Julia Saison Band 38

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INSEL DER SINNLICHEN TRÄUME von LOGAN, NIKKI
Sieht so das Paradies aus? Als Rob auf einer Insel vor der Küste Australiens strandet, traut er seinen Augen kaum. Die Bikini-Schönheit, die er am Strand entdeckt, weckt in ihm ein tiefes Begehren. Sein Charme scheint die hübsche Honor allerdings kalt zu lassen. Doch so leicht gibt Rob nicht auf …

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  • Erscheinungstag 07.07.2017
  • Bandnummer 38
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709617
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nikki Logan, Melanie Milburne, Patricia Kay

JULIA SAISON BAND 38

1. KAPITEL

Pulu Keeling, Western Australia

„Was, zum …?“

Rob Dalton drosselte die Geschwindigkeit des Motorboots, bis es leise dahintuckerte, und riss sein Fernglas hoch.

Bestimmt bildete er sich das nur ein.

Er richtete die Augen fest auf die Lagune, die durch die gefährlichen Korallenriffe um die Insel Pulu Keeling entstanden war. Dort hatte Rob sie – und es – flüchtig gesehen. Die Dünung zwischen dem Boot und der winzigen Insel nahm ihm die Sicht, gerade als er dachte, er würde vielleicht noch einen Blick darauf erhaschen. Dann entdeckte er sie wieder. Sie schwamm mit diesem glitzernden Ding hinter sich an Land.

Das konnte nicht sein!

Rob senkte das Fernglas und starrte die Insel an. Hoch aufragende Bäume, Sandstrand, das Riff, der Horizont, ein einziger Wolkenstreifen am endlosen blauen Himmel: Alles schien völlig normal zu sein.

Verwirrt setzte er die Sonnenbrille ab und drückte das Fernglas fest ans Gesicht. Sie war noch immer da – und es auch.

Unmöglich.

Trotzdem, es wirkte durchaus real, und so weit draußen auf dem Meer … Überlieferte Seemannssagen kamen ihm in den Sinn. Aber er war kein sexhungriger Matrose aus der Vergangenheit, der sich einbildete, eine Meerjungfrau zu sehen.

Sie näherte sich dem Strand, das Wasser wurde flacher, und dann stand sie … auf zwei Beinen. Lange, sonnengebräunte Beine. Und sie zog einen silberfarbenen Schwimmsack hinter sich her.

Rob stieß den angehaltenen Atem aus.

Meerjungfrau? Blödmann.

Ihm stieg die Hitze in die Wangen. Zum Glück war ja niemand in der Nähe, der es sehen konnte. Noch immer hämmerte sein Herz vor Aufregung. In seinem letzten Urlaub von der Wirklichkeit hatte er hier im Indischen Ozean schon viel Sonne abbekommen, aber so viel doch wohl nicht?

Schlimm genug, dass er eine Meerjungfrau sah, wo keine war – und jetzt eine Frau im Bikini, allein auf einer Insel, die Sperrgebiet war und nur von Vögeln und Krabben bewohnt wurde. Ging das als weniger sonderbar durch?

Im Hafen hatte der alte Kerl, der das Boot aufgetankt hatte, irgendetwas über eine Geisterfrau erzählt, die auf Pulu Keeling lebte. Eine Art Wächterin. Rob hatte angenommen, dass er eine Sagengestalt meinte.

Sie zerrte den Schwimmsack auf den Strand und ließ ihn fallen. Ihr herrlicher sonnengebräunter Körper verschwand mit der Dünung immer wieder aus seinem Blickfeld. Rob tat sein Bestes, um das Fernglas ruhig zu halten, als sich seine Meerjungfrau bückte und den Inhalt des Sacks prüfte.

Die endlos langen Beine endeten schließlich doch – bei einem winzigen gelben Stoffstück, das einen perfekten Po bedeckte, der hin und her wippte, während sie in dem Sack kramte.

Seine Neugier, was sie hier draußen mitten im Indischen Ozean machte, trat vorübergehend in den Hintergrund gegenüber dem männlichen Interesse, das plötzlich in ihm aufwallte. Lächerlich, dass er von ihr bezaubert war, wenn er doch zu Hause jede Menge Schönheiten auf Kurzwahl hatte.

Jetzt richtete sie sich auf, hob die Arme und wrang das Salzwasser aus ihrem langen blonden Haar.

„Dreh dich um, dreh dich um“, murmelte Rob, gespannt, ob ihr Gesicht genauso umwerfend wie ihr Körper war.

Sie drehte sich nicht um, sondern zog die Haltestricke auf ihre linke Schulter und schleifte den Sack hinter sich her über den Strand. Selbst mit ihrer schweren Last wirkten ihre Bewegungen anmutig. Ihr Körper strahlte Gesundheit und Vitalität aus. Rob schlug das Herz bis zum Hals, während sie auf den Waldrand zuging.

Dreh dich um.

Endlich tat sie es und beugte sich vornüber, um den Beutel über die Düne zu hieven. Rob erhaschte einen Blick auf straffe sonnengebräunte Oberarme und feste Brüste hinter dem gelben Triangeltop. Sobald sie den Sack über den Sandhügel gezogen hatte, ließ sie ihn los und hob die Hände, um ihre Augen vor der grellen Sonne zu beschirmen.

Augen, die auf ihn geheftet waren! Kurz fiel ihm das Fernglas aus der Hand und wäre fast im Wasser gelandet. Gerade noch rechtzeitig fing Rob es auf und schaute wieder zur Insel, wo die nun verkleinert erscheinende Frau wild winkte.

„Ja, ich habe dich gesehen, Süße.“ An die Begeisterung hübscher Frauen war er gewöhnt. Lässig winkte er zurück.

Jetzt fuchtelte sie mit beiden Armen und gönnte ihm den Anblick dieser hüpfenden gelben Stoffdreiecke.

Rob runzelte die Stirn. „Was ist?“

Es gab einen Ruck und ein grässliches Knirschen, als das Boot, das sein ganzer Stolz war, mit dem Heck gegen das Korallenriff stieß.

„Mistding …“ Rob schob den Gashebel nach vorn, riss das Steuer herum und fuhr das Boot ein Stück vom knapp über dem Wasserspiegel liegenden Riff weg. Dabei bemerkte er einen weiteren silberfarbenen Schwimmsack auf der anderen Seite der Insel, wo die Dünung weniger stark zu sein schien. War der gerade erst abgeworfen worden?

Rob fuhr hinüber und ankerte, damit er nicht abtrieb, dann setzte er seine Maske auf und glitt ins Wasser, wo das Riff steil abfiel. Sein T-Shirt blähte sich auf, als er in die dichte, eisige Stille tauchte.

Unter dem Boot strich er über den beschädigten Rumpf. Verdammt. Um das ordentlich reparieren zu lassen, musste er mindestens drei Tage im Trockendock liegen. Bei seinem Zeitplan konnte er sich das eigentlich nicht leisten. Aber sinken würde er vorerst nicht, wenn er den Riss hier notdürftig flicken konnte.

Er stieg nach oben, füllte seine schmerzenden Lungen mit Luft, schwamm herum zur Chromleiter und zog sich hoch ins Boot.

„Die Korallen haben Sie hoffentlich auch überprüft?“, hörte er eine wütende Stimme hinter sich.

In dem grellen Licht griff er blinzelnd nach seiner Sonnenbrille, setzte sie auf und drehte sich um. Seine Meerjungfrau stand auf dem Riff, mit wogenden Brüsten, fast nackt und tropfnass. So waren ihm Frauen am liebsten!

Normalerweise hatte er ein Dutzend bewährte geistreiche Antworten parat, mit denen er die Damenwelt entzückte. Nicht eine einzige fiel ihm ein, während er die zornige Frau anblickte, die auf dem Riff balancierte.

Genauer gesagt, die schrecklichen Narben erblickte, die sich von ihrem rechten Ohr bis zur Schulter zogen.

„Nun?“

Honor Brier hatte keine Lust, sich anstarren zu lassen, und schon gar nicht von ihm. Der Mann hatte gerade das Atoll gerammt, das Korallentiere im Lauf von Jahrhunderten errichtet hatten und das unbehelligt unter den Gummibooties wachsen konnte, die Honor trug, damit ihr das Riff nicht die Füße zerschnitt.

„Zwei Jahrzehnte nachdem Ihr Boot verschrottet ist, wird der Korallenstock noch immer sich selbst reparieren.“

Der Typ gab sich große Mühe, nicht auf ihre Schulter zu schauen, was es nur noch auffälliger machte. Honor unterdrückte den Drang, die Hand an ihren Hals zu legen, und stemmte die Arme in die Seiten.

„Können Sie sprechen, oder sind Sie nur Dekoration?“

Das half ihm auf die Sprünge. Er ließ ein Lächeln aufblitzen, mit dem er bestimmt schon viele Frauenherzen erobert hatte, weichere, weniger abgestumpfte Herzen als ihres.

„Die Insel ist Schutzgebiet. Sie dürfen sich hier ohne Genehmigung und einen Fremdenführer nicht aufhalten“, sagte Honor.

„Sie sind doch hier.“

Ihre Haut prickelte bei seiner tiefen, schönen Stimme. Dass sie zum Rest von ihm passte, war eine Zumutung. „Ich habe eine Erlaubnis.“

„Und einen Fremdenführer?“

„Ich brauche keinen. Ich arbeite auf der Insel.“

„Es war nicht meine Absicht, hier zu stoppen. Wie Sie sehen können, bin ich auf ein Hindernis gestoßen.“

Honor musterte die Ausrüstungsgegenstände auf dem Deck seines Boots. „Sind Sie zum Tauchen hergekommen?“

„Warum fragen Sie? Ist der Meeresboden etwa auch geschützt?“

„Teile davon, ja. Innerhalb der Gewässer von Pulu Keeling. Warum waren Sie so nah am Riff?“

„Ich dachte, ich kann vielleicht die Gedenkstätte für die ‚Emden‘ entdecken. Dann wurde ich von … äh … einem Vogel abgelenkt.“

Der Mann interessierte sich für Vögel? Honor betrachtete sein teures Fernglas. „Einem Tölpel?“

Wieder zeigte er kurz diese perlweißen Zähne. „Ich glaube, es waren … zwei Vögelchen.“

Er glaubte? Pulu Keeling war berühmt für seine Tölpelkolonien. Drei Arten. Sicher wusste er das, wenn er …

Oh.

