Julia Saison Band 75

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UNTER TAUSEND STERNEN von CATHY WILLIAMS
Vom ersten Moment an ist der reiche Holden Greystone von Marie fasziniert. Unter dem Sternenhimmel der Karibik genießt er heiße Liebesnächte mit ihr. Bis er zufällig eine Unterhaltung belauscht: Ist sie eine Goldgräberin? Hat er sich so sehr in der süßen Marie getäuscht?

DIE LIEBE MEINES LEBENS von SARA CRAVEN
Nächte voller Sinnlichkeit, tiefe Gefühle: Die junge Engländerin Alice erlebt eine wunderbare Zeit mit ihrem Traummann Remy auf dessen Landgut in der Bretagne. Bis Remy unerwartet hinter ihr wohlgehütetes Geheimnis kommt. Wird er ihr jemals verzeihen können?

DIE SCHÖNE RIVALIN von MIRANDA LEE
Brooke will es einfach nicht glauben: Betrügt ihr Mann sie mit der schönen Francesca, seit sie in Italien sind? Kaum wieder zu Hause, überrascht Leo sie mit einer zärtlichen Nacht in einem luxuriösen Hotel. Das Leben ist wieder wunderschön! Bis ein dramatischer Anruf Leo erreicht: Er muss zurück nach Italien, zurück zu Francesca ...


  • Erscheinungstag 25.08.2023
  • Bandnummer 75
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519847
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams, Sara Craven, Miranda Lee

JULIA SAISON BAND 75

1. KAPITEL

Es war zwei Uhr nachmittags, und Marie hatte das Gefühl, im Himmel auf Erden zu sein.

Erst seit wenigen Tagen war sie auf dem Kreuzfahrtschiff, aber schon jetzt genoss sie diese wundervolle, entspannte Stimmung, die sich unter wärmender Sonne, blauem Himmel und bei herrlichem Essen einstellte. Und wenn man vom Meer umgeben war. Von schimmerndem, türkisblauem Meer.

Sie stand an Deck, in ihrer Arbeitskleidung aus gelben Bermudashorts und grauem T-Shirt mit den dezent gestickten Initialen GH auf der Brusttasche, und schaute mit halb gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen auf das glitzernde Meer und die weiße Schaumspur, die sich hinter dem Kreuzfahrtschiff herzog. Sie hatte das Meer schon immer geliebt. Marie war an der Küste von Cornwall aufgewachsen, bis ihre Eltern starben. Danach hatte eine entfernte Verwandte sie zu sich nach London genommen. Das war jetzt sieben Jahre her.

Marie konnte ihr Glück immer noch nicht fassen, dass sie diesen Job auf der „Greystone H.“, ergattert hatte. Sie war London leid, ganz zu schweigen von ihrer Tante, die ihr niemals das Gefühl gegeben hatte, willkommen zu sein in ihrem sauberen kleinen Reihenhaus. So war in Marie der Entschluss gereift, sich sobald wie möglich einen Job zu suchen.

Sie wusste immer noch nicht, wie es ihr gelungen war, die private Vermittlungsagentur zu überzeugen, dass sie genau die Richtige für die Stellung auf dem Kreuzfahrtschiff war. Sie hatte keinerlei Erfahrung im Kellnern und noch weniger Erfahrung darin, auf hoher See zu arbeiten. Mit ihren einundzwanzig Jahren war sie überhaupt noch reichlich unerfahren. So war sie ziemlich erstaunt gewesen, als man ihr dann mitteilte, dass sie die Stellung bekommen hatte. Erst während des Vorstellungsgesprächs war ihr nämlich klar geworden, dass sie durchaus schrecklich seekrank werden konnte, sobald das Schiff auch nur den Hafen verlassen hatte. Glücklicherweise war es nicht dazu gekommen.

Sie verbrachte noch eine halbe Stunde an Deck und unterhielt sich mit einem der Gäste. Die meisten von ihnen kannten sie bereits. Dann begab sie sich zurück unter Deck.

Was die luxuriöse Ausstattung betraf, war das Kreuzfahrtschiff auf den neuesten Stand gebracht worden. Es hatte einer kurz vor der Pleite stehenden Reederei gehört und war vor wenigen Monaten von einem vermögenden Spekulanten gekauft und von Grund auf renoviert worden. Marie hatte all diese Informationen von Besatzungsmitgliedern, die schon vorher auf dem Schiff gearbeitet hatten und froh und dankbar waren, dass der neue Besitzer sie davor bewahrt hatte, sich in die Schlange der Arbeitslosen einzureihen.

Im Esssaal waren die Tische nur zur Hälfte besetzt. Viele der Passagiere machten in ihren Kabinen ein Schläfchen, und der Rest verteilte sich über das ganze Schiff. Einige genossen auf Liegestühlen neben dem Swimmingpool die Sonne, andere schlenderten auf Deck herum, spielten Karten oder lasen in dem gemütlichen Aufenthaltsbereich des Schiffes, der ihnen das Gefühl vermitteln sollte, sich wie zu Haus zu fühlen. Ein sehr teures und schickes Zuhause.

In der Küche herrschte rege Betriebsamkeit. Die Köche bereiteten das Abendessen vor, während ein erlesenes Büfett mit Kuchen und Tee schon auf die Gäste wartete.

Jessica, eine junge Kollegin in Maries Alter, verzog das Gesicht und stieß sich mit dem Zeigefinger in den Bauch.

„Was glaubst du, was das hier ist?“, fragte sie.

Marie betrachtete sie gedankenvoll. „Nun, ich war zwar nie sonderlich gut in Biologie, aber ich denke, es handelt sich um deinen Bauch“, antwortete sie dann mit gespieltem Ernst.

„Haha! Es ist nicht nur schlicht mein Bauch, sondern es ist mein Fettbauch, ein Bauch, der all diesen Verlockungen nicht widerstehen kann, ein Bauch, der seinen eigenen Willen besitzt!“

Sie reichte Marie ein Tablett mit Kuchen, damit sie es zum Büfett brachte.

„Wie soll ich nur jemals mit meinem eigenen Partyservice zurechtkommen, wenn ich das ganze Essen selbst vertilge?“, jammerte Jessica, und Marie lachte.

„Das packst du schon“, sagte sie. „Fett, aber außerordentlich tüchtig, wirst du die beste Reklame für dein Geschäft sein!“

Die beiden kicherten und trugen dann ihre Tabletts hinaus. Jessica schnatterte weiter, und Marie hörte zu und machte ab und an eine Bemerkung. Eigentlich war sie in Gesellschaft eher ein reservierter, scheuer Mensch, aber hier auf dem Schiff blieb kein Raum für Scheuheit. Sie war von ihren Kolleginnen und Kollegen freundschaftlich aufgenommen worden, mit der Offenheit, wie sie Menschen zu eigen ist, die vierundzwanzig Stunden am Tag zusammen sind. Es herrschte ein Teamgeist, wie Marie ihn vorher noch nie erlebt hatte. Als einziges Kind schon älterer Eltern hatte sie eine zwar glückliche, aber auch sehr behütete Kindheit gehabt und zumeist allein gespielt. Und das dann folgende Leben mit ihrer Tante hatte in dieser Hinsicht keinen Wechsel gebracht. Sicherlich hatte sie ihre Schulfreundinnen gehabt und später auf der Universität auch Freundschaften geschlossen, aber die Erfahrungen in ihrer Kindheit hatten dazu geführt, dass sie sich ein gewisses Maß an Selbstkontrolle angeeignet hatte, das nun ihre Persönlichkeit prägte. Marie verließ sich am liebsten auf sich selbst. Als ihre Freundinnen damals ihre Puppen gegen Jungen und später gegen junge Männer eingetauscht hatten, war sie immer nur Zuschauerin gewesen und hatte sich nicht in das Abenteuer gestürzt, ihre eigene Sexualität zu entdecken.

All das wird schon zur rechten Zeit kommen, dachte sie dabei. Mit ihren weizenblonden Haaren, den großen braunen Augen und dem gut geschnittenen Gesicht hatte sie eine ganze Reihe von jungen Männern angezogen, aber sie hatte es nicht eilig gehabt, dieses Spiel von Verabredungen mitzumachen, trotz des Drängens ihrer Freundinnen.

Auch auf der Universität war niemand gewesen, der tiefer gehende Gefühle in ihr hatte auslösen können. Wenn die Liebe sie treffen würde, musste es etwas ganz Wundervolles, Berauschendes sein, ein Feuerwerk von Gefühlen. Warum sollte sie sich für weniger hergeben?

Der Esssaal hatte sich inzwischen gefüllt, und die Passagiere beluden sich ihre Teller mit den angebotenen Leckereien. Am Ende der dreiwöchigen Kreuzfahrt würden die meisten der Passagiere etliche Kilo schwerer nach Haus zurückkehren, aber im Augenblick dachte wohl keiner von ihnen daran.

