Julia Royal Band 6

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DER PRINZ UND DIE TÄNZERIN von CARA COLTER
Prinz Kiernan kann den Blick nicht von der grazilen Tänzerin abwenden: Meredith soll ihm für eine Benefiz-Veranstaltung das Tanzen beibringen. Doch schon jetzt kommt ihm jede ihrer anmutigen Bewegungen wie eine Liebeserklärung vor – an ihn …

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EIN PRINZ FÜR GEWISSE STUNDEN? von MICHELLE CELMER
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  • Erscheinungstag 11.06.2021
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500739
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cara Colter, Cathie Linz, Michelle Celmer

JULIA ROYAL BAND 6

1. KAPITEL

Prinz Kiernan von Chatam lief es eiskalt den Rücken herunter, als er die Schmerzenslaute hörte, die aus dem Zimmer des palasteigenen Krankenhauses drangen. Ohne zu zögern trat er ein und sah seinen Cousin, Prinz Adrian, auf einem der Betten liegen, mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hände um sein Knie geschlungen.

„Ich hatte dir doch gesagt, das Pferd ist nichts für dich!“, sagte Kiernan.

„Danke, ich freu mich auch, dich zu sehen“, stieß Adrian hervor.

Kiernan schüttelte bloß den Kopf. Sein Cousin war mit seinen einundzwanzig Jahren sieben Jahre jünger als er und äußerst waghalsig. Dank seines Charmes schaffte er es jedoch immer wieder, die Menschen für sich einzunehmen, auch wenn er sich vorher daneben benommen hatte.

Auch jetzt lächelte er die junge Krankenschwester so tapfer an, bis sie rot wurde, und wendete sich dann zufrieden wieder Kiernan zu.

„Verschon mich bitte mit deinen Vorhaltungen“, fuhr Adrian fort. „Du musst mir unbedingt einen Gefallen tun. Ich hätte jetzt einen Termin, den ich nicht wahrnehmen kann.“

Es war vollkommen untypisch für Adrian, dass er sich über solche Dinge Gedanken machte.

„Die Ziege bringt mich um, wenn ich nicht komme. Ehrlich, Kiernan, das ist die zickigste Frau, die mir je begegnet ist.“

Bisher hatte noch keine Frau Adrians entwaffnendem Lächeln widerstehen können.

„Könntest du mich nicht vertreten?“, bettelte Adrian. „Nur dieses eine Mal?“

Die Krankenschwester untersuchte sein geschwollenes Knie, was Adrian erneut vor Schmerz aufstöhnen ließ.

Kiernan konnte einfach nicht verstehen, dass sein Cousin, der sonst sich selbst immer der Nächste war, in dieser Situation auch nur einen Gedanken an etwas verschwenden konnte, das nichts mit seiner Verletzung zu tun hatte.

„Sag doch einfach ab“, schlug Kiernan vor.

„Dann denkt sie, ich will mich drücken“, entgegnete Adrian.

„Niemand würde glauben, dass man absichtlich einen Unfall verursacht, nur um eine Ausrede parat zu haben.“

„Meredith Whitmore schon. Die Frau spuckt Gift und Galle.“ Ein leicht verträumter Ausdruck trat in Adrians Augen, trotz seiner Schmerzen. „Wobei ihr Atem eigentlich eher nach Minze duftet.“

Kiernan fragte sich, welche Medikamente man seinem Cousin verabreicht hatte.

„Tatsache ist jedoch, dass der Drache hübsche kleine Prinzen zum Mittagessen verputzt. Gegrillt. Darum muss sie hinterher auch Kaugummi mit Minzgeschmack kauen.“

„Was erzählst du denn da für einen Mist?“

„Erinnerst du dich an Feldwebel Henderson? Meredith Whitmore ist Feldwebel Henderson hoch zehn“, erklärte Adrian.

„Jetzt übertreibst du aber.“

„Bitte, Kiernan, kannst du mich nicht einfach vertreten?“

„Ich weiß ja nicht einmal, wobei ich dich vertreten soll.“

„Ich hab einen dummen Fehler gemacht“, gab Adrian niedergeschlagen zu. „Ich dachte, es würde viel mehr Spaß bringen als all die anderen offiziellen Aufgaben, die unserer Familie beim Frühlingsfest vorbehalten sind.“

Das Fest wurde auf der Insel Chatam seit Jahrhunderten traditionell anlässlich des Frühlingsanfangs gefeiert. Auftakt war die Wohltätigkeitsgala zu Beginn der Festwoche. Mit einem königlichen Ball fanden die Feierlichkeiten am Ende der Woche ihren krönenden Abschluss. In wenigen Tagen war es wieder so weit, die Eröffnung des Frühlingsfestes stand an.

„Ich hatte die Wahl zwischen dem Überreichen der Auszeichnungen an die Junior-Trommelgruppe, der Festrede oder einer kleinen Tanzaufführung. Na, wofür hättest du dich entschieden?“

„Wahrscheinlich die Rede“, gab Kiernan zurück. „Sagen Sie …“, wandte er sich an die Krankenschwester, „… haben Sie ihm irgendein Mittel verabreicht?“

„Noch nicht …“, antwortete sie freundlich, „… aber gleich.“

„Da dürfen Sie sich aber sehr glücklich schätzen“, fuhr Adrian dazwischen. „Ich habe nämlich den süßesten Königshintern, den – aua! Wollten Sie mir jetzt absichtlich wehtun?“

„Stellen Sie sich nicht so an, Eure Hoheit.“

Adrian sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ.

„Naja, jedenfalls hab ich mich für den Tanz entschieden. Ich sollte ihn zusammen mit einer neuen Tanzgruppe bei der Wohltätigkeitsgala aufführen. Die Veranstaltung soll ‚Ein unvergesslicher Abend‘ heißen. Ziemlich kitschig das Ganze, ich weiß.“

„Du erwartest doch nicht ernsthaft von mir, dass ich dich bei einer Tanznummer vertrete! Ich kann überhaupt nicht tanzen. Außerdem ist Prinz Herzschmerz allgemein dafür bekannt, den Damen auf die Füße zu treten, wenn er es denn doch mal versucht.“

Kiernan spielte auf einen Zeitungsartikel an, der ein Foto enthielt, auf dem zu sehen war, wie er einer jungen Dame bei ihrem Debütantinnenball fast den Fuß zerquetscht hatte.

„Du hast es wirklich nicht leicht mit der Presse, Kiernan. Mir haben sie noch nie Spitznamen verpasst. Du hingegen warst bereits ‚Prinz Playboy‘ …“

Diesen Namen hatten sie ihm gegeben, als er gerade seine Abschlussprüfung auf einer privaten Jungenschule gemacht hatte – ein ganzer Sommer voller Freiheit hatte vor ihm gelegen, bis seine militärische Ausbildung begonnen hatte.

„‚Prinz Herzschmerz‘.“

Mit dreiundzwanzig hatte Prinz Kiernan sich mit einer seiner ältesten und liebsten Freundinnen verlobt, Francine Lacourte. Nicht einmal Adrian kannte die volle Wahrheit über ihre Trennung und Francines völligen Rückzug aus der Öffentlichkeit. Angesichts seiner wilden Vergangenheit wurde angenommen, dass Prinz Kiernan die Beziehung beendet hatte.

„… und nun …“, fuhr Adrian fort, „… bist du seit der Geschichte mit Tiffany zu ‚Prinz Herzensbrecher‘ aufgestiegen. Man könnte wirklich denken, dass du ein unglaublich spannendes Leben führst.“

Kiernan warf seinem Cousin einen vernichtenden Blick zu. Die Presse liebte den vor Witz nur so sprühenden Adrian, während Kiernan als zu ernst und streng angesehen wurde. Und seit den geplatzten Verlobungen mit zwei in der Öffentlichkeit stehenden, sehr beliebten Frauen bezeichnete man ihn sogar als kalt und distanziert.

Er würde seinen Ruf als Herzensbrecher wohl für den Rest seines Lebens ertragen müssen, selbst wenn er als Mönch ins Kloster ginge. Nach allem, was er durchgemacht hatte, schien ihm diese Möglichkeit gar nicht mal so abwegig!

Schließlich lastete die Zukunft der Inselnation einzig und allein auf Kiernans Schultern. Nach dem Tod seiner Mutter, Königin Aleda, würde er den Platz auf dem Thron einnehmen. Diese Verantwortung allein reichte schon aus, um ein ganzes Leben auszufüllen. Auf Liebeskapriolen konnte er deshalb getrost verzichten.

Adrian hingegen kam als Thronanwärter erst an vierter Stelle und konnte sich daher gemütlich zurücklehnen.

„Diese Tiffany Wells hättest du echt direkt auf den Mond schießen sollen“, murmelte Adrian kopfschüttelnd. „Wie kann man seinem Freund nur vormachen, man sei schwanger? Und du teilst der Welt nicht einmal den wahren Grund für die gelöste Verlobung mit. Nein, du bist ja schließlich ein ehrenhafter Mann …“

„Ich will nicht darüber reden“, wurde er von Kiernan heftig unterbrochen. „Pass auf, Adrian“, kam er auf ihr eigentliches Thema zurück, „wegen des Tanzens – ich wüsste wirklich nicht, wie ich dir da helfen könnte …“

„Ich bitte dich doch nun wirklich nicht oft um einen Gefallen, Kiern.“

Da hatte er recht. Die ganze Welt wandte sich an Kiernan, fragte, bettelte, forderte. Adrian hatte ihn immer in Ruhe gelassen.

„Tu es für mich, okay?“, bat Adrian. „Selbst wenn du dich dabei lächerlich machen solltest, es wird deinem Ruf guttun. Die Welt wird dich wieder als Mensch sehen. Jedenfalls, wenn du es schaffst, mit dem Feuerspucker klarzukommen. Sie mag übrigens keine Verspätungen. Und du …“, er sah auf seine Uhr und blinzelte, „… bist gerade zweiundzwanzig Minuten zu spät. Sie wartet im Ballsaal auf dich.“

Eigentlich wäre es klüger, überlegte Kiernan kurz, einfach jemanden mit der Botschaft zu ihr zu schicken, dass Adrian sich verletzt habe. Doch er wollte sich auf keinen Fall die Gelegenheit entgehen lassen, die Frau zu treffen, die es geschafft hatte, seinen Cousin dermaßen einzuschüchtern.

Er würde sie sich anschauen, Adrian entschuldigen und sie dann so freundlich wie möglich nach Hause schicken.

Meredith sah auf die Uhr. „Er ist spät dran“, murmelte sie. Es war bereits das zweite Mal, dass Prinz Adrian nicht pünktlich war.

Bei ihrem ersten Treffen in ihrem vornehmen Tanzstudio in der Stadt hatte sie sich für genau zehn Sekunden von dem jungen Prinzen verunsichern lassen. Dann hatte sie erkannt, dass er stets versuchte, andere mit seinem jungenhaften Charme einzuwickeln. Meredith lag nichts ferner, als auf diese Masche hereinzufallen.