Blödmann. Honor seufzte und konzentrierte sich darauf, nicht die Arme vor der Brust zu verschränken. „Die Gedenkstätte können Sie mit dem Fernglas sehen, wenn Sie außerhalb des Riffs sind“, sagte sie ungeduldig.

Es wird Zeit, dass du verschwindest.

„Ich muss an Land kommen.“

„Ohne Genehmigung geht das nicht.“

„‚The Player‘ ist gefährdet. Der Schaden muss repariert werden.“

Der Spieler. Was für ein passender Name für sein Boot. „Dann sollten Sie besser nach Cocos zurückkehren.“

„Ich steche nicht in See, solange es nicht sicher ist.“

Wenn es wirklich zu riskant war, konnte sie ihn nicht stoppen. Nur hatte Honor bisher noch nie Anlass gehabt, einen Unbefugten auf die Insel zu bringen. Sie wusste nicht, wie sie damit verfahren musste.

„Also? Schicken Sie mich zum Ertrinken aufs offene Meer, oder darf ich an Land kommen?“

Bei seiner Wortwahl atmete Honor scharf ein und griff nach dem Sack, um sich zu beruhigen. Dieser Mann konnte nicht ahnen …

„Machen Sie, was Sie wollen.“ Ihr brach die Stimme.

„Wo fahre ich in die Lagune ein?“

„Nirgendwo. Sie müssen hier vor Anker gehen.“

„Ist das Ihr Ernst? Was ist mit der Südseite der Insel?“

„Jeder schwimmt nach Pulu Keeling. Es ist ein Atoll, völlig von einem Korallenriff umschlossen. Warum sonst ziehe ich wohl dies ganze Zeug durch die Lagune auf die Insel?“

Technische Ausrüstung stapelte sich an jedem freien Platz auf seinem Boot. Bei einem beschädigten Rumpf und dem unberechenbaren Wetter der Keelinginseln würde Honor die Sachen nicht zurücklassen, und sie wusste, dass ihr unwillkommener Gast genauso dachte.

Sie sprachen kaum, während sie das Boot ausräumten. Seinem missmutigen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war nicht nur sie alles andere als erfreut über die Situation. Als sie eine Ladung nach der anderen hinter sich her durch die Lagune zogen, wurde ein Gespräch sowieso unmöglich, weil Honor bei der harten Arbeit die Luft ausging.

Er reichte ihr die Gegenstände, und Honor lud sie zusammen mit ihrem Sack in das Schlauchboot, das sich in der geschützten Lagune auf und ab bewegte. Einige waren schwer, aber sie bewältigte alle, ohne zu klagen.

Schließlich verschloss der Schönling die Kajüte, ließ ein letztes Mal den Motor an und fuhr „The Player“ ein paar Meter weg vom Riff, wo er den Anker und den Ersatzanker warf. Dann sprang er ins Wasser und schwamm auf Honor zu. Er stemmte sich hoch, überwand die scharfe Kante des Riffs und schob das Schlauchboot von hinten an, während Honor vorausschwamm.

Im wadentiefen Wasser wartete sie, bis er aus der Brandung auftauchte, und gemeinsam zogen sie das Schlauchboot auf den Sand. Honor ließ das Schleppseil los und verbarg, dass sie völlig aus der Puste war, indem sie sich nach einer Verpackung bückte.

„Was ist das eigentlich alles?“

„Bergungsgeräte. Fotoausrüstung. Sonargerät. GPS.“

„Sie sind ein Plünderer?“ Absichtlich gebrauchte Honor das abfällige Wort für einen Bergungsexperten und beobachtete genau, wie er reagierte.

Du lieber Himmel, was mache ich, wenn er einer ist? Sie waren vom fünf Mann starken Polizeiaufgebot der Inselgruppe weit entfernt.

Seine Miene verhärtete sich. „Ich bin Meeresarchäologe.“

„Was ist der Unterschied?“

„Der Unterschied besteht darin“, sagte er, während sie Ausrüstungsgegenstände aus dem Schlauchboot weg von der Flutlinie schleppten, „dass das eine von der australischen Regierung gemäß dem Gesetz über historische Schiffswracks genehmigt ist, während das andere bloß Diebstahl ist.“

„Sie sind Schiffswrackjäger?“

Er lächelte strahlend. „Ich bin Schiffswracksucher.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte Honor ihn. „Sie sehen nicht wie ein Archäologe aus.“ Wirklich nicht. Er sah wie der Star einer Unterwäschewerbekampagne aus.

„Und Sie sind keine Meerjungfrau.“

„Wie bitte?“

„Nichts.“ Er streckte die Hand aus. „Robert Dalton. Rob, für meine Freunde.“

Honor nahm sie und nickte. „Robert. Ich bin Honor Brier.“

Sein Lächeln wirkte jetzt ein bisschen angestrengt.

„Und was machen Sie hier draußen im Indischen Ozean, Honor Brier? Das ist so ziemlich der letzte Ort, an dem ich eine Frau zu treffen erwartet habe.“

„Wegen der malaiischen Sage, nach der Frauen auf dieser Insel nicht leben können?“

„Nein. Weil sie angeblich unbewohnt ist.“

„Ich lebe acht Monate im Jahr hier. Ich überwache die Eiablage der Meeresschildkröten und untersuche die Tölpelkolonien.“

Er stellte noch eine Kiste auf die Dünenspitze. „Acht Monate lang? Auf einer Insel ohne Süßwasser und Versorgungseinrichtungen?“

Und ohne Menschen. Er brauchte es nicht auszusprechen. Er war nicht der Erste, der sie darauf hinwies. Honor zuckte die Schultern.

„Und was machen Sie?“

Sie sprach langsamer, weil sie sich fragte, ob sein gutes Aussehen vielleicht auf Kosten der Intelligenz gegangen war. „Ich überwache die Eiablage der Schildkröten und untersuche …“

„Die Tölpel, ich weiß. Ich meinte, was machen Sie sonst, um sich die Zeit zu vertreiben?“ Rob ergriff die Seile. „Eins, zwei, drei … anheben!“

Zusammen trugen sie das leere Schlauchboot den Strand hoch.

„Nichts sonst. Das ist alles. Ich tue meine Arbeit.“

Er starrte Honor an. „Allein?“

„Ja.“ Bis jetzt.

Er stieß einen Pfiff aus. „Wer hat denn an Ihnen etwas auszusetzen?“

„Niemand! Ich wollte auf diese Insel kommen. Ich finde es wunderbar hier.“ Und hier war sie der Stelle am nächsten, wo … Honor konnte gerade noch an sich halten, bevor sie in Gegenwart dieses Blödmanns auch nur an die beiden dachte. „Ihr Zeug müsste bis morgen sicher sein. Für heute Nacht ist kein Unwetter vorausgesagt.“

Honor ließ ihre Seite des Schlauchboots los, holte den zweiten Sack, der an der Wasserkante lag, und wankte, so würdevoll sie im einsinkenden Sand konnte, zu dem Pfad zwischen den dicht stehenden Kokospalmen.

Als sie sich umdrehte, sah sie Robert Dalton auf seine Ausrüstung im Wert von mehreren Tausend Dollar blicken, die schutzlos an ihrem Strand lag. Dann verzog er das Gesicht und folgte ihr.

Honor hatte nie vorgehabt, irgendjemandem ihr kleines Lager zu zeigen.

In der vorletzten Saison hatte sie den Pfad vom Strand zum Camp mit Muschelschalen eingesäumt. Sie hatte einen Haufen Geld für ein Designerzeltüberdach ausgegeben – eines mit van Goghs „Sonnenblumen“ drauf. Obwohl es auf einer tropischen Insel ziemlich seltsam aussah, gefiel ihr die persönliche Note.

Sie hatte sogar erwogen, einen Bodendecker zu pflanzen, um den feinen Sand zu binden, der in alles eindrang, sich dann aber dagegen entschieden. Pulu Keeling war zwar Australiens kleinster Nationalpark, doch für ihn galten dieselben Vorschriften wie für die größten Parks auf dem Festland. Einen Garten anzulegen war ein absolutes Naturschutz-Tabu. Also lebte Honor mit dem Sand. Überall.

Fasziniert sah sich Rob um. Die Insel war ihr Zuhause, ihre Zuflucht, und er hatte sie unverschämt abgetan, als wäre sie nicht ein Paradies mit üppiger Pflanzenwelt, kristallklarem Wasser und vielen wild lebenden Tieren.

„Das sieht ja ziemlich komfortabel aus“, sagte er.

„Ich habe hier alles, was ich brauche.“ Es stimmte. Zelt, Ausrüstung für die wissenschaftliche Arbeit, Erste-Hilfe-Kasten, Leuchtkugeln, Bücher, Laptop, Batterien, Funkgerät, Generator, Lebensmittelvorräte und haufenweise Zehnliterkanister mit Süßwasser. Jedes Teil an seinem vorgesehenen Platz, und jedes Teil schwamm am Beginn einer Überwachungssaison durch die Lagune zur Insel und am Ende zurück zum Versorgungsschiff.

Rob stand am Rand des Camps und bewunderte die Aussicht, die Honor seit vier Jahren vertraut war. Kokospalmen bildeten einen perfekten Rahmen für den Ozean hinter der Lagune. Die neun Meter hohen Pisonia-Bäume boten Schutz vor Unwettern und spendeten Schatten in der brennenden Sonne.

Gegen das strahlend helle Tageslicht vor der Baumgruppe hob sich Rob als Silhouette ab, und Honor bemühte sich, nicht darauf zu achten, wie gut er in Form war. Das nasse T-Shirt schmiegte sich an seinen muskulösen Rücken und die breiten Schultern. Obwohl er groß und schlank war, sah er trotz seines durchtrainierten Körpers nicht wie ein Kraftprotz aus. Honor stellte sich das ausgewogene Programm vor, mit dem er sich so fit hielt, und vermutete, dass auf dem Festland zwei persönliche Trainer auf seine Rückkehr warteten.

Weibliche zweifellos.

Plötzlich fragte Honor sich, ob sie ihre Aussicht – und ihre Insel – jemals im gleichen Licht betrachten würde wie früher.

Sie runzelte die Stirn. Wie kam sie plötzlich darauf? Ein Mann, der eine kurze Zeit auf Pulu Keeling verbrachte, würde nicht für immer all das Wunderbare und Schöne ihres Zufluchtsorts zunichtemachen. Es lag daran, dass ihr normaler Rhythmus gestört worden war.

Worauf wartete er? Einen Hotelpagen?