Marie trat an die Tische, die ihrer Betreuung unterlagen, sprach hier und da ein paar Worte mit den Passagieren und nahm Bestellungen für Tee oder Kaffee entgegen. Am Anfang war es ihr schwergefallen, die einzelnen Wünsche zu behalten und nicht durcheinanderzubringen, aber inzwischen hatte sie damit keinerlei Probleme mehr. Dieselben Gäste saßen immer an denselben Tischen und bestellten zumeist jedes Mal das Gleiche.

„Soll ich es diesmal für Sie interessanter machen und zur Abwechslung einmal einen Gin-Tonic bestellen?“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Es war eine tiefe, männliche Stimme, und leichte Amüsiertheit schwang darin mit. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, und fuhr herum, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken, als hätte sie auf einmal eine Lähmung befallen.

Sie starrte den attraktivsten Mann an, der ihr je vor die Augen gekommen war. Er hatte graublaue Augen mit dichten dunklen Wimpern und volles schwarzes Haar. Das Gesicht war zu kantig geschnitten, als dass man es als schön bezeichnen könnte. Aber seine gesamte Erscheinung strahlte Macht und Autorität aus. Obwohl Marie keine Erfahrungen mit Männern hatte, konnte sie es instinktiv deutlich spüren. Er war der Typ Mann, dem Frauen mit offenem Mund und verträumtem Blick nachschauten.

Marie war sich bewusst, dass sie ihn immer noch anstarrte, und schloss abrupt ihren Mund.

„Verzeihen Sie, aber wir bevorzugen es, wenn unsere Gäste alkoholische Getränke an der Bar einnehmen, die in Kürze öffnen wird“, entgegnete sie freundlich, aber bestimmt.

„Tatsächlich?“ Wieder schwang diese Belustigung mit, und er blickte sie immer noch unverwandt an.

„Wir bieten eine Reihe verschiedener Teesorten an“, fuhr sie nervös fort. „Dazu Kaffee, Fruchtsäfte …“

„Wirklich? Und ist das alles, was Sie anzubieten haben?“

Flirtete er mit ihr? Marie brannten die Wangen, und sie versuchte sich zu erinnern, was man ihr geraten hatte, falls männliche Gäste Annäherungsversuche unternehmen sollten.

„Wenn Sie so freundlich sein wollen, mir Ihren Tisch zu nennen, bringe ich Ihnen gern eine Karte“, sagte sie.

„Wie aufmerksam von Ihnen.“ Er lächelte sie an, und plötzlich begann ihr Puls zu rasen.

Noch nie hatte sie auf einen Mann so reagiert, und ein Gefühl warnte sie, dass es sich um einen für sie gefährlichen Mann handelte. Und doch empfand sie zugleich ein Gefühl seltsamer Aufregung.

Er ging hinüber zu einem nahen Tisch, mit faszinierenden, federnden Schritten, setzte sich und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen.

„Ich möchte eine Kanne Tee“, sagte er. „Mit zwei Tassen.“

„Ja, sofort.“ Sie senkte die Augen. Merkwürdigerweise empfand sie ein Gefühl schmerzlicher Enttäuschung. Er war also mit jemandem hier. Aber wie sollte es auch anders sein? Ein Mann wie er würde wohl kaum allein reisen. Und an weiblicher Gesellschaft würde es ihm bestimmt auch nicht fehlen.

„Sie haben ein sehr offenes Gesicht“, meinte er und sah sie scharf mit diesen unglaublich graublauen Augen an. „Ich kann jeden Gedanken ablesen, der Ihnen durch den Kopf geht. Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtzehn?“

„Einundzwanzig. Und ich kann leider nicht hier herumstehen und mich mit Ihnen unterhalten.“ Sie schaute über die Schulter und entdeckte, dass Jessica ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.

„Einundzwanzig? Seltsam.“

„Was ist daran seltsam?“

„Die meisten Frauen in diesem Alter sind ziemlich blasiert, nicht selten bis hin zum Zynismus, aber Sie sind ein unbeschriebenes Blatt, das darauf wartet, beschrieben zu werden. Habe ich recht?“

Sie errötete noch tiefer. Dies war eine Art Unterhaltung, die über ihren normalen Erfahrungshorizont ging. Sie kam sich vor wie eine Maus in den Fängen einer Katze, die zum Vergnügen mit ihr spielte.

„Darüber habe ich noch nicht viel nachgedacht“, gab sie steif zurück. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen …“ Sie drehte sich herum und ging zurück in die Küchenräume, während ihr genau bewusst war, dass er ihr nachschaute.

Kaum war sie durch die Schwingtüren, wurde sie von Jessica abgefangen.

„Wer ist das? Gestern Abend habe ich ihn hier nicht gesehen. Er wäre mir bestimmt aufgefallen“, drängte sie neugierig.

„Ich habe keine Ahnung, wer er ist.“ Marie versuchte die Verwirrung zu ignorieren, die sie sogleich befiel, als sie an das kantige, amüsierte Gesicht dachte.

„Hat er es dir nicht gesagt? Ihr beide habt euch doch eine ganze Weile unterhalten. Er muss dir doch seinen Namen genannt haben.“

„Nein.“ Sie riss sich zusammen und ging wieder hinaus, um Bestellungen aufzunehmen. Jessica folgte ihr, immer noch voller Neugier.

„Der Mann ohne Namen“, murmelte sie verträumt dabei. „Wie romantisch.“

„Er ist ein Gast“, erinnerte sie Marie. „Und ein Gast mit Anhang.“

„Aha, dann habt ihr beide euch doch schon besser bekannt gemacht!“ Jessica zuckte mit den Schultern. „Nun, viel Glück, wer auch immer ihn sich geschnappt hat.“

Er saß noch immer am Tisch, und Marie musste ihren ganzen Willen aufbieten, um nicht hinüberzustarren. In seiner Nähe kam sie sich linkisch vor. Dieser Mann verunsicherte sie, ohne dass er es groß darauf anlegte, und das fand sie ziemlich beunruhigend. So war es in gewisser Weise beruhigend, dass er nicht allein hier war, dass er Gast war und sie auf diesem Schiff zum Personal gehörte, mit strikten Anweisungen für den Umgang mit Gästen.

Sie nahm Bestellungen auf, und als sie in den Speisesaal zurückkehrte, sah sie völlig überrascht, dass die Begleiterin des Mannes keine hochgewachsene Blondine war, wie sie erwartet hatte, sondern eine rundliche Frau, bestimmt schon Ende fünfzig, mit aristokratischem Aussehen und von gepflegter Eleganz.

Er fing ihren Blick auf und lächelte ihr kurz zu, aber sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt.

Als sie dann den Tee brachte, konnte sie ihm nicht in die Augen sehen.

„Ich glaube, Ihren Namen kenne ich nicht“, sagte er, als sie die Kanne und die Tassen abstellte.

„Marie Stephens, Sir.“ Noch immer sah sie ihn nicht direkt an, und ihr Lächeln war rein höflich.

„Marie Stephens Sir“, wiederholte er gedankenvoll. „Ein ungewöhnlicher Name.“

Sie mied weiterhin seinen Blick, ärgerte sich aber über seine ironische Art, besonders in Gegenwart der Frau, die sie nun mit kühler Freundlichkeit anblickte.

„Darling, lass das Kind zufrieden“, sagte diese dann und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich bezweifle, dass sie mit deiner Art Humor umgehen kann.“

Ihr Gesicht trug dabei den gelangweilten, überheblichen Ausdruck, den reiche Leute oft für ihre nicht so gut betuchten Mitmenschen übrig hatten. Sie war noch immer attraktiv, früher einmal musste sie eine Schönheit gewesen sein. Ihr blondes Haar war etwas ausgeblichen, aber immer noch perfekt frisiert und voll. Sie hatte scharfe blaue Augen und ein klassisch geschnittenes Gesicht.

„Ich bin sicher, ich kann es“, gab Marie zurück und bemühte sich, ihre Verstimmtheit nicht zu zeigen. „Schließlich werde ich dafür bezahlt, unter anderem auch mit einer Art Humor zurechtzukommen, die ich vielleicht nicht sonderlich spaßig finde.“

„Ich muss gestehen, mir gefällt dieser Ton nicht sonderlich, mein Kind“, erwiderte die Frau ruhig, fast wie nebenbei.

Marie zwang sich, einen reumütigen Ausdruck aufzusetzen. Es gab noch etwas, was man ihr beigebracht hatte, als sie ihren Job antrat: Der Kunde hat immer recht, selbst wenn er unrecht hat.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise. Dabei sah sie den Mann neben sich nicht an, aber sie wusste, er beobachtete sie. Sie konnte es fühlen. Es war wie eine Berührung.

Die Frau entließ sie mit einer Handbewegung, als würde sie erwarten, dass so etwas nicht noch einmal vorkäme. Marie atmete insgeheim erleichtert auf. Diese Stellung war wichtig für sie, und sie wollte sie nicht gefährden, nur weil einer der Passagiere spontan Abneigung gegen sie empfand.

„Möchten Sie vielleicht sonst noch etwas bestellen?“, fragte sie höflich die Frau, und diese wandte sich an den Mann.

