Julia Extra Band 538

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

MIT DIR AM WEISSEN STRAND DER SEHNSUCHT von NINA MILNE
Pikantes Wiedersehen mit dem Millionär! Statt die Hochzeit ihrer Schwester auf Sri Lanka zu genießen, erwartet Zoe ein Chaos der Gefühle: Obwohl sie den Verrat ihres Ex Matt Sutherland nicht verzeihen kann, erwacht am Indischen Ozean wieder die Sehnsucht nach seinen Küssen.

SINNLICHER DEAL MIT DEM GRIECHISCHEN BOSS von KIM LAWRENCE
Playboy Ezio Angelos braucht dringend eine Braut. Also überredet er seine Assistentin Tilda, ihn als angebliche Ehefrau nach Griechenland zu begleiten. Im Gegenzug hilft er ihr, eine prekäre familiäre Angelegenheit zu lösen. Ein riskantes Unterfangen! Denn warum ist ihm nie aufgefallen, was für eine sinnliche Ausstrahlung Tilda hat?

VERBOTENES BEGEHREN IN DEINEN ARMEN von JACKIE ASHENDEN
Sündige Stunden mit seiner Stiefschwester! Tycoon Constantine Silvera tut alles, um diese eine verbotene Nacht zu vergessen. Aber als Jenny drei Monate später in seiner Madrider Villa auftaucht und ihm etwas Unfassbares gesteht, erkennt der spanische Millionenerbe, dass er sich seiner Vergangenheit stellen muss …

LIEBESREISE INS GLÜCK? von ROBIN GIANNA
Sonne, Strand und Leichtigkeit ist das, was sich Bree von ihrem neuen Leben erhofft. Ehe und Familie? Nein, danke! Bis kurz vor der Abreise nach Hawaii ihr Ex-Verlobter Sean sie verzweifelt bittet, sich gemeinsam mit ihm um das Baby seiner Schwester zu kümmern und damit all ihre Pläne ins Wanken bringt.


  • Erscheinungstag 18.07.2023
  • Bandnummer 538
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518185
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nina Milne, Kim Lawrence, Jackie Ashenden, Robin Gianna

JULIA EXTRA BAND 538

1. KAPITEL

Zoe starrte aus dem Fenster der Villa auf eine perfekte Postkartenidylle aus schneeweißem Sandstrand, azurblauem Wasser und sich sanft wiegenden Palmen. Die Stille wurde nur von dem Gezwitscher der exotischen Vögel durchbrochen, welche die herrliche Insel Sri Lankas bevölkerten. Wenn sie doch nur zu einer ähnlichen inneren Ruhe finden könnte, wie die traumhafte Umgebung sie ausstrahlte! Doch egal wie friedlich die Szenerie auch wirken mochte, sie selbst war ein einziges Nervenbündel – und all das nur, weil sie in der nächsten Stunde Matt wiedertreffen würde.

Reiß dich zusammen, Zoe.

Hier ging es nicht um sie. Es ging einzig und allein um Beth, ihre geliebte, ältere Schwester. Zoe war nach Sri Lanka gekommen, um Beths Hochzeit mit Dylan zu feiern. Es war einfach ein unglücklicher Zufall, dass Dylans bester Freund und Trauzeuge ausgerechnet Matt Sutherland war. Natürlich wäre sie selbst Matt nie begegnet, wenn er und Dylan nicht befreundet gewesen wären. Vor fünf Jahren hatte sie zugestimmt, dass Beth ein Date zwischen ihnen arrangierte – ein einziger Mojito, auf den ein Dinner gefolgt war. Und sie hatte sich hoffnungslos verliebt. Sechs Monate später hatte sie festgestellt, dass sie ungewollt schwanger geworden war, worauf sie überstürzt geheiratet hatten.

Nur zu gut erinnerte sie sich an den Schmerz, den sie empfunden hatte, als sie das Baby früh verlor. Sie war grade mal in der zehnten Woche gewesen. Natürlich hatte sie gewusst, dass noch nichts „sicher“ war, doch das hatte an dem Kummer nichts geändert.

„Es gibt keinen besonderen Grund“, hatte der Arzt auf ihre Frage geantwortet, warum sie das Baby verloren hatte. „Und es gibt auch keinen Grund, es nicht wieder zu versuchen.“

Tatsächlich wusste Zoe in diesem Moment mit absoluter Sicherheit, was sie wollte – zwar hatte sie nicht geplant, ein Kind zu bekommen, aber die kurze Schwangerschaft hatte ihr deutlich gemacht, dass sie sich eine Familie wünschte. Ja, dass sie unbedingt Mutter werden und das Familienleben haben wollte, das ihr selbst nie vergönnt gewesen war.

Doch dann teilte Matt ihr mit, wie er darüber dachte – und ließ damit die Bombe platzen, die ihrer kurzen, unglückseligen Ehe den Todesstoß versetzte. Worte, die sich wie schmerzende Wunden in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten.

Ich empfinde nicht dasselbe, Zoe. Ich hätte mein Bestes gegeben, um ein guter Vater zu sein, aber ich will keine Kinder.

Fassungslos hatte sie ihn angestarrt. Seine Worte gaben ihr das Gefühl, dass alles zwischen ihnen eine einzige Lüge gewesen war.

Warum hast du das nicht gesagt?

Weil es sinnlos gewesen wäre. Du warst schwanger und ich …

Du wolltest das Beste aus der Situation machen.

Ganz dünn und gepresst hatte ihre Stimme geklungen, während sich kalte Trauer in ihrem Herzen ausbreitete.

Sie wusste sofort, dass sie nicht mit einem Mann leben konnte, der keine Familie wollte. Also verließ sie ihn. Packte eine Tasche und ging auf Reisen. Sie wollte ein paar Jahre in der Ferne verbringen, um ihre Kochkünste zu perfektionieren, ehe sie sich den Traum erfüllte, ihr eigenes Restaurant zu eröffnen. Deshalb nahm sie Jobs als Kellnerin und Küchenhilfe an, arbeitete sich bis zur Chefköchin hoch. Die letzten sechs Monate hatte sie in den Schweizer Bergen verbracht und dort als Schwangerschaftsvertretung ein kleines Restaurant eigenständig gemanagt.

Matt hatte sie in dieser Zeit aus ihren Gedanken verbannt. Ihre Ehe war ein Fehler gewesen. Selbst wenn sie das Baby nicht verloren hätte, welche Chance hätten sie schon gehabt? Dennoch erinnerte sich Zoe nur zu gut an die stürmische Leidenschaft, die ihr so den Kopf verdreht hatte. In Matts Gegenwart hatte sie sich lebendig gefühlt – zum ersten Mal seit Toms Tod. Tom, ihre erste, tragische Liebe. Auch Tom war so lebendig, so vital gewesen – nur um mit grade mal achtzehn Jahren an einer versehentlichen Überdosis zu sterben.

Mit Matt hatte sie geglaubt, das Schicksal gäbe ihr die Chance auf einen Neuanfang. Um die Tragödie wiedergutzumachen, für die sie sich verantwortlich fühlte. Sie wollte dem Baby, das sie erwartete, die perfekte Familie schenken, die sie sich immer gewünscht hatte. Nun, es war anders gekommen und Matt nur noch ein Teil ihrer Vergangenheit.

Bis zum heutigen Tag. Sie war wahnsinnig aufgeregt, weil sie ihm wiederbegegnen würde. Kurz schloss sie die Augen. Alles würde gut gehen. Das musste es. Beth war immer für sie da gewesen. Keinesfalls würde sie, Zoe, es zulassen, dass irgendetwas die nächsten Tage, die ihre Schwester so sorgfältig geplant hatte, ruinieren würde.

Dylans Mum stammte aus Sri Lanka. Obwohl sie schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen war, war es ihr immer wichtig gewesen, dass ihr Sohn diesen Teil seiner Wurzeln kannte. Deshalb hatten Beth und Dylan entschieden, hier zu heiraten und die Hochzeit und Flitterwochen mit einem Aufenthalt auf Lavantivu zu verbinden, der Insel, auf der seine Familie früher gelebt hatte.

Sie hatten auch beschlossen, nur eine kleine Hochzeit im engsten Familienkreis plus Matt zu feiern und vor der Trauung Zeit mit allen zu verbringen. Deshalb hatten sie für eine Woche ein paar benachbarte Ferienhäuser, die eher Villen glichen, so luxuriös waren sie, in einer hübschen kleinen Anlage auf Lavantivu gebucht und verschiedene Aktivitäten geplant. Für die eigentliche Trauung würden sie am Ende der Woche in die Stadt Burati fahren, wo die Zeremonie in einem Luxushotel stattfinden sollte.

Heute war der Anreisetag. Alle sollten zum Lunch im Haupthaus zusammenkommen, wo sich eine große Küche samt Esszimmer befand. Alle bis auf Beths und Zoes Eltern. Wieder einmal wurde Zoe von einer nur allzu vertrauten Mischung aus Wut, Frustration und Traurigkeit erfasst. Neil und Joanna Trewallen hatten so ziemlich jedes entscheidende Ereignis im Leben ihrer Töchter verpasst. Ihre Zeit wurde von unendlich vielen guten Zwecken aufgefressen, die sie unterstützten und die scheinbar nie ohne sie auskamen. In diesem Fall hatten sie in letzter Minute entschieden, dass es wichtiger war, an einer Klima-Demonstration in London teilzunehmen.