„Na los, kommen Sie herein.“

Rob betrat das Lager und schob die Sonnenbrille hoch in sein feuchtes dunkles Haar. Honors Herz begann zu rasen. Aus Furcht, dabei ertappt zu werden, wie sie ihn anstarrte, blickte sie schnell weg.

Seine Augen waren so leuchtend blau wie das Meer.

In aller Eile ging sie zu ihrem Zelt, schnappte sich eine langärmelige Bluse und zog sie über den Bikini an.

„Acht Monate …“, hörte sie ihn murmeln.

Sie drehte sich um und reckte herausfordernd das Kinn. „Wie lange brauchen Sie für die Reparatur?“ Die Frage klang unhöflicher, als Honor beabsichtigt hatte. Runter von meiner Insel! schien als Subtext mitzuschwingen.

Bei ihrem Ton wurden diese wundervollen Augen dunkler. „Keine Ahnung. Ich muss erst den Schaden abschätzen.“

„Wie kann ich helfen?“ Sie meinte es versöhnlich.

„Wollen Sie mich loswerden, Honor?“

„Nein. Ich bin nur nicht auf Besuch eingerichtet.“ Das stimmte und war dennoch nicht ganz die Wahrheit.

„Ich werde mein Bestes tun, Ihnen nicht im Weg zu sein.“

Robert Dalton konnte recht gut eine Pokermiene aufsetzen. Der schnelle Puls an seinem Hals war das einzige Zeichen, dass sie ihn verärgert hatte. Ihr Gesicht dagegen war ein offenes Buch.

„Ist schon in Ordnung.“ Honor griff nach ihrem Logbuch. „Ich muss sowieso arbeiten. Fühlen Sie sich wie zu Hause.“

Es brachte sie fast um, das zu sagen.

Noch unaufrichtiger hätte sein Lächeln nicht sein können.

War es für ihn so undenkbar, dass sich ein Mensch in ihrem kleinen Lager wie zu Hause fühlen konnte? Honor nahm ihr Fernglas und marschierte in den Wald.

Rob blickte ihr nach, dann schaute er sich wieder um. Sie hatte diesem Camp eine so persönliche, weibliche Note verliehen, dass er sich hier wie ein Störenfried vorkam. Seufzend ging er zum Strand zurück, zog das T-Shirt aus und hängte es über einen Strauch, dann watete er durchs Wasser und schwamm zu dem Boot, das er sich von seinem ersten selbst verdienten Geld gekauft hatte.

Minuten später setzte er seine Maske auf und machte sich auf dem Rand des Boots bereit.

Was war eigentlich ihr Problem? Allein schon, dass er hier war, nervte die Frau offensichtlich. Sie nahm an allem Anstoß, was er tat, und er war erst seit einer Stunde da. Nicht, dass sie völlig unhöflich gewesen war. Wie ein Pfundsmädel hatte sie seine ganze Ausrüstung an Land geschafft. Und am Ende hatte sie versucht, nett zu sein.

Rob lächelte. Mit Sicherheit war Honor Brier anders als die Frauen, die er kannte. Sie hatten ihn gern um sich, verfolgten ihn sogar regelrecht. Sich unerwünscht zu fühlen, war er nicht gewohnt. Auch nicht, dass eine Frau so offen und ehrlich war. Honor hatte kein Interesse daran, ihm zu gefallen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie ihn loswerden wollte. Nach dem unverlangten Geschmeichel, das er zu Hause ertragen musste, war das eine erfrischende Abwechslung.

Ein bisschen schmerzte es allerdings schon, nicht gut genug zu sein. Das war kein angenehmes Gefühl, aber es war echt.

Und es verunsicherte ihn auch nicht wirklich.

Robert Dalton senior hätte ihn eine Stunde lang angebrüllt, weil ihm Charakter wichtiger war als Charisma. Alle drehten sich um ihn, wie Planeten einen Stern umkreisten: Das stellte sich sein Vater unter perfekter Beziehung vor. Und er hatte versucht, seinen Sohn zu seinem Ebenbild zu formen.

Mit einer oft geübten Bewegung ließ sich Rob nach hinten ins Wasser fallen und tauchte ab, um noch einmal den Schaden einzuschätzen. Er fuhr mit der Hand über den Riss und stellte wütend fest, dass er einen Schweißbrenner benötigte. Auf dieser kurzen Fahrt hatte er keinen dabei, und er war ziemlich sicher, dass eine hübsche Einsiedlerin so etwas nicht griffbereit hatte.

Rob tauchte wieder hoch an die Oberfläche und stieg ins Boot. Noch hatte es kein Wasser aufgenommen, doch das konnte sich mit der Zeit und dem unbarmherzigen Rollen des Meeres ändern. Ohne Reparaturarbeiten war selbst die Fahrt nach Cocos zu gefährlich.

Bestimmt hatte Honor ein Funkgerät. Er würde in Kontakt mit der Seeschifffahrtsbehörde treten und seine missliche Lage schildern.

Wut über seine eigene Dummheit machte ihn unvorsichtig. Viel zu schnell stemmte er sich aufs Riff hoch und schürfte sich an den Korallen den Bauch auf. Die Mischung aus Salzwasser und frischer Luft brannte wie verrückt, aber er hatte schon Schlimmeres ausgehalten.

Nichts so Schlimmes wie Honor, erinnerte sich Rob, als er in die ruhigere Lagune sprang und an Land schwamm. Honors Narben sahen nicht nach Verbrennungen aus. Es schien eher so, als wäre sie von einem Frankensteinchirurgen zusammengeflickt worden.

Rob runzelte die Stirn. Das war kein netter Vergleich. Seine kleine Meerjungfrau hatte irgendeinen bösen Unfall gehabt, der noch nicht einmal sehr lange her sein konnte. Die rotgeränderten Narben deuteten auf eine höchstens ein paar Jahre zurückliegende Verletzung. War Honor wegen ihrer Hautschäden so abweisend und reizbar? Vielleicht hatte sie noch immer Schmerzen.

Der Gedanke schnürte ihm die Brust zu. Mit Schmerzen zu leben, wünschte Rob keinem Menschen. Ganz gleich, wie schwierig er war.

Zurück im Camp, wieder im T-Shirt, entdeckte er das Funkgerät sofort. Es war auf den Notfallkanal voreingestellt. Nicht, dass man es als Notlage bezeichnen konnte, gegen eine Koralleninsel voller Lebensmittelvorräte geprallt zu sein, aber es war ein meldepflichtiges Ereignis.

„AMSA Base Broome, hier ist Motorboot VKB 290. Over.“

Rob wartete, dann wiederholte er den Ruf an die Seeschifffahrtsbehörde im weit entfernten Nordwesten Australiens. Indonesiens Hauptstadt Jakarta lag näher, doch wenn es darum ging, wer in diesen Gewässern wohin fuhr, hatte Australien das letzte Wort.

Broome antwortete, und der Beamte und Rob wechselten auf einen freien Kanal, damit die Notfallfrequenz nicht überlastet wurde. So knapp wie möglich teilte Rob seinen Standort und den Schaden mit.

„Wissen Sie, dass es ein Schutzgebiet ist, VKB? Over.“

Dank Honor. „Ich hatte keine große Wahl.“

„Eine Wissenschaftlerin von ‚Parks Australia‘ ist zurzeit mit ausreichend Vorräten auf Pulu Keeling stationiert. Wir empfehlen, dass Sie Kontakt aufnehmen. Over.“

Plötzlich sah Rob im Geiste Honor tropfnass und wütend auf dem Riff stehen. Er lächelte. „Kontakt hergestellt.“

„VKB, wir haben einen Unfall auf einer Bohrinsel ungefähr achthundert Kilometer nördlich von Ihnen. Alle verfügbaren Rettungsdienste werden für ein paar Tage dort festgehalten. Wir empfehlen, dass Sie bleiben, wo Sie sind. Over.“

Rob fluchte. Das war so ein Moment, in dem Robert Dalton senior die Karte „Junge, wissen Sie, wer ich bin?“ ausspielen würde. Er würde eine Szene machen, seine gesellschaftliche Stellung und sein Geld ausnutzen, verlangen, von einem Hubschrauber abgeholt zu werden.

Momente wie dieser waren eine prima Gelegenheit für Rob, zu beweisen, dass er nicht wie sein Vater war.

Aber dann blickte sich Rob in dem winzigen Camp um und stellte sich vor, wie Honor und er tagelang versuchten, sich aus dem Weg zu gehen. Sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, was sie von ihm und seinem Beruf hielt.

Rob spielte die einzige Karte aus, die er hatte. Die akademische Welt. „Nein, Broome. Ich muss auf meinem Posten im Museum sein und eine wichtige Forschungsarbeit abliefern.“ Er schüttelte innerlich den Kopf über sich. Jetzt klang er genauso wie sein Vater …

Es war keine Überraschung, dass sich der Ton des Funkers merklich abgekühlt hatte, als er antwortete: „VKB, die Empfehlung ist soeben durch eine Anweisung ersetzt worden. Bleiben Sie, wo Sie sind. Over.“

So erging es einem, wenn man ein Blödmann war.

Diese Leute entschieden über seine Schiffsführer- und Bergungslizenzen. Rob wollte keinen Ärger damit haben. „Geschätzte Zeit für Hilfe?“

„Ihre Kontaktperson von Parks Australia erhält regelmäßig Lieferungen. Suchen Sie sich ein nettes Plätzchen am Strand, Professor. Es sieht so aus, als hätten Sie Urlaub. Over and out.“

2. KAPITEL

„Sagen Sie mir, dass Sie nur Spaß machen.“

Honor stand am Rand des Camps und starrte Rob entsetzt an.

Er musste sich anstrengen, um nicht zu lächeln. „Wann werden wieder Vorräte abgeworfen?“, fragte er gelassen.

„Das Schiff war heute Morgen da! Kann man Sie denn nicht abholen?“

Ihre Stimme klang ein bisschen hysterisch, und er konnte sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen.

„Was ist so lustig?“

„Sie. So, wie Sie sich aufregen, sollte man meinen, dass ich ein Serienmörder bin. Wann kommt das Versorgungsschiff zurück?“

„In zehn Tagen. Das ist über eine Woche!“

„Aber weniger als ein Monat.“ Hi, ich bin Rob Dalton, der unverbesserliche Optimist. Er wurde wieder ernst. Zehn Tage. Das bedeutete, dass er zehn lange Tage mit dieser Frau zusammenleben musste und dass er die Sitzung in der Zentrale des Familienunternehmens verpassen würde. Darüber würde Robert senior nicht erfreut sein.

