Julia Gold Band 109

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SÜSSE ÜBERSTUNDEN MIT DEM BOSS von NICOLE MARSH
Peinlich! Beth hat den sexy Typen, der ihr genervt entgegentritt, für einen Angestellten gehalten. Dabei ist er ihr neuer Boss. Der Job fängt ja gut an! Und es kommt noch besser, denn Aidan Voss hat interessante Pläne. Süße Überstunden inklusive …

LIEBST DU IHN, DANN KÜSSE IHN von CATHY WILLIAMS
Nach einer Enttäuschung hat die schöne Alice sich geschworen, sich nie wieder zu verlieben. Doch das ist gar nicht so leicht, denn plötzlich werben zwei überaus attraktive Männer um sie: ihr Ex-Geliebter James Claydon und ihr Chef, der smarte Victor Temple.

UNVERGESSLICHE GEFÜHLE von JENNIE ADAMS
Er ist ein erfolgreicher Unternehmer, sie seine Assistentin … Vom ersten Augenblick an fühlt Lily sich wie magisch zu Zachary Swift hingezogen. Immer sinnlicher knistert es zwischen ihnen. Und gegen ihren Willen sehnt Lily sich bald nur noch nach einem: heißen Küssen im Büro.


  • Erscheinungstag 10.03.2023
  • Bandnummer 109
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519625
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicola Marsh, Cathy Williams, Jennie Adams

JULIA GOLD BAND 109

1. KAPITEL

Missmutig schaute Bethany Walker in den großen Wandspiegel und streckte sich selbst die Zunge heraus. „Ich sehe schrecklich aus.“

Ihre Cousine Lana grinste. „Ich würde sagen, du siehst aus wie eine waschechte Streberin.“

„Oh nein. Ist das dein Ernst?“

Lana, die bekennende Königin aller Streber, rückte ihre Brille zurecht und musterte Beth von den flachen schwarzen Pumps bis hin zum streng frisierten blonden Dutt. „Genau so sollte eine Museumsführerin aussehen. Mach dir keine Sorgen. Du siehst perfekt aus.“

Beth zog die Nase kraus und strich mit der Hand über ihre glattgebügelte, weiße Bluse. „Wie hältst du es nur aus, ständig in so grässlichen Klamotten herumzulaufen?“

Lana hob die Augenbrauen und sammelte mit spitzen Fingern Beths knappes giftgrünes Top und die kurzen Shorts vom Boden auf. „Ich könnte dir die gleiche Frage stellen.“

„Gut gekontert“, erwiderte Beth mit einem Lächeln. Sie war froh und dankbar über die enge und vertraute Beziehung zur ihrer Cousine.

Die Freundschaft zwischen den beiden hatte in dem Moment begonnen, als die damals sechsjährige Lana sich standhaft weigerte, eine Puppe herauszurücken, die ihr die gleichaltrige Beth aus den Händen zerren wollte.

„Möchtest du mir nicht noch ein paar Anweisungen geben, bevor ich anfange? Letzte Instruktionen? Tipps, wie ich Melbournes Einwohner, die sich in das Museum verirren, zu Tode langweilen kann?“

Lana grinste belustigt. „Da ist wirklich noch eine Sache.“

„Was?“, fragte Beth gespannt. Das spöttische Glitzern in den Augen ihrer Cousine gefiel ihr ganz und gar nicht.

Lana öffnete eine Kommodenschublade und überreichte Beth die hässlichste Brille, die sie jemals gesehen hatte. „Die musst du aufsetzen. Gehört sozusagen zur Uniform.“

Beth schüttelte den Kopf. „Auf gar keinen Fall! Das ist wirklich zu viel. Du hast mich angezogen, frisiert, auf alles vorbereitet und in eine Kopie von dir verwandelt. Du kannst nicht auch noch verlangen, dass ich dieses Ding trage.“

Lana kicherte. „Schon gut. Ich habe nur Spaß gemacht. Obwohl ich gehört habe, dass derzeit alle coolen Museumsführerinnen dieses Modell tragen. Es ist der letzte Schrei.“

„Darauf wette ich“, sagte Beth und verdrehte die Augen.

Angesichts der hässlichen Brille mit dem dicken schwarzen Rahmen schnitt sie eine Grimasse. In ihrer Kindheit war sie von den anderen als Streberin und Brillenschlange gehänselt worden, nur weil sie mehr Köpfchen hatte als die meisten Kinder. Daher waren ihr Brillen schon immer ein Gräuel gewesen. Als sie mit sechzehn einen Aushilfsjob bekam, hatte sie sich vom ersten selbst verdienten Geld Kontaktlinsen gekauft.

Der Moment, als sie die neu erworbenen Linsen zum ersten Mal eingesetzt hatte, war ein Wendepunkt in ihrem Leben gewesen. Sie hatte sich vom schüchternen Mauerblümchen in eine umschwärmte und ständig flirtende junge Frau verwandelt. Und seitdem hatte sie nie zurückgeblickt.

„Bist du sicher, dass du die Brille nicht aufsetzen willst?“, fragte Lana mit einem boshaften Lächeln. „Sie würde deinen neuen Look vervollständigen.“

Lana trat einen Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihr Werk mit zufriedener Miene.

Beth dagegen kam sich mit ihren hässlichen Schuhen und der fürchterlichen Kleidung vor wie Frankensteins Braut. „Allmählich beschleicht mich der Verdacht, dass du mich auf den Arm nehmen willst. Diese Verkleidung dient nur dazu, dich über mich lustig zu machen.“

„Erwischt“, gab Lana zu. „Aber du willst doch hoffentlich das Museum nicht im Minirock und trägerlosen Top in Aufruhr versetzen, oder?“

„Nun, da du es gerade erwähnst …“

Lana seufzte. „Dann erklär mir mal, warum ich dir zu dem Vorstellungsgespräch verholfen habe.“

Beth tätschelte ihrer Cousine beruhigend den Arm, zog Lanas Sachen aus und schlüpfte schnell wieder in ihre eigenen. Sie hängte die weiße Bluse und den schrecklichen schwarzen Faltenrock wieder in den Schrank zurück und knallte rasch die Tür zu, damit sie die Sachen nicht länger sehen musste. „Weil du mich für die Beste hältst. Oder weil Blut dicker ist als Wasser. Such dir etwas aus.“

Lana sah sie mit einer Mischung aus Missbilligung und überstrapazierter Geduld an. Diesen Blick kannte Beth nur allzu gut. „Also, was ziehst du wirklich an?“

Vor Beths geistigem Auge erschien ihr neu erworbenes Designer-Nadelstreifenkostüm mit dem raffinierten Bleistiftrock und der verspielten Rüschenbluse. Sie stemmte die Hände in die Hüften und legte einen kurzen Freudentanz ein. „Ich habe mir ein Kostüm gekauft. Ich in einem Kostüm, kannst du dir das vorstellen?“

Lana kicherte. „Eigentlich nicht. Das muss ich erst sehen.“

„Ich komme auf dem Nachhauseweg bei dir vorbei. Dann kannst du einen Blick darauf werfen. Wo wir gerade davon sprechen …“ Beth schaute auf ihre Uhr und zog eine Grimasse. „Ich sollte mich wohl allmählich auf den Weg machen.“

„Du hast recht. Es wird Zeit“, erwiderte Lana und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Tür zu.

„He, langsam. Setz dich gefälligst hin. Dein Knöchel wird nicht heilen, wenn du dir keine Ruhe gönnst. Und sosehr ich es auch zu schätzen weiß, dass du mir den Job vermittelt hast, ohne dich wird es in diesem Mausoleum ziemlich öde sein.“

Lanas Anwesenheit hätte es Beth sicher leichter gemacht, sich an die Monotonie des geregelten Berufslebens zu gewöhnen. Hätte Beth die Wahl, würde sie lieber in ihrem Apartment im obersten Stockwerk eines alten Lagerhauses bleiben, um an ihren geliebten Metallskulpturen zu arbeiten. Aber sie brauchte diesen Job dringend, denn er brachte sie der Erfüllung ihres Traumes ein gutes Stück näher.

„Schon gut“, sagte Lana und hinkte auf ihren Krücken langsam zum Stuhl, um sich mit einem unterdrückten Stöhnen darauf niederzulassen. „Ich bin wieder an Bord, sobald der verdammte Knöchel einigermaßen in Ordnung ist.“

Als Lana das verletzte Bein anhob und es vorsichtig auf einen Hocker legte, zuckte sie vor Schmerz zusammen. „Es tut mir leid, dass ich nicht da bin, um dir wie versprochen alles zeigen zu können. Mir ist klar, dass es nicht der ideale Job für dich ist. Deshalb hätte ich dir so gerne geholfen, aber nun ist mir das dazwischengekommen.“ Sie deutete mit finsterem Gesicht auf ihr eingegipstes Bein.

„Mach dir keine Gedanken, Cousinchen. Ich werde daran denken, was du mir alles erklärt hast, und einen Haufen Langweiler durch das Museum führen. Das wird ein Spaziergang.“

Lana blickte Beth skeptisch an. „Habe ich dir schon gesagt, dass wir einen neuen Chef haben? Er ist der Sohn des alten Direktors, Abe Voss, und in archäologischen Kreisen eine wirklich große Nummer. Du bist noch von Abe eingestellt worden. Und ich habe keine Ahnung, wie sein Sohn Aidan als Vorgesetzter ist.“

Beth setzte sich neben ihre Cousine auf einen Stuhl und legte liebevoll die Hand auf den Gips. „Ich werde lächeln und freundlich sein. Das hat bei Abe gut funktioniert und wird bei dem neuen Chef bestimmt auch gut ankommen.“

„Du willst also wieder deinen berüchtigten Charme spielen lassen?“

Beth konnte an Lanas geringschätziger Miene gut erkennen, was ihre tüchtige, superintelligente und ernsthafte Cousine davon hielt. „Entweder das, oder ich nehme ihn mit meinen ausgezeichneten Fähigkeiten als Museumsführerin für mich ein. Komm schon, Lana, vertrau mir. Ich werde meine Arbeit sicher gut machen und den Ruf der Walker-Mädels als hervorragende Mitarbeiterinnen nicht ruinieren. Oder zweifelst du daran?“

Lana musste lachen und verdrehte die Augen. „Willst du wirklich eine Antwort darauf haben?“

„Eigentlich nicht.“

Sie brachen beide in Gelächter aus. Schon unzählige Male hatte Beth Lana beschworen, ihr zu vertrauen. Nur, um Lana dann doch wegen eines Jungen, einer coolen Party oder eines Ausverkaufs in einem angesagten Schuhgeschäft sitzen zu lassen.

