Julia Gold Band 107

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WAS SCHENKT MAN EINEM MILLIARDÄR? von SHARON KENDRICK
„Ich brauche für die Weihnachtstage eine Frau, die meine Geliebte spielt.“ Fassungslos hört Cassie, was der attraktive Milliardär Giancarlo Vellutini ihr vorschlägt. Ein kurzer Ausflug in seine Luxuswelt – oder wartet nach einer sinnlichen Nacht das ganz große Glück?

VERLOBUNG AUF ITALIENISCH von SARAH MORGAN
Weihnachtsüberraschung in Londons bestem Luxushotel: Das hübsche Zimmermädchen Evie glaubt zu träumen, als sie in der eleganten Penthousesuite von einem aufregenden Kuss geweckt wird. Schockiert erkennt sie, wer sie da gerade geküsst hat: ihr sexy neuer Boss Rio Zaccarelli!

EIN FEST DER LIEBE FÜR UNS ZWEI? von NINA MILNE
Lichterglanz, der Duft von gerösteten Maronen, Zimt und Nelken … Verzückt plant Historikerin Etta einen viktorianischen Weihnachtsmarkt auf Derwent Manor. Doch den Küssen des attraktiven Hausherrn sollte sie besser widerstehen! Denn der Earl of Wycliffe gilt als Playboy …


  • Erscheinungstag 04.11.2022
  • Bandnummer 107
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508438
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick, Sarah Morgan, Nina Milne

JULIA GOLD BAND 107

1. KAPITEL

Irgendetwas an diesem Mann schien ihr höchst gefährlich. Etwas Dunkles, Faszinierendes, das ihren Blick anzog wie ein Magnet. Cassie spürte, wie das Blut in ihre Wangen schoss. Ihr Herz klopfte plötzlich schneller. Über die Köpfe der anderen Kunden starrte sie den Fremden an, der mitten im vorweihnachtlichen Trubel das Geschäft betrat.

Er sah einfach umwerfend aus. Zu gut, um wahr zu sein. Ohne all die hin und her hetzenden Menschen und ihren vollgestopften Arbeitsplan hätte Cassie denken können, Weihnachten wäre in diesem Jahr früher gekommen.

Nicht, dass sie auch nur annähernd seine Klasse besaß. Er wirkte, als wäre er überall auf der Welt zu Hause. Sie selbst dagegen war erst zum zweiten Mal in ihrem Leben außerhalb ihres kleinen Dorfes in Cornwall, wo die meisten Männer billiges Aftershave benutzten und den Frauen beim Tanzen auf die Zehen traten.

Genau deshalb konnte Cassie noch immer nicht ganz glauben, dass sie diesen Ferienjob in Londons schickstem Kaufhaus ergattert hatte. Dies war ihre Chance, der vorhersagbaren Zukunft der Welt, in der sie aufgewachsen war, zu entkommen und ihren Traum zu leben. Vor allem zu dieser Jahreszeit! Mit den vielen bunten Lichtern, dem Kunstschnee und einer Atmosphäre der freudigen Erwartung kam ihr London wie eine verzauberte Welt vor. Sie liebte Weihnachten!

Selbst ihre Arbeit war ein Traum. Sie verkaufte mit Begeisterung die sündhaft teuren handgearbeiteten Kerzen – auch wenn ihre Kollegin Lindy aus der benachbarten Kosmetikabteilung versuchte, ihr das Leben schwerzumachen, und Cassies Füße abends nach stundenlangem Stehen schmerzten.

Dieser große, grüblerisch wirkende Fremde mit seinem olivfarbenen Teint hatte ganz und gar nichts mit ihren üblichen Kunden gemeinsam. Ein dunkler Kaschmirmantel betonte seinen athletischen Körper. Sein Gesicht war stolz und aristokratisch, sein Mund wirkte gleichzeitig spöttisch und sinnlich. Doch auch wenn er unglaublich gut aussah, entdeckte Cassie in seinen ebenholzschwarzen Augen ein kaltes, hartes Glitzern.

Ihr Herz raste so schnell, dass sie glaubte, es müsse jeden Moment zerspringen. Was wollte dieser Mann hier? Ganz sicher war er nicht an Kerzen interessiert. Sie war erstaunt, dass jemand wie er überhaupt selbst einkaufen ging. Er wirkte wie ein Mann, der für die banalen Pflichten des Lebens seine Angestellten besaß. Jemand, der niemals ein billiges Aftershave benutzen oder einer Frau beim Tanzen auf die Füße treten würde.

Cassie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass sie ihn mit ihrer Verkaufstechnik beeindrucken konnte, aber sie setzte ihr strahlendes professionelles Lächeln auf und ging wie magisch angezogen zu ihm.

Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie einen anderen Menschen so intensiv wahrgenommen. Allein durch seine Existenz schien der Fremde den Raum um sich herum in Besitz zu nehmen, und seine Ausstrahlung ließ die Menschen bei seinem Anblick anhalten und ein zweites Mal hinschauen. Cassie war plötzlich ein wenig schwindelig. Sie fragte sich, welcher verrückte Instinkt sie in seine Nähe getrieben hatte.

Sie atmete tief durch. „Guten Tag, Sir. Kann ich Sie vielleicht für eine dieser wunderschönen Kerzen interessieren?“

Giancarlos Brauen zogen sich zusammen, als dieser banale Satz seine Gedanken durchbrach. Er sah auf – direkt in ein Paar tatsächlich violetter Augen. Außergewöhnlich schöner Augen, schoss ihm durch den Kopf.

Er war es gewohnt, Frauen zu gefallen und angesprochen zu werden. Verkäuferinnen bildeten da keine Ausnahme, doch im Moment war er ganz und gar nicht in der Stimmung, auf diese Annäherung einzugehen. Andererseits musste er Weihnachtsgeschenke für seine Angestellten kaufen, und die junge Frau, die hier versuchte, ihm etwas zu verkaufen, war ausgesprochen hübsch.

Er wandte sich ihr zu. „Eine Kerze?“, fragte er gedehnt.

Cassie nickte. Sein aufregender südländischer Akzent passte perfekt zu seinem dunklen Aussehen und machte ihn noch anziehender.

Im Stillen verwünschte sie sich für ihre eigene Dummheit. Auch wenn sie nicht viel Erfahrung mit dem anderen Geschlecht haben mochte, konnte sie doch klar erkennen, wenn ein Mann außerhalb ihrer Reichweite war. Und daran gab es bei dem Fremden keinen Zweifel. Nicht nur wegen seiner offensichtlich teuren Kleidung. Sein gesamtes Auftreten war beeindruckend, ja, direkt einschüchternd, fand Cassie.

Sie wusste, dass sie ihn anstarrte wie ein gestrandeter Fisch, doch sie konnte nicht anders. Sag etwas! ermahnte sie sich verzweifelt.

„Das ist richtig, Sir“, brachte sie heraus. „Aber nicht irgendeine Kerze. Wir bieten die größte Auswahl, die Sie in London finden können. Unwiderstehliche Artikel speziell für diese festliche Zeit.“ Cassies Lächeln wurde breiter, während sie sich gleichzeitig fragte, ob er immer so finster und unfreundlich wirken mochte. „Es ist schließlich Weihnachten, Sir. Falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.“

Giancarlo zuckte die Achseln. Dies war nicht gerade seine liebste Jahreszeit. Aber fast gegen seinen Willen fesselte die auffallende Schönheit der Verkäuferin seine Aufmerksamkeit und lenkte ihn von dem weihnachtlichen Chaos um ihn herum ab.

Sie war wirklich ganz außergewöhnlich. Ihre Haut schimmerte wie Satin, das Haar erinnerte ihn an feinste Seide. Ihr Körper sollte ein Warnschild tragen, dachte er mit einem Anflug von Humor. Selbst in der schlichten Kaufhausuniform sah sie atemberaubend aus. Trotz der Müdigkeit durch Jetlag und Überarbeitung spürte Giancarlo mit einem Mal, wie all seine Sinne erwachten.

„Weihnachten?“, murmelte er. „Hat das vielleicht irgendetwas mit dem Engelschor zu tun, den ich plötzlich höre – oder haben Sie diesen Effekt auf all Ihre Kunden?“ Er bemerkte, wie sich ihre Wangen röteten, und lächelte sie an. „Warum sagen Sie mir nicht einfach, was genau Sie verkaufen, und wir sehen, ob Sie mich zum Kauf überreden können?“

Cassie nickte. Während sie versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu ignorieren, deutete sie mit der Hand in einem Bogen über die glitzernden Auslagen. Zum Glück konnte sie auf ihre eingeübten Verkaufssprüche zurückgreifen. „Wir führen Kerzen in einer großen Auswahl von Düften. Weihnachtsschokolade ist in diesem Jahr ganz besonders beliebt, eine dunkle Duftnote nach Gewürzen mit einem Hauch von Glühwein.“

„Ist das auch Ihr Favorit?“

„Mein … mein Favorit?“

„Mmh. Sie haben doch bestimmt einen Favoriten?“

Für einen Moment vergaß Cassie ihren einstudierten Text. Das hatte sie noch niemand gefragt. Mit einem Mal fühlte sie sich, als wäre sie etwas ganz Besonderes.

Sei keine Idiotin! schalt sie sich im gleichen Moment. Das hat überhaupt nichts zu bedeuten! Und doch konnte sich nicht anders, als in seine dunklen Augen zu schauen und ihm offen zu antworten. „Ja, um ehrlich sein, mag ich diese am liebsten. Sie riechen nach süßen Orangen und Nelken! Irgendwie … richtig nach Weihnachten. Jeder liebt sie, in jedem Alter. Sie sind etwas ganz Besonderes.“

Sie brach ab, und für einen Augenblick hatte Giancarlo den Eindruck, als wäre ihr die kleine, begeisterte Rede peinlich. Bei dem fast wehmütigen Ton ihrer Worte spürte er plötzlich ein ganz unerwartetes Verlangen nach ihr.

„Sie haben mich überzeugt“, erwiderte er. „Ich nehme ein halbes Dutzend.“

Cassie riss ihre Augen auf. „Sie meinen sechs?“

„Hat sich die Definition von einem halben Dutzend in der letzten Zeit möglicherweise geändert?“, fragte er in einem ernsthaften Tonfall.

„N… nein. Also sechs. Selbstverständlich, Sir.“

Als Cassie die Kerzen einwickelte, stellte sie fest, dass ihre Finger deutlich ungeschickter waren als sonst. Während sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, stellte ihr der Fremde eine persönliche Frage nach der anderen. Da es ihr unhöflich vorkam, ihm nicht zu antworten – vor allem in Hinblick auf die Provision, die sie durch seinen Kauf erhalten würde –, gab sie ihm ehrlich Auskunft.

Nein, sie lebte nicht dauerhaft in London, sie war nur während der Weihnachtssaison in der Stadt, und nein, sie trug keine gefärbten Kontaktlinsen, ihre Augenfarbe war durch und durch echt. Doch während der ganzen Zeit verwirrte seine Gegenwart sie so sehr, dass sie kaum klar denken konnte.

