Julia Extra Band 549

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SINNLICHE ÜBERSTUNDEN MIT DEM SEXY BOSS? von EMMY GRAYSON

Der romantischste Moment in Evies Leben? Als ein attraktiver Fremder sie im Central Park heiß küsst! Der überraschendste Moment? Als ihr neuer Boss vor ihr steht: Damon Bradford – ihr sinnlicher Flirt! Die größte Herausforderung: sich nicht restlos in den CEO zu verlieben …


EINE ROSE FÜR DEN GRIECHISCHEN MILLIARDÄR von KIM LAWRENCE

Ein verführerisches Angebot: Milliardär Zac Adamos bietet der einfachen Kinderpflegerin Rose eine unverschämt hohe Summe, wenn sie sich in Griechenland um seinen Patensohn kümmert. Aber von der Leidenschaft, die der feurige Grieche in der unschuldigen Rose weckt, steht nichts im Vertrag …


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  • Erscheinungstag 26.03.2024
  • Bandnummer 549
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525619
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Emmy Grayson, Kim Lawrence, Amanda Cinelli, Kate Hardy

JULIA EXTRA BAND 549

1. KAPITEL

Wie eine Liebkosung glitt die Musik über Damon Bradfords Haut. Er nippte an seinem Cocktail und schmeckte den milden Gin auf seiner Zunge. Vielleicht sollte er sich besser auf seinen Drink konzentrieren als auf die Hitze, die seinen Körper beim Anblick der Cellistin durchströmte!

Bisher hatte Musik keine große Rolle in seinem Leben gespielt. Natürlich konnte Damon Klassik von Rockmusik unterscheiden. Und bei einer Benefizveranstaltung wie dieser zahlte sein Unternehmen den auftretenden Musikgruppen und Gesangskünstlern großzügige Gagen. Aber im Grunde nahm er Musik eher als eine Art Hintergrundgeräusch wahr.

Doch bei dieser Cellistin verhielt es sich anders! Der volle, melancholische Klang ihres Solos, das mit perfekter Präzision gespielte An- und Abschwellen der Töne, das langsame Tempo, das die Zuhörer dazu bewegte, einen Moment lang die Hetze des Alltags zu vergessen …

Die Musik nahm ihn gefangen! Genau wie die Cellistin, die sie spielte.

Erst durch ihr wundervolles Spiel hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Das blonde Haar war im Nacken zu einem strengen Chignon gewunden. Sie trug ein weites schwarzes Kleid, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen reichten. Der Saum verdeckte die Knie, zwischen denen das Cello zärtlich umfangen war.

Auf Damon hatte die Musikerin zunächst unscheinbar und langweilig gewirkt.

Doch dann war sein Blick auf ihre blassen, schlanken, eleganten Finger gefallen. Eine Hand bewegte mit höchster Genauigkeit den Bogen, während die Finger der anderen Hand so graziös über die Saiten spielten, dass Damons sinnliches Verlangen erweckt wurde.

Seit wann finde ich ein verdammtes Cello verführerisch?

Schnell nippte er wieder an seinem Gin-Lavendel-Cocktail, in der Hoffnung, der kalte Drink würde seine Libido abkühlen.

Keine Chance! Die Musik hatte seinen Körper durchdrungen, durch den eleganten maßgeschneiderten Smoking hindurch und durch sein gelassenes Äußeres, das er in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen pflegte. Jetzt schaute er sich das Gesicht der Musikerin genauer an. Sinnliche Lippen, herzförmiges Gesicht, kantiges Kinn, das einen interessanten Kontrast zu den sanft gerundeten Wangen bildete.

Umwerfend!

Verschleierte sie mit der strengen Frisur und der langweiligen Kleidung vielleicht absichtlich ihre hinreißende Erscheinung, um das Hauptaugenmerk des Publikums auf ihre Musik zu lenken?

Jetzt wurde die Cellistin wieder vom Orchester begleitet. Das harmonische Zusammenspiel der etwa fünfzig Instrumente erfüllte den Ballsaal. Es handelte sich um ein Amateurorchester, dessen Mitglieder noch vor dem großen Durchbruch standen.

Zuerst war Damon skeptisch gewesen, als seine Eventmanagerin Kimberly ihm den musikalischen Ablaufplan unterbreitet hatte und sie für die Eröffnung der Spendengala das New York City Apprentice Symphony vorschlug. Auf seine Nachfrage hin hatte Kimberly erklärt, es wäre eine gute Gelegenheit, um eine Organisation aus dem Stadtteil zu unterstützen.

Als sein Blick erneut auf der umwerfenden Cellistin ruhte, war Damon plötzlich sehr froh, auf Kimberlys Vorschlag eingegangen zu sein!

Nun ließ er den Blick durch den modernen Ballsaal schweifen, in dem sich die reichsten Einwohner von New York City versammelt hatten.

Die meisten Gäste waren zur jährlich stattfindenden Bradford Global Spendengala erschienen, um in ihren teuersten Outfits gesehen zu werden, exklusive Cocktails zu genießen, vielleicht einen neuen Partner oder eine neue Partnerin zu finden oder bei Kaviar und Champagner ein lohnendes Geschäft abzuschließen. Einige Gäste waren auch gekommen, um den Anbau des Kinderkrankenhauses zu unterstützen, für den in diesem Jahr die Spendengelder gesammelt wurden.

Wegen der Musik war niemand hier.

Das ist wirklich sehr schade, dachte Damon, als er die versammelten Gäste betrachtete, die sich ungeniert unterhielten und lachten. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass er nicht anders war als sie. Normalerweise nahm er auch keine Notiz von den einfachen Freuden in seiner Umgebung, sondern war auf den nächsten Punkt auf seiner To-do-Liste fokussiert. Seine Mitarbeiter und Kunden beeindruckte, wie gründlich und schnell er sich seine Ziele erarbeitete, die Konkurrenz ärgerte sich eher darüber. Ihm selbst war am wichtigsten, dass er zügig vorankam.

Rückschläge existierten nicht für ihn.

Und doch befand er sich jetzt an einem Scheideweg. Bradford Global gehörte zu den Spitzenunternehmen im Flugzeugbau und konnte gerade auf einen Großauftrag von einer renommierten europäischen Fluggesellschaft hoffen. Ihm gehörten Immobilien auf vier Kontinenten, er sprach drei Sprachen fließend und zierte regelmäßig die Titel von Magazinen wie Fortune. Edward Charles Damon Bradford hatte alles. Wieso quälte ihn dann diese innere Leere?

Freudlos und unzufrieden hatte er den Ballsaal betreten. Ruhelos hatte er sich durch die Menge zu einem abgeschiedenen Alkoven bewegt, ohne sich auch nur von einem einzigen Gast oder Mitarbeiter aufhalten zu lassen. Gelangweilt hatte er in einem der beiden Ohrensessel Platz genommen, geschützt vor neugierigen Blicken, aber mit bester Aussicht auf das Orchester. Er sehnte sich nach Abwechslung.

Die hatte er nun gefunden. Sie saß mit einem Cello zwischen den Beinen im Orchester und wirkte seltsam traurig. Die Augen geschlossen, ging sie ganz in der Musik auf, die sie spielte.

Er sollte sich wirklich unter die Gäste mischen. Doch das Lustgefühl für diese Frau, die er eben erst entdeckt hatte, war so heftig, dass es ihn fast verbrannte.

Okay, er sehnte sich nach Veränderung. Doch er durfte seine Selbstbeherrschung nicht verlieren.

Gerade war Damon im Begriff aufzustehen, um sich mit Politikern, Milliardären und Filmstars zu unterhalten, wodurch seine heiße Lust sich höchstwahrscheinlich abkühlen würde, da endete die musikalische Darbietung. Nun hörte man Gläserklirren, eine etwas zu laute Männerlache, Absatzklicken auf dem Marmorboden. Die Leute machten weiter, als hätte sich nichts geändert.

Die Cellistin schlug die Augen auf. Aus dieser Entfernung konnte Damon die Farbe nicht erkennen. Er sah, wie sie sich einem anderen Musiker zuwandte, der etwas zu ihr sagte, was ein leichtes Lächeln auf ihr Gesicht zauberte.

Damons Eventmanagerin erschien auf der Bühne und verkündete eine fünfzehnminütige Pause bis zum Auftritt der nächsten Band.

Die Cellistin stellte ihr Musikinstrument ab und stand auf. Sie war schlank und kleiner, als er gedacht hatte, wirkte recht selbstbewusst.

Jetzt sah sie auf, direkt in Damons Augen. Sofort spürte er ein elektrisches Knistern.

Er sollte sich jetzt wirklich unters Volk mischen, sich mit den Leuten unterhalten, die eine Minute seiner Zeit beanspruchen oder ein paar Millionen von seinem Vermögen wollten.