Viel glücklicher sah Honor auch nicht aus. Aber absolut großartig. Ihr weizenblondes Haar war inzwischen fast trocken; es umrahmte ein fein geschnittenes Gesicht und fiel ihr über die rechte Schulter, sodass Rob die Hautschäden beinahe vergessen konnte.

Beinahe.

Frauen zu Hause würden Hunderte Dollar für diesen sexy Look bezahlen, während Honor in ihrem gelben Bikini mit der lässig übergeworfenen hauchdünnen blauen Bluse und in Tennisschuhen ohne Schnürsenkel kein Make-up und keinen Friseur brauchte, um attraktiv genug für das Titelblatt einer Zeitschrift zu sein.

Einer viel niveauvolleren als diejenigen, in denen er blätterte.

Honor war nicht die Schönste, die er jemals getroffen hatte. Hinreißende Schönheiten hatte Rob schon einige kennengelernt, und mit der Hälfte von ihnen war er liiert gewesen. Den Preis für die natürlichste attraktive Frau gewann jedoch Honor mühelos. Gesund, durchtrainiert und sonnengebräunt, mit klaren Augen und perfekten Zähnen.

Letzteres konnte Rob nur vermuten, denn er musste sie erst noch lächeln sehen. Dass sie es sonst durchaus tat, erkannte er an den Lachfältchen um ihre Augen, die gleichzeitig das Grün der Bäume und das Blau des Meeres widerzuspiegeln schienen. Ihm fiel allerdings auch die Traurigkeit auf, die ständig ihren Blick überschattete.

Robs üblicher Typ war jünger, schlanker und sehr viel gepflegter als die kurvenreiche, vom Wind zerzauste Honor Brier, dennoch spürte er in sich den unmissverständlichen Nachhall erotischer Anziehungskraft.

Interessant.

„Zehn Tage!“ Zielstrebig kam Honor auf ihn zu. „Sie können nicht zehn Tage hierbleiben.“

„Warum nicht?“

„Weil …“

Er erfreute sich an der Röte, die ihr ins Gesicht stieg.

„Ich … Es geht einfach nicht. Ich muss arbeiten!“

Auf eine Diskussion darüber würde er sich nicht einlassen. Er hätte nicht die Absicht zu bleiben, wenn ihm eine andere Möglichkeit einfallen würde.

„Darf ich mir Ihren Erste-Hilfe-Kasten ausleihen?“ Rob wandte sich ab und steuerte aufs Zelt zu.

Honor beobachtete, wie er sich das T-Shirt über den Kopf zog und es auf den Stuhl warf. Sie hatte eine Ahnung erhalten, wie muskulös seine Schultern und sein Rücken waren, als sich Rob vorhin an der Bootsleiter hochgezogen hatte. Aber seinen nackten Oberkörper zu sehen drohte ihr die Sprache zu verschlagen.

Mühsam konzentrierte Honor sich, um Rob zu sagen, was genau er mit dem Erste-Hilfe-Kasten machen konnte …

Da drehte er sich um.

Starr blickte sie auf die winzige Hantel, die an seiner linken Brustwarze hing.

Auch das noch! dachte Honor.

Jahrelang hatte sie von einem Mann mit einem Brustwarzen-Piercing geträumt. Von einem, der wilder und selbstbewusster war als alle Männer, die sie kannte. Sie hatte geahnt, dass sich in diesem Traum eine Seite von ihr offenbarte, die sie nicht wirklich wahrhaben wollte. Eine Wahnvorstellung, die sie tief im Innern vergraben hatte.

Großartig. Das machte die Katastrophe vollkommen.

Honor zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen, und folgte seinem Blick hinunter zu seinem Bauch, wo die Haut böse aufgeschürft war.

„O nein!“ Sofort trat Honor näher, hatte jedoch plötzlich Hemmungen, Rob zu berühren. Dann schalt sie sich aus. Er war verletzt …

Vorsichtig tastete sie die Wunden ab und ignorierte die kleine Metallhantel, die am Rand ihres Gesichtsfelds funkelte.

„Die Kratzer sind nicht tief, aber wir müssen sie desinfizieren.“ Sie rannte zum Erste-Hilfe-Kasten. Mit einer großen Tube antiseptische Creme, Reinigungstüchern, Desinfektionslösung, Heftpflaster und Verbandsmull wandte sie sich wieder zu Rob um.

„Das wird brennen, stimmt’s?“, fragte er angespannt.

„Ich bin sicher, Sie können es aushalten.“

„Ich glaube, ich sollte mich besser hinsetzen.“

„Es sind nur Abschürfungen.“

„Zu spät.“ Rob blickte auf seinen Bauch, wo an einigen Stellen Blut aus den Schrammen sickerte, wankte zum Campingstuhl und setzte sich. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. „Ich kann kein Blut sehen.“

Honor kniete sich vor ihn, blickte ihm fest in die Augen und wartete, während er tief ein- und ausatmete. Er war ihr jetzt ein bisschen sympathischer.

Schließlich brachte er ein schwaches Lächeln zustande, das sie erwiderte.

„Das ist es also, was ich tun muss, um Ihnen ein Lächeln zu entlocken? Mich unmännlich benehmen.“

Unmännlich? Wohl kaum. Dadurch, dass er sich verwundbar zeigte, wurde sie sich seiner als Mann nur noch stärker bewusst. Und sie spürte, dass seine Verlegenheit echt war. Seltsam, dass sie ihn nach wenigen Stunden schon durchschaute.

„Viele Menschen können kein Blut sehen.“

Hoffentlich erkannte er, dass sie Verständnis hatte und ihn nicht verspotten würde. Sie war die Letzte, die über Schwächen anderer lachen würde.

„Oder es ist der verspätete Schock auf den Unfall am Riff?“

„Nein, es ist das Blut. Das geht mir schon seit meiner Kindheit so.“

Einen Moment lang atmete Rob noch tief, dann nickte er und setzte sich gerader hin. Honor rutschte vor zwischen seine Beine, zog die Folie eines mit Desinfektionsmitteln getränkten Tupfers auf und wischte zuerst um die Schrammen herum, damit Rob das Blut nicht mehr zu sehen brauchte.

Aber dann musste sie über die Abschürfungen streichen, und sie wusste, dass es brennen würde. Sein linkes Bein zuckte, doch er gab keinen Laut von sich. So vorsichtig sie konnte, tupfte sie über jeden Kratzer.

Robs Stöhnen ließ Honor aufblicken. „Tut mir leid. Ich bin fast fertig. Korallen sind voller Mikroorganismen, die wirklich nicht in Ihren Körper eindringen sollten.“

Sein Lächeln war eher eine schmerzverzerrte Grimasse, und Honor unterdrückte ein Lachen. Rob gab sich große Mühe, das Ganze gleichmütig über sich ergehen zu lassen. Dann schweifte sein Blick zu ihren Brüsten. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie im Bikini zwischen den gespreizten Beinen eines Mannes kniete, den sie gerade erst kennengelernt hatte.

Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Es erschreckte sie, dass sie ein sinnliches Prickeln spürte und ihr vor Nervosität die Finger zitterten, als sie wieder seinen Waschbrettbauch berührte. Die Empfindungen waren so ungewohnt wie dieser natürliche männliche Duft, den Rob an sich hatte.

Dass sie alles viel schärfer wahrnahm, ließ ihre Handgriffe ein wenig grober und schneller werden. Honor öffnete eine Packung alkoholhaltiger Reinigungstücher und tupfte die Haut um die Schrammen ab. Der Bereich musste trocken und sauber sein, damit das Pflaster klebte.

Rob rührte sich nicht, während sie mit dem sterilen Tuch über seinen Bauch wischte.

Noch immer pochte ihr Herz heftig. In der feuchten tropischen Hitze dauerte es, bis sich der Alkohol verflüchtigte, und Honor wollte nicht mehr zwischen Robs Beinen knien, überzeugt, dass sie die von seinen Schenkeln ausstrahlende Wärme spürte.

Nachdem sie den Wunden ohne großen Erfolg mit den übrig gebliebenen Päckchen Reinigungstücher Luft zugefächelt hatte, beugte sich Honor vor, um die Stellen trocken zu pusten.

„Okay!“ Schwankend erhob Rob sich, stolperte rückwärts und warf den Stuhl um. „Den Rest kann ich selbst machen.“

„Aber ich muss noch …“

„Wirklich, die Creme und den Verbandsmull kann ich auftragen. Danke, dass Sie die Abschürfungen gesäubert haben.“

Honor stand auf und hielt ihm den Erste-Hilfe-Kasten hin. Wurde Rob etwa rot? Mehr von ihren Bedenken gegen ihn verschwanden. Wenn ein Mann beim Anblick von Blut weiche Knie bekam und noch errötete, konnte er kein so schlechter Mensch sein.

Dann erinnerte sie sich daran, wie er ihre Brüste in dem knappen Bikinioberteil gecheckt hatte, und drückte den Rücken durch.

Ohne ihr ins Gesicht zu sehen, nahm er den Kasten entgegen. Aber Robs Ton war versöhnlich. „Danke. Sie würden eine gute Mutter abgeben.“

Sie atmete scharf ein. Es waren nur Worte, das wusste sie. Rob hatte in einem peinlichen Moment irgendetwas sagen wollen. Sie war bloß nicht darauf gefasst, dass die Worte sie so schwer trafen.

Als hätte er ihr tatsächlich einen Schlag versetzt, taumelte Honor rückwärts, bevor sie sich zu einem Lächeln zwang.

„Ich muss arbeiten. Ich lasse Sie allein, damit Sie Ihre Wunden versorgen können.“

Schnell zog sie sich zurück, holte ihr Logbuch und marschierte an Rob vorbei in den Wald, ohne sich noch einmal umzudrehen.

3. KAPITEL

„Sch!“

Honor hätte ihn sogar während eines Wolkenbruchs kommen hören. Gereizt sah sie Rob über die Schulter an.

Er wurde langsamer, näherte sich Honors Versteck auf Zehenspitzen und kroch neben sie, wobei er aufpasste, dass er sich mit seinem zusammengeflickten Bauch nicht auf irgendetwas Spitzes im Sand legte.

Glaubte der Mann wirklich, er wäre jetzt gut verborgen – seine ganzen ein Meter neunzig hinter einen kleinen Busch gequetscht?

Leute vom Festland …

Rob blickte zwischen ihr und dem Logbuch hin und her, in das sie Zahlen und Fachausdrücke gekritzelt hatte, die nur ihr etwas sagten.

