Julia Gold Band 91

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DIE SÜSSE RACHE DES SCHEICHS von SANDRA MARTON
Gegen jede Vernunft gibt Grace sich ihrem Boss, dem feurigen Scheich Salim Al Taj, hin! Erst eine Nacht, dann noch eine - da beendet Salim plötzlich ihre heiße Affäre. Traurig beschließt Grace, ihn und den Job zu verlassen. Aber Salim entführt sie in seinem Privatjet, um sich quälend süß für ihren "Verrat" zu rächen …

DIE BRAUT DES SULTANS von SARAH MORGAN
"Was bildest du dir ein?" Wütend weist Society-Girl Farrah den Heiratsantrag von Sultan Tariq bin Omar zurück. Schließlich hat er sie vor fünf Jahren einfach sitzen lassen. Doch als der Wüstenprinz sie kurzerhand zwingt, mit in sein Reich zu kommen, spürt Farrah erneut dieses erotische Prickeln, das sie schon damals nahezu willenlos gemacht hat …

PALAST DER STÜRME von PENNY JORDAN
Auf einen Schlag könnte Claire ihre finanziellen Sorgen loswerden. Alles, was sie tun muss: eine Scheinehe mit Raoul D‘Albro führen und mit ihm in seinem Märchenpalast leben. Aber mit jedem Tag fühlt sie sich stärker zu Raoul hingezogen. Als er ihr einen verlockenden Vorschlag macht, steht sie vor einer schweren Entscheidung …


  • Erscheinungstag 13.03.2020
  • Bandnummer 91
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715090
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton, Sarah Morgan, Penny Jordan

JULIA GOLD BAND 91

1. KAPITEL

Es war die Art Dezembernachmittag, die der Fifth Avenue einen ganz eigenen Zauber verlieh.

Die Abenddämmerung war noch nicht hereingebrochen, dennoch erstrahlten die Straßenlaternen bereits in warmem Licht und vergoldeten die sanft vom Himmel herabfallenden Schneeflocken. Der gegenüberliegende Central Park war komplett von einer weißen Schicht bedeckt.

Der Anblick reichte aus, um selbst dem abgestumpftesten New Yorker ein Lächeln zu entlocken. Doch der Mann, der sechzehn Stockwerke über dieser anheimelnden Szenerie am Fenster stand, verzog keine Miene.

Warum sollte er lächeln, wenn er von kaltem Zorn erfüllt war?

Scheich Salim al Taj, Kronprinz des Königreichs Senahdar, stand bewegungslos da und umklammerte ein schweres Kristallglas mit Brandy. Ein zufälliger Beobachter hätte vielleicht vermutet, dass der Blick seiner hellblauen Augen auf das Winteridyll gerichtet war. Doch in Wirklichkeit nahm er seine Umgebung kaum wahr.

Nein, sein Blick war nach innen gerichtet. Noch einmal durchlebte er die Ereignisse des vergangenen Sommers – doch da holte ihn eine flüchtige Bewegung am äußeren Rand seines Blickfelds in die Gegenwart zurück.

Der Falke.

Für einen kurzen Moment schien der Raubvogel bewegungslos in der Luft zu verharren, dann ließ er sich elegant auf dem Terrassengeländer unterhalb des Fensters nieder – wie schon so oft in den vergangenen Monaten.

Dieser Falke gehörte nicht in die Stadt. Er passte nicht in die Asphaltwüste Manhattans, schon gar nicht zu dieser Jahreszeit, doch genauso wie Salim war der Vogel ein Überlebenskünstler.

Salim spürte, wie ein Teil seiner Anspannung nachließ. Er lächelte, prostete dem Vogel stumm zu und nahm dann einen tiefen Schluck Brandy.

Vor einem Jahr war der Falke zum ersten Mal hier aufgetaucht. Schnell hatte er die elegante Avenue und den Park zu seinem Revier erkoren – ganz so, als handle es sich dabei um grüne Wälder oder endlos weite Wüsten, die normalerweise sein Zuhause waren. Salim hatte ihm nur zu gern seine Terrasse überlassen. Er besaß noch zwei weitere – in jedem Stockwerk seines Penthouses eine, sodass es ihm nichts ausmachte, eine mit seinem ungewöhnlichen Gast zu teilen.

Der Falke liebte die Einsamkeit und vertraute seinen Instinkten. Er würde sich niemals besiegen lassen.

Salims Lächeln verblasste.

Auch er gab sich nicht geschlagen. Vor fünf Monaten hatte man ihn lächerlich gemacht, doch schon bald würde er die Beleidigung vergelten. Langsam hob er das Glas an die Lippen und trank den Rest des Brandys. Er rann wie flüssiges Feuer durch seine Kehle.

Noch immer übermannte ihn ein furchtbarer Zorn, wenn er sich erinnerte. Wie er belogen worden war. Wie er auf den ältesten Trick der Menschheit hereingefallen war.

Wie jene Frau ihn gedemütigt hatte.

Sie hatte ihn auf die schlimmste Art und Weise belogen, die man sich vorstellen konnte. Hatte ein Spiel gespielt, von dem er nie geglaubt hätte, ihm zum Opfer fallen zu können.

Wann immer sie in seinen Armen lag, hatte sie gelogen.

Mit ihren Seufzern. Dem verzückten Stöhnen. Dem atemlosen Wispern, das ihn beinahe um den Verstand gebracht hatte.

Verdammt!

Allein die Erinnerung reichte aus, um ihn zu erregen. Lügen, allesamt, und dennoch konnte er nicht vergessen, wie es sich angefühlt hatte, sie in seinen Armen zu halten. Diese seidige Hitze. Die Süße ihres Munds. Das Gefühl ihrer Brüste in seinen Händen.

Nichts davon war echt gewesen. Ihre sexuelle Erregung, ja. Aber dass sie nur ihn begehrte, ihn als Mann, stimmte nicht. Sie hatte ihn betrogen, mit ihm gespielt und ihn für die Wahrheit blind gemacht.

Bis sie ihm sogar seine Ehre geraubt hatte.

Oder wie sollte man es sonst nennen, dass er eines Tages aufgewacht war, nur um festzustellen, dass sie verschwunden war – und mit ihr zehn Millionen Dollar?

Rasender Zorn erfasste ihn. Salim wandte sich vom Fenster ab, durchquerte den eleganten Raum und trat an die Bar an der Wand. Die Flasche befand sich noch dort, wo er sie stehen gelassen hatte. Er öffnete sie und goss sich einen zweiten Drink ein.

Also gut. Ein Teil dessen war eine Übertreibung. Er war nicht wirklich aufgewacht und hatte festgestellt, dass Grace verschwunden war. Wie sollte das auch gehen, wenn sie nie eine ganze Nacht miteinander verbracht hatten?

Salim runzelte die Stirn.

Na ja, doch, einmal. Zweimal, vielleicht. Häufiger aber ganz bestimmt nicht, und auch nur, weil das Wetter so schlecht oder es schon so spät gewesen war. Aus keinem anderen Grund. Sie besaß ihr Apartment. Er hatte seins. Genauso mochte er es – immer, egal, wie lang die Affäre dauerte. Zu viel Zweisamkeit, ganz gleich, wie gut der Sex war, führte unweigerlich zu Vertrautheit, und Vertrautheit wiederum zu Langeweile.

Das letzte Mal, dass er ihr Bett verlassen hatte, war an einem Freitagabend gewesen. Er war zu einer Geschäftsreise an die Westküste geflogen. Als er eine Woche später nach New York zurückkam, war sie verschwunden. Und mit ihr zehn Millionen Dollar, aus seiner Investment-Firma unterschlagen, die er zu einem multinationalen Konzern ausgebaut hatte.

Unterschlagen aus einem Konto, zu dem ausschließlich er Zugang hatte.

Zehn Millionen Dollar, die nirgends auffindbar waren. Genauso wenig wie die Frau, die sie gestohlen hatte. Doch das würde sich schon bald ändern. O ja, sehr bald.

Bereits den ganzen Tag konnte er an nichts anderes denken. Seit dem Anruf des Privatdetektivs, den er eingeschaltet hatte, nachdem sowohl Polizei als auch FBI sich als unfähig erwiesen hatten. Während er auf den Mann wartete, konzentrierte er sich ganz auf diese Sache.

Fünf Monate. Zwanzig Wochen. Hundertvierzig Tage und ein paar Zerquetschte … und jetzt, endlich, würde er das bekommen, wonach er schon seit Langem hungerte – etwas, was seine Vorfahren sicher gutheißen würden.

Rache.

Ein weiterer Schluck Brandy, der wie Feuer brannte, obwohl ihn im Moment nichts wärmen konnte. Nicht mehr. Nicht, bis er das beendete, was im vorigen Sommer begann, als er Grace Hudson zu seiner Geliebten gemacht hatte.

Die Frauen, mit denen er sich einließ, waren ausnahmslos schön. Er hegte eine Vorliebe für kleine Brünette. Sie waren auch ausnahmslos charmant. Und warum sollte eine Frau sich nicht bemühen, einem Mann zu gefallen? Er vertrat durchaus moderne Ansichten, war in den Staaten ausgebildet worden, aber Tradition war nun mal Tradition, und eine Frau, die sich bemühte, die Wünsche eines Mannes zu erfüllen, war in der Lage, ihn auf längere Zeit an sich zu binden.

Grace entsprach nichts von alledem.

Sie war groß. So um die eins fünfundsiebzig – auch wenn sie ihm selbst in ihren Stilettos nur bis zur Schulter ging, konnte man sie wirklich nicht als klein bezeichnen.

Ihr Haar war auch nicht dunkel – es war honigblond. Als er sie das erste Mal sah, juckte es ihn den Fingern, ihr die Nadeln aus den Locken zu ziehen und zuzusehen, wie die goldene Mähne über ihre Schultern fiel.

Und was das Bemühen anging, einem Mann zu gefallen … Darum scherte sie sich keinen Deut. Sie war höflich und wortgewandt, aber auch direkter als jeder andere Mensch, dem Salim bis dahin begegnet war. Sie hatte zu allem eine Meinung und zögerte nie, sie auch zu äußern.