Giancarlo sah zu, wie sie weinrote Geschenkbänder abschnitt und diese zu einer prächtigen Schleife band. Mit ihrem blassblonden Haar, den verwirrend violetten Augen und einem Körper, der bei jedem Blick seinen Atem stocken ließ, war sie keine Frau, von der er sich einfach wieder verabschieden wollte.

Die vergangenen Monate hatte er hauptsächlich in New York verbracht, den größten Teil davon an seinem Schreibtisch, bis er sein neues Geschäft erfolgreich abgeschlossen hatte. Sein Bild war auf den Titelseiten aller Finanzmagazine gewesen. Jetzt war er um einige Millionen reicher, außerdem hatte er diskret eine gewaltige Summe für einen wohltätigen Zweck gespendet, der ihm mehr bedeutete, als sein eigenes, prall gefülltes Bankkonto.

Alles in allem war es eine erfolgreiche Reise gewesen – genau wie die davor und die davor. Doch Erfolg konnte auch auslaugen, und manchmal hatte Giancarlo das Gefühl, als hätte er sich in den letzten Jahren langsam, aber sicher von den wahren Werten des Lebens entfernt. Außerdem konnte er Weihnachten einfach nicht ertragen. Alles drehte sich nur noch um Konsum, übertriebene Feierlichkeiten und aufgesetzte Fröhlichkeit.

Was er jetzt brauchte, war ein bisschen Entspannung in weiblicher Gesellschaft. Dazu wollte er keine Frau, die genauso hart arbeitete und sich amüsierte wie ein Mann und die einem einen Vortrag über Gleichberechtigung hielt, wenn man ihr in den Mantel half. Bis man den Fehler machte, mit ihr für ein langes Wochenende auf die Bahamas oder in die Karibik zu fliegen. Dann begann sie plötzlich, von einem dreikarätigen Diamantring und einem weißen Brautkleid zu reden.

Nein. Er wollte eine Frau, die weich und sanft war, keine Herausforderung, eine Frau, die sowohl das Auge als auch das Gemüt erfreute. Eine Frau, die sein Ego streichelte – und noch einiges mehr. Giancarlo ließ seinen Blick über die verlockenden Kurven der Verkäuferin wandern. Dieses kecke junge Mädchen wäre heute Abend genau die Richtige. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie mit ihm über Börsenkurse reden oder ein gemeinsames Wochenende auf Hawaii verbringen wollte.

„Um wie viel Uhr haben Sie Feierabend?“, fragte er, als er ihr seine Kreditkarte reichte.

Cassie zögerte. „Um halb sieben“, erwiderte sie, obwohl sie sich ein wenig unbehaglich dabei fühlte. Aber sicher wäre es unhöflich, einem Kunden die Antwort auf eine direkte Frage zu verweigern.

„Gehen Sie danach etwas essen?“

Cassie dachte an den Topf mit Nudeln und Pesto, der auf einem fettverschmierten Ofen in einem einfachen Appartement auf sie wartete. Zwar war sie äußerst dankbar, dass ihr früherer Schulfreund Gavin angeboten hatte, sie während ihres Aufenthalts in London in seiner Wohngemeinschaft aufzunehmen. Doch es bedeutete auch, in einem winzigen Raum zu schlafen, in dem es wenig mehr als ein Bett und einen kleinen Schrank gab.

„Nun, sozusagen“, erwiderte sie schließlich.

„Sozusagen?“, wiederholte Giancarlo gedehnt.

„Ich habe meinen Mitbewohnern gesagt, dass ich heute Abend mit ihnen essen werde.“

„Was halten Sie davon, stattdessen mit mir essen zu gehen?“

Cassie stockte der Atem. „Das kann ich nicht.“

„Warum nicht?“

Sie schaute in seine schwarzen Augen, und ihr Magen machte einen seltsamen kleinen Hüpfer. „Weil … ich nicht … ich kenne Sie nicht einmal.“

„Dann sollte ich mich Ihnen am besten vorstellen, und damit wäre das Problem gelöst.“ Er streckte seine Hand aus und drückte ihre.

Cassie hatte in ihrem Leben bereits viele Hände geschüttelt, doch das hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Gefühl gehabt, das jetzt durch ihren ganzen Körper strömte. Seine große Hand ließ ihre schmalen Finger besonders zart wirken, und seine warme Berührung fühlte sich an ihrer Haut so intim an, dass ihr das Blut in die Wangen schoss.

„Mein Name ist Giancarlo Andrea Vellutini“, sagte er mit seiner tiefen, leicht heiseren Stimme. „Ich bin gebürtiger Italiener – Toskaner, um genau zu sein. Aber mein Zuhause ist die ganze Welt. Was möchten Sie sonst noch über mich wissen? Dass ich ein Haus in London besitze und mein Terminkalender heute Abend frei ist? Eigentlich hatte ich vor zu arbeiten, aber Sie, …“ Er beugte sich vor las Cassies Namensschild. „… Cassandra Summers, bringen mich in Versuchung, meine Pläne zu ändern.“

Cassie konnte nicht leugnen, dass sie seine Einladung nur allzu gern angenommen hätte, nicht nur, weil es sich wie reine Poesie angehört hatte, als er ihren Namen genannt hatte. Einladungen zum Abendessen waren in London dünn gesät. Außerdem hatte sie in ihrem ganzen Leben noch kein Mann, der Giancarlo auch nur annähernd geähnelt hätte, um ein Date gebeten.

Der letzte Mann, mit dem sie ausgegangen war, arbeitete hier im Kaufhaus in der Computerabteilung. Er hatte sie auf einen ekelhaften Burger in einem Fast-Food-Restaurant eingeladen und danach behauptet, er habe sein Portemonnaie vergessen.

Doch Cassies Instinkt warnte sie davor, die Einladung des verführerischen Italieners anzunehmen. Dieser Mann war gefährlich und nichts für eine Frau wie sie. Er sah zu gut aus, war zu weltgewandt, zu reich, zu alles. Und es war mehr als nur ein bisschen arrogant von ihm, anzunehmen, dass sie für ein Abendessen mit ihm auf der Stelle all ihre Pläne umschmeißen würde.

„Das ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen, aber ich fürchte, ich kann meine Mitbewohner nicht einfach versetzen“, erwiderte sie.

Giancarlos Augen verengten sich ärgerlich. Diese kleine Verkäuferin lehnte seine Einladung ab? Unfassbar!

„Haben Sie einen Freund?“, fragte er neugierig. „Jemanden, der zu Hause auf Sie wartet?“

„Nein“, antwortete sie. „Kein Freund. Aber meine Mitbewohner verlassen sich darauf, dass ich ihr halbes Abendessen aus der Lebensmittelabteilung mit nach Hause bringe.“

Giancarlo fragte sich, ob sie mit ihm spielte. Vielleicht glaubte sie ja, er würde sie begehrenswerter finden, wenn sie sich ein wenig zierte, bevor sie Ja sagte. Oder gab es wirklich eine Frau, die er nicht sofort haben konnte? Eine Frau mit genug Selbstbewusstsein, um ihn zurückzuweisen? Seine Lippen verzogen sich zu einem zweifelnden Lächeln.

Er zog eine Visitenkarte aus dickem cremefarbenen Papier aus seinem Portemonnaie und schob sie Cassie zwischen die Finger. „Rufen Sie mich an, falls Sie Ihre Meinung doch noch ändern.“

Cassie sah ihn an. Ihre Haut prickelte noch immer dort, wo er sie berührt hatte. Ob er es auch fühlen kann? fragte sie sich.

Sie schluckte und sammelte ihren ganzen Mut. „Oder vielleicht haben Sie auch an einem anderen Tag Zeit?“

„Um Sie dann noch einmal zu fragen?“

„Äh, ja.“

Dachte sie etwa, er würde von nun an wie ein liebeskranker junger Bewunderer durch das Kaufhaus streifen?

„Ich denke nicht“, sagte er leichthin. Ciao, bella.“

Er drehte sich auf dem Absatz um und ließ sie stehen. Wie angewurzelt starrte Cassie seiner hochgewachsenen Gestalt hinterher, bis er im Weihnachtstrubel verschwunden war. Hatte sie sich die ganze Szene vielleicht nur eingebildet?

Doch dann fiel ihr Blick auf das hübsch verpackte Päckchen neben der Kasse. Er hatte vergessen seine Kerzen mitzunehmen, und es war zu spät, um hinter ihm herzulaufen.

Auf ihrer Heimfahrt im Bus hielt Cassie das kleine Paket sorgfältig auf ihrem Schoß. Wie konnte ich nur so dumm sein? fragte sie sich ärgerlich. Sie hatte Giancarlos Einladung abgelehnt, als würden Männer wie er Schlange stehen, um mit ihr auszugehen. Doch wie oft im Leben gab es eine Gelegenheit wie diese?

Sie war nach London gekommen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, ihr Leben würde einfach an ihr vorüberziehen. Sie hatte sich nach einem kleinen Abenteuer gesehnt. Und was konnte abenteuerlicher sein als ein verführerischer Italiener, der sie zum Abendessen einlud? Nun ja, immerhin konnte sie sich damit trösten, dass sie eine loyale Freundin und Mitbewohnerin war.

Bis sie die Tür zu ihrem Appartement öffnete. Niemand war zu Hause, und die Nudeln auf dem Herd waren aufgegessen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel:

Hi Cassie,

wir waren zu hungrig, um auf dich zu warten. Wir sind im Pub! Komm vorbei!

Gruß, Gavin

Cassie holte Salat und Knoblauchbrot aus ihrer Einkaufstasche und füllte sich ohne rechten Appetit etwas auf einen Teller. Dann machte sie es sich auf dem Sofa gemütlich. Doch während sie sich durch das Fernsehprogramm zappte, konnte sie nur daran denken, wie anders ihr Abend hätte verlaufen können. Schließlich gab sie auf. Sie stellte den vollen Teller in den Kühlschrank, schlüpfte in ihren Mantel und machte sich auf den Weg zum Pub.

Schon von Weitem hörte sie laute Musik und Stimmengewirr. Als sie die Tür öffnete, schlug ihr warme, verrauchte Kneipenluft entgegen. Der festlich geschmückte Pub war bis auf den letzten Platz besetzt, und alle Gäste sangen gemeinsam aus voller Kehle.

Cassie fühlte sich gar nicht danach einzustimmen. Sie versuchte, in dem Trubel Gavin und die anderen zu entdecken, doch plötzlich erschien ihr die Aussicht unerträglich, den Abend hier mit ihren Mitbewohnern und einem lauwarmen Glas Weißwein in der Hand zu verbringen. Sie war selbst erstaunt über die Entschlossenheit, mit der sie auf dem Absatz umdrehte und zurück zu ihrer Wohnung ging. In ihrem Kopf formte sich eine absurde Idee.

Obwohl – war die Idee wirklich so absurd? Hatte er ihr nicht seine Telefonnummer gegeben und gesagt, sie sollte ihn anrufen, wenn sie ihre Pläne für den Abend noch ändern würde?

