Prinzessinnen in die Welt, die durch ihr ausschweifendes Leben zu grausamen Menschen wurden. Aber das war nicht einmal deren eigene Schuld, ihr blaues Blut machte sie von Natur aus unausstehlich. Die Leute jedoch, die unterwürfig und intrigant den Regenten hinterherwieselten, die konnte Nina wirklich nicht ausstehen: die Höflinge des Palastes und das arrogante Personal. Bei denen war das nicht angeboren, die waren freiwillig so. Und so unterwürfig sie ihren Monarchen gegenüber waren, so niederträchtig zeigten sie sich hinter den Kulissen. Man hätte sich im finstersten Mittelalter wähnen können, in dem ein bösartiges Gerücht, ins richtige Ohr geflüstert, direkt zur Enthauptung führte. In der heutigen Zeit wurden Enthauptungen allerdings nicht mehr mit dem Beil, sondern von der Presse vollzogen: Eine einzige Schlagzeile genügte, um den Ruf zu zerstören. Warum ein Beil schwingen, wenn man mit Klatsch und Tratsch dasselbe erreichen kann?

Nina kannte das alles nur zu gut. Sie war am Vortag ihres 16. Geburtstags die Erste Hofdame Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Isabeau von Haute Montagne, einem kleinen Königreich in den Alpen, geworden. Diese Position hatte sie sich weder gewünscht noch gefiel sie ihr, und sie wäre überglücklich gewesen, sie wie vorgesehen loszuwerden. Doch leider hatte sich ihr Fortgang aus Haute Montagne verkompliziert.

Über diese Komplikationen grübelte sie nach, während sie unruhig auf dem unbequemen Sofa hin und her rutschte. Die Palastwachen hatten ihre persönlichen Gegenstände konfisziert, es gab also nichts, um sich abzulenken. Kein Handy. Keine Snacks. Es war eine absolute Tortur.

Auch das Baby in ihrem Bauch – es war wie sie wohl hungrig – wurde unruhig. Es begann zu treten. Nina musste lächeln. Sie strich sich mit den Händen über den Bauch und murmelte beruhigende Worte. Schon bald würde jemand sie holen. Und dann würde sie dem Kerl gegenüberstehen, der für ihren Zustand verantwortlich war: Prinz Zeus. Allein der Gedanke an diesen Namen bestärkte sie in ihrer Entschlossenheit, das hier durchzuziehen, schon um ihres Kindes willen.

Nina seufzte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den überladenen kleinen Raum. Die Möbel waren zu klobig und steif für diesen Palast, der ganz in strahlendem Weiß gehalten war, „um das Meer anzulocken“, wie es in Reiseführern hieß. Dabei waren die allzu selbstgefälligen Monarchen Theosias einst viel mehr damit beschäftigt gewesen, das Meer zu beherrschen, als es anzulocken.

Auf ihrem Flug von Athen hierher konnte Nina bereits einen Blick durchs Fenster auf den „Palast der Götter“ werfen. Wie sie wusste, galt er dank seiner hohen Decken und offenen Torbögen als Prachtstück neoklassizistischer Architektur des 18. Jahrhunderts. Sie hatte die letzten Monate damit verbracht, alles über diesen Bau zu lesen, während sie sich langsam damit abfand, dass sie wohl oder übel würde herkommen müssen. Manchmal war es ihr gelungen, über die Lektüre alles um sich herum zu vergessen, so wie Lesen ihr damals half, als sie sich plötzlich gegen ihren Willen bei Isabeau wiederfand.

Nina hatte nie auf eine Universität gehen können. Hätte Fürstin Isabeau sie nicht eines schönen Tages für ihre Waisenhauskampagne ausgewählt, um nach einem ihrer vielen Skandale als Wohltäterin aufzutreten, wäre Nina am nächsten Tag, ihrem 16. Geburtstag, endlich aus der Obhut des Staates entlassen worden. Sie wäre in die Welt hinausgezogen, hätte ihr eigenes Leben gelebt und wäre herrlich frei gewesen. Allerdings hätte sie dann wahrscheinlich auch weniger Bildung genossen, das war ihr bewusst.

Isabeau zeigte wenig Interesse für den Privatunterricht, zu dem ihr Vater sie nötigte. Meistens erschien sie nicht einmal. Und so kam stattdessen Nina in den Genuss der allerbesten Privatlehrer Europas. Und sie hatte tatsächlich jeden Augenblick des Unterrichts genossen. Wenn sie schon gezwungen war, Isabeau ständig zu begleiten, dann konnte sie genauso gut Profit daraus schlagen. Also hatte sie alles eingehend studiert: jedes Schloss, jeden Palast, jede Privatinsel und jeden anderen prachtvollen Ort, an den sie gemeinsam mit Isabeaus gehässigem Gefolge geschleppt wurde. Sie lernte alles über diese Bauten und ihr Interieur, was es zu wissen gab. Am faszinierendsten fand sie jedoch die Kunst, die diese Adligen zu horten pflegten. Museen waren schön, die wahren Sammlungen befanden sich jedoch in den Privathäusern von Sammlern mit bedeutenden Stammbäumen und über Jahrhunderte angehäuftem Vermögen.

Nina hatte es geliebt, sich davonzustehlen, um sich in der Galerie des herrschaftlichen Hauses umzusehen, in dem sie sich jeweils gerade aufhielten, während Isabeau dort einen ihrer vielen Liebhaber beglückte. Daher wusste sie auch, dass das wandgroße Gemälde ihr gegenüber, die satirische Darstellung eines Höflings von vor 300 Jahren war. Der Gedanke, dass diese Art Mensch immer schon abstoßend gewesen war, hatte etwas Tröstliches. Es war klar: Solange es Könige gab, wimmelte es von Höflingen.

Sie erzählte ihrem ungeborenen Baby gerade von der makedonischen und venezianischen Vergangenheit Theosias, als sich endlich die Tür der kleinen Kammer öffnete. Nina wappnete sich, doch in der Tür stand natürlich nicht Prinz Zeus. Nein, es war der streng dreinblickende Butler, und sie hatte den Eindruck, er verzöge verächtlich seine schmalen Lippen, ohne auch nur einen einzigen Muskel seines Gesichts zu bewegen. Wirklich beeindruckend, dachte Nina.

„Sprachen Sie gerade mit jemandem?“, fragte er, jede Silbe vor Hochmut triefend. Im selben Tonfall hatte er kundgetan: „Ich bin Thaddeus“, bevor er sie hierherbrachte.

„Ja“, sagte Nina. Sie starrten sich an. Nina tätschelte ihren Bauch, zugegebenermaßen etwas theatralisch. „Und zwar mit dem königlichen Spross in meinem Mutterschoß.“ Dabei betonte sie das Wort „Schoß“ vielleicht etwas zu sehr, doch das war es wert, denn nun hatte sie das köstliche Vergnügen, lächelnd zuzusehen, wie der Butler versuchte, seine Abscheu zu verbergen. Das tat er sicherlich nicht aus Rücksicht auf ihre Gefühle, sondern weil ihm zweifellos in den Sinn kam, dass besagter Bewohner ihres Schoßes in der Tat der Erbe des Königreichs sein könnte. Und ein guter Bediensteter achtete immer darauf, es sich mit niemandem zu verscherzen. Nina kannte die Denkweise dieser Leute nur zu gut. Sie gehörte weder zum Personal noch zu den Höflingen und wurden deshalb von allen Seiten abschätzig behandelt.

„Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss“, sagte der Mann herablassend-kühl. Die leichte Betonung auf „Miss“ sollte sie wohl daran erinnern, dass sie weder einen Titel noch seiner Ansicht nach überhaupt ein Recht hatte, hier zu sein. Sein Tonfall gab ihr zu verstehen: Ich habe hier schon viele Flittchen gesehen, und ich bin sie alle losgeworden.

„Seine Königliche Hoheit erklärte sich bereit, Ihnen eine Audienz zu gewähren.“

Man hatte Nina wiederholt weismachen wollen, es sei nicht möglich, den Prinzen zu sprechen. Vielleicht sei er ohnehin nicht da. Sie hatte allerdings die Fahne hoch über dem Palast bemerkt, mit der der Herrscher sein Volk über seine Anwesenheit informierte. Also hatte sie nur freundlich gelächelt, ihre Situation immer wieder erklärt, gewartet und, wenn nötig, sowohl ihren unübersehbaren Bauch als auch den fotografischen Beweis dafür präsentiert, dass sie den Prinzen sehr wohl kannte, und, ja, auf genau diese Art und Weise.

Prinz Zeus war ständig in Skandale verwickelt, doch dieser war in allen internationalen Medien kommentiert worden. Offenbar bin ich etwas Besonderes, dachte Nina. Sie unterdrückte den leichten Anflug einer Gefühlsregung und setzte das spitze Lächeln auf, das sie am Hof von Haute Montagne einstudiert hatte.

„Wie gnädig vom Prinzen, sich mit seinen Fehltritten zu befassen“, murmelte sie. Dann erhob sie sich langsam. Eigentlich eine einfache Bewegung, aber nicht mehr, wenn man im sechsten Monat schwanger war.

Hocherfreut sah sie die Fassade des Butlers ein klein wenig bröckeln, als er bemerkte, wie unbeholfen sie aufstand. Aber sie war ja schließlich schwanger. Man behandelte sie allerdings immer, als hätte sie das Kind ganz allein gezeugt. Es war zwar gerade wenig hilfreich, doch Nina verlor sich kurz in Erinnerungen an die Nacht der – unfreiwilligen – Zeugung … Wie oft hatte sie in den letzten Monaten von jener Nacht geträumt und war erhitzt und voller Verlangen aufgewacht …

Hör auf, rief Nina sich ärgerlich zur Räson. Dank jahrelanger Übung sowohl im Waisenhaus als auch im Gefolge Prinzessin Isabeaus schaffte sie es, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Sie folgte dem arroganten Butler aus den Tiefen des Palastes hinauf in schimmernde Säle von zeitloser Pracht, die wirkten, als wandelten hier tatsächlich Götter umher. Nina musste zugeben, sie war beeindruckt.

Hin und wieder erhaschte sie auf spiegelnden Oberflächen einen Blick auf ihre Kontur mit dem vorstehenden Bauch, der ihr immer noch etwas fremd war.

Abgesehen davon war sie mit ihrer Erscheinung bestens vertraut. „Hier kommt unser Pummelchen“, trällerte Isabeau ständig und tat so, als sei dies ein liebevoller Spitzname. „Beeil dich, du blöde Henne!“ schimpfte sie, während Nina ihr hinterherging und sich zwang, lächelnd für sich zu behalten, was sie von solchen Kosenamen hielt. Andere zu verletzen gehörte zu den größten Freuden der verwöhnten Prinzessin, und Nina tat ihr Bestes, sie nicht merken zu lassen, dass sie bei ihr damit absolut keinen Erfolg hatte. Abfällige Bemerkungen einer Prinzessin konnten an den alltäglichen Umgang in einem Waisenhaus nicht heranreichen.

Da Isabeau sie als Henne bezeichnete, wurde Nina zu einer Henne. Sie kleidete sich so altbacken wie möglich, um die Prinzessin zu ärgern, die selbst eine Stil-Ikone war. Nicht nur wirkten Ninas Kleider nie ganz angemessen, sie achtete auch darauf, dass sie ihr nicht richtig passten. Sie brachte ihre Frisur durcheinander und tat so, als merkte sie es gar nicht. Und sie machte sich einen Spaß daraus, in Isabeaus Gegenwart ständig Süßigkeiten und Kuchen zu essen, denn die Sorge der Prinzessin, sich ihre Figur zu ruinieren, grenzte fast schon an Besessenheit.

Nina gefiel ihr Hennen-Image sehr gut. Für die Begegnung heute hatte sie ein Umstandsoutfit ausgesucht, das sie am ehesten wie eine Landpomeranze aussehen ließ. Sie hätte ihr Haar frisieren oder zumindest kämmen können. Stattdessen kräuselte es sich wild um ihren Kopf, wie sie feststellte, als sie sich in der polierten Oberfläche einer antiken Maske spiegelte, die wie eine in Bronze gegossene Missbilligung an der Wand hing.

Thaddeus schritt zügig voran, er hatte es offenbar eilig, also verlangsamte sie ihren Schritt und begann unbeholfen zu watscheln. Als er ihr mit einer Handbewegung zu verstehen gab, sie solle an Tempo zulegen, lächelte sie nur freundlich und ging noch langsamer. Sie wollte tun, was nötig war, sonst wäre sie nicht hergekommen. Aber dabei konnte sie ja ruhig ein bisschen Spaß haben. Das war auch während der gesamten ihr aufgebürdeten Zeit bei der Prinzessin ihre Philosophie gewesen. Sie war die kleine aus der Armut gerettete Waise, von der man winselnde Dankbarkeit für jedes ihr hingeworfene Häppchen erwartete. Dabei wäre sie absolut zufrieden gewesen, hätte man sie in ihrer Gosse sich selbst überlassen. Doch insgeheim hatte sie Spaß: ihre Kleidung, ihr unablässiger Süßigkeiten- und Kuchenkonsum … Ständig war sie mit Krümeln übersät, was Isabeau in Rage versetzte. Oft stellte sie sich dumm oder taub, immer gerade dann, wenn es die Prinzessin, wie sie wusste, am meisten ärgerte. Niemand im Hause Haute Montagne durfte sich natürlich offen gegen die Prinzessin auflehnen, doch es gab immer Mittel und Wege.