Aber er hatte absolut keine Lust dazu …

Evolet Grey kehrte zurück in den Ballsaal. Unwillkürlich schweifte ihr Blick zu dem Mann im Alkoven. Ihr wurde sofort heiß, als er ihr in die Augen sah. Zwar wirkte es recht lässig, wie er da im weißen Ledersessel saß, doch instinktiv spürte sie seine innere Anspannung. Er wirkte auf sie wie ein Raubtier, das darauf wartete, sich seiner Beute zu nähern. Ein prickelnder Schauer lief ihr über den Rücken. Es gelang ihr nicht, den Blick abzuwenden.

Automatisch komponierte sie eine Melodie, die den grüblerischen, sinnlichen und geheimnisvollen Unbekannten verkörperte.

Seine klassischen Gesichtszüge, die hohen Wangenknochen, die kantige Gesichtsform, dazu das volle dunkelbraune, an den Seiten kurzgeschnittene Haar und der distanzierte Ausdruck, ließen den Mann kühl und unnahbar wirken. Wäre da nicht der wilde, lodernde Blick gewesen.

Dieser Blick hatte eine seltsame Wirkung auf Evolet. Ihr Herz schlug schneller, der empfindsamste Ort in ihrem Körper pulsierte heiß und heftig.

Energisch rief sie ihre Libido zur Ordnung, wandte den Blick ab und begab sich zu der Bar, die der Bühne am nächsten lag. Es geschah ja nicht alle Tage, dass sie in einem Hotel wie dem Winchester auftrat. Für ihren Geschmack war der Ballsaal mit seinen hohen Pfeilern und bodentiefen Panoramafenstern etwas zu modern, doch er bot einen wundervollen Blick auf den gegenüber gelegenen Central Park.

Für die heutige Galaveranstaltung war der Saal sehr elegant ausgestattet worden, das musste eine Menge Geld gekostet haben. In der Mitte befand sich eine fast schwarze Tanzfläche. Drumherum waren Sitzgruppen aus weißen Lederstühlen und Sofas platziert, die Gelegenheit zum Entspannen oder für Geschäftsverhandlungen boten. Die blaue und violette Beleuchtung von den Wänden schaffte eine intime Atmosphäre, trotz der etwa fünfhundert versammelten Gäste in edelsten Designeroutfits.

Gerade flanierte eine Frau in rückenfreier roter Robe mit langer Schleppe vorbei. Gefolgt von einem Mann, dessen Monokel offensichtlich mit echten Diamanten besetzt war!

Evolet fühlte sich fehl am Platz. Dies war nicht ihre Welt. Auf der Bühne war sie vollkommen vertieft in ihr Spiel gewesen und hatte nichts bemerkt. Doch unter den mit Juwelen behängten, teuer duftenden Damen der Gesellschaft in ihren Haute-Couture-Outfits fühlte sie sich wie ein Niemand.

Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an ihre liebevolle, zugewandte Adoptivmutter Constanza denken musste. Selbstmitleid hatte sie nicht toleriert, ebenso wenig wie Menschen, denen Geld wichtiger war als Familie.

Beim Anblick der über den Boden schleifenden Seidenschleppe hätte sie ihre bleistiftdünnen Augenbrauen hochgezogen und eine abfällige Bemerkung über die Stoffverschwendung gemurmelt. Und dann hätte sie Evolet dazu aufgefordert, sich nicht kleinzumachen, sondern sich zu amüsieren.

Sofort fasste Evolet neuen Mut und setzte den Weg zur Bar fort. Dort wollte sie sich einen Drink genehmigen, dann nach Hause fahren und sich in der Badewanne entspannen. Vielleicht würde sie sich ein Date mit dem Unbekannten ausmalen, der ihre Libido geweckt hatte. Aus Erfahrung wusste sie, dass romantische Fantasien viel mehr Spaß machten als reale Dates. Die wenigen Verabredungen, die sie seit dem Examen gehabt hatte, waren jedenfalls enttäuschend gewesen …

Sie hatte die Bar fast erreicht, da wurde Evolet plötzlich am Ellenbogen gepackt.

„Du bist ja mal eine Augenweide!“

Eine Alkoholfahne wehte ihr ins Gesicht. Als sie sich abwenden wollte, umschlang der Typ ihre Taille und zog Evolet näher.

„Wie heißt du? Ich habe dich noch nie auf so einer Gala gesehen.“

Sie fand sich einem blonden Mann mit trüben Augen gegenüber, der sie lüstern angrinste. Ganz offensichtlich war er betrunken.

„Ich spiele im Symphonieorchester“, antwortete sie höflich, während sie sich aus seinem Griff wand und zurückwich.

„Musikerinnen sollen ja sehr geschickte Finger haben“, lallte er anzüglich. „Vielleicht könnten wir nach der Gala herausfinden, ob das stimmt.“

Ihr wurde übel. Wenn man reich war, hieß das nicht notwendigerweise, dass man auch Klasse hatte und über Charme verfügte. Evolet betrachtete seine Hände. In einer hielt er ein Martiniglas, an der anderen entdeckte sie eine teure Armbanduhr – und einen Ehering!

Sie rang sich ein kühles Lächeln ab. „Ich habe das Glück, mit sehr talentierten Musikern zu spielen. Leider spielen wir nur gemeinsam. Ich gebe keine Privatvorstellungen.“

Der Typ blinzelte verwundert. „Ich will kein Musical. Ich will …“, lallte er.

Evolet fuhr dazwischen. „Ist das Ihre Frau?“

Ein fast furchtsamer Blick huschte über sein Gesicht, als er den Kopf wandte.

Blitzschnell beugte Evolet sich vor, stieß gegen das Martiniglas, und schon ergoss sich der pfirsichrosa Drink über das blütenweiße Hemd des Trunkenbolds. Das Glas rutschte ihm aus der Hand und zerschellte auf dem Boden. Die Musik aus den Lautsprechern und das Stimmengewirr der Gäste übertönte das Klirren nicht ganz. Einige Leute drehten sich um, weil sie sehen wollten, wem das Glas entglitten war.

Mit rotem Gesicht sah der Mann an sich hinunter, betrachtete verwirrt die Glasscherben zu seinen Füßen.

„Hast du …“ Er sah sie an, blickte dann wieder auf den Boden. Jetzt hatte sie fast Mitleid mit ihm, weil er vergeblich versuchte zu verstehen, was da gerade geschehen war. „Habe ich das getan?“

„Ja, das warst du, Harry.“

Evolet erstarrte. Die tiefe, samtweiche Stimme hinter ihr wirkte erregend auf sie. Sie hatte das Gefühl, in hellen Flammen zu stehen. Gleichzeitig überlegte sie panisch, ob der Mann mit dieser verführerischen Stimme ihr Manöver beobachtet haben könnte.

Harry wurde kreidebleich.

„Oh … äh … ich hatte wohl einen Martini zu viel“, stammelte er.

„Harry!“

Fast mitleidig sah Evolet zu, wie Harry noch bleicher wurde und vor Schreck erstarrte, als eine schlanke Brünette mit eleganter lockiger Hochsteckfrisur zu ihm trat und ihn mit hartem Blick ansah.

„Da bist du ja, Liebling.“ Sie hakte sich bei ihm ein, die langen Fingernägel gruben sich tief in seinen Ärmel.

„Das Ehepaar Jones hat nach dir gefragt.“ Für Evolet und den Mann hinter ihr rang sie sich ein Lächeln ab und zog den unglücklichen Harry mit sich.

Evolet atmete tief durch und drehte sich mutig um. Sie ahnte schon, wer hinter ihr stand.

Ja, er war es. Der geheimnisvolle dunkelhaarige Unbekannte stand vor ihr und musterte sie nachdenklich. Evolet reckte das Kinn und sah direkt in seine smaragdgrünen, mit Gold gesprenkelten Augen. Das amüsierte Lächeln auf seinen sinnlichen Lippen verriet ihr, dass ihm ihr kleines Manöver nicht entgangen war.

„Danke“, sagte sie.

Erstaunt hob er eine Augenbraue. „Wofür? Mir scheint, Sie hatten alles im Griff.“

Ihre Wangen röteten sich. „Es war nur …“

„… eine wirkungsvolle Methode, den betrunkenen Esel in die Schranken zu weisen. Ständig macht er sich an Frauen heran, mit denen er nicht verheiratet ist.“

Evolet verkniff sich ein Grinsen. „Trotzdem danke.“ Mit einem kurzen Blick versicherte sie sich, dass die anderen Gäste ihre Unterhaltungen fortsetzten und ein Kellner bereits die Glasscherben auffegte. „Ich schätze Ihre Diskretion.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Gern geschehen.“ Er machte eine Kopfbewegung Richtung Bar. „Anthony ist ein begnadeter Barmixer. Nach Harrys Auftritt können Sie sicher einen Drink vertragen.“

Evolet nickte zustimmend, warf einen Blick auf die elegant gestaltete Getränkekarte und bestellte einen Lavender Spy.

Der Mann neben ihr schien überrascht zu sein. Als sie ihm einen neugierigen Blick zuwarf, war seine Miene jedoch ausdruckslos. Gelangweilt betrachtete er die große Gästeschar.