Als Cassie das Appartement aufschloss, klopfte ihr Herz aufgeregt. Jetzt war sie froh, dass sie allein in der Wohnung war. Mit zitternden Fingern zog sie Giancarlos Visitenkarte aus der Manteltasche. Bevor sie den Mut verlieren konnte, tippte sie seine Nummer ins Telefon. Sie konnte hören, wie es am anderen Ende der Leitung klingelte, doch niemand hob ab.

Vielleicht gehörte er ja zu den Leuten, die zuerst schauten, wer sie anrief, und da er ihre Nummer nicht kannte, machte er sich nicht die Mühe abzuheben. Gerade wollte sie mit einem leisen Gefühl der Erleichterung auflegen, da hörte sie ein „Klick“, dann eine tiefe Stimme: „Pronto. Giancarlo Vellutini.“

„Giancarlo?“ Cassie versuchte, ihre Atmung unter Kontrolle zu halten. „Ich bin’s … Cassie.“

„Chi?“ Für einen Moment war es still. „Wer?“

Wie erniedrigend! dachte Cassie. Er konnte sich nicht an sie erinnern! Aber warum sollte er auch? Er hatte kaum fünf Minuten mit ihr geredet und ihr seine Visitenkarte gegeben, das war alles. Sie hätte aufgelegt, doch dann fielen ihr die Kerzen ein, die in festlicher Goldfolie auf dem Küchentisch lagen.

„Cassandra Summers. Ich arbeite im Hudson’s Kaufhaus. Wir haben uns heute kennengelernt. Erinnern Sie sich? Sie haben sechs …“

„Sì, sì, senz’altro, scusi, scusi.“ Mühelos wechselte er ins Englische: „Cassandra Summers mit den unglaublichen Augen. Wie könnte ich Sie vergessen?“

Cassie schluckte. Hoffentlich fühlte er sich von ihrem Anruf nicht bedrängt. Zeig ihm, dass du einen Grund hattest, ihn anzurufen! „Ich melde mich bei Ihnen, weil Sie Ihre Kerzen vergessen haben.“

„Wie bitte?“

„Sie haben sechs sehr teure Kerzen gekauft, und Sie haben sie nicht mitgenommen.“ Sie hörte selbst, wie ihre Stimme zitterte.

„Ah ja. Und das ist der einzige Grund, aus dem Sie mich anrufen?“

„Nun, äh, ich …“ Cassie war froh, dass er nicht sehen konnte, wie rot ihre Wangen waren. Konnte sie sagen, dass sie seine Einladung vorschnell abgelehnt hatte oder würde das verzweifelt wirken?

„Haben Sie vielleicht Ihre Meinung über das Abendessen mit mir geändert?“

Sag einfach Ja, er wird dich schon nicht kidnappen! „Ja, mit Ihnen … das wäre sehr … nett“, murmelte sie.

Giancarlo lachte leise. „Nett“ traf ganz und gar nicht seine Vorstellung von ihrem gemeinsamen Abend. Er war sicher, dass ihr das klar war. Eine so erotische Anziehung wie zwischen ihnen beiden hatte er schon eine ganze Weile nicht mehr gespürt. Nur deshalb hatte er heute entgegen seiner Gewohnheit sehr impulsiv gehandelt. „Also, um welche Zeit kann ich Sie erwarten?“

„Erwarten?“, krächzte Cassie. „Sie meinen heute Abend?“

„Natürlich! Oder haben Sie bereits gegessen?“

„Äh, nein, aber …“ Cassie sah auf die pinkfarbene Armbanduhr an ihrem schmalen Handgelenk. „Es ist fast neun Uhr.“

„Und?“

„Na ja, ist das nicht …“ Sie brach ab, bevor sie ihm die Meinung ihrer Mutter darlegen konnte, nach der ein so spätes Abendessen ausgesprochen ungesund war. Giancarlo wirkte nicht wie ein Mann, der an dieser Art Information interessiert war. „… etwas zu spät, um noch zu essen?“, beendete sie ihren Satz ein wenig lahm.

„Absolut nicht! In Spanien isst man nicht vor elf Uhr abends.“

„Das wusste ich nicht.“

„Waren Sie noch nie in Spanien?“

„Nein, noch nie.“

„Vielleicht nehme ich Sie eines Tages dorthin mit“, murmelte er. „Wir könnten Rioja unter dem Sternenhimmel trinken und dazu Tapas essen. Aber in der Zwischenzeit – warum nehmen Sie sich nicht einfach ein Taxi? Kommen Sie her und wir sehen, was wir in meinem Kühlschrank finden. Wo wohnen Sie?“

„Greenford.“

„Ist das in der Nähe der Parkstraße?“

„Nein, nein, das ist Green Park“, korrigierte sie ihn. Als könnte sie sich jemals leisten, auch nur irgendwo in der Nähe der Parkstraße zu wohnen! „Greenford liegt ziemlich weit außerhalb. Selbst mit einem schnellen Wagen könnte ich kaum vor zehn Uhr bei Ihnen sein. Das ist mir wirklich zu spät zum Abendessen, egal, was man in Spanien dazu sagen würde. Vor allem, weil ich morgen früh aufstehen und arbeiten muss.“

Für das, was Giancarlo mit ihr im Sinn hatte, war zehn keinesfalls zu spät, aber selbst er würde keine so dreiste Einladung offen aussprechen. Er unterdrückte einen Seufzer. Es sah aus, als würde aus dem improvisierten Dinner nichts werden. Er hatte nicht vor, das Mädchen zu drängen, das war nicht seine Art. Außerdem hasste er Auseinandersetzungen, und dieses Gespräch war schon jetzt viel zu kompliziert geworden. Na ja, vielleicht sollte es einfach nicht sein.

„Wie schade“, entgegnete er.

An seinem Tonfall erkannte Cassie, dass er das Telefonat beenden wollte. Damit war jede Chance auf ein Treffen verloren. Sicher würde sie niemals wieder einem Mann wie ihm begegnen.

„Aber morgen Abend habe ich Zeit“, platzte sie heraus. Sie merkte selbst, dass sie viel zu eifrig klang.

Giancarlo hob den Blick zur Decke. Warum konnte niemals etwas perfekt sein? Sollte er ihr sagen, dass er morgen keine Zeit hatte? Es wäre nicht einmal eine echte Lüge, denn genau genommen hatte er immer zu tun. Auf seinem Schreibtisch stapelte sich genug Arbeit, um ihn für Wochen zu beschäftigen.

Doch plötzlich sah er ihr Gesicht vor sich, ihre Lippen, die ihn an eine Rose denken ließen, und diese lebhaften, unglaublich violetten Augen. Noch nie hatte er Augen wie ihre gesehen. Unwillkürlich überlegte er, welche Art Dessous sie bevorzugen mochte. Für einen Moment verspürte er ein so heftiges Verlangen nach ihr, dass seine Kehle trocken wurde.

„Dann verschieben wir unser Essen auf morgen“, antwortete er heiser. „Ich lasse Sie von meinem Fahrer abholen. Wann haben Sie Feierabend?“

„Ich …“ Cassies Gedanken rasten in ihrem Kopf, als sie überlegte, wie sie alles organisieren sollte. Sie konnte Kleidung zum Wechseln mit zur Arbeit nehmen und sich dort umziehen. „Das wäre großartig. Morgen habe ich um halb acht Schluss.“

„Gut. Mein Wagen wartet dann auf Sie. A domani“, sagte er und legte auf.

Cassie hörte das „Klick“ in der Leitung. Für einen Moment hielt sie noch den Hörer in der Hand. Ihr Herz raste, und das Blut rauschte in ihren Ohren. Als sie sich daran erinnerte, wie seine Hand die ihre berührt hatte, spürte sie wieder das Prickeln auf ihrer Haut. Sie fühlte sich, als würde sie neben einem tiefen See stehen, bereit, hinein zu tauchen, ohne zu wissen, was unter der dunklen Wasseroberfläche auf sie warten mochte.

Nur eines konnte sie mit absoluter Gewissheit sagen: Einem Mann wie Giancarlo war sie nicht gewachsen.

2. KAPITEL

Das musste ein Irrtum sein! Fassungslos Cassie starrte die imposante weiße Villa an.

Sie hatte vermutet, dass Giancarlo reich war, sehr reich sogar. Aber er konnte unmöglich in diesem Herrenhaus mit Blick auf die üppigen Gärten von Kensington Palace wohnen. Das ähnlich eindrucksvolle Nachbarhaus war Sitz einer Botschaft, deren Flagge fröhlich im eisigen Dezemberwind flatterte.

Obwohl der Abend noch gar nicht richtig begonnen hatte, fühlte Cassie sich schon jetzt wie in einem Traum, so als würde dies alles einer ganz anderen Person passieren und nicht ihr, dem einfachen Mädchen aus Cornwall. Vielleicht war sie nach der Arbeit auf dem Heimweg im Bus nach Greenford eingenickt und würde jeden Moment erwachen. Sie kniff sich in den Arm, doch noch immer saß sie auf dem Rücksitz der schwarzen Limousine. Als der Chauffeur ihr die Wagentür öffnete, zuckte sie zusammen, dann atmete sie tief durch und stieg aus.

Plötzlich kam sie sich in ihrem kurzen schwarzen Kleid ein wenig schäbig vor. Die billigen hochhackigen Schuhe hatte sie heute in der Mittagspause gekauft. Ihr einziges Make-up bestand aus einem Hauch Wimperntusche und einem zarten Lippenstift.

Doch immerhin sah sie gut genug aus, um ihre Kollegin Lindy zu beeindrucken. Cassie dachte daran, wie diese sie vorhin im Umkleideraum mit schmalen Augen von Kopf bis Fuß gemustert hatte.

„Hast du noch etwas vor?“

„Äh, ja. Ich gehe essen.“

„Ein Date?“ Lindys Stimme klang säuerlich.

„Ja.“

Nur allzu gern hätte Cassie jemandem von Giancarlo erzählt, aber Lindy hatte ihr noch kein einziges freundliches Wort gegönnt. Außerdem fürchtete Cassie, dass Lindy eine Verabredung mit einem Kunden unangemessen finden würde.

Daher blickte sie auf ihre Uhr. „Meine Güte! Wie spät es schon ist! Ich muss mich beeilen! Bis morgen, Lindy.“ Sorgsam nahm sie das goldene Päckchen aus dem Schrank.

„Was ist da drin? Kerzen?“ Lindy musterte sie scharf.

„Oh, ja, ja. Sie gehören … einem Freund.“ Kannte sie Giancarlo gut genug, um ihn einen Freund zu nennen? Unwillkürlich schoss Cassie das Blut in die Wangen. Wieso hatte sie nicht einfach gesagt, dass ein Kunde sie vergessen hatte? „Er hat mich gebeten, sie ihm vorbeizubringen.“

Lindy hob ihre Augenbrauen. „Ach, hat er?“

„Ja. Ich … ich gehe jetzt besser. Mach’s gut, Lindy.“

Auf ihrem Weg zur Tür konnte Cassie den bohrenden Blick ihrer Kollegin im Rücken spüren. Obwohl sie genau wusste, dass sie nichts falsch gemacht hatte, fühlte sie sich seltsam schuldig. Hastig verließ sie das Kaufhaus. Sie atmete erleichtert auf, als sie die versprochene schwarze Limousine am Straßenrand entdeckte.