„Na ja“, meinte Lana. „Hoffen wir einfach das Beste. Wenn du Fragen hast, kannst du ja auf die Toilette verschwinden und mich mit dem Handy anrufen.“

„Genau. Das klingt doch sehr professionell“, erwiderte Beth ironisch. Sie stand auf und hängte sich ihre Designer-Handtasche über die Schulter. „Also, ich mache mich jetzt auf den Weg.“

„Verschwinde schon. Und tu nichts, was ich nicht auch tun würde.“

„Jawohl“, gab Beth zurück und salutierte. Sie deutete mit einem Grinsen auf Lanas eingegipstes Bein. „Willst du mir nicht Glück wünschen? So etwas wie ‚Hals- und Beinbruch‘?“

„Raus jetzt! Und nimm deinen schrecklichen Sinn für Humor bitte mit.“

Beth stemmte in gespielter Empörung die Hände in die Hüften. „Ist das etwa eine Art, mit dem neuen Star der Museumsführerinnen zu sprechen?“

Lana hob die Augenbrauen. „Star? Ich wäre schon glücklich, wenn du einen einigermaßen vernünftigen Job machst.“

„Mach dir keine Sorgen. Du kannst dich auf mich verlassen.“

„Wir werden sehen“, murmelte Lana, während sie Beth nachblickte.

„Na, das ist doch etwas ganz anderes“, flüsterte Beth, während sie verzückt ihre brandneuen schwarzen Pumps von Sonia Rykiel betrachtete.

Vielleicht hätte sie an ihrem ersten Arbeitstag ein paar bequemere Schuhe wählen sollen. Besonders deshalb, weil sie auf ihrem Weg zum Museum in der Straßenbahn stehen musste. Eingequetscht zwischen einem verschwitzten Geschäftsmann und einem ungepflegten Studenten, der die Vorzüge eines Deodorants offenbar noch nicht für sich entdeckt hatte. Dennoch waren ihre schicken neuen Schuhe ein echter Trost.

Schuhe spielten für sie eine bedeutende Rolle. Beth war immer bemüht, das zu ihrem Outfit und ihrer Stimmung perfekt passende Paar auszusuchen. Und die eleganten Pumps an ihren Füßen gaben ihr gerade heute das nötige Selbstvertrauen.

In einem Museum herumzulaufen, anstatt an ihren Skulpturen zu arbeiten, stand nicht gerade ganz oben auf ihrer Hitliste. Aber ihre Bank saß ihr derzeit wegen des überzogenen Kontos im Nacken, und daher blieb ihr nichts anderes übrig.

Sie unterdrückte ein Seufzen und presste ihre Tragetasche noch enger an den Körper. Durch das weiche Leder spürte sie die Absätze der Stilettos darin. Das bedeutete weiteren Trost. Sie war an diesem Abend mit einem alten Studienfreund verabredet und würde keine Zeit haben, nach Hause zu fahren, um sich umzuziehen. Zumal sie auch noch Lana besuchen musste, um von ihrem ersten Tag zu berichten. Also hatte sie die Garderobe zum Wechseln kurzerhand eingepackt. Allein das Wissen, noch ein Paar wundervolle Schuhe dabeizuhaben, hob ihre Stimmung gewaltig.

Leider hielt ihre gute Laune nicht lange an. Als die Straßenbahn an der Haltestelle vor dem Museum stoppte und Beth ausstieg, verfing sich nach zwei Schritten einer ihrer Absätze in einem der Gleise. Das allein wäre noch nicht schlimm gewesen, wenn sie stehengeblieben wäre. Sie war jedoch so in Eile, dass sie weiterging und der stecken gebliebene Absatz mit einem hörbaren Knacken abbrach.

Beth stieß einige nicht sehr damenhafte Flüche aus, die Lana sicher missbilligt hätte, und sah sich die Bescherung an.

Großartig, dachte sie. Sie hatte nicht nur ein sensationelles Paar Schuhe ruiniert und würde zu spät zur Arbeit kommen, nein, zu allem Überfluss auch noch barfuß.

Als ob sie an ihre Existenz erinnern wollten, piksten ihr die Absätze der Stilettos in die Rippen, nachdem sie ihre Tasche unter den Arm geklemmt hatte. Sofort lebte Beth wieder auf, zog den Absatz ihres kaputten Schuhs aus dem Gleis, hinkte über die Straße und ließ sich auf einer Bank vor dem Museum nieder.

Mit einem glücklichen Lächeln holte sie ihr schönstes Paar Schuhe aus der Tasche. Sie streifte die Pumps ab und steckte ihre Füße mit den rot lackierten Nägeln in ein paar extravagante Sandalen von Manolo Blahnik. Als sie ihre Füße betrachtete, entfuhr ihr ein zufriedener Seufzer.

Rasch verdrängte sie den Gedanken, dass diese schwarzen Lacksandalen, mit Riemchen und Federn verziert, viel zu sexy für eine seriöse Museumsführerin waren. Mit schnellen Schritten machte sich Beth auf den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. So schnell, wie es die fast acht Zentimeter hohen Absätze erlaubten.

Mit den richtigen Schuhen an den Füßen konnte eine Frau auch den widrigsten Umständen trotzen. Beth hatte das untrügliche Gefühl, dass dieser Tag mehr als erfreulich werden würde.

Originelle Schuhe, dachte Aidan Voss beim Anblick der neuen Museumsführerin, die über den polierten Marmorboden auf ihn zustöckelte. Sie hatte das Kinn hoch erhoben, und ein Lächeln umspielte ihre sorgfältig geschminkten Lippen.

Sie sah nicht aus wie eine Frau, die bereits an ihrem ersten Arbeitstag fünf Minuten zu spät kam. Im Gegenteil, sie wirkte völlig gelassen und sorglos.

„Miss Walker?“

„Ja?“

Ihre Schuhe waren schon eine Attraktion für sich. Aber Miss Walkers umwerfend grüne Augen nahmen ihn vom ersten Moment an gefangen. In diesen Augen vermeinte er Intelligenz, eine Spur von Wachsamkeit und einen mitreißenden Sinn für Humor aufblitzen zu sehen. Aidan konnte sich gerade noch davon abhalten, seine neue Mitarbeiterin anzustarren.

„Sie sind zu spät“, sagte er zwar vorwurfsvoll, betrachtete aber fasziniert ihr herzförmiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen, der süßen Stupsnase und dem verführerischen Mund.

Statt unter seinem musternden Blick verlegen zu werden, breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus, das Aidan fast den Atem nahm. Schon von Kindheit an schätzte er schöne Dinge und schöne Menschen. Und von dieser Frau konnte er kaum den Blick wenden.

„Und wer sind Sie?“, fragte Beth noch immer lächelnd.

Angesichts ihrer Unverfrorenheit schwankte Aidan zwischen Fassungslosigkeit und dem Wunsch zu lachen. „Jemand, der Ihnen die Hölle heißmachen kann, weil Sie an Ihrem ersten Tag zu spät kommen.“

Ihr Lächeln wurde breiter. „So, Sie können mir also die Hölle heißmachen? Das hört sich nach einer interessanten Methode an, Beziehungen zu Mitarbeitern zu pflegen.“

Aidans Mundwinkel zuckten verdächtig, während er gleichzeitig den dringenden Wunsch verspürte, diese junge Frau zu feuern, noch bevor sie überhaupt angefangen hatte.

Nach einer oberflächlichen Durchsicht ihrer Bewerbungsmappe hatte er eigentlich eine wissbegierige und respektvolle Praktikantin erwartet. Aber diese Frau mit ihrem sonnengebleichten blonden Haar, das am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, dem figurbetonten Kostüm mit der pinkfarbenen Rüschenbluse und dem kurvenreichen Körper machte so gar nicht den Eindruck einer seriösen Museumsführerin. Sie war atemberaubend schön, sinnlich und verführerisch.

Wie von ungefähr glitt sein Blick zu ihren extravaganten Schuhen. Sie waren sexy und verspielt und passten hervorragend zu ihrer Besitzerin.

Aidan war fasziniert von Frauen mit schönen Beinen. Und der Anblick dieser wohlgeformten sonnengebräunten Waden, der schmalen Fesseln und zierlichen Füße war mehr als zufriedenstellend.

Er beschloss, ihre freche Erwiderung einfach zu ignorieren. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Augen von ihren sensationellen Beinen loszureißen, um sich eine angemessene Reaktion zu überlegen.

„Auf jeden Fall bin ich kein Angestellter“, beantwortete er ihre zuvor gestellte Frage und bedachte sie mit seinem finstersten Blick. Mit diesem Blick hatte er bisher ausnahmslos jeden an den unterschiedlichsten Ausgrabungsstätten dieser Welt dazu gebracht, nach seiner Pfeife zu tanzen.

Sie jedoch hob das Kinn und funkelte ihn aus ihren unglaublichen grünen Augen zornig an. „In diesem Fall haben Sie mir überhaupt nichts zu sagen. Wenn Sie erlauben, würde ich jetzt gern …“

„Ich bin Ihr Vorgesetzter“, unterbrach er sie und erwartete nun eigentlich, einen Anflug von Respekt oder doch zumindest Verlegenheit in Bethany Walkers Augen zu erblicken.

Aber auch dieses Mal war sie weit davon entfernt, seine Erwartungen zu erfüllen. Mit einem strahlenden Lächeln streckte sie ihre Hand aus. „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen. Ich bin Beth Walker, Ihre neue Museumsführerin, und stehe ganz zu Ihren Diensten.“

Aidan ertappte sich dabei, wie er sie ebenfalls anstrahlte. Automatisch ergriff er ihre Hand, um sie zu schütteln. Was blieb ihm auch übrig? „Ich bin Aidan Voss, der neue Museumsdirektor.“

„Begrüßen Sie alle Angestellten persönlich?“, wollte sie wissen.

„Nein, nur diejenigen, die an ihrem ersten Arbeitstag zu spät kommen.“ Er tippte mit der Fingerspitze auf seine Armbanduhr. „Ich muss sagen, dass mich Ihre Unpünktlichkeit sehr in Erstaunen versetzt, Miss Walker.“

„Nennen Sie mich doch einfach Beth“, erwiderte sie und senkte kurz den Blick. „Es tut mir sehr leid, dass ich zu spät komme. Aber ich wäre pünktlich gewesen, wenn ich nicht eine schlimme Schuhkrise gehabt hätte.“

Aidan musste sich das Lachen verkneifen. „Da Sie gerade von Schuhen sprechen, finden Sie wirklich, dass diese auffallenden Sandalen eine angemessene Bekleidung für Ihre neue Tätigkeit darstellen?“

Sie verstärkte den Griff um ihre Tasche und verriet damit, dass sie doch etwas unsicherer war, als sie vorgab. „Schuhe in dieser Qualität sind immer angemessen“, begann sie und brach dann angesichts seiner gerunzelten Stirn ab. „Mir ist auf dem Weg hierher ein Absatz abgebrochen. Da hatte ich leider keine andere Wahl, als mit diesen Sandalen zu kommen oder barfuß. Und ich schätze mal, das wäre Ihnen auch nicht recht gewesen.“

Er zwang sich, den Blick von ihren Füßen zu wenden, und räusperte sich ein wenig verlegen. „Sorgen Sie dafür, dass Sie morgen geeignetere Fußbekleidung tragen.“

Sie lächelte erleichtert. „Bedeutet das, ich bin wegen der Verspätung aus dem Schneider?“

„Fordern Sie Ihr Schicksal nicht heraus“, murmelte er.