Während sie unter einer weiteren Reihe vergoldeter Bögen hindurchging, machte Nina sich bewusst, dass sie auch jetzt wieder Mittel und Wege finden würde. Sie strich mit den Händen über ihren Bauch, wo das Baby sich bemerkbar machte. Die Folgen dieses letzten Aktes der Rebellion gegen Isabeau waren von ihr nicht beabsichtigt gewesen, das gestand sie gern ein. Anfangs hatte sie gemeint, gut damit leben zu können. Doch da waren die Folgen nur die Entlassung aus Isabeaus Diensten gewesen sowie zahllose Zeitungsartikel, die als Quelle immer nur „eine Person aus dem Kreise der Prinzessin Isabeau“ nannten und in denen sie als Schandfleck der Nation oder noch Schlimmeres bezeichnet wurde.

Aber diese Folgen sind etwas anderes als ein kleiner Skandal und von gehässigen Menschen beschimpft zu werden, dachte sie und ließ eine Hand auf ihrem Bauch liegen, während sie weiterging. Wieder durchströmte sie diese warme Welle der Liebe, wie so oft zurzeit. Dieses Baby war zwar nicht geplant, aber sie wollte es behalten. Nie zuvor hatte sie etwas so sehr geliebt wie dieses kleine Wesen in ihrem Bauch, das kleine Geschenk, das sie kaum erwarten konnte.

Mit dem dazugehörigen Tamtam öffnete Thaddeus nun eine imposante Tür und geleitete Nina hindurch.

„Eure Königliche Hoheit“, sagte er, „Miss Nina Graine. Ihr … Gast.“

Nina musste blinzeln, als sie sich umsah. Sie stand in einem großen lichtdurchfluteten Raum. Durch Fenstertüren mit schön geschwungenen Bögen strömte Sonnenlicht herein. Über dem blauen Mittelmeer kreisten Seevögel, und von der Terrasse wurde ein leichter Duft von Bougainvilleen, Geißblatt und Jasmin hereingeweht.

Nina fand, dieser königliche Salon wirkte eher wie ein Tempel.

Wie allein durch diesen Gedanken herbeigerufen, trat plötzlich eine Gestalt aus dem blendenden Licht der Sonne auf sie zu. Es war ein Mann. Nicht irgendeiner, sondern Zeus. Er war in Licht getaucht, als hätte er es herbeigezaubert, und trug nichts als eine weich fließende weiße Hose, die sich locker um seine Hüften schmiegte.

Er war einfach überirdisch schön. Nina konnte nicht anders, als sich, was gerade sehr unpassend war, lebhaft daran zu erinnern, dass sie jeden Zentimeter dieses Körpers kannte. Gebannt von seinem Anblick wurde sie von heißen Flammen erfasst, die über ihre Brüste, ihren Bauch und das samtene Dreieck zwischen ihren Beinen züngelten.

Nina, nicht abschweifen, ermahnte sie sich.

Zeus kam näher. Sein dunkelblondes Haar war wie immer zerzaust, und um seine Lippen spielte dieses ewige, leicht spöttische Lächeln. Sie versuchte, ihn lächerlich zu finden, aber obwohl er barfuß war und nur eine Pyjamahose trug, wenn auch die königliche Version einer solchen, sah er einfach majestätisch und herrlich aus. Irgendwie ähnelte er der Bronzemaske, die sie in den Palastkorridoren gesehen hatte. Seine Gesichtszüge wirkten wie aus Stein gemeißelt und nicht wie die eines Mannes aus Fleisch und Blut. Doch Nina wusste: genau das war er.

Zeus kam näher, bis sie den verruchten Blick in seinen grünen Augen und seine wundervoll geschwungenen Lippen sehen konnte. Sie versuchte, sich gegen seine unwiderstehliche Anziehungskraft zu wehren, die den Raum auszufüllen und sie einzulullen schien. Doch ihr Puls raste, und ihr Herz pochte wie wild. Sogar ihr Baby hörte auf zu treten, als verharrte es in Ehrfurcht. Viel beunruhigender war jedoch, dass sie das Gefühl hatte, im lodernden Feuer des Verlangens, das sie ergriff, willenlos dahinzuschmelzen. Als hätte sie mit diesem Mann nicht schon genug Ärger gehabt!

Prinz Zeus von Theosia sagte kein Wort. Er stemmte die Hände in die schmalen Hüften, lächelte amüsiert und ging langsam einmal um sie herum. Er musterte sie, als sei sie eine Kuh auf einem mittelalterlichen Marktplatz!

Als er wieder von Angesicht zu Angesicht vor ihr stand, wurde aus seinem Lächeln ein lautes Lachen. Nina blieb kurz das Herz stehen, um dann schmerzhaft wieder anzufangen zu pochen.

Sie hatte eine kurze Rede mit den wichtigsten Informationen vorbereitet, um das weitere Vorgehen schnell mit ihm klären und dann zu ihrem Alltag zurückkehren zu können. Wenn jemand sie danach gefragt hätte, sie hätte beteuert, sie ließe sich nicht im Geringsten von königlichen Exemplaren jeglicher Couleur einschüchtern. Und doch konnte sie nun ihren Mund nicht dazu bringen, ihr zu gehorchen.

„Ich erinnere mich an dich“, sagte dieser unsterblich schöne Mann und klang dabei, als amüsiere ihn diese Tatsache. Und als sei es ein großes Kompliment für die Frau, die vor ihm stand und deren dicker Bauch ganz offensichtlich der Grund ihres Hierseins war.

Nina hatte die Nase voll von diesen Royals.

„Bist du dir da sicher?“, fragte sie schneidend und ignorierte, dass wegen ihres Tonfalls seine Augenbrauen in die Höhe schnellten. „Du erinnerst dich? Bei der Vielzahl an Frauen, die du gehabt hast?“

2. KAPITEL

Die kleine Henne, die ihn da angackerte, war eine sehr willkommene Abwechslung. Seine Königliche Hoheit, Kronprinz Zeus von Theosia, war schon viel zu lange zu Tode gelangweilt, und zwar seit er Nina zuletzt gesehen hatte. Nicht dass er allzu intensiv über seine seltsamen Gefühle nach jener Nacht nachgedacht hätte. Er hatte sie beiseitegeschoben und war schnell wieder in seinen gewohnten Zustand des Überdrusses zurückgekehrt.

„Ja, es war wohl eine Vielzahl, aber ein Gentleman zählt bei so etwas nicht mit.“

„Das muss er ja auch nicht, wenn die Boulevardpresse es für ihn tut“, gab sie schlagfertig zurück.

„Wie dem auch sei, ich erinnere mich an jede Frau, wenn auch nicht immer an ihr Gesicht, sondern eher an andere Körperteile“, versicherte Zeus ihr.

Nina schnaubte verächtlich. Oder verunsichert? Neugierig trat er näher an sie heran. Ihre Kleidung betonte jeden potenziellen Makel ihres Körpers, ihr Haar war nachlässig frisiert. Diese bizarre Erscheinung hatte es geschafft, an den Palastwachen vorbei zu ihm vorzudringen. Das hatten schon viele Frauen versucht, und die meisten waren gescheitert. Dass es ihr gelungen war, machte sie … interessant.

Ja, er erinnerte sich gut an Nina, nicht nur an ihre gemeinsame Nacht. Sie war ihm schon aufgefallen, als sie die letzten Jahre im Gefolge Prinzessin Isabeaus umhergehuscht war. Im Gegensatz zu Isabeau, die so viel auf ihr Aussehen gab und den Glamour kultivierte, schien dieses seltsame, plumpe Mädchen, das sich immer im Hintergrund hielt, unempfindlich gegenüber jeglicher Kritik zu sein. In ihrer gemeinsamen Nacht in Haute Montagne hatte er jedoch entdeckt, welch kluges, wunderbares Geschöpf sich unter dieser Verkleidung und hinter der Maske des Dummchens verbarg. Und die Erkenntnis hatte ihn fast bei lebendigem Leibe verbrannt. Damit setzte er sich nicht gern auseinander, ebenso wenig wie mit der Tatsache, dass ihr Verschwinden nach ihrer gemeinsamen Nacht ihn … verunsichert hatte.

Er zwang sich zu einem spöttischen Lächeln. „Die meisten Frauen, die mit ausgefahrenen Krallen versuchen, sich an der Palastwache vorbei einen Weg zu einer Audienz bei mir zu bahnen, haben es im Gegensatz zu dir jedoch nicht geschafft, den armen Thaddeus zu überzeugen, sie zu mir zu bringen.“

Darauf ging Nina nicht weiter ein, sondern blitzte ihn nur aus ihren schönen braunen Augen an und legte die Hände an ihren Bauch. Zeus vermutete, dass dieser Bauch etwas mit ihrem Erscheinen hier zu tun hatte. Doch davon würde er sich nicht beeindrucken lassen. Außerdem musste er nun seinen nächsten Schritt planen. Lässig steckte er die Hände in die Hosentaschen und betrachtete Ninas Gesicht. Zum ersten Mal seit Monaten verspürte er Faszination.

Nina riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich erinnere mich auch sehr gut an dich, allerdings nicht an irgendeinen Körperteil, sondern an dein Verhalten.“

„Wenn du damit den großen Dienst meinst, den du mir erwiesen hast, ja, das weiß ich auch noch“, sagte er träge.

Nina verdrehte die Augen – eine Reaktion, die normalerweise niemand in Zeus’ Gegenwart wagte. Ganz gleich, wie wenig er aufs Protokoll gab, er war immerhin der Kronprinz von Theosia.

„Ich denke, wir beide wissen, dass du mich benutzt hast“, fauchte Nina ihn nun an.

Zeus lachte auf. „Ich habe dich benutzt? Ich hatte den Eindruck, es war umgekehrt, und meine Funktion in der Nacht bestünde darin, einen Skandal zu provozieren, damit du gezwungen bist, ein Leben an den Nagel zu hängen, das dir insgeheim ohnehin nie gefiel.“

„Mach dich nicht lächerlich“, schnaubte die kleine Henne, und eine Haarsträhne löste sich aus dem stümperhaft festgesteckten Knoten auf ihrem Kopf. „Ich war nichts weiter als eine Hofdame. Du hingegen warst nicht nur Anwärter auf einen Thron, du warst auch verlobt“, fuhr Nina unbeirrt fort. „Mit einer Frau, die dir seit dem Tag ihrer Geburt versprochen war. So wie es eure Väter in einem Vertrag festgelegt haben, der europaweit in der Boulevardpresse breitgetreten wurde, wenn mal wieder einer von euch beiden mit jemand anders gesehen wurde.“

„Väter sind ja solche Wichtigtuer“, murmelte Zeus. „Ständig arrangieren sie etwas und sind dann überrascht, wenn man nicht Teil dieses Arrangements sein will.“

„Das kann ich nicht beurteilen“, antwortete Nina kühl, fast zynisch. „Mein Vater starb, als ich fünf war, und die einzigen Arrangements, die je für mich getroffen wurden, haben Waisenhäuser und Prinzessinnen gemacht.“

„Und beide haben dir nicht sonderlich gefallen, wenn ich mich recht entsinne.“

„Wie dem auch sei: Du warst verlobt, und zwar mit meiner Herrin.“

Das war eigentlich Zeus’ ausschlaggebendes Motiv gewesen. „Ja, verlobt mit der allerliebsten Isabeau, der giftigsten Schlange Europas“, seufzte er. Viel lieber hätte er Ninas Reize gepriesen, doch die sah aus, als würde sie ihm gleich ins Gesicht springen. „Es wäre bestimmt eine sehr liebevolle Verbindung geworden.“

Isabeaus mieser Charakter war nicht der Grund gewesen, weshalb Zeus sie nicht hatte heiraten wollen. Er wollte gar nicht heiraten und hatte die Übereinkunft in Frage gestellt, die ohne seine Mitsprache zustande gekommen war. Doch seine königliche Verlobte wollte hoch hinaus. Ihr Königreich war kaum größer als eine Skipiste, und sie träumte davon, Königin von Theosia zu werden. Also hatte Zeus einen Weg finden müssen, sie vor ihrem dreißigsten Geburtstag zur Auflösung der Verlobung zu bringen. Hätte er das selbst getan, wäre er zu einer hohen Strafzahlung verpflichtet gewesen. So stand es im Vertrag ihrer Väter.

Die perfekte Lösung war ihm während eines der todlangweiligen Dinners bei einem seiner verhassten Besuche in Haute Montagne eingefallen. Er hatte nämlich Isabeaus kleines „Haustier“ entdeckt, und seine Pläne hatten eine Wendung genommen. Zeus war sehr zufrieden mit sich gewesen.