„Was machen Sie da?“

Selbst sein Flüstern war laut. Davon aufgeschreckt, erhob sich taumelnd ein Fregattvogel in die Luft, seine gewaltige Flügelspannweite trug den Riesen innerhalb von Sekunden außer Sicht. Honor funkelte Rob wütend an. Er erwartete offenbar, dass sein sexy Lächeln irgendetwas änderte.

„Ich wette, damit haben Sie überall Erfolg.“ Ihre Stimme war leise.

Zustimmend nickte er und beobachtete Honor so, wie sie die Vögel beobachtete. Seine Frage hing noch immer unbeantwortet in der Luft.

„Ich überwache die Schwärme“, erklärte Honor.

Er folgte ihrem Blick, und seine Augen weiteten sich.

Hatte Rob auf dem Weg zu ihr die große Binnenlagune tatsächlich nicht bemerkt? Sie umfasste die halbe Insel. Die Wasseroberfläche und die Bäume am Rand der Lagune schienen mit weißem Schaum bedeckt zu sein, während sie in Wirklichkeit voller weiß gefiederter Seeschwalben, Tölpel und Noddis waren.

Honor gab Rob ihr Fernglas. Er ließ den Blick über den Salzwassersee und seine unzähligen Bewohner schweifen.

„Cool!“

Über dreißig und führt sich auf wie ein Sechzehnjähriger.

Na gut, es war ein beeindruckendes Schauspiel. Dieser geschützte Bereich konnte in der Brutzeit zwanzigtausend Vögel aufnehmen. Von hier aus flogen sie los, um in den fischreichen Gewässern des Kokosgrabens nach Nahrung zu suchen, dann kehrten sie zu ihren Jungen in den Nestern zurück. Sogar die riesigen Fregattvögel rasteten und paarten sich auf der Insel.

„Und ich dachte gerade, wie still es hier ist“, sagte Rob.

„Still?“ Honor sah ihn seltsam an. „Nein, horchen Sie doch mal.“

Überall um sie beide herum hallten die Laute zufriedener Vögel. Die verschiedenen Töne vereinigten sich zu einem Summen, das sich mit dem ewigen Geräusch der Wellen mischte, die an das äußere Riff krachten. Honor zeigte nach rechts, wo sie eine Ralle hörte. Rob lauschte, hörte sie auch und lächelte. Einen Moment später machte Honor ihn auf den unverwechselbaren Ruf einer Seeschwalbe aufmerksam, indem sie den Kopf in die andere Richtung neigte. Rob tat dasselbe und horchte mit geschlossenen Augen.

Plötzlich verspürte Honor den Wunsch, sein Gesicht zu berühren. So entspannt wie jetzt, war es weniger klassisch schön und dafür … reizvoller. Menschlicher.

„Tausend Geräusche sind da draußen. Es ist alles andere als still hier.“

Rob öffnete die Augen und sah in ihre, unverhohlen abwägend. Honor hielt den Atem an. Ich wette, damit hast du auch jedes Mal Erfolg, dachte sie.

Sein Blick schweifte ab, zu ihren Narben, und wanderte blitzschnell wieder hoch zu ihrem Gesicht.

Weder ärgerte sie sich darüber, noch fühlte sie sich dadurch beleidigt. Ein kleines bisschen enttäuscht war sie vielleicht. Sie wusste, wie die Narben aussahen, was sie bedeuteten und warum sie sie fast wie ein Ehrenzeichen trug. Niemals würde das peinliche Starren eines Mannes zunichtemachen, was sie ihr bedeuteten.

„Und wie weit entfernt von hier ist die Gedenkstätte für die Emden?“

Honor hatte fast vergessen, was Rob überhaupt zur Insel geführt hatte. „Hm … sie ist dort drüben. Ein paar Hundert Meter, glaube ich.“

„Sie waren noch gar nicht da?“, fragte er entsetzt.

Honor interessierte sich nicht besonders für Geschichte und hatte der Gedenktafel in den vier Jahren keine große Beachtung geschenkt. „Doch. Sie ist in der Nähe der Schildkrötennester.“

„Bringen Sie mich hin?“, fragte er eifrig.

Seine Aufregung war ansteckend. Wie lange war es her, dass sie sich für irgendetwas begeistert hatte? Vier Jahre? Länger? Honor nickte und robbte rückwärts von den Vögeln weg, in den Schutz der Bäume. Rob machte es ihr nach.

Fünf Minuten später erreichten sie den Strand auf der anderen Seite der Insel, wo die Lagune flacher und stahlblau war. Honor wandte sich nach links und zeigte auf ein verwittertes Stück Holz. Fast ehrfürchtig ging Rob auf die Gedenkstätte zu. Sie war schlicht, nur zwei senkrechte Pfosten und eine Querlatte, in die „SMS EMDEN“ eingeritzt war. Am Sockel der Gedenktafel lagen die grün verfärbten Überreste eines Metallstücks vom Schiff.

Rob hockte sich hin und fuhr mit der Hand federleicht über die zerfressene Oberfläche, als würde er sie lesen wie Blindenschrift. Schnell sah Honor weg, weil sie sich plötzlich vorstellte, wie diese langen, eleganten Finger ihren Körper so behutsam erforschten.

„Was ist hier passiert?“ Das Wesentliche wusste sie zwar, aber sie wollte ihn erzählen hören – nichts verlangsamte ihren Puls so sehr wie Militärgeschichte.

„Während des Ersten Weltkriegs reagierte die ‚Sydney‘ auf einen Notruf von Direction Island. Die Kokosgruppe war wegen ihrer Nähe zu Indonesien und Australien ein wichtiger Stützpunkt. Als die Sydney ankam, traf sie auf die Emden, die sich zu einem Angriff bereit machte. Die Emden war eine scheußliche Maschine, obwohl sie ein Leichter Kreuzer war. Sie hatte Hunderte von feindlichen Schiffen versenkt. Es gab eine kurze, brutale Schlacht, und der Kommandant der Emden fuhr sein Schiff auf das Riff, damit der Feind es nicht einnehmen konnte.“

Rob blickte dorthin, wo das Kriegsschiff vor einem Jahrhundert aufs Riff aufgelaufen sein musste.

Oh, die Korallen! dachte Honor traurig. „Was geschah mit der Besatzung?“

„Die meisten starben im Feuergefecht mit der Sydney, einige beim Auflaufen, andere gerieten in australische Gefangenschaft. Ein paar entkamen und versteckten sich auf der Insel, nur um mangels Süßwasser zu verdursten. Ihre Skelette wurden ein Jahr später gefunden, sauber abgenagt von den Krabben.“

Also daher stammte der Name. Honor zeigte den Strand entlang. „Das malaiische Wort für die Biegung dort bedeutet ‚Bootsmannsgrab‘.“

Starr sah Rob die Stelle an, wo der Strand eine Kurve machte.

„Und das Schiff?“, brach Honor schließlich das Schweigen.

„Gleich hinter dem Riff. Die Einwohner der Inselgruppe haben alles rausgeholt, was sie gebrauchen konnten, bevor die Emden auseinandergebrochen und gesunken ist. Jetzt ist sie selbst fast Riff.“ Rob wandte sich wieder Honor zu. „Letzten Endes haben sich die Korallen gerächt.“

Honor lächelte. „Das tun sie immer.“

Flüchtig fiel sein Blick auf ihren Mund, dann schaute Rob wieder aufs Meer. Dorthin, wo sie ihn früher am Tag auf seinem Boot das erste Mal gesehen hatte. War er wirklich erst einen Tag hier? Warum kam es ihr viel länger vor?

Schweigend standen sie da. Honor überließ Rob seinen Gedanken. Die untergehende Sonne warf tiefgoldenes Licht über sein gebräuntes Gesicht und hob die gerade Nase und die hohen Wangenknochen hervor. Plötzlich fühlte sich Honor versucht, das Erlebnis in die Länge zu ziehen, andererseits wollte sie keinesfalls mit diesem … Meeresgott am Strand einer tropischen Insel stehen, während die Sonne glutrot am Horizont versank.

Man sollte das Schicksal nicht herausfordern.

Im Moment ließ er zwar nicht seinen Charme spielen wie bisher heute, doch das würde wahrscheinlich nicht lange anhalten. Seinem abwesenden Blick nach hatte er sich nur auf See verloren.

Bei dem Gedanken fröstelte sie, und Honor schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Wir sollten jetzt umkehren.“

Ihr förmlicher Ton brachte die gewohnte undurchdringliche Miene zurück, und sofort vermisste Honor die Leidenschaft, die sie kurz zu sehen bekommen hatte. Aber Honor konnte die Schatten nicht vertreiben, die sie plötzlich umgaben.

Ein Mal noch heftete er die Augen auf das Riff, dann folgte Rob ihr still in den Wald.

Stundenlang warf Rob sich in der komfortablen Kajüte hin und her. Weil er Angst hatte, das Boot würde sinken, und nicht, weil er sich ständig an Honors fein geschnittenes Gesicht, den Duft ihres im Meer gewaschenen Haars oder die verlockend langen gebräunten Beine erinnerte. Jedenfalls sagte er sich das.

Ob ihn nun das drohende Seemannsgrab oder die Frau wach hielt, es lief auf dasselbe hinaus.

Er würde an Land schwimmen.

Geübt darin, sich nicht den Kopf an der niedrigen Decke zu stoßen, setzte sich Rob in seiner Koje auf. Er hatte so manche Nacht an Bord verbracht, auf dem Meer und im Hafen, aber niemals jemanden mit in diese Kajüte genommen. Honor, wenn auch nur in seiner Fantasie, war die erste Frau, die diesen Raum betreten hatte.

Zum Teufel mit ihr! Sein Zufluchtsort kam ihm irgendwie entweiht vor.

Das Mondlicht zeichnete einen funkelnden Weg über die Ozeanwellen bis zum Horizont. Rob drehte sich zur Insel um und stellte sich Honor unter ihrer riesigen Sonnenblumenplane vor. Vielleicht konnte er sie eine Weile im Schlaf beobachten. Daran war nichts allzu Gruseliges.

Oder?

Lächelnd glitt er vom Bootsrand, dann holte er gequält Luft, als das kalte Wasser in seine Shorts strömte. Dass Haie nachts in der Nähe von Riffen aktiver waren, wusste er. Beides zusammen bereitete allen nachklingenden angenehmen Empfindungen ein Ende.