Anthony reichte ihr ein mit einer hellvioletten Flüssigkeit gefülltes Glas, das mit einem Stängel Lavendel dekoriert war. Dankbar griff sie danach, probierte einen Schluck und riss die Augen auf, als sie den Geschmack von Gin, Lavendel und Limettensaft auf der Zunge hatte. „Wow! Dieser Cocktail ist köstlich.“

„Trinken Sie oft Gin?“

„Es ist mein erstes Mal“, antwortete sie und nahm gleich noch einen Schluck. „Eigentlich trinke ich gar keinen Alkohol. Entweder probe ich oder ich trete auf.“ Oder sie arbeitete vertretungsweise als Assistentin der Geschäftsleitung. Die Jobs wurden ihr von einer Zeitarbeitsfirma vermittelt. Doch das spielte hier keine Rolle. Diese Tätigkeit übte sie nur aus, bis sie ihr Ziel als Berufsmusikerin in einem Orchester erreicht hatte. „Für die Happy Hour bleibt da wenig Zeit.“

„Wieso haben Sie sich fürs Cello entschieden?“

Diese tiefe sinnliche Stimme brachte erneut die Schmetterlinge in ihrem Bauch zum Flattern. Schnell umfasste sie das Cocktailglas fester, um sich nichts anmerken zu lassen.

„Ich habe es zum ersten Mal in der U-Bahn gehört. Der Klang hat mich sofort gefangengenommen.“

Diesen Moment würde sie niemals vergessen. Damals war sie erst wenige Wochen zuvor bei ihrer neuen Pflegemutter Constanza gelandet und hatte rebelliert, entweder mit Beleidigungen oder eisigem Schweigen. Dass Constanza darauf mit köstlichen haitianischen Gerichten, frisch gebügelter Wäsche und einem nachsichtigen Lächeln reagierte, hatte Evolet beschämt – und noch wütender gemacht. Die Schutzmauer, die sie über die Jahre um sich herum errichtet hatte, geriet mit jeder freundlichen Geste von Constanza heftiger ins Wanken. Mit allen Mitteln wehrte Evolet sich dagegen, diese Frau gern zu haben, weil sie fürchtete, sowieso bald wieder aus der Familie herausgerissen zu werden, wie es ihr schon so oft passiert war.

Das Ziehen in ihrer Brust bei den ersten Celloklängen in der U-Bahn-Unterführung war unglaublich heftig gewesen, als gäbe es da jemanden, der ihren tiefen Schmerz nachempfinden konnte.

Wie in Trance war sie der berührenden Musik gefolgt, die ihr entgegenhallte. Die vielen Menschen auf den Gängen, die nach Feierabend zu den U-Bahnen hasteten, das Rattern der Züge, das Stimmengewirr, die ständig klingelnden Handys nahm sie gar nicht wahr. Sie hörte nur die Musik.

„Wie Engelsgesang?“

Evolet blinzelte, kehrte in die Gegenwart zurück. „Nein, ganz im Gegenteil.“ Automatisch hob sie die freie Hand und ahmte mit den Fingern die Griffe auf dem Cello nach, die schlagartig ihr Leben verändert hatten. Bis dahin war es bei ihr nur ums Überleben gegangen, doch in jenem Augenblick begann sie zu leben. „Er hat das Cello zum Weinen gebracht.“

„Zum Weinen?“

Sie nahm noch einen Schluck. Es war keine gute PR, auf dieser glamourösen Veranstaltung auf der die Leute Spaß haben wollten, über Traurigkeit zu sprechen.

Aber der Mann sah sie so eindringlich an, als könnte er in ihr Innerstes blicken. Also war sie versucht, ihm anzuvertrauen, was dazu geführt hatte, das winzige Apartment in East Harlem zu verlassen und mit einem Symphonieorchester bei dieser erlesenen Gala in einem der luxuriösesten Hotels von New York aufzutreten.

Gerade noch rechtzeitig machte sie sich bewusst, dass es unweigerlich wehtun würde, sich jemandem anzuvertrauen. Sie war schon zu oft enttäuscht worden. Allein Constanza hatte immer zu ihr gehalten, sie stets unterstützt, wo sie nur konnte. Aber Constanza war ein Wunder. So einen Menschen gab es nur einmal auf der Welt!

Evolet lachte auf. „Wir Musiker neigen zur Dramatik. Mir hat die Musik gefallen. Der Cellist war so freundlich, mir nach seiner Vorstellung Fragen zu beantworten. Ich habe dann Unterricht genommen, und nun bin ich hier.“

Der Mann kniff die Augen zusammen. „Eigentlich wollten Sie mir etwas anderes erzählen.“

Erstaunt musterte sie ihn. „Wie bitte?“

Er beugte sich vor. Seine Körperwärme entfesselte heiße, erregende Lust bei Evolet. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Auf die Anziehungskraft eines reichen Playboys, der vermutlich Models, Schauspielerinnen und Politikerinnen datete, konnte sie gut verzichten.

Der Typ würde ihr doch keinen zweiten Blick schenken!

Ihr Fluchtinstinkt meldete sich umgehend. Verzweifelt überlegte Evolet, wie sie sich möglichst schnell aus dem Staub machen konnte, da rief der Leadsänger der Band alle Anwesenden auf, zu ihm auf die Tanzfläche zu kommen. Im nächsten Moment umfasste der Mann neben ihr ihre Hand. Erschrocken sah Evolet ihn an und las in seinen Augen, dass er wusste, was sie vorgehabt hatte.

„Tanzen Sie mit mir!“

Diese Stimme klang verführerischer als der Klang ihres Cellos. Der eine oder andere Mann hatte sie als frigide bezeichnet, weil sie nicht auf seine Annäherungsversuche reagiert hatte. Stets war es nur bei einem flüchtigen Gutenachtkuss geblieben. Seit sie mit fünfzehn Jahren im U-Bahntunnel magisch von der Musik eines Cellos angezogen worden war, gab es in ihrer Welt nur ihr Cello und Constanza.

Das schien sich gerade zu ändern. Erst recht, wenn sie jetzt mit dem Mann tanzte. Sie würde ihn nach diesem Abend nie wiedersehen, sich jedoch immer daran erinnern, wie besitzergreifend er ihre Hand umfasst hielt.

„Okay“, sagte sie.

Schnell nahm er ihr das Glas ab und stellte es auf den Bartresen, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Dann legte er lässig eine Hand auf ihren Rücken und zog Evolet blitzschnell zur Tanzfläche.

„Sie haben Übung darin.“

„Worin?“ Er lächelte wissend und zog sie enger an sich.

Ihr wurde schwindlig, als sie ihm so nah war. „Eine Frau zum Tanzen mit Ihnen zu verführen“, antwortete sie atemlos.

Ein Feuer loderte in seinen Augen. „Fühlen Sie sich von mir verführt?“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Ich weiß nicht mal, wie Sie heißen.“

„Ich kenne Ihren Namen ja auch nicht.“

Dafür wurde sie mit einem überraschten Lachen belohnt.

„Wollen wir einen Deal machen?“, fragte er lächelnd.

Unwillkürlich ließ sie den Blick zu seinem Mund gleiten. Wie es wohl wäre, ihn zu küssen? Ihn zu schmecken …

„Einen Deal?“, wisperte sie.

Er lächelte breiter. Ihr wurde ganz anders.

„Sie sagen mir Ihren Namen, dann verrate ich Ihnen meinen.“

Der Flirt mit dem gut aussehenden wohlhabenden Mann, der sich mit ihr unterhalten wollte, machte ihr richtig Spaß. Sie fand seine Gesellschaft aufregend, denn sie war es nicht gewohnt, die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich zu ziehen. Und nun tanzte sie sogar mit ihm. Als der Beat plötzlich schneller wurde, geriet sie ins Stolpern, doch ihr Tanzpartner hielt sie mühelos fest.

„Entspannen Sie sich!“, raunte er ihr zu.

„Aber ich weiß gar nicht, was ich tun soll.“

„Verlassen Sie sich ganz auf mich!“, sagte er leise und sah sie erneut so eindringlich an, dass Evolets Schutzmauer zu bröckeln begann. Da sie nicht wusste, ob sie das zulassen wollte, hielt sie unentschlossen inne.

Bis er ihr herausfordernd ein sexy Grinsen schenkte.

Okay, dachte sie, reckte das Kinn und entspannte sich in den starken Männerarmen. Sofort wirbelte er sie herum. Im ersten Moment war ihr das nicht geheuer. Wann hatte sie jemals einem anderen Menschen vertraut, ihm das Kommando überlassen?

Er ließ ihr keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Schon wirbelte er sie erneut herum, so selbstverständlich, dass sie entzückt lächelte. Als er ihr Lächeln erwiderte, war alles Grüblerische aus seiner Miene verschwunden, was ihn schier unwiderstehlich machte.

Gekonnt führte er sie, bis das Lied verklungen war. Die meisten Tanzpaare hatten sich nur vor und zurück bewegt. Einige versuchten ähnliche Figuren, doch kein Paar zeigte so großes Können wie ihr geheimnisvoller Unbekannter.