Du wirst also verstehen, Liebling, dass es alles andere als gut aussähe, wenn wir in ein Flugzeug stiegen, um nach Sri Lanka zu jetten.

Ja, das verstehe ich, und ich stimme euch zu, aber meint ihr nicht, dass ihr diese eine Demo auslassen könntet, um bei der Hochzeit eurer Tochter anwesend zu sein?

Nein, denn wie wir euch immer erklärt haben, darf man nicht das Individuum an die erste Stelle setzen. Nicht mal, wenn es sich um die eigene Familie handelt. Beth wird das verstehen.

Zoe biss die Zähne zusammen – sie würde das jetzt nicht an sich heranlassen. Als es klopfte, öffnete sie dankbar für die Ablenkung die Tür und ließ ihre Schwester lächelnd eintreten.

„Hey“, sagte Beth. „Ich bin nur vorbeigekommen, um zu schauen, ob du fertig bist.“ Sie hielt kurz inne, dann fuhr sie beiläufig fort: „Und um dir zu sagen, dass Matt eingetroffen ist.“

„Ich bin fertig.“ Zoe wedelte mit einer Hand. „Und das ist in Ordnung.“ Auch wenn ihr Herz in diesem Moment wie verrückt pochte. Egal, was auch passierte – zumindest sah sie gut aus. Das bestätigte ein letzter Blick in den Spiegel.

Ihr Kleid war nicht nur elegant, sondern ein echter Hingucker, ein wilder Blumenmix in Rot- und Orangetönen, die hervorragend zu ihrem kastanienroten Haar passten. Dazu trug sie sündhaft hohe Stilettos.

Ihr Outfit sollte Unbekümmertheit, Schwung und Lebenslust ausstrahlen und die Tatsache überspielen, dass sie innerlich ein nervöses Wrack war.

„Bist du sicher, dass das hier für dich okay ist?“, fragte Beth.

„Natürlich. Warum auch nicht?“ Irgendwie gelang ihr ein leichtes Lachen. „Das mit Matt und mir ist doch nun schon ewig her – es gibt keinen Grund, warum uns irgendetwas unangenehm sein sollte.“ Ihre Schwester wusste nichts von der missglückten Schwangerschaft. Zoe und Matt hatten niemandem davon erzählt, weil sie abwarten wollten, bis es sicher war. Nur dass dieser Zeitpunkt nie gekommen war. Insofern hielt Beth ihre kurze Ehe für eine dumme Laune, einen Fehler, den Zoe und Matt rasch erkannt hatten. „Es wird schön sein, zu hören, was er in der Zwischenzeit so getrieben hat.“

Lügnerin.

Dennoch erzielten ihre Worte die gewünschte Wirkung. Beths sorgenvoller Blick verschwand. „Lass uns gehen“, sagte Zoe. „Es wird bestimmt wunderbar. Es … tut mir nur leid, dass Mum und Dad nicht hier sind.“

„Das muss es nicht, Zoe. Ich habe sowieso nicht ernsthaft damit gerechnet, dass sie kommen. Sie haben versprochen, sich über Skype zuzuschalten, das ist immerhin etwas. Ich brauche Mum für einen Teil der Zeremonie. Einige der Rituale beziehen sich auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, weshalb sie eine gewisse Rolle zu spielen hat. Zumindest hat sie zugestimmt, das zu übernehmen.“

Beth und Dylan hatten sich für eine gemischte Trauung entschieden, die sowohl westliche als auch sri-lankische Traditionen umfasste. Zoe wusste, dass sie sich viele Gedanken gemacht hatten, um eine gelungene und alle zufriedenstellende Mischung hinzukriegen.

„Ich bin so froh, dass Dylans Eltern dir so nahestehen.“ David und Manisha hatten Beth in ihre Familie aufgenommen, und Zoe hoffte, dass das ihre Schwester für ihre eigene chaotische Kindheit ein wenig entschädigte.

„Ich auch.“ Beth grinste. „Komm schon, Schwesterchen, lass uns gehen und die Party eröffnen!“

Matt Sutherland sah sich im Raum um und zwang sich, nicht zur Tür hinüberzublicken und nach Zoe Ausschau zu halten. Es war ja nicht mal so, dass er sie sehen wollte. Aus freien Stücken hätte er einem Treffen niemals zugestimmt. Aber dies war nun mal Dylans und Beths Hochzeit, und so ließ es sich nicht vermeiden, Zoe über den Weg zu laufen. Aber wie sollte er die Frau begrüßen, die sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte, nur um dann ohne ein Wort der Vorwarnung wieder zu verschwinden?

Als er an jenem Tag in ihr Penthouse zurückgekehrt war, waren all ihre Sachen weg gewesen. Sie hatte sogar alle Fenster geöffnet, als wollte sie die Luft reinigen. Merkwürdigerweise hatte ihn das mehr verletzt als alles andere – die Art und Weise, wie sie sich komplett aus ihrem gemeinsamen Heim ausradiert hatte, als wollte sie ihm zeigen, dass sie ihn aus ihrem Leben getilgt hatte.

Genauso wie es seine Eltern getan hatten und unzählige Pflegeeltern auch. Für Letztere war er nicht mehr als ein weiteres ungewolltes, traumatisiertes Kind gewesen. In manchen Familien war er nur einen Tag oder eine Woche geblieben. Doch beinahe jedes Mal war er in ein Zimmer mit geöffnetem Fenster gekommen – geöffnet, um die Luft von der Anwesenheit des Kindes vor ihm zu reinigen.

Doch das war damals, und jetzt war jetzt. Wenn er eines aus der Zeit mit Zoe gelernt hatte, dann das: Man sollte niemals auf Loyalität oder gar Liebe hoffen. So hatte er seine Kindheit überlebt, seine Jahre als Teenager … sein ganzes bisheriges Leben.

Seine Eltern waren Alkoholiker gewesen, die seine Existenz mehr oder weniger ignoriert hatten. Die ersten fünf Jahre seines Lebens hatte er in einem Zustand krimineller Verwahrlosung verbringen müssen. Das einzig Gute daran war, dass er sich kaum daran erinnern konnte. Dennoch gab es bestimmte Dinge, die Panik in ihm auslösten – selbst heute noch. Hunger, bestimmte Gerüche … Und manchmal kamen noch die Albträume hinzu. Trotzdem hatte er einen Weg gefunden zu überleben. Eine Gnade, die seinem kleinen Bruder nicht vergönnt gewesen war. Matt schloss kurz die Augen. Der kleine Bruder, der noch ein Säugling gewesen war, als er krank wurde und starb.

Erst danach war das Jugendamt auf ihren Fall aufmerksam und Matt gerettet geworden. Schuldgefühle durchströmten ihn – zusammen mit dem sehnlichen wie vergeblichen Wunsch, er hätte Peter retten können.

Doch Wünsche allein änderten nichts. Sie konnten die Zeit nicht zurückdrehen. Unterm Strich musste man festhalten, dass er seinen Bruder nicht gerettet hatte. Er hatte nichts getan. Himmel, er konnte sich ja nicht mal an die Existenz seines Bruders erinnern. Zu welcher Art Mensch machte ihn das?

Genug. Das war damals, und jetzt war jetzt.

Jetzt war er hier, auf der wunderschönen Insel Lavantivu, um die Hochzeit seines besten Freundes zu feiern. Das Schicksal seines kleinen Bruders würde ihn immer quälen, aber er hatte gelernt, mit den Erinnerungen und der Schuld zu leben. Erinnerungen, die er mit keiner Menschenseele je geteilt hatte – nicht mit Dylan, nicht mit Zoe, mit niemandem.

Wie aufs Stichwort wanderte sein Blick wieder zur Tür hinüber. Beth betrat den Raum, und als Zoe hinter ihr auftauchte, setzte sein Herz einen Schlag aus.

Seine vorgebliche Gelassenheit war nichts als Heuchelei. Er brauchte seine gesamte Willenskraft, um sich nichts anmerken zu lassen, während sich ihm bei ihrem Anblick die Kehle zuschnürte und die Erinnerungen über ihn hereinbrachen – Lachen, Schmerz, Trauer, Zorn, Freude. Verwirrung, Verzweiflung, Scheitern.

Matt wappnete sich.

Er würde nicht zulassen, dass Zoe ihm wieder unter die Haut ging. Nein, diese Macht würde er ihr nicht zugestehen.

Zum Glück wusste er, was zu tun war. Die Technik hatte er seit seiner Kindheit perfektioniert. Es ging darum, die eigenen Gefühle eisern im Griff zu halten und zivilisierte Höflichkeit an den Tag zu legen. Deshalb konzentrierte er sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, auch wenn ihm das Lächeln nicht so leicht fiel wie sonst.