In Rekordzeit stemmte sich Rob aufs Riff und sprang in die geschützte Lagune. Obwohl darin keine Gefahren lauerten, schwamm er schnell an Land. Inzwischen hatte er die Tour oft genug gemacht, um selbst im Dunkeln den Pfad zu finden, der zum Camp führte. Nach kurzer Zeit sah er die Lichtung vor sich und ging vorsichtig weiter. Falls Honor schlief, wollte er sie nicht erschrecken. Er würde sich auf den Campingstuhl setzen und einfach bis zum Tagesanbruch warten.

Ihr kleines Schlafzelt war, genau genommen, groß genug für zwei, aber sie wollte es sicherlich nicht mit jemandem teilen, den sie gerade erst kennengelernt hatte, ob Mann oder Frau. Als er an seine Meerjungfrau dachte, die lang ausgestreckt, ganz warm und schläfrig dalag, kam seine Fantasie mächtig in Fahrt.

Du bist nicht normal, Dalton, sagte er sich nicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft auf der Insel.

Plötzlich nahm er eine Bewegung am Waldrand gegenüber wahr. Rob sah auf seine Armbanduhr. Viertel vor drei. Offensichtlich konnte Honor auch nicht schlafen. Sie ging über den mit Mondlicht gesprenkelten Platz auf das Zelt zu. Schnell zog sich Rob in den Schatten der Bäume zurück.

Sie war nackt.

Den Geräuschen nach kramte sie in ihren Vorräten und ließ irgendetwas in eine Schüssel fallen. Dann lief Wasser in die Schüssel.

Rob wollte weggehen, aber jetzt hörte er sogar, dass Honor einen Schwamm auswrang. Was bedeutete, dass sie ihn auch hören würde, wenn er sich von der Stelle rührte. Verdammt, warum war er nicht sofort umgekehrt?

Er sah Honor aus dem Zelt kommen und zum Waldrand gehen, wo er sie zuerst bemerkt hatte. Ihn plagte sein Gewissen. Zum zweiten Mal in weniger als vierundzwanzig Stunden beobachtete er Honor heimlich.

Deshalb schloss er die Augen und horchte, während sie sich wusch. Seine moralischen Werte mochten ja völlig vermurkst sein, aber an seiner Vorstellungskraft war nichts auszusetzen. Und der Bikini, in dem Honor den ganzen Tag herumgelaufen war, hatte nicht viel verborgen.

Als Rob Wasser plätschern hörte, stellte er sie sich vor, wie sie nackt im Mondschein stand und mit dem Schwamm sanft über ihren Körper fuhr. Sich mit Süßwasser aus den Kanistern von Kopf bis Fuß zu waschen war zweifellos ein seltener Luxus, und Honor machte fast ein Ritual daraus. Ebenso achtsam, wie sie bestimmt ihre Vorräte behandelte, kümmerte sie sich um ihre vom Salzwasser strapazierte Haut.

Über die Narben strich Honor noch sorgfältiger, beinahe zärtlich. Sie huldigte ihnen nahezu, und das war so viel privater als irgendein nackter Körperteil. Rob konnte kaum noch atmen. Ein dumpfes Pochen breitete sich in ihm aus.

In diesem Moment wurde ihm klar, dass seine Augen nicht mehr geschlossen waren und er sich nicht nur etwas vorstellte. Er beobachtete heimlich eine nackte Frau. Dass er in ihre Intimsphäre eingedrungen war, kam ihm erst eine Sekunde danach zu Bewusstsein. Was auch immer Honor gerade fühlte und dachte, ging ihn überhaupt nichts an.

Dies muss ein Ende habe. Sofort.

Rob zog sich weiter in die Dunkelheit zurück und kehrte um. Die vorgerückte Stunde und seine verwirrten Sinne machten ihn langsam. Mehr als ein paar Meter Richtung Strand hatte er nicht geschafft, als Honor auf dem schmalen, von Muschelschalen gesäumten Weg auftauchte.

Ein Handtuch an die Brust gepresst, stand sie vor ihm und blickte ihn anklagend an.

„Hat Ihnen die Show gefallen?“

Rob hatte die Wahl. Er konnte es abstreiten wie ein Feigling oder sich schuldig bekennen wie ein ganzer Kerl. Honor hoffte auf Letzteres, auch wenn das bedeutete, dass er außerdem ein Blödmann war.

„Du bist schön“, sagte er schlicht.

Meerwassertropfen glitzerten auf seiner Haut, in seinem Haar und auf den dichten Wimpern. Honor war noch immer wütend, aber unwillkürlich reagierte sie auf seinen Anblick.

„Ich hatte nicht vor, dich heimlich zu beobachten.“

„Doch. Oder willst du mir erzählen, dass du genau da gestolpert und ins Gebüsch gefallen bist, wo ich mich gewaschen habe?“

Rob ließ den Einwand gelten. „Also, dann entschuldige ich mich dafür, an Land gekommen zu sein. Ich habe nicht erwartet, dass du dich gerade wäschst.“

„Du hättest schlafen sollen!“

„Du auch.“

Honor wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte, bei so etwas erwischt worden zu sein. Es tat ihm zweifellos leid, aber er schien kein bisschen verlegen zu sein. Sie ärgerte sich nicht darüber, dass er sie nackt gesehen hatte, sondern dass er ihr neu gewonnenes Vertrauen enttäuscht hatte.

„Wie soll ich dir noch trauen, nachdem du mich heimlich beobachtet hast?“

Er kam auf sie zu, blieb jedoch sofort stehen, als sie einen Schritt zurückwich.

„Dich zu waschen ist eine völlig natürliche Seite des Lebens auf dieser Insel.“

„Du hast gut reden. Es war nicht dein Po, der im Mondschein leuchtete.“

Offenbar wusste Rob, dass es verhängnisvoll wäre, jetzt zu lächeln. Verzweifelt kämpfte er gegen das Zucken seiner Mundwinkel.

Honor drückte das Handtuch fester an sich und funkelte Rob wütend an: „Raus aus meinem Camp!“

Jetzt ließ er seinen ganzen Charme spielen. „Na, na, Honor. Es war ein Fehler, und ich habe mich entschuldigt“, sagte er mit schmelzender Stimme.

„Funktioniert dieser träumerische Ton bei allen? Oder ist er nur bei Frauen erfolgreich?“

Rob sah sie scharf an, und Honor hatte das Gefühl, dass sie ihn gekränkt hatte. So ein Pech.

„Hauptsächlich, ja“, murmelte er.

„Ach, das Ego …“

„Können wir es nicht einer normalen männlichen Reaktion auf eine schöne nackte Frau zuschreiben?“

Wieder dieses Wort. Zweimal in zwei Minuten. Schön. „Mir zu schmeicheln bringt dir keine Pluspunkte ein. Ich weiß, wie ich jetzt aussehe. Außerdem weiß ich, dass die Narben meine Persönlichkeit nicht verändert haben.“ Honor betonte das ebenso für sich selbst wie für ihn.

„Den Rest von dir haben sie auch nicht verändert.“

Sie rang nach Atem und zeigte zum Meer. „Runter von meiner Insel!“

Rob lachte. „Reg dich ab, Honor.“

„Willst du mir etwa weismachen, dass dich die Narben nicht stören?“, forderte sie ihn heraus.

Da zögerte er. Schweigend blickte er einen Moment auf sie hinunter. Wann war er so nahe gekommen?

„Doch, sie stören mich, aber nicht aus dem Grund, den du dir vielleicht vorstellst. Sie stören mich, weil sie dir schreckliche Schmerzen bereitet haben müssen. Sie stören mich, weil sie etwas damit zu tun haben, warum du hier bist. Sie stören mich, weil sie dich stören.“

„Mich stören sie nicht!“ Honor wurde laut. Fast vier Jahre hatte sie darauf verwendet, ihre Narben lieben zu lernen. „Sie gehören zu mir. Und sie gehören zu …“ Sie verstummte, entsetzt darüber, was sie beinahe gesagt hätte.

Das war nicht für ihn bestimmt.

Für niemanden.

Sie drehte sich um und ging zum Lagerplatz zurück. Erst in letzter Sekunde wurde ihr bewusst, dass ihr Po wieder sichtbar war. Sie hörte Robs Schritte hinter sich. Seltsamerweise beunruhigte sie es nicht, dass er ihr ins Camp folgte. Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass er ihr nichts tun würde. Körperlich nicht.

„Wir halten Abstand. Bis dein Boot repariert ist, wirst du …“

„Das ist nicht nötig, Honor“, unterbrach Rob sie ungeduldig. „Ich habe dich nackt gesehen – na und? Eigentlich habe ich am Nachmittag am Strand schon dasselbe gesehen. Dein Bikini überlässt nicht viel der Fantasie. Und da habe ich es ja geschafft, dich nicht in die Dünen zu zerren, stimmt’s?“

Wütend starrte sie ihn an.

„Oh, in Ordnung!“ Rob riss sich die Shorts herunter.

Schnell wandte sich Honor ab. „Was soll das denn?“

„Ich sorge dafür, dass wir quitt sind. Ich habe dich gesehen, also darfst du mich sehen. Mir macht das nichts aus.“

„Ich will dich nicht sehen!“ Lügnerin, Lügnerin …

„Okay …“, seine Stimme klang gedämpft, als er sich das T-Shirt über den Kopf zog, „… ich bin nackt. Schau es dir an. Na los.“

Honor musste sich anstrengen, um nicht zu schreien. Der Mann hatte ein unverwüstliches Ego. „Zieh dich wieder an, Rob.“ Sie horchte und hörte nichts. „Was ist?“

„Du hast mich Rob genannt.“

„Ja, und?“

„Meine Freunde nennen mich Rob.“

„Würdest du dich bitte wieder anziehen?“

„Tue ich, wenn du dir etwas anziehst.“

„Gut. Nimm dich vor den Sandzecken in Acht, sie aus den Hautfalten herauszubekommen ist ein Albtraum.“ Verärgert hielt sie das Handtuch hinter sich, verschwand ins Zelt und machte es mit einem lauten „Ratsch!“ zu.

Nachdem sie Rob hatte weggehen hören, dauerte es lange Minuten, bis sich ihr Herzschlag normalisiert hatte. Aber an Schlaf war gar nicht zu denken.

Eigentlich hätte sie fuchsteufelswild sein sollen. Nach dem, was Rob getan hatte, würde sie niemand kritisieren, wenn sie ihn von der Insel warf. Nur hatte seine Erklärung so glaubwürdig geklungen. Natürlich war es verrückt, um drei Uhr morgens an Land zu schwimmen. Vielleicht war er wie sie eine Nachteule.

Und konnte sie ehrlich behaupten, dass sie ihn nicht beobachtet hätte, wenn sie zufällig dazugekommen wäre, während er im Mondschein seinen Körper mit einem Schwamm abrieb?