Diese Frau irritierte ihn. In einer Sekunde wirkte sie wie eine außerordentlich selbstbewusste Person, in der nächsten schien sie lediglich eine unsichere neue Angestellte zu sein. Dieses Wechselspiel faszinierte ihn merkwürdigerweise. Auch in diesem Moment verriet die Tatsache, dass sie ihre Finger unruhig auf der Tasche herumwandern ließ, ihre Anspannung. Gleichzeitig blickte sie ihm jedoch furchtlos in die Augen.

So jemanden wie sie hatte er noch nie kennengelernt. Die meisten Menschen bewunderten ihn wegen seiner Erfahrung, seiner beruflichen Beziehungen und seiner großen Bekanntheit in archäologischen Kreisen. Generell begegneten ihm alle Mitarbeiter mit Respekt. Beth Walker sollte als neue Mitarbeiterin seine Familie und deren bedeutende Rolle für dieses Museum eigentlich kennen. Und doch benahm sie sich, als wäre er ein guter Bekannter oder gar ein Mann, mit dem sie ungehemmt flirten könnte.

„Wenn sonst nichts mehr anliegt, soll ich dann anfangen?“, unterbrach sie seine Gedanken.

Er nickte und blickte sie mit kritischer Miene an. Das schien jedoch keinen großen Eindruck auf sie zu machen, denn sie lächelte ihn so freundlich an, dass es ihm den Wind aus den Segeln nahm. „Sie können in der Australien-Ausstellung beginnen. Es wird dort heute wohl ziemlich ruhig sein, denn wir erwarten nur wenige Schulklassen. Und montags ist erfahrungsgemäß sowieso nicht besonders viel los. Haben Sie noch Fragen?“

„Nein, vielen Dank. Ich bin bereit und kann es kaum erwarten, endlich loszulegen.“

Er blinzelte verwirrt. Aus ihrem verführerischen Mund klang jedes ihrer Worte wie eine unsittliche Einladung.

Er ärgerte sich über sich selbst, weil er so seltsam auf diese junge Frau reagierte. Sie war schließlich seine Angestellte. Und doch hatte sie vom ersten Moment an intensive Gefühle und Gedanken in ihm ausgelöst. Wieder räusperte er sich und versuchte, seine Stimme möglichst kühl klingen zu lassen: „Das ist alles für den Augenblick. Viel Glück.“

„Danke“, erwiderte sie lächelnd. „Aber das brauche ich nicht. Ich mache meine Sache immer gut.“

Mit diesen Worten stolzierte sie selbstbewusst auf ihren lächerlich hohen Absätzen davon. Genau in die falsche Richtung.

„Beth, die Australien-Abteilung befindet sich dort“, rief er und deutete in die entgegensetzte Richtung.

Abrupt blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Für einen Moment glaubte er, so etwas wie Panik in ihren Augen aufflackern zu sehen. Aber das war so schnell vorbei, dass er sich auch getäuscht haben konnte.

„Das weiß ich“, sagte sie und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich dachte nur, ich könnte noch schnell eine Portion Koffein bekommen, bevor ich anfange.“

„Die Cafeteria für Angestellte liegt ebenfalls nicht dort“, erklärte er mit einem amüsierten Lächeln.

Mit einem resignierten Achselzucken setzte sie sich in die von ihm gewiesene Richtung in Bewegung. „Ich hatte schon immer einen lausigen Orientierungssinn.“

„Nun, ich hoffe, dass Sie sich möglichst schnell mit den Örtlichkeiten hier vertraut machen. Wie wollen Sie sonst Gruppen durch das Museum führen? Mit Karte und Kompass?“

Sie blieb stehen und sah ihn angriffslustig an. „Ich schaffe das schon. Vielen Dank für Ihre Begrüßung, aber jetzt wird es Zeit, mit der Arbeit anzufangen.“

Wieder musste er unfreiwillig schmunzeln. Gleich wollte er sich in seinem Büro noch einmal ihre Bewerbungsmappe vornehmen. Entweder hatte sein Vater seine gute Menschenkenntnis verloren, oder an dieser Frau war mehr dran, als man auf den ersten Blick erkennen konnte.

„Ich habe nämlich gehört, dass der Chef hier andauernd auf die Uhr schaut“, setzte sie dreist hinzu und eilte davon, so schnell sie ihre unglaublichen Schuhe trugen.

Er blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. Dabei entging ihm nicht das kleinste Detail. Weder ihre dichte, blonde Mähne noch ihr höchst erotischer Hüftschwung. Und schon gar nicht ihre sensationellen Beine.

Oh ja! Er würde ihre Bewerbungsmappe auf jeden Fall noch einmal in allen Einzelheiten studieren.

Jede Frau, die an ihrem ersten Tag in solchen Schuhen zu spät zur Arbeit kam und sich von ihm in keiner Weise einschüchtern ließ, war einen zweiten Blick wert. Er beschloss, Beth Walker genau im Auge zu behalten.

Sehr genau.

2. KAPITEL

„Lieber Himmel, nimmt dieses Museum denn gar kein Ende?“, murmelte Beth, während sie den langen Korridor nach einem Hinweisschild auf die Australien-Abteilung absuchte.

Sie war bereits durch so viele Flure und Säle gelaufen, dass sie sich allmählich vorkam wie in einem Kaninchenbau. Brav war sie der Beschilderung gefolgt, nur um dann nacheinander in der Dinosaurier-Abteilung, dem gruseligen Insektenzimmer und dem Reptilienraum zu landen. Australien war nirgends in Sicht.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine weibliche Stimme hinter ihr.

Beth stöhnte innerlich auf. Das war genau das, was sie jetzt brauchte. Noch jemand, der sie wegen ihrer Verspätung und Orientierungslosigkeit anmeckerte.

Sie setzte ein Lächeln auf und drehte sich um. „Ja, das können Sie tatsächlich. Heute ist mein erster Tag hier. Bei dem Rundgang nach meinem Vorstellungsgespräch war ich viel zu erschöpft, um mir alles merken zu können. Jedenfalls kann ich die Australien-Abteilung nicht finden.“

Der erstaunte Gesichtsausdruck der jungen Frau verriet, dass sie ihr Gegenüber für ein wenig unterbelichtet hielt. „Ich bin gerade auf dem Weg dorthin“, sagte sie jedoch freundlich.

„Großartig“, erwiderte Beth begeistert.

Die Frau, deren Namensschild am Revers sie als Dorothy auswies, machte eine einladende Handbewegung und setzte sich in Bewegung. Beth folgte ihr eilends.

„Ich heiße übrigens Beth“, stellte sie sich vor.

„Dorothy. Ich bin ehrenamtliche Mitarbeiterin hier.“

„Sie bekommen gar nichts für diesen Job?“, fragte Beth fassungslos.

Sie konnte sich nun wirklich etwas Besseres vorstellen, als hier herumzuhängen, wenn es keine Bezahlung dafür gab. Sie selbst war nur aus einem einzigen Grund hier: wegen des Geldes. Regelmäßige Einkünfte bedeuteten Stabilität. Und Stabilität brachte sie ihrem großen Traum ein gutes Stück näher. Dem Traum von einer eigenen Galerie, in der sie ihre Skulpturen ausstellen konnte. Sie fand, dass sie nun lange genug nur davon geträumt hatte. Jetzt war es an der Zeit, den Plan in die Realität umzusetzen.

Dorothys Lächeln machte ihr fades, ungeschminktes Gesicht gleich viel hübscher. „Ich studiere Archäologie. Ich mache diesen Job, um ein paar Erfahrungen im Museumsbereich zu sammeln.“

„Dann scheinen Sie Ihr Fachgebiet ja wirklich zu mögen“, erwiderte Beth trocken.

Dorothy nickte so heftig, dass der seltsame Dutt auf ihrem Kopf gefährlich ins Wanken geriet. „Außerdem war die Chance, mit jemandem von Aidan Voss’ Kaliber zusammenzuarbeiten, viel zu verlockend, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen.“

Beth horchte auf. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, die richtige Abteilung zu finden, dass sie jeden Gedanken an ihren neuen Chef absichtlich verdrängt hatte.

So attraktive Männer wie Aidan Voss bekam man nicht jeden Tag zu sehen. Er war groß, muskulös und dunkelhaarig. Wenn die ungefähr drei Zentimeter lange Narbe über der rechten Augenbraue nicht gewesen wäre, hätte er mit jedem männlichen Model konkurrieren können, anstatt alte Ruinen auszugraben und aufsässige Museumsführerinnen zu beaufsichtigen.

„Also, ist er gut?“, fragte Beth bemüht gleichgültig. Sie war plötzlich sehr erpicht darauf, mehr über diesen Mann mit den hohen Wangenknochen, dem markanten Kinn und den schiefergrauen Augen zu erfahren. Zu allem Überfluss hatte er auch noch ein Grübchen.

Du meine Güte, dachte Beth entsetzt. Ich habe mir doch tatsächlich jedes Detail seines Gesichts gemerkt. Angesichts Dorothys ungläubiger Miene musste Beth sich das Lachen verbeißen.

„Gut? Er ist der Beste. Er kommt nicht nur aus einer der angesehensten Familien Australiens, er ist auch verantwortlich für zahlreiche bedeutende Funde in der ganzen Welt. Ägypten, Südamerika, Griechenland und so weiter.“

Eine feine Röte zierte auf einmal Dorothys blasse Wangen. Beth hatte das untrügliche Gefühl, dass Aidans gutes Aussehen auch bei seiner enthusiastischen ehrenamtlichen Mitarbeiterin nicht unbemerkt geblieben war.

„Aber das wissen Sie doch sicher schon alles, oder?“, fuhr Dorothy fort. „Ich schätze, die Aussicht, mit einem Mann wie Mr. Voss zu arbeiten, ist für jeden in dieser Branche unwiderstehlich.“

„Oh, für Mr. Voss zu arbeiten, ist in der Tat unwiderstehlich“, erwiderte Beth amüsiert.