Aber jene Nacht mit Nina war nicht nach Plan verlaufen. Denn auf eines war er nicht gefasst gewesen: Nina war völlig anders als die anderen Hofdamen, die seine ungewollte zukünftige Braut umschwirrten. Ihre Unschuld und ihre Leidenschaft hinterließen einen bleibenden Eindruck bei ihm. Er würde jedoch niemals zugeben, dass er, Zeus von Theosia, in den Monaten seit jener Nacht mehr als einmal an sie gedacht hatte. In den ersten Wochen hatte er sogar mehr getan, als nur an sie gedacht.

„Es war mir ein Vergnügen, dir dabei zu helfen, deine Verlobung zu lösen. Offenbar warst du ja nicht in der Lage, das selbst zu tun“, unterbrach Nina seine Gedanken. So sanft sie aus der Entfernung wirkte, so scharfzüngig war sie, wenn man ihr näherkam.

Doch Zeus ließ sich nicht provozieren. Gelassen zuckte er mit den Schultern. „Sie selbst zu lösen hätte zu viele unangenehme Folgen gehabt. Es war also weitaus schlauer, Isabeau das erledigen zu lassen. Du warst anscheinend der Tropfen, der das Fass bei ihr zum Überlaufen brachte.“

Nina schnaubte wieder entrüstet, was er süß, ja, reizend fand.

„Deine diversen Eskapaden haben Isabeau nie gestört. Sie hatte ja immer selbst ihren Spaß. Aber dass du eine Nacht mit der unscheinbaren Waise verbringst, die sie bei sich aufnahm, um barmherzig zu erscheinen, das hat sie nicht verkraftet. Aber gerade deshalb hast du mich ja wohl ausgewählt.“

„Ich habe es anders in Erinnerung: Uns beide hat der Blitz getroffen.“

Nina schüttelte den Kopf. „Das habe ich aber ganz anders in Erinnerung.“

„Hast du das, kleine Henne?“, fragte Zeus tadelnd. „Und ich erinnere mich, dass du in jener Nacht komplett auf deine Kosten gekommen bist.“

Zeus hatte sich die letzten sechs Monate eingeredet, sich kaum an die Nacht zu erinnern, aber das war eine glatte Lüge. Er erinnerte sich an jedes Detail: an die Hitze, die unbändige Wucht des Verlangens. Daran, wie seine königlichen Lippen über ihre geglitten waren und an die Reaktionen, die er ihr entlockt hatte. Daran, wie das Verlangen zu einer lodernden Flamme geworden war, die völlig außer Kontrolle geriet und in die er sich kopfüber hineinfallen ließ. Daran, wie Nina schmeckte, wie sie duftete. An die leisen Töne aus der Tiefe ihrer Kehle …

„Die Nacht ist leider etwas in meiner Erinnerung verblasst“, unterbrach Nina seine Fantasien, und ihre braunen Augen funkelten. Sie log, das erkannte er, und irgendwie fand er sie dadurch noch faszinierender. „Angesichts dessen, was am nächsten Morgen passierte.“ Sie sah ihn an, als erwarte sie, dass er Reue zeigte. Doch er enttäuschte sie und blieb absolut gelassen.

„Schwierige Zeiten erfordern drastische Maßnahmen“, sagte er mit dem lässigen Grinsen, das ihn schon aus unzähligen Notlagen gerettet hatte. Er bemerkte, dass es auch Nina nicht unberührt ließ. Allerdings kicherte sie nicht und schmolz auch nicht dahin wie andere Frauen, sondern runzelte die Stirn.

„Leider habe ich erst spät begriffen, was da eigentlich lief“, sagte sie nüchtern. „Du hattest die Paparazzi persönlich eingeladen.“

„Ich bin erschüttert, dass du dich bei deiner Einschätzung meines Charakters so getäuscht hast. Dachtest du wirklich, ich sei ein guter Mensch?“ Wobei er zugeben musste: Die Nacht mit dieser Frau hatte in ihm den Wunsch geweckt, einer zu sein, und sei es auch nur, weil sie ihm ihre Unschuld geschenkt hatte. Als er diese Regung am frühen Morgen in sich spürte, war es jedoch zu spät: Er hatte schon alles in Gang gesetzt, um ihre Begegnung in einem Blitzlichtgewitter enden zu lassen.

„Mir war immer hundertprozentig klar, was du bist.“ Sie lächelte zum ersten Mal, wenn auch ziemlich provokant. „Das hat mir die Entscheidung erleichtert, herzukommen.“ Sie blickte auf ihren Bauch. Er tat es ihr nach. Doch zum Glück hatte er jetzt schon etwas Zeit gehabt, darüber nachzudenken, dass sich ihm hier eine Gelegenheit bot, die Rachegelüste seinem Vater gegenüber auszuleben.

„Tut mir leid, wenn ich taktlos bin“, begann er. Als sie daraufhin verächtlich prustete, musste er grinsen. „Stimmt, es tut mir nicht leid. Aber du solltest wissen: Die Konfrontation, die du hier planst, ist so gut wie sinnlos. Meist endet so etwas mit Tränen und Vorwürfen.“

„Du hast ein solches Gespräch schon oft geführt, nicht wahr?“

Er schenkte ihr ein mildes Lächeln. „Viele Frauen gehen davon aus, dass das Kind in ihrem Bauch von mir ist, einfach, weil sie es sich wünschen.“

Nina zog die Brauen hoch. „Weil du ja ein so vorbildlicher Vater wärst.“

„Ich bin sicher, gerade darin liegt der Reiz.“ Er legte den Kopf schief. „Solange ein DNA-Test nicht beweist, dass du mein Kind in dir trägst, ist der Inhalt dieser Unterhaltung ohnehin nur reine Theorie. Und der Test wird negativ sein, da ich nie ungeschützten Sex habe.“ Doch plötzlich erinnerte er sich daran, wie wild Nina ihn gemacht hatte und dass die Leidenschaft ihn völlig übermannt hatte. Vielleicht hatte er sich doch etwas zu sehr gehen lassen …? In ihm fing etwas an zu vibrieren, ein Gefühl, das er lange nicht mehr gekannt hatte: Vorfreude.

„Ich unterziehe mich gern jedem gewünschten Test.“ Nina machte eine abfällige Handbewegung. Keine Tränen. Kein Gejammer, wie er es bei diesen Konfrontationen gewohnt war. „Ruf gern alle deine Ärzte und Labortechniker her.“

Zeus fragte sich, ob ihm anzusehen war, dass er gerade ein wenig seine Fassung verlor, und bemühte sich, so gelangweilt wie möglich dreinzublicken.

Nina runzelte kurz die Stirn und sprach weiter. „Ich erzähle dir mal kurz, was passierte, nachdem die Boulevardpresse auf deine Einladung hin erschienen war.“ Sie hielt inne, als warte sie auf seine Entschuldigung. Was Zeus beunruhigte, war: Eigentlich hätte er diese wunderbare Frau, die so viel Selbstbewusstsein ausstrahlte und gleichzeitig so verletzlich wirkte, gern um Verzeihung gebeten.

„Ich wurde aus allen königlichen Kreisen verstoßen. Da dies mein Ziel war, seit Isabeau mich unter ihre Fittiche zwang, war mir das sehr recht. Aber dann …“ Sie deutete mit einer Hand auf ihren Bauch. „Erst dachte ich, ich sei krank, und ich brauchte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, was mit mir los ist, geschweige denn, bis ich es akzeptiert hatte.“

„Und dann war es schon zu spät für eine Alternativ-Lösung, nehme ich an“, warf er sarkastisch ein, um dann überrascht festzustellen, dass er bezüglich dieser Frau und ihres Babys eine gewisse Abneigung gegen eine „Alternativ-Lösung“ hegte.

Nina zuckte kurz zurück, als hätte er sie geohrfeigt. „Ich bin eine Waise.“ Der aufgewühlte Ausdruck in ihren braunen Augen strafte ihren sachlichen Ton Lügen. „Dieses Baby ist die einzige Familie, die ich habe.“

Dieser einfache Satz erschütterte Zeus zutiefst. Seit sechs langen Monaten hatte ihn nichts mehr so aufgewühlt wie die Nacht mit Nina. Es hatte seine Grundfesten ins Wanken gebracht, zu spüren, wie sehr die Leidenschaft in ihm entbrannt war, wo er doch nur ein lockeres, unbedeutendes Vergnügen erwartet hatte. Und nun tauchte Nina ein zweites Mal aus dem Nichts auf und versetzte ihm einen unerwarteten Schlag.

„Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, dir diese Neuigkeit mitzuteilen.“ Nina rieb sich wieder den Bauch, der sich unter einem zirkuszeltweiten Kleid versteckte. Als Zeus sich jedoch an den vollendeten Körper darunter erinnerte, stieg brennende Begierde in ihm auf. Denn auch wenn er nur wenig von diesem Körper sah, so ahnte er doch, dass die Schwangerschaft ihn noch mehr hatte aufblühen lassen. Blitzartig wurde ihm klar, dass er sich sogar wünschte, dieses Kind sei seines. Und er wünschte sich, dass diese üppigen Kurven ihm gehörten. Ihm ganz allein. Schnell schob er den Gedanken beiseite. Es war doch unglaublich, dass ihm so etwas überhaupt durch den Kopf geschossen war, und nicht nur durch den Kopf, sondern auch durch andere Körperteile …

„Ich dachte, ich lebe einfach das Leben, das ich mir immer gewünscht habe“, hörte er Nina sagen. „Aber leider ist mir in den letzten sechs Monaten klar geworden: Früher oder später wird die Boulevardpresse Wind von meinem, beziehungsweise unserem, Kind bekommen. Da du also ohnehin in die Sache mit hineingezogen wirst, dachte ich, ich informiere dich lieber gleich darüber und sage dir, welche Forderungen ich habe.“

„Ah, ich wusste doch, es würde Forderungen geben.“ Er lächelte sie wohlwollend an. „Es gibt immer Forderungen. Ich habe fast den Eindruck, die Forderungen sind der eigentliche Zweck dieser kleinen Szenen.“

„Ich habe mich, was das theosianische Recht angeht, sachkundig gemacht“, fuhr Nina unbeirrt fort. Zeus war es nicht gewohnt, dass seine Worte so gründlich und wiederholt ignoriert wurden. Er konnte nicht so recht sagen, ob das dadurch bei ihm ausgelöste intensive Gefühl eher Wut oder Bewunderung war.

„Anscheinend hat sich einer deiner Vorfahren so gern in fremden Betten herumgetrieben, dass im Gesetz verankert wurde: Allen königlichen Bastarden steht ein gewisses Einkommen von der Krone zu, damit sie adäquat leben können. Wenn auch nicht unter demselben Dach wie der König, um die Königin nicht zu kränken.“

Zeus lachte laut auf. Diese Frau war unglaublich. „Ah ja, die Bastardklausel.“ Über diese Klausel wurde jeder junge angehende König Theosias in Kenntnis gesetzt, bevor er sich aufmachte, in die Welt hinauszuziehen und sich danebenzubenehmen. Abgesehen vom Palastpersonal hatte seit Ewigkeiten niemand mehr die Klausel erwähnt, zweifellos, weil Zeus als hoffnungsloser Fall galt. „Es mag dich überraschen, zu hören, dass die Klausel von einer betrogenen Königin selbst stammt. Sie zog es nämlich vor, die Affären ihres Mannes öffentlich zu machen. Du wirst feststellen, dass sie hier seit Generationen nicht mehr angewendet wurde.“

„Gut. Dann bitte ich dich trotzdem um finanzielle Unterstützung für mein Kind“, erwiderte Nina leichthin, allerdings hob sie ihr Kinn trotzig. Eine verräterische Bewegung. „Ich bin nicht auf Almosen aus. Mir wurde mein Leben lang eingebläut, dankbar zu sein für jeden einzelnen ranzigen Bissen, den man mir hinwirft. Ginge es nach mir, hättest du mich nie wiedergesehen. Ich hätte mir sehr gern ganz allein ein neues Leben aufgebaut.“

Zeus betrachtete sie aufmerksam. Die Strahlen von Theosias Sonne tanzten über ihre strohblonden Locken und die sinnliche Wölbung ihrer Lippen. Dieses Licht mieden die meisten Frauen in seinem Bekanntenkreis, und das aus gutem Grund. Aber Nina wurde dadurch nur noch schöner. Wieder kam er ins Träumen …

Vergiss nicht, wer du bist, meldete sich eine strenge Stimme in ihm.

„Ich hatte eine gute Anstellung in England gefunden“, fuhr Nina mit ihrem Bericht fort. „Es wäre nicht leicht geworden, aber ich habe keine Angst vor Herausforderungen.“ Ich glaubte, ich kann es schaffen, hatte mich gerade darauf vorbereitet … Nina lächelte ein wenig reumütig. „Aber da wurde mir bewusst: Dieses Baby soll nicht für unsere Sünden leiden müssen.“

Zeus schnappte nach Luft. Nina betrachtete das, was zwischen ihnen gewesen war, also einfach nur als Sünde.