Ein unerwarteter Zufall hatte sie in sein Leben geführt. Sein Finanzchef – ein biederer, beinahe mürrischer Junggeselle mit Seitenscheitel, dicken Brillengläsern und keinerlei Sinn für Humor – war plötzlich in eine Midlife-Crisis geraten, die eine gefärbte Blondine einschloss und einen Porsche. An dem einen Tag saß der Mann noch an seinem Schreibtisch, und am nächsten lebte er mit Blondie in Miami.

Alle hatten gelacht.

„Diese Puppe hat ihn um den Verstand gebracht“, bemerkte einer der Mitarbeiter. Wie alle anderen hatte Salim mitgelacht, doch die Situation war durchaus ernst. Sie brauchten einen Ersatz, und zwar schnell. Salim tat das Naheliegende und beförderte den Assistenten des Mannes, Thomas Shipley.

Was eine weitere Lücke aufriss. Nun musste Shipleys vorige Position neu besetzt werden.

„Dominoeffekt“, meinte sein neuer CFO mit einem entschuldigenden Achselzucken, und Salim wusste, dass der Mann recht hatte. Er trug ihm auf, jemanden neu einzustellen. So eine einfache Sache. So eine verdammt einfache Sache …

Grace Hudson besaß einen Abschluss von Cornell und von Stanford. Sie hatte für zwei der angesehensten Firmen in der Wall Street gearbeitet. Sie war kompetent, gebildet, hoch qualifiziert, und wenn sie darüber hinaus auch noch die schönste Frau war, die er je gesehen hatte, welche Rolle spielte das schon?

Sie verhielt sich höflich, aber reserviert. Er genauso. Schon immer hatte er es sich zum Prinzip gemacht, niemals Berufliches mit Privatem zu vermischen, und außerdem war sie ohnehin nicht sein Typ.

Die Tatsache, dass ihre dunkle Stimme ihn bis in seine Träume verfolgte, dass er überlegte, wie sie aussehen würde, wenn ihre goldenen Locken ihr herzförmiges Gesicht umrahmten, oder dass er sich während des Vorstellungsgesprächs tatsächlich fragte, was sie unter ihrem Armani-Kostüm trug …

Nein, all das spielte keine Rolle. Zumindest redete er sich das ein und gab ihr den Job.

Drei Monate später schlief er mit ihr.

Es war ein Freitagabend. Sie hatten lange gearbeitet, und er bot ihr an, sie nach Hause zu bringen. Sie lebte in Soho. Er erwähnte, dass er am Sonntag zu einer Vernissage in ihrer Gegend eingeladen war. Ob sie ihn begleiten wolle? Er hatte nicht die Absicht gehabt, diesen Vorschlag zu machen, doch nachdem er es getan hatte, sagte er sich, dass es jetzt zu spät war, einen Rückzieher zu machen. Als sie zögerte, scherzte er, wie furchtbar diese Veranstaltungen normalerweise seien und dass sie ihn davor bewahren könne, vor Langeweile zu sterben, indem sie Ja sage.

Sie lachte und entgegnete, also schön, warum nicht? Sie tauschten einen höflichen Gutenachtgruß aus.

Auch am Sonntag benahmen sie sich ausgesprochen höflich, bis zu jener Sekunde, als er sie nach Hause brachte. Da begegneten sich ihre Blicke, und er wusste mit einem Mal, dass er sich die ganze Zeit nur selbst belogen hatte.

Ohne Vorwarnung griff er nach ihren Schultern und zog sie an sich.

„Nein“, wisperte sie, als er seinen Mund auf ihren senkte.

Ihre Lippen schmeckten unglaublich süß; ihre Küsse waren genauso feurig und stürmisch wie seine. Es war, als hätte er bis zu diesem Moment noch nie eine Frau geküsst. Ihr Geschmack wirkte auf ihn wie eine Droge. Ihre Augen verdunkelten sich so sehr, dass er am liebsten in ihren Tiefen versunken wäre.

„Salim“, hauchte sie, während er zärtlich ihr Gesicht umfasste, „Salim, wir sollten das nicht …“

Mit beiden Händen schlüpfte er unter ihren Blazer, streifte ihre Brustspitzen, und da gab sie dieses kleine erstickte Geräusch von sich, das er niemals vergessen würde. Im nächsten Moment hatte er sie gegen die Wand gedrängt, ihren züchtigen Rock hochgeschoben, das Spitzenhöschen abgestreift, und er war in ihr, ganz tief in ihr, während er ihre Schreie mit seinem Mund auffing und sich in ihr bewegte und sie für sich beanspruchte, so wie er es schon seit dem ersten Moment ihrer Begegnung hatte tun wollen, und zur Hölle mit der Tatsache, dass sie immer noch im Gang vor ihrem Apartment standen und jeder vorbeikommen und sie sehen konnte – zur Hölle mit richtig oder falsch, zur Hölle mit der Schicklichkeit!

Sie erlebte den Höhepunkt in seinen Armen, und als sie beide wieder atmen konnten, stieß sie den Schlüssel in die Tür, und er trug sie in ihr Schlafzimmer, wo er sie wieder und wieder liebte.

Er liebte sie die ganzen nächsten drei Monate. Wo immer sie konnten. In seinem Bett. In ihrem. Auf der Rückbank seiner Limousine, die dunkle Trennscheibe hochgefahren. In einem kleinen Hotel in Neuengland und einmal in seinem Büro – in seinem Büro! So sehr hatte sie ihn verhext, dass er nichts anderes um sich herum mehr wahrnahm.

Drei Monate dauerte ihre Affäre, und dann war sie plötzlich verschwunden.

Und mit ihr zehn Millionen Dollar und jegliche Illusionen, die er sich womöglich gemacht hatte.

Zuerst richtete sich seine Wut gegen Shipley. War ihr Lebenslauf von ihm richtig überprüft worden? Natürlich war er das, und irgendwann sah Salim ein, wem sein Zorn zu gelten hatte.

Sich selbst.

Er war auf den ältesten Trick der Welt hereingefallen. Auf die List einer Frau. Hatte ihren Lügen geglaubt, war von ihrer Schönheit geblendet gewesen und so sehr von Sex benebelt, dass er die Wahrheit nicht mehr sah … und warum, zur Hölle, ging er jetzt wieder alle Details durch?

Er kannte sie doch wohl wirklich zur Genüge. Hatte sie unzählige Male der Polizei erzählt, dem FBI, dem Privatdetektiv, hatte die anzüglichen Blicke ertragen, wenn er zugeben musste, dass er eine Affäre mit dieser Frau unterhielt, dass sie Zugang zu seinem privaten Büro, zu seinen Papieren, seinem Schreibtisch, seinem Computer gehabt hatte …

Niemand konnte sie oder sein Geld finden.

Dann rief an diesem Morgen der Privatdetektiv an.

„Euer Hoheit“, sagte er, „wir haben Miss Hudson lokalisiert.“

Salim holte tief Luft und arrangierte ein Treffen mit dem Mann. Hier. In seinem Zuhause. Er wollte nicht, dass seine Mitarbeiter etwas davon mitbekamen.

Die Gegensprechanlage piepste. Salim schaute auf die Uhr. Der Privatdetektiv war ein wenig zu früh dran. Sehr gut. Je eher er die Informationen erhielt, die er brauchte, desto besser.

„Ja?“, meldete er sich, nachdem er den Hörer abgenommen hatte.

„Hier ist ein Mr. Taggart, der Sie sehen möchte, Sir.“

„Schicken Sie ihn rauf.“

Salim trat auf den Marmorflur hinaus, verschränkte die Arme über der Brust und wartete. Kurz darauf öffneten sich die Türen des Privatlifts, und Taggart kam heraus. Er trug eine kleine schwarze Ledermappe unterm Arm.

„Euer Hoheit.“

„Mr. Taggart.“

Die Männer tauschten einen Handschlag. Salim bedeutete dem Detektiv, dass er ins Wohnzimmer vorangehen solle. „Möchten Sie ablegen?“

„Nein, danke“, antwortete Taggart, öffnete eine Aktenmappe, entnahm ihr einige Papiere und reichte sie Salim. Zuoberst befand sich ein Foto.

Salim hatte das Gefühl, ihm würde der Boden unter den Füßen entzogen werden.

„Grace Hudson“, sagte Taggart.

Salim nickte. Als wenn er die Auskunft gebraucht hätte! Natürlich war es Grace. Sie stand auf einer Straße, die überall sein konnte, und trug ein schickes Kostüm samt endlos hohen Pumps. Sie sah harmlos und unschuldig aus, und verdammt noch mal, sie war keins von beidem!

„Zurzeit lebt sie unter dem Namen Grace Hunter in San Francisco.“

Salim schaute auf. „Sie hält sich in Kalifornien auf?“

„Ja, Sir. Sie lebt dort. Arbeitet für eine Privatbank. Sie ist ihr Haupt-Revisor.“

Ein Rückschritt, nachdem sie bei Alhandra Investments bereits die Assistentin des CFO gewesen war, aber Grace war ja auch nicht in der Lage gewesen, ein Empfehlungsschreiben vorzuweisen. Salim runzelte die Stirn. Nicht, dass sie eins gebraucht hätte. Zehn Millionen Dollar, und seine ehemalige Geliebte arbeitete als Revisorin?

„Hunter war der Mädchenname ihrer Mutter. Clevere Diebe verfahren oft so. Sie verhält sich ganz unauffällig, und in ein oder zwei Jahren wird sie nach Brasilien reisen oder in die Karibik und anfangen, das Geld auszugeben.“

Salim nickte. Grace war clever, das ganz bestimmt. Aber nicht clever genug.

„Wie kommt es, dass weder die Polizei noch das FBI sie finden konnten?“

Der Detektiv zuckte die Achseln. „Die haben vermutlich dringendere Fälle aufzuklären.“

Salim betrachtete erneut das Foto. Irgendwie hatte er erwartet, dass sie verändert aussehen würde. Doch das tat sie nicht. Sie war immer noch groß und schlank, und ihre Augen waren weder braun noch grün, sondern irgendetwas dazwischen. Ihr wunderschönes Haar hatte sie wie immer zu einem Knoten geschlungen.