In dem großen Wagen saß nur der Chauffeur. Hätte Giancarlo mich nicht persönlich abholen können? dachte sie enttäuscht. Vielleicht gehörte er einfach nicht zu den Männern, die geduldig auf eine Frau warteten. Doch der Gedanke tröstete sie nicht darüber hinweg, dass sein Verhalten nicht besonders schmeichelhaft war.

Als Cassie jetzt mit dem Päckchen in der Hand langsam die Treppe zum Eingangsportal hinaufstieg, fühlte sie sich ein wenig wie eine Vertreterin, die hier etwas verkaufen wollte. Worüber soll ich nur mit ihm reden? dachte sie plötzlich panisch. Ihre Finger krampften sich um ihre Handtasche.

Bevor sie klingeln konnte, öffnete sich die Tür und sie sah direkt in Giancarlos schwarze Augen. Sein Haar glänzte und war zerzaust, als wäre er sich gerade mit den Fingern durchgefahren. Er trug ein Hemd aus schwerer weißer Seide, das am Hals geöffnet war. Die dunkle Hose saß perfekt und betonte seine schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine. Trotz seiner schlichten Kleidung wirkte er reich und mächtig und fast beängstigend männlich. Cassies Magen fühlte sich an, als würde ein wildgewordener Schwarm von Schmetterlingen darin herumflattern.

„Da sind Sie also“, sagte er mit seiner rauchigen Stimme.

„Ja, da bin ich“, erwiderte Cassie unsicher. Sie drückte ihm das Päckchen in die Hand. „Hier, ich habe Ihre Kerzen mitgebracht.“

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als er es annahm. Kerzen waren das Letzte, was ihn jetzt interessierte.

Grazie. Kommen Sie herein, und lassen Sie sich anschauen.“ Sein Mund wurde trocken, als sie mit einem Schwung ihrer seidigen Haare auf ihren atemberaubend hohen Schuhen an ihm vorbei in die Halle ging.

Langsam ließ er seinen Blick über Cassies umwerfende Figur gleiten. Schon als er sie in ihrer schlichten Kaufhausuniform mit straff zurückgebundenem Haar gesehen hatte, war ihm aufgefallen, dass sie ungewöhnlich schön war. Doch in ihrem schwarzen Kleid und mit offenem Haar, das fast bis zu ihrer schmalen Taille reichte, sah sie absolut unwiderstehlich aus. Jung, frisch und knackig. Plötzlich wünschte er sich, sie gut genug zu kennen, um das Dinner einfach ausfallen zu lassen und direkt zum erotischen Teil des Abends überzugehen.

„Sie sehen fantastisch aus“, sagte er heiser und legte das Päckchen achtlos auf ein Tischchen neben der Tür.

„Wirklich?“, fragte Cassie unsicher. Sie selbst zweifelte oft genug an ihrem Aussehen.

Seit sie in London angekommen war, versuchte sie sich anzupassen. Sie hatte schnell gemerkt, dass die Kleidung, die sie aus Cornwall mitgebracht hatte, nicht in die große Stadt passte. Sie hatte sich einige neue Stücke gekauft, aber darin fühlte sie sich noch immer ein bisschen, als ob sie sich verkleidet hätte. Zu Hause würde sie niemals etwas wie diese hochhackigen Schuhe oder ein so kurzes Kleid tragen können. Doch in Cornwall wäre sie auch niemals einem Mann wie Giancarlo begegnet.

Unter dem intensiven Blick seiner schwarzen Augen fühlte Cassie sich plötzlich sehr klein. Um sich abzulenken, schaute sie sich um. Die riesige Eingangshalle war genauso prächtig wie das Äußere der Villa. Die hohe Decke und das bunte Bleiglas der Eingangstür ließen sie unwillkürlich an eine Kirche denken. An den blassgrau getünchten Wänden hingen Kohlezeichnungen, Bilder von japanischen Frauen, die sicher ein Vermögen gekostet hatten. Weiße Rosen und Fresien in hohen Vasen verströmten ihren zarten Duft. Räume wie diesen hatte Cassie bisher nur in Hochglanzmagazinen bewundert.

Sie sah Giancarlo erwartungsvoll an. „Wohin gehen wir zum Essen?“

„Wir gehen nirgendwo hin“, antwortete er gedehnt. „Wir werden hier essen.“

„Hier?“ Cassies Herz setzte einen Schlag aus und schlug dann umso schneller weiter.

Sie hatte sich für ihr Abendessen ein schickes Restaurant mit Blick über die weihnachtlich funkelnde Stadt vorgestellt. Die Kellnerinnen trugen Blüten im Haar, und jemand spielte leise auf einem weißen Klavier.

„Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, mia bella?“ Giancarlos Augen glitzerten. „Fürchten Sie vielleicht, dass die Qualität meines Essens nicht Ihren Standards entspricht?“

Bei seinen spöttischen Worten errötete Cassie. „Nun, ich …“

„Nun was, Cassandra?“, fragte er neckend.

Cassie erschauerte. Noch niemand hatte sie Cassandra genannt, und sie hatte nicht gewusst, dass ein italienischer Akzent ein einziges Wort wie eine sanfte Verführung klingen lassen konnte. Sicher würde ihre Mutter es nicht gutheißen, wenn sie bei ihrem ersten Date mit einem Mann allein in seinem Haus zu Abend essen würden. Aber das konnte sie ihm schlecht sagen. Er würde sie für hoffnungslos naiv halten. Na ja, dachte sie, vielleicht ist man in London nicht so konservativ wie auf dem Lande. Was sollte schon passieren? Es ging ja nur um ein Abendessen, nicht mehr.

Sie räusperte sich. „Ich dachte nur … es gibt doch sicher viele hübsche Restaurants in der Umgebung.“

„Das ist richtig, aber die meisten davon sind um diese Jahreszeit voller Touristen und Firmenfeiern.“ Er lächelte sie entwaffnend an und machte eine einladende Geste ins Innere des Hauses. „Kommen Sie mit mir. Vielleicht kann ich ja Ihre Meinung ändern.“

Giancarlo nahm ihre Hand und führte sie durch einen endlos scheinenden Korridor voll weiterer Bilder. Als sie einen herrschaftlichen Saal betraten, hielt Cassie unwillkürlich die Luft an. Der Boden war mit edlem, dunklem Holz ausgelegt, und zahlreiche Skulpturen schmückten den Raum. Breite Glastüren öffneten sich zu einem Wintergarten. Dort war der Tisch zum Dinner gedeckt. In einem Eiskübel wartete eine Flasche Champagner.

Erst jetzt wurde Cassie bewusst, dass Giancarlo noch immer ihre Hand hielt. Rasch zog sie ihre Finger zurück und ging zu einem der Fenster, die bis zum Boden reichten. Wie nicht anders zu erwarten, erstreckte sich draußen ein gepflegter Park. Geschickt platzierte Lichter ließen die Szenerie wie eine winterliche Bühnendekoration wirken.

„Oh“, stieß Cassie atemlos aus. „So ein riesiger Garten mitten in London! Sie Glücklicher!“

Glück? dachte Giancarlo. Langsam ging er zu ihr hinüber. Wieso dachten alle, er hätte es leicht gehabt, wenn sie seinen Lebensstil sahen? Glück hatte nicht viel damit zu tun. Alles, was er besaß, hatte er seiner eigenen Entschlossenheit zu verdanken. Er hatte sich mit zäher Verbissenheit langsam hochgearbeitet.

Ein einziger Gedanke an den doppelten Verrat löste Schmerz in ihm aus. Aber er hatte seinem Bruder – und sich selbst – bewiesen, dass er kein Erbe brauchte, um ein reicher Mann zu sein. Er hatte es geschafft. Mehr sogar: Er hatte selbst seine eigenen Erwartungen übertroffen. Und deshalb war er jetzt in der Lage, diese wunderschöne junge Frau in seinem eigenen Haus zu einem Mahl einzuladen, das mit den besten preisgekrönten Restaurants der Stadt konkurrieren konnte.

„Was ist? Ziehen Sie noch immer vor auszugehen? Können Sie sich etwa einen schöneren Ort zum Abendessen vorstellen?“, fragte er während er ihr helles Haar bewunderte, das wie ein Wasserfall über ihren schmalen Rücken fiel.

„Nein, ich denke nicht“, gab Cassie zu. „Aber wer bereitet das Essen zu?“

„Ich jedenfalls nicht, so viel ist sicher“, erwiderte Giancarlo mit einem leisen Lachen.

Er ging zum Tisch, entkorkte geschickt den Champagner und füllte zwei schmale Gläser. „Mögen Sie Champagner?“

„Sehr gern!“, antwortete Cassie so gelassen, als würde sie ihn jeden Tag trinken. „Also, wer kocht nun?“

„Ich habe Personal“, entgegnete er beiläufig. „Einen Koch, eine Haushälterin, einen Gärtner.“

„Meine Güte! Welch ein Luxus!“

Giancarlo warf ihr einen kurzen Blick zu. Reichtum war eine seltsame Angelegenheit. Er öffnete einem die ganze Welt, doch zugleich verschlossen sich einige Bereiche für immer. Reichtum isolierte von der Masse der Menschheit. Manchmal fühlte Giancarlo sich wie in einem goldenen Käfig. Leute mit weniger Geld blickten neidisch, nicht selten sogar voller Gier, auf die Besitzenden. Das war der Preis, den man für sein privilegiertes Leben zahlte. Aber von diesen Schattenseiten konnte Cassandra nichts wissen.

„Mehr Notwendigkeit als Luxus. Ich reise viel und arbeite lange. Deshalb brauche ich Angestellte, die sich um die alltäglichen Dinge kümmern.“

„Und wenn Sie die Zeit dafür hätten? Ich kann mir nun wirklich nicht vorstellen, wie Sie Kartoffeln schälen oder einen Nagel in die Wand schlagen.“

„Kartoffelschälen ist Frauensache, aber der Nagel wäre kein Problem.“

Cassie verschluckte sich fast an ihrem Champagner. „Das meinen Sie nicht ernst!“

„Was? Die Sache mit dem Nagel? Ehrlich gesagt kann ich ziemlich gut mit dem Hammer umgehen.“ Er sah sie unschuldig an.

„Ich meine Ihre Bemerkung über das Kartoffelschälen.“

„Wollen Sie mir einen Vortrag über Gleichberechtigung halten, bella?“, fragte er spöttisch. „Falls ja, sparen Sie sich die Zeit. Ich denke, ich weiß bereits alles, was Sie mir dazu sagen könnten.“

Cassie starrte ihn an. „Manche Leute würden Sie als arrogant bezeichnen, Giancarlo.“

Er hob beide Hände. „Ich bekenne mich schuldig.“

Ihre Blicke verfingen sich ineinander, und Cassie hatte das unangenehme Gefühl, als würden sie einen stillen Kampf ausfechten, der nichts mit Kartoffeln oder Gleichberechtigung zu tun hatte. All ihre Instinkte sagten ihr, dass sie in Gefahr war.

