Nacht für Nacht

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Kann die Liebe eine Brücke bauen, die stark genug ist, um die Kluft zwischen ihren Kulturen zu überwinden? Annie Wainright weiß es nicht - doch sie kann nicht anders, als sich Nacht für Nacht dieser Leidenschaft mit Johnny hinzugeben, die sie alles andere vergessen lässt …


  • Erscheinungstag 17.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747602
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die neue Lehrerin war hübscher als erwartet. Dazu gehörte allerdings auch nicht viel. Schließlich hatte Johnny Lonebear sich die berüchtigte Miss Anne Wainright mit Hörnern und Hufen vorgestellt.

Seine Schwester Esther hatte die neue Lehrerin ungefähr so beschrieben – eine Frau, die anstelle eines Zeigestocks eine Mistgabel benutzte. Das wiederum hatte ihn an seine eigene Lehrerin in der Grundschule erinnert, die ihm auf die Finger geschlagen hatte, wenn er sich in der Klasse aufspielte – was er häufig getan hatte.

Nein, auf den ersten Blick hatte die reizende Miss Wainright nichts mit dem alten Schlachtross Miss Applebee gemeinsam. Johnny ließ sich jedoch von dem fröhlichen Lächeln und der offensichtlichen Intelligenz der jungen Frau nicht beeindrucken. Schließlich kam Miss Wainright von auswärts, und Crimson Dawns Mutter, seine Schwester, war überzeugt, dass diese Leute alle Teufel waren. Das galt besonders für diejenigen, die sich nach außen hin besonders viel Mühe gaben.

Johnny war noch wesentlich misstrauischer als seine ältere Schwester. Das war nicht zuletzt auf seine Erfahrungen als U.S. Marine zurückzuführen. Er hatte gelernt, dass Söldner leichter zu bekämpfen waren als Eiferer. Und er fürchtete, ein Eiferer in der Schule, auch wenn er es noch so gut meinte, wäre noch gefährlicher als im Kampfgebiet.

Falls Miss Wainright tatsächlich zu den Eiferern gehörte, wie Esther glaubte, war sie eine Feindin, die er nicht unterschätzen durfte. Esther hatte sie zumindest so beschrieben und ihm die heftigsten Vorwürfe gemacht, weil er dieser Frau überhaupt den Zutritt zu seiner Schule erlaubt hatte. Und dann hatte sie ihn losgeschickt, um sich die Teufelin mit eigenen Augen anzusehen.

„Ich stelle die Lehrkräfte nicht ein, Schwesterherz“, hatte er abgewehrt. „Ich bemühe mich lediglich, den Betrieb aufrechtzuerhalten.“

Nun betrachtete er die Frau mit den honigblonden Haaren, die von zahlreichen dunkelhaarigen Schülern umringt war, und er musste ihr zugestehen, dass sie zumindest am heutigen Vormittag nicht gerade diabolisch wirkte. Es fiel ihm sogar schwer, sich nicht vom goldenen Glanz ihres Haars ablenken zu lassen. Er durfte nicht vergessen, warum er hier war.

Miss Warinright, die gerade damit beschäftigt war, ein Stück rotes Glas zu schneiden, unterbrach ihre Tätigkeit und sah ihn an. „Möchten Sie sich uns anschließen?“

Ihre Stimme klang nicht feindselig. Johnny war sogar überrascht, wie sanft und weiblich sie wirkte, und er hätte ihre Einladung gern angenommen – als Mann.

Aus ihren blauen Augen traf ihn allerdings ein herausfordernder Blick, und das waren ganz besondere Augen. Bestimmt konnte sie damit das Herz eines Mannes so mühelos erobern, wie sie ihr Glasschneider, den sie noch in der Hand hielt, durch das Glas glitt.

Schlagartig fühlte Johnny sich in seine eigene Schulzeit zurückversetzt, und das weckte in ihm jenen Trotz, dem er zahlreiche Besuche im Büro des Direktors zu verdanken hatte. Ganz bewusst ließ er den Blick über den Körper der jungen Frau gleiten und lächelte, um zu zeigen, dass ihm der Anblick gefiel.