Beth begrüßte ihn als Erste. „Matt, vielen Dank, dass du gekommen bist. Dylan ist gerade hinaufgegangen zu seinen Eltern – sie sind bestimmt gleich da.“

„Ich hätte euer Fest um keinen Preis verpassen wollen. Es ist eine großartige Idee, ein paar Tage zusammen zu verbringen.“

Er drehte sich zu Zoe – bleib locker, Sutherland – doch bevor er etwas sagen konnte, bat ein Mitarbeiter des Resorts Beth, ihn zu begleiten. „Könnte ich Sie kurz sprechen, Beth?“

„Natürlich.“ Beth blickte zu Matt. „Ich bin gleich zurück – vermutlich geht es um den Lunch. Ich komme gleich wieder.“

Worauf er allein mit Zoe zurückblieb. Erneut drehte er sich zu ihr, doch seine einstudierten Worte kamen ihm nicht über die Lippen.

Sie sah so vertraut aus und gleichzeitig so anders.

Ihr Haar hatte immer noch diesen leuchtend roten Ton, doch es war länger und fiel ihr in ungezähmten Locken über die Schultern. Zu seinem eigenen Entsetzen juckte es ihn in den Fingern, seine Hände durch die seidige Masse gleiten zu lassen. Sie trug Stilettos, wodurch sie ihm ungefähr bis zum Kinn reichte. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, was ihren zarten Hals entblößte. Sein Blick ruhte auf der Stelle, die er immer so gern geküsst hatte. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie sie dann vor Verlangen geschnurrt hatte. Wie sie am ganzen Körper erschauerte.

Oh, zur Hölle. Das musste aufhören. Doch als er ihrem Blick begegnete, erkannte er an ihren geröteten Wangen und den glänzenden Augen, dass sie genau dieselbe Reaktion zeigte. Die Anziehungskraft war beidseitig und genauso heftig wie vor all den Jahren. Dennoch hatten sie auf die harte Tour gelernt, dass Anziehungskraft allein nicht ausreichte. Er musste etwas sagen. Irgendetwas.

Sie schien dasselbe zu denken.

„Lange nicht gesehen“, murmelte sie.

„Das stimmt“, entgegnete er, woraufhin wieder Schweigen einsetzte. Ein Schweigen voller Anspannung. Wieder war es Zoe, die es brach.

„Wie geht es dir?“

„Gut. Und dir?“

„Auch gut.“

„Großartig.“

„Prima.“

Das war jetzt nicht die geistreichste Unterhaltung der Welt, aber die eigentliche Konversation verlief ohnehin nonverbal. Da lag irgendetwas in der Luft … etwas, das ihn zu ihr hintrieb, das ihn dazu verleiten wollte, sie in seine Arme zu ziehen.

Was lächerlich war. Zoe hatte ihn verlassen, und er verstand durchaus, warum, auch wenn er die Art und Weise, wie sie es getan hatte, verachtete. Er konnte nicht der Mann sein, den sie brauchte. Es war die eine Rolle, die er nicht zu spielen vermochte. Dass er sich trotzdem noch zu ihr hingezogen fühlte, war demütigend. „Ähm … sind deine Eltern schon angekommen?“, fragte er schließlich.

Die Frage, dachte er, wird die Spannung ein wenig auflösen. Doch stattdessen war ihre Miene auf einmal wie versteinert. „Unglücklicherweise können sie nicht kommen.“

Zur Hochzeit ihrer Tochter? Er verkniff sich die Frage und sagte stattdessen: „Wie schade. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung?“ Während ihrer allzu kurzen Ehe hatte er Zoes Eltern gar nicht kennengelernt – sie hatten damals für sechs Monate im Ausland gelebt, in einem Protestcamp von Aktivisten, die für die Rettung von Wildtieren kämpften. Zoe hatte nicht über sie sprechen wollen, und er hatte das respektiert – weil er genauso wenig den Drang verspürte, über seine Kindheit oder Familie zu reden.

„Die Vergangenheit spielt keine Rolle“, hatte sie einmal voller Heftigkeit zu ihm gesagt. „Mir geht es nur um die Gegenwart und die Zukunft.“

Eine Haltung, der er voll und ganz zustimmte.

Nur dass weder ihre gemeinsame Gegenwart noch ihre gemeinsame Zukunft funktioniert hatten. Zum ersten Mal im Leben war es ihm nicht gelungen, eine Rolle auszufüllen, die von ihm erwartet wurde. Die Rolle des Ehemanns und zukünftigen Vaters. Allein der Gedanke an die Vaterschaft hatte ihm Angst eingejagt. Dunkle Erinnerungen plagten ihn und weckten die Befürchtung, er könnte ein schlechter Vater sein. Als steckte es ihm in den Genen, genauso zu versagen wie seine eigenen Eltern.

Deshalb hatte er sich voll und ganz in die Arbeit gestürzt, hatte sich entschieden, lediglich die Rolle des Versorgers zu übernehmen. Denn darin war er wirklich gut. Er gehörte zu den weltweiten Top-Hedgefonds-Managern. Die Presse attestierte ihm einen „ungewöhnlichen Instinkt für die Märkte sowie einen brillanten analytischen Verstand“. Zumindest würde es seinem Kind an nichts fehlen. Es würde nie hungern, sondern über allen Luxus verfügen, den man mit Geld kaufen konnte. Die Konsequenz seiner Entscheidung war allerdings, dass er Zoe kaum noch gesehen hatte. Er war vor allen Emotionen geflüchtet, und als sie dann das Baby verlor, von Trauer und Schuldgefühlen geradezu überwältigt worden.

Zudem festigte es eine Überzeugung in ihm, die er seit jeher gehegt hatte: Dass er einfach kein Vater sein sollte. Schließlich hatte er ja bereits als Bruder versagt.

Doch das war damals, und jetzt war jetzt.

„Beth muss furchtbar enttäuscht sein“, bemerkte er.

„Ja, das ist sie, aber es lässt sich nicht ändern“, entgegnete sie knapp. „Aus genau diesem Grund ist es sehr wichtig, dass zwischen uns keine Unannehmlichkeiten entstehen. Ich will, dass nichts diese Hochzeit trübt.“

Matt zuckte betont entspannt mit den Schultern, obwohl er sich ärgerte. „Warum sollten zwischen uns Unannehmlichkeiten entstehen?“ Auch wenn er sich um Gelassenheit bemühte, hörte er selbst den sarkastischen Unterton heraus. „Du hast mich verlassen. Es gibt keinen Grund für Unannehmlichkeiten – immerhin hast du ja eine Nachricht dagelassen.“

Zwei Zeilen, an die er sich nur zu gut erinnerte.

Lieber Matt,

es tut mir leid, dass ich auf diese Weise gehe, aber wir wissen beide, dass es nicht funktioniert. Die Gegenwart funktioniert nicht, und eine Zukunft sehe ich nicht.

Zoe

„Das ist nicht fair.“ Wut blitzte in ihren grünen Augen auf, und er bemerkte, dass er grandios darin gescheitert war, Gelassenheit und Souveränität zu mimen.

Ach, zur Hölle damit. „Aber es stimmt. Das kannst du nicht abstreiten.“

2. KAPITEL

Zoe schloss die Augen. Es war alles so gut gelaufen … oder machte sie sich da nur etwas vor? Die vergangene halbe Stunde war eine Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen. Spontane Anziehungskraft – eine Anziehungskraft, die sie eigentlich für erledigt gehalten hatte. Doch ein Blick auf ihn hatte ausgereicht, und es hatte sie wie der Blitz getroffen. Für wenige Augenblicke hatte sich ihr Körper so lebendig gefühlt wie nie wieder seit ihrer Trennung.

Zwar hatte sie in den vergangenen Jahren ein paar kurze Beziehungen gehabt, jedoch nichts, was wirklich zählte. Instinktiv wusste sie, dass es keinem der Männer gegenüber fair gewesen wäre, etwas vorzugaukeln, was nicht da war.

Doch jetzt überwog der Zorn das Verlangen. Wie konnte Matt es wagen, ihr vorzuwerfen, wie sie sich verhalten hatte? Also schön, sie hatte ihn verlassen, und ja, sie hatte lediglich eine knappe Nachricht hinterlassen, aber …

„Du scheinst zu vergessen, was unserer Trennung vorausgegangen ist“, sagte sie. „Du magst zwar physisch anwesend gewesen sein, aber an dem Tag, an dem ich das Baby verlor, hast du dich aus unserer Ehe ausgeklinkt …“ Die Worte platzten aus ihre heraus, als hätte es die Jahre, die seitdem vergangen waren, nicht gegeben. Die Vergangenheit, vor der sie davongelaufen war, holte sie ein und übte Rache.

„Das hier sollten wir nicht tun“, meinte sie daher und seufzte. In jeglicher Hinsicht. Vor langer Zeit hatte sie gelernt, dass man nicht zurückblicken durfte.

Nach Toms Tod hatte sie beschlossen, nur nach vorn zu schauen. Für seinen Tod fühlte Zoe sich moralisch verantwortlich – immerhin hatte sie ihn zu jener verhängnisvollen Party mitgenommen, von der sie nicht ahnte, wie sehr sie ausufern würde. Als sie realisiert hatte, dass an jenem Abend harte Drogen im Umlauf waren, hatte sie sich sofort auf die Suche nach Tom gemacht. Als sie ihn schließlich fand, küsste er gerade ein anderes Mädchen. Zoe flippte aus. Seine Entschuldigung, er sei betrunken und das Mädchen habe ihn geküsst, nahm sie nicht an.