„Sind Sie Turniertänzer?“, fragte sie beeindruckt.

Er lachte vergnügt. „Ganz sicher nicht. Dies ist der einzige Tanz, den ich gut beherrsche.“

„Sehr gut, meinen Sie wohl.“

„Danke. Meine Mutter war eine gute Lehrerin.“

Evolet bemerkte den qualvollen Ausdruck, der über sein Gesicht huschte. „Was ist mit ihr?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

Als er sie kurz ansah, las sie tiefste Verzweiflung in seinem Blick. Eine Sekunde später hatte er sich wieder im Griff und lächelte so nichtssagend wie die anderen Männer im Ballsaal.

„Ich hole Ihnen einen frischen Drink.“

Die Abfuhr verletzte sie. Eben hatten sie noch fröhlich getanzt und geflirtet, nun war das Märchen beendet, der Griff nach den Sternen fehlgeschlagen. Das kannte sie nur zu gut. Sie durfte sich keine Hoffnungen machen. Menschen starben, so wie ihr Vater. Oder verschwanden, wie ihre Mutter. Auch Constanza hatte sie verlassen, selbst wenn es nicht ihre Schuld gewesen war.

Menschen waren unberechenbar. Sie verletzten einen – absichtlich oder unbeabsichtigt.

Evolet richtete den Blick auf die Bühne und dachte an ihr Cello. Auf das Instrument konnte sie sich verlassen, ebenso wie auf ihr Talent und ihre harte Arbeit.

„Es ist spät“, sagte sie unvermittelt.

Sofort warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist erst kurz nach acht.“

„Ich brauche eine gute Stunde für den Nachhauseweg.“ Sie reichte ihm die Hand. „Danke für den Tanz.“

Als er ihre Hand umschloss, begann Evolets Puls zu rasen. Doch dann trafen sich ihre Blicke. Seiner war plötzlich unnahbar – und löschte sofort das Feuer in ihr. „Dann wünsche ich noch einen schönen Abend“, sagte er kühl.

Sie nickte und wandte sich ab. Betont gelassen holte sie ihr Cello. Nun musste sie nur noch ihren Mantel abholen.

Bevor Evolet den Ballsaal verließ, gab sie dem Impuls nach, sich noch einmal umzudrehen. Ihr geheimnisvoller Unbekannter stand am Rande der Tanzfläche mit einem frischen Drink in der Hand und in Gesellschaft zweier Frauen. Eine hatte besitzergreifend die Hand auf seinen Ärmel gelegt. Eifersucht durchzuckte Evolet. Das ärgerte sie. Schließlich kannte sie den Mann kaum.

In diesem Moment sah er auf, direkt in ihre Augen. Heißes Verlangen pulsierte in ihrem Schritt. Bilder eines erotischen Tanzes durchzuckten ihr Gehirn, so plastisch, dass sie schockiert leicht den Mund öffnete. Trotz der Entfernung bemerkte sie, wie seine Augen dunkel wurden vor Verlangen. Wie gebannt hielt sie seinen Blick fest. Konnte doch mehr zwischen ihnen sein? Immerhin hatte er sie zutiefst berührt.

Nein, er würde ihr mit Sicherheit das Herz brechen.

Evolet wandte sich schnell ab und ergriff die Flucht.

2. KAPITEL

Damon beendete den Handyanruf und atmete erleichtert auf. Stolz lächelte er vor sich hin, denn Bradford Global war unter den letzten drei Bewerbern um die Fertigung einer neuen Flotte von Jetflugzeugen für Royal Air.

Die Fluggesellschaft mit Hauptsitz in Schweden hatte vor zehn Jahren die internationale Reisewelt mit ihren Luxusflugzeugen im Sturm erobert. Die Maschinen boten auf Transatlantikflügen den Komfort, der auf anderen Linienflügen nur noch in der ersten Klasse zur Verfügung gestellt wurde: Drei-Gänge-Menüs auf Porzellangeschirr, ein Gratiscocktail und genug Beinfreiheit für Passagiere, die größer waren als einen Meter fünfzig – alles ohne Aufpreis. Dieses Geschäftsmodell hatte sich als so erfolgreich erwiesen, dass Royal Air nun den Auftrag für zehn neue Jets erteilte. Bei einem Auftragsvolumen von fast 130 Millionen US Dollar pro Flugzeug hatten natürlich viele Flugzeughersteller Interesse.

Es wäre Damons größter Erfolg als Vorsitzender von Bradford Global, wenn sein Unternehmen den Zuschlag erhielte.

Er wandte sich um und beobachtete vom Eingang des Hotels aus, das direkt am Central Park gelegen war, das rege Treiben der elegant gekleideten Menschen. Im Ballsaal tummelten sich weiterhin viele Gäste. Einige waren ihm sympathisch, mit anderen war er sogar befreundet.

Was es für ihn bedeutete, den Royal-Air-Auftrag an Land zu ziehen, könnte jedoch keiner von ihnen nachvollziehen. Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihn, so heftig, dass er ihm fast den Atem nahm.

Vierzehn Jahre lang war er nun Vorsitzender von Bradford Global. Normalerweise konnte er den Schmerz ganz gut in Schach halten, doch gerade heute Abend hätte er seine Eltern gern an seiner Seite gehabt. Sie wären so stolz auf ihn gewesen. Aus der einstmals kleinen Fabrik in Illinois hatte er ein Unternehmen gemacht, das demnächst womöglich für eine der renommiertesten Fluggesellschaften der Welt arbeiten würde.

Vor seinem geistigen Auge sah er plötzlich goldbraune Augen, in deren Tiefen humorvolle Funken tanzten. Damon umklammerte das Handy fester. Bei der geheimnisvollen Cellistin war seine Schutzmauer rissig geworden. Schon die ersten Noten des Solos hatten seine Seele berührt. Als er dann noch beobachtet hatte, wie geschickt sie die Annäherungsversuche des betrunkenen Harry Dumont vereitelt hatte, war sein Interesse erst recht geweckt worden.

Zu seiner Überraschung hatte er dann selbst mit ihr geflirtet. An langfristigen Beziehungen oder gar einer Heirat war er nicht interessiert. Daran war der Tod seiner Eltern schuld. Er konnte nicht mehr lieben. Nur die Arbeit lenkte ihn von dem Albtraum ab, immer wieder die letzten Momente im Leben seiner Eltern vor sich zu sehen.

Selbst wenn er sich nach einer Beziehung gesehnt hätte, wie seine Eltern sie geführt hatten, wäre das von dem Frauentyp torpediert worden, mit dem er sich umgab. Seine letzte Geliebte Natalia Robinson war die Tochter eines Senators. Vornehm, verantwortlich für das Marketing einer bekannten Klinik. Ihr wahres Gesicht hatte sich gezeigt, als er ihr gestattet hatte, einige ihrer Sachen in sein Penthouse in der Park Avenue zu bringen. Zwei Monate später hatte sie ihm am Valentinstag erklärt, sie hätte beschlossen, seine Ehefrau zu werden.

Daran wurde Damon noch immer erinnert, wenn er auf der Fifth Avenue bei Cartier vorbeikam. Der Juwelier hatte ihm tatsächlich am 15. Februar eine Rechnung über 1,2 Millionen Dollar für einen Ring geschickt. Die hatte er natürlich an Natalia weitergeleitet, zusammen mit ihren Sachen, die er von einem Umzugsunternehmen sorgfältig in einen Karton hatte packen lassen. Per SMS und Sprachnachrichten bezichtigte sie ihn, kalt und unzugänglich zu sein. Deshalb hätte sie die Initiative ergriffen.

Damit hatte sie sogar recht. Damon war unzugänglich und kalt, weil er sich nicht verletzlich machen wollte.

Emotionen konnte er nicht kontrollieren. Emotionen waren chaotisch.

Er ließ sich nur auf diskrete Affären ohne gefühlsmäßige Bindungen ein. Damit konnte er umgehen.

Damon blieb noch einen Augenblick nachdenklich vor dem Hotel stehen. Er hatte die faszinierende Cellistin rüde abgefertigt, als sie sich nach seiner Mutter erkundigt hatte. Im ersten Moment hatte er sich gefreut, dass jemand nach ihr fragte. Dann hatte er sich verschlossen. Seine Eltern zu erwähnen, war tabu. Das hatte er jedem klargemacht, mit dem er zu tun hatte.

Sein plötzliches Bedürfnis, dieser jungen Frau, die er gerade erst kennengelernt hatte, zu erzählen, was in der Nacht passiert war, hatte ihn erschreckt. Jene Nacht, in der ein betrunkener Student sich ans Steuer gesetzt hatte und das Leben seiner geliebten Eltern ausgelöscht hatte …

Schnell hatte er das Bedürfnis im Keim erstickt und war zurückgewichen. Das hatte sie verletzt, was er schuldbewusst sofort erkannt hatte. Sie hatte ihm etwas sehr Persönliches anvertraut, wohingegen er sich einfach hinter seine Schutzmauer zurückgezogen hatte.