Sie wusste genau, was sie tun sollte: sich auf der Stelle umdrehen und gehen. So schnell wie möglich weglaufen vor der Versuchung, die dieser arrogante, herzzerreißend attraktive Mann mit seinem ganzen Reichtum und Personal und seiner Verachtung für das weibliche Geschlecht darstellte.

Doch irgendetwas hielt sie zurück, dasselbe Gefühl, das ihr Herz bei seinem ersten Anblick hatte schneller klopfen lassen. Cassie erschauerte, als sie begriff, was sie empfand: Sie begehrte diesen Mann mit jeder Faser ihres Körpers.

Hastig stellte sie ihr Glas zurück auf den Tisch. „Ich denke, ich sollte erst etwas essen und nicht noch mehr auf nüchternen Magen trinken.“

Giancarlo hatte bemerkt, wie sich ihre Augen verdunkelten, und er hatte genau den Moment gespürt, in dem sie sich danach gesehnt hatte, in seinen Armen zu liegen. Der Augenblick war verloren, aber er war sicher, dass ein anderer kommen würde.

„Dann lassen Sie uns essen.“

„Gut. Ich bin am Verhungern“, erwiderte Cassie ohne große Begeisterung.

Sie sah ihm zu, wie er zu einem der Fenster ging und eine Klingel betätigte. Er ruft seine Bediensteten! dachte sie, während sie ein hysterisches Kichern unterdrückte. Plötzlich fühlte sie sich wieder, als wäre sie aus der Realität in eine seltsame fremde Welt geraten.

Einen Moment später öffnete sich die Tür. Eine große dunkelhaarige Frau, die Giancarlo als Gina vorstellte, trat ein und verteilte einige Teller und Schüsseln auf dem Tisch.

„Nur etwas Einfaches“, erklärte er, als Gina sie wieder allein gelassen hatte. Er zog einen Stuhl für Cassie zurück. „Damit genug Platz für den Nachtisch bleibt.“

Cassie fragte sich, ob sie sich Giancarlos zweideutige Anspielung nur einbildete. Bevor sie etwas erwidern konnte, kam Gina wieder herein und sagte etwas auf Italienisch zu Giancarlo. Vielleicht lag es an Cassies schlechtem Gewissen, dass sie das Gefühl hatte, die Haushälterin würde ihre Anwesenheit stillschweigend missbilligen.

Wie viele Frauen hatten wohl bereits hier am Tisch des reichen Italieners gegessen und dann die Nacht mit ihm verbracht? Hatte Gina am nächsten Morgen allen mit derselben ausdruckslosen Miene das Frühstück serviert?

„Cassie?“ Giancarlos dunkle Stimme unterbrach ihre Grübeleien.

„Bitte?“ Sie sah auf und stellte fest, dass er sie nachdenklich musterte. Wie kam sie nur dazu, in dieser Situation an andere Frauen zu denken?

„Sie haben ausgesehen, als wären Sie mit Ihren Gedanken ganz woanders.“

„Oh.“

„Worüber haben Sie so konzentriert nachgedacht?“

Cassie griff zu ihrem Glas und trank einen Schluck Champagner, während sie nach einer Antwort suchte. Sie hoffte, dass er im Kerzenlicht nicht erkennen konnte, wie rot sie geworden war. „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der Hauspersonal hat. Gina ist Italienerin, nicht wahr?“

„Ja.“

„Und die anderen, die Sie erwähnt haben? Beschäftigen Sie nur Italiener?“

„Möchten Sie mit mir die Lebensläufe meiner Angestellten durchgehen?“, fragte Giancarlo trocken. „Ja, alle sind Italiener. Sie arbeiten bereits seit Jahren mit mir zusammen und kennen meine Vorlieben. Aber jetzt entspannen Sie sich, bella. Essen Sie Ihr Dinner, und erzählen Sie mir von sich. Das ist sicher ein viel spannenderes Thema als mein Personal.“

Cassie sah ihn erstaunt an. „Meinen Sie das ernst?“

„Natürlich.“

„Also … normalerweise lebe ich in Cornwall, aber das habe ich vielleicht schon erwähnt.“

„Und wie ist es, in Cornwall zu leben?“, murmelte er.

Cassie warf ihm einen schüchternen Blick zu. „Oh, fantastisch, wirklich. Dort gibt es die schönsten Strände und die höchsten Wellen, die Sie jemals gesehen haben. Es ist ein Surferparadies. Und unsere Spezialität cream tea ist unvergleichlich gut! Waren Sie noch nie dort?“

„Nein, bisher noch nicht.“ Er musste über ihre ehrliche Begeisterung schmunzeln. Wenn sie so unbefangen plauderte, war sie wirklich süß. „Erzählen Sie mir mehr!“

„Ich lebe nah am Meer, in Trevone.“

„Allein?“

„Nein, mit meiner Mutter. Sie führt eine Pension. Während der Wintersaison kommen allerdings nicht viele Gäste. Mein Vater …“ Cassie schluckte. „Mein Vater ist vor einiger Zeit gestorben.“

„Das tut mit leid.“

„Danke.“ Cassie legte ihre Gabel auf den Teller.

Das sagten alle. Das tut mir leid. Als ob irgendjemand schuld an seinem Tod wäre. Dabei hatten sie ihn nicht einmal gekannt. Wahrscheinlich wussten sie nicht, was sie sonst sagen sollten. Obwohl Cassie sich nicht vorstellen konnte, dass Giancarlo Vellutini jemals um Worte verlegen war. Ohne großen Appetit schob sie das Essen auf ihrem Teller herum, während er sich ein zweites Mal von dem gegrillten Hähnchen nahm.

„Finden Sie es seltsam, dass eine Frau in meinem Alter noch bei ihrer Mutter lebt?“

Giancarlo schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. Er plante keine Langzeitbeziehung mit dem Mädchen, also konnte ihm ganz egal sein, wie Cassandra in ihrem Heimatort lebte.

„Ich komme aus Italien“, meinte er unverbindlich. „Dort ist es ganz normal, bis zur Heirat bei den Eltern zu leben. Es hat viele Vorteile, auch wenn man weniger Freiheiten besitzt.“

Besser hätte Cassie es selbst nicht ausdrücken können. „Ganz genau!“, stimmte sie zu.

„Sind Sie darum nach London gekommen, Cassandra? Um frei zu sein?“

„Ja, so könnte man sagen“, erwiderte sie langsam.

Erst seit kurzem hatte ihre Mutter den Tod des Vaters so weit überwunden, dass Cassie sie mit gutem Gewissen allein lassen konnte. Doch die Sehnsucht nach Freiheit war nicht der einzige Grund, aus dem sie nach London gekommen war. Durch den Tod ihres Vaters war Cassie bewusst geworden, wie vergänglich alles war. Von einem Moment auf den anderen konnte alles vorbei sein. Der Gedanke hatte ihr Angst gemacht, aber zugleich Mut gegeben, ihr Leben in die Hand zu nehmen und zu verändern.

„Ich wollte auch etwas Neues beginnen. Alles war so eingefahren, ein Tag war wie der andere.“ Sie zuckte die Achseln. „Sie wissen, wie das ist.“ Sie wartete darauf, dass er ihr zustimmte, doch er schwieg.

Als sie darüber nachdachte, musste sie schmunzeln. Wie dumm von ihr! Ein Mann wie Giancarlo kannte sicher nicht die Langeweile des Alltagstrotts. „Nein, vermutlich können Sie sich gar nicht vorstellen, wie mein Leben aussieht. Bevor ich nach London gekommen bin, habe ich nur an einem einzigen Ort gelebt. Ich arbeite in einem kleinen Andenkenladen. Wir verkaufen hausgemachtes Gebäck, Kristalle und andere Mitbringsel für Touristen. Eines Tages würde ich gern das Geschäft managen, und die Besitzerin hat mir geraten, vorher ein bisschen Erfahrung in London zu sammeln. Sie hat mir den Job bei Hudson’s vermittelt.“ Cassie zuckte die Achseln. „Und hier bin ich.“

„Hier sind Sie“, stimmte Giancarlo zu. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte sie. „Mit Ihren unglaublichen Veilchenaugen, rein und frisch, mitten im Staub und Dreck der Großstadt.“

Cassie errötete. Sie senkte den Blick auf ihren Teller. „Ich wünschte, Sie würden nicht solche Dinge zu mir sagen.“

„Wirklich? Ich bin sicher, Sie werden mit Komplimenten überschüttet, vor allem, wenn Sie bei der Antwort so bezaubernd erröten.“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Unmöglich! Ich bin sicher, dass die Männer vor Ihrer Tür Schlange stehen.“

Cassie zögerte. Zu Hause hatte sie selten mehr als ein knappes „Nicht schlecht“ gehört, wenn sie sich für ein Date schick gemacht hatte. Vermutlich lag das daran, dass sie mit den meisten gleichaltrigen Männern in ihrem Dorf schon zur Schule gegangen war und sie eher als Brüder betrachtete. „Ich denke, Engländer sind vermutlich nicht ganz so, äh … redegewandt wie Italiener.“

Giancarlo lächelte. „Sie ziehen also den charmanten Italiener vor?“ Er beugte sich vor und sah ihr tief in die Augen.

Cassies Hände zitterten. Hastig stellte sie ihr Glas zurück auf den Tisch, aber sicher hatte er es bemerkt. Plötzlich wünschte sie sich nur noch, dass er sie endlich in seine Arme zog und küsste. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie so etwas gefühlt. Was sollte sie nur tun? Sie wusste, sie würde ihm nicht widerstehen können, und doch ahnte sie auch, dass ein Mann wie Giancarlo keine Frau respektieren würde, die leicht zu haben war.

„Ich … ich fürchte, mir ist der Champagner ein bisschen zu Kopf gestiegen. Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?“, fragte sie, ohne ihn anzuschauen.

Zum Glück konnte Giancarlo keine Gedanken lesen! Wenn er auch nur die leiseste Idee gehabt hätte, was in ihrem Kopf vorging, würde er sie sicher für verrückt halten!

„Aber natürlich.“ Giancarlo griff nach der Wasserflasche und füllte ihr Glas. Ihm gefiel, dass sie nicht viel Alkohol trank. Er wollte weder eine angetrunkene Frau im Bett noch am nächsten Morgen hören, dass er ihren Zustand ausgenutzt hatte. In Cassies Augen erkannte er, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie, und er fragte sich, ob sie ehrlich genug war, es auch zuzugeben.

„Sie haben nicht viel gegessen“, sagte er mit einem Blick auf ihren halbvollen Teller.

„Nein. Ich war nicht sehr hungrig. Ich bin ein schrecklicher Dinnergast, nicht wahr?“

„Bisher habe ich keinerlei Grund zur Beschwerde“, erwiderte Giancarlo gedehnt. „Ich vermute, dass Sie auch kein Dessert mögen?“

Cassie schüttelte den Kopf. Normalerweise liebte sie Nachtisch, je süßer und cremiger, desto besser, aber heute Abend war ihr Hals wie zugeschnürt. „Nein, jedenfalls nicht jetzt. Ich hoffe, Gina ist nicht gekränkt.“

„Ich beschäftige Gina nicht, damit sie gekränkt ist“, erwiderte Giancarlo. „Was halten Sie von einem Spaziergang?“

„Das wäre schön! Wo denn?“

Er deutete nach draußen. „Direkt vor der Tür ist ein großer Garten. Wie wäre es damit?“ Doch dann sah er auf ihre hohen Schuhe. „Andererseits denke ich, Sie sind für einen Spaziergang nicht ganz passend angezogen.“

Sie folgte seinem Blick. „Stimmt“, meinte sie bedauernd.