Stattdessen stürmte sie davon. Am nächsten Tag hatte sie erfahren, dass er unbeabsichtigt eine Überdosis genommen und die Wahrheit über das Mädchen gesagt hatte. Seitdem quälte sie die Reue. Wenn sie ihm doch nur zugehört hätte, wenn sie ihm verziehen, ihm nicht gesagt hätte, dass Schluss sei, wenn sie ihn gezwungen hätte, mit ihr nach Hause zu gehen … Wenn doch nur, wenn doch nur, wenn doch nur.

Doch sie konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, weshalb sie versucht hatte, aus ihrer Trauer und aus ihrer Schuld zu lernen. Ihren rebellischen Lebensstil hatte sie aufgegeben, hatte akzeptiert, dass er ihr weder die Aufmerksamkeit noch die Liebe ihrer Eltern einbringen würde.

Und so war sie davongelaufen – zuerst nach Schottland, um zu studieren und einen Abschluss zu machen. Danach hatte sie angefangen zu reisen. Drei Jahre, in denen sie aus dem Koffer gelebt hatte. Auf einem Trip nach Hause war sie Matt begegnet – und das Leben verwandelte sich in eine Art Märchen. Voller Glückseligkeit. Bis sie schwanger wurde, sie heirateten und die Realität sie einholte. Bis der große Knall kam.

Es stellte sich heraus, dass der Mann, mit dem sie eine Familie gründen wollte, gar kein Kind wollte. Zuerst glaubte sie, es läge vielleicht an ihr. Dass er kein Kind mit ihr wollte. Sie fragte ihn nach dem Warum.

Noch immer sah sie seinen Gesichtsausdruck vor sich, als er die nächste Bombe platzen ließ. „Ich will kein Vater sein. Aber ich will Kindern helfen – irgendwann werde ich eine Stiftung ins Leben rufen, die sich um das Wohlergehen von Kindern kümmert.“

Seine Worte hatten sie wie ein Vorschlaghammer getroffen. Matt war wie ihre Eltern! Er war ein Mann mit einer Mission. Doch im Gegensatz zu ihren Eltern hatte er erkannt, dass er deshalb kein guter Vater sein konnte. Das rechnete Zoe ihm hoch an. Doch sie wusste auch, dass sie damit nicht leben konnte.

Deshalb war sie gegangen. Vielleicht war es feige gewesen, vielleicht hätte sie es ihm erklären sollen, doch zu dem Zeitpunkt hatte sie keinen Sinn darin gesehen.

Als sie ihn jetzt anstarrte, war sie fest entschlossen, keinen Zoll zurückzuweichen. „Hör zu, wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann wären wir beide heute nicht hier – aber das liegt nicht in unserer Hand. Ich will nicht, dass wir eine Szene machen, die einen Schatten auf Beths und Dylans Hochzeit wirft.“

Matt atmete tief ein. Wie er sich kurz die rechte Schläfe rieb, war ihr nur allzu vertraut. „Ich stimme dir zu. Es war mein Fehler. Ich habe versucht zu scherzen, und das ist völlig danebengegangen. Wie du ganz richtig bemerkt hast, sollten zwischen uns keine Unannehmlichkeiten entstehen, weshalb wir die Vergangenheit am besten ruhen lassen. Zumindest hat niemand unser Gespräch mitbekommen.“ Er blickte sich um und runzelte die Stirn. „Ich frage mich allerdings, wo alle sind?“

Nun wurde auch Zoe von Sorge erfasst. „Ja, du hast recht, das ist ein wenig merkwürdig.“ Sie war sicher, dass es nicht die Absicht ihrer Schwester gewesen war, sie so lange mit Matt allein zu lassen. Beunruhigt blickte sie auf die Uhr. „Außerdem soll es in fünf Minuten Lunch geben.“

Sie blickten sich an. „Komm“, sagte Matt, „lass uns nachsehen, was los ist.“

Gemeinsam gingen sie zur Tür. Zoe ließ ihm den Vortritt und bemühte sich, ihren Blick nicht auf seinen breiten Schultern ruhen zu lassen. Wie sie den Anblick immer genossen hatte! Seine Stärke. Seinen geschmeidigen Gang. Hör auf. Das war nicht hilfreich.

Doch als sie sah, wie er sich erst verspannte und dann schneller wurde, da folgte sie ihm rasch, und schließlich rannten sie auf die Sitzecke zu, in der sich mehrere Personen aufhielten.

Zoe keuchte auf, weil Dylan sich über eine Gestalt am Boden beugte. Sie sah Beth, die eindringlich auf einen Mitarbeiter einredete, und sie sah Dylans Mutter, die kreidebleich auf dem Sofa saß.

„Was ist passiert?“, fragte Zoe.

„Es geht um Dylans Dad. Er ist plötzlich kollabiert – wir befürchten, dass es ein Herzanfall sein könnte.“

„Was kann ich tun, um zu helfen?“ Zoes Gedanken überschlugen sich, und sie wandte sich an einen Mitarbeiter der Ferienanlage. „Wann kommt der Rettungswagen?“ Sie wusste nicht, wie die medizinische Notfallversorgung in Sri Lanka ablief.

„Er sollte bald da sein. Man wird ihn in ein Privatkrankenhaus in der Stadt bringen, aber das ist ein Stückchen von hier entfernt.“

„Kann man irgendetwas tun, um die Dinge zu beschleunigen?“

Der Mann dachte nach. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Ich weiß, dass sich in unserem Nachbarhotel eine Ärztin aufhält. Meine Schwester arbeitet dort.“

Sofort eilte er davon und kam kurz darauf wieder zurück. „Sie ist auf dem Weg.“

Tatsächlich tauschte wenige Minuten später eine zierliche Lady ein wenig atemlos auf und beugte sich sofort über David.

Beth griff nach Zoes Hand und drückte sie. „Vielen Dank. Ich kann im Moment einfach nicht klar denken. David ist …“

„Ich weiß.“ Und Zoe verstand wirklich. David war wie ein Vater für Beth – ein besserer als es ihr echter Dad jemals gewesen war.

„Ich bin so froh, dass du hier bist. Ihr beide.“ Beth nickte in Richtung Matt, der neben Manisha saß und ihre Hand hielt.

Zoe nickte – Beth hatte ihr erzählt, wie sehr David und Manisha Matt mochten. Das taten sie, seit Matt Dylan in ihrer Kindheit vor einigen Mobbern beschützt hatte. Dylan hatte eine Leseschwäche und war für sein Alter sehr klein gewesen. Matt hatte die Mobber gestoppt und Dylan unter seine Fittiche genommen. Er hatte ihn ermutigt, ins Fitnessstudio zu gehen und zu lernen, wie er sich selbst verteidigen konnte. Wenn man Dylan heute betrachtete, konnte man nicht glauben, dass er jemals nicht groß und stark gewesen war, doch Dylans Eltern waren Matt sehr dankbar gewesen, und Matt mochte sie sehr.

Beth blinzelte die Tränen fort. „Du bleibst doch, oder?“

Zoe zog sich das Herz zusammen. Beth hatte sie nie um etwas gebeten. Sie war immer die Ruhige gewesen, die die Dinge im Hintergrund regelte. „Natürlich.“

Während sie sprach, kamen Matt und Dylan auf sie zu.

„Der Rettungswagen ist hier. Dylan und seine Mum können darin mitfahren, aber für dich, Beth, ist nicht genug Platz. Deshalb habe ich einen Wagen organisiert und einen Fahrer. Zoe und ich können mit dir kommen“, sagte Matt.

Beth nickte. „Vielen Dank. Aber …“ Sie griff nach Dylans Hand. „Es gibt noch so viel zu tun. Ich muss die Hochzeit absagen, alles Mögliche organisieren …“

„Das übernehme ich“, sagte Zoe sofort. „Ernsthaft, Beth. Du musst jetzt bei Dylan und seiner Familie sein. Matt kann mit dir ins Krankenhaus fahren, während ich alles erledige.“

Beth schniefte und wischte sich die Augen. „Danke. Und vielen Dank an euch beide, dass ihr bleibt – es bedeutet uns so viel zu wissen, dass ihr hier seid.“

„Ist doch klar.“

Beth war viel zu aufgelöst, um zu bemerken, dass sie Matt nicht mal gefragt hatte, ob er bleiben würde. Doch das spielte keine Rolle. Das war ihre Schwester, die immer für sie da gewesen war, seit ihrer Kindheit. In den dunkelsten Stunden nach Toms Tod hatte Zoe sich an Beths Schulter ausgeheult.

„Das ist überhaupt kein Problem. Nicht wahr, Matt?“

Einzig die Tatsache, dass sich sein Kiefer ganz leicht verspannte, machte deutlich, dass er sich wahrscheinlich lieber in den Fuß geschossen hätte. Ansonsten wirkte er völlig gefasst.

„Natürlich nicht. Es geht jetzt nur um David. Alles, was ich tun kann, um zu helfen, werde ich tun. Jetzt lass uns fahren.“

Stunden später ging Matt seufzend auf die Villa zu, in der Zoe untergebracht war. Der betörende Duft exotischer Blumen vertrieb den antiseptischen Geruch des Krankenhauses, der seiner Haut anhaftete.