„Hat sie einen Liebhaber?“

Seine Stimme klang rau. Die Frage überraschte ihn. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu stellen. Die Antwort spielte keine Rolle, doch er war neugierig. Schließlich kannte er ihr sexuelles Verlangen. Sie war keine Frau, die lange ohne Mann blieb.

„Das habe ich nicht überprüft.“ Taggart lächelte schwach. „Allerdings scheint ihr Boss Interesse zu haben.“

Es war wie ein Schlag in die Magengrube. „Was soll das heißen?“, fragte Salim.

Der Detektiv zuckte erneut die Achseln. „Manchmal bringt er sie abends nach Hause. Und er nimmt sie mit zu einer Konferenz auf Bali. Sie werden sich eine Woche lang dort aufhalten.“ Wieder ein kleines Lächeln. „Sie wissen, wie das läuft, Euer Hoheit. Gut aussehende Frau, der Mann bemerkt es …“

Ja, er wusste, wie das lief. Und ob er es wusste! Und jetzt wusste er auch, warum sie in dieser Bank in San Francisco arbeitete.

„Kann nicht behaupten, dass ich es ihm verdenke, wenn Sie meine Mei…“

„Ich bezahle Sie nicht für Ihre Meinung, Taggart.“

Der Detektiv schluckte. „Nein, Sir. Ich wollte nicht …“ Er räusperte sich. „Alles, was Sie brauchen, finden Sie in der Akte. Die Adresse der Lady, der Ort, wo sie arbeitet, sogar der Name des Hotels auf Bali, in dem sie und ihr Boss … wo die Konferenz stattfindet.“

Salim nickte steif. Dass er im Gegensatz zu Taggart Grace nicht durchschaut hatte, musste er sich selbst zuschreiben.

Er legte dem Detektiv leicht die Hand auf die Schulter und brachte ihn zum Lift.

„Sie haben mir sehr geholfen.“

„Möchten Sie, dass ich die Behörden verständige, Euer Hoheit?“

„Nein, ab jetzt kümmere ich mich um die Angelegenheit. Schicken Sie mir einfach Ihre Rechnung – und vielen Dank für alles, was Sie getan haben.“

Taggart betrat den Aufzug. Salim wartete, bis sich die Türen geschlossen hatten. Dann ging er langsam zurück ins Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster.

Warum wollte er sich selbst um die Sache kümmern? Er hatte Kontakte zum State Department. Die Polizei konnte Grace zurückbringen, und dann käme es zu einer Gegenüberstellung zwischen ihnen.

Plötzlich bemerkte er, wie der Falke durch die Luft glitt, die Klauen ausfuhr und nach unten stürzte. Im nächsten Moment zappelte eine Beute in seinen Fängen. Als der Vogel erneut auf der Terrasse landete, bewegte sich die Maus nicht mehr.

Der Falke blickte sich forschend um, dann stürzte er sich auf seinen wohlverdienten Fang. Er hatte das getan, wozu er geboren worden war.

Salim schwor sich, es genauso zu machen.

Im nächsten Moment griff er nach seinem Handy. Der Pilot meldete sich nach dem ersten Klingeln.

„Sir?“

„Wie schnell können Sie einen Flug nach Bali vorbereiten?“

„Bali“, wiederholte der Pilot, als handle es sich lediglich um einen Flug nach Vermont. „Kein Problem, Euer Hoheit. Ich muss nur auftanken und den Flug anmelden.“

„Tun Sie es“, befahl Salim.

Dann beendete er das Telefonat, warf einen letzten Blick auf den Falken und eilte hinaus.

2. KAPITEL

Grace Hudson war stolz darauf, weit gereist zu sein.

Sie hatte an Universitäten studiert, die akademische Auslandsprogramme anboten, und diese auch in Anspruch genommen. Natürlich mithilfe von Stipendien, denn es war schon hart genug gewesen, mit Jobs in Fast-Food-Restaurants und Boutiquen genug Geld zu verdienen, um das Studium zu finanzieren. Aber sie war gut – warum unnötige Bescheidenheit vortäuschen? –, und so hatte sie ein Semester in London verbracht und ein weiteres in Paris.

Nach dem Studium arbeitete sie in New York bei zwei Brokerfirmen, die sie beruflich wiederholt ins Ausland schickten. Wieder nach London und Paris, Brüssel, Dublin und Moskau.

Fremde Länder waren ihr nicht neu.

Aber Bali? Einmal um den halben Globus herum? Wunderschöne Sandstrände, traumhaftes Wasser, strahlender Sonnenschein? Als sie erfuhr, wo sie hinreisen sollte, war sie erstaunt. Immerhin bekleidete sie die Stelle noch nicht allzu lang. Sie konnte kaum glauben, dass James Lipton der Vierte – ihr Boss bevorzugte den vollen Titel – ihr eine solche Chance geben wollte.

Erneut blickte sie auf die Broschüre, die er ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte.

‚Siebte jährliche SOPAC-PBA-Konferenz‘ prangte auf der Titelseite. Im Innern der Broschüre fand sie eine beeindruckende Liste an Rednern und Workshops.

„Sie wissen doch sicher, was die SOPAC-PBA ist, Miss Hunter?“, hatte Lipton sie auf seine kühle Art gefragt.

Miss Hunter. Der Name kam ihr immer noch ungewohnt vor. Sie hatte den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen nach – nach New York. Der Name kam ihrem wirklichen schon recht nah, sodass sie sich halbwegs wohl damit fühlte, zumal sie ihn wahrscheinlich eine Weile benutzen würde.

Nicht, dass sie sich wirklich Sorgen darum gemacht hätte, gefunden zu werden …

„Miss Hunter? Muss ich es Ihnen erklären?“

Grace schüttelte den Kopf. „Nein, Mr. Lipton. SOPAC-PBA ist die Abkürzung für die South Pacific Private Banking Association.“

„Bei dieser Konferenz können Sie eine Menge lernen, Miss Hunter. Fühlen Sie sich dem gewachsen?“

„Ja, Sir, das tue ich.“

Lipton nickte. „Ich nehme an, Sie fragen sich, warum ich ausgerechnet Sie ausgesucht habe, zu dieser Konferenz zu reisen?“

Was sollte sie dazu sagen? Nichts, denn Lipton beantwortete seine Frage bereits selbst.

„Ich bin mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden, Miss Hunter. Außerdem habe ich Grund zu der Annahme, dass unser CFO uns bald verlassen wird. Dann könnte es sein, dass Sie befördert werden. Die Konferenz ist eine hervorragende Gelegenheit, um dazuzulernen und wertvolle Kontakte zu knüpfen.“

Beförderung. In eine Position, die sie verloren hatte, weil sie zu spät herausfand, dass alles, was Salim getan hatte, nur seinen eigenen selbstsüchtigen Zielen diente …

„Miss Hunter?“

Grace blinzelte. „Ja, Mr. Lipton?“

„Sorgen Sie dafür, dass Ihre Sekretärin für uns beide die nötigen Buchungen vornimmt.“

„Für uns beide?“

„Natürlich. Ich werde die Konferenz ebenfalls besuchen. Sie ist sehr wichtig.“

Grace gab ihrer Sekretärin den entsprechenden Auftrag, doch Lipton hatte an den Arrangements einiges auszusetzen. Warum einen Linienflug buchen, wenn sie doch einen Vertrag mit einer privaten Charterfluggesellschaft hatten? Und die Hotelzimmer … Wieso hatte sie ein normales Zimmer für ihn reserviert, wenn er doch die Annehmlichkeiten einer Suite brauchte, in der er auch private Meetings und Arbeitsdinner abhalten konnte?

Grace entschuldigte sich und sagte, sie würde ihre Sekretärin anweisen, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen, doch Lipton wehrte ab. Er würde die Aufgabe seiner persönlichen Assistentin übertragen.

Mit gemischten Gefühlen begab sie sich schließlich auf die Reise nach Bali. Einerseits freute sie sich auf die berufliche Chance, die ihr geboten wurde, andererseits hatte sie wenig Lust, den Großteil der Woche mit James Lipton dem Vierten zu verbringen. Manchmal war er sehr brüsk, womit sie ja noch umgehen konnte. Doch er hatte noch etwas anderes an sich, das sie einfach nicht mochte. Es war nicht seine snobistische, arrogante Art, nein, da schien eine dunkle, geradezu grausame Seite an ihm zu sein …

Was natürlich völlig lächerlich war.

Lipton gehörte zu den Säulen der Gesellschaft. Nach ihm war ein Kunstzentrum benannt und ein Sportstadion. Seine Frau befand sich im Vorsitz von mindestens einem Dutzend Wohltätigkeitsorganisationen.

Als sie den Sicherheitsgurt in dem gecharterten Jet anlegte, schalt Grace sich innerlich eine Närrin. Sie musste den Mann nicht mögen, sondern lediglich als ihren Arbeitgeber respektieren.

Das war’s … Zumindest bis das Flugzeug sich in die Luft erhoben hatte.

Dann stellte sich heraus, dass James Lipton der Vierte, die Säule der Gesellschaft, ein echter Widerling war.

Sie hatten San Francisco kaum hinter sich gelassen, befanden sich gerade auf der endgültigen Flughöhe, da legte er die Attitüde des steifen Chefs ab und entpuppte sich als wahres Monster.

Er beugte sich zu ihr herüber, streifte ihre Schultern und sagte ihr, dass sie das private Schlafzimmer im hinteren Teil des Flugzeugs benutzen könne, falls sie müde sei.

„Vielen Dank, Sir, aber …“

„Mit mir zusammen, natürlich“, fügte er hinzu.

Hatte er das wirklich gesagt?

Zuerst schien es Grace völlig unmöglich. Sie musste ihn missverstanden haben. Vielleicht hatte sie sich angesichts des Motorenlärms verhört, weshalb sie einfach nicht antwortete.

Doch als er nach einem Buch griff, streifte er mit den Fingern ihre Brust, und es bestand kein Zweifel mehr. Als er sie nach einem Bericht fragte, legte er eine Hand auf ihren Schenkel.

Trotzdem versuchte Grace sich davon zu überzeugen, dass ihre Einbildung ihr einen Streich spielte. Das war naheliegend bei einer Frau, die eine derart schlechte Meinung von Männern hatte.

Dennoch ging sie auf Nummer sicher.