„Holden, ist das alles?“

Holden. Ein ungewöhnlicher Name. Der Mann saß entspannt auf seinem Stuhl, die Fingerspitzen aneinandergelegt. Er hatte lange, schlanke Finger und kräftige Arme, die von feinen dunklen Härchen bedeckt waren, wie sie am Handgelenk sehen konnte. Er sah beide Frauen mit leicht amüsiertem Blick an, als wäre er Zuschauer bei einer Kabarettvorstellung, die nur für ihn allein aufgeführt wurde.

„Oh ja, im Augenblick ist das alles“, sagte er dann, fügte dann aber nach einem Seitenblick auf Marie hinzu: „Gehen Sie nicht zu weit weg …“

Nicht zu weit? Marie lächelte ihn zwar höflich an, war aber entschlossen, genau das Gegenteil zu tun.

Sie hielt sich für die nächste Zeit weit von seinem Tisch entfernt, bis die Passagiere nach und nach den Raum verließen und auch seine Begleiterin sich erhob und davonschritt.

Was mag er in ihr sehen? fragte sich Marie. Er sah aus wie ein Mann, der alle Frauen haben konnte. Vielleicht war es ihr Geld. Geld konnte eine mächtige Anziehung ausüben. Und mit Geld konnte man auch Menschen kaufen.

Er saß immer noch am Tisch, als schließlich alle anderen Passagiere gegangen waren. Marie warf ihm unter gesenkten Lidern einen schnellen Blick zu, und wieder überlief sie dummerweise ein Prickeln. Wer war er? Wie war seine Beziehung zu dieser Frau? Sie verachtete sich dafür, dass sie solche Spekulationen anstellte, und es war auch das erste Mal, dass sie es auf diesem Schiff tat, obwohl es hier eine Menge Leute gab, deren Reichtum wohl der gesamten Besatzung für ein Leben ohne Sorgen gereicht hätte.

Nun aber musste sie sich eingestehen, fürchterlich neugierig wegen eines völlig Fremden zu sein, der sie verwirrte. Jessica hätte keine Probleme gehabt, mit dem Mann fertigzuwerden, aber sie selbst war mit ihren einundzwanzig Jahren noch unschuldig wie der frisch gefallene Schnee. Zu viele Bücher und zu wenig Erfahrung hatte einmal ein abgeblitzter Kommilitone gehässig erklärt. Es hatte so geklungen, als wäre sie nicht ganz normal, aber das war ihr immer noch lieber, als einen Mann im Bett zu haben, den sie nicht liebte.

Der Mann winkte sie heran. So holte sie tief Luft und erinnerte sich rasch daran, wie viel ihr dieser Job bedeutete. Mehr als das flüchtige Interesse eines fremden Passagiers an ihr, mit dem eine Beziehung sowieso verboten war.

„Ja?“, fragte sie kurz angebunden, als sie vor ihm stand. Doch dann zwang sie sich zu einem freundlichen Lächeln. „Was kann ich für Sie tun?“

Er musterte sie lange und abschätzend und verzog dann den Mund zu einem umwerfenden Lächeln. „Es ist hart, nicht wahr?“, murmelte er.

Sie verstand nicht. „Wie bitte?“

„Nun, zu jemandem höflich zu sein, dessen Humor einen anödet und den man in keinster Weise spaßig findet.“ Er sagte es, als würde es ihm nicht das Geringste ausmachen, eher amüsieren.

„Es tut mir leid, wenn Sie diesen Eindruck erhalten haben sollten.“ Die Entschuldigung fiel Marie schwer. Sie war verwirrt und verschränkte ihre Hände miteinander.

„Setzen Sie sich.“

„Es tut mir leid, aber das geht leider nicht. Wir sind angehalten, uns nicht auf private Gespräche mit den Passagieren einzulassen“, sagte sie steif.

„Von wem?“

„Von den Leuten, die mich eingestellt haben.“

„In dem Fall sollen sie sich an mich wenden, wenn es ihnen nicht gefällt.“

Er war ein Mann, der erwartete, dass seine Befehle ausgeführt wurden. Stimme und Miene drückten dies deutlich aus.

Marie zögerte und setzte sich, warf jedoch einen nervösen Blick hinüber zu Henry, ihrem Vorgesetzten.

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen“, sagte Holden locker. „Es wird Ihnen nichts geschehen, wenn Sie sich für eine Viertelstunde zu mir setzen. Sind Sie immer so nervös?“

„Und Sie so bestimmend?“, gab sie zurück, und er grinste.

„Immer.“

„In diesem Fall tun mir die Menschen leid, die für Sie arbeiten müssen.“ Sie hatte keine Ahnung, warum sie dies sagte, denn sie hatte ja keine Ahnung, wovon der Mann seinen Lebensunterhalt bestritt.

„Wie gut, dass meine Tischdame nicht mehr hier ist“, knurrte er. „Sicherlich hätte ihr diese Antwort nicht gefallen.“

„Und ich nehme an, Sie hören auf alles, was sie sagt?“, hörte Marie sich zu ihrem eigenen Entsetzen sagen. Was war nur an diesem Mann, dass sie sich so völlig untypisch benahm?

„Ich versuche es“, murmelte er und betrachtete sie dabei aufmerksam. „Es gibt nur wenige Menschen, auf deren Wort ich etwas gebe, und sie gehört zu ihnen.“

Weil sie Ihre Rechnungen bezahlt? hätte sie gern gefragt. Hält sie Sie aus? Dieser Gedanke war für sie so abscheulich, dass sie zur Seite schaute.

„Ich verstehe“, sagte sie stattdessen.

„Du lieber Himmel, Sie halten mich für einen Gigolo, und das gefällt Ihnen ganz und gar nicht“, murmelte er. „Aber warum denn nicht? Die Welt ist voller Frauen, die ohne die geringsten Skrupel fein vom Einkommen ihres Mannes leben. Warum sollte es nicht auch einmal andersherum sein?“

Sein Blick wirkte hypnotisierend, und sie hatte das Gefühl, in seinen Augen zu versinken.

„Es ist etwas anderes, weil … weil es anders ist.“

„Welch bezwingende Logik.“

Sie erhob sich mit rotem Kopf. „Ich sehe, es macht Ihnen einen Heidenspaß, sich auf meine Kosten zu amüsieren. Aber ich bin nicht bereit, dies noch länger mitzumachen. Sie sind zwar Passagier auf diesem Schiff, aber das gibt Ihnen nicht das Recht, mich zu beleidigen.“

„Bitte setzen Sie sich doch wieder. Niemand beleidigt Sie.“ Wieder dieses amüsierte Lächeln.

„Ich muss sowieso jetzt in der Küche helfen“, sagte Marie, blieb aber unentschlossen stehen, als er sie ungeduldig betrachtete.

„Glauben Sie mir, Sie bekommen bestimmt keinen Ärger, weil Sie hier mit mir sitzen.“

„Nicht einmal von Ihrer Begleiterin?“, fragte sie mit honigsüßer Stimme und setzte sich wieder, wenngleich auch mit einem unguten Gefühl.

„Oh ja, von ihr vielleicht“, antwortete er ernst. „Doch bestimmt. Meine Mutter hat sehr feste Vorstellungen, welche Frauen zu mir passen und welche nicht.“

„Ihre Mutter?“

Er hob eine Augenbraue, als überraschte es ihn, dass sie etwas anderes gedacht haben könnte. Aber in seiner Stimme lag ein Hauch von Spott.

„Natürlich, wer sollte sie denn sonst sein? Ach ja, ich vergaß ganz, dass Sie die Möglichkeit in Betracht zogen, ich könnte ihr Gigolo sein.“

Marie wurde knallrot. Dieser Mann verwirrte sie völlig. Ihre Selbstbeherrschung, auf die sie so stolz gewesen war, hatte er innerhalb weniger Minuten weggefegt.

„Ich habe so etwas überhaupt nicht gedacht“, log sie, senkte aber schnell den Blick.

„Nein, natürlich haben Sie das nicht“, meinte er nachdenklich. „Was machen Sie heute Abend?“, erkundigte er sich dann überraschend.

„Wie bitte?“

„Heute Abend. Ich nehme an, nach dem Abendessen werden Sie noch in der Küche helfen, aber was machen Sie danach?“

„Danach? Nichts nehme ich an. Vielleicht sehe ich mir die Kabarettvorstellung an. Der Kabarettist soll sehr gut sein.“

„Wollen Sie mir nicht auf Deck Gesellschaft leisten?“

„Ich glaube nicht.“ Alarmsignale schrillten nun in ihrem Kopf. Marie hatte nichts gegen eine Beziehung mit einem Mann, aber dieser hier war nicht ganz ihre Klasse. Das hatte er deutlich genug ausgedrückt, als er sagte, seine Mutter würde sie nicht annehmbar finden. Dennoch, eine leise Erregung überflutete sie, und ein neues und seltsames Gefühl ließ ihren Puls auf einmal rasen.