Ihre Gedanken wanderten von seinem markanten Gesicht zu den breiten Schultern und den Muskeln, die sich sogar unter seinem dunkelgrauen Anzug und dem hellblauen Hemd abzeichneten.

In den wenigen Minuten, in denen er sie wegen der Verspätung getadelt hatte, war er als sehr selbstsicherer Mann aufgetreten. Ein Mann auf dem Gipfel seines Erfolges, nach dem sich die Frauen umdrehten, ohne dass er es darauf anlegte.

Er war natürlich überhaupt nicht ihr Typ. Sie bevorzugte Männer in Jeans und Turnschuhen, die das Leben locker und gelassen nahmen. Und vor allem Männer, die sich nicht so dominant gaben. Der gepflegte, zugeknöpfte und herablassende Aidan Voss passte da nichts ins Bild.

Außerdem war es überhaupt nicht angemessen, ihren Chef in dieser Weise zu beurteilen. Lana würde ohnmächtig umfallen und sich auch noch den anderen Knöchel brechen, wenn sie wüsste, dass Beth ihren Boss mit den Augen einer Frau betrachtete.

„So, da wären wir“, sagte Dorothy.

„Danke“, erwiderte Beth zerstreut und konnte gerade noch verhindern, mit Dorothy zusammenzustoßen. „Ich komme jetzt allein zurecht.“

Sie wünschte sich, Dorothy würde nun verschwinden, damit Beth sich mit der Ausstellung vertraut machen konnte. Sie hatte zwar einiges über das Museum gelesen und etliche Stunden Unterweisung von Lana hinter sich, aber sie konnte sich nach ihrem missglückten Start keine Fehler mehr erlauben. Sonst würde sie am Ende noch diesen Job verlieren und damit die Aussicht auf eine eigene Galerie.

Dorothy stand zögernd in der Tür und fummelte verlegen an ihrem Namensschild herum. „Kann ich Sie etwas fragen?“

„Sicher“, erwiderte Beth. Was mag jetzt wohl kommen? dachte sie beunruhigt. Hoffentlich nichts über das Museum.

„Wo haben Sie diese unglaublichen Schuhe her?“

Beth lachte erleichtert auf und wackelte mit den Zehen.

„In Sachen Mode bin ich ein hoffnungsloser Fall“, fuhr Dorothy fort. „Für ein Paar Sandalen wie diese würde ich einen Mord begehen.“

„Das ist bestimmt nicht nötig“, sagte Beth. „Warum treffen wir uns nicht zum Mittagessen? Dann erzähle ich Ihnen, wo es in Melbourne die besten Schuhgeschäfte gibt.“

Dorothy lächelte entzückt. „Großartig! Dann sehen wir uns um ein Uhr in der Cafeteria.“

Dorothys Lächeln war das erste Anzeichen von Wärme, das Beth an dieser unscheinbaren jungen Frau entdeckte. Nachdenklich beobachtete sie, wie Dorothy in ihrer braunen Hose, der dazu passenden Jacke, einer cremefarbenen Bluse und mit diesem schrecklichen Dutt den Korridor entlangging. Dorothys Aufmachung ließ nicht den geringsten Sinn für Stil erkennen. Da war wohl mehr als eine Nachhilfestunde nötig, stellte Beth seufzend fest.

Schließlich betrat sie den großen Saal mit den unzähligen Ausstellungsstücken, Schaukästen und der unüberschaubaren Sammlung von beschrifteten Tafeln, Monitoren und Schildern.

Lustlos widmete sie sich den Erläuterungen auf der ersten Tafel. Eine gut informierte, einfühlsame und engagierte Museumsführerin zu werden, war nicht so leicht, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Aidan saß in seinem lederbezogenen Bürosessel und schaute aus dem großen Panoramafenster auf das Royal Exhibition Building, das von einem wolkenlosen, blauen Himmel eingerahmt war.

Er hatte diese Aussicht schon immer geliebt. Vom ersten Moment an, als er das Büro seines Vaters betreten hatte. Damals war er ein überheblicher Archäologiestudent gewesen, der beschlossen hatte, die Welt zu erobern. Besser gesagt, die Welt auf der Suche nach bedeutenden archäologischen Relikten zu bereisen. Seit er als wissbegieriger, fünfjähriger Junge seine Eltern zum ersten Mal auf eine Ausgrabung begleitet hatte, war das sein großer Traum gewesen.

Nie würde er vergessen, wie sich der heiße Sand unter seinen Händen angefühlt hatte. Mit einer Kinderschaufel hatte er eifrig neben seinem Vater gegraben, während die unerbittliche ägyptische Sonne auf sie herunterbrannte. So lange hatte er sich abgemüht, bis er endlich die kleine Figur gefunden hatte, die sein Vater an dieser Stelle vermutet hatte.

Erst Jahre später war ihm klar geworden, dass sein Vater die Grabbeigabe für seinen Sohn dort platziert hatte. Aber da war Aidans Entscheidung schon längst gefallen. Er wollte Archäologe werden, und zwar der beste. Sein Vater hatte später einen Schreibjob gewählt, statt seine Karriere als Forscher weiter zu verfolgen. Aidan jedoch wollte mehr erreichen.

Es schien eine Ironie des Schicksals zu sein, dass er nun auf dem Stuhl seines Vaters saß. Das war eigentlich der letzte Ort, an dem er sein wollte.

Aidan griff nach dem Telefon und drückte die Kurzwahltaste Nummer eins. Er wusste schon jetzt, dass sein Vater nicht gerade erfreut sein würde, bei seinem Mittagsschlaf gestört zu werden. Die Zeiten, als sein unverwüstlich wirkender Vater selbst in der größten Mittagshitze seine Ausgrabungsarbeiten nicht unterbrochen hatte, waren unwiderruflich vorbei.

„Abraham Voss“, meldete sich sein Vater.

„Hallo, Dad, ich bin es.“

„Was ist los?“

Aidan spürte, wie seine Muskeln sich anspannten. Sein Vater hatte nie anders als in diesem harschen, knappen Ton mit ihm gesprochen. Aidan hatte immer das Gefühl gehabt, er würde seinen Dad bei etwas Wichtigem stören.

Keine Freundlichkeit, kein Austausch von höflichen Floskeln. Aber was erwartete er eigentlich? Der alte Herr würde sich nicht mehr ändern, auch nicht, wenn sein Sohn ihm einen großen Gefallen erwies.

Aidan schluckte seinen Ärger herunter und nahm Beth Walkers Bewerbungsmappe zur Hand. „Ich habe heute Morgen die neue Museumsführerin kennengelernt. Sie ist nicht so, wie ich erwartet habe.“

„Sie ist schon etwas Besonderes, nicht wahr? Ich wusste gleich, dass sie perfekt für den Job ist.“

Ja, das stimmte. Beth Walker war tatsächlich etwas Besonderes. Und vom ersten Augenblick an hatte Aidan gespürt, dass sie auf gewisse Weise perfekt war. Allerdings hatte er dabei nicht die Arbeit im Sinn gehabt.

Er runzelte die Stirn und schlug die Mappe auf. „Ihre beruflichen Erfahrungen sind nicht gerade beeindruckend.“

„Stellst du mein Urteilsvermögen infrage?“

Ja, zur Hölle, das tue ich, dachte Aidan. Aber er wollte seinen Vater auf keinen Fall herausfordern. Er saß nur aus einem einzigen Grund hier an diesem Schreibtisch. Weil sein Vater ihn darum gebeten hatte. Und damit hatte er zum ersten Mal in seinem Leben die Fähigkeiten seines Sohnes anerkannt. Aidan würde den Teufel tun, diese zaghafte Annäherung durch eine Auseinandersetzung zu sabotieren. Dazu bedeutete ihm die erst kürzlich entstandene gleichberechtigte Beziehung zu seinem Vater viel zu viel.

„Ich schätze, ihr Auftreten hat mich ein wenig irritiert“, sagte Aidan deshalb nur.

„Warum? Weil sie ein bisschen extravagant ist?“, fragte Abe mit einem abfälligen Schnauben. „Sieh mal, Lana Walker ist ein großer Gewinn für dieses Museum. Sie ist die beste Kuratorin an der Ostküste. Ich vertraue ihrem Urteil vollkommen. Sie hat ihre Cousine für diesen Job empfohlen. Und beim Vorstellungsgespräch mit Beth habe ich festgestellt, dass sie genau die Person ist, die wir brauchen: Sie ist frisch, lebhaft und lernfähig. Wo liegt also das Problem?“

„Es gibt kein Problem.“

Jedenfalls abgesehen von der Tatsache, dass er sich zu Beth Walker hingezogen fühlte. Und das sollte eigentlich nicht der Fall sein. Schließlich war er ihr Vorgesetzter.

„Wenn das alles ist, lege ich jetzt auf. Deine Mutter hat diesen Trainingsplan für mich erstellt.“

Aidan zögerte kurz. Er wusste, wie sehr sein Vater es hasste, über seine Gesundheit zu reden. Und er hatte den alten Herrn mit seiner Frage nach Beth für den Moment schon genug aufgeregt. „Wie geht es deinem Herzen?“

„Gut. Der Blutdruck ist runter. Seit wir hier sind, hatte ich keine Beschwerden mehr.“

„Großartig.“

„Ich muss gehen. Ich rufe dich nächste Woche an, um zu hören, wie alles läuft.“

Sein Vater unterbrach die Verbindung, bevor Aidan die Chance hatte, sich zu verabschieden. Er legte den Hörer auf und kämpfte gegen das vertraute Gefühl der Enttäuschung an.

Der alte Mann würde sich niemals ändern. Es war dumm, auf etwas anderes zu hoffen. Auch die Tatsache, dass die Ärzte Abe zu einem längeren Erholungsurlaub im milden Klima von Queensland geraten hatten, um einen Herzanfall zu vermeiden, hatte seine Haltung gegenüber seinem Sohn nicht verändert.

Aidan konnte schlecht ablehnen, als sein Vater ihn gefragt hatte, ob er im Museum einspringen würde. Es bedeutete Aidan sehr viel, dass Abe ihn um diesen Gefallen gebeten hatte. Vorher hatte sein Vater nie die geringsten Anstalten gemacht, Aidans Wissen und seine Fähigkeiten in irgendeiner Weise zu würdigen. Im Stillen hoffte Aidan, dass sein alter Herr in ferner Zukunft den Wert seines Sohnes vielleicht einmal zu schätzen wüsste.

Also saß er nun hier in diesem Museum und legte es ernsthaft darauf an, der beste Direktor zu sein, den es jemals gegeben hatte. Und wenn es auch nur für ein paar Monate war.