Nina straffte die Schultern. „Nur weil du sein Vater bist, soll dieses Baby nicht auf das Leben verzichten, das es haben könnte.“

Ein unangenehmes Gefühl überkam Zeus. Er war fast sicher, dass es Wut war. Das war eigentlich nicht möglich, denn diese Emotion hatte er sich schon vor langer Zeit abgewöhnt. Sie war nutzlos für ihn. Es machte viel mehr Spaß, andere zu provozieren, bis sie wütend wurden und die Fassung verloren. Mit der Zeit hatte er es perfektioniert und jetzt war Wut für ihn ein Zeichen der Schwäche. Was da nun aber in ihm rumorte, war … Ja, nun spürte er es ganz deutlich: Wut! Das war … erstaunlich.

„Also bist du, wie jede andere Frau, die mir je nachgelaufen ist …“ Er sprach betont langsam, darauf achtend, dass kein Fitzelchen seiner Wut hörbar war. „Hinter meinem Geld her.“ Faszinierter als gut für ihn war beobachtete er, wie Ninas Augen aufblitzten. Dieses unscheinbare Waisenmädchen hatte alle getäuscht. Sie war stolz und hatte, wenn er sich nicht täuschte, ein gewisses Bedürfnis nach Rache. Mit anderen Worten: Sie war perfekt.

„Ja, genau. Ich will Geld von dir. Ich wüsste nicht, warum dieses Baby nicht wie das Kind eines Prinzen aufwachsen sollte.“

„Dann habe ich außerordentlich gute Neuigkeiten für dich“, verkündete Zeus und konnte sich dabei eine kleine ironische Verbeugung nicht verkneifen in Anbetracht des neuen Plans, der gerade in ihm gereift war. „Vorausgesetzt, das alles ist keine ausgeklügelte List, die in Kürze vom medizinischen Palastpersonal aufgedeckt wird, erlaube mir, der Erste zu sein, der dir gratuliert.“

„Wozu?“, fragte sie, und ihr Argwohn war nicht zu übersehen.

Zeus grinste sie an. Seine Wut schwelte noch in ihm, schmälerte jedoch nicht das köstliche Vergnügen, das er gerade empfand.

„Zu deiner Vermählung“, verkündete er.

„Meiner was?“

„Wir werden heiraten, du Glückspilz!“ Zeus’ Stimme hallte von den glatten Wänden zurück. „Um diese Ehre haben Frauen sich schon gerissen, bevor ich geboren wurde.“

„Wie bitte?!“ Das Entsetzen in ihren Augen kam einer Beleidigung gleich. „Ich werde dich nicht heiraten!“

Was, wie er zugeben musste, ein weiterer Grund war, sie perfekt zu finden. Zeus hätte keine der Frauen ertragen können, die verzweifelt darauf aus waren, ihn zu bekommen. Sie wollten entweder den Charmeur haben, für den sie ihn hielten, oder aber den Thronfolger, und beides war nicht wirklich er.

Aber diese Frau hier, Nina, die war genau richtig.

„Tut mir leid, aber was du willst, ist dabei nicht von Bedeutung.“ Nur der Puls, der in seinem Hals hämmerte, deutete darauf hin, dass er vielleicht doch nicht so ruhig war, wie er zu sein vorgab. „Hättest du besser recherchiert, wüsstest du, dass hier in Theosia der erste Sohn des Königs der Krone gehört.“

Ninas Augen weiteten sich. „Das ist nicht wahr!“

Sie war einfach unglaublich schön, wenn sie so wütend war. Die Gefühle, die sie in ihm entstehen ließ, brachten ihn fast aus der Fassung. Schnell konzentrierte er sich wieder auf Ninas Gesicht.

„Ich bin der Kronprinz. Trägst du meinen Erben in dir, so bin ich befugt, über dich zu verfügen.“ Dann erlaubte er sich ein Lächeln, das sein wahres Wesen ganz offen zeigte, und genoss es, als sich ihre Augen noch mehr weiteten.

„Willkommen auf Theosia. Ich hoffe, unsere kleine Insel gefällt dir. Eines Tages wirst du ihre Königin sein.“

Nina schien schon bei der bloßen Vorstellung übel zu werden. In ihrem Gesicht las er keinen Triumph, keine Freude, sondern einfach nur Panik.

„Das werde ich nicht. Niemals.“

„Oh doch, meine kleine Henne“, erwiderte Zeus und spürte ein beunruhigendes Glücksgefühl in sich aufkeimen. Schnell redete er sich ein, es rührte einzig und allein daher, dass die Puzzleteile seines Plans sich so wunderbar zusammenfügten. Einen anderen Grund dafür konnte und würde es nicht geben. „Das wirst du, verlass dich drauf.“

3. KAPITEL

Danach ging alles so furchtbar schnell, dass Nina fast schwindelig wurde. Entgegen seinem üblichen Gebaren als Sinnbild des Müßiggangs schritt Zeus zielstrebig durch den riesigen Raum. Er stieß die Tür auf, sagte zwei Worte, und ihr schien, als ströme der halbe Palast herein. Ganz Europa kannte ihn nur als faulen Lebemann, sein Personal war jedoch ganz offensichtlich auch diese gebieterische Seite von ihm gewohnt. Er ist wie ein König, flüsterte eine Stimme in Nina. Ein Mann, der nicht nur gewohnt ist zu befehlen, sondern der sich dabei auch überaus wohlfühlt. In ihrem Kopf drehte sich alles. Das war nicht der Zeus, den alle Welt kannte. Genau wie er auch in jener Nacht ein anderer gewesen war. In Nina stieg wieder diese glühende Hitze auf, die sie schon bei ihrem Wiedersehen mit ihm überkommen hatte. Denn der Zeus, in den er sich in jener Nacht verwandelt hatte, war sehr emotional gewesen. Fordernd. Anders.

Ihre so sinnlichen Erinnerungen wurden von einer Phalanx von Dienerinnen unterbrochen, die eintraten, um sie aus Zeus’ Räumen hinauszuführen. Zumindest waren sie höflicher als der Butler Thaddeus. Sie geleiteten Nina durch Korridore und Treppenhäuser immer höher hinauf, von einem märchenhaft aussehenden Stockwerk zum nächsten. Eine der Dienerinnen sprach dabei leise in ihr Handy. Die Suite, die sie dann betraten, war schöner als alle, in denen Nina je übernachtet hatte. Die kostbaren Möbel waren mit Gold- und Silberintarsien versehen, was die sonnendurchfluteten Räume noch heller leuchten ließ.

Nina wurde in einen kleinen Salon geführt.

„Warten Sie bitte hier“, bat die Dienerin mit dem Handy sie. Die Frau war schon etwas älter und hatte wohl die Oberaufsicht. Sie schaffte es, den sehr klaren Befehl so klingen zu lassen, als sei es Ninas Idee gewesen und sie hätte diese nur bekräftigt.

„Ich würde ja gern warten“, antwortete Nina, während sie sich auf ein Sofa niederließ. Es war deutlich bequemer als das im Warteraum im Untergeschoss. Sie sah lächelnd zu der Frau auf. „Aber ich fürchte, das Baby möchte nicht warten. Ich bräuchte demnächst etwas zu essen.“

Die Dienerin sah sie kurz an, dann schnippte sie mit den Fingern. Sofort verließ eine ihrer Untergebenen den Raum.

„Dann bekommen Sie natürlich etwas zu essen.“

Nina war ihr unglaublich dankbar. „Wissen Sie, wo meine persönlichen Sachen sind? Ich kann mich selbst verpflegen. Ich habe Snacks in der Handtasche.“

„Ihre Sachen werden gerade vom Sicherheitspersonal durchgesehen“, erwiderte die Zofe bedauernd, verströmte jedoch weiterhin Wachsamkeit. „Aber keine Sorge, gleich kommt etwas aus der Küche.“

Überrascht sah Nina keine fünf Minuten später einen Diener mit einem Servierwagen hereinkommen, auf dem ein typisch theosianischer Nachmittagsimbiss ausgebreitet worden war: gegrillter Fisch, mundgerecht geschnittene Sandwiches, Berge von Gemüse und frischem Obst, Hartkäse, Kräuterbutter, duftendes, frisch gebackenes Brot.

Als einige Zeit später ein weiteres Grüppchen Menschen den Raum betrat, fühlte Nina sich ausreichend gestärkt. Eine der Frauen stellte sich als Ärztin vor und kündigte ihr an, sie werde sie untersuchen und dann auch gleich einen Vaterschaftstest machen.

Nina machte sich nichts vor. Natürlich war ihr schon, bevor sie herkam, bewusst gewesen, dass niemand ihr einfach so glauben würde. Also folgte sie der Ärztin und ihrem munteren, tatkräftigen Team in den nächsten Raum: ein kleines Arbeitszimmer mit Reihen von Büchern auf weiß getünchten Regalen und mit leuchtend blauen Blumen in von Hand hergestellten Vasen. Dort ließ sie alle Tests über sich ergehen, die nötig waren, um ihre Behauptung zu beweisen.

„Sie sind jetzt bestimmt müde“, sagte die ältere Dienerin, als sie sie nach den Untersuchungen abholte. „Erst die lange Reise, dann der lange Tag hier im Palast … Sie sollten sich etwas ausruhen. Klingeln Sie gern, wenn Sie etwas brauchen. Wie wäre es später mit einem leichten Abendessen? Die Küche bringt es Ihnen hoch, sagen Sie einfach Bescheid.“

„Vielen Dank für Ihre Fürsorge“, sagte Nina trocken. „Aber ich bin absolut nicht müde.“

„Doch, das sind Sie gewiss“, antwortete die Frau unnachgiebig.

„Sagen Sie doch, wie’s ist: Ich werde hier eingesperrt, bis geklärt ist, ob Prinz Zeus der Vater meines Kindes ist“, entgegnete Nina nüchtern. Dann lächelte sie. „Wollen wir nicht lieber gleich ehrlich zueinander sein? Es ist dann viel leichter, sich gegenseitig zu respektieren, finden Sie nicht?“

Die andere Frau runzelte kurz die Stirn, doch dann wurde ihr Ausdruck etwas wärmer. „In der Tat, Miss.“

„Nennen Sie mich gern Nina.“ Seltsam, sie wusste gar nicht mehr, wann sie dies das letzte Mal zu jemandem gesagt hatte. Immer war sie diejenige gewesen, die warten musste, bis Höhergestellte ihr gestatteten, sie beim Vornamen zu nennen.

„Ich heiße Daphne“, antwortete die ältere Frau und lächelte verschwörerisch. „Und ich werde Sie wissen lassen, wann Sie sich wieder frei im Palast bewegen können.“

„Sehen Sie?“, meinte Nina. „So geht’s besser, nicht?“

Daphne lächelte sie nochmals an und ließ sie dann allein. Eine Zeitlang blieb Nina einfach sitzen und starrte auf hübsche blaue Blumen in kleinen Vasen. In ihrem Inneren herrschte … Zeus. Die Nacht mit ihm, obwohl schon sechs Monate her, wurde plötzlich wieder sehr präsent. Sie erschien vor ihrem inneren Auge wie ein hell erleuchteter Tempel. In all seiner honigsüßen Herrlichkeit wirkte Zeus wie menschgewordenes, prinzgewordenes Baklava.

Bebend vor Erregung atmete Nina aus. Dann stand sie auf und ging aus dem Arbeitszimmer in ein angrenzendes Atrium. Von dort aus konnte sie in den Salon sehen, in dem sie gegessen hatte. Erfreut stellte sie fest, dass man ihr die Reste vom Nachmittagstee dagelassen hatte. Sie musste lächeln. Um ihren Hunger zu stillen, hätte sie notfalls die Palastküche gestürmt, doch Daphne hatte das offensichtlich geahnt und wohlweislich vorgesorgt.

Nina ging zu einem leise plätschernden Springbrunnen in der Mitte des Atriums, von wo aus sie die Glasdecke und das üppige Grün um sich herum bewundernd betrachtete. Langsam drehte sie sich einmal um sich selbst. Durch eine blaue, weit geöffnete Flügeltür erblickte sie ein lichtdurchflutetes Schlafzimmer mit einem massiven Himmelbett, das vor einer mit Mosaiken verzierten Wand stand. Vom Atrium gingen noch weitere Räume ab, doch deren Türen waren geschlossen, und sie konnte nur raten, was sich dahinter befand. Von ihren Reisen im Gefolge Isabeaus wusste sie, dass in anderen Palästen diese Gästetrakte häufig als Sitzungssäle und Büros für Mitglieder von Regierungen und Gäste auf Geschäftsreise dienten.

Sie schüttelte die Erinnerungen an die armselige Isabeau ab und ging neugierig in das sonnige Schlafzimmer. Große Fenstertüren luden dazu ein, auf den Balkon hinauszutreten, der beide Seiten dieses Eckzimmers einnahm. Nina trat durch eine Fenstertür hinaus und stellte sich in die Sonne. Mit geschlossenen Augen hielt sie ihr Gesicht der Sonne entgegen und ließ sich gründlich durchwärmen. Die anhaltende Kälte der letzten Monate in England steckte ihr noch in den Knochen.