„Warum nicht? Ich verspreche auch, meine Hände von Ihnen zu lassen.“

Sie errötete noch mehr und wusste nichts zu antworten.

„Es geht einfach nicht“, stammelte sie. „Ich könnte meine Stellung verlieren …“

„Ich spreche von einer unschuldigen Unterhaltung auf Deck, nicht von Sex.“

„Ja, ich weiß.“ Sie räusperte sich und versuchte beherrschter zu wirken, als sie war. „Es ist nur …“

„Ich weiß, ich weiß. Wenn Sie wollen, betrachten Sie es einfach als Auftrag Ihres Chefs.“

„Wovon reden Sie?“ Verwundert sah sie ihn an.

„Ich bin Ihr Chef“, erklärte er ihr geduldig. „Ich bin Holden Greystone, und mir gehört dies hier alles.“

„Sind Sie es tatsächlich?“, fragte sie schwach, und er nickte. „Warum kennt Sie dann niemand?“

„Warum sollte mich jemand kennen? Es ist das erste Mal, dass sie mich sehen, und der Kapitän hat den Auftrag, meine Identität geheim zu halten. Ich möchte sehen, wie der Laden läuft, und es könnte das Bild verfälschen, wenn die Leute wissen, wer ich bin.“

„Aber das ist nicht fair!“, protestierte sie.

Er sah sie ironisch an. „Wenn es ums Geschäft geht, ist es fair. Die meisten Angestellten haben die ärgerliche Eigenschaft, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie wissen, dass sie von ihrem Chef beobachtet werden. Deswegen will ich nicht, dass Sie überall herumerzählen, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Ich bin in der Nacht mit meiner Mutter im Hubschrauber hergeflogen, und was die Mannschaft betrifft, nur ein verspäteter Passagier, der wegen einer ernsthaften Erkrankung in der Familie erst jetzt kommen konnte. Auf diese Art erfahre ich aus erster Hand, wie tüchtig die Mannschaft ist.“

„Aber warum erzählen Sie mir dies alles?“, wunderte sie sich perplex.

„Weil …“ Er sprach mit gesenkter Stimme. Sie klang rau. „… ich Sie mag. Ich möchte Sie besser kennenlernen, und das geht nur, wenn Sie nicht ständig Ärger befürchten, wenn ich auch nur in Ihre Richtung schaue.“

„Aber Ihre Mutter …“

„Was Frauen betrifft, glaubt meine Mutter, sie könnte bestimmen, aber natürlich kann sie das nicht.“ Er lächelte, aber sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

Marie empfand diese ganze Unterhaltung, Holden Greystone inbegriffen, als so unwirklich, dass sie das Gefühl hatte, jeden Moment aufzuwachen und erkennen zu müssen, dass alles nur ein Traum gewesen war. Sie hatte gewusst, dass sie fürchterlich unerfahren war, was Männer betraf, aber sie hatte nicht gewusst, wie viel Erfahrung ihr eigentlich fehlte. Bis jetzt.

Später stand Marie an Deck, das verlassen dalag, weil die Passagiere samt und sonders unten waren und sich dort von dem Kabarettisten mit ausgesprochen gewagten Witzen unterhalten ließen, und es dämmerte ihr, dass sie sich auf sehr gefährlichem Boden bewegte. Im Augenblick gefiel ihr alles ausnehmend gut, aber wenn sie nicht aufpasste, würde sie in Treibsand geraten und untergehen, ohne dass sie sich irgendwo festhalten konnte.

Holden Greystone war beängstigend attraktiv, selbstbewusst und clever.

Sie schaute ihn verstohlen von der Seite an. Sein Profil zeichnete sich gegen den sternenfunkelnden samtschwarzen Nachthimmel ab, und genau in diesem Augenblick drehte er sich zu ihr herum. Ihre Blicke trafen sich. Maries Herz begann zu hämmern. Seine Augen verrieten ihr nicht, was er dachte, und sie stellte panisch fest, sie konnte den Blick nicht von ihm lösen. Sie hatte keinen einzigen Schluck getrunken, hatte aber das Gefühl, mehrere Flaschen Champagner im Kopf zu spüren.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, worüber sie mit ihm in der letzten Stunde gesprochen hatte. Dabei hatte sie eine Menge geredet – mehr als jemals zuvor in ihrem Leben in so kurzer Zeit. Es gelang ihm, sie zum Reden zu bringen, sich völlig locker zu fühlen und zugleich schrecklich aufgeregt und vorsichtig.

Er streckte die Hand aus und strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange, eine zärtliche, neckende Berührung, die ihr das Blut in den Kopf steigen ließ.

„Ich möchte dich küssen“, sagte er leise. „Aber nur, wenn du es auch möchtest.“

Sie konnte deutlich die Wellen an den Schiffsrumpf schlagen hören, während das Schiff durch die dunkle See glitt. Die Luft war mild, und eine leichte Brise spielte in Maries Haar. Es war schwer, sich vorzustellen, dass sich unter Deck über zweihundert Passagiere befanden, die sich miteinander unterhielten, tranken, ausgelassen waren. Hier oben gab es nur sie beide im ganzen Universum …

Ihr Atem beschleunigte sich, und als er den Kopf senkte und ihre Lippen sich trafen, stieß sie ein leises Stöhnen aus. Sie hob die Arme, schlang sie um seinen Nacken und erlaubte ihm, sie so dicht an sich zu ziehen, dass ihr Körper mit seinem fast verschmolz. Sie erwiderte fieberhaft, leidenschaftlich seinen Kuss und erschauderte, als seine Hand über ihren Körper glitt.

„Du bist so wunderschön“, flüsterte er an ihrem Nacken, und es durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. „Exquisit. Jemanden wie dich habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht getroffen.“

Mit beiden Händen umfasste er ihre Brüste und streichelte sie, bis Marie am liebsten vor Verlangen geschrien hätte.

Ihr Körper war noch unberührt, ein leeres Blatt, und gegen jede Vernunft überkam sie ein überwältigendes Verlangen, dass dieser Mann es beschreiben sollte.

Er hob den Kopf und sah sie an. „Nicht hier“, sagte er leise. „Nicht so.“ Er lächelte. „Wenn ich dich nehme, dann soll es etwas Unvergessliches sein. Ich möchte nicht, dass du es je vergisst, weil ich es auch nicht vergessen werde.“

Schweigend gingen sie unter Deck zurück.

„Morgen legt das Schiff in Grenada an“, sagte Holden schließlich. „Lass uns in einem der Restaurants zusammen essen. Wir werden miteinander reden.“ Sie hatten nun den Haupteingang zur Lounge erreicht. An der Bar standen Passagiere, tranken und unterhielten sich. Durch die Glasscheiben hindurch wirkten sie seltsam unwirklich.

Er küsste Marie auf die Stirn und lächelte sie an.

„Du bist wie eine Gazelle“, sagte er sanft. „Aber lauf mir nicht davon.“

Dann war er fort, während sie stehen blieb, wo sie war.

Bist du der Löwe? fragte sie sich. Muss ich Angst haben? Und wenn du gefährlich bist, wie kann Gefahr so verlockend sein?

2. KAPITEL

Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Marie einen immer wiederkehrenden Traum. Sie stürzte, fiel ins Bodenlose, von panischer Angst erfüllt, gleich auf hartem Grund aufzuprallen. Kurz vorher wachte sie stets auf, aber der Schrecken wirkte noch lange in ihr nach. Es war furchtbar, weil sie das Gefühl hatte, jede Kontrolle verloren zu haben, während sie damit kämpfte, wach zu werden.

Nun, in Holdens Gegenwart, hatte sie dieses Gefühl, zu fallen, wieder, wenn auch nicht in ihren Träumen. Es überkam sie jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, wann immer er sie berührte, und ihre Haut wurde heiß und empfindlich, auch wenn er nie mehr tat, als sie zu küssen.

Vor zwei Tagen hatte das Kreuzfahrtschiff in Grenada angelegt. Die Passagiere waren an Land geströmt, hatten ihre Strohhüte aufgesetzt, ihre Sonnenlotion eingepackt und sich auf den Weg zu den Märkten und den Stränden gemacht.

Marie stand in der geräumigen Schiffsküche, die an das Restaurant angrenzte, und lächelte vor sich hin, als sie daran dachte, wie viel sie und Holden geredet hatten. Sie konnte sich an jedes Wort erinnern, jedes überraschende Detail. Auch an seine Finger, die er mit ihren verschränkt hatte, die Amüsiertheit in seinen Augen, als sie an einem der weniger bekannten, fast leeren Strände entlanggeschlendert waren und den warmen, feinen Sand unter den Füßen gespürt hatten. Sie war darauf herumgewirbelt, hatte getanzt, während er ihr lächelnd zugesehen hatte.