Also hatte sie ihn zurechtgewiesen, und sie war sich eigentlich sicher gewesen, dass er es nicht wagen würde, sie noch einmal warten zu lassen. Vor allem jetzt, wo sie ihm den Gefallen getan hatte, ihre Trainingsstunden in den großen Ballsaal des Chatam Palasts zu verlegen.

Da konnte man mal wieder sehen, wie naiv sie doch im Hinblick auf Männer war!

Verärgert sah sich Meredith in dem prachtvollen Saal um und versuchte, nicht allzu beeindruckt von der Tatsache zu sein, dass sie sich hier aufhalten durfte.

Tief atmete sie den vertrauten Geruch ihrer Kindheit ein. Es roch nach frisch gebohnerten Böden, Möbelpolitur und Glasreinigern. Ihre Mutter war Putzfrau gewesen.

Sie wäre von diesem Raum ebenso entzückt wie ihre Tochter gewesen. Damals hatte sie große Pläne für Meredith gehabt.

Ballett öffnet einem die Türen zu Welten, die wir uns kaum vorstellen können, Merry.

Welten wie diese, dachte Meredith und ließ ihren Blick erneut durch den Raum schweifen. Ihre Mutter wäre stolz auf sie gewesen, hätte sie gewusst, dass ihre Tochter hier einen Termin mit einem Prinzen hatte.

Denn sämtliche Türen, die das Ballett ihr hätte öffnen können, waren Meredith vor der Nase zugeschlagen worden, als sie mit sechzehn unerwartet schwanger geworden war.

Das Morgenlicht fiel durch die hohen Fenster und ließ den italienischen Marmor glänzen. In den drei großen Kronleuchtern mit unzähligen Swarovski-Kristallen funkelten die Sonnenstrahlen und beleuchteten die Fresken an der hohen Decke.

Meredith sah erneut auf die Uhr. Prinz Adrian war mittlerweile eine halbe Stunde zu spät dran. Bestimmt würde er nicht mehr kommen. Meredith hatte von Anfang an Zweifel an dieser ganzen Aktion gehabt, sich aber von der wilden Begeisterung ihrer Schülerinnen überzeugen lassen.

Wie hatte sie ihre geliebten Tanzmädchen nur an solchen romantischen Unsinn glauben lassen können? Ausgerechnet sie sollte es doch besser wissen!

Während sie sich jedoch weiter in dem zauberhaften Ballsaal umsah, regte sich langsam etwas in ihr. Ob mit oder ohne Prinz, sie würde hier tanzen.

Das wäre außerdem auch im Sinne ihrer Wohltätigkeitsorganisation, die sie vor einiger Zeit gegründet hatte. Eine neue Aufgabe, die ihr die Kraft gegeben hatte weiterzumachen, als ihr ganzes Leben vollkommen aus den Fugen geraten war.

Meredith unterrichtete im Rahmen ihres Projekts „No Princes“ Modernen Tanz. Das Projekt zielte auf die Bedürfnisse junger Mädchen aus sozial schwachen Familien ab.

„Man braucht keinen Prinz, um zu tanzen“, sagte Meredith laut. Konzentriert schloss sie die Augen und stellte sich vor, sie würde Musik hören. Vorsichtig machte sie die ersten Schritte der Prinzessin Aurora aus dem berühmten Tschaikowsky-Ballet „Dornröschen“ und gab sich schließlich völlig dem Tanz hin. Mühelos verband sie die Allegro-Bewegungen des klassischen Balletts mit ihrer Spezialität, dem Modernen Tanz, und kreierte dabei eine ganz neue Form des Ausdrucks. Sie spürte, wie sie sich entspannte und mit jedem Schritt dem Zustand näher kam, alle traurigen, qualvollen Erinnerungen für einen Moment überwinden zu können.

Leichtfüßig tänzelte sie über den glänzenden Marmorboden, drehte und bog sich, teilweise kontrolliert, teilweise völlig wild und zügellos.

Ihr Tanz in diesem großen Ballsaal war wie das letzte große Geschenk an ihre Mutter, die von Meredith so bitter enttäuscht worden war.

Die Musik in ihrem Kopf verebbte, und Meredith blieb mit geschlossenen Augen stehen, kostete das Gefühl aus, für einige Minuten mit ihrer Mutter verbunden gewesen, von ihr umarmt worden zu sein. Es war, als ob alles, was zwischen ihnen gestanden hatte, weggewischt worden war.

Und plötzlich, Meredith hätte es schwören können, hörte sie ein Baby lachen.

Erschrocken wirbelte sie herum, als die Stille im Saal von einem Paar klatschender Hände unterbrochen wurde. „Was fällt dir ein?“, stieß sie wütend hervor. Wie konnte Prinz Adrian es wagen, sie heimlich zu beobachten, in einem so privaten Moment?

Doch dann erkannte Meredith, dass es gar nicht Prinz Adrian war, der da vor ihr stand, sondern der Mann, der einmal König sein würde.

Prinz Herzensbrecher.

Prinz Kiernan von Chatam hatte sich in den Saal geschlichen und lehnte nun lässig mit dem Rücken an der mächtigen Eingangstür aus Walnussholz. Das amüsierte Funkeln in seinen saphirblauen Augen verschwand, als er ihren Ärger bemerkte.

„Was mir einfällt? Entschuldigen Sie, ich dachte eigentlich, ich sei in meinem Haus.“ Er schaute sie eher verwundert als verärgert an.

„Verzeiht, Eure Hoheit“, stammelte sie. „Ich dachte, ich wäre allein. Eigentlich hatte niemand meinen Tanz sehen sollen.“

„Das wäre aber schade um den schönen Tanz gewesen“, antwortete er sanft.

Meredith erkannte sofort, dass die vielen Fotos in Zeitschriften und Zeitungen ihm nicht einmal annähernd gerecht wurden. Und ihr wurde auch klar, wie er zu seinem Spitznamen, „Prinz Herzensbrecher“, gekommen war.

Der Mann sah einfach unverschämt gut aus. Und außerdem war er noch ein Prinz. Nur zu verständlich, dass er der Traum aller Frauen war!

Prinz Kiernan war groß und durchtrainiert, sein sorgfältig frisiertes Haar kurz und dunkel. Die maskulinen Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt, von den hohen Wangenknochen bis zum perfekt geschwungenen, markanten Kinn.

Obwohl er bequeme Freizeitkleidung trug – seine beige Reithose, die jeden Muskel seiner durchtrainierten Oberschenkel betonte, deutete darauf hin, dass er direkt vom Reiten kam –, strahlte seine Körperhaltung ein extremes Selbstbewusstsein aus.

Es war unverkennbar, dass er in höchstem Wohlstand und mit allen Privilegien, die man sich nur vorstellen konnte, aufgewachsen war. Der ernste Zug um seinen Mund und die Art, wie er seine breiten Schultern aufrecht hielt, ließen jedoch auch auf eine große innere Stärke schließen.

Und Meredith Whitmore war mit einem Mal nicht mehr die renommierte Tänzerin und erfolgreiche Geschäftsfrau, sondern die Tochter einer Putzfrau, die es gewohnt war, sich vor reichen Leuten unsichtbar zu machen. Die ihr Leben für einen dummen Traum weggeworfen hatte. Ein Traum mit tragischen Folgen.

Die ungezügelte Leidenschaft ihres Tanzes kam ihr wieder in den Sinn, und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sicher hatte der Prinz alles gesehen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken.

„Eure Königliche Hoheit“, murmelte sie und machte einen unbeholfenen Knicks.

„Sie sind doch sicher nicht Meredith Whitmore“, antwortete der Prinz verblüfft.

Selbst seine Stimme – kultiviert, tief, melodisch, maskulin – war unglaublich attraktiv. Kein Wunder, dass Meredith sich wie eine graue Kirchenmaus vorkam!

Wo war die selbstbewusste Karrierefrau? Die Erinnerung an Carlys Lachen hatte ihre Verletzlichkeit zum Vorschein gebracht. Sie schaffte es kaum, sie zu verdrängen.

„Warum sollte ich nicht Meredith Whitmore sein?“ Trotz ihrer Bemühungen, leichtfertig und entspannt zu klingen, kam sie sich wie eine verzweifelte Schauspielerin vor, der gerade die Hauptrolle weggenommen worden war.

„Nach allem, was Adrian mir über Sie erzählt hat, hatte ich, ähm, wohl so etwas wie eine weibliche Ausgabe von Attila dem Hunnenkönig erwartet.“

„Wie schmeichelhaft.“

Die Andeutung eines Lächelns huschte über seinen bisher so streng wirkenden Mund.

Kein Wunder, dass ihm alle Frauen zu Füßen lagen – bei dem Lächeln! Meredith rief sich sofort zur Vernunft. Ihr würde niemand mehr das Herz brechen!

„Naja, also er meinte, Sie seien eine sehr strenge Lehrerin.“

Meredith war sicher, dass Prinz Adrian es wohl kaum so nett ausgedrückt hatte. Allein die Tatsache, dass die beiden Prinzen über sie gesprochen, beziehungsweise sich wenig schmeichelhaft über sie ausgelassen hatten, ließ sie erneut rot anlaufen. „Ich wollte eigentlich gerade gehen“, erklärte sie mit dem Hochmut einer Frau, der man nichts anhaben konnte und deren knapp bemessene Zeit äußerst wertvoll war – das stimmte sogar! „Er ist ziemlich spät dran.“

„Ich fürchte, er kommt überhaupt nicht mehr. Er hat mich geschickt, um es Ihnen auszurichten.“

„Gilt das nur für heute?“

Meredith kannte die Antwort bereits. Sie hatte es vermasselt, hatte ihn zu sehr angetrieben. Jetzt hatte er die Lust am Tanzen verloren. Sie war zu dominant, zu perfektionistisch an die Sache herangegangen.

Eine weibliche Ausgabe von Attila dem Hunnenkönig.

„Er hatte einen Reitunfall.“

„Ist es sehr schlimm?“, erkundigte sich Meredith höflich. Der junge Prinz war verletzt, und sie konnte an nichts anderes denken, als dass sie hier ihre Zeit verschwendet hatte.

„Als ich ging, hatte sein Knie etwa die Größe eines Basketballs.“

Angestrengt versuchte Meredith, sich ihre tiefe Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, weil der Plan ihrer Mädels gescheitert war. „Nun, so tragisch das auch ist …“, gab sie so gefasst wie möglich zurück, „… die Aufführung wird trotzdem stattfinden. Wir werden Prinz Adrians Rolle umschreiben müssen. Schließlich heißen wir nicht umsonst ‚No Princes‘“.