Sie vergrub sich in Arbeit. Oder vielmehr Pseudo-Arbeit. So lange starrte sie auf den Bildschirm ihres Laptops, dass sie schon ganz eckige Augen bekam. Als Lipton schließlich aufstand, um auf die Toilette zu gehen, schaltete sie rasch den Computer ab und wechselte auf einen Sitz auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs. Dort legte sie den Kopf zurück, schloss die Augen und gab vor, zu schlafen, bis der Pilot verkündete, dass sie in zehn Minuten landen würden.

Ein pinkfarbener Golfwagen wartete bereits auf sie. Lipton bestand darauf, ihr in den Wagen zu helfen. Dabei strich er mit einer Hand leicht über ihren Po.

„Ups“, sagte er mit seinem Ich-bin-doch-ein-vertrauensvoller-Banker-Lächeln.

Blödsinn, dachte sie kalt … und dann kam ihr in den Sinn, dass es vielleicht wirklich ein Versehen gewesen war. Vielleicht trieb ihre Fantasie schon abwegige Blüten. Vielleicht ließ sie einfach nur zu, dass die Taten des Don Juan von Senahdar ihr Urteilsvermögen trübten? Nein. Mittlerweile hasste sie Salim al Taj zwar, aber bis zu jenem Sonntagabend, als sie einander in die Arme gefallen waren, hatte er sie niemals auch nur berührt. Egal, was er sonst noch alles war – gefühllos, arrogant, herzlos –, er würde niemals eine Frau auf diese Weise begrapschen.

Der Golfwagen brachte sie bis zum Hoteleingang.

Das Erste, was sie sah, als sie die Lobby betrat, war ein großes Schild, das zur SOPAC-PBA willkommen hieß.

Doch dann schaute Grace nach unten und sah, dass Liptons Arm um ihre Taille lag und seine Hand direkt unter ihrer Brust ruhte. Sie zuckte zurück, was nur dazu führte, dass er seinen Griff verstärkte.

„Die Rezeption ist gleich dort vorne“, meinte er brüsk.

Grace schaute ihren Boss an. Sein Blick war auf den Empfang gerichtet, nicht auf sie. Es war beinahe so, als hätten er und seine Hand nichts miteinander zu tun. Was jetzt? Sollte sie sich wehren, seinen Arm abschütteln? Keine Zeit. Sie hatten bereits die Rezeption erreicht, wo Grace rasch zur Seite trat. Liptons Hand fiel hinunter.

Der Mann am Empfang lächelte ihren Chef zuvorkommend an.

„Sir?“

„James Lipton der Vierte“, erklärte ihr Arbeitgeber pompös.

„Natürlich, Mr. Lipton. Wir freuen uns sehr, Sie in unserem Haus begrüßen zu dürfen, Sir. Willkommen auf Bali.“

Der Rezeptionist würdigte Grace keines Blickes, aber warum auch? Lipton war die große Attraktion, und der hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf.

„Ich gehe davon aus, dass meine Suite bereitsteht?“

„Selbstverständlich, Sir. Wenn Sie hier unterschreiben würden … Wunderbar. Vielen Dank.“ Der Empfangschef schnippte mit den Fingern. Daraufhin erschien ein Page in einem bunt gemusterten Hemd mit kakifarbenen Shorts. „Wayan. Führe unsere Gäste in die Präsidentensuite.“

Der Junge griff nach ihrem Gepäck. Lipton streckte den Arm nach Grace aus, die blitzschnell zur Seite trat.

„Mein Name ist Hud… Mein Name ist Hunter“, erklärte sie freundlich. „Grace Hunter. Ich habe eine eigene Reservierung.“

„Unsinn“, schaltete sich Lipton ein, so als wäre Grace gar nicht da. „Miss Hunter ist meine Assistentin. Sie wird meine Suite teilen.“

„Ich bin nicht Ihre Assistentin“, versetzte Grace. „Ich bin die Haupt-Revisorin Ihrer Bank.“

Wie albern, das zu erwähnen. Zumindest schien das der Gesichtsausdruck des Hotelangestellten zu besagen.

„Ich meine“, erklärte sie bedächtig, „dass hier ein Fehler vorliegen muss. Ich habe ein eigenes Zimmer gebucht …“

„Grace.“ Lipton sprach sanft, dennoch war ein warnender Unterton herauszuhören. „Wir sind geschäftlich hier. Ich habe eine Suite mit zwei Schlafzimmern und zwei Bädern reserviert. Sie verfügt außerdem über ein Ess- und ein Wohnzimmer – alles, was wir brauchen, um uns ungestört mit anderen Konferenzteilnehmern zu treffen. Haben Sie ein Problem damit?“

Bei ihm klang es so vernünftig, doch ja, sie hatte ein Problem …

„Grace?“

Liptons Augen wirkten genauso kalt wie sein Tonfall. Was jetzt? Sollte sie vor dem Rezeptionisten eine Szene machen? Eine Möglichkeit suchen, nach San Francisco zurückzufliegen? Einen Job riskieren, den sie erst nach zwei langen Monaten gefunden hatte, weil sie kein Empfehlungsschreiben ihres letzten Arbeitgebers vorweisen konnte?

Niemand wusste besser als sie, was es hieß, von einem rücksichtslosen, mächtigen Mann abhängig zu sein.

„Grace? Ich habe Sie gefragt, ob Sie ein Problem damit haben, mir bei dieser Reise zu assistieren.“

Sie schaute ihn an. Seine Miene wirkte verächtlich, seine Augen eiskalt. Grace holte tief Luft.

„Überhaupt nicht“, erwiderte sie höflich. „Nicht, wenn Sie es so vernünftig darstellen.“

Lipton lächelte. Ein Hai hätte bestimmt freundlicher ausgesehen.

Sie folgten dem Pagen zu einer Suite, die die Hälfte des obersten Stockwerks einnahm und einen fantastischen Blick über Strand und Meer bot.

Doch für Grace war einzig und allein wichtig, dass ihr Bad nur von ihrem Schlafzimmer aus zugänglich war und sie beide Türen abschließen konnte.

Sie tat es, sobald der Page gegangen war, und zwei Tage lang sperrte sie nur auf, wenn sie auch bereit war, die Suite zu verlassen. Sie ignorierte Liptons Vorschläge, gemeinsam einen Drink zu nehmen. Sich zu Dinner oder Frühstück zu treffen. Sie gesellte sich nur dann zu ihm, wenn sie sicher war, dass auch andere Leute dabei sein würden. Er sagte nichts, doch die Spannung zwischen ihnen wurde immer größer, und sie vermutete, dass ihm bald der Kragen platzen würde.

Einflussreiche Männer, die noch dazu glaubten, dass ihnen die Welt gehörte, gaben sich nie geschlagen. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können, dass sie in eine solche Situation geriet? Etwas Ähnliches hatte sie doch gerade erst hinter sich gebracht!

Die große Karrierechance. Der Boss, der zuerst kalt und reserviert wirkte, doch nach ein paar extralangen Arbeitstagen immer zugänglicher wurde, gefolgt von einem angenehmen Nachmittag, den man streng genommen nicht mal als Date bezeichnen konnte. Und dann … und dann …

Grace stöhnte verzweifelt.

„Lügner“, wisperte sie, während sie auf die Bettkante sank. „Lügner, Lügner, Lügner.“

Sie holte tief Luft.

Warum musste sie ausgerechnet jetzt an ihn denken? Es lag bereits Monate zurück. Ihre Affäre war genauso zu Ende gegangen, wie sie begonnen hatte – mit einer Plötzlichkeit, die sie immer noch schockierte. Nicht, dass sie noch weiter darüber nachdachte. Zumindest hatte sie ihren Stolz gerettet – indem sie ihn verließ, ehe er es tun konnte.

„Grace?“ Das Klopfen an ihrer Tür klang laut und ungeduldig. Genauso wie Liptons Stimme. „Grace. Wir haben um acht einen Termin.“ Er rüttelte am Türknauf. „Und ich bin diesen Unsinn leid! Es gibt keinen Grund, die Tür zu verschließen.“

Und ob sie einen Grund hatte, die Tür abzusperren – genauso wie es nötig war, ihre Stelle zu kündigen, sobald sie wieder in den Staaten waren. Sie würde etwas anderes finden, selbst wenn sie kellnern oder in einem Supermarkt arbeiten musste. Beides waren anständige Arbeiten, und die Leute, mit denen man zu tun hatte, waren nicht ein solcher Abschaum wie ihr Boss.

„Verdammt noch mal, Grace, kommen Sie sofort aus diesem Zimmer heraus!“

Grace glättete den Rock ihres hellgrünen Seidenkleids, griff nach ihrer Handtasche, ging zur Tür und öffnete sie.

Der Gesichtsausdruck ihres Chefs war grimmig, doch in seine Augen trat bei ihrem Anblick sofort ein glühendes Funkeln. Furcht erfasste Grace.

Irgendetwas würde an diesem Abend geschehen. Das spürte sie.

Aber es würde nicht das sein, was Lipton plante.

Egal, was es kostete, das würde es nicht sein.

Das Treffen war halbwegs in Ordnung.

Drinks mit ein paar der Konferenzteilnehmer im wundervollen Garten des Hotels. Angenehmer Small Talk, Gelächter und Diskussionen über die Meetings, die sie alle über den Tag hinweg besucht hatten.

Aber Lipton machte es zu mehr als das.

Er stand so dicht bei ihr wie möglich. Immer wieder streifte sein Körper den ihren. Seine Hand lag auf ihrem Rücken, und seine Finger berührten die ihren, wenn er ihr einen Drink reichte, um den sie ihn nicht gebeten hatte und den sie auch nicht wollte. Außerdem sagte er ständig „wir“ und „uns“, und er benutzte ihren Namen auf eine Art und Weise, die ihm eine nicht vorhandene Intimität verlieh.

Es war unvermeidlich, dass die Leute es bemerkten. Grace sah die kühlen, abwägenden Blicke der Männer und die Art, wie die Frauen die Augen verengten.