Die warme Sonne, die mächtigen Palmen und die türkisfarbene See waren für ihn nichts Neues. Oft schon war er in der Karibik gewesen, sie aber war das erste Mal hier. Nicht einmal in ihren wildesten Kindheitsträumen hätte sie daran gedacht, jemals solche märchenhaften Winkel der Erde kennenzulernen. Ihre Eltern hätten sich etwas so Luxuriöses niemals leisten können. Sie hatten die Ferien zu dritt in einem gemieteten Cottage verbracht, zumeist im Lake District, und zweimal waren sie auch in die Bretagne gefahren.

Grenada, mit seinen Düften und wunderschönen Stränden, war ein Paradies. Endlos lange hätte sie am Wasser entlanggehen können, ohne sich jemals zu langweilen. Sie fasste es kaum, dass sie in Holdens Gegenwart so unbeschwert sein konnte. Beinahe hatte sie schon vergessen, wie es war, die Haare offen zu tragen und unbeschwert wie ein Kind zu sein …

Jessica brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte die Arme voller Teller und flüsterte ihr zu: „Auf welchem Planeten du dich auch befindest, du kommst am besten schnell wieder auf die ‚Greystone H.‘ zurück, oder Henry frisst dich zum Abendessen. Warum träumst du eigentlich vor dich hin?“

„Ich habe nicht vor mich hingeträumt“, erwiderte Marie, strich sich ihren Rock glatt und ging dann hinaus, um die Bestellungen entgegenzunehmen.

„Nein, wirklich nicht?“, rief Jessica ihr mit erhobener Stimme hinterher, um den Küchenlärm zu übertönen. „Oder hast du dich in transzendentaler Meditation geübt?“ Sie lachte laut über ihren eigenen Witz.

Marie musste lächeln. „Natürlich, es war sehr entspannend!“, rief sie fröhlich zurück.

Fast zwei Stunden vergingen mit Servieren, aber schließlich leerte sich langsam das Restaurant. Gegen halb elf würde Marie freihaben. Sie hatte sich mit Holden auf Deck verabredet und freute sich schon darauf, ihn zu sehen. Aber als sie dann aufblickte, geschah etwas, was sie die ganze Zeit über zu vermeiden versucht hatte. Mrs. Greystone fing ihren Blick auf und winkte sie heran. Marie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie ungern sie hinging.

Wie gewöhnlich war Mrs. Greystone untadelig gekleidet. Marie bezweifelte, dass sie bei ihrer Garderobe Sachen hatte, die auch nur annähernd der lockeren Kleidung glichen, die die meisten Frauen an Bord trugen. Heute trug sie ein kaffeebraunes Kostüm, dazu eine mehrreihige Perlenkette und passende Ohrringe. Sie wirkte elegant, feminin und ein wenig einschüchternd.

Marie zwang sich zu einem Lächeln. „Guten Abend. Kann ich etwas für Sie tun? Vielleicht noch etwas Kaffee?“

„Ich hatte bereits meine Tasse“, erklärte Mrs. Greystone. „Noch eine weitere, und ich kann nicht mehr einschlafen.“

Marie entspannte sich. Das Eis war immer noch in den Augen, aber zumindest die Unterhaltung war harmlos.

„Wir haben auch vorzüglichen koffeinfreien Kaffee“, bot sie ihr an.

„Nein danke, meine Liebe, ich denke nicht. Ich verabscheue koffeinfreien Kaffee, ebenso wie Pulverkaffee. Schmeckt beides nach nichts.“

Marie zögerte.

„Soweit ich es weiß, haben Sie meinen Sohn einige Male gesehen.“

Aha, daher wehte der Wind! Mrs. Greystone würde sich normalerweise kaum herablassen, sich mit ihr über Kaffee zu unterhalten.

„Ab und an“, murmelte sie.

„Das ist wohl untertrieben“, erwiderte Mrs. Greystone mit ausdrucksloser Stimme. „Ich schätze, Sie haben recht viel Zeit mit ihm verbracht. Wann immer Sie einen freien Moment hatten. Ich halte das nicht für eine sonderlich gute Idee … Sie?“

„Wie meinen Sie das?“

„Ich denke, Sie wissen genau, was ich damit ausdrücken will, mein liebes Kind.“ Mrs. Greystone musterte sie abschätzend. „Berichtigen Sie mich bitte, wenn ich mich irre, aber ich glaube, Sie verkehren nicht in den gleichen Kreisen wie mein Sohn. Gut, an Bord eines Schiffes mag das keine Rolle spielen, aber wir beide wissen, dass die Sache ganz anders aussieht, wenn diese … Beziehung – mir mangelt es an einem passenderen Wort – anschließend fortgesetzt wird.“

Marie schaute zu Boden. Sehr gern hätte sie klargestellt, dass ihr Sohn in dieser Angelegenheit schon selbst entscheiden müsse. Aber damit würde sie sich garantiert Ärger einhandeln. So hielt sie ihren Mund.

„Ich kann meinen Sohn nicht davon abhalten, Sie weiterhin zu sehen, aber ich möchte betonen, dass es sich um nicht viel mehr als um eine kleine Urlaubsromanze handelt. Ich hoffe doch, Sie selbst nehmen es nicht zu ernst?“

Hinter der Frage steckte eine deutliche Warnung. Marie erkannte es sofort. Mrs. Greystone wollte das Beste für ihren Sohn, und Marie passte in keinster Hinsicht in diese Kategorie.

„Das Kabarett beginnt gleich“, sagte sie höflich. „Sind Sie sicher, dass ich Ihnen nichts mehr bringen kann? Tee? Oder vielleicht etwas Kräftigeres? Wir führen eine große Auswahl an Dessertweinen und Likören.“

Mrs. Greystone erhob sich. Erst jetzt sah man ihr ihr Alter an, denn ihre Bewegungen waren langsam und bemüht. Sie neigte den Kopf zur Seite und sagte dann: „Ich hoffe, Sie werden über meine Worte nachdenken, mein Kind. Wir wollen doch sicher nicht, dass wir uns mit irgendwelchen Problemen herumschlagen müssen, oder?“

In einer Mischung aus Beklommenheit und unterdrückter Panik sah Marie ihr nach. Gleichzeitig regte sich Zorn in ihr, weil sie wegen ihrer Herkunft so abgekanzelt worden war. Aber sie sah auch die Gründe für die Warnungen.

Urlaubsromanzen waren auf solchen Kreuzfahrtreisen gang und gäbe. Das hatte sie von mehreren ihrer Kolleginnen und Kollegen erfahren. Die erzwungene Nähe ließ manche den gesunden Menschenverstand vergessen, und oft schon soll es vorgekommen sein, dass Ehen zu Bruch gingen, bevor das Schiff noch im Bestimmungshafen angelegt hatte.

Ungefähr eine Stunde später wartete sie auf dem verwaisten Deck am vereinbarten Platz auf Holden. Sie hatte noch Zeit gehabt, sich rasch zu duschen und sich eine Jeans und ein rotkariertes Hemd anzuziehen. Es war zwar sehr bequem, aber sie kam sich ein wenig wie ein weiblicher Cowboy vor.

„Bezaubernd.“

Sie hörte seine Stimme, noch ehe sie ihn sah, und fuhr herum. Das Mondlicht warf Schatten auf sein Gesicht.

Wir wollen doch sicher nicht, dass wir uns mit irgendwelchen Problemen herumschlagen müssen, oder?

Die Worte seiner Mutter kamen ihr in den Sinn. Er sieht so schrecklich gut aus, dachte sie. Ein Mann, der Frauen genug haben konnte. Was also wollte er von ihr, abgesehen von ein wenig Vergnügen während der Schiffsreise?

Der Gedanke war so unangenehm, dass sie ihn sofort beiseiteschob. In der letzten Zeit fiel es ihr immer leichter, solche Gedanken zu verscheuchen.

„Ich komme mir vor, als sollte ich Kühe melken oder Holz hacken“, sagte sie und ging zu ihm hinüber. Sie starrte ihm in die Augen, und wieder überlief sie dieser inzwischen vertraute Schauder.

Er lachte, ließ seinen Finger über ihren Nacken hoch zum Ohr wandern und schob ihn dann in ihr Haar. „Was für ein Gedanke! Dafür hast du nicht die richtige Statur.“

„Aber du hast sie“, hob sie hervor, lehnte sich an ihn und genoss es, als er ihr nun den Arm um die Hüfte legte. Beide schauten hinaus auf die See. „Aber ich kann mir dich auch nicht dabei vorstellen.“

„Bei den Kühen passe ich, aber ein paar Holzscheite habe ich in meinem Leben schon zerschlagen.“

„Wirklich?“, fragte sie überrascht, und er lachte.

„Oh ja, ich lebe nicht völlig fernab vom normalen Alltag.“

„Das habe ich auch nie behauptet.“

„Das brauchtest du auch nicht. Wie ich schon sagte, dein Gesicht verrät viel von dem, was du denkst und fühlst.“

„Ich bin gar nicht sicher, ob ich das mag.“ Sie runzelte leicht die Stirn.

„Es ist ein Kompliment. Eine Menge Frauen würden alles geben, wenn sie deinen jungen, frischen Charme hätten.“

„Erzähl mir, wo du gelernt hast, Holz zu schlagen.“ Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken, welche Art Frauen er bevorzugte.