„‚No Princes‘? Ist das der Name Ihrer Tanztruppe?“

„Es ist eigentlich mehr als bloß eine Tanztruppe.“

„Aha … “, antwortete er erstaunt, „… jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht.“

Zu ihrer Überraschung wirkte der Prinz ehrlich interessiert. Sie wollte zwar die Distanz zwischen ihnen wahren, doch sie konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einer so einflussreichen Persönlichkeit von ihrem Projekt zu erzählen.

„‚No Princes‘ ist eine Organisation für Mädchen aus sozial schwachen Vierteln von Chatam. In der Altersgruppe fünfzehn bis siebzehn gibt es eine beängstigend hohe Zahl junger Frauen – eigentlich sind sie ja noch Kinder –, die lieber von der Schule abgehen und Kinder bekommen, statt sich auf eine gute Ausbildung zu konzentrieren.“

Das war eigentlich exakt ihre Geschichte, aber das würde sie Prinz Kiernan nicht auf die Nase binden.

„Wir versuchen, sie zum Lernen zu motivieren, und verhelfen ihnen zu mehr Eigenständigkeit und vermitteln ihnen Vertrauen in sich selbst. Damit wollen wir erreichen, dass sie nicht das Gefühl haben, sich vom erstbesten Mann, ihrem ‚Prinzen‘, retten lassen zu müssen.“

Damals war Michael Morgen ihr Prinz gewesen. Er war neu in der Gegend gewesen und hatte einen äußerst anziehenden australischen Akzent gehabt. Und sie war vaterlos aufgewachsen, leicht beeinflussbar und hatte sich nach männlicher Aufmerksamkeit gesehnt.

Sein Verhalten hatte sie gelehrt, sich nie wieder so einem Mann auszuliefern. Wobei der Mann, der jetzt vor ihr stand, wohl für jede Frau mehr oder weniger eine Herausforderung darstellte.

„Und welche Rolle spielen Sie dabei, meine Primaballerina?“

Hatte der Prinz sie durchschaut? Und wieso seine Primaballerina? Sie spürte, wie seine körperliche Nähe ein leichtes Kribbeln in ihrem Bauch verursachte – ein Warnsignal, das wusste wohl kaum jemand besser als sie.

„Nun, abgesehen vom Papierkram bin ich für den angenehmen Teil des Projekts zuständig. Ich bringe den Mädchen das Tanzen bei.“

„Prinz Adrian fand es offensichtlich nicht so angenehm“, antwortete er trocken.

„Ich hab ihn wohl zu sehr gefordert“, gab sie zerknirscht zu.

Prince Kiernan lachte. Wenn er das tat, wirkte er wie ein ganz anderer Mensch. Warum schossen die Paparazzi immer nur Aufnahmen von ihm, auf denen er grimmig und ernst dreinschaute?

Zu ihrem Ärger entdeckte Meredith in diesem kurzen Moment der Unbefangenheit den Mann in ihm, den jede Frau sich als ihren heroischen Retter hoch zu Ross wünschen würde.

Selbst sie, die nicht zu romantischen Schwärmereien neigte, konnte sich seiner Anziehungskraft kaum entziehen. Zornig versuchte sie, das verräterische Sehnen in ihrer Brust zu unterdrücken. Der Mann trug sicher nicht umsonst den Spitznamen „Prinz Herzensbrecher“.

Hatte man ihn früher nicht auch als „Prinz Herzschmerz“ tituliert? Und noch früher als „Prinz Playboy“? Er war ein gefährlicher Mann.

„Hundert Punkte für Sie, dass Sie es überhaupt geschafft haben, ihn zu fordern!“ Prinz Kiernan schmunzelte. „Wie kommt es eigentlich, dass Adrian an dieser Geschichte beteiligt ist?“

Jetzt konnte sie sich endlich wieder hinter Worten verstecken, während irgendein rebellischer Urinstinkt ungewohnte Reaktionen in ihr hervorrief. „Eines unserer Mädchen, Erin Fisher, hat eine Tanznummer über die Hintergründe von ‚No Princes‘ geschrieben. Es ist ein wirklich außergewöhnlich gutes Stück geworden. Es geht um Mädchen, die an irgendwelchen Straßenecken herumhängen und mit irgendwelchen Jungs flirten, dann aber Selbstbewusstsein entwickeln und sich Ziele im Leben setzen. In der Mitte des Stücks gibt es eine Traumsequenz, in der ein Mädchen mit einem Prinzen tanzt. Erin hat das Stück ohne unser Wissen mit einem Video, das die Mädchen beim Tanzen zeigt, an den Palast geschickt. Es sollte quasi ein Vorschlag für einen Auftritt bei ‚Ein unvergesslicher Abend‘ sein, der Wohltätigkeitsveranstaltung, die das Frühlingsfest eröffnet. Erin hat, ohne zu zögern, Prinz Adrian die Rolle in der Traumsequenz vorgeschlagen. Die Mädchen waren außer sich vor Freude, als er zusagte.“

Meredith bemerkte erschrocken, dass sie kaum weitersprechen konnte. Der Kloß in ihrer Kehle saß zu fest. Von allen Mädchen war Erin ihr am ähnlichsten: Sie war so klug und voller Potenzial. Und so leicht zu verletzen und zu entmutigen.

„Es tut mir sehr leid, dass sie nun enttäuscht sein werden“, sagte Prinz Kiernan leise. Offensichtlich hatte er bemerkt, wie betroffen Meredith war.

Prinz Kiernan war wirklich ein Traummann. Er sah nicht nur toll aus, sondern hatte auch eine sehr erotische Stimme. Trotzdem durfte sie sich nicht von ihm beeindrucken lassen. Sie lehrte junge Mädchen, sich nicht von so jemandem einwickeln zu lassen, nicht an Märchen zu glauben. Sie schützte sie davor, ihr Leben für Träume wegzuwerfen, die niemals Realität werden würden – so wie sie es selbst einmal getan hatte.

Die vielen Fotos in den Boulevardblättern, die das tränenverschmierte Gesicht der Schauspielerin Tiffany Wells nach ihrer geplatzten Verlobung mit Prinz Kiernan zeigten, bestätigten Meredith in ihrem Vorsatz, sich nie wieder einem Mann auszuliefern. Diese Zeiten waren ein für alle Mal vorbei. „Ein wenig Enttäuschung festigt den Charakter“, antwortete sie schärfer als beabsichtigt.

Er sah sie gedankenverloren an.

Herausfordernd reckte sie ihr Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist wirklich kein Problem“, erklärte sie und zwang sich, mit fester Stimme zu sprechen. „Es passieren immer wieder Dinge, die wir nicht unter Kontrolle haben.“ Meredith fiel wieder ein, was sie alles nicht hatte kontrollieren können, und schluckte.

Der Prinz musterte sie eingehend, als ahnte er, was in ihr vorging.

„Ich sollte jetzt wohl gehen“, presste Meredith hervor. „Danke, Eure Hoheit, dass Sie persönlich vorbeigekommen sind. Ich richte es den Mädchen aus. Wir finden schon eine Lösung. Sie werden es verkraften. Sie sind Enttäuschungen gewohnt. Wir werden sicher einen Ersatz finden. Schließlich kann jeder Mann einen Prinz spielen.“

Jedenfalls hatte sie das geglaubt, bis sie vor diesem charismatischen, echten Prinzen gestanden hatte.

„Auf Wiedersehen“, sagte sie nachdrücklich, damit er sie endlich allein ließ. Die Gedanken an ihre Vergangenheit spukten ihr immer noch im Kopf herum. Sie spürte, wie die Tränen hinter ihren Lidern brannten.

Doch Prinz Kiernan machte gar keine Anstalten zu gehen. Wahrscheinlich hatte sie vollkommen gegen das Protokoll verstoßen, indem sie das Gespräch für beendet erklärt hatte. Sie musste aber doch irgendwie seinem durchdringenden Blick entkommen. Ihr war, als könne er ihre ganze Lebensgeschichte in ihren Augen lesen. Jetzt fehlte nur noch, dass sie in Tränen ausbrach.

Schnell wandte sie sich um und begann, die Musikanlage abzubauen. Sie wartete auf das Geräusch sich entfernender Schritte, doch es stellte sich nicht ein.

2. KAPITEL

Um sich zu beruhigen, atmete Meredith tief ein und aus. Erst als sie sicher war, dass sie nicht weinen würde, wandte sie sich wieder um. Prinz Kiernan stand immer noch an der gleichen Stelle.

Fast hätte sie sich gewünscht, von ihm zurechtgewiesen zu werden, doch in seinem Blick lag keinerlei Kritik.

„Diese Aufführung bedeutet den Mädchen sehr viel, nicht wahr?“, fragte er leise und voller Mitgefühl. „Und besonders Ihnen.“

Es war ein kleiner Schock für sie, dass er ihre Körpersprache so exakt deuten konnte.

Um nicht preisgeben zu müssen, dass ihre persönlichen Gefühle hier sogar eine sehr große Rolle spielten, erklärte Meredith die Situation mit einer kleinen Rede, die sie schon unzählige Male gehalten hatte, um Spenden für „No Princes“ zu sammeln.

„Sie müssen verstehen, dass diese Mädchen sich furchtbar unbedeutend fühlen. Wertlos. Die meisten stammen aus zerbrochenen Familien mit alleinerziehenden Müttern. Darum ist die Gefahr auch so groß, dass sie auf den erstbesten jungen Mann hereinfallen, der ihnen vorsäuselt, sie seien hübsch. Und wenn dann plötzlich ein echter Prinz, einer der berühmtesten Prominenten der Insel, ihre Arbeit wertschätzt, dann ist das von immenser Bedeutung für die Mädchen. Ich vermute, dadurch haben sie angefangen zu glauben, dass ihre Träume vielleicht doch einmal wahr werden könnten. In Wentworth ist es sehr gefährlich, mit der Hoffnung zu spielen.“

Kiernans Gesichtsausdruck spiegelte wider, dass er sehr genau wusste, unter welchen Bedingungen die Menschen in Wentworth, dem ärmsten Viertel der Stadt, lebten. Erleichtert stellte Meredith fest, dass sie ihn von ihrer eigenen Verletzlichkeit hatte ablenken können.

Kiernan holte tief Luft und strich sich mit der Hand durch sein seidiges dunkles Haar.„Hoffnung sollte niemals gefährlich sein“, erwiderte er sanft und sah Meredith an. „Für niemanden.“

Dieser Mann ließ eine Frau wirklich dahinschmelzen, wenn sie nicht aufpasste. Doch Meredith hatte gelernt, sich zu schützen. Ihr eigenes Leben war schließlich durch einen einzigen schwachen Moment ruiniert worden.

Und dieser Mann war die Verführung pur!

Allerdings nur im Traum. Er war ein Prinz, und sie war die Tochter einer alleinerziehenden Putzfrau. Ihre Wurzeln lagen in den Slums des Königreichs. Und sie war keine unbefleckte Jungfrau mehr. Sie hatte in ihrem Leben bereits mehr durchgemacht, als viele sich vorstellen konnten. Sie hatte das Träumen verlernt und glaubte an nichts und niemanden mehr.