Plötzlich legte Lipton seine Hand um ihren Arm und lächelte sie an. Sie konnte seinen Whiskey-Atem riechen. „Grace, mein Mädchen, du hast vergessen, mich daran zu erinnern, dass ich morgen früh einen Vortrag halte.“

„Ich habe Sie erinnert“, entgegnete sie ruhig. „Zweimal.“

„Zweimal.“ Lipton grinste die kleine Gruppe an, die sich um sie herum versammelt hatte. „Sie hat mich zweimal erinnert.“ Seine Hand bewegte sich von ihrem Arm zu ihrem Nacken. „Wer hätte gedacht, dass eine Frau, die so aussieht, sich Gedanken um den Terminkalender ihres Arbeitgebers macht?“

Schweigen, verlegenes Gelächter und ein paar anzügliche Blicke, die sich bei den halb gelallten Worten auf sie richteten. Grace sprach ganz ruhig.

„Lassen Sie mich los.“

„Komm schon, Darling, sei nicht albern. Wir sind hier alle Freunde.“

„Mr. Lipton, ich sagte …“

„Ich habe dich gehört, Darling. Jetzt hörst du mir zu. Ich fürchte, wir müssen auf das Dinner mit diesen netten Leuten hier verzichten. Jetzt geh zurück in die Suite und arbeite meinen Vortrag aus.“ Er lachte leise. „Neben einigen anderen Dingen.“

Grace versuchte, auf Abstand zu gehen, doch er verstärkte sofort seinen Griff.

Einer der Männer räusperte sich. „Lipton, ich muss schon sagen …“

„Was müssen Sie sagen?“, schoss Lipton zurück.

Der Mann warf Grace einen schnellen Blick zu, dann schaute er fort. „Nichts“, erwiderte er. „Gar nichts.“

Die Leute in der Gruppe zogen sich einer nach dem anderen zurück, bis Grace mit ihrem Boss allein war.

„Lass uns gehen“, bellte er, der geheuchelte Charme endgültig verflogen.

„Verdammt noch mal“, zischte Grace, „lassen Sie mich sofort los. Wenn Sie es nicht tun …“

„Was, wenn ich es nicht tue?“ Lipton grinste höhnisch. „Was willst du dann tun, Grace? Um Hilfe rufen? Dich vor allen Leuten lächerlich machen? Nicht nur deinen Job bei mir verlieren, sondern auch die Chance auf jede andere Stelle in der Finanzwelt?“ Ein weiteres Grinsen. „Komm schon, Darling, sag mir, was du tun willst, wenn ich dich nicht loslasse.“

„Sie muss gar nichts tun“, ertönte eine männliche Stimme. „Ich tue es für sie, Lipton, und wenn ich mit Ihnen fertig bin, dann können Sie von Glück reden, wenn die Ärzte Sie noch zusammenflicken können.“

Liptons Hand fiel wie ein Stein herab. Grace bewegte sich nicht. Ihr Herz raste. Sie kannte diese Stimme. Tief. Männlich. Voller Autorität und, jetzt im Moment, eiskalt vor Wut. Gott, ja. Sie kannte diese Stimme. Wusste, welchem Mann sie gehörte.

Langsam drehte sie sich um und sah ihn. Groß. Dunkelhaarig. Breitschultrig. Die blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte, gerade Nase, sinnlicher Mund, energisches Kinn …

Und ob sie ihn kannte.

Das war der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Das war der Kronprinz von Senahdar.

Das war der Mann, den sie hasste.

3. KAPITEL

Grace starrte ihn an, als wäre er eine Erscheinung.

Salim konnte es ihr kaum verdenken.

Sie hatte ihn um ein beträchtliches Vermögen gebracht, war geflohen, hatte einen anderen Namen angenommen, und sie rechnete ganz sicher nicht damit, dass ein Geist aus ihrer Vergangenheit urplötzlich hier auf Bali erscheinen würde. Der Schock auf ihrem Gesicht entschädigte ihn für einiges, auch wenn er sich gewünscht hätte, dass ihre Begegnung privaterer Natur gewesen wäre.

„Für wen halten Sie sich?“

Liptons scharfe Stimme durchbrach Salims Gedankengänge. Er kannte den Mann dem Namen nach. James Lipton der Dritte oder Vierte oder etwas ähnlich Albernes, ein prinzipientreuer Banker und hemmungsloser Verführer junger Frauen. Interessant, dass ausgerechnet Lipton und Grace sich gefunden hatten.

Wer verführte hier wen?

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt“, hakte der Mann ungeduldig nach. „Wer sind Sie? Und woher nehmen Sie die Frechheit, sich in eine private Unterhaltung einzumischen?“

„Nein“, wisperte Grace zitternd. Sie legte eine Hand auf den Arm ihres Chefs. „Mr. Lipton …“

„Mr. Lipton“, äffte Salim sie höhnisch nach. „Ist das deine neueste Masche? Spielst du diesmal die verängstigte Unschuld, Grace? Ich dachte schon, ich würde dich aus den Fängen eines echten Mistkerls retten, aber vielleicht habe ich auch nur eine ausgeklügelte Verführungsszene gestört?“

„Wie haben Sie mich gerade genannt?“, echauffierte sich Lipton.

„Salim, bitte …“

Graces Boss drehte sich zu ihr um. „Du kennst diesen Mann?“

„So viele Fragen“, spottete Salim, während er seinen Gegner kalt musterte. „Beantworten wir sie doch der Reihe nach. Was ich hier tue? Das ist einfach. Ich bin geschäftlich hier. Ob Ihre charmante Begleitung mich kennt?“ Ein eisiges Lächeln. „Sie kennt mich sehr gut. Auf intime Art und Weise, könnte man sagen.“

Grace wurde flammend rot.

„Und wie ich Sie genannt habe … ich habe Sie als Mistkerl bezeichnet, Lipton. Mein Name ist übrigens Salim al Taj.“

Kein Titel. Kein „Scheich“ oder „Kronprinz“. Das hatte Salim gar nicht nötig. Grace bemerkte, wie ihr Chef leichenblass wurde.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich darüber gefreut hätte, dass ihr Liebhaber eine solche Macht besaß. Jetzt ließ es sie lediglich erschauern.

„Sie meinen – Sie meinen, Sie sind der Kopf von Alhandra Investments? Sie sind der Scheich? Der Kronprinz von Senahdar?“

„Wie ich sehe, haben Sie von mir gehört“, entgegnete Salim sarkastisch.

Lipton schluckte schwer. „Euer Majestät. Euer Hoheit. Sir. Ich … ich bitte um Verzeihung. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Lady und Sie … dass die Lady … wenn ich gewusst hätte …“

„Wir sind nicht …“, wandte Grace verzweifelt ein und schaute von einem Mann zum anderen. „Ich meine, ich bin nicht … der Scheich und ich, wir sind nicht …“ Wie hieß es doch gleich, dachte sie fieberhaft. Vom Regen in die Traufe.

Salim legte einen Arm um ihre Taille.

„Ein Streit unter Liebenden“, erklärte er wegwerfend. Sein stechender Blick begegnete dem von Grace. „Oder täusche ich mich, habiba? Vielleicht wäre es dir lieber, wenn ich ginge?“

Es hatte eine Zeit gegeben, als sie bei dem Kosewort weiche Knie bekam. Jetzt, wo sie wusste, dass er es ironisch meinte, war es nicht mehr als eine Obszönität.

„Zeit, Farbe zu bekennen, Sweetheart“, fuhr Salim sanft fort. „Entscheide dich, und zwar schnell.“

Eine Entscheidung, dachte sie und unterdrückte nur mit Mühe ein hysterisches Lachen. Sollte sie Salim wegschicken und sich Lipton ausliefern? Sie machte sich keine Illusionen darüber, was der Mann von ihr wollte.

Allerdings machte sie sich auch keine Illusionen hinsichtlich Salims. Sie wusste, wonach es ihn verlangte.

Rache.

Ein Mann wie er konnte nicht zulassen, dass sein Ego derart verletzt wurde. Er war wütend darüber, dass sie ihn ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte – oder noch schlimmer, dass sie ihn verlassen hatte, ehe er es tun konnte.

Sein Griff um ihre Taille verstärkte sich. „Also? Kommst du mit, oder soll ich dich hierlassen?“

Er klang wie ein Mann, der ganz genau wusste, dass eine Frau ihn niemals abweisen würde, doch der Druck seiner Hand machte deutlich, dass ihm allmählich die Geduld riss. Natürlich konnte es nur eine Antwort geben. Wenn Lipton sah, wie sie mit Salim davonging, würde sie später nicht fürchten müssen, dass er sich ihr erneut aufdrängte, wenn sie allein waren.

Grace holte tief Luft. „Gib mir einen Drink aus“, schlug sie betont lässig vor, „und wir unterhalten uns über alte Zeiten.“

Salims Augen funkelten. Alte Zeiten, in der Tat!

Er führte sie vom Hotel weg einen kleinen, ausgetretenen Pfad zum Strand hinunter. Dass sie sich so schnell entschloss, hätte er nicht erwartet. Vielleicht war die Szene, auf die er da gestoßen war, doch das, wofür er sie anfangs gehalten hatte: ein Schwein, das eine Frau bedrohte, die nichts mit ihm zu tun haben wollte. Zumindest war das sein erster Eindruck gewesen, weshalb er Lipton am liebsten zusammengeschlagen hätte. Nicht mal ein verlogenes Biest wie Grace verdiente es, so behandelt zu werden.

Doch ein Großteil seiner Reaktion hatte nichts mit Ritterlichkeit zu tun.

Sie gehört mir, dachte er, als er die schmierigen Finger des Bankers auf ihrem Arm sah. Er reagierte so, wie jeder andere Mann es auch getan hätte, der miterleben musste, wie eine Frau, mit der er mal zusammen gewesen war, von einem anderen berührt wurde. Gegen den Testosteron-Ausstoß konnte er nichts machen. Es ging also gar nicht so sehr um Grace an sich.

Ach was, ihm war völlig egal, wen sie gerade verführte oder mit wem sie schlief. Ihm war nur wichtig, dass er sie von der Insel schaffte.

„Salim.“

Dass er sie gefunden hatte und nun vor Gericht brachte.