Da die Eingangstür offen stand, schob er sie einfach auf, durchquerte den marmornen Eingangsbereich und betrat die Lounge, in der Zoe vor einem geöffneten Laptop saß. Als sie ihn sah, stand sie auf und blickte ihn voller Angst an.

„Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie. „David geht es so weit gut.“

„Beth hat auch schon angerufen, um mir das zu sagen, aber sie klang dennoch so verzweifelt.“

„Eine Zeitlang war es eng, aber jetzt ist er stabil. Man hat ihn in eins der besten Privatkrankenhäuser Sri Lankas gebracht. Die Ärzte sind vorsichtig optimistisch. Es kann sein, dass er einen Bypass braucht, aber der Chirurg hat einen hervorragenden Ruf, und die Tatsache, dass David Sport macht und sich gesund ernährt, ist ein großes Plus.“

Erleichtert atmete sie aus. „Ich hoffe so sehr, dass er es schafft. Ich will mir gar nicht vorstellen, was es für Beth bedeuten würde, David zu verlieren. Sie betet ihn und Manisha an. Die beiden haben sie von Anfang an willkommen geheißen, haben sie wie eine Tochter behandelt. David war für Beth da, als sie Rat brauchte. Er hat ihr geholfen, als sie sich beruflich neu orientieren wollte, hat sie immer unterstützt. Sie wäre am Boden zerstört, wenn er …“

Sie verstummte abrupt. Matt sah ihr sorgenvolles Gesicht und fragte sich, warum Beths und Zoes leiblicher Vater keine solche Unterstützung bot. Ihm wurde klar, wie nah sich die Schwestern standen. Unwillkürlich dachte er darüber nach, was wohl passiert wäre, wenn sein kleiner Bruder überlebt hätte? Wären sie sich nah gewesen?

Wie immer überkamen ihn Schuldgefühle. Warum konnte er sich nicht mal an seinen Bruder erinnern? Wieso hatte er nicht versucht, ihm zu helfen? Weshalb hatte er überlebt, aber Peter nicht? Sogar den Namen seines Bruders hatte er erst von einer Pflegemutter erfahren, die davon ausging, dass er von seinem Bruder wusste. Noch heute erinnerte er sich an den Schock, als er erfahren hatte, dass er einen Bruder gehabt hatte. Peter war offensichtlich von Anfang an kränklich gewesen. Im Alter von fünf Monaten war er an einer Lungenentzündung gestorben. Wenn er früher behandelt worden wäre, hätte er vielleicht überlebt. Wenn Matt doch nur Hilfe geholt hätte. Stattdessen war es der Intervention einer Nachbarin zu verdanken gewesen, dass das Jugendamt auf ihren Fall aufmerksam wurde.

Die Traurigkeit über seine Vergangenheit mischte sich mit der Traurigkeit über den Verlauf des heutigen Tages. Davids Herzanfall, die lebensbedrohliche Situation hatte einen Tag ruiniert, der eigentlich ein glücklicher hätte sein sollen. Als er jetzt Zoes Kummer sah, drängte es ihn, sie in seine Arme zu ziehen. Tatsächlich machte er einen Schritt auf sie zu, mehr jedoch nicht. „Ich denke wirklich, dass David es schaffen wird – er befindet sich auf jeden Fall in guten Händen. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir Beth und Dylan am besten unterstützen können.“

Sie nickte. Ein verzagtes Lächeln spielte um ihre Lippen. „Eine Voraussetzung ist, dass wir hierbleiben. Zusammen.“ Urplötzlich veränderte sich die Atmosphäre. Sie wurden sich ihrer Nähe überdeutlich bewusst. „Zumindest sind wir in getrennten Häusern untergebracht, sodass wir nicht aufeinanderhocken.“

Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, erstarrten sie beide. Spannung hing in der Luft. Einfach so.

Zoes Wangen röteten sich. „Ich …“ Sie schloss die Augen, als wollte sie ihn ausblenden, dann öffnete sie sie wieder und lachte zittrig. „Tut mir leid. Das kam völlig falsch rüber. Keine Ahnung, warum ich …“

„Du weißt genau, warum, Zoe.“ Er würde nicht zulassen, dass sie sich in belanglose Ausflüchte stürzte. Er wollte diese Anziehungskraft genauso wenig wie sie, aber er würde nicht so tun, als existierte sie nicht.

„Warum?“, hauchte sie atemlos.

„Weil ich mir, seit ich dich wiedergesehen habe, nur eines wünsche – und zwar das hier.“

Im selben Moment wie er auf sie zuging, machte sie einen Schritt auf ihn zu. Er erkannte deutlich, wie heftig ihr Puls in ihrer Halsgrube pochte, wusste ganz genau, dass ihr Körper genauso kribbelte wie der seine.

Ein einziger Kuss – der konnte doch keinen Schaden anrichten. Er war nicht mehr als eine bittersüße Erinnerung an die Vergangenheit.

Im nächsten Moment senkte er seine Lippen auf ihre. Es fühlte sich so herrlich vertraut und auch so neu an. Während sie leise stöhnte, durchfuhr ihn heftige Befriedigung. Er intensivierte den Kuss, küsste sie wild und gierig. Sie presste sich an ihn, woraufhin er seine Finger durch ihr seidiges Haar gleiten ließ.

Da ertönte der eindringliche Ruf eines Vogels, und sie fuhren auseinander. Heftig nach Atem ringend standen sie da und starrten sich entsetzt an.

Was zur Hölle tat er da? Hatte er denn gar keinen Stolz? Diese Frau hatte ihn verlassen, Herrgott nochmal, und was machte er? Nur ein paar Stunden in ihrer Gegenwart und schon war er ihr wieder verfallen?

Zoe wirkte genauso durcheinander. Leise sagte sie: „Das hätte nicht passieren dürfen. Ich schlage vor, wir beschränken den Kontakt von nun an auf das Nötigste. Und wir löschen diesen Kuss aus unserer Erinnerung.“

Damit drehte sie sich um und ging Richtung Tür.

„Warte.“ Im ersten Moment dachte er, dass sie ihn ignorieren würde, doch dann drehte sie sich um.

„Was?“

„Wohin gehst du?“

„Irgendwohin. Hauptsache weg von hier.“

Irrationaler Zorn erfasste ihn. „Das ist ja typisch. Wenn es schwierig wird, läufst du davon!“

„Wie bitte? Ich laufe nicht davon, ich entziehe mich einer unangenehmen und überaus peinlichen Situation.“

Matt holte tief Luft. Er wusste, dass er seine Wut zügeln musste. Das hier war sein Fehler. Er würde es nicht an Zoe auslassen. „Du hast recht. Unangenehm und peinlich fasst es gut zusammen, aber ich glaube nicht, dass es hilft, das Ganze zu ignorieren oder so zu tun, als wäre es nicht passiert.“

„Und was meinst du, würde helfen?“, fragte sie voller Sarkasmus.

„Nun …“ Er hielt inne, versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Ich habe nicht erwartet, dass die Anziehungskraft zwischen uns noch existieren würde. Insofern haben wir ein Problem. Wenn das Ende unserer Ehe und vier Jahre Trennung sie nicht auslöschen konnten, dann müssen wir herausfinden, was es tut. Dylan und Beth werden uns in den nächsten Tagen brauchen. In den nächsten Jahren wird es Geburtstagspartys geben, Familienfeiern. Wenn sie Kinder haben sollten, werden sie uns vielleicht fragen, ob wir Paten werden wollen. Also ganz egal, was hier gerade zwischen uns vorgeht …“, er gestikulierte kurz, „… ich will es im Keim ersticken.“

„Und wie genau stellst du dir das vor?“

Eine exzellente Frage. Er war nicht sicher, ob er das Recht hatte, eine Antwort darauf zu geben. „Wir sollten Zeit miteinander verbringen. Sollten uns bewusst daran erinnern, warum es zwischen uns nicht funktioniert. Das sollte dazu führen, dass die Anziehungskraft erlischt.“ Soweit die Theorie. „Was hältst du davon?“

3. KAPITEL

Was sie davon hielt? In diesem Moment wusste Zoe nicht, ob sie überhaupt klar denken konnte – alles war einfach viel zu überwältigend. Von dem Kuss prickelten noch ihre Lippen, und es drehte sich ihr der Kopf. Sie zitterte vor Verlangen und Unzufriedenheit – weil sie sich nach mehr sehnte. Matt hatte völlig recht. Es fühlte sich nicht so an, als hätten sie sich vier Jahre lang nicht gesehen. Nein, es fühlte sich so an, als würden sie nahtlos da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Was nicht gut gehen würde – nicht so lange Beth und Dylan in ihrem Leben präsent waren.

Hinzu kam, dass sie niemals Mr. Right finden würde, solange sie Matt nicht aus dem Kopf bekam. Wenn sie ihn weiter anschmachtete, wie sollte sie dann jemals die Familie gründen, nach der sie sich so sehnte?