Irritiert schob Damon das Handy in die Hosentasche und beobachtete die lange Schlange von Taxis, Limousinen und anderen Fahrzeugen, die nur langsam vorankamen. Warum sollte er ein schlechtes Gewissen haben? Sie war nur eine flüchtige Bekanntschaft, mit der er einen Drink genommen und getanzt hatte. Sie hatte beschlossen, von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Er hatte sich dagegen entschieden.

Trotzdem fühlte er sich nicht ganz wohl dabei. Er fluchte unterdrückt, drehte sich um und beschloss, sich wieder unter die Menge im Ballsaal zu mischen und höfliche Konversation zu machen, wie es sich für ihn als CEO gehörte. Und sich von Tracy Montebachs manikürten Fingernägeln fernzuhalten …

In diesem Moment verließ die Cellistin das Hotel. Unglaublich, wie sehr es sie veränderte, wenn sie das Haar offen trug. In goldblonden Wellen fiel es ihr über die Schultern. Heißes Verlangen strömte bei diesem hinreißenden Anblick durch seinen Körper.

Jetzt blieb sie am Rand des Bürgersteigs stehen, sah in beide Richtungen, vermutlich suchte sie ein freies Taxi. In einer Hand hielt sie ihre Handtasche, in der anderen den Cellokasten.

In aller Ruhe betrachtete er sie. Der Gürtel des schwarzen Trenchcoats betonte die schmale Taille. Die elegant geformten Beine steckten in schwarzen Strümpfen. Dieser Anblick war bedeutend erotischer als Tracy Montebachs freizügiges Dekolleté!

Wie würde ihr Rot stehen? Oder Gold, wie ihre Augenfarbe?

Schwarz stand ihr jedenfalls. Die Farbe verlieh ihr etwas Geheimnisvolles, wirkte gleichzeitig jedoch wie eine Warnung, auf Distanz zu bleiben.

Das war auch besser so, befand Damon, als die Musikerin die Straße überquerte und weiterging. Sie faszinierte ihn zu sehr, er wollte lieber nicht riskieren, sie näher kennenzulernen.

Dieser Vorsatz löste sich jedoch in Luft auf, als die Cellistin an den Kutschen vor dem Central Park vorbeiging – und dann in den Park einbog. Damon stutzte. Sie war doch wohl nicht so töricht, nachts allein durch den Central Park zu gehen!

Ohne nachzudenken folgte er ihr, und hatte sie schnell eingeholt. „Wo gehen Sie bloß hin?“, fuhr er sie an.

Überrascht wandte sie den Kopf. „Ich gehe durch den Park. Und was haben Sie hier verloren?“

„Ich habe vor dem Hotel telefoniert, als Sie herauskamen. Sie gehen nachts allein durch den Central Park?“

„Ja.“

„Wieso nehmen Sie kein Taxi?“

„Zu teuer.“

„Ich besorge Ihnen eins.“

Indigniert musterte sie ihn. „Kommt nicht infrage. Dann müsste ich Ihnen das Geld für die Fahrt ersetzen. Nein danke, ich gehe zu Fuß.“

„Das ist zu gefährlich.“

Langsam wurde sie wütend. Er auch, doch er riss sich zusammen. Sie hatte ja keine Ahnung, wer er war. Die Gäste auf der Gala würden sich scheckiglachen, wenn sie erfahren würden, dass eine kleine Musikerin dem CEO von Bradford Global das Taxigeld erstatten wollte.

„Ich hätte Sie nicht für so einen Schwarzmaler gehalten“, bemerkte sie.

„Bin ich auch nicht“, antwortete er gekränkt.

„Doch. Wie Sie sehen, ist der Weg gut beleuchtet und sehr belebt. Ich habe nicht die Absicht, mich seitwärts durch die Büsche zu schlagen“, fügte sie hinzu.

Sie hatte recht. Der im Süden des Parks gelegene Hauptweg verfügte über helle Straßenlaternen, und es waren viele Leute unterwegs – verliebte Pärchen, Touristen, Radfahrer, sogar ein Streifenwagen patrouillierte langsam den Weg entlang.

Aber wie sie da so stand mit ihrem großen Cellokasten, wirkte sie irgendwie schutzbedürftig. Er wollte sie nicht sich selbst überlassen. „Gehen Sie zu Fuß bis nach Hause?“

„Nein. Das würde Stunden dauern. Ich steige in der 68. Straße in die U-Bahn. Sind Sie nun zufrieden? Wieso interessiert Sie das überhaupt? Wir haben doch nur einmal zusammen getanzt.“

Das war wohl wahr. Aber sie im Arm zu halten, zu spüren, wie sie sich vertrauensvoll an ihn schmiegte, hatte ihn so erregt, dass er ihr am liebsten das unförmige schwarze Kleid ausgezogen und ihre nackte Haut gestreichelt hätte.

Nein, er wäre erst zufrieden, wenn er sie zum Höhepunkt gebracht hatte, wenn sie vor Lust aufschrie. Danach fieberte er! Und es war kein oberflächliches Verlangen, sondern ein ganz urwüchsiger Drang.

„Es gefällt mir nicht, dass Sie nachts allein im Park unterwegs sind.“

„Das ist Ihre Sache. Gute Nacht.“

Sie wandte sich um und ging davon.

Damon war fassungslos. Sie hatte ihn einfach stehengelassen. Das war ihm noch nie passiert! Er war hin- und hergerissen. Wenigstens zur U-Bahnstation sollte er sie zur Sicherheit begleiten, redete er sich ein und rang sein heißes Begehren nieder.

Evolet fluchte unterdrückt, als sie hinter sich seine Schritte hörte. Ihr Herz schlug sofort schneller. Insgeheim hatte sie sich schon fast gedacht, dass er ihr folgen würde, denn offenbar hatte sie seinen Beschützerinstinkt geweckt. Sie musste ein Novum für ihn sein, weil sie auf sich gestellt war und niemanden hatte, der sie rund um die Uhr bediente.

Ihre Lebenserfahrung hatte sie zur Pragmatikerin gemacht. Inzwischen träumte sie nicht mehr davon, eines Tages Berufsmusikerin zu sein, sondern sie verfolgte dieses Ziel richtiggehend. Dabei waren Fantasien und Romantik auf der Strecke geblieben. Die Künstlerin in ihr war zu kurz gekommen.

Heute Abend wollte sie ihre romantische Seite aufleben lassen. Deshalb hatte sie mit dem geheimnisvollen Unbekannten getanzt und den Weg durch den romantischen Park eingeschlagen.

Der grüblerische Mann neben ihr schien keinen Sinn für die nächtliche Magie zu haben. Sicher fühlte er sich mit Fakten, Berichten und Statistiken wohler.

Womit er wohl seinen Lebensunterhalt verdiente? Jedenfalls musste er Geld haben, sonst hätte er keine Einladung zu der exklusiven Spendengala erhalten. Er steckte voller Widersprüche. So trug er zwar einen maßgeschneiderten Smoking, aber ohne Fliege und mit offenem Hemdkragen. Auf den ersten Blick erschien er arrogant, und doch begleitete er lieber eine ihm praktisch Fremde durch den nächtlichen Central Park, statt Cocktails zu schlürfen.

Er faszinierte sie. Besonders sein verhaltenes Lächeln hatte es ihr angetan.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Darf ich wenigstens erfahren, wie mein edler Ritter heißt?“

Die Antwort kam erst einige Sekunden später. „Damon.“

Der Name erinnerte sie an eine Ballade. „Wie der kleine Junge aus dem Horrorfilm?“

Damons herzliches Lachen ging ihr durch und durch. „Bin ich für Sie der Sohn des Teufels?“

„Wie soll ich das beurteilen? Ich kenne Sie ja kaum.“

Allerdings konnte sie sich ihn schon in dieser Rolle vorstellen, so sehr, wie er sie in Versuchung führte!

„Und wen eskortiere ich?“

„Evie.“ So hatte Constanza sie immer genannt.

„Wo wohnen Sie, Evie?“

Der war aber hartnäckig! „Das verrate ich nicht beim ersten Date.“ Peinlich berührt zuckte sie zusammen. Es war kein Date.

„Haben Sie oft ein Date?“

„Nein, dafür bleibt mir keine Zeit. Ich probe, spiele vor oder trete auf.“ Sie schwenkte leicht das Cello. „Constance ist meine einzige Liebe.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

„Constance?“

Es lag ihr auf der Zunge, ihm zu erzählen, wie die Frau, die dann ihre Adoptivmutter geworden war, sich krummgelegt hatte, um Evolet ihr erstes Cello zu finanzieren. Sie hatte sich so gefreut, als Evolet ihr zum ersten Mal vorgespielt hatte. Sie hatte auch ihre Tränen getrocknet, als das erste offizielle Vorspiel erfolglos gewesen war. Doch Evolet hatte dem Mann, der nichts über sich selbst preisgab, schon zu viel verraten. Außerdem schmerzte es sie viel zu sehr, dass ihre geliebte Constanza an Alzheimer erkrankt war und nun in einem Pflegeheim leben musste. Es war so ungerecht, so grausam! Die einzige Familie, die Evolet je gehabt hatte, war ihr nun auch genommen worden.