Denn eines hatte er gleich klargestellt: Er würde seine Ausgrabungsreisen niemals aufgeben. Dazu war seine Leidenschaft zu entdecken und zu forschen viel zu ausgeprägt.

Er hatte diesen Fehler schon einmal gemacht. Und er würde ihn kein zweites Mal begehen.

Der beste Museumsdirektor aller Zeiten zu sein hieß auch, dass er seine Angestellten im Auge behalten musste. Er machte sich daran, Beth Walkers Bewerbung noch einmal zu lesen, und schüttelte den Kopf.

Seine Instinkte hatten ihm in der Vergangenheit oft gute Dienste geleistet. Er hatte ein untrügliches Gespür für die besten Ausgrabungsorte und Stellen, an denen man konkret suchen musste. Ließ ihn seine Intuition in diesem Fall etwa im Stich?

Je mehr er in ihrem Lebenslauf über Miss Walker und ihre mangelnden Kenntnisse erfuhr, desto mehr festigte sich sein Eindruck, dass sie nicht die richtige Person für diesen Job war. Von ihrem Auftreten und den unglaublichen Schuhen einmal abgesehen.

Andererseits war er jedoch fest davon überzeugt, dass man Menschen eine Chance geben sollte. Und genau das würde er auch tun. Aber die süße Museumsführerin sollte sich nur vorsehen. Wenn sie auch nur einen Fehler zu viel machte … Aidan schloss die Mappe und stand auf.

Er wollte, dass der Museumsbetrieb wie geschmiert lief. Dazu war es notwendig, die Angestellten so oft wie möglich zu kontrollieren.

Mit dieser extravaganten jungen Dame würde er gleich damit anfangen.

3. KAPITEL

„Also, wie ist es gelaufen?“

Beth nahm einen genießerischen Schluck von ihrem After Eight Latte und blickte ihre Cousine für einen Moment schweigend an. Angesichts von Lanas angespannter Miene versuchte sie, sich ein Lächeln zu verkneifen.

„Das ist nicht witzig, Beth“, beschwerte sich Lana. „Ich war den ganzen Tag lang am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich bin in keiner guten Verfassung. Und ich spreche nicht von meinem Knöchel.“

„Schon gut, schon gut. Bleib auf dem Teppich. Es gibt gar nicht viel zu erzählen. Mein erster Tag war ziemlich ereignislos und pannenfrei.“

Jedenfalls fast. Wenn sie ihre erste Begegnung mit dem charismatischen Aidan Voss und später das kleine Missgeschick bei der Eisenbahnausstellung außer Acht ließ.

Lana runzelte die Stirn und bedachte Beth mit einem missbilligenden Blick. Dieser Blick schien nur für Beth reserviert zu sein. Diese kannte ihn schon, seit die Cousinen sich als Kinder um Buntstifte oder Puppen gezankt hatten.

„Schön. Nun rück endlich mit der Wahrheit raus. Ich will alles wissen“, forderte Lana ungeduldig.

Beth schnalzte mit der Zunge. „Wo fange ich am besten an? Bei dem abgebrochenen Absatz oder bei der Auseinandersetzung mit meinem Chef? Oder bei der Stelle, an der ich mich in diesem monströsen Bauwerk verirrt habe? Oder wie ich mich mit dieser bezaubernden ehrenamtlichen Kollegin angefreundet habe? In der Mittagspause war ich mit ihr shoppen. Sie braucht ganz dringend jemanden, der sie bei ihrem Outfit berät.“

Lana brach in schallendes Gelächter aus. „Das hört sich so an, als ob du es heute mit deinem charmanten Lächeln nicht sehr weit gebracht hättest.“

„Na hör mal, es war mein erster Tag. Du musst einer Frau schon Gelegenheit geben, ihren Zauber zu entfalten.“

„Zumindest hat dein Selbstbewusstsein keinen Schaden genommen“, bemerkte Lana und verdrehte die Augen. „Und nun erzähl mir genau, was passiert ist.“

„Nur Anfangsschwierigkeiten, Cousinchen. Die hat doch jeder in einem neuen Job.“

„Das ist mir klar. Aber ich habe mich den ganzen Tag zu Tode gelangweilt und mich immerzu gefragt, wie es dir wohl geht.“ Lana schlug ärgerlich auf ihr eingegipstes Bein und schnitt eine Grimasse. „Ich hasse diese Hilflosigkeit. Es gefällt mir überhaupt nicht, von anderen Leuten abhängig zu sein.“

„Meinst du mich damit?“

Lana legte sehr viel Wert auf ihre Unabhängigkeit. Das hing vermutlich damit zusammen, dass sie ihre Mutter sehr früh verloren hatte. In gewisser Hinsicht hatte diese Tragödie die beiden Cousinen mehr als alles andere zusammengeschweißt. Nicht zuletzt deshalb, weil auch die Mutter von Beth in demselben Autounfall ums Leben gekommen war. Von diesem Zeitpunkt an hatten sich die beiden verstörten sechsjährigen Mädchen wie Ertrinkende aneinandergeklammert. Sie hatten den Boden unter den Füßen verloren und kämpften zeit ihres Lebens darum, ihn wiederzugewinnen.

„Ich weiß, du tust dein Bestes“, lenkte Lana ein. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, drei Monate hier herumzusitzen und Papierkram zu erledigen.“

„Wie es aussieht, hast du keine andere Wahl“, sagte Beth vorsichtig.

In dieser Hinsicht ging es ihr selbst ähnlich. Sie schuldete Lana viel. Und wenn ihre Cousine sie gebeten hätte, über Wasser zu gehen, würde Beth das tun. Der Versuch, bei der Arbeit im Museum alles richtig zu machen, war nur ein geringer Preis im Vergleich zu dem, was Lana in der Vergangenheit für sie getan hatte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Beth diesen Job wirklich dringend brauchte.

Eigentlich hatte sie geplant, ihre Skulpturen in der Galerie ihres Ex-Freundes auszustellen. Aber dieser Plan war mit dem Ende der Beziehung gescheitert. Der Mistkerl hatte sie einfach sitzen gelassen. Dabei sollte sie ihm wohl dankbar sein. Wenn er nicht Schluss gemacht hätte, würde sie jetzt wohl kaum so zielgerichtet die Idee einer eigenen Galerie verfolgen.

Und diesen Traum würde sie auch verwirklichen. Jedenfalls, wenn die Bank mitspielte. Da Beth den größten Teil ihrer Einkünfte für Kleidung und Schuhe ausgab, war ihr Kreditrahmen nicht sehr groß.

„Ein Punkt für dich“, sagte Lana. „Erzähl mir von dem neuen Direktor. Wie ist dieser Aidan Voss denn so? Ich habe gehört, er soll eine ziemlich große Nummer sein.“

Das mochte stimmen. Auf jeden Fall war er unverschämt attraktiv. Beth konnte plötzlich an nichts anderes denken als an seine schiefergrauen Augen und seinen forschenden Blick, als er sie gemustert hatte.

„Nun, er ist ziemlich beeindruckend“, antwortete sie vage. Ein unerwarteter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich daran erinnerte, wie beeindruckend er tatsächlich war.

„Du meinst seine Qualifikationen?“

„Ich meine das ganze Paket.“ Mist, dachte Beth im Stillen. Da habe ich mich wohl verplappert.

Und wie auf Bestellung hob Lana auch schon die Augenbrauen. „Das Funkeln in deinen Augen gefällt mir überhaupt nicht.“

„Welches Funkeln?“, gab Beth mit Unschuldsmiene zurück.

Aber Lana ließ sich dadurch nicht täuschen. Forschend blickte sie ihre Cousine an. „Das Funkeln, das immer in deinen Augen erscheint, wenn ein halbwegs gut aussehender Mann unter fünfunddreißig deinen Weg kreuzt.“

Mit gespielter Entrüstung schaute Beth ihre Cousine an. „Ich habe keine Ahnung, wie alt er sein könnte. Aber er ist alles andere als locker und vermutlich uralt.“

„Und, wie sieht er aus?“, fragte Lana hinterhältig.

Wie immer gab sie nicht so leicht auf. Sie war wie ein Hund, der sich in einen Rinderknochen verbissen hatte. In diesem Fall wohl eher eine Kuratorin mit einem Dinosaurierknochen.

„Nicht schlecht für einen verklemmten, alten Kerl, der gern langweiliges, altes Zeug ausgräbt.“

Lana musste so sehr lachen, dass sie sich den Bauch hielt. „Ich durchschaue dich, liebe Cousine“, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Ich weiß, was ‚nicht schlecht‘ bei dir heißt. Der Mann sieht sehr gut aus, oder?“

Beth nickte und lachte ebenfalls. „Noch besser. Wirklich, du solltest ihn sehen. Groß, toller Körper, hinreißendes Lächeln und unglaubliche Augen. Ein echter Knaller.“

„Und vergiss den Verstand hinter der attraktiven Fassade nicht.“

Beth zuckte die Schultern. „Du wirst ihn noch früh genug zu sehen bekommen.“

„Falls ich mir nicht demnächst vor lauter Frust dieses Bein abschneide.“

Lanas Lachen verklang, und ihre Miene wurde wieder ernst. Beth tat, was sie in unerfreulichen Situationen immer tat. Sie versuchte, es auf die leichte Schulter zu nehmen.

„Damit würdest du riskieren, den Anblick von ‚Voss dem Boss‘ zu verpassen. Das halte ich für unwahrscheinlich.“

Lana zuckte zusammen. „Du nennst einen der einflussreichsten Archäologen dieser Welt ‚Voss der Boss‘?“

Beth beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Soll ich ihn mit meinem berühmten Augenaufschlag bezirzen? Damit die Walker-Girls bei ihm einen Stein im Brett haben?“

Lanas Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Wage das ja nicht!“

„Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, mit dem Boss zu flirten“, lenkte Beth ein.

Aber Lanas Blick verriet Beth, dass ihre Cousine ihr kein Wort glaubte.

Beth ignorierte den anerkennenden Pfiff eines Passanten und schlenderte weiter unbeirrt die Lygon Street entlang. Sie war auf dem Weg zu ihrer abendlichen Verabredung mit Bobby, ihrem Freund aus Studienzeiten.

Sich in Gesellschaft von Bobby einen Drink zu genehmigen, war kein Date im engeren Sinne. Dennoch zauberte die Aussicht darauf, den Abend mit dem schlaksigen rothaarigen Schlagzeuger zu verbringen, ein Lächeln auf ihr Gesicht. Bobby war ein wirklich guter Freund, und Beth hatte etwas anderes als Freundschaft nie in Betracht gezogen.