Es war, als spürte er ihre Verunsicherung, weshalb er vorschlug: „Lass uns zusammen zum Dinner gehen. Wir unterhalten uns zivilisiert und erinnern uns daran, wie wenig wir zusammenpassen. Das sollte der Anziehungskraft endgültig den Garaus machen.“

Gefährlich! Gefährlich! Gefährlich! Ihre innere Stimme schlug die höchste Warnstufe an. Aber vielleicht würde sie sich ja tatsächlich an all die guten Gründe erinnern, warum sie ihn verlassen hatte. Schließlich hatte sie Dinge in ihn projiziert, die gar nicht da waren.

„Also gut“, sagte sie. „Schließlich müssen wir beide etwas essen.“ Wie um ihre Aussage zu unterstreichen, begann ihr Magen zu knurren. „Gib mir nur fünf Minuten, um mich frisch zu machen.“

Zwanzig Minuten später waren sie auf dem Weg. Zoe warf einen raschen Seitenblick auf Matt. Er sah zum Anbeißen aus – das Haar noch feucht von der Dusche, die er rasch genommen hatte. Die Muskeln seiner Oberarme zeichneten sich deutlich unter dem legeren Hemd ab, das er trug. Immer wieder fiel ihr Blick auf seinen Mund. Auf die sinnlichen Lippen, die sie noch vor Kurzem um den Verstand gebracht hatten. Das gesamte Paket war einfach unwiderstehlich.

Himmel Herrgott nochmal! Zoe biss die Zähne zusammen. Das hier war kein erstes Date mit einem potenziellen Partner, sondern ein Dinner, das einen endgültigen Schlussstrich bedeuten sollte. Das Ziel lautete, einander mit höflicher Gleichgültigkeit zu begegnen.

„Da sind wir.“

„Oh.“ Zoe blieb stehen. Das Restaurant war wunderschön.

Bunte Lichter erhellten die große Terrasse, die sich unter einem Bambus-Dach befand. Die Gäste saßen an einfachen Holztischen und – bänken. Kerzenlicht flackerte auf jedem Tisch. In der Luft hing der Duft von aromatischen Gewürzen. Palmen wiegten sich in der sanften Brise, die vom Meer herüberwehte. An der Fassade des Restaurants rankten großblütige weiße Blumen bis zum Dach empor.

Ein Kellner nahm sie in Empfang und führte sie an einen der Tische. Zoe vertiefte sich in die Speisekarte, die sie sowohl in beruflicher wie privater Hinsicht interessierte. Als sie kurz aufblickte, sah sie, dass Matt sie beobachtete.

„Was nimmst du?“, fragte sie neugierig, denn sie wusste, wie sehr er ein gutes Essen zu schätzen wusste. Es war etwas, was sie gemeinsam hatten – Essen spielte eine große Rolle in ihrer beider Leben. „Die Auswahl ist so groß. Vielleicht können sie eine Vorspeisenplatte zusammenstellen, damit ich mehrere Sachen probieren kann …“

„Ja, das würde die Qual der Wahl erleichtern“, erwiderte er und lächelte.

Urplötzlich wurde sie in die Anfangszeit ihrer Beziehung zurückkatapultiert, als sie noch nicht verheiratet und Zoe noch nicht schwanger gewesen war. Damals waren sie so glücklich gewesen. Jede Woche besuchten sie ein neues Restaurant mit jeweils anderer Landesküche. Sie kauften Kochbücher und probierten verschiedene Rezepte aus. Sie experimentierten mit exotischen Gewürzen und Aromen – was war nur mit ihnen geschehen?

Matts Gesichtsausdruck wurde weicher, ganz so, als hinge auch er glücklichen Erinnerungen nach.

Nachdem sie bestellt hatten, lehnte er sich zurück, griff nach seiner Flasche Bier und trank einen Schluck. „Dylan hat mir erzählt, dass du die vergangenen Jahre damit verbracht hast, die ganze Welt zu bereisen. Du hast in den unterschiedlichsten Ländern gearbeitet.“

„Vielleicht nicht die ganze Welt, aber doch so einige Länder. Ich wollte so viel wie möglich über die Küche unterschiedlicher Regionen lernen – ich habe nämlich einen Plan.“ Zuerst hatte sie nur vor der Trauer und Verzweiflung, vor dem Gefühl betrogen worden zu sein und vor ihrer eigenen Dummheit weglaufen wollen, doch dann hatte sie beschlossen, ihrer Reise einen Sinn zu geben. Ihre kurze Schwangerschaft hatte ihr klargemacht, dass sie unbedingt eine Familie haben wollte. Doch dazu brauchte sie finanzielle Sicherheit – einen Job, eine Karriere.

„Erzähl mir davon.“

Als sie zögerte, lächelte er. „Es interessiert mich wirklich.“

„Ich möchte ein Restaurant eröffnen, in dem ich Gerichte aus aller Welt anbiete. Entweder in Form von Themenabenden oder von Themenmonaten. Ein Land pro Abend oder Monat.“

„Das klingt ein bisschen nach dem, was wir gemacht haben“, entgegnete er. „Als wir jede Woche ein anderes Land und ein dazu passendes Rezept ausgewählt haben, um es zusammen zu kochen.“ Seine Worte ließen sie innehalten. Daran hatte sie gar nicht gedacht, aber es stimmte schon – nur dass sie nicht wusste, welche Gefühle das in ihr auslöste. Matt schien ihr Unbehagen zu spüren. „Wie auch immer“, sagte er rasch, „erzähl weiter.“

„In den vergangenen Jahren habe ich in verschiedenen Restaurants gearbeitet – in ganz unterschiedlichen Rollen. Ich wollte nicht nur Kochen können, sondern auch die geschäftliche Seite eines Restaurants kennenlernen. Ich habe unzählige Gespräche geführt mit Köchen, Kellnern, Managern, Buchhaltern … mit absolut jedem. Wenn ich nach England zurückkehre, möchte ich nämlich loslegen. Ich will mir ungefähr ein Jahr geben, um einen geeigneten Ort zu finden und mein Restaurant zu eröffnen. Danach kann ich den nächsten Teil des Plans angehen.“

„Und der wäre?“

„Ich will eine Familie. Ich will Kinder haben, und ich will nicht zu lang damit warten.“ Während sie seinem Blick begegnete, hielt sie den Atem an. Was lächerlich war. Worauf hoffte sie denn? Dass er sagen würde: Gute Idee! Rein zufällig will ich das auch. Ich habe meine Meinung geändert und bin nun ein absoluter Familienmensch.

„Heißt das, dass du in einer Beziehung lebst?“

Bildete sie sich das nur ein, oder hatte er sich verspannt, als er die Frage stellte?

Ehe sie antworten konnte, tauchte der Kellner auf und servierte ihr Essen.

Matt konzentrierte sich auf das Gespräch. „Kurkuma und Kaffirlimette … dazu sollte Wein gereicht werden, wobei Tee auch ginge … Vanilleschoten, Kardamom …“ Er bemühte sich um Enthusiasmus, dabei kreisten seine Gedanken nur um die Frage, ob Zoe jemanden gefunden hatte, mit dem sie eine Familie gründen konnte.

Natürlich wusste er, dass er sich für sie freuen sollte, aber … Nein, kein Aber. Er würde diesen Stich der Eifersucht nicht zulassen. Neid oder Eifersucht waren nicht sein Stil – schon vor langer Zeit hatte er erkannt, dass sie nichts brachten.

Deshalb würde er weder ungebührliche Neugier an den Tag legen noch negative Emotionen zulassen. Nachdem der Kellner wieder gegangen war, deutete er auf die unzähligen Schälchen und Teller. „Du zuerst.“ Er wartete, bis Zoe sich von dem aromatischen Curry genommen und ein Stück Roti abgebrochen hatte, das sie in die Soße tauchte.

„Oh mein Gott, das ist fantastisch“, schwärmte sie. „Probier es. Ich glaube, das ist dieses Kukul Mas Curry, ein Hühnchen-Curry, aber ganz anders als wir es kennen.“

Er probierte einen Happen und war für eine Sekunde tatsächlich abgelenkt von Zoes Beziehungsstatus. „Fenchelsamen. Kokosmilch.“

„Auf jeden Fall. Und Pandan-Blätter. Die habe ich auch in der thailändischen Küche entdeckt. Es sind lange, spitze Blätter, in die man die Zutaten wickeln kann, um sie schonend zu garen. Oder du kochst die Blätter aus, sammelst den Saft und gibst ihn ans Curry.“

Er wartete noch ein paar Minuten, um all die anderen Speisen zu kosten, die vor ihnen standen. Erst danach fragte er mit exakt dem richtigen Maß an Beiläufigkeit: „Also, wo waren wir stehen geblieben? Oh, ja. Du willst eine Familie gründen. Heißt das, du bist in einer Beziehung?“

„Nein!“ Sie legte ihre Gabel ab und starrte ihn an. „Ich hätte dich wohl kaum geküsst, wenn ich mit jemandem zusammen wäre. Also nein, ich habe keine Beziehung, aber ich arbeite daran.“

„Wie?“ Erneut verspürte er einen Stich. Ging sie mit unterschiedlichen Männern aus? Benutzte sie Dating-Apps? Und was zur Hölle ging ihn das eigentlich an? Sie saßen hier, um die Anziehungskraft zwischen ihnen abzutöten. Damit sie Sri Lanka ohne emotionales Gepäck verlassen konnten. Die Tatsache, dass Zoe sich eine Familie wünschte, war gut – es machte mehr als deutlich, dass sie besser die Finger voneinander lassen sollten.