„Ich habe es nach meiner Adoptivmutter benannt. Sie heißt Constanza“, erklärte Evolet daher nur.

„Sieht schwer aus.“ Er zeigte auf den Cellokasten.

„Ist es auch. Aber außer mir darf es niemand tragen.“ Schnell wechselte sie das Thema. „Wie sieht es bei Ihnen aus? Warten auf der Gala einsame Herzen auf Sie?“

Das Bild der Rothaarigen, die ihre Klaue in Damons Ärmel gekrallt hatte, schoss Evolet durch den Kopf. Seltsam, sie hatte sofort brennende Eifersucht empfunden.

„Tracy Montebach und eine Freundin, deren Namen ich vergessen habe. Aber sie haben sich inzwischen sicher schon ein anderes Opfer gesucht.“

Erleichtert atmete Evolet auf. „Dann ist es also nicht die wahre Liebe?“

Wieder berührte sie sein herzliches Lachen. Entzückt bemerkte sie die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tracy wahre Liebe erkennen würde, falls sie ihr mal begegnen sollte. Und in meinem zukünftigen Leben wird Liebe auch keine Rolle spielen“, fügte er hinzu.

„Niemals?“

„Niemals.“

Verwundert sah sie ihn an. Sein Gesicht war wieder zu einer Maske erstarrt. „Dahinter verbirgt sich eine Geschichte“, vermutete sie.

„Ja.“

Sie wagte nicht, nachzuhaken. Die Abfuhr vorhin hatte ihr gereicht!

Schweigend setzten sie den Weg fort. Als sie eine Brücke überquerten, blieb Evolet stehen und beugte sich übers Geländer. Unten befand sich das berühmte Karussell. Goldene Lichter erleuchteten das rote Ziegelgebäude, in dem es sich befand. Drehorgelmusik drang durch die Baumwipfel und begleitete die Karussellpferde bei ihrem stetigen Auf und Ab. Um diese Zeit herrschte wenig Andrang. Zwei Männer mit einem kleinen Mädchen und ein Pärchen saßen auf den Pferden.

Schweigend folgte Damon Evolets Blick. Seine Nähe machte sie nervös, gleichzeitig gefiel es ihr, bei ihm zu sein. Das war beunruhigend, denn sie hatte sich eigentlich ans Alleinsein gewöhnt.

„Ich bin seit Jahren nicht mehr hier gewesen“, sagte Damon leise.

„Sind Sie mal auf dem Karussell gefahren?“

„Ja, einmal. Ich glaube, es war an meinem fünften Geburtstag.“

„Gab es keine große Feier?“

„Nein. Meine Eltern sind trotz ihres Reichtums immer auf dem Boden geblieben, haben nie vergessen, wo sie herkamen.“

Sie spürte, wie schwer es ihm fiel, über seine Eltern zu sprechen. In seinem Tonfall schwang auch eine Entschuldigung für die Abfuhr im Ballsaal mit. Natürlich verzieh sie ihm. Auch sie schmerzte es, über ihre Eltern zu sprechen.

Damon zeigte nach unten. „Waren Sie mal mit Ihren Eltern hier?“

„Nein“, flüsterte sie und beobachtete, wie die Väter ihre kleine Tochter von einem kastanienbraunen Pferd mit lila Sattel hoben. Die Kleine lachte fröhlich. Der Mann hob seine Freundin aus dem Sattel und küsste sie zärtlich auf die Stirn.

Evolet hatte dieses Karussell zum ersten Mal gesehen, als ihr die Sozialarbeiterin auf dem Weg zur allerersten Pflegefamilie ein Eis spendiert hatte, um sie darüber hinwegzutrösten, dass ihre leibliche Mutter sie im Stich gelassen hatte. Der Eiswagen stand am Rand des Weges, der sich durch den südlichen Bereich des Parks zog. Sie war mit dem Eis zur Brücke gegangen und hatte übers Gelände aufs Karussell geblickt, das mit fröhlich kichernden Kindern immer im Kreis fuhr. Die Eltern hatten lachend zugesehen, eifrig fotografiert und ihre Kinder nach der Fahrt wieder in die Arme geschlossen.

Liebe, Geborgenheit, Familie. Danach hatte sie sich jahrelang gesehnt …

Evolet wandte sich um und setzte den Weg zur U-Bahnstation fort. Plötzlich kam sie sich albern vor, weil sie Damon fast ihre traurige Geschichte anvertraut hätte.

Er folgte ihr, spürte, dass sie etwas bedrückte.

Schweigend gingen sie weiter, überquerten die Straße und folgten einem Weg, der zwischen Bäumen hindurch einige Stufen hinunterführten.

„Dahinter verbirgt sich eine Geschichte“, wiederholte er genau ihre Worte von vorhin. Fast wäre sie auf der letzten Stufe gestolpert. Geistesgegenwärtig hielt er sie am Ellenbogen fest.

„Wohinter?“, flüsterte sie.

„Das Karussell hat eine besondere Bedeutung für Sie.“

„Vielleicht finde ich es einfach hübsch.“

Bevor er auf ihr Ausweichmanöver reagieren konnte, fielen die ersten Regentropfen. Erleichtert blickte sie gen Himmel.

„Regen war für heute nicht angesagt“, brummte er mürrisch.

„Es ist doch nur Wasser.“

Besorgt musterte er den Cellokasten. „Der ist hoffentlich wasserdicht.“

„Ja, keine Sorge. Einen leichten Frühjahrsregen wird er abkönnen. Bei einem Wolkenbruch sähe die Sache schon anders aus.“

Im nächsten Moment zuckte ein Blitz über den Himmel. Donnergrollen folgte.

Wieder schaute sie gen Himmel, genoss die kühlen Regentropfen auf dem Gesicht, lächelte glücklich und unbeschwert.

Sie ist wunderschön, dachte Damon ergriffen. Wie kostbare Diamanten glitzerten die Tropfen auf ihrem Gesicht. In diesem Moment sah er die wahre Evie und war geblendet von ihrer Natürlichkeit. Er konnte nicht anders und schlang einen Arm um ihre Taille. Evie wurde ernst, sah ihn nur an. Geduldig wartete er auf ihre Reaktion, gab ihr Zeit, sich von ihm zu lösen. Doch sie schmiegte sich an ihn, entfesselte einen Feuersturm in ihm, der sich nicht löschen ließ.

Damon neigte den Kopf und küsste sie. Federleicht und abwartend. Sie stöhnte sehnsüchtig. Da war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Sanft strich er ihr eine feuchte Strähne aus dem Gesicht, dann schob er die Hände durch ihr Haar. Sofort drängte sie sich enger an ihn. Der Kuss wurde heißer, leidenschaftlicher. Damon sehnte sich danach, sie überall zu berühren, sie nackt vor sich zu haben.

Neckend ließ er die Zunge über Evies Lippen spielen. Sie öffnete den Mund, empfing die Zunge, die mit ihrer tanzte. Der Kuss wurde immer leidenschaftlicher. Zärtlich ließ Evie die Finger durch sein Haar gleiten, zog spielerisch daran und brachte ihn damit fast um den Verstand.

Der Regen kühlte die Frühlingsluft ab. Doch mitten im Park einer Millionenmetropole brannte die Leidenschaft heißer als je zuvor. Die Leidenschaft zu dieser Frau, die ihm unter die Haut ging und ihm direkt in die Seele blickte.

Eine gefährliche Frau.

Instinktiv rieb sie sich an ihm. Die Erkenntnis, dass sie ihn so sehr begehrte, wie er sie, befeuerte seine Lust erst recht. Ein tiefes Grollen entstand in seiner Kehle, mündete in Evies Mund. Sie keuchte vor Lust, als er ihren Po umfasste, um sie noch fester an sich zu spüren und sie den Beweis seiner Erregung zwischen den Beinen spürte.

Sie bebte. Es brachte ihn fast um, sich von ihr zu lösen.

„Nicht aufhören, Damon“, flüsterte sie an seinem Mund. Sofort küsste er sie härter, wilder, hielt sie wieder fest an sich gepresst. So besitzergreifend hatte er sich noch nie gefühlt.

Sie erlebten einen Höhenflug, die Körper umeinander gewunden, auf der Zunge den Geschmack des heißen Begehrens. Ein Traum, aus dem er niemals erwachen wollte.

Dann schreckte schrilles Gelächter vom Pfad neben ihnen sie aus dem schönen Traum.

Damon hob den Kopf und entdeckte zwei junge Mädchen auf dem Pfad. Das eine Mädchen wandte verlegen den Blick ab, das andere sah sie schamlos an.

„Na, dann noch viel Spaß!“, sagte Letztere und machte sich dann lachend mit ihrer Freundin aus dem Staub.