Dennoch hatte sie sich schick gemacht. Es war keine große Sache gewesen, in ihren schwarzen Minirock und das glänzende auberginefarbene Top zu schlüpfen. Die Manolos hatte sie ja sowieso schon an. In diesem Outfit fühlte sie sich viel mehr wie sie selbst als in dem eleganten Kostüm, das sie den Tag über getragen hatte.

Eilig ging sie an ihrem bevorzugten Eiscafé vorbei und vermied es geflissentlich, einen Blick auf das köstliche Eis hinter dem Kühltresen zu werfen. Ihr lief schon bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen. Als ihr Handy klingelte, kramte sie hektisch in ihrer großen Tasche und hoffte, dass es nicht Bobby war, um die Verabredung abzusagen. Denn sie freute sich wirklich auf ein paar Drinks, die lockere Unterhaltung und das unvermeidliche Gelächter, das bei einem Abend mit Bobby einfach dazugehörte.

Sie war schon viel zu lange nicht mehr ausgegangen. Ausgerechnet sie, berüchtigtes Partygirl von Melbourne, hatte in den letzten Wochen ihre Abende damit verbracht, sich unter Lanas strenger Aufsicht auf die Arbeit im Museum vorzubereiten. Das war todlangweilig gewesen. Und nun war es höchste Zeit, wieder ein bisschen zu leben und Spaß zu haben.

Als sie das Telefon endlich gefunden hatte, warf sie einen kurzen Blick auf das Display, erkannte aber die Nummer nicht.

„Beth Walker“, meldete sie sich.

„Hallo, Beth. Hier ist Aidan Voss.“

Sie war so überrascht, dass sie stolperte und um ein Haar auf einen der Tische vor dem Eiscafé gefallen wäre. Aber zum Glück hielt ein Kellner sie fest, bis sie sich wieder gefangen hatte. Er besaß die schönsten braunen Augen, die sie je gesehen hatte.

Während sie weiterging, formte sie ein stummes ‚Danke‘ mit den Lippen und lächelte den Kellner strahlend an.

„Oh hallo. Worum geht es?“, fragte sie ins Telefon, weil ihr auf die Schnelle nichts Originelleres einfiel.

„Es tut mir leid, Sie in Ihrer Freizeit zu stören. Aber ich muss Sie dringend sehen.“

Wow, er will mich sehen, dachte Beth. Irgendeinen Eindruck musste sie wohl doch bei ihm hinterlassen haben. Sie erinnerte sich an die Art, wie er sie am Morgen angeblickt hatte, und fragte sich, ob die erotische Spannung zwischen ihnen nur ihrer Einbildung entsprungen war. „Ich kann morgen etwas früher kommen“, erklärte sie in bemüht sachlichem Tonfall.

„Aber es muss sofort sein“, wandte er ein.

„Oh, tut mir leid. Ich kann jetzt nicht. Ich habe etwas vor.“

„Das ist keine Bitte, sondern eine dienstliche Anweisung.“

Beth holte tief Luft. Trotz seiner seidenweichen Stimme konnte sie die unverhohlene Schärfe heraushören. Dieser Mann war daran gewöhnt, dass andere Menschen sprangen, wenn er es wollte. Vermutlich erwartete er sogar, dass sie vorher fragten, wie hoch.

„Ich habe eine Verabredung“, sagte sie trotzig und kam sich dabei ziemlich idiotisch vor. Dem großen Aidan Voss war das bestimmt herzlich egal.

„Ich habe eigentlich nicht die Absicht, Ihr Liebesleben zu stören. Aber es ist wichtig und kann nicht bis morgen warten.“

„Oh, Bobby ist nur ein guter Freund“, platzte sie heraus, um sich nun wie eine komplette Idiotin vorzukommen. Vielleicht war es doch besser, in Zukunft erst nachzudenken, bevor sie den Mund aufmachte. Besonders wenn sie mit diesem Mann sprach.

Verdammt, was hatte er nur an sich, das sie so in Verwirrung stürzte? Anderen Männern gegenüber benahm sie sich doch auch nicht so ungeschickt. Ganz im Gegenteil, sogar beim Flirten behielt sie immer einen kühlen Kopf.

„Freut mich zu hören. Dann wird Bobby ja auch nicht besonders enttäuscht sein, wenn Sie das Treffen auf ein anderes Mal verschieben. Ich erwarte Sie in einer Stunde im Foyer des Museums.“

Beth unterdrückte ein Seufzen. Sie war drauf und dran, ihm zu erklären, wohin er sich scheren sollte. Nämlich zum Teufel. Aber sie konnte es nicht riskieren, ihren Job zu verlieren. Und das würde dann sehr wahrscheinlich der Fall sein. „Also gut. Ich werde da sein. Aber bitte sagen Sie mir doch schon einmal, worum es eigentlich geht.“

„Um den Zwischenfall in der Eisenbahnausstellung. Die Mutter des Kindes hat uns eine schriftliche Beschwerde zukommen lassen. Wir müssen darüber reden.“

Eine schriftliche Beschwerde? Na toll. Wirklich toll. Da hatte sie ihren ersten Arbeitstag ja wirklich gründlich vermasselt. „Kein Problem“, erwiderte sie und versuchte, das Zittern in der Stimme zu unterdrücken. „Wir sehen uns in einer Stunde.“

„Da wäre noch etwas.“

„Ja?“

„Kommen Sie bitte nicht wieder zu spät.“

Er legte auf, bevor sie etwas erwidern konnte. Resigniert schaltete sie das Handy aus und steckte es zurück in die Tasche.

Wenn Lana und Beths eigener Traum von einer Galerie nicht gewesen wären, würde sie weder zu diesem Treffen mit Aidan Voss noch morgen wieder zur Arbeit gehen. Sie würde diese Episode einfach hinter sich lassen und nicht zurückblicken.

Sie war keine Museumsführerin. Sie war Künstlerin. Strikte Regeln zu befolgen, die jemand anderes aufgestellt hatte, war ihr noch nie leicht gefallen. Sie brauchte kreative Freiheit ebenso sehr wie die Luft zum Atmen.

Als sie an einem großen Schaufenster vorbeiging, in dem exquisite Gemälde und Skulpturen ausgestellt wurden, richtete sie sich auf und schaute neugierig hinein.

Genau das war es, was sie wollte: einen eigenen Raum, in dem sie ihre Werke präsentieren konnte, und die Unabhängigkeit, selbst darüber zu entscheiden. Sie wollte, dass ihr Talent geschätzt und anerkannt wurde. Und wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst wäre, ging es um etwas, das ihr Vater ihr immer vorenthalten hatte.

Sie warf noch einen letzten Blick auf die kleine Galerie, drückte ihre Tasche an sich und beschleunigte ihren Schritt.

Sie konnte das schaffen. Sie würde versuchen, die Angelegenheit mit der Eisenbahnausstellung zu bereinigen und ihren Job so gut wie möglich zu machen.

Die Erfüllung ihres Traumes hing davon ab.

Adam ging in der verlassenen Eingangshalle des Museums auf und ab und fragte sich, was er hier eigentlich tat.

Er hatte einen wirklich schlechten Tag gehabt. Angefangen hatte es mit tödlich langweiligen Finanzberichten und geendet mit der Beschwerde einer zornigen Mutter. Wenn er es genau überlegte, war sein Tag doch nicht so schlecht gewesen. Und er hatte auch nicht mit den Finanzberichten begonnen, sondern damit, dass er die neue Angestellte zurechtgewiesen hatte.

Sein Tag hörte also genauso auf, wie er begonnen hatte. Er sah auf die Uhr und schüttelte über Beth Walkers erneute Unpünktlichkeit den Kopf.

Er sollte eigentlich gar nicht mehr hier sein. Der Zwischenfall in der Eisenbahnausstellung hätte durchaus bis morgen Zeit gehabt. Aber irgendetwas hatte ihn dazu getrieben, Beth noch heute Abend ins Museum zu bestellen.

Er unterdrückte einen Fluch, als ihm klar wurde, was dieses ‚Etwas‘ war. Er war fasziniert von dieser Frau. Sie zog ihn an wie die Motte das Licht. Deshalb musste er sie sehen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass sein Interesse doch nur beruflicher Natur war. Er hoffte inständig, dass es so war. Denn etwas anderes konnte er sich einfach nicht leisten.

Wie aufs Stichwort klopfte es an der gläsernen Eingangstür. Während er aufschloss, lockerte er mit der anderen Hand seinen Hemdkragen. Er brauchte dringend frische Luft.

Beths Anblick hatte ihm den Atem verschlagen. Sie trug ein knappes, glänzendes Top und einen sehr gewagten Minirock. Ihr Outfit würde ebenso wie ihr Make-up und das offen getragene blonde Haar dafür sorgen, dass er heute Nacht nicht einschlafen konnte. Von ihren langen, makellos gebräunten Beinen ganz zu schweigen.

„Lassen Sie mich raten“, sagte sie zur Begrüßung. „Sie werden gleich wieder schimpfen, weil ich ein paar Minuten zu spät bin.“

Ihr entwaffnendes Grinsen traf ihn bis ins Mark.

„Bevor ich geklopft habe, sah ich, wie Sie auf die Uhr schauten“, fügte sie hinzu und warf sich die blonde Mähne über die Schulter.

„Langjährige Angewohnheit.“ Er winkte sie herein und verschloss die Tür hinter ihr. Dabei bemühte er sich, ihren betörend fruchtigen Duft nicht zu tief einzuatmen. „Ich mag es, wenn die Dinge nach Plan ablaufen.“

„Welch eine Überraschung“, bemerkte sie ironisch.

„Kommen Sie. Wir haben etwas zu besprechen.“

„Das erwähnten Sie bereits am Telefon.“

Als ihr Lächeln verschwand, verspürte Aidan eine seltsame Enttäuschung. „Am besten gehen wir in mein Büro. Da können Sie den Beschwerdebrief selbst lesen.“ Unwillkürlich glitt sein Blick an ihr herab. „Sie passen wirklich nicht ins Bild einer ernst zu nehmenden Museumsführerin.“

Sie unterdrückte ein Kichern. „Wie sollte eine ernst zu nehmende Museumsführerin denn aussehen?“

„Auf jeden Fall anders als Sie“, murmelte er.

In den Korridoren war nur noch die Notbeleuchtung eingeschaltet. Während er im Dämmerlicht neben ihr herging, fragte er sich, ob dieses Treffen nach Dienstschluss wirklich eine gute Idee gewesen war. Noch nie hatte er eine so verführerische Frau kennengelernt wie Beth Walker.