Das Einzige, woran sie glaubte, waren ihre Mädchen von „No Princes“. Und die einzige Beschäftigung, die sie ihren Schmerz vergessen ließ, war das Tanzen.

Nein, Märchen hatten in ihrem Leben keinen Platz. Sie verließ sich ausschließlich auf sich selbst. Sie würde keinen Mann über sich bestimmen lassen, selbst wenn er ein Prinz war.

„Merry, Merry, Merry“, hörte sie die müde Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf: „Hat ein Mann jemals etwas richtig gemacht in deinem Leben?“

Ihre Mutter hatte ja so recht.

Umso schockierter war Meredith nun, als sie Kiernans Angebot hörte.

„Ich mache es“, erklärte er mit einer fast grimmigen Entschlossenheit. „Ich werde Prinz Adrians Part übernehmen.“

Meredith blieb der Mund offen stehen. Die Worte des Prinzen klangen nicht gerade freudig, bloß pflichtbewusst.

„Natürlich heirate ich dich“, hatte Michael sie angelogen, nachdem Meredith ihm eröffnet hatte, dass sie ein Kind erwartete.

„Ach Merry, eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass dieser Mann dich heiratet. Du bist ein Träumerchen, Mädchen“, hatte ihre Mutter sie damals gewarnt.

Meredith spürte jedoch, dass man sich auf das Wort des Prinzen verlassen konnte … Dennoch würde sie versuchen, ihm seinen Plan auszureden.

Prinz Adrian war während der Tanzstunden wie ein jüngerer Bruder für sie gewesen. Dieser Mann war jedoch aus anderem Holz geschnitzt. Er strahlte etwas aus, das Meredith und ihren Mädchen noch viel gefärhrlicher als Hoffung werden könnte.

„Vielen Dank für das Angebot, aber ich muss es leider ausschlagen.“

Der Prinz schien schockiert zu sein, dass sie seinen großzügigen Vorschlag ablehnte.

„Sie haben keine Ahnung, mit wie viel Arbeit das alles verbunden ist“, fuhr Meredith fort. „Prinz Adrian hat jeden Tag mehrere Stunden mit mir geprobt. Und wir haben nur noch gut eine Woche bis zur Aufführung. Es hat wirklich keinen Sinn.“

Prinz Kiernan schritt langsam auf sie zu. Als er direkt vor ihr stand, fiel ihr auf, wie groß er war. Dazu kam der Duft seines leichten Aftershaves, der sie ganz benommen machte. Sie fühlte sich fast hypnotisiert von dem durchdringenden Blick seiner leuchtenden blauen Augen.

„Sehe ich aus wie ein Mann, der die Arbeit scheut?“, fragte er sanft, wobei seine Augen entschlossen funkelten.

Er wollte also tatsächlich die Träume ihrer Mädchen retten. Obwohl Meredith sich dagegen sträubte, jeden Tag der nächsten Woche dieser maskulinen Energie ausgesetzt zu sein, wusste sie, dass sie keine andere Wahl hatte.

Seit Prinz Adrian zugestimmt hatte, in ihrem Stück mitzutanzen, war Erin wie verwandelt gewesen. Ihre Schulnoten waren immer besser geworden. Und neulich hatte sie Meredith schüchtern gestanden, dass sie sich entschlossen habe, Ärztin zu werden.

Meredith konnte dieses unglaubliche Geschenk, das Prinz Kiernan ihr hier anbot, einfach nicht ablehnen.

Mit einem Mal lächelte der Prinz. „Ich fürchte nur“, murmelte er, „dass Sie nicht wissen, wie viel Arbeit auf Sie zukommt. Wussten Sie, dass man mich auch Prinz Fußschmerz nennt?“

Sein Lächeln machte Meredith nervös. Wie sollte sie ihn jeden Tag berühren und anschauen, ohne sich ihren verborgenen Sehnsüchten hinzugeben?

Sie hoffte darauf, dass der Schmerz, der ihre Seele quälte, sie davor bewahrte, irgendwelche Dummheiten anzustellen. Für Mädchen wie Erin Fisher und all die anderen würde sie das Angebot des Prinzen annehmen müssen.„Das kriegen wir schon hin, Eure Hoheit“, antwortete sie schließlich. „Wann können wir anfangen?“

Prinz Kiernan war Fallschirm gesprungen, hatte Hubschrauber geflogen, auf übernervösen Pferden an Polo-Turnieren teilgenommen, war allein durch raue Gewässer gesegelt und in die Tiefen des Meeres getaucht. Außerdem hatte er schon viele Extremsituationen durchgestanden. Deshalb überraschte es ihn, als er merkte, wie beklommen ihn es machte, demnächst tanzen zu müssen.

Teilweise ließ sich dieses ungute Gefühl darauf zurückführen, dass er impulsiv gehandelt hatte. Eigentlich hatte er doch bloß Adrians „Ziege“ sehen und sie dann mit besten Grüßen von seinem Cousin nach Hause schicken wollen.

Prinz Kiernan war normalerweise alles andere als impulsiv. Sein Leben verlief äußerst geordnet. Manche seiner Termine wurden bereits Jahre im Voraus festgelegt. Er lebte fast ausschließlich für das Wohlergehen seines kleinen Inselstaates. In seiner Welt gab es keinen Platz für Spontaneität.

Durch das Bewusstsein, dass er immer beobachtet und beurteilt wurde, hatte Kiernan sich zu einem Mann entwickelt, der in jeder Situation ruhig und kontrolliert blieb. Im Vergleich zu seinem Cousin konnte er sich keine Zornesausbrüche leisten, wenn es einmal nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Er durfte nie zu spät kommen oder Termine vergessen. Die Leute wussten, dass sie sich auf ihn verlassen konnten.

Die Trennung von seiner letzten Freundin Tiffany Wells schien jedoch dieses Vertrauen, das die Menschen in ihn setzten, ins Wanken gebracht zu haben. Nun war er in den Augen seines Volkes nicht mehr bloß der distanzierte, ein wenig unterkühlte Prinz, sondern ein eiskalter Herzensbrecher.

Es war ihm zwar relativ egal, wie es um seine Beliebtheit stand, doch er sah diese Tanzeinlage als Chance, sein angekratztes Image wieder ein wenig aufzupolieren. Die Trennung von Tiffany war nun ein Jahr her. Es war höchste Zeit, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht viel anders war als sie und auch gerne einmal Spaß hatte.

Hatte er deswegen angeboten, Adrians Rolle zu übernehmen? Um sein Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte, zurechtzurücken? Nein. Tat er es, um den Mädchen einen Gefallen zu tun? Miss Whitmores Erläuterung ihres „No Princes“-Projekts hatte ihn sehr berührt. Mussten deswegen seine persönlichen Assistenten all seine Termine umlegen und um die Tanzproben herum arrangieren? Wieder nein. War es ihretwegen? War Meredith Whitmore der Grund?

Sie hatte wunderschöne haselnussbraune Augen, die auf feurige Leidenschaft hindeuteten, einen sexy Schmollmund, ein paar niedliche Sommersprossen und wilde kastanienbraune Locken.

Dazu kam der schlanke straffe Körper einer Tänzerin, der sich unter einem eng anliegenden Gymnastikanzug und einem übergroßen T-Shirt verbarg, das jedoch auf eine recht üppige Oberweite schließen ließ. Meredith Whitmore war definitiv sehr attraktiv, auf eine spezielle Art jedenfalls. Dieser Tanz, den er heimlich beobachtet hatte, ließ eine gewisse Zerrissenheit erahnen. Die freigeistige Zigeunerin schien gegen den Feldwebel in ihr zu kämpfen.

Sie war wirklich eine schöne Frau, und er war seit seinem Erlebnis mit Tiffany sehr vorsichtig bei schönen Frauen geworden.

Er traute Meredith Whitmore zwar keinen Betrug zu, aber sie hatte etwas an sich, das ihn irritierte. Sie war jung, und doch waren ihre Augen voller Schatten, kühl und abschätzend. Er verstand nun, warum Adrian sie als Ziege bezeichnet hatte, wenngleich sie nicht unbedingt kaltherzig und schnippisch wirkte.

Es war also ihr Tanz gewesen, der ihn so fasziniert hatte, diese ersten Momente, in denen sie sich unbeobachtet geglaubt hatte. Das war der eigentliche Grund, warum Kieran ihr angeboten hatte, für Adrian einzuspringen. Was genau ihm an dem Tanz gefallen hatte, konnte er nicht genau sagen. Dabei hatte er doch sonst jede seiner Gefühlsregungen unter Kontrolle.

Resigniert holte er tief Luft, straffte die Schultern und betrat den Ballsaal.

Meredith war gerade dabei, die Musikanlage aufzubauen. Konzentriert bückte sie sich über die vielen Kabel und zuckte zusammen, als sie Kiernan hereinkommen hörte.

„Miss Whitmore“, begrüßte er sie.

Heute trug sie ein purpurfarbenes Trikot, Wollstulpen und ein ebenfalls purpurfarbenes Haarband, das ihre braunen Locken bändigte. Sie hatte keinerlei Make-up aufgetragen. Über das Trikot hatte sie ein limettengrünes T-Shirt gestreift, auf dem „Küss keinen Frosch“ stand.

Prinz Kiernan war es gewohnt, dass die Leute ihn zu beeindrucken versuchten. Meredith hingegen schien mit ihrem bequemen Outfit nur an die bevorstehende Arbeit gedacht zu haben. Er war sich nicht sicher, ob ihre Gleichgültigkeit bezüglich ihres äußeren Erscheinungsbildes ihn kränkte oder bezauberte. Es ärgerte ihn fast ein wenig, dass sie trotzdem so reizvoll aussah.

„Prinz Kiernan …“, antwortete sie förmlich, „… vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“

„Ich habe mein Bestes getan, mir freizunehmen. Es kann jedoch sein, dass ich den ein oder anderen Anruf entgegennehmen muss.“

„Verständlich. Ich freue mich, dass Sie pünktlich erscheinen konnten.“

„Ich bin immer pünktlich.“ So langsam konnte er nachvollziehen, warum sie Adrian so eingeschüchtert hatte. Es gab keine richtige Begrüßung, kein freundliches Nachfragen nach seinem Befinden. Ihr Tonfall verriet, dass sie für überflüssigen Small Talk nichts übrig hatte, wie es Feldwebeln eben zu eigen war.

„Ausgezeichnet“, erklärte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, um ihn kritisch zu begutachten. Er kam sich ein wenig vor wie bei einer Militärübung.

„Haben Sie genug Bewegungsfreiheit in dieser Hose? Ansonsten hätte ich noch eine richtige Tanzhose dabei.“

Tanzhose? Allmählich begann er, sein voreiliges Angebot zu bereuen. „Ich bin sicher, dass meine Hose bequem genug ist“, antwortete er steif, in einem Ton, der deutlich machte, dass ein Prinz seinen Kleidungsstil nicht mit einer Frau diskutieren würde.