„Das Ganze ist in Arbeit. Ich habe ein System entwickelt – jetzt muss ich es nur noch anwenden.“

Erleichterung erfasste ihn. Gegen seinen Willen war er nun jedoch neugierig geworden. „Welches System?“

„Nun ja, in den vergangenen Jahren bin ich mit ein paar Männern ausgegangen … aber es hat einfach nicht hingehauen. Einer von ihnen war ein großartiger Kerl. Wir haben uns super verstanden, hatten gemeinsame Interessen und so weiter, aber der Funke sprang nicht über.“

„Und die anderen?“ Er hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber er war froh, dass der „großartige Kerl“ nicht ihr Fall gewesen war.

„Einer war einfach zu ernst. Wir konnten nicht miteinander lachen. Manchmal wollte ich einfach nur albern sein. Das ging mit ihm gar nicht. Insofern kann man sagen, dass es auch zwischen ihm und mir nicht gefunkt hat.“

„Dann scheint dein System nicht sonderlich erfolgversprechend zu sein.“

Zoe schüttelte den Kopf. „Nein, das war alles, bevor ich das System entwickelt habe. Mir wurde klar, dass eine Herangehensweise à la ‚scheint ein netter Typ zu sein – ich schaue mal, was passiert‘ nicht zum Ziel führt. Deshalb habe ich jetzt eine Liste, einen Fragebogen, den ich abarbeite. Der Knackpunkt ist, ob er eine Familie will oder nicht. Falls nicht, war’s das – wir sehen uns nicht wieder. Falls ja, schaue ich mir seine Testergebnisse in den anderen Bereichen an, analysiere die Daten. Wenn genug Punkte erfüllt sind, gibt es ein zweites Date.“

„Vorausgesetzt der Typ möchte ein zweites Date. Ich habe den Fehler in deinem System entdeckt. Meinst du nicht, dass ein solcher Fragebogen ziemlich abtörnend ist?“

Sie grinste ihn an. „Ich sitze doch nicht mit Zettel und Stift da oder reiche ihm den Bogen zum Ausfüllen hinüber. Das stelle ich schon subtiler an.“

Matt hob die Augenbrauen. „Gib mir ein Beispiel.“

Sie legte den Kopf ein wenig schräg und überlegte. „Okay. Ich muss zum Beispiel wissen, ob wir denselben Sinn für Humor haben. Also erzähle ich ihm einen Witz oder eine Geschichte, die ich lustig finde und schaue, ob er darauf reagiert oder nicht.“

„Lass mich raten – du hast bereits eine Liste zusammengestellt.“

„Woher weißt du das?“

„Weil ich dich kenne. Ich erinnere mich an all die Tabellen und Listen, die du angelegt hast, wenn du recherchiert hast. Sinn für Humor ist also wichtig. Was noch?“

„Anziehungskraft. Funken“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, wobei allein die beiden Worte schon für Anspannung sorgten.

„Und wie willst du rauskriegen, ob Funken da sind oder nicht?“ Er hörte selbst, wie gepresst seine Stimme klang und nahm sehr wohl wahr, wie sehr sie schlucken musste, ehe sie antwortete.

„Ich dachte, dass ich für eine zufällige Berührung unserer Hände sorge.“ Sie griff nach einem der Schälchen und hielt es ihm hin. „So etwa.“

Als er sich eine der frittierten Garnelen nahm, wusste er, dass er mit dem Feuer spielte. Ganz leicht streiften seine Finger die ihren. Die flüchtige Berührung jagte einen Schauer durch seinen Körper.

„Dann“, fuhr sie mit weit aufgerissenen Augen fort, „könnte ich ihm anbieten, ihm aus der Hand zu lesen. Weil ich mich für solche Dinge interessiere.“

Daraufhin streckte er ihr seine Handfläche entgegen. Als sie seine Hand ergriff und mit den Fingerspitzen sanft über die Linien strich, rieselten ihm wohlige Schauer über den Rücken, und er merkte, wie ihr der Atem stockte. Dieses kleine Geräusch sandte Schockwellen der Begierde durch ihn.

„Ich …“ Sie blinzelte, dann ließ sie seine Hand los. „Tut mir leid. Das hätte nicht passieren sollen.“

„Oder zumindest nicht mit mir“, entgegnete er.

„Nein.“ Sie lehnte sich zurück, griff nach ihrem Wasserglas und trank. Danach spülte sie mit einem Schluck Wein nach. „Ganz sicher nicht mit dir. Aber eigentlich will ich es mit keinem Mann. Es ist zu viel. Ich will ein leichtes Kribbeln. Mehr nicht.“

„Warum? Ich dachte, du suchst nach Funken.“

„Funken ja, aber keinen Waldbrand. Anziehungskraft ist wichtig, doch es ist nicht das Nonplusultra. Zu viel davon verkompliziert die Dinge. Sie überdeckt andere Mängel. Wir beide sind der beste Beweis dafür.“

Vielleicht hatte sie recht. Die Anziehungskraft hatte sie in einen Strudel gerissen, der erst zur Schwangerschaft, dann zur Heirat und schließlich in die Katastrophe geführt hatte.

„Sie lenkt außerdem von Problemen ab, weil man alles mit Sex löst. So haben wir es gemacht. Und als wir das nicht mehr hatten, mussten wir feststellen, dass wir gar nichts hatten. Wir waren so geblendet vom Körperlichen, dass wir uns gar nicht richtig kennengelernt haben. Das will ich nicht noch einmal riskieren. Denn für mich ist das Wichtigste, ob der Mann eine Familie will. Er muss anständig sein. Ein harter Arbeiter. Jemand, der gewillt ist, die Familie an erste Stelle zu setzen. Er soll ein zupackender Dad sein, der seine Kinder liebt, sie unterstützt und ihnen neben Spaß und Spiel jede Menge Aufmerksamkeit schenkt.“

Sie klang so leidenschaftlich, dass Matt in jenem Moment klar wurde, wie wenig er ihr das geboten hatte, was sie brauchte. Ja, er war anständig und auch ein harter Arbeiter, aber da hörte es auch schon auf. Der Rest jagte ihm Angst ein. Was, wenn er sein eigenes Kind verletzte? Wenn er es vermasselte? Er hätte die Familie versorgen können, aber der Rest, der ihr so wichtig war …?

Doch dieser Lebensweg stand ihm nicht mehr offen. Er begriff, warum Zoe nach einem Mr. Right suchte, der so ganz anders war als er. Und dennoch …

„Das klingt alles toll, aber was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„Er muss doch auch ein guter Ehemann sein. Jemand, der für dich da ist, wenn du ihn brauchst.“ Schon wieder wurde er von Schuldgefühlen geplagt. In ihrer Trauer war er nicht für sie da gewesen. Seine eigene Trauer war so immens, so groß gewesen – sie war wie ein Echo des Verlusts seines kleinen Bruders. Und dann war da ja auch noch die Furcht gewesen, dass das alles irgendwie seine Schuld war. Dass er sich besser um Zoe hätte kümmern müssen. All das hatte ihn praktisch paralysiert.

„Natürlich, und jeder anständige Mann mit Sinn für Humor, der Kinder liebt, wird der Richtige für mich sein.“

„Aber er muss … auch dich lieben.“ Der Gedanke behagte ihm gar nicht. Wenn er ehrlich war, wollte er ihren noch nicht vorhandenen Mr. Right jetzt schon auf den Mond schießen. Aber das war nicht der Punkt. „Denk doch mal nach. Wenn die Kinder älter werden oder ganz aus dem Haus sind, dann ist er der Mann, mit dem du dein Leben verbringst. Er ist der Mann, neben dem du jeden Morgen aufwachst.“

Erinnerungen stiegen in ihm auf. Wie er mit Zoe im Arm aufwachte, ihr weicher, warmer Körper an ihn geschmiegt. Ihre roten Haarsträhnen kitzelten seine Brust. Und dann die anderen Erinnerungen. An die letzten Wochen, als seine Albträume zurückgekehrt waren und er ihr gemeinsames Schlafzimmer verlassen hatte, um sie nicht zu stören – und um nicht zugeben zu müssen, dass Dämonen aus seiner Kindheit ihn quälten.

Ein weiterer Grund, warum er nicht für ein Familienleben geeignet war.

„Ich verstehe, was du meinst, aber ich weiß, was ich tue.“

„Und was passiert, wenn du keinen Mr. Right findest? Gibst du dich dann mit einem Beinahe-Mr.-Right zufrieden? Oder mit jemandem, der nur ein paar Kriterien deiner Liste erfüllt oder …“

„Wenn ich keinen Mann finde, mit dem ich eine Familie gründen kann, dann werde ich alleinerziehende Mutter. Ganz einfach.“

„Ist es wirklich so einfach?“

„Ich kann es mit einer Samenspende versuchen, auch wenn das heutzutage aufgrund von Gesetzesänderungen nicht mehr ganz so simpel ist. Also frage ich vielleicht eher einen Freund, oder ich adoptiere. Wie auch immer, ich weiß, dass ich unbedingt Mutter werden will. Natürlich wäre es mir lieber, dass mein Kind einen liebevollen Dad hätte, aber wenn das absolut nicht möglich ist, dann schaffe ich das auch allein.“

Er sah die Entschlossenheit in ihren Augen, erkannte, wie wichtig ihr eine Familie war, und wieder rührte sich sein schlechtes Gewissen. Er hatte sie hoffnungslos im Stich gelassen.