Er hatte sich selbst beweisen wollen, dass sein Interesse an ihr keinesfalls erotischer Art war. Das hörte sich in der Theorie recht vernünftig an. Die Praxis sah nun allerdings ganz anders aus. Da konnte er sich selbst jetzt nichts mehr vormachen.

Doch er war immer noch ihr Vorgesetzter. Und damit war sie für ihn tabu. Das durfte er nicht vergessen.

Plötzlich hatte er es sehr eilig, die Sache hinter sich zu bringen. Er öffnete die Tür und bedeutete ihr, hineinzugehen. Dabei ließ er ihr den Vortritt.

Das war keine gute Entscheidung. Der Anblick ihrer sensationellen Beine und ihres knackigen, runden Pos übten eine verheerende Wirkung auf ihn aus.

„Okay, dann lassen Sie mal sehen“, sagte sie über die Schulter.

Er zwang sich, den Blick von ihrem sexy Hinterteil zu lösen, aber es war zu spät. Ihr wissendes Lächeln sprach Bände. Sie hatte genau gemerkt, dass er sie taxierte. Und sie genoss es sichtlich.

Verlegen ging er zu seinem Schreibtisch, nahm das Schreiben zur Hand und reichte es ihr. „Hier. Lesen Sie es sorgfältig. Dann sprechen wir darüber.“

Während sie das Schreiben überflog, kaute sie auf ihrer Unterlippe. Schließlich ließ sie das Blatt sinken und fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar.

„Was gedenken Sie, hinsichtlich dieses Problems zu unternehmen?“, fragte er streng und bedeutete ihr mit einer Geste, sich auf den Besuchersessel zu setzen. Er selbst ließ sich auf der Schreibtischkante nieder. „Die Sache deutet auf ein weit größeres Problem. Nämlich Ihre Arbeitseinstellung.“

„Die war offenbar kein Problem, als Ihr Vater mich eingestellt hat. Er denkt, ich sei ein Gewinn für das Museum“, sagte sie mit bebender Unterlippe.

„Und haben Sie selbst auch diesen Eindruck?“

„Natürlich.“

Obwohl ihre Unterlippe ihren inneren Aufruhr deutlich zeigte, blickte sie ihm geradewegs in die Augen. Aidan hatte den Eindruck, als ob hier gerade ein Machtkampf ausgetragen wurde. Wer zuerst wegsah, hatte verloren.

Er würde auf keinen Fall derjenige sein. „Es mag sein, dass mein Vater Sie eingestellt hat. Das heißt aber nicht, dass ich Sie nicht entlassen kann.“ Nun, da er das unheilvolle Wort „entlassen“ ausgesprochen hatte, senkte sie endlich den Blick.

Es sieht ganz so aus, als ob dieser jungen Dame ihr Job doch mehr bedeutet, als es den Anschein hat, dachte Aidan.

„Es war nur ein Missverständnis“, sagte sie leise und gab ihm den Beschwerdebrief zurück. „Schließlich war es nicht meine Schuld, dass dieses grässliche kleine Monster … äh, ich meine der süße kleine Junge an dem Monitor herumgefummelt hat. Da musste ich doch wohl einschreiten, oder?“

Eigentlich war nichts Komisches an dieser Situation. Die Beschwerde der empörten Mutter war nur die Krönung eines schlechten Tages, an dem Beth ihre Unfähigkeit mehrmals bewiesen hatte. Dennoch amüsierte ihn ihre Unverfrorenheit, und er musste sich ein Grinsen verkneifen. „Der Bildschirm ist interaktiv. Er ist dazu da, dass Kinder an ihm herumfummeln.“

„Und woher sollte ich das wissen?“

„Das“, sagte er und sah sie eindringlich an, „gehört zu Ihrem Job.“

„Sie haben recht“, erwiderte sie resigniert.

Plötzlich kam er sich vor wie ein Unhold und wünschte sich, ihre Unterlippe würde aufhören zu zittern. „Sie haben zwar meinen Vater davon überzeugt, dass Sie für diese Arbeit geeignet sind. Aber jetzt habe ich hier das Sagen. Im Moment bin ich von Ihren Leistungen nicht gerade beeindruckt. Und Ihre Qualifikationen erwecken in mir auch kein nennenswertes Vertrauen.“

Sie stand so abrupt auf, dass er intuitiv nach vorne schoss und sie festhielt, um sie am Straucheln zu hindern. Er spürte die seidige Haut ihrer schlanken Arme unter seinen Händen.

„Sehen Sie“, sagte Beth. „Ich bin einfach nur ziemlich nervös. Dieser Job bedeutet mir sehr viel. Das Missverständnis tut mir ehrlich leid. Und ich werde versuchen, es in Zukunft besser zu machen. Wirklich.“

Er spürte, dass sie es ernst meinte. Dennoch funkelte da etwas in ihren grünen Augen, das nicht zu dieser Ernsthaftigkeit passte. Diese Frau war ihm ein Rätsel.

„War das dann alles?“, fragte sie mit einer gewissen Ungeduld in der Stimme. „Denn wenn nichts weiter anliegt, können Sie mich jetzt loslassen.“

Blitzartig zog er die Hände zurück. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, dass er sie immer noch festgehalten hatte.

„Ich verlange nur, dass Sie Ihre Arbeit ordentlich machen. Nicht mehr und nicht weniger“, sagte er ein wenig verlegen. „Gehen Sie jetzt noch auf einen Drink zu Ihrer Verabredung?“

Sie schüttelte den Kopf. Dabei setzte sich eine Wolke von betörendem Pfirsichduft frei. „Bobby ist nicht sehr geduldig. Er ist allein losgezogen, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich nicht wüsste, wie lange ich hier sein würde.“

„Das tut mir leid“, sagte Aidan. Dabei verspürte er nicht das geringste Bedauern.

„Wie leid tut es Ihnen denn?“

„Wie bitte?“

„Wenn es Ihnen wirklich leidtut, machen Sie es doch wieder gut. Spendieren Sie mir den Drink, um den Sie mich gebracht haben. Ich hatte einen grässlichen ersten Arbeitstag, wissen Sie. Ich habe mich stundenlang abgemüht. Und ich habe einen wirklich sehr fordernden Chef. Ich bin gestresst. Und ich brauche dringend ein wenig Entspannung.“

Sie schaute ihn herausfordernd an und strich sich eine Strähne ihres seidigen, blonden Haares hinter das Ohr. Den Pfirsichduft noch immer in der Nase, betrachtete Aidan sie verzückt.

Er sollte Nein sagen. Er sollte eine plausible Ausrede vorschützen. Bestimmt gab es noch Arbeit, die dringend erledigt werden musste. Er sollte sich an all die vielen guten Argumente erinnern, die eindeutig dagegen sprachen, mit Beth Walker auszugehen.

Stattdessen nahm er seine Schlüssel vom Schreibtisch, legte die Hand auf Beths Rücken und schob sie behutsam in Richtung Tür. Dabei versuchte er angestrengt, ein Lächeln zu unterdrücken. Denn er empfand gerade einen Anflug von Euphorie, als hätte er eine bisher unbekannte intakte ägyptische Grabstelle entdeckt.

„Sie haben Glück“, sagte er. „Ich bin heute in extrem versöhnlicher Stimmung. Lassen Sie uns etwas trinken gehen.“

4. KAPITEL

„Gehört das hier zu Ihren üblichen Jagdgründen?“

Angesichts von Aidans skeptischer Miene musste Beth sich ein Lachen verkneifen. Sie hatte gleich vermutet, dass ein spießiger Typ wie er einer Bar wie dieser nicht besonders viel abgewinnen konnte.

Doch das war nicht ganz fair ihm gegenüber. Denn Aidan war eigentlich gar nicht so spießig. Außerdem hatte Beth absichtlich an seine Schuldgefühle appelliert, und er war wider Erwarten darauf angesprungen. Er wollte ihr nicht nur einen Drink spendieren, er war auf dem Weg hierher auch noch sehr locker, entspannt und charmant gewesen. Beth fand seine Erzählungen über die zahlreichen Auslandsaufenthalte ziemlich spannend.

Es wäre natürlich einfacher für sie, ihn als spießig und langweilig zu betrachten. Und zu ignorieren, dass er eine immer größere Anziehungskraft aus sie ausübte und verdammt sexy und attraktiv war.

Doch sie durfte sich durch nichts und niemanden von ihrer Arbeit im Museum ablenken lassen. Sie hatte schon zu viel vermasselt. Jetzt musste sie unbedingt alles richtig machen und durfte nicht jedes Mal dahinschmelzen, wenn Aidan ihr tief in die Augen schaute. Darauf würde sie sich ab sofort konzentrieren. Und nur darauf. Für ihre eigene Galerie. Für eine gesicherte Zukunft. Denn danach hatte sie sich ihr ganzes Leben lang gesehnt.

Beth richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Umgebung und blickte sich um. Die Bar war in einem Dachgeschoss untergebracht und zum Bersten voll. Jeder Platz, ob nun auf einem Hocker an der verspiegelten Bar oder auf einem der roten Ledersofas oder – sessel, war mit Gästen belegt. Einige nahmen sogar stehend die spärlichen Zwischenräume ein oder saßen bei jemandem auf dem Schoß. Das laute Gelächter und Geplauder wurde noch von ziemlich abgefahrenem Acidjazz übertönt, der aus gigantischen Lautsprecherboxen dröhnte. Alles zusammen ergab einen Geräuschpegel, der Tote aufwecken konnte.

„Machen Sie sich keine Sorgen, Professor. Ich passe auf Sie auf.“ Sie hob ihr Martiniglas in seine Richtung, ließ ihre Hand aber sinken, als sie seinen ebenso missbilligenden wie fassungslosen Blick bemerkte. Nun sah er wirklich aus wie ein Professor.

„Wie haben Sie mich gerade genannt?“

„Professor“, murmelte sie in ihren Cranberry Martini.

„Aber warum?“, fragte er konsterniert.

Sie machte eine abwehrende Handbewegung und schüttete dabei ein wenig von der roten Flüssigkeit aus ihrem Glas auf seine Hose. „Oh Entschuldigung“, sagte sie und nahm eine Serviette zur Hand, um den Fleck abzutupfen.

„Nein, lassen Sie. Es geht schon“, knurrte er und hielt ihre Hand fest.

Sie versuchte, ruhig zu bleiben und ihre Hand nicht wegzuziehen. Entsetzt erkannte sie aufs Neue, welche Auswirkung seine harmlose Berührung auf ihren Körper hatte.

Schon in seinem Büro, als er sie festgehalten hatte, brauchte es ihre ganze Willenskraft, um sich nicht in seine Arme zu werfen.