Zweifelnd zog sie die Augenbrauen hoch und wandte sich dann wieder ihrer Musikanlage zu. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Eure Hoheit, dann möchte ich gern, dass Sie sich dieses Video anschauen.“

Als er neben sie trat, kitzelte ihn ein leichter Hauch von Zitronenduft in der Nase. Das helle Licht der Kronleuchter ließ ihr rötlich-braunes Haar wie Flammen funkeln.

„Dieses Video hier wurde bereits zwölf Millionen Mal angeschaut“, erklärte sie und drückte eine Taste auf ihrem Laptop.

Er sah eine Hochzeitsfeier. Der Bräutigam schritt auf seine Braut zu und nahm ihre Hand.

„Das ist der Hochzeitswalzer“, erklärte Meredith. „Es ist ein ganz traditioneller Walzer in Dreivierteltakt.“

Kiernan war erleichtert. Der junge Bräutigam im Video tanzte genauso wie er. „Das kann ich schon“, kommentierte er gelangweilt und sah auf die Uhr. „Vielleicht kann ich noch einen kurzen Ausritt vor dem Mittagessen zwischen schieben.“

„Ich habe bereits einen Prinzen bei einem Reitunfall verloren“, antwortete Meredith, ohne die Augen vom Bildschirm zu lösen. „Bis zur Aufführung wird nicht geritten.“

Jetzt geht sie aber wirklich zu weit, fand Kiernan. Doch sie schien seine Verärgerung nicht einmal zu bemerken. „Entschuldigen Sie, aber ich werde es nicht zulassen, dass Sie …“

Meredith wedelte mit der Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, als sei er ein dummer Schuljunge. „Achtung, dieser Teil hier ist wichtig!“

Vor Fassungslosigkeit hätte er fast laut aufgelacht. So hatte nun wirklich noch nie jemand mit ihm geredet. Er warf ihr einen belustigten Blick zu. Sie war wirklich unglaublich dominant. Und was noch viel schlimmer war, sie war süß, wenn sie dominant war.

Natürlich würde er ihr das nicht auf die Nase reiben. Mit einem Arm langte er an ihr vorbei und stoppte das Video.

Nun schaute Meredith ihn fassungslos an. Aber wenigstens hatte er jetzt ihre volle Aufmerksamkeit. Und er würde sich nicht von diesen reizenden goldgrünen Augen beeindrucken lassen.

„Noch einmal: Ich werde Ihnen nicht gestatten, mir meinen Tagesablauf zu diktieren. Ich opfere Ihnen bereits genug Zeit.“

Meredith Whitmore schien sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen.

„Ich investiere mindestens ebenso viel Zeit wie Sie. Wäre Prinz Adrian nicht vom Pferd gefallen, hätten wir diese Probleme jetzt nicht.“

Prinz Kiernan schaute Meredith eindringlich an. Abgesehen von ihrem Ärger entdeckte er noch etwas anderes in ihren Augen. „Offensichtlich haben Sie furchtbare Angst vor Pferden“, antwortete er sanft.

Meredith blickte in die saphirblauen Augen des Prinzen. Eigentlich hatte sie keine große Angst vor Pferden. Sie fürchtete sich bloß davor, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Dass er die Sorge in ihren Augen hatte lesen können, hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Also ließ sie ihn einfach in dem Glauben, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.

„Natürlich“, antwortete sie schnell. „Man sieht Pferde schließlich nicht allzu oft in Wentworth. Einmal ist eines dieser riesigen Rösser bei der Frühlingsparade durchgegangen und hat mehrere Zuschauer niedergetrampelt.“

„Sie kommen also aus Wentworth?“, erkundigte er sich, immer noch mit diesem prüfenden Blick.

„Ja“, erwiderte sie und reckte stolz das Kinn. „Das tue ich.“ Doch statt Erleichterung darüber zu empfinden, dass ihre unterschiedliche Herkunft endlich geklärt war, fühlte Meredith sich wie entblößt, als er langsam nickte. Schnell wandte sie sich ab, um das Video weiterlaufen zu lassen.

„Wenn Sie jetzt genau hinschauen “, erklärte sie sachlich, wieder ganz die professionelle Tanzlehrerin, „dann sehen Sie, wie die Schritte sich mit der Musik ändern. Es geht jetzt eher in die Salsa-Richtung. Salsa stammt aus Kuba. Vielleicht erkennen Sie aber auch, dass der Stil einige europäische und afrikanische Einflüsse aufweist.“

„Das hier ist Ihre Welt, nicht wahr?“, kommentierte Kiernan lächelnd.

„Ja, so ist es“, antwortete sie und betete, dass die Konzentration auf den Tanz sie von Prinz Kiernans Nähe ablenken würde. Er stand so dicht hinter ihr, dass er sie fast berührte. Gleichzeitig wurde auch der Tanz im Video immer gefühlvoller. Es kam ihr vor, als hätte im Saal jemand die Heizung aufgedreht.

Im Video setzte der junge Bräutigam nun zu einem Solo an. Er tanzte, als würde nur seine Braut allein ihm dabei zusehen. Mit jeder Bewegung wurde sein Ausdruck intensiver und leidenschaftlicher.

„Es ist unschwer zu erkennen, dass er sehr sportlich ist“, kommentierte Meredith. „Diese Bewegungen erfordern sehr viel Kraft im Oberkörper, eine gute Balance und eine Portion Mumm.“

Sie warf Kiernan einen Blick zu. Der Prinz schien sehr athletisch zu sein. Und an Mumm mangelte es ihm sicher auch nicht.

Eine viel größere Herausforderung hätte sie während der engen Zusammenarbeit mit ihm bei einer so intimen Tanzszene zu bestehen.

Der Tänzer im Video riss sich in diesem Moment das Jacket vom Körper und lockerte seine Krawatte.

„Wenn er sich jetzt auszieht, dann war’s das für mich. Dann gehe ich“, erklärte Kiernan. „Das ist ja fast Striptease!“

Erstaunt sah sie ihn von der Seite an. Prinz Kiernan und prüde?

Der Bräutigam warf sich seiner Braut zu Füßen, und sein Blick spiegelte die letzte Zeile des Songtextes wider: „Ich habe alles, was ich mir jemals gewünscht habe.“

In der Stille, die nun folgte, traute Meredith sich kaum, Kiernan anzuschauen. Als hätten sie gerade heimlich etwas ganz Privates zwischen Mann und Frau beobachtet.

„Und, was meinen Sie?“

„Ehrlich gesagt, fand ich es etwas unangenehm, mir das anzuschauen“, brachte Kiernan hervor.

Er hatte diese Intimität also auch gespürt.

„Es wirkte ein bisschen wie eine Art Paarungstanz“, fügte er hinzu.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie so prüde sind“, antwortete sie leichtfertig.

Als sein Blick im nächsten Moment träge an ihren Lippen hängen blieb, wurde Meredith jedoch klar, dass diese Einschätzung auf ihn ganz bestimmt nicht zutraf.

In der Luft lag plötzlich eine Spannung, die Meredith unmittelbar einen heißen Schauer über den Rücken jagte. Schnell stützte sie die Arme in die Hüften und sah Kiernan unverwandt an. „Haben Sie denn nicht die Romantik in diesem Tanz erkannt? Die Vorfreude auf ein ganz neues Leben? Die Hoffnung für die Zukunft? Seine Liebe für seine Braut? Seine Bereitschaft, alles für sie zu geben?“

„Ja, einschließlich sich vor – wie vielen Leuten? Zwölf Millionen? – zu blamieren.“

„Er hat sich doch nicht blamiert. Er war völlig hingerissen von ihr. Jede Frau träumt davon, diesen Ausdruck in den Augen eines Mannes zu sehen.“

„Tatsächlich?“ Wieder warf er ihr diesen prüfenden, wissenden Blick zu. „Einschließlich Ihnen?“

„Ich habe mit diesem romantischen Unsinn abgeschlossen“, erwiderte sie mit fester Stimme, nicht ganz sicher, ob sie ihn oder sich selbst überzeugen wollte.

„Wirklich?“, fragte er leise.

„Ja!“

Und bevor diese tiefblauen Augen die Gelegenheit bekamen, auch die letzten Geheimnisse ihres Herzens zu erspähen, wandte Meredith schnell den Blick ab.

„Prinz Kiernan, ich bin da wahrscheinlich eine große Ausnahme. Für die meisten Menschen jedoch bedeutet Romantik die ultimative Unterhaltung. Sie vermittelt diese wohlige Wärme, diese Aussicht auf ein Happy End.“

„Was in der Realität jedoch meist nicht so ist“, warf er ein wenig verbittert ein.

Die Zeitungen waren voll von Berichten über seine unzähligen Liebesdramen gewesen. Meredith war überrascht, dass sie plötzlich Mitleid mit ihm empfand. Der kurze Moment der Verzweiflung in seinen Augen war ihr nicht entgangen.

Jetzt heißt es erst recht, sich in Acht zu nehmen. „Ich will damit nur sagen …“, erklärte Meredith nun ein wenig sanfter, „… wenn Sie es schaffen, einen solchen Auftritt hinzulegen, wird das Publikum außer sich sein vor Begeisterung. Sie müssen es natürlich nicht haargenau so machen wie im Video.“

„Ich weiß nicht, mir ist das zu persönlich. Könnten wir den Tanz nicht ein wenig förmlicher halten?“

„Das könnten wir. Aber wo bleibt dann der Überraschungseffekt? Damit würden Sie nur wieder ihrem Ruf gerecht werden, dass Sie etwas, naja … langweilig sind.“

„Langweilig?“, wiederholte er fassungslos. „Mit ernst, distanziert, unnahbar, sogar arrogant komme ich ja noch klar. Aber langweilig? Ist langweilig nicht gleich prüde?“

Wieder senkte sich sein Blick auf ihre Lippen, und erneut konnte Meredith in seinen Augen lesen, was er dachte. Da war unverkennbar diese Sehnsucht, sie zu berühren, sie an sich zu ziehen und herauszufinden, wer von ihnen beiden wirklich prüde war.

Stattdessen steckte er die Hände in seine Hosentaschen.

War Meredith erleichtert oder enttäuscht? „Nun ja, wir werden es so arrangieren, dass Sie sich wohlfühlen“, kam sie ihm entgegen. „Jetzt gucken wir mal, wie weit wir bereits sind.“ Wieder fummelte sie an der Musikanlage herum, bis der Hochzeitswalzer ertönte. Anmutig streckte sie Kiernan ihre Hand entgegen. „Eure Hoheit?“

Gespannt hielt Meredith die Luft an. Er schien zu zögern.

Doch dann ergriff er ihre Hand.

Seine Berührung löste ein Kribbeln bei Meredith aus, das sie bis hoch zu ihrem Ellbogen spürte.