Als ihr warm genug war, suchte sie sich im Schatten einen Liegestuhl und genoss die wunderschöne Aussicht aufs Meer. Nachdem sie dort eine Weile gelegen, den Wellen gelauscht und aufs tiefblaue Wasser geblickt hatte, fielen ihr vor Müdigkeit langsam die Augen zu. Beim Abdriften in den Schlaf sah sie ein immer heller werdendes Licht, und daraus trat Zeus hervor, intensiver leuchtend als alles um ihn herum …

Nina bekam einen ziemlichen Schrecken, als sie beim Aufwachen feststellen musste, dass Zeus tatsächlich vor ihrer Liege stand und auf sie herabblickte. Zum Glück trug sie heute ihr hässlichstes Kleid. Zeltähnlich bedeckte es ihren ganzen Körper. Das beruhigte sie, doch dann musste sie innerlich über sich lachen. Dieser Mann hatte sie bereits nackt gesehen!

Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und versuchte, sich auf Zeus zu konzentrieren. Sein dunkler Maßanzug ließ ihn noch größer und besser gebaut erscheinen. Als hätte der Himmel sich eigens für diesen Körper herausgeputzt, wartete er hinter Zeus mit einem tiefen Blau auf, in das die untergehende Sonne ein paar orange und rosa Tupfen hineinsprenkelte.

Für einen kurzen Moment stockte Nina der Atem, und ihr war, als stünde die Welt still. Gleich darauf zwang sie sich, wieder normal zu atmen und redete sich ein, das alles habe nichts mit dem Mann am Fußende ihrer Liege zu tun. Sie war schwanger, allein das war der Grund für seltsame körperliche Empfindungen jeglicher Art. Nicht Zeus und nicht der Sonnenuntergang, der ihn umstrahlte und ihn noch überirdischer aussehen ließ.

„Ich nehme an, du hast erfahren, dass du der Vater meines Babys bist“, sagte Nina. Das Krächzen in ihrer Stimme schob sie darauf, dass sie gerade geschlafen hatte.

Zeus sah sie eine ganze Weile nur an. Der Himmel hinter ihm zog weiterhin seine Schau ab.

„Es scheint, als würden wir Eltern werden, meine kleine Henne.“

Auch wenn sie diesen Spitznamen nicht besonders mochte, hatte Nina sich nie an ihm gestört, wenn Isabeau sie so nannte. Er war viel weniger von Bedeutung, als die Prinzessin es sich vorgestellt und beabsichtigt hatte. Wenn Zeus ihn aussprach, klang er ganz anders. Vorhin hatte Nina noch zu ignorieren versucht, wie sinnlich sein Mund diese Worte formte und, schlimmer noch, was das in ihr auslöste. Jetzt aber konnte sie sich gerade gar nicht mehr dagegen wehren, welches Feuer der Klang dieses Namens, von Zeus ausgesprochen, in ihr entfachte.

„Wenigstens haben wir jetzt klargestellt, dass ich keine Lügnerin bin“, sagte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Dann erinnerte sie sich daran, dass sie es absichtlich nicht gebändigt hatte. Also ließ sie ihre Hände wieder sinken und faltete sie über ihrem Bauch. „Ich habe jedoch nicht die Absicht, dich zu heiraten.“

„Und ich habe dir bereits gesagt, dass deine Absichten hier gar keine Rolle spielen.“ Ihren aufbrandenden Protest wischte er mit einer Geste fort. „Ich habe mich mein Leben lang gesträubt zu heiraten, Nina. Wenn ich ernsthaft über eine solch drastische Änderung meines ausschweifenden Lebensstils nachdenke, benötige ich eine gewisse Unterstützung.“

Mit diesen Worten trat Zeus plötzlich neben sie und beugte sich zu ihr. Ihr schoss durch den Kopf: Ja, bitte küss mich! Doch er griff nach ihren Händen und zog sie hoch, mit dem gleichen minimalen Körpereinsatz, mit dem er sie vor sechs Monaten auf dem Bett hin und her gerollt hatte.

Es wäre so leicht gewesen, Prinz Zeus zu verachten. Ein Playboy, ein Taugenichts, ein gewissenloser Mann, stolz darauf, durch und durch ruchlos zu sein. Es war leicht, schlüpfrige Bemerkungen zu machen wie zum Beispiel, er wisse nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen, als seinen Unterleib zu trainieren. Solche abfälligen Kommentare hatte Nina auf Bällen und in Palästen aufgeschnappt, und vieles davon hatte auch sie gedacht. Aber wie auch immer er zu seiner Körperkraft kam, er wusste sie zu nutzen. Das hatte sie am eigenen Leib erfahren. Sie erinnerte sich nicht gern daran, wie bereitwillig sie sich ihm völlig hingegeben hatte. Und schon gar nicht gefiel ihr, dass sie sich in Zeus’ Armen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie sie selbst gefühlt hatte. Anmutig. Geschmeidig.

Wie um diese Erinnerungen loszuwerden, stieß sie ihn heftig von sich. Dabei kam sie kurz ins Wanken und wurde verärgert gewahr, wie eine Stimme in ihr flehte: „Hoffentlich legt er stützend den Arm um mich.“ Aber er tat es nicht. Zum Glück.

Schnell lenkte sie ab, indem sie auf seine Bemerkung von eben konterte. „Ich weiß auch ohne ein ausschweifendes Leben, wie du es führst, dass ich dich nicht heiraten will.“

Statt darauf zu antworten, deutete Zeus mit einer Kopfbewegung an, sie solle ihm um die Ecke auf die andere Balkonseite folgen, was sie auch tat. Sie hätte sich ihm widersetzen sollen, doch irgendwie konnte sie sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen.

Nina stockte der Atem. Auf dieser Seite war der Balkon deutlich breiter. An seinem hinteren Ende konnte sie trotz der einsetzenden Dunkelheit einen kleinen Pool und einen Whirlpool erkennen, weiter vorn war auf einem kleinen runden Tisch ein Dinner für zwei angerichtet. Bunte Lichterketten über dem Tisch zauberten eine romantische Atmosphäre. Das ist ja märchenhaft, flüsterte eine Stimme in ihr. Sie ignorierte sie, wie immer.

Eigentlich wollte Nina sagen, sie habe keinen Hunger, und selbst wenn, würde sie nicht mit ihm zu Abend essen. Irgendwie musste sie die Distanz zwischen ihnen herstellen, die automatisch hätte da sein sollen, in Anbetracht dessen, wie ihre gemeinsame Nacht geendet hatte. Als sie sich jedoch dem Tisch näherten und sie das köstliche Menü sah, merkte sie plötzlich, dass sie unbedingt etwas essen musste. Schon wieder. Und ihr Baby stimmte dem offensichtlich zu, denn es trat kräftig.

Zeus zog mit übertriebener Höflichkeit einen Stuhl für sie zurück, damit sie sich hinsetzen konnte. Sie wollte schon eine bissige Bemerkung machen, besann sich dann aber, aus Furcht, dass sie, wenn sie den Mund aufmachte, Dinge sagen würde, die sie lieber für sich behalten sollte.

Anstatt sich ihr gegenüber hinzusetzen, zog Zeus seinen Stuhl heran und platzierte ihn neben ihr. Auf der Stelle erschienen Dienstboten und arrangierten sein Gedeck direkt vor ihm.

Wie muss das sein, fragte Nina sich, wenn alles, was du tust und willst, akzeptiert und respektiert wird. Und mehr als das: wenn jeder Wunsch ein Befehl ist.

„Ich hoffe, für dich ist ein Abendessen mit mir keine allzu große Zumutung“, brachte er hervor, als das Personal sich zurückgezogen hatte. „Für viele andere ist es das“, fügte er spöttisch hinzu.

Nina versuchte, ihn nicht anzusehen, und betrachtete stattdessen das Festmahl, das vor ihnen stand. Große Schüsseln mit unterschiedlichen Köstlichkeiten bedeckten den Tisch. Zeus begann, ihr und sich selbst von allem etwas aufzufüllen, und das tat er mit der gleichen natürlichen Anmut, die er bei allem an den Tag legte. Auch nachts, wie sie sich erinnerte.

Schluss mit diesen albernen Gedanken, ermahnte sie sich und sah ihn stirnrunzelnd an. „Du hast mir schon Schlimmeres als das zugemutet.“

„Hast du diese Schlagfertigkeit im Waisenhaus gelernt?“ Zeus’ Stimme war sanft, fast liebkosend. „Von der humorlosen Isabeau hast du sie jedenfalls nicht.“

„Wer nicht in eine Königsfamilie hineingeboren wurde, muss sich eben auf seinen Grips verlassen“, konterte Nina.

Zeus stocherte abwesend in seinem Essen herum, sein Blick ruhte aufmerksam auf ihrem Gesicht.

„Ich finde es wirklich erfreulich, dass wir derlei Gespräche noch bis ans Ende unserer Tage führen werden.“

Nina spürte sofort wieder das Bedürfnis, ihm zu widersprechen, fing sich aber gerade noch. Dies war Zeus von Theosia. Provokation war sein Lebensinhalt. Wenn sie sich provozieren ließ, hatte er gewonnen. Und das durfte er nicht, auch wenn er der Vater ihres Kindes war.

„Eines musst du mir mal erklären.“ Sie schob sich eine Gabel mit vorzüglich gewürztem Reis in den Mund. „Vor sechs Monaten hast du eine lächerliche Farce inszeniert, um einer Ehe zu entgehen. Warum stürzt du dich jetzt in eine andere?“

„Na, vielen Dank! Ich finde, das war um einiges besser als eine Farce“, sagte er vorwurfsvoll, seine Augen blitzten sie dabei jedoch amüsiert an. „Vielleicht habe ich endlich eingesehen, dass meine Eheunlust ein Fehler war.“

„Das wage ich zu bezweifeln.“

„Du hast recht. Eigentlich bin ich ganz froh über meine bisherige Eheunlust. Aber es wäre ja möglich, dass ich meinem Vater in Anbetracht seiner zunehmenden Gebrechlichkeit plötzlich doch ein hingebungsvoller Sohn sein und ihm schenken will, was er sich immer von mir gewünscht hat: Frau und Kind.“

„Das ist ja fast schon liebenswert.“ Nina lächelte ihn spöttisch an. „Und genau deshalb kann das nicht die Erklärung sein.“

„Nun, glücklicherweise bin ich dir ja keine Erklärung schuldig.“

„Schön“, erwiderte Nina achselzuckend, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Essen zu und ignorierte Zeus einfach. Diese Taktik hatte sie sich im Waisenhaus angeeignet. Das Leben dort war eine harte Schule gewesen. Leider nahm sie die gewiss köstlichen Aromen all dieser wunderbaren Gerichte auf ihrem Teller gar nicht richtig wahr, weil Zeus’ vor Intensität brodelnde Männlichkeit neben ihr sie zu sehr ablenkte. Auch wenn sie sich den Anschein gab, er lasse sie kalt: Innerlich, körperlich, spürte sie ausschließlich und allein seine Präsenz. Es kostete sie ihre ganze Kraft, seelenruhig weiterzuessen und an Zeus vorbei aufs Meer zu blicken, über dem langsam der Mond aufging. Und so hätte es wohl auch ewig weitergehen können, denn Zeus war anscheinend bereit, ihr Schweigen so lange zu ertragen wie nötig. Dann aber begann das Baby wieder zu treten, und zwar so heftig, dass sie reflexartig eine Hand auf ihren Bauch drückte. Ohne es zu wollen sah sie Zeus an. Seine tiefgrünen Augen waren gebannt auf sie gerichtet.

„Das Baby strampelt“, erklärte sie ihm, fragte sich aber gleich danach, warum sie ihm überhaupt irgendetwas erzählte. Es wäre viel einfacher gewesen, ihn weiterhin zu ignorieren. Sie wollte keine Vertrautheit mit diesem Mann entstehen lassen, in dessen Augen sie sich zu verlieren drohte und in dem sie eben, nur ganz kurz, den Mann aus jener Nacht vor sechs Monaten wiedererkannt hatte. Nina dachte nicht gern im Detail an die Nacht zurück. Sie war verwirrt gewesen, das war alles. So etwas passierte eben mal, wenn eine Frau versehentlich in den Armen eines berühmt-berüchtigten Prinzen landete und ihm ihre Jungfräulichkeit schenkte. Allerdings hatten sie es bei diesem einen Mal nicht gut sein lassen, sondern sich die ganze Nacht hindurch immer wieder geliebt. Und Nina hatte dabei ein solches Glück und eine solche Lust empfunden, dass sie sich gefragt hatte, wie sie bisher ohne diese Gefühle hatte leben können. In den Pausen, während sie Atem schöpften, hatten sie geredet. Was ihr inzwischen klar war: Sie hatten geredet wie Menschen, die wissen, sie sehen einander nicht wieder. Damals hatte sie es nicht gewusst. Damals war sie überwältigt vom Gefühl, endlich gesehen zu werden. So wie sie war. Ihr wahres Ich.

Und nun? Sie trug das Baby in sich, das in jener Nacht gezeugt worden war. Sie saß hoch oben auf einem märchenhaften Balkon eines den Göttern geweihten Palastes. Und neben ihr saß ein göttlicher Mann.

Sie erwartete, Zeus würde grinsen, eine witzige Bemerkung über das strampelnde Baby machen, sein Zeus-Ding durchziehen. Stattdessen schien die bronzene Maske nun einen Riss zu bekommen. Als er sich vorbeugte, war er plötzlich absolut nicht mehr der müßiggehende Faulenzer, den er aller Welt vorspielte. Jetzt war er ganz er selbst, das spürte sie.