Und jetzt hatte sie nichts Besseres zu tun, als auch noch mit ihm auszugehen. Es war zum Verrücktwerden. Wie üblich hatte sie nicht nachgedacht. Sie lebte für den Moment und traf ihre Entscheidungen nur nach Gefühl. Das war schon immer so gewesen.

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet“, sagte er und ließ ihre Hand los. „Warum Professor?“

„Das war nicht böse gemeint“, verteidigte sie sich. „Es ist nur so eine Art Spitzname.“ Sie leerte ihr Glas in einem Zug. Es war ihr ganz egal, dass Aidan sie bestimmt für maßlos halten würde. Das war auf jeden Fall besser, als auch noch sein Hemd zu bekleckern.

„Aber wir kennen uns doch kaum. Ganz zu schweigen davon, dass ich Ihr Vorgesetzter bin. Und da verpassen Sie mir einen Spitznamen. Sie sind ein erstaunlicher Mensch.“ Er hielt inne, um einen Schluck von seinem Bier zu nehmen. „Erzählen Sie mir doch ein bisschen über sich. Etwas, das nicht in Ihrem Lebenslauf steht.“

Beth drehte den Stil ihres Glases zwischen den Fingern. Sie beschloss, sich einen kleinen Scherz zu erlauben und Aidan etwas vorzuflunkern. Warum sollte sie nicht versuchen, ihn mit einem ungewöhnlichen Hobby und ihren Kenntnissen darüber zu beeindrucken? Im Hinblick auf seine Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit konnte das bestimmt nicht schaden.

„Ich sammle antike Wärmflaschen“, erklärte sie und unterdrückte angesichts seiner erstaunten Miene ein Kichern.

„Wie bitte?“

„Sie wissen schon, alte Wärmflaschen aus Porzellan oder Metall.“

In Wahrheit sammelte sie, abgesehen von Metallschrott für ihre eigenwilligen Kreationen, überhaupt nichts.

Lana dagegen besaß tatsächlich eine ansehnliche Sammlung antiker Wärmflaschen und hatte Beth in die Feinheiten ihrer Stücke eingeweiht. Nicht dass Beth sich auch nur im Geringsten dafür interessieren würde. Sie hatte Lanas Ausführungen aus reiner Höflichkeit zugehört. Jetzt kam ihr dieses Wissen zugute. Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass das Museum ebenfalls eine beachtliche Sammlung von Wärmflaschen ausstellte.

„Wirklich?“, fragte er ungläubig. „Erzählen Sie mir mehr davon.“

Beth versuchte, sich jedes langweilige Detail aus Lanas Erklärungen ins Gedächtnis zu rufen. Dabei wünschte sie sich, sie hätte ihren Martini nicht in Rekordzeit geleert. Sie hatte einen kleinen Schwips, der ihr Erinnerungsvermögen nicht gerade beflügelte. Außerdem fiel es ihr schwer, sich in Aidans Gegenwart zu konzentrieren.

„Nun, meine Sammlung reicht zurück bis ins Jahr 1890. Natürlich sind die älteren Exemplare nicht sehr praktisch, aber mir gefällte ihre Einzigartigkeit. Mein Lieblingsstück ist ein zylindrischer Fußwärmer von der Lambeth Pottery in London. Gleich danach kommt eine Wärmflasche aus Keramik von Bourne Denby. Sie hat die Form einer alten Arzttasche. Und dann habe ich noch ein sehr schönes Stück aus Porzellan in Form eines Kissens.“

Sie legte die Hand an den Mund, um vorzutäuschen, dass sie ihren Redefluss unterbrechen wollte. In Wahrheit war ihr Wissensschatz jedoch bereits erschöpft. „Tut mir leid, ich rede zu viel. So genau wollten Sie es wahrscheinlich gar nicht wissen.“

Er blickte sie forschend an. „Im Gegenteil. Sie haben ein faszinierendes Hobby. Ich würde gern mehr darüber erfahren.“

In Beth keimte der Verdacht auf, dass er sie gerade einem Test unterzog. Denn in seinen Augen stand ein seltsames Funkeln. Außerdem war ihm deutlich anzumerken, dass er innerlich schmunzelte.

Zu dumm, dass sie sich an keine weiteren Details über die Wärmflaschen erinnern konnte. Denn sonst hätte sie ihn damit zu Tode langweilen können. Allerdings war es fraglich, ob ein Archäologe sich bei einem solchen Thema überhaupt langweilen würde.

Sie machte eine abwehrende Geste. „Nein, ich finde, wir haben jetzt genug von mir gesprochen. Wie ist es mit Ihnen? Wollen Sie mir nicht auch ein paar dunkle Geheimnisse anvertrauen?“

Er lachte. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin ein Archäologe aus Leidenschaft, der für kurze Zeit seine Schaufel durch eine Aktentasche ersetzt hat.“

„Und warum?“

„Meinem Vater geht es gesundheitlich nicht so gut. Er hat mich gebeten, einige Monate lang für ihn einzuspringen. Ich fürchte, mehr als zwei, drei Monate sind bei mir aber nicht drin. Allein die Vorstellung, so lange hinter einem Schreibtisch sitzen zu müssen, macht mich wahnsinnig. Wenn ich nicht reisen kann, fühle ich mich nicht wohl.“ Er drehte die leere Bierflasche in der Hand und machte ein finsteres Gesicht.

„Die Arbeit als Museumsdirektor macht sich zwar gut im Lebenslauf, ist aber nichts im Vergleich zu aufregenden neuen Entdeckungen?“

„So kann man es ausdrücken.“

Obwohl Beth die Lust am häufigen Reisen bereits in ihrer Kindheit verloren hatte, wusste sie, was Aidan meinte. Für sie selbst war es auch eine schreckliche Vorstellung, an einen Schreibtischjob gefesselt zu sein. Jeden Tag dasselbe Gebäude zu betreten, viele Stunden in einem düsteren Raum sich immer wiederholende Pflichten zu erfüllen und täglich mit denselben Menschen zu tun zu haben.

Wenn Beth in der Stimmung war, konnte sie lange und hart arbeiten. Aber dazu brauchte sie die Freiheit, ihrer Inspiration zu folgen, wann immer sie wollte.

„Wie steht es mit Ihnen? Sind Sie viel gereist?“, fragte er in ihre Gedanken hinein.

Beth verspürte einen schmerzhaften Stich. Ja, sie war gereist. Aber wo sollte sie anfangen zu erzählen?

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater ein Nomadenleben begonnen. Er konnte den Verlust der Liebe seines Lebens nicht verwinden und kämpfte gegen den Schmerz an, indem er ständig davonlief. Und einmal damit angefangen, konnte er nicht mehr aufhören. Er hatte seine kleine Tochter quer durch Australien geschleppt, von Stadt zu Stadt, von Schule zu Schule. Sie blieben nirgendwo lange genug, um Freundschaften zu schließen. Beth war immer eine Außenseiterin, im besten Falle geduldet, im schlimmsten gehänselt.

Die endlose Suche ihres Vaters nach etwas, das die Leere in seinem Herzen ausfüllen würde, war kläglich gescheitert. Und sie hatte Beth eine einsame und trostlose Kindheit beschert. „Vor allem durch Australien“, antwortete sie zögernd. „Ich finde, Reisen wird allgemein völlig überbewertet.“

„Da ich meinen Lebensunterhalt damit bestreite, muss ich Ihnen entschieden widersprechen“, gab er lächelnd zurück.

Sein Lächeln vertrieb nicht nur ihre Traurigkeit, sondern nahm ihr auch den Atem. Hastig griff sie nach ihrem Glas, nur um festzustellen, dass es bereits leer war.

„Es gibt nichts, was an die Faszination der Verbotenen Stadt in Peking heranreicht. Oder an die architektonische Einzigartigkeit der Uspenski-Kathedrale in Helsinki. Oder an die lärmende Betriebsamkeit auf der Plaza de la Catedral in Havanna.“

An dem Leuchten in seinen Augen konnte sie erkennen, wie viel ihm das alles bedeutete. Unwillkürlich beugte sie sich vor. „Welche Stadt gefällt Ihnen am besten?“

„Rio de Janeiro“, antwortete er, ohne zu zögern. „Die Stadt ist atemberaubend schön und voller Gegensätze. Angefangen von der riesigen Christus-Statue auf dem Berg Corcovado und den zahlreichen Museen bis hin zu den Samba-Paraden beim Karneval und den Stränden der Copacabana. Rio de Janeiro zieht mich immer wieder an wie ein Magnet.“

Beth bemerkte, dass sie den Atem angehalten hatte. Zwar sehnte sie sich seit ihrer Kindheit danach, an einem Ort zu bleiben, aber bei Aidan hörte sich das Reisen auf einmal aufregend und verlockend an.

„Habe ich Sie überzeugt? Denken Sie daran, selbst einmal dorthin zu fliegen?“

Sie zuckte die Schultern. „Vielleicht.“ Sie hatte auch einmal davon geträumt, die Welt zu bereisen. Bis das Leben aus dem Koffer endgültig seinen Glanz verloren hatte. Jetzt sparte sie sich ihre Abenteuerlust für die Arbeit an ihren eigenwilligen Kreationen auf. Und für die Entdeckung verborgener Anziehungskraft bei Männern, die eigentlich für sie tabu waren. Wie beispielsweise bei dem männlichen Exemplar, das sie gerade vor sich hatte.

Ihre ausweichende Antwort verwunderte Aidan, und er musterte sie forschend. Um eventuelle Nachfragen zu vermeiden, beschloss Beth, das Thema zu wechseln. „Was war denn bisher Ihre größte Entdeckung?“

„Ich hätte eigentlich erwartet, dass eine tüchtige Museumsführerin wie Sie so etwas weiß“, erwiderte er mit einem ironischen Lächeln.

Dieses Lächeln und das Funkeln in seinen Augen beeinträchtigten ihre Fähigkeit, klar zu denken, ganz erheblich. Und als er sich zu ihr beugte und ihr sein angenehm männlicher Duft in die Nase stieg, tat sie das Dümmste, Verwegenste und Impulsivste ihres Lebens.

Sie küsste ihn.

In Aidans Kopf läuteten sämtliche Alarmglocken. Sie schrillten noch lauter, als Beth die Hand auf seine Brust legte.

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
Mehr erfahren
Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

Mehr erfahren
Jennie Adams
Jennie Adams liebt die Abwechslung: So wanderte sie schon durch den Australischen Kosciusko Nationalpark, arbeitete auf Farmen, spielte Klavier auf Hochzeitsfeiern, sang in einer Chorproduktion und hatte verschiedenste Bürojobs. Jennie lebt in einem kleinen Städtchen in New South Wales, wo sie einem Halbtagsjob nachgeht weil sie nach eigenen Angaben auch...
Mehr erfahren