„Ich hoffe wirklich, dass du deine Träume realisieren kannst“, sagte er sanft. „Auf welche Art auch immer.“ Nur eines war sicher: Er würde kein Teil davon sein. Insofern war es höchste Zeit, alle Gefühle zu verbannen und die Taktik zu ändern.

„Was hältst du davon, ein Dessert zu bestellen?“

„Gute Idee“, entgegnete sie. „Bislang haben wir die ganze Zeit über mich gesprochen. Sobald wir bestellt haben, können wir über dich reden.“

Na, großartig.

4. KAPITEL

Zoe wartete, bis der Kellner das Halapa vor ihnen abgestellt und ihnen erklärt hatte, dass das Dessert aus einem mit Honig, Mehl und Zucker gefüllten Kenda-Blatt bestehe.

„Sie werden garantiert ein Zweites wollen“, versprach er.

„Da bin ich mir sicher“, erwiderte Zoe, deren Eindruck sofort bestätigt wurde, als sie nur einen Bissen der köstlichen Süßspeise zu sich nahm.

Sie blickte zu Matt hinüber. „Also, jetzt bist du dran“, sagte sie. „Erzähl mir, was du in den vergangenen vier Jahren getrieben hast. Ich nehme an, du hast dich aufgeschwungen, zum Herrscher der Finanzwelt zu werden?“, ergänzte sie augenzwinkernd, um nicht wieder in einen Groll gegen seinen Job zu verfallen. Eigentlich fand sie es toll, dass er seine Arbeit liebte, aber als sie noch verheiratet gewesen waren, hatte sie es gehasst, dass er seinem Job so viel Zeit widmete – Zeit, die er fern von ihr verbrachte.

Damals hatte er behauptet, er tue es „für das Baby“. Doch sie verstand das einfach nicht. Als sie ihn kennenlernte, war er bereits ein extrem erfolgreicher Hedgefonds-Manager, der für eine der prestigeträchtigsten Londoner Finanzfirmen arbeitete. Er besaß ein superschickes Apartment mitten in der City, einen gut gefüllten Kühlschrank, luxuriöse Designer-Möbel und ein schnelles Auto. Nicht, dass er damit angegeben hätte, doch Zoe konnte einfach nicht nachvollziehen, warum er meinte, noch härter arbeiten zu müssen?

„Es hängt an mir, wie gut wir leben können und wie viel Sicherheit ich uns verschaffen kann“, hatte er erwidert.

Was die Frage nach sich zog: Wie viel Sicherheit brauchte eine einzige Familie?

„Beth sagte mir, dass du dich selbstständig gemacht hast“, fügte Zoe jetzt hinzu.

„Ja, das stimmt. Ich habe Sutherland Investments vor zwei Jahren gegründet.“

„Und bist ziemlich erfolgreich.“ Ehe sie nach Sri Lanka kam, hatte sie das getan, was sie sich vier Jahre lang verboten hatte – eine Internet-Recherche in Sachen Matt – und dabei herausgefunden, dass seine Firma bereits mehrere renommierte Business-Preise gewonnen hatte. Auch wenn sein Unternehmen eine eher exklusive Nische besetzte, so machte es beeindruckende Umsätze.

„Ja, mein Kundenstamm wächst. Ich habe einige Mitarbeiter eingestellt, einschließlich eines sehr guten Stellvertreters. Insofern kann ich mir meine Zeit nun freier einteilen.“

„Wow, das ist großartig. Und was machst du in deiner Freizeit? Fährst du schnelle Autos oder segelst auf einer Luxusjacht über die sieben Weltmeere?“

Die Vorstellung fiel ihr schwer. Matt verfügte zwar über alle Attribute von Reichtum, doch sie vermutete, dass er keins davon benötigte, um den Menschen oder sich selbst etwas zu beweisen. Sie war nicht mal sicher, wie viel ihm die Dinge bedeuteten – das schnelle Auto in seiner Garage war er jedenfalls kaum gefahren.

„Nein, die meiste Freizeit und das meiste Geld stecke ich in meine Stiftung. Von der ich dir erzählt habe.“

„Das finde ich toll.“ Sie hörte selbst, wie wenig begeistert sie klang und hasste sich dafür. Doch sie konnte einfach nicht anders – zu sehr erinnerte sie das an ihre Eltern. Die Tatsache, dass Matt einen wohltätigen Zweck über eine eigene Familie stellte, schmerzte immer noch.

„Erzähl mir davon“, bat sie ihn, denn das war mit Sicherheit die beste Art, die Anziehungskraft im Keim zu ersticken.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, es kann ziemlich langweilig werden, wenn ich mit meinem Hobby anfange.“

„Das ist doch prima! Immerhin wollen wir uns daran erinnern, warum wir uns gegenseitig nicht guttun, schon vergessen? Je langweiliger, desto besser.“ Nur dass sie die Befürchtung hegte, dass Matt nie langweilig war, egal wie sehr er sich auch darum bemühte.

Sie beobachtete, wie er seine Gedanken sortierte, wie sich das Leuchten in seinen Augen intensivierte. „Ich habe mit einfachen Spenden angefangen, aber als meine Firma immer erfolgreicher wurde, habe ich die Stiftung gegründet. Ich wusste, dass es viel zu tun gibt, aber mir war nicht klar, wie weit verbreitet das Problem ist. Es gibt so viele Kids aus schwierigen Verhältnissen. Viele von ihnen driften in die Kriminalität ab. Ihnen fehlen liebevolle Familien, die auf sie aufpassen und sich um sie sorgen. Mit meiner Stiftung will ich so vielen von ihnen helfen wie möglich.“

Aus Matt sprach eine Leidenschaft, die sie nur zu gut kannte. Er war ein Mann mit einer Mission, so viel war klar.

„Wir engagieren uns auf vielfältige Weise. Manchmal organisieren wir Essen für Veranstaltungen, wir helfen bei der Ausbildung und finanzieren das Schulgeld für Privateinrichtungen im ganzen Land. Außerdem bieten wir Beratung und Therapie an. Ich habe großartige Mitarbeiter für die Stiftung gewinnen können, und ich selbst versuche ebenfalls, mich so stark wie möglich einzubringen.“

„Das klingt fantastisch.“ Das tat es wirklich. „Und wie ein Zweitjob.“

„Ja, das ist es – es hält mich ganz schön auf Trab. Aber es macht auch jede Menge Spaß, und es ist erfüllend. Einige dieser Kids beeindrucken mich sehr.“

Zoe runzelte die Stirn. Ihre Eltern hatten noch nie gesagt, dass das, was sie taten, Spaß machte – für sie war das eine reine Mission. Ein Weg mit vielen Hindernissen. „Es muss manchmal ganz schön frustrierend sein.“

„Ja, sicher, aber auch wenn mir klar ist, dass ich nicht allen helfen kann, glaube ich doch daran, dass ich einen Unterschied bewirke.“

„Und das tust du ganz sicher“, bekräftigte sie. Dennoch ließ ihre Stimme den Enthusiasmus vermissen, den sein Projekt verdiente, und Matt bemerkte es. Sie erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er irritiert war. Hastig räusperte sie sich. „Was ist mit einer Partnerin? Wie findest du dafür Zeit?“

„Tue ich nicht. Wie wir beide festgestellt haben, bin ich kein Mann für eine feste Bindung. Und ganz ehrlich? Ich will es auch gar nicht sein. Mein Leben ist gut, so wie es ist. Das heißt nicht, dass ich wie ein Mönch lebe, aber mir reichen kurze, unkomplizierte Geschichten. Die Art Beziehung, bei der man eine Weile Spaß hat – in und außerhalb des Bettes – aber jeder lebt sein Leben, und dann trennen sich die Wege auch wieder.“

„So als würde man seinen Akku wieder aufladen?“ Sie wusste, dass sie spitz klang, aber sie konnte einfach nicht anders.

„Genau! Was ist daran falsch?“

„Hältst du das selbst nicht für etwas seicht?“

„Nein. Und selbst wenn, nicht jeder will in tiefere Gewässer eintauchen.“

„Du könntest aber auch lernen zu schwimmen?“

„Das habe ich versucht, Zoe. Mit dir, und es hat nicht funktioniert.“

„Stimmt auch wieder. Ich schätze, uns ist nun eindeutig klar, dass dies mit uns zu nichts führt. Du wünschst dir unverbindliche Beziehungen, und ich will eine Familie. Also lass uns hoffen, dass die Anziehungskraft von selbst verblasst. Wir haben beide untersc...

Autor

Nina Milne

Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten.

Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...

Mehr erfahren
Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
Mehr erfahren
Jackie Ashenden
Mehr erfahren
Robin Gianna
Mehr erfahren