3. KAPITEL

„So würden wir die Nummer eröffnen …“, erklärte Meredith, „… mit einem einfachen Drei-Viertel-Takt-Walzer, wie im Video.“

Prinz Kiernan machte ein paar Schritte und versuchte, nicht daran zu denken, wie perfekt ihre Hand in seine passte, wie weich sich ihre schmale Taille anfühlte.

„Hmm …“, kommentierte sie, „… gar nicht mal schlecht. Sie sind nur nicht – wie soll ich es sagen? Entspannt genug. Genau hier an dieser Stelle könnten Sie ein wenig mehr loslassen. Probieren wir es noch einmal.“

Statt sich zu entspannen, verkrampfte Kiernan sich nur noch mehr.

„Prinz Kiernan, das ist doch kein Militärmarsch!“

Verdammt, sie ist wirklich eine Ziege!

„Stellen Sie sich doch einfach etwas Entspannendes vor. Wir wär’s mit Radfahren?“, schlug sie begeistert vor. „Ja, stellen Sie sich vor, wie Sie eine ruhige Allee entlangradeln. Überall stehen kleine reetgedeckte Häuschen und schwarz-weiße Kühe, die friedlich Gras fressen. In Ihrem Fahrradkorb haben Sie verschiedene Leckereien für ein herrliches Picknick dabei.“

Prinz Kiernan veränderte den Druck auf ihre Hand. Langsam brach ihm der Schweiß aus.

Meredith deutete sein Schweigen richtig. „Picknick und Radtour passen nicht in Ihre Welt, stimmt’s?“

„Nein, nicht so wirklich“, seufzte er. „Auf dem Pferderücken bin ich entspannt. Aber das ist ja wiederum nicht Ihre Welt.“

„Nein, schließlich sind Pferde ja auch der Grund, warum Sie überhaupt hier sind.“

Wieder zuckte er ein wenig zusammen bei dem Ton, in dem sie mit ihm sprach. Nun ja, Adrian hatte ihn ja gewarnt. Erstaunlicherweise fand er es sogar recht erfrischend, dass jemand ihm mal so direkt die Meinung sagte.

„Sie sind also noch nie Rad gefahren?“

„Doch, sicher. Aber zu der Zeit, wo die meisten Kinder wohl ihr erstes Fahrrad bekommen, hatte ich bereits mein eigenes Pony. Habe ich damit etwas Außergewöhnliches verpasst?“

„Nichts Außergewöhnliches, eher etwas ganz Normales. Der Wind in den Haaren, das aufregende Gefühl, einen Hügel hinunterzurollen, durch Pfützen fahren … Ich kann mir kaum vorstellen, wie man das alles gar nicht kennen kann.“

Das Mitgefühl in ihrer Stimme verblüffte ihn. „Tue ich Ihnen etwa leid, nur weil ich noch nie mit dem Fahrrad eine Landstraße entlanggeradelt bin?“

„Ein wenig schon“, gab sie zu.

„Das ist nicht nötig“, erwiderte er kühl. „Ich habe noch nie jemandem leidgetan. Schließlich habe ich sehr viel Macht und große Privilegien. Ich brauche kein Mitgefühl und will es auch nicht.“

„Nun seien Sie doch nicht so empfindlich. Ich fand es halt irgendwie traurig. Wahrscheinlich haben Sie auch noch nie im Matsch gespielt und dieses köstliche Gefühl verspürt, wenn der Schlamm mit jedem Schritt zwischen den nackten Zehen hindurchgequetscht wird. Oder ein paar Bier in einem Pub getrunken und Dart gespielt. Sie kennen sicher auch nicht die Vorfreude auf einen großen Eisbecher mit Karamellsoße, für den man sein ganzes Taschengeld gespart hat.“

„Ich weiß nicht, worauf Sie jetzt hinaus wollen.“

„Nun, es ist kein Wunder, dass Sie nicht tanzen können! Sie haben fast alles verpasst, was das Leben lebenswert macht.“

Für einen Moment wurde er ganz still. „Ich wusste gar nicht, dass mein Leben so armselig ist.“

Sie zuckte die Schultern. „Irgendjemand musste es Ihnen ja mal sagen.“

Und dann lachte er lauthals. Und sie fiel ein.

Jetzt hatte sie es tatsächlich geschafft, ihn ein bisschen aufzulockern. Gleichzeitig hatte der Schutzwall zwischen ihnen angefangen zu bröckeln.

„Stellen Sie sich vor, eine Radtour mit einer ganzen Truppe von Sicherheitsleuten zu machen, während ständig Paparazzi vor Ihnen aus den Büschen springen, um das perfekte Foto zu ergattern. Das ist eher weniger idyllisch, oder?“

„Ja, da haben Sie wohl recht“, gab sie zu. „Ist es hart, so zu leben?“

„Mein Leben ist nicht hart“, bekannte er. „Eher im Gegenteil. Ich denke, die Leute beneiden mich um meine Privilegien.“

„Das meinte ich nicht“, antwortete sie leise. „Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, wenn man nie weiß, ob die Leute bloß nett zu einem sind, weil man wichtig ist. Wenn man ständig unter Beobachtung steht …“

Für einen Moment flackerte in ihren Augen etwas auf, als spiegelten sie ein Stück von ihm selbst.

Er war einsam. Und sie wusste es. Sie hatte erkannt, was die anderen nicht sahen. Nun, er war schließlich gern allein.

Um sie vom Thema abzulenken, fragte er: „Was ist mit Fliegenfischen in einem ruhigen Fluss? Dabei kann ich mich ganz wunderbar entspannen.“

Aha, er baute den Schutzwall zwischen ihnen wieder auf, zum Glück.

„Perfekt“, stimmte sie zu. „Halten Sie dieses Bild fest. Sehen Sie, es klappt schon besser. Ich gehe ab und zu übrigens auch ganz gern Fischen.“

„Tatsächlich? Ich kenne nur Frauen, die ein furchtbares Theater machen, wenn sie einen Fisch vom Haken lösen sollen.“

„Das ist ja wohl ein Vorurteil. Ich kann diese hilflosen kreischenden Tussis nicht ausstehen.“

„Dann sind Sie also keine Tussi?“, erkundigte er sich, und ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund.

Sofort stieg Meredith das Blut in den Kopf. „Na, also ich hoffe doch, nicht.“

Er beobachtete sie, und sein Lächeln wurde breiter. Vorsichtig zog er Meredith näher an sich heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Wer von uns beiden ist denn nun wirklich prüde?“

Meredith wurde noch ein wenig röter. Daraufhin verkrampfte sich Kiernan ebenfalls, und mit einem Mal lag wieder eine solche Spannung in der Luft, die ihn so aus dem Konzept brachte, dass er Meredith fast auf den Fuß getreten wäre.

Seufzend ließ sie ihn los und schaute ihn prüfend an. „Prinz Adrian war jedenfalls nicht so verklemmt.“

„Meiner Meinung nach würde Adrian ein wenig mehr Verklemmtheit ganz guttun“, setzte er entgegen.

Meredith seufzte erneut. Sie probten gerade einmal fünfzehn Minuten, und sie war schon völlig entnervt.

„Wird das jetzt bei jeder Probe so weitergehen, Eure Hoheit?“

„Ich schätze, ja.“

„Gut, ich werde die Herausforderung dennoch annehmen“, teilte sie ihm entschlossen mit.

„Das hatte ich befürchtet“, stöhnte er.

„Also, versuchen wir es noch einmal. Tief einatmen, den Fuß nach vorn gleiten lassen, eins, zwei, rechts, eins, zwei … gleiten, Eure Hoheit, nicht im Stechschritt, bitte! Schauen Sie dabei in meine Augen, nicht auf Ihre Füße. Aua!“

„Das kommt davon, wenn ich nicht auf meine Füße schaue“, erklärte er verärgert.

„Machen Sie sich um meine Zehen mal keine Sorgen. Also, schauen Sie mir in die Augen. Doch nicht so! Jetzt gucken Sie, als hätten Sie Bauchschmerzen.“

Er verdrehte die Augen.

„Und jetzt, als ob sie einen unartigen Hund ansehen würden.“

Krampfhaft versuchte er, seinen Gesichtsausdruck zu neutralisieren.

„Zu gelangweilt!“ Sie seufzte. „Eure Hoheit?“

„Ja?“

„Könnten Sie bitte so tun, als würden Sie mich lieben?“

„Du meine Güte“, murmelte er atemlos.

„Autsch!“, entfuhr es ihr, als er ihr erneut auf den Fuß trat. Wie konnte sie auch so etwas zu einem Prinzen sagen? Als ob sie sich nicht gegenseitig schon nervös genug machten.

Meredith war in ihrer gesamten Karriere noch nie so gehemmt gegenüber einem Tanzpartner oder – schüler gewesen. Der Prinz hatte einfach eine unglaublich maskuline Ausstrahlung. In seiner Anwesenheit fühlte Meredith sich die ganze Zeit wie elektrisiert. Natürlich würde sie ihn das nicht spüren lassen. Allerdings hatte sie ihn schon zwei Mal dabei ertappt, wie er sehnsüchtig auf ihre Lippen herabsah.

Unglücklicherweise war es hinsichtlich der richtigen Wirkung ihres Tanzes sogar ihre Aufgabe, so viel männliche Energie wie nur möglich bei ihm freizusetzen. Das Publikum sollte denken, dass sie sich leidenschaftlich liebten. Wenn sie das schaffte, würden die Zuschauer nur so toben vor Begeisterung.

Doch je mehr sie versuchte, Prinz Kiernan aus seinem Schneckenhaus zu locken, desto mehr schien er sich zurückzuziehen.

„Vielleicht reicht das für den ersten Tag“, erklärte sie schließlich nach einer weiteren verkrampften halben Stunde. „Wir sehen uns morgen zur gleichen Zeit. Dann werden wir uns mal an den nächsten Teil wagen. Es wird Ihnen gefallen. Einige der Bewegungen sind sehr athletisch.“

Er wirkte nicht gerade begeistert.

Und am nächsten Morgen war sie nach den ersten Takten ebenfalls frustriert.

„Eure Hoheit! Sie müssen Ihre Hüften bewegen! Wenigstens ein kleines bisschen!“

„Mir reicht’s“, erklärte er, ließ sie los und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich hab genug.“

„Aber …“

„Kein aber. Ich will nichts mehr hören, Miss Whitmore.“ Sein Ton ließ absolut keinen Zweifel daran, wer hier das Sagen hatte.

Prinz Kiernan war ein wunderschöner Mann, perfekt proportioniert, lange Beine, flacher Bauch, enorm breite Schultern. Aber er konnte sich einfach nicht bewegen!

Er drehte ihr den Rücken zu und tätigte einen kurzen Anruf.

Als er sich wieder umwandte, sah sie vor sich den Mann, der eines Tages das ganze Land regieren würde. Mit grimmiger Entschlossenheit forderte er sie auf, ihm zu folgen.