„Hier?“ Seine Stimme war rau und tief, seine Hand schwebte über ihrem Bauch.

Nina redete sich ein, es sei eine rein praktische Geste, als sie seine Hand in ihre nahm und sie auf die Stelle legte, wo das Baby von innen gegen ihre Rippen trat. Diese Tritte waren jedes Mal wieder wie ein Wunder für sie. Sie erinnerte sich noch an das allererste Mal, an dieses plötzliche Zucken, das alles verändert hatte. Sie hatte sofort gewusst, sie gehörten zusammen, ihr Kind und sie. Für immer. Und schon am nächsten Tag plante sie ihre Reise nach Theosia.

Als sie nun sah, wie Zeus’ Miene sich vor Staunen veränderte, sein Gesicht aufleuchtete, schien etwas in ihr zu bersten. Es war wie eine heftige Erschütterung, die sich heiß in ihr ausbreitete.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit nahm Zeus seine Hand wieder fort. Nina fühlte sich … verändert. Und nun begann auch noch jene Stelle heiß zu pochen, auf der seine Hand gelegen hatte. Die Hitze, die sie durchströmte, erinnerte sie an die Empfindungen aus jener Nacht. Damals hatte sie gedacht, es seien alles flüchtige Gefühle. Sie hatte sich geirrt, und irgendwie fühlte sie sich dadurch angreifbar, verletzlich.

Zeus lehnte sich mit unergründlichem Blick im Stuhl zurück. „Ich finde es sehr befremdlich, dass du mich nicht heiraten willst. Normalerweise preisen Frauen mir Eheringe sozusagen auf dem Silbertablett an.“

Spöttisch lachte Nina auf. „Das würde mir im Traum nicht einfallen.“

Das war eigentlich als Beleidigung gemeint, Zeus lächelte jedoch nur süffisant.

„Mit am besten gefällt mir eigentlich an dir, dass du ein Geheimnis hast.“ Seine Stimme, seine grünen Augen waren nun so dunkel wie die Nacht um sie herum.

„Das klingt ja fast wie ein Kompliment.“

„Das soll es auch sein.“ Er beugte sich vor und nahm ihre Hand, und das bisschen Verstand, das noch in ihr war, schrie, sie solle sie sofort zurückziehen, bevor er merkte, dass jede seiner Berührungen das Glimmen in ihr auf der Stelle in ein glühendes Feuer verwandelte. Doch der verruchte Blick, den er ihr zuwarf, zeigte, es war zu spät. Sie machte noch einen Versuch, ihre Hand aus seiner zu lösen, aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Als Zeus dann seine Finger sanft über ihre Handinnenseite gleiten ließ, entfachte diese Berührung wahre Gefühlsstürme in ihr. Hände waren für Nina eigentlich immer vor allem etwas Nützliches gewesen. Im Waisenhaus hatte sie damit jahrelang Böden geschrubbt. Nun aber merkte sie, wie empfindsam ihre Handfläche war, so als sei hier das Zentrum aller erdenklichen Genüsse. Und sie hatte das Gefühl, nur Zeus könne all das wecken. Mehr noch, jede Stelle, die er berührte, schien durch Feuerstränge verbunden zu sein mit all ihren Körperteilen, die ohnehin schon in Flammen standen.

„Aber ich würde ja zu gern wissen, was du verbirgst“, sagte Zeus eine Ewigkeit später. Oder waren nur Momente vergangen? Ihr Verlangen und die in ihr brodelnde Lust hatten jegliches Zeitgefühl ausgelöscht. Zum Glück hatte sie in den letzten Jahren, vor allem durch die vielen Gemeinheiten Isabeaus, gelernt, sich schnell wieder in den Griff zu bekommen.

„Ich habe nichts zu verbergen“, antwortete sie deshalb nun gelassen. „Ich hatte nie viel Privatleben, und das bisschen, das ich hatte, wurde an die Paparazzi verkauft, damit du dich vor deinen Verpflichtungen drücken konntest.“

„Und doch tust du alles dafür, nicht gesehen zu werden“, murmelte er und streichelte weiter ihre Hand. „Warum? So etwas tut man doch nur, wenn man irgendetwas verbergen will.“

„Vielleicht hatte ich es einfach satt, zur Schau gestellt zu werden“, erwiderte Nina ohne lange zu überlegen. Hätte er sie daraufhin so angegrinst, wie er es sonst meist tat, wäre das die dringend benötigte kalte Dusche gewesen und sie hätte ihre Fassung wiedererlangt. Doch Zeus lächelte nicht. Er saß nur ruhig da und wartete, während all seine bronzene Energie in sie eindrang und im Gleichtakt mit ihrem Herzen pochte – so stark, dass es sie fast umwarf.

„Ich kam ins Waisenhaus, als ich fünf war. Meine Eltern starben bei einem Autounfall auf einer vereisten Straße. Niemand hatte Schuld, so was passiert eben.“ Nina fragte sich, was in sie gefahren war, ihm ihre Lebensgeschichte anzuvertrauen, aber nun gab es kein Zurück mehr. „Ich kam also ins Waisenhaus. Und die nächsten zehn Jahre musste ich mich jeden Sonntag vor potenziellen Käufern präsentieren.“ Sie lachte leise. „Ich meinte, ich sollte potenzielle Adoptiveltern bezaubern.“

Zeus runzelte leicht die Stirn. „Ein süßes kleines fünfjähriges Mädchen lässt sich doch sicherlich schnell vermitteln.“

„Das sollte man meinen. Und es war auch so. Aber ich wurde immer wieder zurückgebracht.“

„Man kann ein Kind zurückgeben?“, fragte Zeus ungläubig. Durch diese spontane Reaktion spürte Nina plötzlich Zuneigung für ihn, doch sie schob diese Emotion schnell von sich.

„Ein Kind, das Mängel hat, darf man zurückgeben, ja“, antwortete sie leise. „Ich hatte nachts Albträume. Damit kam niemand klar. Als ich etwa zehn Jahre alt war, teilte die Waisenhausleitung den potenziellen Eltern gleich vor Ort mit, ich hätte psychische Probleme. So vermieden sie, dass die Leute mich für einen Testlauf mitnahmen, nur um mich am nächsten Morgen gleich wieder zurückzubringen, weil ich ja so schwierig und irgendwie unheimlich sei und weil sie sich ihr Kind anders vorstellten.“

Zeus drückte kurz ihre Hand. „Das tut mir leid.“ Wieder wirkte er erschreckend echt. „Das braucht es nicht. Mir war es viel lieber, nicht mit Fremden mitgehen zu müssen, wohl wissend, dass es nicht klappen würde und sie mich zurückgeben würden wie defekte Ware.“

Er sah aus, als wollte er etwas sagen, und Nina wurde plötzlich klar: Wenn er jetzt Mitleid ausdrückte oder auch nur mitleidig aussah, würde sie die Fassung verlieren. Schnell sprach sie weiter, bevor es dazu kommen konnte. „Trotzdem musste ich weiterhin jeden Sonntag dort stehen und mich präsentieren. Ich zählte die Tage, bis ich 16 wäre und frei sein würde. Aber leider tauchte einen Tag vor meinem Geburtstag Isabeaus Publicity-Team auf, um eine Waise mitzunehmen, als wohltätige Geste, die die vielen Skandale Isabeaus vergessen machen sollte. Und es traf mich.“

„Ich erinnere mich“, sagte Zeus. Nina hätte ihn gern gefragt, woran genau er sich erinnerte: an die Artikel, die an ihrem 16. Geburtstag überall veröffentlicht worden waren? An ihre Leidensgeschichte, die nur dazu diente, einer verwöhnten Prinzessin den Anschein von Barmherzigkeit zu verleihen? Oder erinnerte er sich daran, wie er Nina in den Jahren danach im Gefolge der Prinzessin gesehen hatte? Und hatte er womöglich auch bemerkt, wie sehr Isabeau die ihr auferlegte Barmherzigkeit hasste, Nina aber nicht loswerden konnte, ohne die Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen? Und dass sie deshalb Nina gegenüber so grausam gewesen war? Oder war es möglich, dass er sich, genau wie Nina, an jene Nacht erinnerte und an alles, worüber sie gesprochen hatten, wenn sie sich nicht gerade gemeinsam im Bett herumwälzten?

„Das Leben mit Isabeau war wie in einem Goldfischglas“, sagte sie und wusste immer noch nicht, warum sie ihm all das erzählte. Vielleicht weil er der Vater ihres Kindes war und weil er gerade hier war. Weil er ihre Hand fest in der seinen hielt. „Die ganze Welt schaut ständig auf sie und ihr Gefolge. Aber das Schlimmste sind all diese Leute, die wie Spione im Palast herumschleichen und Privates aufschnappen, um sich damit die Gunst eines anderen zu sichern oder Druckmittel in der Hand zu haben. Und dann Isabeau selbst: ständig kritisierte sie, lästerte und wies jemanden zurecht; vor allem mich. Denn nicht sie hatte mich zu sich geholt, sondern ihre PR-Leute. Das ließ sie mich täglich spüren.“

Es schmerzte Nina nicht, an all das zu denken. Sie schämte sich nur dafür, dass sie sich manchmal sogar ein wenig gewünscht hatte, sich mit Isabeau anfreunden zu können.

„Und da hast du beschlossen, dein wahres Ich zu verstecken, dich unsichtbar zu machen“, sagte Zeus mit warmer Stimme.

Es war so verlockend, sich näher zu ihm zu beugen und ihre Finger mit seinen zu verflechten, damit, so wie beim letzten Mal, seine Lippen sich auf ihre legten, als wäre dies schon seit jeher ihre Bestimmung gewesen. Schnell löste Nina ihre Hand aus seiner.

„Das hier wird nicht funktionieren.“

Zeus blieb, wo er war, die Ellbogen auf dem Tisch, seine ganze Aufmerksamkeit auf sie gerichtet. Sie sah, wie sich seine Miene verfinsterte.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Doch, das weißt du sehr wohl.“ Er lächelte zurückhaltend.

Das war neu. Als er eine Hand ausstreckte und sie vorsichtig auf ihren Bauch legte, blieb ihr die Luft weg. Er zeichnete mit den Fingern die Wölbung nach, unter der ihr gemeinsames Kind lag. Schon in ein paar Monaten würde es ein Erdenbürger sein und sie beide für immer miteinander verbinden, ob ihnen das gefiel oder nicht. Ungeachtet dessen, ob einer von ihnen beiden irgendetwas zu verbergen hatte.

„Es ist nämlich so“, sagte Zeus, als er wieder aufsah, mit einem Blick, der sie festnagelte. „Ich habe gesehen, wer du wirklich bist, Nina.“

4. KAPITEL

Zeus rechnete damit, dass diese Worte Nina abschrecken würden, und genau das taten sie. Sie schob ihren Stuhl so abrupt zurück, dass er laut über den Steinboden schrammte, und wenn ihr runder Bauch sie nicht daran gehindert hätte, wäre sie wohl aufgesprungen und davongestürmt. Er sah, dass sie es in Erwägung zog. Doch dann nahm ihr Gesicht diesen einstudierten undurchdringlichen Ausdruck an, den er schon kannte. Sie hatte diesen speziellen Gesichtsausdruck immer bei Hofe zur Schau getragen, und genau das hatte seine Aufmerksamkeit erregt – zusammen mit ihrer Fähigkeit, auch in ihren eigentlich wirklich modischen Kleidungsstücken irgendwie verunstaltet auszusehen.

„Du solltest nicht so viel in diese Nacht hineininterpretieren“, sagte sie jetzt in einem Tonfall, den er erst nicht einordnen konnte, der aber irgendwie nach Mitleid klang. Fast hätte er laut aufgelacht.

„Ich bin mir nicht sicher, ob man da viel interpretieren muss, kleine Henne. Die Folgen unserer gemeinsamen Nacht sind doch ganz deutlich sichtbar.“

In ihren braunen Augen sah er eine ganze Reihe von Emotionen auftauchen, doch keine davon spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider. Er hatte selbst lange daran gearbeitet, seine Maske für die Öffentlichkeit zu perfektionieren und wusste, wie schwierig es war. Diese Bürgerliche, die seine Königin werden würde, war ihm ein einziges Rätsel, und er würde es mit Freuden knacken.

„Zugegeben, es hat mir eine gewisse Genugtuung verschafft, mich … unansehnlich zu machen. Als kleine Rebellion gegen Isabeau.“

Trotzig hob sie das Kinn, und irgendwie musste Zeus an Don Quichotte denken, der sich gegen Windmühlen stellte, obwohl es aussichtslos war.