„Sie hätten Turnschuhe anziehen sollen“, neckte er sie.

„Turnschuhe hätten furchtbar zu meinem Kleid ausgesehen“, erwiderte sie ernsthaft.

Giancarlo lachte schallend. „Das ist wahr! Aber machen Sie sich nichts draus, bella, ich nehme Sie ein andermal zu einem Spaziergang mit.“

Doch das tröstete Cassie nicht. Sie fühlte sich, als wäre ihr eine wunderbare Gelegenheit entgangen. Je länger sie mit dem aufregenden Italiener zusammen war, desto faszinierender fand sie ihn. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass Giancarlo ausgerechnet sie zum Dinner eingeladen hatte. Doch egal, was das Leben noch für sie bereithielt, ganz sicher würde kein zweiter Dezemberabend in Kensington mit diesem ganz besonderen Mann auf sie warten.

„Ach was!“, rief sie entschlossen aus. „Ich werde mir den Spaziergang nicht von einem albernen Paar Schuhe verderben lassen! Haben Sie vielleicht Gummistiefel, die Sie mir leihen können?“

Sie beugte sich hinunter, löste den Knöchelriemen von einem Schuh und streifte ihn ab. Sie wollte gerade den zweiten öffnen, als Giancarlo mit einer geschmeidigen Bewegung aufstand und auf einem Bein vor ihr niederkniete.

Fast, als wollte er mir einen Heiratsantrag machen! schoss es Cassie durch den Kopf. Doch stattdessen öffnete er den zweiten Riemen und zog ihren Schuh aus. Ganz langsam kreiste sein Daumen über ihre Fußsohle. Cassie unterdrückte ein Aufstöhnen, als er seine Hand mit sanftem Druck über ihren Knöchel hinauf zu ihrer Wade gleiten ließ.

„Nackte Haut“, murmelte er. „Das mag ich an den englischen Mädchen. Selbst im Winter tragen sie keine Strumpfhosen.“

Seine Fingerspitzen hatten nun die empfindliche Haut in Cassies Kniekehlen erreicht. Schon bei der ersten Berührung begann sie zu zittern.

„Giancarlo“, flüsterte sie.

Er hielt inne. „Was ist?“

Für einen Moment überlegte er, seine Hand einfach höher gleiten zu lassen, bis sie ihn anflehte, nicht aufzuhören. Doch er war das erste Mal mit ihr zusammen. Außerdem wirkte Cassie ohne ihre hohen Schuhe plötzlich viel kleiner und zerbrechlicher. Er zog sie hoch, sodass sie wenige Zentimeter vor ihm stand. Sanft legte er seine Hände um ihre zarte Taille.

„Was … was ist mit den Gummistiefeln?“, fragte sie mit unsicherer Stimme.

Durch das dünne Kleid fühlte Giancarlo die Hitze ihres Körpers. „Was soll mit ihnen sein?“, fragte er heiser.

„Wollten wir nicht vor dem Nachtisch spazieren gehen?“

„Ich habe meine Meinung geändert.“

Cassie sehnte sich danach, sich in seine Arme zu schmiegen, die Finger in seinem dichten schwarzen Haar zu vergraben und seine Lippen auf ihrer Haut zu spüren. Dennoch – alles ging plötzlich viel zu schnell.

„Ich … habe den ganzen Abend nur von mir erzählt, aber ich habe noch gar nichts über Sie erfahren“, brachte sie heraus.

„Was möchten Sie denn wissen?“, murmelte er.

„Oh … ich weiß nicht.“ Cassie schluckte, als er sie so eng an sich zog, dass sie seinen warmen Atem an ihrem Hals spüren konnte. „Etwas über … Ihr Leben, Ihre Arbeit, Ihre Träume.“

Ihre Worte ließen Giancarlos erotischen Fantasien zerplatzen wie Seifenblasen. Er presste seine Lippen zusammen und ließ die Hände sinken. Reden war das Letzte, wonach ihm gerade zumute war. Aber das war nicht das Schlimmste. Erzähl einer Frau von deinen Träumen, und sie plant die Hochzeit, dachte er zynisch.

Oder sollte er Cassie sagen, dass ihm keine Träume geblieben waren? Vermutlich würde sie glauben, dass sie und nur sie allein ihn ändern konnte. Doch sie würde sich irren. Wie jede andere Frau vor ihr.

„Es gibt nur eines, was Sie von mir wissen müssen, Cassie“, sagte er leise.

„Und was?“ Sie ahnte bereits, was kommen würde, aber sie schaffte es nicht, sich noch länger gegen ihn zu wehren.

„Das.“ Er beugte sich langsam über sie und verschloss ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss.

3. KAPITEL

Giancarlos Schlafzimmer war riesig. Groß und furchteinflößend wie der Ozean – zumindest kam es Cassie so vor.

Bei ihrem Kuss im Wintergarten hatte ihre wachsende Leidenschaft keinen Raum für Zweifel gelassen. Noch nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches empfunden. Sie fühlte sich, als hätte ihre Suche endlich ein Ende und sie wäre an ihrem vorbestimmten Platz angekommen. Glücklich wie noch nie in ihrem Leben schmiegte sie sich in Giancarlos Arme und erwiderte seine Küsse ohne jeden Vorbehalt.

„Was hältst du davon, wenn wir uns einen komfortableren Ort suchen, mia bella?“, murmelte er eine Weile später mit den Lippen an ihrem Ohr.

Cassies Herz klopfte wild, ihr Körper zitterte vor Begehren. Zum ersten Mal berührte ein Mann sie auf diese Weise, doch sie empfand keinerlei Furcht, sondern nur eine Lust, die jedes andere Gefühl hinwegschwemmte. Sie wollte antworten, aber aus Angst, ihre Stimme würde ihr nicht gehorchen, nickte sie nur. Giancarlo nahm ihre Hand und führte sie durch das große Haus in sein Schlafzimmer.

Hier überfiel sie nun ihre Unsicherheit mit aller Macht. Natürlich wusste sie, was gleich passieren würde. Aber was, wenn sie ihn enttäuschen würde? Oder er dachte, dass sie zu schnell nachgegeben hatte?

„Cassandra, bella.“ Giancarlo schien zu ahnen, was in ihr vorging.

Er zog sie wieder in seine Arme, hob ihr Gesicht zu sich empor und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hast du deine Meinung geändert? Willst du mich nicht mehr?“

Cassie zweifelte keine Sekunde daran, dass er sie sofort gehen lassen würde, wenn sie jetzt Nein sagte. Doch sie wusste auch, dass sie diese Entscheidung für den Rest ihres Lebens bereuen würde.

„Ich will dich“, flüsterte sie mit roten Wangen.

Na endlich! dachte Giancarlo zufrieden. Genau so hatte er es sich gewünscht. Ein unkompliziertes Vergnügen. Dabei hatte er die Hoffnung schon fast aufgegeben. Er küsste sie wieder, während seine Hände langsam ihren Körper erkundeten.

Als Cassie erschauerte und lustvoll aufseufzte, öffnete er geschickt den Reißverschluss ihres Kleides und streifte es über ihre Schultern. Mit einem leisen Rascheln glitt der weiche Stoff zu Boden.

Cassie spürte die Seide seines Hemdes auf ihrer Haut, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nur in ihrer Unterwäsche vor ihm stand. Ihre Brustspitzen zeichneten sich hart gegen den hauchzarten Stoff ab. Unwillkürlich hob sie die Arme und verschränkte sie vor der Brust, doch Giancarlo griff sanft nach ihren Händen.

„Bitte nicht! Ich will dich ansehen“, murmelte er rau. „Jeden Zentimeter, bis ich deinen Körper mit geschlossen Augen zeichnen könnte. Aber ich begehre dich so sehr, dass ich dieses Vergnügen auf später verschieben muss.“

Anstelle einer Antwort begann Cassie, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Hände zitterten so heftig, dass es eine Weile dauerte, bis sie endlich seine warme Haut berührte. Soll ich ihn warnen? dachte sie unsicher, während ihre Finger das weiche Haar auf seinem muskulösen Oberkörper streichelten. War es falsch, ihm nichts zu sagen?

„Giancarlo …“

Doch bevor sie weitersprechen konnte, stöhnte er auf und verschloss ihren Mund mit einem harten Kuss. Es ist lange her, dass ich eine Frau so sehr gewollt habe, schoss es ihm durch den Kopf. Ohne seine Lippen von ihren zu lösen, hob er sie hoch, trug sie zu seinem Bett und ließ sie sanft auf die Decke gleiten. Dann löste er geübt die Haken ihres BHs, warf ihn zur Seite und zog den Slip über ihre Schenkel. Die Fingerspitzen seiner anderen Hand liebkosten währenddessen ganz langsam ihre empfindsame Haut. Giancarlos Atem ging schneller, als er sah, wie sie unter seinen Berührungen erzitterte.

Er beugte sich über sie und schloss seinen Mund um eine ihrer aufgerichteten Brustspitzen. Cassie schnappte nach Luft, dann vergrub sie ihre Finger in seinem Haar und zog seinen Kopf noch enger zu sich. Sie ist wie eine Göttin, dachte er. Eine Göttin, die sich ihm mit einer selbstvergessenen Hingabe schenkte.

„Du bist wundervoll, Cassandra“, flüsterte er. „Und ich bin ein sehr glücklicher Mann.“

„Küss mich“, forderte sie. Ihre Stimme klang rau.

Er folgte ihrem Wunsch. Während ihr Kuss immer leidenschaftlicher wurde, spürte er, wie sich ihr weicher Körper an ihn presste. Ungeduldig zerrte er seine letzten Kleidungsstücke herunter, bis nichts Trennendes mehr zwischen ihnen war. Giancarlo hatte jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwann wusste er: Er konnte nicht mehr länger warten. Er schob sich über Cassie, um ihre Körper ganz zu vereinen.

„Giancarlo …“

„Ja?“

„Es ist … mein erstes Mal“, stieß sie aus.

Giancarlo erstarrte. Sollte er sich zurückziehen?

„Bitte, hör nicht auf!“, flüsterte sie atemlos und hob sich ihm verlangend entgegen.

Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er jetzt nicht aufhören können. Wellen der Lust fuhren durch seinen Körper, als er Cassie in Besitz nahm. Sie zog ihn enger zu sich, atemlos rief sie seinen Namen. Nie zuvor hatte es Giancarlo so viel Kraft gekostet, sich zurückzuhalten, doch er nutzte alles, was er gelernt hatte, seit er seine eigene Jungfräulichkeit mit sechzehn Jahren verloren hatte, um ihre Lust zu steigern. Er würde ihr erstes Mal zu einem Erlebnis machen, das sie nie vergessen würde.