„Salim!“

Glaubte sie, ihn aufhalten zu können? Dass er sie vor Lipton retten und dann einfach gehen lassen würde? Nicht in hundert Jahren würde das passieren. Und was den Rest anging, die Tatsache, dass sie ihn verlassen hatte … Ja, es ärgerte ihn. Das war doch verständlich! Frauen kamen und gingen im Leben eines Mannes, aber wann eine Affäre endete, das bestimmte immer noch der Mann. So hatte es die Natur vorgesehen. Doch darum ging es hier nicht.

„Bist du taub?“, rief Grace und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. „Lass mich los!“

„Hör auf, dich zu beschweren“, knurrte er, „und sei dankbar, dass ich deinem Möchtegern-Liebhaber nicht die Wahrheit über dich erzählt habe.“

„Er ist nicht mein Möchtegern-Liebhaber, und was du über die Wahrheit weißt, würde in einen Fingerhut passen!“

Salim wirbelte sie so plötzlich herum, dass sie taumelte. Er packte sie an den Schultern. Aus irgendeinem Grund hatte er erwartet, dass sie … verändert wäre. Aber wie? Dass sie wie die Kriminelle aussah, die sie war? Bleich? Verzweifelt? Panisch? Stattdessen sah sie noch genauso aus wie zu der Zeit, als sie ihm gehört hatte. Wunderschön. Elegant. Unschuldig – und war das nicht wirklich eine absurde Wortwahl, um eine Frau wie sie zu beschreiben?

„Warum schaust du mich so an?“

Er lachte grimmig. „Wie schaue ich dich denn an, habiba? Oder wie genau sollte ich eine Flüchtige ansehen?“

Oh, ihr Gesichtsausdruck war wirklich unbezahlbar! Perplex. Entsetzt. Und dann – und dann, bei Ishtar, war das etwa ein Lächeln? Lachte sie? Über ihn? Wagte sie es tatsächlich?

Salims Griff verstärkte sich. Er hob sie auf die Zehenspitzen. „Worüber lachst du?“

„Du tust mir weh!“

„Beantworte meine Frage. Was findest du derart witzig?“

„Dich“, fauchte Grace. „Dich und dein … dein überdimensionales Ego.“

„Du möchtest dich über Egos unterhalten, habiba? Wie wäre es denn mit deinem? Hast du wirklich geglaubt, du hättest deine Spur so gut verwischt, dass ich dich nicht finden würde?“

„Ich habe überhaupt nichts verwischt!“

„Ach ja? Und seit wann heißt du Grace Hunter?“

„Seit ich beschlossen habe, dass ich nicht von dir gefunden werden will. Nicht, dass ich wirklich damit gerechnet hätte, du würdest es versuchen. Ich meine, warum sollte es dich kümmern, dass ich unsere Affäre beendet habe?“ Sie warf den Kopf zurück; eine Trotzreaktion, die er nur zu gut von ihr kannte. „Das Einzige, was du mir übel nimmst, ist die Tatsache, dass ich den ersten Schritt gemacht habe.“

Das hatte ihm tatsächlich nicht gefallen, kein bisschen. Aber deshalb hatte er sie nicht gesucht. Er besaß zehn Millionen Gründe, sie zu verfolgen, und das Ende ihrer Affäre war keiner davon.

„Du lässt eine Kleinigkeit aus, Darling, oder?“, stellte er mit seidenglatter Stimme fest.

„Nein, das tue ich nicht.“ Sie hob das Kinn. „Unsere Beziehung war am Ende. Ich wusste es und du auch. Was soll ich da ausgelassen haben?“

Salims Lippen wurden zu einer dünnen Linie. Natürlich hätte er damit rechnen müssen, dass sie so reagieren würde. Grace war ja nicht dumm. Nie im Leben würde sie freiwillig die Unterschlagung zugeben.

„Du hast den Part vergessen, in dem ich dich finde und nach New York zurückbringe.“

Ihre Augen weiteten sich. „Bist du etwa deshalb hier?“

„Hast du ernsthaft geglaubt, ich wäre hier, um mich bei einer öden Konferenz zu Tode zu langweilen?“

„Aber – aber warum willst du mich nach New York zurückbringen?“

„Das ist wirklich gut, Grace. Spiel weiter deine Spielchen.“ Salim zog sie an sich. Sie wehrte sich, doch er war stärker. Ihre Zappelei führte nur dazu, dass sie genau dort landete, wo er sie haben wollte – dicht an ihn gepresst. „Aber es wird nicht funktionieren. Was glaubst du denn, wie oft du einen Mann zum Narren halten kannst?“

„Wovon redest du? Wie kommst du auf die Idee, dass ich zustimmen würde, mit dir zurückzufliegen?“

„Wer hat etwas von Zustimmung gesagt?“ Seine Stimme klang gefährlich leise. „Du wirst mit mir kommen und dich für deine Taten verantworten, weil ich genau das von dir verlange, habiba.“

Sie starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

Vielleicht hatte er das wirklich.

Sie so eng an sich zu spüren brachte viel zu viele Erinnerungen zurück.

Das Gefühl ihres verführerischen Körpers in seinen Armen. Die Weichheit ihrer Brüste. Der aufreizende Schwung ihrer Hüften …

„Nicht“, wisperte sie, und erst in diesem Moment realisierte er, wie erregt er war …

Die Art und Weise, wie sie ihn anschaute, sagte alles, was er wissen musste.

„Nicht“, wiederholte sie, doch da umfasste er bereits ihr Gesicht.

„Was soll ich nicht tun, habiba?“, raunte er, dann hörte er auf zu denken, senkte den Kopf und küsste sie.

Innerhalb eines Herzschlags gehörte sie wieder ihm.

Ihre Lippen teilten sich. Ihr Atem vermischte sich mit dem seinen. Sie hob die Hände, klammerte sich am Revers seines Dinnerjacketts fest und ging auf die Zehenspitzen.

Salim stöhnte. Im nächsten Moment griff er nach ihrem Rock und schob ihn bis über ihre Schenkel hoch. Grace flüsterte etwas, schmiegte sich noch enger an ihn und seufzte verzückt, als er mit der Hand über ihre bloße Haut strich und die feuchte Hitze ihrer Erregung entdeckte.

Sie gehörte ihm. Ihm, ihm, ihm …

Was zur Hölle tat er da?

Salim fluchte, packte Grace an den Schultern und stieß sie von sich. Sie taumelte. Benommen starrte sie ihn an, ganz so, als sei sie noch immer vom Verlangen gefangen, doch er wusste es besser. Er war derjenige, der vollkommen die Kontrolle verloren hatte – sie war diejenige, die die Szene geplant hatte.

„Verdammt noch mal“, fauchte er heiser. „Glaubst du wirklich, dass das noch einmal funktioniert?“

Immer noch starrte sie ihn stumm an, dann schüttelte sie den Kopf, wie um wieder zu sich zu kommen. Oh, sie war wirklich gut!

„Was hast du gesagt?“

„Du hast mich verstanden. Es wird nicht funktionieren, habiba. Diesmal bin ich gewarnt.“

Ihre Lippen zitterten. Sie sah so verzweifelt aus. Mit Mühe unterdrückte er das dumme Bedürfnis, sie wieder in die Arme zu ziehen. Gott sei Dank. Denn nur eine Sekunde später hatte sie sich wieder gefasst. Er musste zugeben, sie erholte sich wirklich schnell.

„Und ich bin es auch, Scheich Salim. Du bist den ganzen weiten Weg umsonst gekommen. Ich kehre nicht nach New York zurück.“

Er lächelte. „Ach, wirklich nicht?“

„Nein, wirklich nicht. Ich fliege nicht nach New York, und ich habe keine Lust, dieses Gespräch weiterzuführen.“

Grace drehte sich auf dem Absatz um und ging. Er wartete einen Augenblick, dann rief er ihr hinterher.

„Grace!“

Sie reagierte nicht, sondern ging einfach weiter. Salim wurde lauter.

„Du hast keine Wahl, habiba. Hier bist du erledigt.“

Das saß. Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

„Ah“, murmelte er sanft, „schau dir dein Gesicht an, Darling. So schockiert. Aber was hast du denn erwartet? Hast du Lipton an der Nase herumgeführt? Hast du ihm mehr versprochen, als du zu geben bereit warst? Ging es darum bei der kleinen Szene, die ich gestört habe?“

„Wie kannst du es wagen, so etwas zu mir zu sagen?“

„Ja, vielleicht täusche ich mich. Vielleicht hat er dich wirklich bedroht.“ Salim ging auf sie zu, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an, sodass sie ihn ansehen musste. „Aber warum sollte ich mir darum Gedanken machen? So wie die Dinge liegen, muss ich keinen Finger rühren, um dich in mein Flugzeug zu bekommen. Du steckst in Schwierigkeiten, Grace. Er wird mit dir abrechnen wollen, entweder indem er seinen Einfluss gegen dich verwendet …“ Er beugte sein Gesicht zu ihr herunter. „Oder indem er im Hotel auf dich wartet. Sobald er dich allein erwischt, wird er dir die Hölle heißmachen.“

Grace erstarrte. „Nein, das wird er nicht. Er hat Angst vor dir.“

„Ich habe ihn gedemütigt. Das ist ein Unterschied. Er wird sich rächen wollen, und wenn du jetzt zu ihm zurückgehst, dann wird er glauben, dass ich fertig bin mit dir. Das bringt ihn natürlich wieder ins Spiel.“

„Du bist widerlich“, zischte sie mit zitternder Stimme.

„Falsch. Ich bin nur ehrlich, habiba. An mir kann er sich nicht rächen, aber das braucht er auch nicht. Er hat ja dich.“

Tränen schimmerten in ihren Augen – eine kullerte schließlich ihre Wange hinab. Salim kämpfte gegen das Bedürfnis, sie zu trösten. Nur ein Idiot würde das tun. Grace war eine exzellente Schauspielerin. Wer wusste das besser als er?

„Du täuschst dich“, erwiderte sie rasch. „Ich gehe ins Hotel zurück, nicht zu ihm.“

„Das ist dasselbe. Du teilst sein Zimmer.“

„Seine Suite“, korrigierte sie sofort. „Eine Firmen-Suite. Ich wusste nichts davon, bis wir …“ Grace presste die Lippen zusammen. Warum erklärte sie ihm das überhaupt? Es war mehr als unklug, ihre Angst zu zeigen.