„Du weißt, dass du ein gut aussehender Mann bist, Zeus. Ich habe nur die Gelegenheit ergriffen, von etwas zu kosten, von dem vor mir viele andere Frauen genascht haben.“

„Und wieder flunkerst du. Faszinierend.“

„Du scheinst deine Anziehungskraft nicht mehr so hoch einzuschätzen wie früher. Traurig.“

Er lächelte. „Du warst noch unschuldig, Nina. Auch wenn du’s gut überspielt hast. Glaube mir, ich erinnere mich daran.“

Und er erinnerte sich auch daran, wie die Wucht dieses plötzlichen Funkenschlages zwischen ihnen und auch Ninas völlig unerwartete Unberührtheit ihn verändert hatten. Das würde er allerdings niemals zugeben, denn er konnte es nicht einmal akzeptieren. Aber eine solche Nacht wie mit ihr hatte er nie zuvor erlebt. Auch das hätte er nie zugeben wollen, und er hätte das Geheimnis über die verstörende Wirkung ihrer gemeinsamen Nacht mit ins Grab genommen. Doch dann war Nina heute aufgetaucht, noch schöner als er sie – sehr lebhaft – in Erinnerung hatte: ihre wunderbaren Kurven, gewiss, aber vor allem ein leichtes Lächeln, das immer da zu sein schien, immer bereit, aufzublitzen. Und er erinnerte sich daran, wie sie ihn herausgefordert hatte und wie sie mit Hingabe auf alles einging, was er ihr zeigte. Er erinnerte sich daran, was ihr Körper zu tun vermochte. An die Gefühle, die er in ihr und sie in ihm hervorgerufen hatte. All das verfolgte ihn seither. Und nun war da ein Kind. Sein Kind.

Zeus hatte nie gewollt, was sein Vater von ihm verlangte. Er hatte es sich sogar zur Lebensaufgabe gemacht, seinem Vater auch das kleinste bisschen Genugtuung zu versagen. Denn es gab ein Versprechen von ihm. Und das konnte er nicht mehr rückgängig machen. Seine Mutter hatte immer nur ihn gehabt. Er betete sie an, doch selbst er konnte sie nicht retten. Das Einzige, was er noch für sie tun konnte, war, seinen Vater zur Verzweiflung zu bringen, ganz gleich, wie die Welt dann über ihn als Sohn denken würde. Er würde dieses Spiel so lange weiterspielen wie nötig.

In dem Moment jedoch, als er Nina sah, war ihm klar geworden, er musste seinen Plan ändern. Nina und ihr Baby wären sozusagen die Krönung seines Rachefeldzuges gegen seinen Vater.

„Aber jetzt bin ich nicht mehr unschuldig“, sagte Nina nun wieder so, als glaubte sie, dies sei ein Kampf auf Augenhöhe. Dabei hatte sie keine Ahnung, welche Spielchen er hier trieb. „Dafür hast du gesorgt, und zwar gründlich.“

Der zarte rosa Hauch, der sich auf ihren Wangen abzeichnete, war einfach entzückend.

„Gründlich“, wiederholte er. „So kann man es auch ausdrücken.“

Das Rosa auf ihren Wangen wurde stärker.

„Richtig. Also kein Grund, darüber zu reden, denke ich.“

„Wie dem auch sei. Was würde wohl geschehen, wenn du dich nicht mehr verstecken würdest?“, wollte er wissen. „Auch jetzt noch versteckst du dich unter deinen Kleidern. Und dann die Haare! Hast du schon im Waisenhaus immer mutwillig zerzaust ausgesehen? Vielleicht damit niemand dich mitnimmt?“ An dem leisen Protest auf ihrem Gesicht erkannte er, dass genau das der Fall gewesen war. Und in ihm tauchte kurz der Gedanke auf, sie würde ihre innere Abwehr aufgeben. Ihr hübsches Gesicht wurde weicher, und er vergaß beinahe, dass er sie nur heiraten wollte, weil es ein so guter letzter Schachzug gegen seinen Vater war. Beinahe vergaß er den Schwur, den er geleistet hatte: den Mann zu bestrafen, der seiner Mutter das Leben zur Hölle gemacht hatte.

„Noch mal, Zeus: Ich habe nicht die Absicht, zu heiraten. Ich werde dieses Kind bekommen und mit ihm gemeinsam eine Familie sein. Das ist es, was mich voll und ganz befriedigen wird.“

Zeus hätte Nina am liebsten jetzt sofort hineingetragen und ihr gezeigt, was „befriedigt“ sein hieß. So wie er es ihr vor sechs Monaten gezeigt hatte, immer und immer wieder.

„Dir ist doch klar, dass du hier auf Theosia bist, oder?“ fragte er.

„Wie könnte ich das vergessen? Ich starre gerade auf sein überbelichtetes Aushängeschild.“

Was Zeus wirklich ärgerte: Ihm gefiel der Scharfsinn dieser Frau, die in seiner Gegenwart eigentlich hätte sprachlos vor Ehrfurcht sein sollen. Aber das war sie auch damals schon nicht gewesen. Sie schien völlig unbeeindruckt zu sein. Und was sagte es über ihn aus, dass ihm das gefiel? Dass sie ihm gefiel?

„Dann weißt du auch, dass ich als Prinz dieses Landes deine Zustimmung nicht benötige, um dich zu heiraten, Nina. Akzeptiere das lieber gleich und erspare dir einen aussichtslosen Kampf.“

Nina bebte. „Ist das eine Drohung?“

Er lachte. „Natürlich! Was sollte es sonst sein?“

„Aber warum bestehst du darauf?“ Sie klang erbittert. „Du willst mich doch gar nicht!“

Zeus hatte das sonderbare Bedürfnis, ihr seine Motive zu erläutern. Aber welche Frau hörte schon gern, dass sie nur ein weiterer Schachzug im endlosen Krieg gegen den Vater war? Trotzdem hätte er es ihr am liebsten gesagt. Nicht weil er glaubte, sie würde es verstehen, sondern weil sie anders war. Sie war immer schon anders gewesen. Und er war der Einzige gewesen, der unter ihrer lächerlichen Verkleidung immer schon ihre Schönheit erkannt und gesehen hatte, wie sie wirklich war. Vielleicht wollte er prüfen, ob jemand – sie – auch in ihm so etwas sehen könnte. Doch dieses Bedürfnis war ein Zeichen von Schwäche, und Zeus hatte sich schon vor langer Zeit für einen anderen Weg entschieden. Und von dem würde er auch jetzt ganz sicher nicht abweichen.

„Ich heirate dich wegen des Kindes, Nina“, sagte er so ernsthaft, dass er es fast selbst glaubte. Und er meinte es tatsächlich auch ein bisschen ernst, merkte er dann erstaunt. „Was immer ich sonst sein mag, ich bin auch der Prinz von Theosia. Kein Kind von mir wird unehelich geboren.“

Nina schien etwas entgegnen zu wollen, doch sie bewegte nur stumm ihre Lippen.

„Ich mag meinen Vater nicht besonders, aber ich finde, jedes Kind sollte einen haben.“ Dabei sah er ihr fest in die Augen. Sie hielt seinem Blick eine gefühlte Ewigkeit stand, dann senkte sie die Lider.

„Was hat dein Vater dir denn getan?“, fragte sie leise.

„Es geht eher darum, was er nicht getan hat.“ Mehr würde er darüber ganz gewiss nicht ausplaudern. Langsam stand er auf und blickte hinab auf diese Frau, die seine Welt auf den Kopf gestellt hatte. Vielleicht hätte er etwas dagegen unternehmen sollen, aber er musste sich eingestehen: Sie gefiel ihm. Diese „kleine Henne“ war alles andere als langweilig, und allein deshalb hätte sie ihm schon gefallen. Doch es ging hier auch darum, für ein Kind zu sorgen. „Wir werden heiraten“, sagte er, wobei ihm bewusst war, dass er sehr ernst klang und nicht so lässig wie sonst. „Finde dich damit ab. Du kannst es ohnehin nicht verhindern. Ich möchte nicht, dass du unnötig Kummer hast, Nina.“

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sehr großherzig von dir“, zischte sie.

Zeus ließ sie allein, damit sie über ihre Optionen nachdenken konnte. Es fiel ihm jedoch unerwartet schwer, zu gehen. Er versuchte, das in ihm aufkommende gierige Verlangen zu unterdrücken und malte sich stattdessen aus, welche Form Ninas Rebellion nun annehmen würde. Ob sie sich wohl weiterhin so verunstalten würde? Das wäre zumindest unterhaltsam.

Doch es waren nicht ihre kleinen rebellischen Anwandlungen, die ihn in dieser Nacht wachhielten. Es war die Erinnerung daran, wie ihre Hand seine berührt hatte. Und daran, wie ihr Bauch sich unter seiner Hand anfühlte. Wie sie das Flattern in ihrem Atem zu verbergen suchte, als er mit ihren Fingern spielte. Die Erinnerung an dieses lodernde Feuer, dieses Verlangen jener unvergessenen Nacht.

Mürrisch blickte er am nächsten Morgen von seinem Teller auf, als sein Butler Nina in den Frühstücksraum führte. Doch als er sie sah, besserte sich seine Laune augenblicklich. Nina hatte sich eindeutig die nächste Form von Rebellion ausgedacht: pure Perfektion. Sie sah geradezu hinreißend aus: Ihr blondes Haar war zu vielen kleinen Zöpfen geflochten, die als Kranz auf ihrem Kopf thronten. So kamen ihr schlanker Hals und ihre vollen Lippen noch besser zur Geltung. Und anstelle des Zelts von gestern trug sie etwas Engeres, das ihre üppigen Brüste und den wunderschönen gewölbten Bauch sowie alles andere betonten: ihre zarten Schultern, ihre langen, wohl geformten Beine … Ihm stockte kurz der Atem.

„Du hast also eine Haarbürste im Bad gefunden?“, fragte er.

Nina funkelte ihn an und straffte die Schultern. „Also, ich hab’s mir überlegt. Wenn es sein muss, heirate ich dich eben.“

„Ich bin gerührt“, sagte er. „Zutiefst.“ Er erhob sich nicht von dem kleinen Tisch, an dem er sein Frühstück einnahm.

Die großen Fenster ließen die Sonne herein. Er liebte es, sich von ihren Strahlen wärmen zu lassen, während er an einem Espresso nippte und die Finanzseiten der Zeitungen las. Erst nach diesem Ritual ging er in sein Büro, wo er mehr und mehr Zeit verbrachte, seitdem sein Vater Kronos in den letzten Monaten immer kranker geworden war und den Großteil der Staatsgeschäfte widerwillig seinem Sohn übertragen hatte. Zeus hatte sich die größte Mühe gegeben, zu nichts nütze zu erscheinen. Wer außerhalb des Palastes überhaupt wusste, dass er ein Büro hatte, nahm an, dies sei nur eine PR-Abteilung mit der Aufgabe, hinter ihm aufzuräumen. So eine Abteilung hatte er tatsächlich auch, aber sie nahm nur einen kleinen Teil von allem ein.

Zeus machte Nina ein Zeichen, sie solle ihm gegenüber Platz nehmen, und lehnte sich dann zurück, ganz in der Pose des trägen Prinzen, für den sie ihn ja ohnehin hielt.

Nina zögerte und setzte sich stirnrunzelnd. Er vermochte nicht zu sagen, ob er der Grund für ihr offensichtliches Unbehagen war oder die Tatsache, dass sie ihm recht gab, indem sie tatsächlich ihre Tarnung aufgegeben hatte. Er genoss seine Spielchen, das stimmte. Aber es war unhaltbar, dass Nina sich in seiner Nähe unbehaglich fühlte.

„Du bist mir übrigens das erste Mal vor einigen Jahren in der Oper aufgefallen“, teilte er ihr unvermittelt mit. Bis vor einigen Tagen, als er sich entschlossen hatte, sie für seinen Rachefeldzug zu benutzen, hätte er wohl noch beteuert, er habe sie kaum mehr wahrgenommen als die Tapete seiner Opernloge. Und doch schien es ihm jetzt, als erinnere er sich sehr deutlich an jene Nacht in Wien.

„Du hattest den Platz direkt hinter mir und duftetest wundervoll nach Erdbeeren.“

„Ja, wahrscheinlich, weil ich vorher welche gegessen hatte“, erwiderte Nina spröde.

Zeus nippte an seinem Espresso. „Faszinierend, dass du jedes Kompliment abschmetterst.“

„Faszinierend, dass du mir so unbedingt welche machen willst.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich brauche deine Komplimente nicht, Zeus. Könnte ich mir einen Ehemann aussuchen, wärst das nicht du.“

„Oh, ich bin am Boden zerstört. Und trotzdem sitzt du in der Falle. Mein Beileid zu dem entbehrungsreichen Leben, das dich hier erwartet.“

Trotz seines Sarkasmus hatte sie sich hingesetzt. Offensichtlich erwärmte sie sich für dieses Thema. „Du bist egoistisch. Dein Verhalten ist abscheulich, bestenfalls. Und der Hauptzweck deiner Existenz scheint zu sein, so viele sexuelle Erlebnisse wie möglich zu sammeln und sie in der Boulevardpresse zur Schau zu stellen.“

„Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes.“

Nina seufzte. „Soweit ich weiß, gehen solche königlichen Vernunftehen langfristig gut, weil von Anfang an bestimmte Absprachen getroffen werden.“

Damit hatte sie mehr recht, als ihr vielleicht bewusst war, doch Zeus antwortete nur ganz nonchalant: „Ich kann nicht behaupten, dass ich mich mit dem Stand der Ehe, ob nun königlich oder nicht, schon sehr viel befasst hätte.“

Nina, die ihm gegenübersaß, rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. „Ich weiß zufällig, dass Isabeau die Absicht hatte, während eurer Ehe weiterhin ihren üblichen Vergnügungen nachzugehen. Das hat sie unablässig betont. Sie würde dir einen Erben gebären und sich dann wieder dem widmen, was ihr wirklich Spaß macht. Und sie ging davon aus, auch du würdest weiterhin deinen Gelüsten nachgehen, und keinen von euch beiden würde es stören.“

„Und wollen wir es genauso halten?“, fragte er. „Oder willst du mir damit sagen, dass du genau das befürchtest?“ Er bemühte sich, gelangweilt zu klingen, dabei ließ ihn allein schon die Vorstellung innerlich kochen, diese Frau mit anderen Männern teilen zu sollen. Schnell zwang er sich, Kiefer und Faust zu entspannen, die sich gerade gefährlich verkrampften. Nina durfte nichts merken.