Immer wieder zog er sich zurück, wenn er spürte, dass sie sich ihrem Höhepunkt näherte, bis er endlich ihrem Flehen nachgab. Als er ihren ungläubigen Aufschrei hörte, verspürte er eine Befriedigung, die größer war als alles, was er bisher erlebt hatte. Gemeinsam erreichten sie ihren Höhepunkt, bis sie schließlich schwer atmend nebeneinanderlagen.

Erst jetzt wurde Giancarlo wirklich bewusst, was er getan hatte. Wie hatte er nur so unglaublich dumm sein können? Er richtete sich halb auf, stützte sich auf einen Ellbogen und blickte sie an. Die hellen Haare umgaben zerzaust ihr erhitztes Gesicht. Ihre Lippen waren von seinen Küssen geschwollen und leicht geöffnet.

Bevor ihre Schönheit ihn erneut gefangen nehmen konnte, begann er zu sprechen: „Das war wirklich eine Überraschung, cara“, sagte er zynisch.

Cassie öffnete die Augen. „Dass ich noch Jungfrau war?“

„Nein, dass du eine echte Blondine bist“, erwiderte er trocken.

Ihre Lippen begannen zu zittern. „Ich hätte es dir eher sagen sollen, nicht wahr?“

Giancarlo verhärtete sein Herz gegen die aufkeimende Angst in ihren großen Augen und setzte sich auf. Mit finster zusammengezogenen Brauen sah er auf sie hinunter und nickte. „Immerhin hast du es mir gesagt, wenn auch viel zu spät, um noch etwas zu ändern.“

Ein Teil seiner Wut galt ihm selbst, seiner eigenen Hilflosigkeit, sich zurückziehen. Er hatte sich vor langer Zeit geschworen, nie wieder hilflos sein.

„Hättest du sonst nicht mir geschlafen?“, flüsterte sie. In ihren Augen schimmerten Tränen.

Hätte ich? fragte sich Giancarlo. Wenn sie ihm im Wintergarten die Wahrheit gesagt hätte, wäre es ganz sicher nicht so weit gekommen. Oder doch?

„Was hast du dir dabei gedacht, bei einem ersten Date deine Jungfräulichkeit aufzugeben?“, fuhr er sie stattdessen an.

Sie errötete. „Irgendwann ist schließlich immer das erste Mal.“

„Aber nicht so! Mit einem Mann, den du kaum kennst.“ Einem Mann, der nicht die leiseste Absicht hat, eine Beziehung mit dir einzugehen. „Wie alt bist du?“

„Einundzwanzig.“

So jung! dachte er. Aber alt genug, um wenigstens ein bisschen sexuelle Erfahrung zu haben. „Warst du wirklich noch nie mit einem Mann zusammen?“ Giancarlo lachte bitter auf. „Dumme Frage, nach dem, was gerade passiert ist.“

Warum gerade ich? wollte er sie fragen, doch er zweifelte, dass Cassie ihm ehrlich antworten würde. Aber er konnte sich den Grund denken.

Sie war zwar umwerfend schön, doch das hatte sie im Leben bisher nicht weit gebracht. Vielleicht war ihr klar geworden, dass ihre Schönheit ein Gottesgeschenk war, das sie gewinnbringend im ältesten Spiel seit Anbeginn der Menschheit einsetzen konnte: Schönheit gegen Reichtum. Vielleicht war sogar ihr ganzes unschuldiges, süßes Auftreten sorgsam einstudiert.

War dies auch der Grund, aus dem sie in einem Londoner Kaufhaus arbeitete? Um dort auf den dicksten Fisch im Teich zu warten? Giancarlo dachte daran, wie zielstrebig sie auf ihn zugekommen war und ihn angesprochen hatte. Sie hat ein gutes Auge, das muss man ihr lassen, dachte er bitter. Warum sonst hätte sie ihre kostbare Jungfräulichkeit mit solcher Leichtigkeit aufgegeben?

Er presste seine Lippen zusammen. Und er war wie ein dummer Schuljunge darauf hereingefallen, obwohl er einen sechsten Sinn für Leute besaß, die nur auf sein Geld aus waren. Schließlich war sein ganzes Leben von so einem Menschen geprägt worden. Ausgerechnet er hatte sich von einem Paar violetter Augen so verzaubern lassen, dass er seine gesamte Vorsicht vergessen hatte.

Entsetzt sah Cassie, wie Giancarlos Miene sich verfinsterte. Nichts als Wut und Verachtung lagen in seinem Blick. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass dies derselbe Mann war, der sie noch vor wenigen Minuten in den Armen gehalten und ihren Namen gerufen hatte. Unaufhaltsam stiegen Tränen in ihrer Kehle auf.

Sie zerrte das Laken um ihren Körper und sprang auf. „Nein, es hat noch keinen Mann vor dir gegeben!“, schleuderte sie Giancarlo mit blitzenden Augen entgegen. „Und es tut mit leid, dass ich so eine Enttäuschung für dich war. Aber keine Sorge, Giancarlo, ich werde dich ganz sicher nicht noch einmal belästigen.“

Giancarlo griff nach dem Laken und zog sie zurück zum Bett. „Wo willst du hin?“

„Nach Hause! Ich habe nicht gedacht, dass es ein so furchtbares Verbrechen ist, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Wenn du so strenge Kriterien hast, wäre es besser, deine Frauen vorher gründlicher zu befragen. Jungfrauen unerwünscht! Würdest du jetzt bitte die Decke loslassen?“

„Nein. Du gehst nirgendwo hin!“

„Was hast du vor? Willst du mich einsperren?“

Giancarlo lachte ironisch auf. „Ich denke, jetzt übertreibst du die Rolle der unschuldigen Jungfrau ein bisschen.“ Er zog ihren warmen Körper zurück in seine Arme. „Komm her, Cassandra. Du brauchst nicht so zu tun, als wolltest du mit mir streiten. Wir wissen doch beide genau, dass es nicht stimmt.“

Cassie ballte ihre Fäuste. Wie ärgerlich, dass er recht hatte! Auch wenn ihr Verstand sagte, sie müsse stolz und stark sein und verschwinden, solange es noch möglich war, sehnte ihr Körper sich nur danach, wieder in seinen Armen zu liegen.

„Lass mich in Ruhe“, flüsterte sie.

„Nein.“ Giancarlo zog sie an sich und küsste sie.

Für einen kurzen Moment dache er, sie wollte sich ihm wieder entziehen, doch dann teilten sich ihre Lippen und sie erwiderte seinen Kuss. Sofort spürte Giancarlo, wie sein Verlangen nach ihr erwachte, fast noch heftiger als zuvor.

Er fasste Cassie bei den Schultern, hielt sie ein Stück von sich fort und sah ihr in die Augen. „Wie ist es möglich, dass du noch Jungfrau bist? Es muss unzählige Männer vor mir gegeben haben, die mit dir zusammen sein wollten.“

„Nein, so viele waren es nicht“, erwiderte sie langsam. Sie hoffte, dass Giancarlo sie verstehen würde, wenn sie ihm ehrlich antwortete. „Einige, natürlich. Aber mit den meisten davon bin ich groß geworden, und sie waren mehr wie Brüder für mich.“

Er blickte sie ungläubig an. „Und das war alles? Ein paar jugendliche Verehrer? So klein kann selbst dein Dorf nicht gewesen sein!“

„Nun, sicher gab es noch den ein oder anderen verheirateten Mann, der sein Glück bei mir versucht hat.“

„Aber es war keiner dabei, der dich interessiert hat?“

Cassie presste die Lippen zusammen. „Nein, es würde mir niemals in den Sinn kommen, den Mann einer anderen zu nehmen.“

„Woher willst du wissen, dass ich nicht irgendwo eine Ehefrau habe?“, fragte er täuschend sanft.

Sie erstarrte und sah ihn für einen Moment mit großen Augen an, dann entspannte sie sich wieder. „Nein. So etwas Unehrenhaftes würdest du nicht tun“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung.

Giancarlo zuckte zusammen. Ihr Vertrauen war schon fast lächerlich. Wie konnte sie nach allem, was heute Abend passiert war, immer noch denken, er wäre ein ehrenhafter Mann? Irgendetwas in ihrem Tonfall und ihrem stolzen Gesichtsausdruck nagte plötzlich an seinem Gewissen. Vielleicht hatte er sich geirrt, und sie war gar nicht auf der Suche nach einem reichen Liebhaber.

Er hob seine Hand, um über ihr seidiges Haar zu streichen, doch sie schüttelte trotzig den Kopf. „Was soll das noch? Du hast ausreichend klargemacht, dass du den heutigen Abend für einen Fehler hältst. Ich werde mich jetzt anziehen und verschwinden.“

„Bist du sicher, dass du das willst?“

„Ja.“

Giancarlo streichelte ihren Hals. Dann bewegte er seine Hand langsam weiter hinunter. „Ganz sicher?“

Cassie sog scharf die Luft ein, als er begann, mit ihrer Brustspitze zu spielen. Ihre neu erwachte Lust war stärker als ihr Verstand. „Ich sollte wirklich gehen“, wisperte sie.

„Denkst du nicht, wir sollten das Beste aus der Situation machen? Ich denke, wir können noch eine Menge gemeinsam entdecken.“

Cassie schloss die Augen. „Ja, Giancarlo“, flüsterte sie und legte sich zurück in die Kissen.

Als Cassie erwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Verwirrt blinzelte sie ins helle Morgenlicht, das durch ein gigantisches Fenster fiel. Mit einem Schlag kam die Erinnerung zurück. Ihr Gesicht wurde heiß, als sie die zerwühlten Laken sah. Warum war sie allein im Bett?

„Ah, du bist wach. Guten Morgen.“

Beim Klang der dunklen Stimme setzte sie sich abrupt auf. Am anderen Ende des großen Raums stand Giancarlo in einem makellosen dunklen Anzug vor einem Spiegel und band seine Krawatte.

Plötzlich war Cassie so schüchtern, dass sie kein Wort herausbrachte. Krampfhaft hielt sie das Laken vor ihrer Brust fest. Ihre Augen trafen sich im Spiegel, dann kam Giancarlo zum Bett hinüber und gab ihr einen leichten Kuss auf die Lippen.

Von der Leidenschaft der vergangenen Nacht war nichts mehr zu spüren. Plötzlich fühlte Cassie sich allein, fast verloren in dem fremden, großen Zimmer. Was in aller Welt sollte sie jetzt tun? Aufstehen und schleunigst das Haus verlassen?

„Willst du duschen?“ Giancarlo ließ seine Finger durch ihr seidiges Haar gleiten. „Schau mich nicht so enttäuscht an, cara. Ich würde dir auch lieber noch Gesellschaft leisten, doch leider habe ich heute ein frühes Meeting.“

Seine Worte waren keine direkte Lüge, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Er war froh gewesen, dass Cassie so tief und fest geschlafen hatte. Er fühlte sich noch immer schuldig und auch ein wenig verantwortlich. Sein Verlangen nach ihr war zwar beim Erwachen ebenso groß gewesen wie in der Nacht, aber ein klarer Bruch war sicher das Beste für Cassie. Auf keinen Fall durfte er zulassen, dass sie tiefere Gefühle für ihn entwickelte.