„Lass mich los“, verlangte sie kühl.

Er zögerte, ließ dann jedoch langsam die Hand sinken.

„Guter Versuch“, erklärte sie mit einem kleinen Lächeln. „Du hättest mich beinahe in Panik versetzt. Doch, tut mir leid, das gelingt dir nicht. Lipton ist ein Schwein, aber es gibt keine Frau, die mit einem Schwein nicht allein fertig wird.“

„Du warst schon immer so verdammt überzeugt von dir, habiba. Diesmal, fürchte ich allerdings, begehst du einen Fehler. Nur für den Fall der Fälle …“ Salim holte seinen Schlüssel aus der Tasche und warf ihn ihr zu. Grace fing ihn ganz automatisch auf. „Ich bewohne eine der Villen am Strand. Nummer 916.“

„Ich würde nicht mal dann kommen, wenn es die letzte Zuflucht auf Erden wäre.“

Mein Gott, klang das pathetisch, aber in diesem Moment fiel ihr nichts Besseres ein. Mit hocherhobenem Kopf drehte sie sich um und ging den Pfad zum Hotelgarten hinauf. Ob Salim ihr hinterherschaute? Sie hätte gern einen Blick über die Schulter geworfen, aber diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht.

Was für ein herzloser Bastard!

Nur ein Mann mit absolut übersteigertem Ego flog um die halbe Welt, um zu beweisen, dass sie ihn nicht verlassen konnte, ehe er dazu bereit war.

Dass er tatsächlich glaubte, sie würde mit ihm nach New York fliegen, und dass er sie als Flüchtige bezeichnete, nur weil sie ihn verlassen hatte …

Lächerlich!

Als sie den Garten erreichte, verlangsamte Grace den Schritt.

Wenn es so lächerlich war, warum hatte sie dann zugelassen, dass er sie küsste? Und warum hatte sie den Kuss erwidert? Wieso wünschte sich ihr dummes Herz für einen Moment, dass er gekommen war, weil er sie brauchte?

Wie dumm, so etwas auch nur zu denken! Salim brauchte niemanden. Das Einzige, was er verstand, war Leidenschaft. Wie man eine Frau berührte, dass sie alles andere um sich herum vergaß, sodass sie ihn schließlich anflehte, sie zu der Seinen zu machen …

„Da bist du ja.“

Sie zuckte zusammen, als Lipton aus den Schatten trat. Er packte ihr Handgelenk und grub seine Finger schmerzhaft in ihr Fleisch.

„Was ist passiert, Grace? Ist die Versöhnung nicht wie geplant verlaufen?“

Grace pochte das Herz bis zum Hals. Es war schwer, sich die Angst nicht anmerken zu lassen, doch genau das musste ihr gelingen.

„Lassen Sie mich los“, forderte sie ihn ruhig auf.

„Oder war es so, dass der mächtige Scheich nur einen Quickie am Strand wollte? Du wirst feststellen, dass das bei mir anders ist. Ich erwarte stundenlanges Vergnügen, Grace. Manche Frauen finden es übermäßig, aber ich bin sicher, dass du nicht dazugehörst.“

„Kriegen Sie das doch endlich in Ihren Kopf rein“, zischte sie. „Ich werde nicht mit Ihnen schlafen!“

„Das hoffe ich doch. Schlafen ist nämlich nicht das, was ich im Sinn habe.“

Grace spielte ihren letzten Trumpf aus. Sich auf Salim zu berufen vermittelte ihr zwar das Gefühl der Hilflosigkeit, doch ihr blieb keine andere Wahl.

„Der Scheich wird Sie umbringen, wenn Sie mich anfassen.“

Lipton lächelte. „Er ist fertig mit dir, Grace. Ich sehe da kein Problem.“

Seine Finger gruben sich in ihre Oberarme – so fest, dass sie nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken konnte. Eher würde sie sich die Zunge abbeißen, als ihn um Gnade zu bitten.

„Weißt du, Grace, wenn er eine echte Bedrohung für dich und mich wäre – für unsere Beziehung …“

„Wir haben keine Beziehung!“

„Natürlich haben wir die, und warte erst mal ab, wie aufregend sie sein wird.“ Lipton beugte sich zu ihr hinunter. Wenn sein Atem zuvor leicht nach Whiskey gerochen hatte, so stank er jetzt regelrecht danach. „Wie ich bereits sagte – wenn dein Ex eine echte Bedrohung gewesen wäre, dann hätte er dich über Nacht bei sich behalten, anstatt dich innerhalb kürzester Zeit in die Wüste zu schicken.“

Grace blinzelte. Dann lachte sie. Sie konnte nicht anders. Hatte Hollywood nicht einst Filme aus so etwas gemacht? Grausame Schurken und hilflose Heldinnen …

Ihr Lachen wurde zu einem Schmerzensschrei, als Lipton beinahe ihren Arm zerquetschte.

„Ich werde noch einen Drink mit meinen Freunden nehmen, während du in mein Schlafzimmer gehst und dich für mich bereit machst. Ich gebe dir eine halbe Stunde, keinesfalls länger, und wenn ich die Tür öffne, dann sorgst du besser dafür, dass diese Reise die Demütigung wert war.“

„Nein. Nein! Sie werden mich nicht berühren. Sie werden niemals …“

Lipton gab ihr einen Stoß. Grace strauchelte. Im nächsten Moment stürzte er sich erneut auf sie, und da beherzigte sie einen alten Rat ihres ehemaligen Judolehrers.

Das Knie einer Frau konnte eine exzellente Waffe sein.

Sie bewegte sich schnell. Lipton stöhnte, taumelte und ging zu Boden.

Grace drehte sich um und rannte davon.

4. KAPITEL

Man hatte Salim gesagt, dass die Villen des Hotels wunderschön und sehr großzügig geschnitten seien.

Das mochte ja stimmen, doch er verschwendete nicht einen Gedanken an die Annehmlichkeiten seiner Umgebung. Wenn ein Mann die Absicht hatte, eine Diebin festzusetzen, dann scherte er sich nicht um Ästhetik.

Jetzt, wo er unruhig in der Villa hin und her wanderte, fand er allerdings, dass „großzügig“ ein Vorteil war. Immerhin verschaffte es ihm die Möglichkeit, durch jeden Raum zu tigern, ohne das Gefühl zu haben, die Wände erdrückten ihn.

Wo war Grace?

Salim warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Warum hatte er zugelassen, dass sie zu Lipton ins Hotel zurückging? Zunächst war es ihm wie eine gute Idee vorgekommen. Sollte sie doch schmollen, so viel sie wollte. Wenn sie erst einmal zur Vernunft gekommen war, würde sie schon einsehen, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit ihm nach New York zurückzukehren – und zwar als seine Gefangene.

Sie war eine Diebin, aber keine Närrin.

Natürlich wusste sie, dass sie in der Falle saß. Die Tage der Freiheit waren vorbei. Warum sollte er sich die Mühe machen, einen Auslieferungsantrag zu stellen? Wenn sie ihn nicht freiwillig begleitete, würde er die Medien auf die Story ansetzen. Es war völlig zwecklos, sich dem Unvermeidlichen zu widersetzen.

Sich stattdessen Lipton auszuliefern … Nein. Das würde sie nicht tun. Salim war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass sie die Wahrheit gesagt und den Banker nicht umgarnt hatte.

Insofern war es völlig logisch, ihr genug Zeit und Raum zu geben, um zur Vernunft zu kommen.

Absolut logisch … nur, wenn dem so war, wo blieb sie dann jetzt?

„Hör auf damit“, ermahnte sich Salim laut.

Er zerbrach sich unnötig den Kopf. Selbst wenn die Sache nicht so lief, wie er sich das vorgestellt hatte, was machte das schon? Es spielte doch keine Rolle, ob Grace freiwillig zu ihm kam oder ob er sie am nächsten Morgen holte. Eine Flucht war ausgeschlossen. Diesen Teil Balis konnte man nur per Privatflugzeug oder per Boot verlassen, und er hatte eine beträchtliche Summe investiert, damit er sofort benachrichtigt wurde, sollte sie auf dem kleinen Airport oder im Hafen auftauchen.

Gut. Warum, verdammt noch mal, hinterließ er dann schon Fußabdrücke auf dem Marmorboden der Villa?

Weil alles viel einfacher wäre, wenn sie zu ihm käme. Er hatte keine Lust auf eine Szene. Vermutlich würde sie protestieren, sich wehren, vielleicht sogar um sich treten und schreien …

Allerdings wusste er ganz genau, wie er sie zum Schweigen bringen konnte.

Er würde sie in die Arme ziehen und ihren Mund mit seinem bedecken.

Grace würde sich wehren, vielleicht sogar versuchen, ihn zu beißen, doch letztendlich würde sie sich ganz dem Kuss hingeben, so wie sie es vor gar nicht allzu langer Zeit auch getan hatte.

Gott, dieser Kuss.

Ihre weichen Lippen. Ihre süßen Seufzer. Sie waren ihm so vertraut, und dennoch genügte es, um ihn zu erregen.

Was, zum Teufel, tat er da? Sich in erotischen Erinnerungen zu verlieren war ungeheuer dumm – insbesondere in Bezug auf eine Frau, die er gar nicht wollte … außerdem war er es leid, sich zu fragen, was da vor sich ging. Warum sollte er sich verrückt machen, wenn es doch eine ganz einfache Methode gab, es herauszufinden?

Salim griff nach dem Haustelefon und wählte die Nummer des Empfangs.

„Hier spricht Scheich al Taj“, meldete er sich brüsk. „Ich suche nach einem Gast. Grace Hud… Grace Hunter. Haben Sie sie gesehen?“

„Nein, Sir.“

„Was ist mit James Lipton? Haben Sie den gesehen?“

„Soweit ich weiß, Sir, hält sich Mr. Lipton im Garten auf.“

Lipton war im Garten. Den musste Grace durchqueren, um ins Hotel zu gelangen, aber dort war sie noch nicht aufgetaucht. Dabei hatte sie doch mehr als genug Zeit gehabt, um die kurze Strecke zurückzulegen …

„Euer Hoheit? Soll ich Miss Hunter suchen lassen? Oder Mr. Lipton?“

„Nein, nein, das ist nicht nötig“, versetzte Salim und legte auf.