Er widmete sich wieder Evie, die ihn mit großen goldbraunen Augen schockiert ansah. Ihre Lippen waren geschwollen, ihr Atem ging stoßweise. Fest klammerte sie sich an Damon, als würde sie ohne seinen Halt zu Boden sinken.

„Evie! Ich …“

Ihr Name auf seinen Lippen schien sie in die Wirklichkeit zu katapultieren. Hastig riss sie sich los, griff nach ihrem Cellokasten und hastete auf dem schmalen Pfad davon.

Wie erstarrt sah Damon ihr nach, hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Verlangen. Evolet war eine erwachsene Frau, wenn sie gehen wollte, durfte sie das. Aber …

„Warte!“

Doch sie dachte gar nicht daran, sondern eilte unbeirrt weiter.

Und dann war sie auch schon von der Dunkelheit verschluckt.

3. KAPITEL

Evolet verstärkte den Griff um den Kaffeebecher, als die U-Bahn sich in die Kurve legte. Durchdringend quietschten die Räder.

Ungerührt legte die meisten Pendler sich mit in die Kurve, den Blick fest auf Handys, Buchseiten oder andere Mitfahrende gerichtet. Eine New York besuchende Familie unterhielt sich aufgeregt über die vielen Sehenswürdigkeiten, die sie besichtigen wollte.

Ein ganz normaler Montag in der U-Bahn, dachte Evolet belustigt, als sie genießerisch das Kaffeearoma einatmete. Es war heute Morgen schon der zweite Becher. Doch auch der konnte ihre bleierne Müdigkeit nicht vertreiben.

Statt zu schlafen, hatte sie die vergangenen Nächte nur an Damon gedacht, an seine sinnlichen Lippen, die erregende Umarmung, seine Körperwärme, sein lustvolles Stöhnen, das ihr verriet, wie sehr er sie begehrte.

Wenn sie doch eingeschlafen war, hatte sie von heißen Liebesspielen geträumt und war schweißgebadet aufgewacht.

Der U-Bahnwagen ruckelte. Evolet fluchte unterdrückt, als heiße Kaffeespritzer auf ihrem Handrücken landeten. Als sie in der Manteltasche nach einer Serviette suchte, fing sie den Blick eines jungen Mädchens auf, das sie mit weitaufgerissenen Augen ansah.

Verlegen zwinkerte sie dem Mädchen zu und wurde mit einem breiten Lächeln belohnt, bei dem eine Zahnlücke sichtbar wurde.

Evolet fuhr gern U-Bahn. Es wurde nie langweilig. Außerdem hatte sie in einem der vielen unterirdischen Gänge ihre Leidenschaft für das Cello entdeckt. Damon hatte offensichtlich etwas gegen Fahrten in der U-Bahn. Er wusste ja nicht, was er verpasste!

Nun dachte sie schon wieder an ihn. Die heiße Umarmung im Central Park hatte sie regelrecht beflügelt. Am Sonnabendvormittag hatte sie Constanza im Pflegeheim besucht. Am Nachmittag und fast den ganzen Sonntag hatte sie im Park geprobt. Zum ersten Mal hatte ihre Musik nicht traurig und melancholisch geklungen, sondern leidenschaftlich. Ihr Spiel hatte etwas Erotisches gehabt. Nach der Probe war ihr richtig heiß gewesen.

So eine tolle Probe hatte sie seit Jahren nicht gehabt. Hoffentlich konnte sie beim nächsten Vorspielen etwas aus ihrem eigenen Repertoire zum Besten geben, statt nur vom Orchester vorgegebene Stücke spielen zu müssen.

Bevor es so weit war, musste sie allerdings erst einmal Geld für die Miete verdienen. Deshalb hatte sie den über die Zeitarbeitsagentur vermittelten Vertretungsjob als Assistentin der Geschäftsleitung angenommen. Auf diesem Gebiet hatte sie sich schnell einen guten Ruf erworben, sodass NYC Executives Inc. sie gern vermittelte. Evolet hatte bereits für Fluggesellschaften, Reedereien, Hotels, Restaurants und sogar für ein Theater gearbeitet. Die Jobs waren abwechslungsreich und gut bezahlt.

Miranda, eine der Direktorinnen der Agentur hatte heute Morgen um sechs bei ihr angerufen, um ihr den Job anzubieten. Eine hochrangige Mitarbeiterin der Chefetage von Bradford Global hatte vorzeitig Wehen bekommen und ihr Baby vier Wochen zu früh auf die Welt gebracht. Da das Unternehmen sich gerade um einen extrem lukrativen Auftrag von einer europäischen Fluggesellschaft bemühte, wurde dringend Ersatz benötigt. Sie sollte einer Ms. Laura Roberts zuarbeiten.

Ihr Halt wurde angesagt. Evolet stand auf und drängte sich in einem Pulk von Menschen zum Ausgang.

Als Miranda den Firmennamen erwähnt hatte, musste Evolet sofort an Damon denken, den sie ja auf der Bradford-Gala kennengelernt hatte. Allerdings hatte er nicht erwähnt, dass er für Bradford Global arbeitete. Doch das hieß ja nichts. Was sollte sie tun, wenn sie ihm zufällig auf dem Korridor begegnete oder sogar für ihn arbeiten musste?

Sie hatte seinen Namen vorsichtshalber auf der Internetseite von Bradford Global eingegeben, jedoch keinen Treffer erzielt. Einerseits war sie darüber erleichtert, andererseits ein wenig enttäuscht.

Dabei hatte Miranda ihr doch schon mitgeteilt, dass sie für Ms. Roberts arbeiten würde. Doch der grüblerische sexy Mann spukte ihr weiter im Kopf herum. Das musste sofort aufhören!

Einige Minuten später stand sie draußen in der verhaltenen Morgensonne. Im Finanzviertel von Lower Manhattan herrschte bereits lebhaftes Treiben. Unterschiedlich hohe Gebäude aus verschiedenen Epochen säumten die Straße.

Bradford Global war in der obersten Etage des Pomme Building untergebracht, dem neuen Hochhaus, das die Skyline dominierte. Im Fahrstuhl landete sie blitzschnell in der siebzehnten Etage. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick frei auf eine Lobby mit dunklen Holzböden, schmiedeeisernen Kronleuchtern und mit braunen, zum Verweilen einladenden Ledersesseln. Licht fiel durch die bodentiefen Fenster mit Blick auf Midtown. Die Aussicht war atemberaubend.

Diese gemütliche Bibliotheksatmosphäre hatte Evolet nicht erwartet. Ausgehend von dem unglaublichen Reichtum, den sie auf der Gala am Freitag erlebt hatte, hätte sie eher auf steriles Weiß und moderne Stahlmöbel getippt.

Hinter einem riesigen Schreibtisch mit Firmenlogo auf der Vorderseite saß etwas im Hintergrund eine Frau, die auf Evolet wie der Zerberus des millionenschweren Unternehmens wirkte. Ende fünfzig, Anfang sechzig und sehr gepflegt mit blondem Bob, der die hohen Wangenknochen gut in Szene setzte, Diamantohrsteckern und marineblauem Etuikleid. Die Frau hatte Klasse.

Als sie Evolet entdeckte, stand sie auf und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln, das ihr strenges Gesicht weicher machte.

„Herzlich willkommen bei Bradford Global. Ich bin Julie, die Sekretärin. Sie müssen Evolet Grey sein.“ Als sie Evolets erstaunten Blick auffing, erklärte sie fröhlich: „Der Sicherheitsdienst hat mich informiert, dass Sie auf dem Weg hierher sind.“

Sofort war Evolets Nervosität wie weggeblasen.

„Vielen Dank für die herzliche Begrüßung. Ich freue mich, die nächsten zwei Monate hier zu arbeiten. Der Frau, die ich vertreten soll, und ihrem Baby geht es hoffentlich gut, oder?“

Julie strahlte über Evolets Anteilnahme, zückte ihr Handy und zeigte ihr eine erschöpfte, aber sehr glücklich wirkende Frau in einem Krankenhaushemd und mit einem winzigen Baby in den Armen. „Es hat uns ganz schön Angst gemacht, dass sie so früh auf die Welt kommen wollte. Aber Louise hat das prima gemacht. Vielleicht wird Ihr Vertrag sogar verlängert. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass Louise nicht schon nach zwei Monaten wieder arbeiten will.“

Bevor Evolet sich dazu äußern konnte, klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch, und Julie nahm schnell den Hörer ab. „Ja? Ja, sie ist gerade eingetroffen. Gut, ich schicke sie direkt zu Ihnen.“ Sie legte auf und wandte sich lächelnd wieder Evolet zu. „Mr. Bradford sitzt in einer Konferenz mit Vertretern einer anderen Firma und möchte, dass Sie gleich zu ihm kommen.“

„Aber ich dachte, ich arbeite für Ms. Roberts.“

„Da müssen Sie etwas missverstanden haben. Ms. Roberts hat bei der Agentur um eine Vertretung für die Assistentin der Geschäftsleitung gebeten. Arbeiten werden Sie direkt für Mr. Bradford.“ Sie griff nach einer Ledermappe und ging voran. „Hier entlang.“

Gespannt folgte Evolet der Sekretärin quer durch die Lobby. Würde ihr neuer Chef ein grantiger Milliardär sein, der sie herumkommandierte? Oder jemand mit wenig Ahnung, der sie die ganze Arbeit machen ließ?