Das, was sie sich anzuschauen nicht erlaubt hatte, als Rob sich hinter ihr ausgezogen hatte, ließ jetzt ihre Fantasie übersprudeln. Und das Schlimmste daran war, dass ihre Vorstellung wahrscheinlich der Wirklichkeit ziemlich nahe kam. Rob Dalton war jung, fit und gut aussehend und … so lebendig.

Honor runzelte die Stirn über das Wort, das ihr Unterbewusstsein hervorgebracht hatte. Sie vermutete, dass Rob ein Mann war, der alles mitnahm, was das Leben zu bieten hatte. Er liebte seine Schiffswracks, liebte seine Frauen, und man spürte seine Vitalität und Begeisterungsfähigkeit. So energiegeladen hatte sich Honor nicht mehr gefühlt, seit …

Es war länger als vier Jahre her. Dass sie es vermisst hatte, war ihr bis zu dieser Nacht nicht klar gewesen. Robs Anwesenheit erinnerte Honor daran, dass ein vorhersagbares Leben nicht so angenehm war, wie es schien.

Denn es bedeutete, dass sie Gefühle wie dasjenige verpasste, das sie überkam, wenn sie an sein Brustwarzen-Piercing dachte. Wenn sie sich eine Sekunde lang vorstellte, die Lippen um die kleine Hantel zu schließen.

Du lieber Himmel. Honor bewegte sich in ihrem Schlafsack, um das Prickeln tief im Innern zu unterbinden. Es war auch lange her, dass sie das gespürt hatte. Diese Empfindungen waren zusammen mit ihrer Lebensfreude vor Jahren verschwunden. Zu entdecken, dass sie die ganze Zeit über in ihr geschlummert hatten, war fast erschreckend.

Ärgerlich drehte sich Honor auf die Seite. Normalerweise erlaubte sie sich nicht, in diese frühere Gefühlswelt zurückzukehren, zu den damit verbundenen quälenden Gedanken und Erinnerungen. Es tat zu weh.

Dann war es doch einfacher, wieder an den aufreizend selbstsicheren Mann draußen am Strand zu denken, daran, wie es wohl wäre, ihren Mund auf seinen zu drücken. Von diesen starken Armen gehalten zu werden oder unter diesem athletischen Körper zu liegen.

Energisch verdrängte Honor die sinnlichen Überlegungen. Sich Träumereien über ihn hinzugeben war nicht besser als das, was er getan hatte, als er sie heimlich beobachtet hatte: ein ungerechtfertigtes, unpassendes Eindringen in die Privatsphäre. Die Umstände hatten Rob Dalton auf ihre Insel verschlagen. Er war nicht zu ihrem Vergnügen hier.

Der Mann konnte nichts dafür, dass er sie total verwirrte. Und sie war anscheinend lebendiger, als sie geglaubt hatte. Honor wurde bewusst, dass er sie mehrmals minutenlang abgelenkt hatte. So sehr, dass sie ihren Kummer vergessen hatte.

Die beiden.

Sofort kam Honor sich treulos vor, und die Glut der Leidenschaft kühlte ab.

Aber sie schwelte noch immer, ganz egal, wie sehr Honor sich auch anstrengte.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen war von Rob nichts zu sehen, und Honor fragte sich, wohin er gegangen war, nachdem sie sich in ihr Zelt zurückgezogen hatte.

Der Teufel sollte ihn holen! Schon hatte der Mann ihren gewohnten Tagesablauf durcheinandergebracht. Normalerweise stand sie in aller Frühe auf, aber nach der unruhigen Nacht war sie spät dran.

Sie musste arbeiten.

Murrend zog Honor abgeschnittene Jeans und ein Tanktop an, trug reichlich Sonnencreme auf und schlüpfte in bequeme Tennisschuhe. Aus ihren Vorräten nahm sie sich einen Müsliriegel und eine Flasche Wasser, dann griff sie nach ihrem Logbuch und ging zur Binnenlagune.

An diesem Abend begann ihre Schildkröten-Wache. Die Eier in den frühesten Nestern waren acht Wochen alt, und die Jungen konnten jetzt jede Nacht schlüpfen. Das hieß, sie würde ihre Vogelbeobachtung am Tag gegen die nächtliche Schildkrötenüberwachung tauschen und nur noch einige Stunden am Nachmittag an der Binnenlagune verbringen.

Deshalb würde sie sich heute zum letzten Mal ausführlich Aufzeichnungen machen, bevor sie für zwei Monate ein Geschöpf der Nacht wurde. Angesichts meines Gasts ist das vielleicht gut, überlegte Honor.

Ihn zu meiden war eine Möglichkeit, mit dem Problem fertig zu werden.

Hunderte Vögel ließen sich am Himmel mit der Luftströmung treiben, stürzten sich im Spiel aufeinander und stiegen wieder auf. Bis zur nächsten Brutzeit würden sie nicht noch einmal so viel Muße haben, wenn erst wieder der tägliche Überlebenskampf begann.

Honor verstand, wie es ihnen erging. Ihre acht Monate auf der Insel waren für sie wie der Rückzug in ein Schutzgebiet. Sie wollte genau hier in diesen Gewässern sein und sehnte sich nach dem Frieden, den man nur in der Natur finden konnte. Sie verließ die Insel lediglich während der Regenzeit – also musste sie doch noch am Leben hängen – und kehrte zurück, sobald sich der Monsun ausgetobt hatte.

Tief atmete Honor die saubere, salzige Luft ein. Den Guano von Tausenden von Vögeln oder die vermodernden Pflanzen roch sie nicht mehr, aber ein Neuankömmling auf der Insel musste die Gerüche wahrnehmen.

Wie Rob.

Sie hatte geglaubt, nach all den Jahren würde sie sich jetzt erholen und durch ihre Arbeit ein bisschen Freude an ihrem völlig anderen Leben finden. Es brauchte nur einen charismatischen Schiffswrackjäger, um alles auf den Kopf zu stellen. Und der Mann war erst seit vierundzwanzig Stunden hier. Es ärgerte sie, dass sie das Leben in Zweifel zog, mit dem sie seit vier Jahren vollkommen zufrieden gewesen war.

Vollkommen? Nichts war vollkommen.

Robs Benehmen, seine Kleidung und seine Ansichten deuteten auf einen Lebensstil hin, den Honor schnell als oberflächlich abgetan hatte. So nervtötend selbstgefällig er auch sein mochte, sie vermutete, dass Robert Dalton viel mehr lebte, als sie es jemals getan hatte.

Während ihrer vier Monate in der Zivilisation auf der Hauptinsel blieb Honor meistens für sich. Die Leute dort kannten sie, wenn auch nur vom Sehen. Die Freunde, die ihr auf dem Festland geblieben waren, versuchten nicht mehr, Honor zu überreden, nach Hause zu kommen. Ihre Verwandten ließen in wohldosierten Abständen von sich hören.

Die Ausnahme war ihre krankhaft optimistische Mutter, die – nachdem sie monatelang abwechselnd gestritten oder überhaupt nicht miteinander geredet hatten – Tausende Kilometer weit weg von Honors Heimatstadt gezogen war. Es war reine Ironie, dass sie jetzt fast Nachbarn waren. Broome im äußersten Norden von Western Australia war von Pulu Keeling aus die nächstgelegene australische Stadt.

Wenn man zweitausend Kilometer nah nennen wollte.

Honor konnte sich nicht daran erinnern, dass außer ihrer Mutter irgendjemand wirklich dafür gekämpft hatte, sie nach dem Unfall in Perth zu halten. Hatten es ihr alle zu leicht gemacht, eine Einsiedlerin zu werden? Honor dachte an die Frau, die sie vor dem Unfall gewesen war, eine junge Frau, mit der sie heutzutage kaum noch Ähnlichkeit hatte.

Barfuß. Sorglos. Frei.

Wollte sie unbewusst wieder so sein? Freier als auf dieser Insel konnte man nicht leben, und meistens lief sie barfuß herum. Aber sorglos?

Überhaupt nicht.

Sie sah auf und erkannte, dass sie immer weitergegangen war und fast die ganze Insel umrundet hatte, ohne auf Rob zu stoßen.

Nicht, dass sie ihn gesucht hatte.

„Möchtest du den Brutplatz sehen?“

In der nächsten Bucht fand Honor Rob und machte ein Versöhnungsangebot. Ihr ging plötzlich auf, dass er ihr Freiraum gelassen hatte. Das überraschte sie und brachte sie ein bisschen aus der Fassung.

Sein herzliches Lächeln gab ihr den Rest, und Honor blieb nervös. Weil Rob in der einen Minute durch und durch der selbstsichere, sexy Playboy war und in der nächsten die Maske fallen ließ. Dann war er aufmerksam, rücksichtsvoll und strahlte eine umwerfende heitere Gelassenheit aus. Oder war die heitere Gelassenheit die Maske?

Nein, das glaubte Honor nicht.

„Die Meeresschildkröten? Klar.“

Unwillkürlich freute Honor sich, dass er sich sofort an den Schwerpunkt ihrer Forschungen erinnert hatte. Sie führte ihn um die Binnenlagune herum und durch eine Baumgruppe. An einem Strand ungefähr einhundert Meter nördlich der Gedenkstätte für die Emden kamen sie heraus.

Oberhalb der Flutmarke waren die Paddelabdrücke zu erkennen, wo eine Schildkröte ihre Flossenfüße fest im Sand verkeilt und sich dann vorwärtsgezogen hatte. Langsam und mühsam den ganzen Weg die Dünen hoch.

Honor blieb stehen und zeigte auf das Muster. Verständnislos sah Rob sie an.

„Hier ist es“, sagte sie.

„Was?“

„Diese Spuren im Sand. Eine weibliche Schildkröte ist gestern Nacht die Düne hochgekrochen, um ihre Eier abzulegen. Unter Wasser sind sie so anmutig, aber an Land zu kommen und ihr Gewicht über den Strand zu ziehen ist sehr anstrengend für sie. Dann graben sie ein Loch und legen fünfzig bis hundert Eier hinein. Danach schaufeln sie das Loch wieder zu und haben noch den ganzen Weg zurück ins Meer vor sich. Es ist wirklich erstaunlich.“

Rob sah nicht erstaunt, aber zumindest interessiert aus. „Was ist deine Aufgabe dabei?“

„Ich überwache die Eiablage, wie viele ausschlüpfen, wie viele sich ausgraben, wie viele es ins Meer schaffen.“

„Woher weißt du, wie viele abgelegt werden?“

„Ich grabe das Nest aus und zähle.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Du bist eine Plünderin?“

Ihre eigenen Worte auf sie selbst gemünzt. Das hatte Honor nicht so gern, aber sie bewunderte seine geistreiche Retourkutsche. Also war der Mann nicht nur attraktiv, er hatte auch Köpfchen. Das gefiel ihr.