„In Kanada. Ich verbrachte einen langen, schneereichen Winter dort, in einem Blockhaus an einem der kleineren Seen im Norden. Es war schauderhaft kalt damals, und wenn ich nicht schnell gelernt hätte, Holz zu schlagen, dann wäre ich bald an Unterkühlung gestorben.“

„Was hast du denn dort gemacht?“

„Ich gab meiner Diplomarbeit den letzten Schliff.“

„Sehr abenteuerlich.“

„Damals erschien es mir als eine gute Idee. Ich war London leid. Ich wollte fort von der Stadt. Die Blockhütte gehörte einem Freund, der sie nur im Sommer benutzte. Er hielt mich für verrückt.“ Er lachte leise auf.

„Es muss wundervoll gewesen sein“, sagte Marie verträumt. „Dort draußen am Ende der Welt, ganz allein mit der Natur …“

„Und den Bären. Ich vertrieb sie mit bloßen Händen.“ Er strich ihr mit den Lippen übers Haar, und sie lachte. Noch nie hatte sie einen Mann kennengelernt, der sie so einfach zum Lachen brachte wie er. Er hatte einen trockenen, treffenden Humor, der sie vergessen ließ, ihre Gefühle zu schützen.

„Was für ein schreckliches Erlebnis für den betreffenden Bären“, meinte sie schließlich.

„Kein Zweifel.“

„Bist du seit damals noch einmal dort gewesen?“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Dazu hatte ich nie mehr die Zeit. Ich musste mich im Dschungel der Großstadt bewähren, und ehe ich mich’s versah, war ich dreiundreißig, und Blockhäuser gehörten einer längst vergangenen Zeit an.“

„Schade.“

„Dir blutet das Herz, nicht wahr?“ Wieder lachte Holden, aber er strich ihr sanft über den Rücken dabei, und in seinem Lachen schwang etwas Sinnliches und Aufregendes mit.

„So ähnlich“, gab sie zu. „Dschungel der Großstadt … Hast du dich jemals so gefühlt, als wärst du darin gefangen?“

Er sah sie mit einem seltsamen Blick an. „Nein, bestimmt nicht. Warum sollte ich? Wozu bewegt man sich, wenn nicht, um vorwärtszukommen? Ambitionen sind das Fett, um die Räder des Lebens zu schmieren.“

„Ganz sicher nicht! Ist Geld so wichtig? Daran glaube ich nicht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Du bist die erste Frau, von der ich je so etwas gehört habe.“

Sie lachte und fragte sich, ob das ein Kompliment sein sollte. „Und ich habe noch nie jemanden wie Sie getroffen, Sir! Allerdings, um fair zu sein, an den Universitäten findet man keine hungrigen, ambitionierten Männer. Die Ambitionen meiner Freunde liefen mehr oder minder darauf hinaus, möglichst lange ihre Studienunterstützung zu kassieren.“ Sie lachte, aber es schwang Ernst darin mit. „Die meisten Menschen lieben ein ruhiges, anständiges Leben, und es reicht ihnen, sich ein paar Kleinigkeiten leisten zu können.“

„Dagegen habe ich nichts einzuwenden“, erwiderte er ein wenig kühl.

„Ich nehme an, du hast nicht die geringste Ahnung, was es heißt, auf der falschen Seite des Lebens zu sein“, erklärte sie trocken, und er schüttelte mit gespielter Traurigkeit den Kopf.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du dich dort befindest, dann wäre ich mit einem Satz hinübergesprungen, um nach dir zu suchen“, bemerkte er mit breitem Lächeln.

Sie erwiderte sein Lächeln. „Dazu hättest du wohl sehr lange Beine benötigt“, spaßte Marie. „Aber ich bezweifle, dass du die Differenz zwischen unseren beiden Welten überbrücken könntest.“

„Oh ja, wir sind Welten auseinander“, murmelte er. „Doch gerade das macht dich so erfrischend.“

„Armer reicher Junge.“ Sie schaute ihn an und glaubte, ein paar Zentimeter über dem Erdboden zu schweben. Wie hatte ihr Leben bislang vergehen können, ohne dass sie erfahren hatte, dass es dieses wundervolle Gefühl gab? Diese machtvolle Anziehung, die sie richtiggehend umhaute?

„So bin ich noch nie genannt worden. Das hätte niemand gewagt.“ Er küsste sie auf den Mund.

Er hat wohl recht, dachte sie. Es erstaunte sie, dass sie in seiner Gegenwart so entspannt sein konnte, dass sie ihn zu necken wagte. Und es erstaunte sie noch mehr, dass er es sogar mit Humor hinnahm.

Eine kurze Urlaubsromanze … nicht in den gleichen Kreisen … macht dich so erfrischend … sind Welten auseinander … Marie spürte plötzlich einen dumpfen Druck im Magen.

Die leichte Berührung seiner Lippen verstärkte sich, und seine Zungenspitze weckte in ihr ein heftiges Verlangen, das ihren ganzen Körper durchzog.

„Ich bin ziemlich frustriert“, sagte er rau, und beim Klang seiner Stimme verstärkte sich ihre eigene Erregung.

„Ich auch“, gab sie offen zu.

„Mir gehört dieses verdammte Schiff“, murmelte er. „Ich überlege wirklich ernsthaft, ob ich dich nicht von der Arbeit freistelle, damit du mit mir zusammen sein kannst.“

„Das wäre eine sehr schlechte Idee“, lachte Marie. Denn was wird danach mit mir geschehen, wenn du wieder fort bist? führte sie ihre Gedanken stumm weiter.

„In diesem Fall wirst du mit mir den ganzen Tag über verschwinden, sobald morgen das Schiff in Martinique angelegt hat. Das ist ein Befehl!“

„Und wer bin ich, nicht zu gehorchen …?“ Sie erschauderte, als er mit einer Hand ihre Brust umfasste. Sie trug keinen BH, und er öffnete nun die obersten drei Hemdknöpfe, schob seine Hand unter den weichen Flanellstoff und begann ihre Knospen mit den Daumen sanft zu massieren.

Er stöhnte leise auf, und deutlich spürte sie seine Erregung. Unerwartet zog er seine Hand wieder heraus und schloss ihr mit bebenden Fingern die Knöpfe.

Es schockierte Marie, wie sehr sie sich wünschte, er würde weitermachen, auch wenn sie wusste, es war unmöglich, sich ihm hier auf Deck hinzugeben, unter dem samtschwarzen Nachthimmel mit seinen funkelnden Sternen. Sie mochte gar nicht daran denken, was wohl ihre Tante zu ihrem Verhalten sagen würde. Sex war ein Thema, das nie zwischen ihnen zur Sprache gekommen war, aber Marie hatte immer das Gefühl gehabt, dass ihre Tante damit keine angenehmen Erinnerungen verband. Ganz im Gegenteil zu ihr selbst in diesem Augenblick …

„Ich werde dich jetzt wohl ins Bett gehen lassen müssen“, murmelte er. „Ich habe meiner Mutter versprochen, sie im Show Room zu treffen, bevor sie sich zur Ruhe begibt.“ Er seufzte tief, und sie hatte das verrückte Verlangen, ihn zurückzuhalten, den magischen Augenblick zu verlängern.

„Natürlich“, sagte sie aber gehorsam.

„Sag es nicht so. Hast du denn keine Ahnung, mit wem ich viel lieber den Rest der Nacht zusammen verbringen würde?“

Das brachte ein Lächeln auf ihr Gesicht, und er zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich und hungrig.

„Morgen“, flüsterte er dann. „Ich treffe dich außerhalb des Schiffes – um halb elf.“

Wenig später lag Marie dann in ihrem schmalen Bett und starrte hinauf an die Decke, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Ihr Körper vibrierte noch immer von Holdens Berührungen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verhalten, niemals solche Gefühle empfunden. Sie wusste, sie sollte versuchen, all dies nüchtern zu analysieren, aber sie wusste auch, dass sie es nicht konnte, solange ihre Gefühle verrücktspielten.

Schließlich aber schlief sie doch ein und wachte erst wieder auf, als die Sonne gerade langsam über dem Horizont aufging. Es war ein so überwältigender Anblick, dass sie darüber die Zeit vergaß und nachher rennen musste, um zu den Vorbereitungen für das Frühstück rechtzeitig in der Küche zu sein.

Heute waren die Passagiere beim Frühstück aufgeregt, sie spürte es deutlich. Einige von ihnen hatten sich französische Sprachführer besorgt und übten beim Essen noch ein wenig, bevor der Landgang begann. Es hörte sich dementsprechend an, und Marie musste heimlich lächeln über ihre Bemühungen.

Sie fragte sich, ob auch Holdens Mutter an Land gehen würde. Aber sie nahm es eigentlich an, und sie versuchte sich ihr Gesicht vorzustellen, wenn Holden ihr sagte, dass er an diesem Tag etwas anderes vorhätte.