Zögernd, weil sie sich nicht so leicht von ihm herumkommandieren lassen wollte, doch gleichzeitig staunend, folgte sie ihm durch die langen Flure des Palasts. Sie hatte den Ballsaal immer durch den Dienstboteneingang betreten, doch nun hatte sie endlich einmal die Gelegenheit, den Rest des Bauwerks von innen zu sehen. Italienische Marmorböden, Vasen in Alkoven, die nur so überquollen vor frischen bunten Blumen, ein Gemälde, das sie beeindruckt als echten Monet erkannte.

Der Prinz führte sie durch eine Glastür hinaus in einen hübschen Innenhof. Meredith seufzte entzückt, als sie die uralten, mit Ranken bewachsenen Steinwälle entdeckte, die den Hof begrenzten, den Löwenkopf, aus dem ein Strahl Wasser blubberte, und die Schmetterlinge, die von einer Frühlingsblüte zur nächsten flatterten. In der Luft hing ein frischer Fliederduft.

Und in einer schattigen Ecke stand ein für zwei Personen gedeckter Tisch mit einer Kristallkaraffe Limonade und einer dreistufigen Etagere aus Silber mit feinstem Gebäck.

„Haben Sie das gerade bestellt?“, erkundigte sie sich verwundert. Als Kind hatte sie mit ihrem abgesplitterten Geschirr Teegesellschaften nachgespielt. Nur war ihr Gast damals bloß ein alter tintenbekleckster Teddybär gewesen, den irgendein Kind aus einer der reichen Familien, bei denen ihre Mutter putzte, nicht mehr haben wollte.

Dieses Mal war ihre Gesellschaft nicht ganz so harmlos.

„Setzen Sie sich“, forderte Prinz Kiernan sie auf und schenkte ihnen Limonade ein.

Sie nahm einen vorsichtigen Schluck und biss sich auf die Zunge, um den Kommentar zu unterdrücken. Es war frische Limonade, keine aus Pulver zubereitete. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, dass es Limonadenpulver gab.

„Greifen Sie zu“, ermunterte er sie.

Fast wollte sie stolz ablehnen, doch das Kind in ihr, das so entbehrungsreich aufgewachsen war, drängte danach, sich gierig auf die köstlich aussehenden Gebäckteilchen zu stürzen. Sie griff nach einem winzigen Windbeutel, der die Form eines Schwans hatte. Als Kind hatte sie ihre Teegesellschaften immer mit trockenen Keksen abhalten müssen. Am liebsten hätte sie das kunstvoll gestaltete Gebäck in ihrer Hand zunächst gebührend bewundert, doch sie wollte sich nicht die Blöße geben zu zeigen, wie beeindruckt sie tatsächlich war.

Prinz Kiernan schien bewusst zu warten, bis sie vorsichtig abgebissen hatte, bevor er sprach.

„So …“, erklärte er streng, „… jetzt können wir uns noch einmal über den Hüftschwung unterhalten.“

Die zarte Vanillecreme im Windbeutel hatte sie tatsächlich besänftigt. Statt auf ihn einzureden, leckte sie vorsichtig einen Klecks Creme von den puderzuckerbestreuten Federn des Schwans.

Prinz Kiernan schien einen Moment irritiert zu sein, zwinkerte und wandte den Blick ab.

Als er wieder sprach, klang er nicht mehr ganz so streng. „Also …“, fuhr er fort, „… ich werde nicht mit den Hüften wackeln, nicht heute, nicht morgen und auch nicht bei der Show.“

Meredith leckte ein wenig Sahne aus ihrem Mundwinkel und schien gar nicht zugehört zu haben. „Das ist der köstlichste Windbeutel, den ich jemals gegessen habe. Entschuldigen Sie, was haben Sie eben gesagt?“

Er schob ihr die Etagere erneut zu und hatte offensichtlich vergessen, was er gesagt hatte.

Meredith wählte ein winziges Konfekt aus Schokolade und Blätterteig. Der Prinz schien sie mit diesen Köstlichkeiten bestechen zu wollen.

„Ich glaube, Sie hatten vom Hüftwackeln gesprochen“, half sie ihm auf die Sprünge, biss genüsslich in das Konfekt und schloss die Augen.

„Tatsächlich?“, brummte er ein wenig gequält.

„Ich meine, ja.“ Sie öffnete die Augen und leckte sich die Schokolade von den Fingern. „Das war fantastisch. Möchten Sie nichts probieren?“

Er nahm sich ein Konfekt und schob es sich ungeziert in den Mund.

„Sind da irgendwelche Drogen drin?“, fragte sie lächelnd.

„Das überlege ich auch gerade. Ich kann mich nämlich gar nicht konzentrieren auf das …“

„Hüftwackeln“, ergänzte sie und spähte erneut nach dem Gebäck. „Ist eigentlich auch egal. Es ist nicht so wichtig. Wir überlegen uns etwas, womit Sie sich wohler fühlen.“

Er lächelte. Erst dachte sie, er sei erleichtert, weil er nicht die Hüften bewegen musste. Dann erst bemerkte sie, dass er sie anlächelte.

„Sie lieben Süßigkeiten. Wer hätte das gedacht? Nehmen Sie sich doch noch etwas.“

„Also gut“, erwiderte sie errötend und griff nach einer schokoladengetränkten Kirsche.

Von der anderen Seite des Steinwalls drang Hufgeklapper zu ihnen herüber.

„Ah …“, rief Prinz Kiernan freudig und sprang scheinbar erleichtert vom Tisch auf, „… das ist mein Pferd. Bleiben Sie gern sitzen, so lange Sie mögen, und genießen Sie den Garten. Wir sehen uns dann morgen.“

Wieder sprach er in diesem Ton, der keine Widerrede duldete. Er hatte das Tanzen für heute abgehakt, ob ihr das gefiel oder nicht. Der Prinz hatte gesprochen.

Er öffnete eine schwere bogenförmige Holztür, und Meredith blieb allein im Garten zurück.

Seufzend lehnte sie sich zurück und griff nach einem kleinen Tortenstückchen, das sie sich, jetzt, wo sie allein war, komplett in den Mund schob. Irgendwie musste sie dem Prinzen begreiflich machen, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten zum Üben und morgen doppelt so lange würden proben müssen. Sie hatte ihn davonkommen lassen, was das Hüftwackeln betraf, doch sie würde sich nicht in die Rolle des Schwächlings fügen, den man mit etwas Gebäck und einem Lächeln manipulieren konnte.

Ohne weiter zu überlegen, sprang sie auf und folgte dem Prinzen durch die Holztür. Wie geblendet blieb Meredith für einen Moment stehen und ließ den Anblick des prachtvollen Hofgartens auf sich wirken.

Aus einer Fontäne in der Mitte des Gartens rauschten Unmengen von Wasser über die lebensgroße Skulptur von Prinz Kiernans Großvater auf einem Schlachtross herab. Die gepflegten Blumenrabatten leuchteten in den buntesten Farben. Der Palast lag auf einem Hang, von dem aus man einen herrlichen Blick über die sanfte Hügellandschaft der Insel hatte. Vor Meredith erstreckten sich Felder und Weideland, auf dem die ersten jungen Lämmer herumtollten. Sie erkannte die roten Dächer der Farmhäuser und ganz in der Ferne die Silhouette der Stadt Chatam, eingebettet in ein kleines Tal. Dahinter öffnete sich der endlose Ozean.

Mächtige Eichen säumten die lange Zufahrt, die sich den Hang entlangschlängelte. An deren Ende befand sich ein gewaltiges schmiedeeisernes Tor, in das mit bronzenen Buchstaben „Chatam Palast“ eingearbeitet worden war.

Die Tatsache, dass Meredith sich innerhalb der Mauern des Palasts befand, erschien ihr fast wie ein Traum, doch sie ermahnte sich, an ihre Aufgabe zu denken. Sie würde dem Prinzen schonungslos zu verstehen geben, dass sie sich für den Rest der Woche ins Zeug legen mussten.

Vor dem Springbrunnen stand ein Stallbursche und hielt ein Pferd fest. Prinz Kiernan ließ seine Hand beruhigend über den Hals des Tiers gleiten, bevor er den Fuß in den Steigbügel schob, um sich in den Sattel zu ziehen.

Meredith hatte noch nie zuvor einen Mann dermaßen in seinem Element beobachten können. Der Prinz strahlte Macht, Selbstbewusstsein und Anmut zugleich aus, all die Dinge, die sie sich von ihm auf dem Tanzparkett erhoffte.

Das Pferd stand ganz still. Sein seidiges schwarzes Fell glänzte in der Sonne, und als Meredith langsam auf sie zuging, wandte es den Kopf in ihre Richtung.

Sie hatte noch nie so nah vor einem Pferd gestanden. Jegliche Gedanken an ihre geplante Belehrung waren verflogen.

Prinz Kiernan wandte den Kopf, als sein Pferd in Merediths Richtung schaute.

Er hatte gehofft, der Frau, die es schaffte, das Verzehren von Gebäckteilchen wie eine Szene aus einem nicht ganz jugendfreien Film wirken zu lassen, entkommen zu sein. Stattdessen stand sie nun wie angewurzelt vor ihm und stieß einen erschrockenen Laut aus, als sein Pferd ihr den Kopf entgegenstreckte.

„Kommen Sie, sagen Sie Ben Hallo“, schlug er vor und entließ den Stallburschen mit einem Nicken.

Er sah ihr an, wie unwohl sie sich fühlte. Schließlich hatten sie gerade mit ihrer spontanen kleinen Erfrischungsrunde eine gewisse unsichtbare Linie überschritten. Nun versuchte Meredith wohl, wieder möglichst professionell zu wirken.

Allerdings hatte er es äußerst anregend gefunden, sie beim Essen zu beobachten. Und jetzt schien sie von seinem Pferd ebenso fasziniert zu sein wie von den Gebäckteilchen zuvor.

„Er ist ja riesig“, flüsterte sie.

Prinz Kiernan stieg wieder ab und ergriff ihre Hand, um sie vorsichtig näher heranzuziehen.

Sie hatten sich bereits beim Tanzen berührt, doch das hier war etwas anderes. Nach ihrem fast schon erotischen kleinen Picknick im Innenhof erschien ihm plötzlich alles an dieser Frau irgendwie neu.

Vorsichtig führte er ihre Hand zum Pferdemaul. „Er möchte Sie beschnuppern“, erklärte er leise.

Der Hengst blähte die Nüstern und blies dann einen Schwall warmer feuchter Luft gegen ihre Haut.

„Du meine Güte“, stieß Meredith hervor, und ihre Augen wurden ganz groß und rund vor Aufregung.

„Fassen Sie ihn ruhig an“, schlug Kiernan vor. „Genau hier, zwischen seinen Nüstern.“

Zögernd streckte sie erneut die Hand aus und ließ ihre Finger über das weiche Pferdemaul gleiten. Genießerisch schloss sie die Augen, fast so wie vorhin, als sie den kleinen Windbeutelschwan auf ihrer Zunge hatte zergehen lassen.