Was, wenn die Szene im Garten real gewesen war? Wenn Grace sich gegen einen Mann zur Wehr gesetzt hatte, der sie im schlimmsten Fall auch vergewaltigen würde?

Was, wenn genau dieser Mann ihr im Garten aufgelauert hatte?

Salim fluchte laut. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.

Im nächsten Moment stürmte er aus der Tür und rannte den schmalen Weg hinauf, der zum Hotel führte. Der Pfad schlängelte sich in steilen Kurven, die nur spärlich beleuchtet waren, sodass nichts von der Schönheit der Nacht ablenkte. Als er die erste Kurve hinter sich hatte, prallte er mit einem dunklen Schatten zusammen.

Grace.

Zwar konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, doch er wusste ganz genau, wie sich ihr Körper anfühlte, wie perfekt sie in seine Arme passte.

Sie weinte. Und zitterte. Er schloss die Arme ganz fest um sie, woraufhin sie ihr Gesicht an seiner Schulter barg. Salim konnte hören, wie heftig ihr Herz pochte. Er wollte etwas sagen, um sie zu trösten, doch in ihm wuchs eine derart rasende Wut, dass sie jeden rationalen Gedanken hinwegfegte.

Lipton. Lipton! Dafür bringe ich dich um!

Aber das konnte er erst später tun. Jetzt musste er sich um Grace kümmern. Sie beruhigen. Er holte tief Luft. Konzentrierte sich ganz auf den Moment. Während er seinen Zorn zurückstellte, murmelte er tröstende Worte und streichelte ihr über den Rücken.

„Es ist alles in Ordnung, habiba“, raunte er. „Du bist jetzt in Sicherheit.“

Sie schüttelte den Kopf, wodurch einige der seidigen blonden Haarsträhnen seine Lippen streiften. Salim schloss die Augen und zog sie noch enger an sich. So hielt er sie, bis sich ihr Puls allmählich beruhigte. Dann umfasste er ihr Gesicht und schaute sie forschend an.

„Erzähl mir, was passiert ist.“

Grace schauderte.

„War es Lipton?“, fragte er gefährlich leise.

Erneut durchlief ein Zittern ihren Körper. Das genügte ihm als Antwort. Wieder loderte die Wut flammend heiß in ihm auf, bis sie drohte ihn regelrecht zu versengen.

„Hat er …“ Er konnte es nicht aussprechen. „Hat er … hat er dir wehgetan?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er … er hatte nicht die Chance dazu …“ Ihre Stimme brach. „Ich habe mich gewehrt und … und …“

Salim legte die Hände um ihre Arme, woraufhin sie schmerzhaft zusammenzuckte. Sein Zorn wuchs ins Unermessliche.

„Er hat dir wehgetan!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Mein Handgelenk. Und mein Arm. Er hat mich gepackt und … und als ich versuchte, mich zu befreien, da hat er mir den Arm umgedreht und … und …“

Salim hob sie hoch und trug sie in die Villa. Da er das Licht im Wohnzimmer angelassen hatte, sah er sofort, dass Lipton ihr noch mehr angetan hatte.

Auf Graces linker Schläfe zeichnete sich ein hässlicher Bluterguss ab.

Für einen Moment verschwamm vor seinen Augen alles. Zum ersten Mal verstand er den Ausdruck „blind vor Wut“.

Noch einmal holte er tief Luft und bemühte sich um Fassung. Grace brauchte ihn jetzt. Also trug er sie in das große Marmorbad der Villa hinüber und setzte sie vorsichtig auf einem der Rattansessel ab, die auf das große Fenster zum Garten blickten.

„Grace.“ Er kniete sich vor sie und griff nach ihren Händen. „Du brauchst einen Arzt.“

„Mir … mir geht es gut.“

Was für ein Unsinn! Der Bluterguss an ihrer Schläfe, die Abdrücke auf ihrem Handgelenk und dem Arm …

Habiba. Ein Arzt …“

„Nein!“ Ihre Augen flehten um Verständnis. „Ich möchte nicht, dass mich jemand so sieht, Salim.“

„Also gut“, gab er nach. „Dann versprich mir, dass du hier sitzen bleibst, während ich Aspirin suche. Einverstanden?“

Sie nickte. Das allein war schon ein Indiz für ihr Trauma. Wenn Grace etwas nie gewesen war, dann gefügig.

Wo, zur Hölle, war ein weicher Waschlappen? Aspirin? Er riss die Schränke auf und fegte den kompletten Inhalt heraus. Badeöl. Seifen. Unmengen nutzlosen Zeugs. Man konnte doch wohl einen Erste-Hilfe-Kasten erwarten in einem Hotel, das dreitausend Dollar die Nacht kostete.

Da, endlich!

Salim öffnete den Kasten, nahm ein paar Tabletten heraus und füllte ein Glas mit Wasser. Dabei ermahnte er sich, ruhig zu bleiben. Er half Grace nicht, indem er sich von seinem Zorn überwältigen ließ.

Im nächsten Moment kniete er erneut vor ihr und streckte ihr die geöffnete Handfläche mit den Tabletten entgegen, die sie gehorsam nahm. Er führte das Glas an ihre Lippen. Sie trank. Grace war nicht nur gefügig, sie schien auf Autopilot geschaltet zu haben, und das machte ihm wirklich Angst.

„Sehr gut“, lobte er sanft. „Du bleibst einfach noch eine Weile hier sitzen, ja? Ich hole etwas Eis.“

„Okay“, flüsterte sie leise.

Er brauchte nicht lange. „Alles da“, sagte er und legte den Eisbeutel im Waschbecken ab. „Eis. Ein weicher Waschlappen. Dreh dein Gesicht zu mir. Ja, genau so.“ Als er ihre Schläfe berührte, zuckte sie zurück. Erneut hätte er sich beinahe von seinem Zorn übermannen lassen, doch irgendwie gelang es ihm, beruhigend zu lächeln. „Gut. Sehr gut. Jetzt werde ich mit dem Waschlappen dein Gesicht kühlen, habiba. Okay?“

Sie nickte. Er war ganz sanft. Dennoch zog sie mehrere Male scharf Luft ein.

„Tut mir leid“, murmelte er.

„Nein, ist schon gut. Du hast mir nicht …“

Er ergriff ihre Hand. Die Abdrücke am Gelenk und auf dem Arm wurden immer dunkler.

„Ich werde jetzt dein Handgelenk bewegen“, erklärte er mit fester Stimme. „Nur ein bisschen, um sicherzugehen, dass es nicht gebrochen ist.“

Das war es nicht, dennoch schnappte sie nach Luft.

„Wahrscheinlich ist es verstaucht, habiba. Pass auf, ich rufe das Hotel an. Ich bitte um einen Arzt, der diskret ist und …“

„Bitte nicht. Mir geht es gut.“

Salim schaute ihr in die Augen. Sie blickte ihn klar, offen und sehr entschlossen an.

„Grace, du solltest dich röntgen lassen. Ich könnte wenigstens …“

„Ich sagte, dass es mir gut geht.“

Er lehnte sich ein Stück zurück und betrachtete sie aufmerksam. „Was hat er mit dir gemacht?“

Sie senkte den Kopf, sodass die Haare nach vorne fielen und ihr Gesicht abschirmten.

„Nichts.“

„Verdammt noch mal, Grace, was hat er mit dir gemacht?“

Sie holte tief Luft.

„Er … er meinte, er hätte genug davon, Spielchen zu spielen. Er hat … Dinge gesagt. Befahl mir, in seine Suite zu gehen und mich für ihn … fertig zu machen. Ich habe klargestellt, dass das niemals geschehen würde, und … und da ist er wütend geworden.“

Salim spürte, wie es ihm mit jedem Wort kälter wurde. Als er sich aufrichtete, rührte sich etwas Hässliches in ihm.

„Warum bist du zu ihm zurückgegangen? Hast du geglaubt, dass er einfach vergessen würde, was zuvor passiert ist?“

„Ich bin nicht zu ihm zurückgegangen. Ich wollte meine Sachen holen, dann zur Rezeption gehen und mir ein eigenes Zimmer besorgen. Ich hatte eins reserviert – meine Sekretärin hatte das erledigt –, aber als wir dann eincheckten …“

„Du hattest ein eigenes Zimmer gebucht?“

Sie schaute ihn an. Plötzlich lag wieder Feuer in ihrem Blick.

„Natürlich hatte ich ein eigenes Zimmer gebucht! Das wollte ich dir schon im Garten erklären, aber du hast ja nicht zugehört. Glaubst du wirklich, ich hätte freiwillig eine Suite mit ihm geteilt, wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte? Für was für eine Frau hältst du mich?“

Eine gute Frage. Dummerweise hatte er darauf keine Antwort. Sie war eine Diebin. Sie hatte mit ihm geschlafen, damit sie ihn bestehlen konnte. Durfte er ihren Worten wirklich Glauben schenken? Würde es ihm gelingen, sich nicht länger von ihrem schönen Gesicht blenden zu lassen und stattdessen die Wahrheit zu erkennen?

„Du hättest nicht zum Hotel zurückgehen sollen.“

„Vielen Dank für diesen wirklich hilfreichen Tipp.“

„Es war dumm, zurückzugehen. Das habe ich dir gesagt.“

Sie lächelte bitter. „Und du weißt natürlich immer, was das Beste ist.“

„Ich weiß, wann etwas vernünftig ist oder nicht. Ich habe dich gewarnt, dass er es erneut versuchen würde, aber du …“

„Ich habe dir doch erklärt, dass ich meine Sachen holen wollte. Meine Kleider. Mein Handy. Doch dann bin ich ihm im Garten über den Weg gelaufen, und …“

„Und?“

„Und ich bin es leid, mich dir gegenüber zu rechtfertigen!“, versetzte sie scharf und stand auf. „Du hattest recht. Ich hätte nicht zurückgehen sollen. Ist es das, was du hören wolltest?“

„Ja. Nein. Ich will deine Dankbarkeit nicht, ich will …“

Lipton zusammenschlagen. Die Erkenntnis erfasste ihn mit aller Macht, doch er ließ sich nichts anmerken. Stattdessen verschränkte er die Arme über der Brust.

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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