Sanft steckte er die Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Wenn du magst, kannst du natürlich auch ein Bad nehmen“, murmelte er. Es kostete ihn seine ganze Kraft, sie nicht wieder in seine Arme zu ziehen.

Irgendwie schaffte sie es, ihn anzulächeln. Giancarlo machte sehr höflich aber unmissverständlich klar, dass ihre Beziehung beendet war. Ihr Stolz verbot ihr, ihm zu zeigen, wie traurig sie darüber war. Schließlich hatte sie genau gewusst, was kommen würde. Doch insgeheim musste sie zugeben, dass sie etwas anderes erhofft hatte.

„Keine Sorge, ich komme schon zurecht“, erwiderte sie leichthin. „Ich werde nur rasch duschen und dann zur Arbeit fahren.“

Er war sichtlich erleichtert. „Gut. Gina serviert dir unten das Frühstück. Sag ihr einfach, was du haben willst.“

„Danke“, erwiderte Cassie höflich.

„Und mein Fahrer fährt dich, wohin du möchtest.“

Cassie schloss für einen Moment die Augen. Dies war viel schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Noch wenige Stunden vorher hatten seine Lippen ihren Körper liebkost, und jetzt war er weiter entfernt als je zuvor. Mit jeder Faser strahlte er aus, wie sehr er die Nacht mit ihr bereute.

„Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig. Bei dem schönen Wetter gehe ich gern zu Fuß.“

Für einen Moment herrschte peinliche Stille.

„Ich rufe dich an“, sagte Giancarlo schließlich.

Cassies Gesicht schmerzte von ihrem starren Lächeln. Sie nickte, obwohl sie genau wusste, dass sie nie wieder von ihm hören würde.

Giancarlo ging ohne ein weiteres Wort.

Nach einer kurzen Dusche fühlte Cassie sich ein wenig besser. Rasch kleidete sie sich an und verließ das Haus. Du wirst drüber wegkommen, sagte sie sich, doch als der eisige Dezemberwind über ihr Gesicht strich, merkte sie, dass ihre Wangen nass von Tränen waren.

Als sie das Hudson’s erreicht hatte, waren ihre Tränen getrocknet, auch wenn ihr noch immer nach Weinen zumute war. Aber zumindest würde die Arbeit sie während der nächsten Stunden von ihrem Kummer ablenken.

Erstaunt bemerkte sie, dass der Türsteher nur knapp nickte, anstatt ihr Lächeln so überschwänglich wie sonst zu erwidern. Sie zuckte die Achseln und nahm den Lift ins Untergeschoss, doch bevor sie die Tür der Damenumkleide öffnen konnte, kamen ein Mann und eine Frau in der dunkelblauen Kaufhaus-Uniform auf sie zu.

Cassie erstarrte, als sie erkannte, dass es sich um Sicherheitskräfte handelte. Warum sahen die beiden sie so unfreundlich an?

„Cassandra Summer?“, fragte der Mann.

„Ja.“

„Würden Sie bitte mitkommen?“

„Warum? Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Sie werden des Diebstahls beschuldigt.“

Cassie starrte sie ungläubig an. Halb erwartete sie, dass die beiden anfingen zu lachen und erklärten, dass es sich nur um einen schlechten Scherz ihrer Kollegen handelte. Aber sie schauten sie nur weiter kühl an.

Als Cassie begriff, dass es ihnen wirklich ernst war, fing sie an zu zittern. „Nein!“, flüsterte sie entsetzt. „Das muss ein furchtbarer Irrtum sein.“

4. KAPITEL

Giancarlos Handy zeigte einen eingehenden Anruf. Er runzelte die Stirn, als er Cassandras Namen sah.

Es war kaum eine Stunde her, seit er sich von ihr verabschiedet hatte. Er hatte zwar nicht vorgehabt, sie noch einmal anzurufen, doch bei dem Gedanken an ihren Anblick in seinem Bett ging sein Atem unwillkürlich schneller. Aber was sie von einem Mann wollte, konnte er ihr nicht geben, und er hatte nicht vor, ihr Herz zu brechen.

Nach einem kurzen Zögern nahm er den Anruf an. „Cassandra?“

Erschrocken zuckte er zusammen, als sie ihn mit einem aufgeregten Wortschwall überschüttete. Ihre Stimme war kaum verständlich, Giancarlo bekam nur einige Worte wie „Betrug“ und „Sicherheitsdienst“ mit.

„Cassandra, um Himmels willen, beruhige dich!“, rief er in den Hörer. „Ich kann kein Wort verstehen. Was ist passiert, und wo bist du?“

„Ich werde hier im Kaufhaus vom Sicherheitsdienst festgehalten“, stammelte sie. „Man hat mir geraten, einen Anwalt anzurufen.“

„Was? Wieso?“

„Ich werde des Diebstahls beschuldigt, aber es kann sich nur um ein schreckliches Missverständnis handeln. Es geht um die Kerzen, die du gekauft hast …“

„Sag nichts mehr! Ich komme sofort“, schnitt er ihr das Wort ab.

Kaum eine Viertelstunde später erreichte er das Hudson’s und verlangte den Manager. Dieser führte ihn in einen kleinen Raum zu einer völlig aufgelösten Cassie. Als sie ihn verzweifelt wie eine Maus in der Falle anschaute, ballte er seine Fäuste.

„Ah, Sie müssen der Anwalt sein“, sagte die weibliche Sicherheitskraft. Unwillkürlich fuhr sie ordnend durch ihr Haar und lächelte ihn an.

Ohne sie zu beachten, ging er zu Cassie. „Hallo Cassandra“, begrüßte er sie sanft. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“

Bei seinem Anblick spürte Cassie eine so große Erleichterung, dass alle Anspannung aus ihrem Körper wich. Sie ließ sich zurück in den Stuhl sinken, und Tränen liefen über ihre Wangen. „Sie sagen, ich wäre eine Diebin“, schluchzte sie.

Giancarlo zog ein blütenweißes Stofftaschentuch heraus und drückte es in ihre zitternden Hände, dann wandte er sich zu dem Manager um. „Würden Sie mir bitte sagen, worum es hier geht?“

Cassie war beschuldigt worden, seine Kerzen gestohlen zu haben. Giancarlo runzelte die Brauen. Er erinnerte sich, dass er ihr seine Kreditkarte gereicht hatte, aber hatte er auch den Beleg unterschrieben? Vielleicht nicht.

Sie waren beide so mit ihrem Flirt beschäftigt gewesen, dass die Zahlung offenbar nicht abgeschlossen worden war. Zu alledem hatte er die Kerzen auch noch liegen lassen, und eine eifersüchtige Kollegin hatte gesehen, wie Cassie diese mit nach Hause genommen hatte, und ihren Verdacht umgehend dem Abteilungsleiter gemeldet.

Die Tatsachen waren unumstößlich: Cassie hatte Kerzen eingesteckt, die nicht bezahlt worden waren. Genau genommen hatte es einen Diebstahl gegeben, und Cassie konnte dafür angezeigt werden.

„Meine Güte!“, stieß Giancarlo aus.

Wie war es möglich, dass ein kleines Versehen so verheerende Konsequenzen haben konnte? Und er war schuld! Giancarlo Vellutini, der Meister der Selbstkontrolle, war von Cassies Schönheit so geblendet gewesen, dass sein Verstand völlig ausgesetzt hatte. Und die Leidtragende war Cassandra. Erst hatte sie ihre Unschuld verloren, und jetzt wurde sie auch noch als Diebin hingestellt.

Giancarlo atmete tief durch, um seinen Ärger unter Kontrolle zu bekommen, dann nutzte er sein gesamtes diplomatisches Geschick, um dem Manager die Angelegenheit zu erklären. Zum Glück war er ein guter Kunde. Jetzt machen sich die Juwelen bezahlt, die ich im Laufe der Jahre für meine Freundinnen hier gekauft habe, dachte er zynisch.

Doch auch er konnte nur erreichen, dass die Anschuldigungen gegen Cassie nicht weiterverfolgt wurden. Der Manager war nicht bereit, ihre fristlose Kündigung zurückzunehmen. Kaum eine Stunde später verließen sie gemeinsam das Kaufhaus.

Giancarlo blickte in ihr deprimiertes Gesicht. „Alles in Ordnung?“

„Immerhin bin ich frei. Das ist wunderbar, oder nicht? Genauso gut hätten sie auch Anzeige erstatten können.“ Sie sah ihn mit einem zittrigen Lächeln an, während sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken. „Danke, Giancarlo. Ich komme mir so entsetzlich dumm vor.“

„Dazu gibt es keinen Grund.“ Ohne nachzudenken, zog er sie in seine Arme.

Als er spürte, wie ihr wundervoller Körper von Schluchzen geschüttelt wurde, schämte er sich plötzlich, wie falsch er sie eingeschätzt hatte. Sie war so unschuldig und verwundbar, und es war seine Schuld, dass sie so verletzt worden war. Wie musste sie den Moment verfluchen, in dem sie ihm begegnet war.

Behutsam zog er sein Taschentuch aus ihren Fingern und wischte die Tränen ab, die über ihre Wangen liefen. „Es ist genauso meine Schuld wie deine.“ Er fragte sich, wie sie trotz allem noch immer so wunderschön aussehen konnte. „Aber du hast deinen Job verloren. Was wirst du jetzt tun?“

Cassie schluckte. In seinen Armen hatte sie sich sicher gefühlt, doch er würde sie nicht länger vor dem Horror beschützen, der vor ihr lag. Wie sollte sie ihrer Mutter und ihren Mitbewohnern erklären, was passiert war? Oder ihrer Chefin in Cornwall?

Sie hatte alle enttäuscht, und Giancarlo musste sie jetzt für eine komplette Idiotin halten. Sie wusste, es hätte schlimmer kommen können, doch das konnte sie in diesem Moment auch nicht trösten.

„Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Aber mir wird schon etwas einfallen.“

Giancarlo sah besorgt, wie blass sie war. Als er daran dachte, wie strahlend sie gestern noch ausgesehen hatte, spürte er wieder sein schlechtes Gewissen. „Hast du heute Morgen gefrühstückt?“

„Nein, ich musste mich beeilen, um pünktlich zu sein.“ Cassie wollte nicht zugeben, dass sie sich vor seiner strengen Haushälterin geschämt hatte. 

Er blickte kurz auf seine Armbanduhr, dann öffnete er die Tür seines Wagens. „Steig ein.“

„Wohin fahren wir?“

„Mittag essen.“

„Aber … so, wie ich aussehe, kann ich nirgendwo hingehen.“

„Darum werden wir auch zuerst etwas Hübsches zum Anziehen für dich kaufen, bella.“

„Nein, wirklich nicht …“

„Doch, wirklich“, antwortete er. „Das ist das Mindeste, was ich nach dem ganzen Ärger für dich tun kann.“

Cassie zuckte zusammen. Er hörte sich an, als wollte er einem Kind, das sich das Knie aufgeschlagen hatte, ein Eis kaufen. „Ich brauche keine Entschädigung.“

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

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