„Es fühlt sich unglaublich toll an, wie Samt, nur noch weicher.“

„Sehen Sie? Und Sie brauchen gar keine Angst zu haben“, erwiderte er.

Doch sie beide wussten, dass das nicht ganz stimmte. Die tatsächliche Gefahr lag jedoch ganz woanders.

Schnell zog sie die Hand zurück und trat einen Schritt zurück. „Danke …“, stieß sie hervor, „… ich gehe jetzt besser.“

Kiernan runzelte die Stirn. Sie hatte Angst. Er sah es an der Ader an ihrem Hals, die wild pulsierte. „Warten Sie noch einen Moment“, bat er. Irgendetwas in ihm, vielleicht sein Beschützerinstinkt, verlangte danach, ihr diese Angst zu nehmen. „Berühren Sie ihn hier noch einmal, am Hals“, schlug er vor und ließ seine Hand unter Bens seidiger schwarzer Mähne über die kräftigen Halsmuskeln gleiten.

Zögernd trat Meredith wieder näher und legte ihre Finger auf die Stelle, die Kiernan zuvor berührt hatte. „Ich kann seine Kraft spüren“, flüsterte sie.

Kiernan sah sie an und empfand plötzlich den Drang, ihre Hand auf seine eigene Brust zu legen, damit sie seine Stärke ebenfalls spüren konnte. Was für ein verrückter Gedanke.

„Wenn Sie jetzt mit Ihrem Gesicht einmal ganz nah an seinen Hals gehen, dann werden Sie einen Duft wahrnehmen, der so süß ist, dass Sie sich wundern werden, wie Sie so lange ohne ihn leben konnten.“

„Hoffen wir, dass ich keine Pferdeallergie hab“, versuchte Meredith zu scherzen und stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Duft des Tiers tief einzuatmen.

Der Prinz lächelte, als er ihren freudig erstaunten Gesichtsausdruck sah. „Ich hab es doch gesagt.“ Er schmunzelte. „Möchten Sie einmal auf ihm sitzen?“

„Auf keinen Fall!“

„Es ist überhaupt nicht gefährlich“, versuchte Kiernan, sie zu überzeugen. „Ich verspreche Ihnen, dass ich auf Sie aufpasse.“

Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, doch plötzlich war sie ganz still. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

„Vielleicht ein anderes Mal“, antwortete sie leise.

„Sie zittern ja“, stellte Prinz Kiernan fest. „Sie brauchen sich doch nicht zu fürchten.“

Meredith wusste es besser. Die Leute hatten gar keine Ahnung, wie vorsichtig man sein musste im Leben.

Als sie jedoch in Prinz Kiernans besorgt wirkende Augen schaute, schien ihre Angst zu weichen. Was lächerlich war. Die Tatsache, dass sie Vertrauen zu ihm aufbaute, sollte ihr eigentlich erst recht Angst machen.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen hoch. Stellen Sie Ihren linken Fuß in den Steigbügel, und fassen Sie mit der linken Hand an den Sattelknauf.“

Die Versuchung war einfach zu groß. Sie war schließlich nur ein armes Mädchen aus Wentworth. Auch wenn sie mittlerweile etwas aus sich gemacht hatte, gehörte sie immer noch zur Arbeiterschicht.

Diese Chance würde sie nicht noch einmal bekommen – unter der Frühlingssonne vor dem Chatam Palast auf einem Pferd zu sitzen, mit Prinz Kiernan neben sich, der ihr versprach, auf sie aufzupassen.

Ich verspreche dir, dass ich auf dich aufpasse. Genau diese Worte hatte Meredith schon einmal gehört. Sie sollten ihr eine Warnung sein.

Als sie Michael Morgan gebeichtet hatte, dass sie schwanger war, hatte er ihr versichert, dass er sich um sie kümmern würde. Dass sie heiraten würden.

Noch jetzt sah sie das junge Mädchen mit ihrem kleinen Babybauch unter dem Kleid vor dem Standesamt stehen. Sie wartete eine Stunde, dann zwei. Sie fürchtete, dass Michael einen Unfall gehabt hatte. Womöglich lag er irgendwo, schwer verletzt.

Als es dunkel war und anfing zu regnen, kam schließlich ihre Mutter, die sich geweigert hatte, an der Zeremonie teilzunehmen. Wortlos führte sie die zitternde und durchnässte Meredith zum Auto und fuhr sie nach Hause.

Das hatte man davon, wenn man jemandem vertraute.

Dennoch folgte sie jetzt Kiernans Anweisungen, spürte seine kräftigen Hände um ihre Taille, und ehe sie sich versah, saß sie im Sattel.

„Sollen wir eine kleine Runde drehen?“, fragte der Prinz.

Sie nickte und umfasste den Sattelknauf vor sich.

Kiernan griff nach den Zügeln, und das Pferd setzte sich in Bewegung. Doch statt eine kleine Runde um den Springbrunnen zu drehen, führte er sie auf die große Rasenfläche, die den Palast umgab.

Während Meredith versuchte, sich dem Rhythmus des Pferds anzupassen, redete Prinz Kiernan beruhigend auf sie ein.

„Genau so. Entspannen Sie sich einfach.“ Er schaute zu ihr hoch. „Sie haben ein sehr gutes Gleichgewichtsgefühl. Das kommt sicher vom Tanzen. Richtig so, gehen Sie mit den Bewegungen mit. Von der einen Seite zur anderen, dann vor und zurück, spüren Sie das?“

Meredith nickte begeistert und genoss das erhebende Gefühl, so weit oben auf einem Pferderücken zu sitzen. Statt irgendwann umzukehren, führte Kiernan sie immer tiefer in die Palastgärten hinein.

„Auf der linken Seite sehen Sie eines der drei Labyrinthe“, erklärte er. „Hier habe ich als kleiner Junge gespielt und mich verirrt. Ich fand es immer wahnsinnig aufregend.“

Meredith war überrascht, was er ihr alles zeigte und erzählte. Das würde die Öffentlichkeit nie erfahren, auch wenn die Gärten für die Allgemeinheit zugänglich waren. Doch nur sie, Meredith, wusste, an welcher Stelle er von seinem ersten Pony gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte, dass dies der Springbrunnen war, in den Adrian und er mal Spülmittel gekippt hatten.

Die Sonne schien auf sie hinab, und der Pferdeduft kitzelte in Merediths Nase. Kiernan ging mit weit ausgreifenden Schritten vor ihr. Er führte das Tier ruhig und sicher; hin und wieder wandte er sich Meredith zu, um sie anzulächeln. Und sie spürte plötzlich etwas – etwas sehr Beunruhigendes.

Zum ersten Mal seit sechs Jahren, nachdem sie durch diesen schrecklichen Unfall ihr Baby verloren hatte, empfand sie einen Anflug von Glück.

4. KAPITEL

Als Kiernan sich nach ihr umschaute, sah er die Freude in ihrem Gesichtsausdruck. Die ganze Zeit über hatte er gedacht, dass sie viel zu ernst für eine so junge Frau wirkte. Irgendetwas schien sie sehr zu bedrücken. In ihrem Blick lag eine tiefe Trauer, selbst wenn sie lächelte.

In diesem Moment jedoch sah er sie zum ersten Mal völlig unbefangen lachen. Es ließ sie unglaublich liebenswert aussehen. Schnell wandte er sich wieder um und konzentrierte sich auf den Pfad vor ihm. Merediths Schönheit brachte ihn ganz durcheinander.

„Huch!“, rief sie plötzlich. „Prinz Kiernan! Er macht irgendetwas!“

Kiernan drehte sich um und sah, wie das Pferd mit dem Schweif schlug. Merediths panischer Gesichtsausdruck brachte ihn zum Lachen.

„Wenn das kein Hüftschwung ist“, kommentierte er. „Er verjagt bloß eine nervige Fliege, weiter nichts.“

Plötzlich wirkte Meredith wieder verspannt, und er versuchte, sie mit einem Witz aufzulockern. „Was den Hüftschwung angeht“, kam er auf das Thema zurück. „Vor hundert Jahren hätte ich Sie ins Verlies sperren lassen für Ihre Herumkommandiererei. Zehn Tage bei Brot und Wasser hätten Sie wieder gefügig gemacht.“

Lachend stimmte sie ihm zu.

„Und falls nicht, hätte ich Ihnen noch ein paar Ratten mit in die Zelle gesteckt.“

„Zum Glück haben Sie ja schon mithilfe Ihres köstlichen Gebäcks bekommen, was Sie wollten“, erwiderte sie lachend.

Bekommen, was ich wollte? Ihre Worte hatten mit einem Mal eine ganz andere Bedeutung für ihn. Er kam kaum gegen die Vorstellung an, wie er seine Hände durch ihr Haar gleiten ließ und seine Lippen ihre mit einem langen Kuss verschlossen.

Zögernd sah er sie von der Seite an. Ihr Lachen klang wie das Gluckern eines klaren Gebirgsbachs. Es veränderte sie. Es war, als käme die Sonne hinter den Wolken hervor. Merediths Distanziertheit und Strenge schienen wie weggeblasen. Sie war mit einem Mal mehr als nur schön, sie war außergewöhnlich.

Er stimmte mit ein, und ihr gemeinsames Lachen hallte von den alten Steinmauern wider, wobei die Sonnenstrahlen noch heller zu leuchten schienen.

Kiernan wurde bewusst, dass er das erste Mal seit endlos langer Zeit aus vollem Herzen lachte. Die Beziehung zu Tiffany schien etwas Grimmiges in ihm hervorgebracht zu haben, das er seit ihrer Trennung nicht mehr losgeworden war.

In diesem Moment jedoch fühlte er sich wie ein Erfrierender inmitten eines Schneesturms, der plötzlich das verheißungsvolle goldene Flackern eines warmen Feuers in der Ferne erspäht hatte.

Autor

Cathie Linz
Cathie Linz ist die ungekrönte Königin der schnellen romantischen Komödien, die einen im Herzen berühren und immer wieder zum Lachen bringen. Nachdem die USA-Today-Bestsellerautorin ihre Karriere in einer Universitätsbibliothek zugunsten des Schreibens aufgegeben hat, wurden weltweit über vierzig ihrer Romane veröffentlicht und in über zwanzig Sprachen übersetzt. Die Chicago Sun-Times...
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Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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Michelle Celmer

Michelle Celmer wurde in Metro, Detroit geboren. Schon als junges Mädchen entdeckte sie ihre Liebe zum Lesen und Schreiben. Sie schrieb Gedichte, Geschichten und machte selbst dramatische Musik mit ihren Freunden. In der Junior High veröffentlichten sie eine Daily Soap Opera. Ungeachtet all dessen, war ihr Wunsch immer Kosmetikerin zu...

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