Endlich waren alle Pflichten erfüllt, und Marie eilte zurück in ihren Raum. Dort zog sie sich ihren Bikini an, darüber dann ein dünnes Baumwollkleid. Alles Weitere, was sie brauchte, warf sie in eine Leinentasche und hängte sie sich über die Schulter.

Holden wartete schon an Land auf sie. Sie betrachtete ihn vom Deck aus, ohne dass er sie bemerkte. Er stand mit den Händen in den Hosentaschen da und sah in dem kurzärmeligen Hemd und den Leinenshorts blendend aus. Seine Haut war bronzefarben, und durch die Schirmmütze, die er trug, wirkte er wie jemand, der sich sein Geld mit seiner Hände Arbeit verdiente, den Körper gestählt durch den Aufenthalt im Freien. Niemand hätte geahnt, dass dieser Mann ein Millionenvermögen kontrollierte, Firmen kaufte und verkaufte.

Sie ging langsam die Gangway hinunter, er blickte auf und sah sie. Ihre Blicke verfingen sich über der Menge der anderen Passagiere, die ebenfalls an Land gingen.

Es war ein wundervoller, heißer Tag. Der Himmel war klar und von einem Blau, wie es sich in England oft an bitterkalten Frosttagen zeigte.

Das Schiff würde für zwei Nächte im Hafen bleiben. Hier gab es, wenn die enthusiastische Stimme in der Filmvorführung recht behielt, unglaublich viele interessante und einmalige Dinge zu sehen: Regenwälder, dunkel und voll tropischer Üppigkeit, weiße Strände und eine Architektur, die sich sehr von anderen Orten der Karibik unterschied.

Kurz ging es Marie durch den Kopf, unter normalen Umständen hätte sie alles darangesetzt, so viel wie möglich von dieser exotischen Welt zu sehen. Aber diese normalen Gegebenheiten existierten nicht mehr für sie, und sie konnte nur noch daran denken, dass sie den ganzen Tag mit Holden zusammen sein würde.

„Wartest du auf jemand Bestimmten?“, fragte sie ihn lächelnd, als sie ihn erreichte.

„Ach, eigentlich nicht“, erwiderte er mit seiner tiefen, sexy Stimme. „Aber da du zufällig einmal hier bist, hättest du vielleicht Lust, mit mir den Tag zu verbringen?“

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden.“

Es knisterte förmlich vor unterschwelliger erotischer Spannung zwischen ihnen.

Sie folgte ihm zu dem Wagen, den er gemietet hatte, einem blauen Peugeot.

„Wohin fahren wir?“, wollte sie wissen, als sie sich auf den Beifahrersitz setzte. Es war unglaublich heiß im Wagen, weil er in der Sonne gestanden hatte. Rasch drehte sie die Scheibe herunter und blickte ihn dann an.

„Richtung Süden“, sagte er und ließ den Motor an. „Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass es dort einsame Strände gibt, die wir erforschen können.“

„Erforschen?“, fragte sie verwundert. „Du willst sagen, dass du noch nie auf Martinique gewesen bist?“

„Nein, niemals.“

„Und du behauptest, ein Weltreisender zu sein?“

Er grinste und warf ihr einen Seitenblick zu. „Entsetzlich, nicht wahr?“

„Ja, entsetzlich.“ Sie lehnte sich zurück und ließ die vorbeifliegende Landschaft auf sich einwirken. Allmählich gewöhnte sie sich auch an die grellen Farben der Karibik, an die verschwenderische Fülle ihrer Flora. Sie konnte sich kaum noch Londons graue Monotonie vorstellen.

Holden streckte die Hand aus und legte sie auf ihren Schenkel, begann ihn sacht zu streicheln. „Ich mag deinen Körper“, sagte er dann mit sachlicher Stimme. „Er ist so glatt, so fest, wie man es bei einer Tänzerin erwarten würde. Hast du jemals getanzt?“

„Nein.“ Sie lachte und genoss es, seine Hand auf ihrem Bein zu spüren. „Im Gegenteil, abgesehen davon, dass ich ab und zu Squash spiele, bin ich in dieser Hinsicht ziemlich faul.“

„Das ist einmal eine angenehme Abwechslung für mich. All die anderen Frauen, die ich kenne, sind ausgesprochen körperbewusst und achten auf alles, was sie essen.“ Er nahm seine Hand fort und umfasste wieder das Steuer.

„Wo ist deine Mutter eigentlich heute?“, erkundigte sich Marie mit möglichst sachlicher Stimme.

„Was für eine seltsame Frage. Schüchtert sie dich ein?“, fragte er, und sie zuckte mit den Schultern.

„Ein wenig“, gab sie zu. „Sie denkt …“

„Ich weiß, was sie denkt. Glaub mir …“, erklärte er knapp. „… sie hat sich nicht gerade zurückhaltend geäußert, was dich betrifft. Sie hegt eine instinktive Abneigung gegen jede Frau, die vielleicht hinter meinem Geld her sein könnte. Aber kann man es ihr verübeln? Ich bin sehr reich, und ein reicher Mann wird von bestimmten Frauen als Freiwild angesehen.“ Seine Stimme war härter geworden, und es lag eine Kälte darin, die sie erschaudern ließ.

„Ich nehme an, Geld ist nicht ohne Anziehungskraft“, gab sie vage zurück, und er sah sie an, kalt, ohne ein Lächeln.

„Sehr viel sogar. Aber ich habe für Goldgräbertypen nichts übrig, und eine Frau, die mich als Vehikel zu einem guten Leben betrachtet, spielt ein gefährliches Spiel. Aber du bist nicht so, nicht wahr, mein Liebling?“ Es war eine Frage, hinter der sich eine Warnung verbarg.

Marie sah ihn erschrocken an. „Nein, natürlich nicht!“

„Gut.“ Er lächelte nun. „Ich lasse mich ungern desillusionieren.“

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, und als Marie nun sprach, versuchte sie einen leichten Ton anzuschlagen.

„Ich habe dich nur nach deiner Mutter gefragt, weil ich es nicht gut finden würde, wenn sie meinetwegen auf deine Gesellschaft verzichten müsste.“

Holden schaute sie von der Seite her an. „Meine Mutter hat sogar mehr von meiner Gesellschaft, als sie erwartet hatte. Ich hatte eigentlich nur vor, kurz auf dem Schiff aufzutauchen, die Mannschaft zu kontrollieren und dann wieder zu verschwinden.“

„Und weswegen bist du dann noch hier?“

„Was meinst du?“ Seine Stimme war rau, und sie fühlte, wie sich ihre Wangen röteten.

Sie hatten einen Strand erreicht, und wie vorausgesagt, war er menschenleer.

Marie sprang aus dem Wagen und atmete tief die würzige Seeluft ein. Dann nahm sie ihre Tasche. Holden legte ihr den Arm um die Schulter, und sie verschränkte ihre Finger mit seinen. Es war herrlich friedvoll um sie herum. Sie wanderten den Strand entlang, bis sie einen Hain Kokospalmen erreichten. Dort breitete Holden das Laken auf dem feinen, weichen Sand aus. Er zog sein Hemd aus, dann die Shorts, und sie sah, dass er darunter eine Badehose trug. Fasziniert schaute sie auf seinen Körper.

„Und nun du“, sagte er und grinste sie an. Etwas scheu streifte sie ihr Kleid ab. „Wollen wir schwimmen?“, fragte er.

Marie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich lege mich erst ein wenig in die Sonne.“

„Wir haben nur ein Badelaken.“ Er sah sie bedauernd an. „Wir werden es uns teilen müssen.“

Das Badehandtuch war groß, aber nicht so groß, dass sich ihre Körper nicht berührten, als er sich neben sie legte. Holden stützte sich auf dem Ellbogen auf und schaute Marie an.

„Es ist wunderschön hier, nicht wahr?“, fragte sie.

„Wunderschön.“ Er nahm den Blick nicht von ihr. „Dies ist das erste Mal, dass wir beide ganz ungestört sind. Weit und breit keine bekannten Gesichter, die gerade dann auftauchen, wenn man sie nicht erwartet.“

„Ja.“ Sie machte eine kleine Pause. „Einige, mit denen ich auf dem Schiff zusammenarbeite, ziehen schon mal die Augenbrauen hoch und betrachten mich vielsagend.“

Er zuckte mit den Schultern. „Stört es dich?“

„Wenn es meine berufliche Beziehung zu ihnen beeinträchtigen würde, ja“, sagte sie langsam. Er sah sie ausdruckslos an, und sie fuhr fort. „Ich sehe, du verstehst nicht.“

„Doch, ich verstehe“, sagte er und legte ihr eine Hand auf die Hüfte, dann glitt sie tiefer hinunter zu ihrem Schenkel. „Was für ein Chef wäre ich, wenn ich nicht Wert auf gute kollegiale Beziehungen unter meinen Mitarbeitern legen würde. Dennoch lasse ich es nicht zu, dass die Meinung anderer Leute mich in meinen Handlungen beeinflusst. In der halsabschneiderischen Welt, in der ich lebe, wäre das unmöglich.“

„Welch vertrauensvolle kleine Seele du besitzt“, murmelte sie und wollte ihm den Finger auf den Mund legen, aber er hielt ihre Hand fest.