„Ich bin Wissenschaftlerin. Ich zähle schnell und schaufele das Nest wieder zu. Dann markiere ich es und überwache es die nächsten zehn Wochen, bis die Jungen ausschlüpfen.“

„Hilfst du ihnen?“

„Nein, niemals. Beobachten, nicht eingreifen. So lautet die erste Regel wissenschaftlicher Arbeit.“

Sie liefen am Strand entlang, und Honor zeigte Rob Dutzende Nester, die mit grünem Leuchtband markiert waren.

„Woher weißt du, wo sie ein Nest graben?“

„Ich warte darauf, dass sie es mir zeigen. Ich halte jede Nacht Ausschau.“

„Jede Nacht?“

Honor lachte. „Meinst du, ich sollte mehr mit meinen Abenden hier anfangen? Die Nachtklubs von Pulu Keeling besuchen vielleicht?“

Es passierte wieder. Rob wurde rot. Warum fand sie das so anziehend?

„Alle diese Nester wurden im Oktober und November gefüllt. Davor hat es Eiablagen gegeben, und es wird später noch viele geben. Meine Forschungsarbeit beschränkt sich jedes Jahr nur auf die Eier, die in diesen zwei Monaten abgelegt werden. Ich muss hier sein, wenn die Oktober-Schildkröten an Land kommen. Frühestens nach acht Wochen schlüpfen die ersten Jungen.“

„Und dann?“

„Dann lebe ich mehr oder weniger auf dieser Seite der Insel und überwache die Nester.“

„Bis Mum zurückkehrt und die Jungen ausgräbt?“, fragte Rob.

Neugierig sah Honor ihn an. Hatte der Mann noch nie etwas vom Schnupperkanal gehört? „Die Mütter sehen ihre Brut nie wieder. Die Jungen graben sich selbst aus.“

Rob schwieg einen Moment. „Dass eine Mutter ihre Jungen im Stich lässt, scheint mir unnatürlich zu sein“, sagte er schließlich. „Sollte sie nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder überleben?“

Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, und Honor musste das Bedürfnis unterdrücken, einfach davonzulaufen.

„Ihr Leben ist auch kostbar!“, brauste Honor auf. „Wenn sie sich in Gefahr bringt, indem sie länger als ein paar Stunden an Land bleibt, wird sie vielleicht überhaupt keine Nachkommen haben!“

Seufzend wandte Honor sich ab. Bestimmt hielt Rob sie jetzt für eine Fanatikerin, aber er brauchte nicht zu wissen, wo ihre Wut wirklich herrührte.

Worum ging es da eben eigentlich? überlegte Rob, während er Honor in den Wald folgte. Mit seinen intelligenten, sachlichen Fragen wollte er sein bisheriges taktloses Benehmen wiedergutmachen. Verdammt noch mal, er bemühte sich, ein Gespräch zu führen!

Und das war etwas Neues für ihn.

Rob Dalton fing keine Gespräche an. Das hatte er nicht nötig – sie flogen ihm einfach zu. Ziemlich oft drehten sie sich um ihn. Deshalb hatte er geglaubt, ein großartiger Gesprächspartner zu sein.

Wie sein Vater, der damit als Bauunternehmer zweifellos Erfolg hatte. Also das war ein Mann, der reden konnte! Rob junior hatte miterlebt, wie sein Dad die Leute beeinflusst hatte, bis sie ihm aus der Hand gefressen hatten. Allein indem er mit ihnen geplaudert hatte.

Ja, der kleine Rob hatte vom Besten gelernt.

Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Er hatte Honor dazu bringen wollen, weiter über Meeresschildkröten zu sprechen. Nur um sie reden zu hören, um zu beobachten, wie sie lebhafter wurde.

Die Frau ging in ihrer Arbeit auf. Als hätte sie nichts anderes. Doch er hatte anscheinend das Falsche gesagt, und sie hatte sich wieder zurückgezogen.

Sie kamen an einem weiteren kleinen Strand wieder heraus. Honor blieb stehen, und Rob holte sie ein. Vor ihnen hockte ein weißes Flaumknäuel im Sand.

„Es ist ein Rotfußtölpeljunges.“ Honor sah in die Bäume hoch. „Es ist aus dem Nest dort gefallen. Die Eltern werden es nicht holen.“

„Tun wir es doch einfach wieder hinein.“

Traurig schüttelte Honor den Kopf. „Wir dürfen nicht. Die Nichteinmischungsregel.“

„Kann es allein überleben?“

„Nein. Es wird sterben.“

Rob umfasste ihren Arm. „Los, kehren wir um. Das musst du nicht mit ansehen.“ Nicht, dass er selbst scharf darauf war.

Aber Honor ließ sich in den Sand sinken. Das Vogeljunge hatte sie beide bemerkt und schleppte sich weiter heraus auf den Strand, womit es sich erst recht der Nachmittagssonne aussetzte. Rob ließ sich neben Honor fallen.

„Du willst ihm nicht helfen?“

Wieder schüttelte sie den Kopf.

„Aber du willst bleiben?“ In der untergehenden Sonne sah Rob eine Träne auf ihren Wimpern schimmern und blickte Honor scharf an. „Warum?“

„Damit es nicht allein ist“, erwiderte sie leise.

Normalerweise hätte er die Augen verdreht und über so einen sentimentalen Blödsinn gespottet. Nur war Honor keine naive, verwöhnte Partyprinzessin, die wegen eines Tierbabys rührselig wurde. Honor war reizbar, sarkastisch, aufbrausend und robust. Wenn sie bei dem jungen Tölpel blieb, hatte sie einen triftigen Grund.

„Möchtest du dein Logbuch haben?“, fragte Rob. Sie hatte es neben sich in den Sand geworfen.

„Nein.“

Also keine Arbeit? Die Frau war ihm ein Rätsel.

Rob beschloss, sich nicht länger lächerlich zu machen, indem er zu erraten versuchte, was in ihr vorging. Er würde einfach das Ende abwarten. Aber er fühlte sich unwillkommener denn je, als sie begann, Wache zu halten.

Er hatte nicht damit gerechnet, die halbe Nacht zu warten. Der Vollmond stand hoch und tauchte den Strand in ein schönes Licht. Der kleine Tölpel hatte sich schließlich an Robs und Honors Gegenwart gewöhnt und war zurück in den Schutz der Bäume getaumelt. Jetzt hatte er sich schon eine ganze Zeit lang nicht mehr bewegt.

„Honor? Soll ich nach ihm sehen?“

Nach kurzem Zögern nickte sie.

Rob stand auf und ging zu dem reglosen Vogelbaby. Fast hätte er es mit dem Zeh angestupst, hielt jedoch gerade noch rechtzeitig inne, sich bewusst, dass Honor ihn beobachtete. Stattdessen hockte er sich hin und hob es behutsam hoch. Es war tot und wog so gut wie nichts.

Einen Moment überlegte Rob, was er mit der kleinen Leiche tun sollte, dann versteckte er sie unter einer Dünenpflanze. Wahrscheinlich würde das Junge den Krabben als Nahrung dienen. Honor protestierte nicht.

Jetzt hatte er endlich einmal etwas richtig gemacht.

Das Mondlicht beleuchtete ihr Gesicht, und er konnte erkennen, wie deprimiert sie war. Hier ging es nicht um ein Vogeljunges. Rob brannte darauf, sie zu fragen, wusste jedoch, dass er nicht das Recht dazu hatte.

„Es war nicht allein, Honor“, sagte er, um sie zu trösten.

Tränen rollten ihr über die Wangen.

Verdammt! Nein, hier ging es um etwas anderes, und was auch immer es war, sie durchlebte es direkt hier noch einmal. Ohne zu überlegen, zog Rob sie hoch in seine Arme. Sofort wehrte sie sich gegen ihn, und er musste seinen Griff verstärken. Stunden im Fitnessstudio hatten ihm viel mehr eingebracht als Dutzende Telefonnummern, weshalb er Honor mühelos festhielt.

Herzzerreißend weinte sie an seiner Schulter. Sobald Honor sich beruhigt hatte, ließ Rob zu, dass sie sich losriss.

„Bist du so weit, ins Camp zurückzukehren?“, fragte er freundlich.

„Ich muss die Schildkrötennester überwachen“, erwiderte sie. „Lauf einfach durch den Wald und dann nach rechts, und du findest ohne mich hin.“

„Brauchst du nichts? Eine Taschenlampe? Woher soll ich wissen, dass mit dir alles in Ordnung ist?“ Rob zuckte zusammen. Natürlich würde sie zurechtkommen. Sie fühlte sich in der Natur viel wohler als in der Welt der Menschen. Diese Insel war ihr Reich. Er wartete auf ihre sarkastische Bemerkung.

Aber ihr Ton war sanft. „Wenn ich etwas benötige, kann ich es mir schnell holen. Wir sind nur ein paar Minuten vom Camp entfernt. Dort drüben ist es.“

Rob sah in die Richtung, in die Honor zeigte. Als er sich wieder umwandte, war sie verschwunden.

5. KAPITEL

Früh am nächsten Morgen wachte Rob aus einem heißen Traum auf, in dem sich eine blonde Meerjungfrau ihren Weg von seinen Füßen nach oben knabberte, über seinen Oberschenkel und auf …

„Verdammter Mist!“

Als sich Rob in der Rinne aufsetzte, die er zum Schlafen am Strand gegraben hatte, sah er ein Dutzend kleine Krabben über seinen Körper kriechen. Sie waren die Vorhut für eine Truppe von Einsiedlerkrebsen, die seitwärts zum Meer marschierten. Und er saß direkt in ihrem Weg. Schnell stand er auf, und sie wuselten um ihn herum, ohne sich von ihrem Ziel ablenken zu lassen.

Autor

Patricia Kay
Patricia Kay hat bis heute über 45 Romane geschrieben, von denen mehrere auf der renommierten Bestsellerliste von USA Today gelandet sind. Ihre Karriere als Autorin begann, als sie 1990 ihr erstes Manuskript verkaufte. Inzwischen haben ihre Bücher eine Gesamtauflage von vier Millionen Exemplaren in 18 verschiedenen Ländern erreicht!
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