„Alles in Ordnung, Kind?“

Evolet riss sich zusammen und lächelte Julie beruhigend zu. „Ja, natürlich. Ich dachte nur, ich werde für Ms. Roberts arbeiten und habe mich im Internet schon mal mit ihr vertraut gemacht. Ich weiß gern vorab, mit wem ich es zu tun habe. Aber es wird schon schiefgehen“, versicherte sie der etwas besorgt dreinblickenden Julie.

„Ich kann Ihnen alles über Edward Bradford sagen“, meinte Julie, deren High Heels auf dem Parkettboden klickten. „Er gibt sich gern ein wenig unnahbar, aber wir können uns sehr glücklich schätzen, dass er das Unternehmen leitet. Wie sein Vater ist er hochintelligent und scheut sich nicht, sich auch mal die Hände schmutzig zu machen. Er hat sich selbst ans Montageband gestellt, um nachvollziehen zu können, was seine Arbeiter durchmachen. Das würden sicher nicht viele CEOs der Fortune 500 tun“, fügte sie stolz hinzu, als sie sich einer breiten Tür näherten.

Es war ein gutes Zeichen, dass sich Julie für ihren Boss so ins Zeug legte. Evolets Nervosität legte sich wieder. Außerdem würde sie ja wohl zwei Monate überstehen. Der Job war sehr gut bezahlt, und sie brauchte das Geld.

Sie machte große Augen, als sie die mit weinrotem Leder bezogene und mit polierten Messingknöpfen verzierte Tür erreichten, die fast bis zur Decke reichte.

„Edel, oder? Es handelt sich um die Bürotür von Edwards Vater. Als wir hergezogen sind, hat Edward sie einbauen lassen.“ Julie lächelte wehmütig. „Das hätte David gefallen. Wir reden nicht oft über ihn, aber Edward hat seinen Vater sehr geliebt.“

„Dann haben Sie schon für Edwards Vater gearbeitet?“, fragte Evolet vorsichtig.

„Ja, und für Davids Vater.“

Evolet staunte. „Aber Sie sehen viel zu jung aus, um …“

Julie lachte entzückt. Sie erinnerte Evolet plötzlich ein wenig an Constanza. Wie sie strahlte Julie Glück und Zufriedenheit aus.

„Dieser Montag fängt ja richtig gut an“, sagte Julie begeistert. „Ich bin sicher, dass Sie bei Bradford Global genau richtig sind, Evolet Grey.“

Sie gingen weiter und betraten ein Großraumbüro, wo Mitarbeiter auf Ledersofas um Couchtische herumsaßen und auf Tablets kritzelten, oder an Schreibtischen saßen und an modernsten Computern arbeiteten. Auch hier hingen schmiedeeiserne Kronleuchter von der hohen Decke. Schwarz-Weiß-Fotos zierten die dunkelblauen Ziegelwände. Evolet fühlte sich ins Zeitalter der Industriellen Revolution zurückversetzt. Die Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart gefiel ihr. Dieser Edward Bradford musste ziemlich beeindruckend sein. Es war offensichtlich, dass ihm das Wohl seiner Mitarbeiter am Herzen lag.

Julie führte sie eine Treppe hinauf, die zu einem an ein Glashaus erinnernden Raum führte. Mehrere Männer und Frauen saßen an einem großen Konferenztisch und führten eine hitzige Diskussion.

„Wie bitte?“, fragte Evolet, als Julie etwas vor sich hinmurmelte.

„Titan Manufacturing“, antwortete diese abfällig. „Sie sind schon in der ersten Runde aus dem Royal-Air-Wettbewerb geflogen. Jetzt versuchen Sie, uns zu bewegen, sie als Partner für die letzte Runde zu erwägen.“ Sie drückte Evolet die Ledermappe in die Hand. „Hier ist ein Tablet für Sie. Bitte notieren Sie detailliert alle Vorschläge, die gemacht werden, damit Mr. Bradford sie später in Ruhe durchsehen kann. Sie sitzen etwas abseits an dem kleinen Tisch. Nach der Besprechung erwartet Mr. Bradford Sie in seinem Büro, um das Vorgehen für die nächsten Wochen zu besprechen.“ Julie drückte die Türklinke hinunter. „Willkommen bei Bradford Global, Miss Grey“, sagte sie noch einmal strahlend.

Lampenfieber packte Evolet, wie beim ersten Schritt auf die Bühne. Energisch kämpfte sie es nieder. Ihr eiserner Wille, erfolgreiche Arbeit abzuliefern, überwog. Sie atmete noch einmal tief durch. „Danke!“

Die Tür öffnete sich. Eine wütende Stimme schallte aus dem Raum. „Sie haben uns in der ersten Runde unterminiert, Bradford. Jetzt nehmen Sie uns gefälligst in ihr Team auf!“

„Sie haben sich selbst unterminiert, Thad. Unterstehen Sie sich, uns die Schuld für das Unvermögen Ihrer Firma zu geben!“

Die vertraute Stimme rollte über Evolets Haut wie eine Liebkosung. Ihr Herz schlug schneller. Sie wandte den Blick nach rechts.

Da saß er am Kopfende des Konferenztisches, im dunkelgrauen Anzug, der kaum die Muskeln darunter verbergen konnte.

Dann musterte sie diesen Thad – volles schwarzes Haar, künstliche Sonnenbräune. Der Mann schien nicht zu bemerken, dass er sich im Fadenkreuz eines mächtigeren Spielers befand.

Jetzt hatte Damon sie entdeckt. Überraschung flackerte in seinem Blick. Oder hatte sie sich das eingebildet? Als sie näher hinsah, wirkte er wieder unnahbar.

Das war okay, aber wieso hatte er sich nach der Gala mit einem falschen Namen vorgestellt?

Spielt jetzt keine Rolle, ermahnte sie sich, wandte sich um und ging zu dem Tisch in der Ecke, zog den Mantel aus, setzte sich und zückte ihr Tablet. Sie würde jetzt konzentriert arbeiten. Später würde sie der Agentur mitteilen, sie könnte nicht für Bradford arbeiten. „Mit welcher Begründung?“, würden sie fragen.

Weil er mich im Regen halb um den Verstand geküsst hat.

Doch das behielt sie wohl lieber für sich.

Das muss die längste Besprechung meines Lebens gewesen sein, dachte Damon, als er mit Evie, oder Evolet oder wie auch immer sie heißen mochte, auf dem Weg zu seinem Büro war. Je aggressiver Thad Williams argumentierte, desto größer wurde Damons Wunsch, ihn von seinem Sicherheitsteam vor die Tür setzen zu lassen.

Sich auf diesen Wunsch zu konzentrieren, war sicherer, als darüber zu fantasieren, was er mit der Frau anstellen wollte, die bei dem ganzen Zirkus gelassen ihren Job erledigt hatte.

Evolet Grey war also in den kommenden zwei Monaten seine Assistentin. Wie sollte er das aushalten?

Als er vorhin aufgesehen und sie an der Tür entdeckt hatte– mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie gerade einen Geist gesehen – hatte es ihm äußerste Mühe bereitet, ungerührt auf seinem Platz sitzen zu bleiben. Noch nie hatte eine Frau mit einem Nackendutt und weitem Trenchcoat ihn so sehr erregt.

Leider hatte er sie auch abgelenkt. Als ihm das bewusst geworden war, hatte er sich zusammengerissen und sich wieder auf das Meeting konzentriert. Ihm war klar, dass er sie nachher in seinem Büro gleich wieder entlassen musste. Gerade jetzt konnte er sich keinerlei Ablenkung erlauben.

Nach diesem berauschenden Kuss am Freitag war er so heiß auf sie, wie er es noch nie erlebt hatte.

Er stieß seine Bürotür auf. „Kommen Sie rein, und machen Sie die Tür hinter sich zu“, kommandierte er barsch, als er um seinen Schreibtisch herumging. Sie schien etwas zu murmeln. „Wie bitte?“, fragte er ungehalten.

Sie sah ihn an, schien ziemlich aufgebracht zu sein. „Ich sagte: ‚Halten Sie das für eine gute Idee, Sir?‘“

Ein Beben durchlief ihn. Ihr sachlicher Tonfall konnte die Frechheit nicht überdecken.

„Wieso nicht? Wir sind doch beide professionell. Es sei denn, Sie befürchten, ihre Hände nicht bei sich behalten zu können“, fügte er spöttisch hinzu.

Sie errötete, funkelte ihn wütend an, presste aber die Lippen zusammen. Äußerlich gelassen, tobte in seinem Innern wilde Lust, als er ihren Blick erwiderte. Ihre Aufmachung – adrett...

Autor

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