„Oh, da hast du mich wohl missverstanden“, sagte sie leichthin. „Ich kenne meinen Part bereits.“

In Zeus breitete sich eine unheilvolle Stille aus. „Dann bitte ich um Verzeihung. Hast du einen Liebhaber, den du nicht aufgeben kannst?“ Denn wenn sie einen hätte, würde er den Kerl in Stücke reißen! Er fragte sich lieber nicht, warum gerade er, der immer beteuerte, er könne mit den Begriffen „Eifersucht“ oder „Besitzdenken“ nichts anfangen, jetzt beides empfand. Und zwar in beunruhigendem Ausmaß.

„Nein, darum geht es nicht“, sagte Nina stirnrunzelnd. „Ich möchte, dass du tust, was auch immer du bisher getan hast, damit ich mich nicht damit befassen muss.“

Keine Antwort der Welt hätte ihn mehr verblüfft. „Damit du dich nicht damit … befassen musst?“ Er konnte nur erstaunt blinzeln.

Sie nickte nachdrücklich. „Es ist die perfekte Lösung. Deine sexuellen Ansprüche sind bestimmt sehr … nun ja, anspruchsvoll eben. Und ich könnte da sicherlich nicht mithalten.“ Nina zeigte mit der Hand nach draußen. „Tob dich da draußen aus, wie du es immer getan hast. Meinen Segen hast du.“

Wieder ergriff ihn diese ungekannte Wut, nun gemischt mit Empörung darüber, dass diese Frau, seine zukünftige Frau, ihm einen Freibrief ausstellte, so weiterzumachen wie als Single. Die Wut brannte ihn ihm, schien alles auf den Kopf zu stellen. Doch das Seltsamste war: Ninas Vorschlag hätte ihn begeistern sollen, tat es aber nicht. Zeus war nie ein Freund von Monogamie gewesen, hatte sogar oft die Theorie aufgestellt, die Ehe sei eigentlich nur ein Zeichen von Verlustangst. Er hätte also erfreut sein sollen. Doch er war es ganz und gar nicht.

„So sind alle zufrieden“, sagte sie fröhlich lächelnd. „Du kannst tun, was du am besten kannst, und ich …“

„Was, bitte, kannst du denn am besten?“, knurrte Zeus. „Ich mag’s mir gar nicht vorstellen.“

Nina sah ihn befremdet an. „Ich hatte nie die Gelegenheit, herauszufinden, was ich am besten kann.“ Sie betrachtete ihn und legte den Kopf zur Seite. „Ich dachte, du würdest dich jetzt freuen, aber du siehst nicht gerade begeistert aus.“

„Du bist ja verdammt schnell bereit, auf die leiblichen Genüsse zu verzichten, Nina.“

Sie lachte, und das kränkte ihn mehr als alles andere bisher. „Ich werde es überleben.“

„So, wirst du das?“ Und nun geschah etwas, wogegen Zeus sich nicht wehren konnte: Als hätte seine Hand ein Eigenleben, streckte sie sich nach Nina aus. Er folgte dieser Bewegung, lehnte sich über den kleinen Tisch, ließ seine Hand sich um Ninas Nacken legen und zog ihr Gesicht dicht an seines heran. Erschrocken öffnete sie den Mund, und er roch ihren süßen Erdbeer-Atem. In ihren warmen braunen Augen sah er Erstaunen aufflackern. Alles an ihr war süß und weich, doch er küsste sie so gierig und hart, als wäre er kurz vorm Ertrinken und sie seine einzige Sauerstoffquelle. Es war, als hätte das Verlangen nach Nina die letzten sechs Monate in ihm weitergeglommen und als hätte es nur eines kleinen Funkens bedurft, um das Feuer wieder heftiger aufflackern zu lassen.

Ohne seinen Mund von ihrem zu lösen stand Zeus auf und war mit einem Satz bei ihr auf der anderen Seite des kleinen Tisches. Er zog sie hoch und schloss sie in seine Arme. Und diese Umarmung fühlte sich vollkommen stimmig an, trotz des Bauches zwischen ihnen. Nein, gerade dieser wunderbare Bauch machte das Ganze noch aufregender. Und das Aufregendste, Erregendste war: Nina erwiderte seine Küsse mit der gleichen Leidenschaft. Er ließ seine Zunge immer tiefer in ihren Mund eindringen, bis er endlich seine Antwort bekam, ein Gurren aus der Tiefe ihrer Kehle. Das hier, das war perfekt. Er hatte das Gefühl, endlich zu Hause zu sein.

Doch plötzlich setzte sein Verstand wieder ein: Er musste um Gottes willen die Kontrolle über seinen Plan behalten!

Widerwillig löste er sich von Ninas Mund, legte seine Stirn gegen ihre und ließ eine Hand nach unten wandern, um den Bauch zwischen ihnen zu streicheln. Denn jeden anderen Teil von ihr kannte er schon bis ins Detail.

Nina hatte die Augen geschlossen, ihr Atem ging schwer. Als sie ihn nach einer Ewigkeit wieder ansah, wirkte sie benommen, sagte dann jedoch mit fester Stimme: „Das darf nicht wieder geschehen.“

Er blieb reglos vor ihr stehen, sein Glied jedoch pochte heftig und sein ganzer Körper lechzte danach, ihr näherzukommen, weiterzumachen, zu tun, was immer nötig war, damit sie endlich nackt unter ihm lag und ihre Lust hinausschrie, wenn ihre Körper wieder vereint waren.

„Zeus.“ Ihre Stimme klang etwas brüchig. „Das darf nie wieder passieren.“

„Doch, ich glaube schon“, murmelte er und fuhr ihr mit einer Hand über die Wange, während sein Daumen über ihre Lippen strich. Als sie sich daraufhin von ihm abwandte und aus dem Zimmer stürmte, ließ er sie gewähren. Es genügte ihm vorerst, dass er endlich wieder ihren Geschmack auf seinen Lippen hatte. Und er ertappte sich dabei, wie er lächelte, noch lange nachdem sie gegangen war.

5. KAPITEL

Dieser Kuss komplizierte alles. Nina fand es schon schlimm genug, dass sie eingewilligt hatte, ihn zu heiraten.

In der ersten Nacht im Palast der Götter hatte sie wach gelegen und die kunstvoll bemalte hohe Decke über ihrem Bett angestarrt. Sie lauschte auf das Meeresrauschen und fragte sich, was in aller Welt sie hier eigentlich machte. Doch dann kam ihr immer wieder ihr Baby in den Sinn. Wie konnte sie eine Heirat mit dem Vater des Kindes ablehnen? Die ganze Nacht hindurch haderte sie mit sich.

Schon mit Adeligen im Allgemeinen hatte sie ja so ihre Probleme, und dieses Kind würde sogar ein Kronprinz oder eine Kronprinzessin sein. Nina war all diesen Prinzen und Prinzessinnen immer mit Misstrauen begegnet, und sowohl Isabeau mit ihrer niederträchtigen Heuchelei als auch Zeus, der mit seinen Eskapaden die Klatschpresse bediente, hatten ihr jegliche romantische Fantasie gründlich verleidet. Andererseits bestand natürlich die Chance, dass ihr eigenes Kind ein ganz reizendes Exemplar der königlichen Gattung abgeben würde. Sie sollte ihm also lieber nicht sein Geburtsrecht verweigern. 

Nina erinnerte sich wieder an die Zeit, nachdem sie Haute Montagne verlassen hatte. Endlich frei, wollte sie in die Welt hinausgehen und nur ihrem Herzen folgen. Als sie dann jedoch auf Reisen war, stellte sie fest, dass ihr Herz sie nie zu Menschen hinzog, immer nur zu Orten. Wenn andere junge Leute in den Hostels, in denen sie wohnte, nachts fröhlich feierten, stand sie nur passiv am Rande. Aber sie war zufrieden damit, und sie ging auch nicht auf eindeutige oder versteckte Avancen junger Männer ein. Ihr war während ihrer Reisemonate immer mehr bewusst geworden, dass ihr der Sinn für Romantik abhandengekommen war, den sie vielleicht als Teenager im Waisenhaus einmal gehabt hatte.

Gut, dachte sie, weiter die Decke über ihrem Bett anstarrend. Wenn ich ohnehin nicht auf die romantische große Liebe warte, kann ich genauso gut Zeus heiraten. Auch für ihn ist es ja ganz sicher keine Liebesheirat. Was machte es also schon? Letztendlich ging es um ihr Kind.

Deshalb ging sie also morgens zu Zeus, entschlossen, ihn zu heiraten und froh, die Zukunft ihres Kindes auf diese Weise sichern zu können.

Aber dann hatte Zeus sie geküsst und alles ruiniert. Denn nun würde sie Nacht für Nacht wach liegen und sich fragen, ob vielleicht er der Grund gewesen war, weshalb sie sich auf ihren Reisen auf keine Liebesbeziehung eingelassen hatte. Nach ihrem überstürzten Aufbruch aus Haute Montagne hatte sie ihre gemeinsame Nacht schnell verdrängt und versucht, sich einfach nur über ihre neue Freiheit zu freuen.

Und nun ließ sein Kuss alles wieder aufleben. Denn dieser Mann schmeckte nach Sonne, nach Sinnlichkeit und Hingabe, und sie erinnerte sich so lebhaft an diese lange, lustvolle Nacht, dass Zeus’ Verrat am nächsten Morgen fast unbedeutend wurde.

Nun war sie im sechsten Monat und saß im Palast der Götter fest, und das bei diesem göttlichsten und gleichzeitig ruchlosesten Mann der Welt. Nina hatte ihre Einwilligung, ihn zu heiraten, schon in dem Moment bereut, als sie ausgesprochen war – nicht nur, weil Zeus sie danach geküsst und sie sich verriet, indem sie den Kuss so gierig erwiderte, sondern auch weil das Palastpersonal bald darauf über sie herfiel, im Gefolge die unvermeidlichen Hofdamen.

„Auf Bedienstete und diese schrecklichen adligen Groupies kann ich gut verzichten“, ließ sie Zeus wissen bei einem der folgenden gemeinsamen Abendessen, auf die er bestand. Heute trug er einen legeren Leinenanzug. Der passte so gar nicht zu dem Mann, den sie tagsüber im Vorbeigehen in seinem Büro gesehen hatte, als sie auf einem ihrer Kunst-Erkundungsgänge war. Sachlich und fokussiert sprach er leise mit seinen Ministern. Anscheinend nahm er seine Aufgaben fern der Öffentlichkeit sehr ernst. „Die umkreisen mich schon jetzt wie die Geier und warten darauf, dass sie mir den Kopf abreißen können.“

„Die sind dir doch gar nicht gewachsen, meine kleine Henne.“

Hinter Zeus ging gerade die Sonne unter und tauchte ihn in dunkle Rosa- und Orangetöne. Ninas Puls ging verräterisch schnell.

„Aber vielleicht befürchtest du ja einfach nur, dass du ihnen hier ohne deine übliche Rüstung gegenübertreten musst.“

„Was redest du da?“, schleuderte Nina ihm entgegen, doch ihr Magen zog sich zusammen. Sie wusste sehr wohl, was er meinte. All die bösartigen Artikel über sie hatten ihr nur deshalb nichts anhaben können, weil sie nicht von ihr handelten, sondern von einer Rolle, die sie spielte, um Isabeau zu ärgern. Sie hatte sich ihr Leben lang versteckt. Jetzt aber, hier im Palast der Götter, kleidete sie sich genauso schick wie die eitlen Adligen. Sie frisierte sich die Haare und achtete zum ersten Mal im Leben auf ihr Äußeres. Und ja, sie tat es, weil Zeus sie provoziert hatte. Weil er behauptet hatte, sie schaffe es nicht, sich zu zeigen.

Doch sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, wie sehr sie es hassen würde, dass auch die Leute, die sie am wenigsten mochte, sie sehen konnten.

„Nina.“

Sie zuckte kurz zusammen, fing sich jedoch gleich wieder. Doch dann ergriff er ihre Hand, und sofort überkam sie wieder hitziges Verlangen und ließ jeden Teil ihres Körpers erglühen. Wirklich jeden.

Autor

Caitlin Crews
Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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