„Weißt du eigentlich, dass du so ziemlich die Einzige bist, die sich mir gegenüber solche Bemerkungen erlauben darf?“

Marie lachte, und ihr Atem beschleunigte sich, als sie den Ausdruck in seinen Augen las.

„Schieb es auf die heiße Sonne“, sagte sie, und er nickte.

„Sehr wahrscheinlich. Eine selbst verschuldete, vorübergehende geistige Verwirrtheit, oder?“

Eine feine Stimme in ihrem Kopf wollte sie warnen, aber sie achtete nicht darauf, sondern schloss die Augen und entspannte sich genießerisch.

Sie fühlte seine Lippen auf ihren, und dann begann er mit der Zunge langsam ihren Mund zu erkunden. Sie stöhnte leise auf, die Augen immer noch geschlossen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Er zog sie an sich, sodass sie mit dem Gesicht zu ihm lag, und drückte ihr mit dem Knie sanft die Schenkel auseinander.

Marie stöhnte auf. Hitze breitete sich in ihr aus. Und wenn nun zufällig jemand hier entlangkam? schoss es ihr kurz durch den Kopf, aber der Strand lag still da, und außerdem waren sie gegen Blicke recht gut geschützt. Sie fühlte, wie er den Bikini aufhakte und ihn ihr abstreifte.

„Du bist wunderschön“, sagte er schwer atmend und nahm eine Brust in die Hand, streichelte und massierte sie, bis Marie es vor unerfülltem Verlangen kaum noch aushielt.

Holden zog mit den Lippen eine warme Spur über ihre Schulter, hinunter zu ihren Brüsten, liebkoste die harten Knospen, und Marie bog sich ihm unwillkürlich entgegen.

Holden schob seine Hand in ihr Bikinihöschen, und das Gefühl der schlanken, kräftigen Finger auf ihrer empfindlichen Haut war fast zu viel für sie.

„Wir sollten es nicht tun“, protestierte sie atemlos.

„Warum nicht?“, murmelte er.

„Was ist, wenn jemand vorbeikommt?“

„Hier kommt niemand vorbei. Außerdem kann man uns vom Strand aus nicht sehen.“

„Da bin ich mir nicht so sicher“, sagte sie zögernd. „Ich möchte nicht, dass du denkst, ich tue all dies nur, weil …“

„Das denke ich auch nicht“, sagte er ernst. „Wenn ich es täte, wären wir nicht hier, das kannst du mir glauben. Aber wenn du möchtest, dass wir jetzt aufhören, dann ist das dein gutes Recht.“

„Nein … ich könnte es nicht ertragen“, sagte sie mit leiser Verzweiflung.

Er legte ihr den Finger auf die Lippen. „Ich kann nicht genau sagen, was wir beide füreinander empfinden“, sagte er. „Aber was auch immer es ist, es ist sehr mächtig. Über die Zukunft zu reden würde nur den Augenblick verderben.“

Er hatte recht. Dieser Moment war etwas Besonderes, etwas, das man genießen sollte, nicht darüber diskutieren. Sie hatte sich in ihn verliebt, und warum sollte sie dieses Gefühl zerpflücken, anstatt sich einfach nur daran zu erfreuen? Am Ende würde alles gut werden, da war sie sich sicher.

Holden streifte ihr die Bikinihose herunter und reizte und liebkoste sie dann, bis sie vor Erregung leise stöhnte. Das Hämmern ihres Herzens übertönte das Schlagen der Wellen an den Strand und das Rauschen der Palmblätter über ihnen.

Er war ganz sanft zu ihr, nahm sich Zeit, wartete auf den richtigen Moment, um ihr Liebesspiel perfekt zu machen. Sie hatte ihm nicht erzählt, dass sie noch Jungfrau war, aber er musste es geahnt haben. So wie er wohl auch annahm, dass sie verhütete. Aber das war nicht nötig, denn sie hatte, nach ihren Berechnungen, gerade ihre unfruchtbaren Tage.

„Du bist unglaublich“, flüsterte er ihr später sanft ins Ohr, und sie lächelte mit geschlossenen Augen. Sie fühlte sich unglaublich. Absolut wundervoll. Marie wusste nicht, wie sie es schaffen sollte, all den anderen auf dem Schiff wieder gegenüberzutreten. Sie alle würden es ahnen, sehen, dass sie nun eine andere Frau war.

Sie lächelte ihn an, schrecklich glücklich, überrascht und völlig begeistert von diesem Mann, der eigentlich ein Fremder für sie war. Sie wollte nicht über die Zukunft nachdenken, dazu war es noch zu früh, das wusste sie, aber sie war sicher, alle möglichen Hindernisse konnten bewältigt werden. Holden und sie waren sehr verschieden, wie seine Mutter ihr nur zu deutlich klargemacht hatte, aber Hürden gehörten zu einer Liebe dazu.

Marie schlang ihm die Arme um den Nacken, sah die Leidenschaft in seinen Augen und fühlte, wie all ihre Zweifel davontrieben.

3. KAPITEL

Marie kam sich wie ein Eindringling vor, als sie auf Zehenspitzen über den mit Teppichboden auslegten Flur schlich. Es war elf Uhr, und er war menschenleer. Fast alle Passagiere hielten sich im Show Room beim Kabarett auf. Bis jetzt war sie auch dort gewesen, hatte Drinks serviert, gelächelt, mit den Gästen ein paar Worte gewechselt und doch die ganze Zeit nur daran gedacht, endlich fort zu können.

Ein ganzer Tag mit Holden. Es war ihr wie ein halbes Jahrhundert erschienen. Und doch hatte sie um zehn Uhr die ersten ernsthaften Entzugserscheinungen gespürt. Sie wollte einfach nur bei ihm sein, ihn berühren. Als sie ihn an einem Tisch hatte sitzen sehen, mit seiner Mutter zusammen, die unentwegt auf ihn einredete, hatte sie sich entschlossen, zu warten, bis er ging, um ihn dann anschließend in der Kabine zu überraschen.

Sie blieb an der Tür zur Penthouse Suite stehen und runzelte die Stirn. Die Tür stand einen Spalt offen. Sie schaute sich im leeren Flur um und überlegte, ob sie sie einfach öffnen und sich vergewissern sollte, ob drinnen alles in Ordnung war. Einen Moment lang zögerte sie, streckte die Hand nach dem Türknauf aus, zog sie aber wieder zurück.

Drinnen waren Stimmen zu vernehmen. Holden war nicht allein. Sie erkannte die kultivierte Stimme seiner Mutter sofort, und zum ersten Mal in ihrem Leben tat sie etwas, von dem sie angenommen hatte, sie würde es niemals tun. Sie lauschte. Hatte sie es sich eingebildet, oder hatte sie eben ihren Namen gehört? Nervös biss sie sich auf die Lippen, hin- und hergerissen.

Dann hörte sie Mrs. Greystone sagen: „Du bist ein Dummkopf. Das Mädchen will dich ausnehmen, begreifst du das nicht, Holden? Ich habe es an der Art bemerkt, wie sie dich heute Abend angesehen hat. Sie schaute zwar rasch fort, als sie meinen Blick bemerkte, aber ich bin doch keine Idiotin!“

„Du übertreibst, Mutter.“ Holdens Stimme klang gelassen, fast gelangweilt, und Marie konnte sich seinen Gesichtsausdruck genau vorstellen. Kühl, die grauen Augen ausdruckslos, der Mund eine gerade Linie.

„Das tue ich nicht!“, erwiderte Mrs. Greystone so hitzig, wie Marie es bei ihr nie erwartet hätte. „Das Mädchen ist ein Mitglied der Mannschaft, hast du das vergessen?“

„Was willst du damit sagen, Mutter?“

Geh jetzt, sagte sich Marie, aber ihre Füße versagten ihr den Gehorsam. Sie blieb wie angewachsen stehen.

„Du weißt, was ich damit sagen will, Holden.“

„Ja?“, fragte er kalt. „Bitte erklär es mir.“

„Das werde ich. Dieses Mädchen ist einfach nicht dein Typ …“

„Du hast keine Ahnung, welche Frauen ich attraktiv finde!“

„Sie ist eine Mitgiftjägerin!“, fuhr Mrs. Greystone unbeeindruckt fort. „Sie weiß, wer du bist und dass du ein großes Vermögen besitzt. Natürlich will sie Kapital aus der Situation schlagen.“

Holden lachte. „Wirklich, Mutter, du hast nicht sehr viel Vertrauen in mein Sex-Appeal, wenn du glaubst, dass ich nur durch mein Geld für Frauen interessant bin.“

„Das ist nicht witzig, Holden! Denk an deinen Vater!“

„Lieber nicht“, sagte Holden scharf.

„Gut, aber ich will einfach nur sagen, das...

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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Sara Craven

Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis.

In ihren Romanen entführt sie...

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Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney.

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