„Nein, danke“, wehrte er ab, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Von hier aus sehe ich alles, was ich sehen will.“

„Wie Sie wünschen“, erwiderte sie, setzte eine Schutzbrille auf und machte weiter.

Hätten ihre Wangen sich nicht leicht gerötet, hätte Johnny angenommen, dass er auf die Lady keinerlei Wirkung ausübte. Sehr raffiniert war sie der von ihm angestrebten Machtprobe ausgewichen, indem sie sich nicht bei der Arbeit stören ließ. Sie setzte die Vorführung fort, als wäre er gar nicht da. Geschickt führte sie das Werkzeug im Bogen über die Oberfläche, so dass es die Glasscheibe zerschnitt und entlockte ihren Schülern ein bewunderndes „Oh!“

Seine Schwester hatte ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass die neue Lehrerin ihre Beziehung zu ihrer Tochter nicht störte. Darum fügte er ziemlich laut und sehr spöttisch „Ah!“ hinzu.

Crimson Dawn warf ihm einen scharfen Blick zu. „Onkel!“ zischte sie warnend.

Die Lehrerin schob die Schutzbrille auf die Stirn. „So aufregend ist es nun auch wieder nicht“, sagte sie zu Johnny, „aber es freut mich trotzdem, dass Sie beeindruckt sind. Kommen Sie morgen wieder, wenn Sie etwas wirklich Faszinierendes sehen wollen. Dann schleifen wir nämlich die rauen Kanten glatt.“

Johnny entging nicht, dass ihr Lächeln die Augen nicht erreichte, die im Moment mehr Funken versprühten als ein Schweißgerät. Es fehlte nicht viel, und er hätte eine Schutzbrille gebraucht, aber letztlich hatte er es ja auf eine Auseinandersetzung angelegt.

Er lächelte flüchtig. Bisher hatte noch jede Frau bei näherem Kennenlernen festgestellt, dass seine Kanten viel zu rau waren, als dass man sie hätte abschleifen können.

„So, das ist für heute alles. Räumt eure Sachen weg.“

Während die Schüler gehorchten, nahm Miss Wainright die Schutzbrille ab. Johnny ließ sie nicht aus den Augen und wünschte sich, sie würde jetzt auch den Pferdeschwanz lösen. Das straff aus dem Gesicht zurückgekämmte Haar passte nicht zu ihr. Viel besser und vermutlich ihrem Alter von sieben- oder achtundzwanzig entsprechend hätte sie mit einer üppig wallenden Mähne ausgesehen.

Sie drückte eine Hand ins Kreuz und reckte sich. Johnny kam sich prompt wie ein Voyeur vor, weil es ihn erregte und er den Blick nicht abwenden konnte.

„Stellst du mich deinem Onkel vor?“, bat sie Crimson Dawn.

Das Mädchen seufzte hörbar. Johnny lächelte amüsiert. Nicht zum ersten Mal brachte er seine starrsinnige Nichte, die ihm von allen Verwandten am ähnlichsten war, in Verlegenheit. Sie gehorchte nur zögernd und führte die Lehrerin zu ihm. Er lehnte weiterhin am Türrahmen, als hätte er alle Zeit der Welt, und hielt die Arme verschränkt. Die Haltung passte nicht zu einer höflichen Begrüßung, und es sah auch nicht danach aus, als wollte er der Lehrerin die Hand geben, wie das üblich war.

„Das ist mein Onkel Johnny …“

„John“, verbesserte er seine Nichte. „John Lonebear.“

Lonebear – das heißt einsamer Bär, dachte Annie. Einsamer Wolf hätte besser zu ihm gepasst.

John Lonebear war ein Mann, den man nicht übersehen konnte, etwa einsfünfundachtzig und mit breiten Schultern, über denen sich das Western-Hemd spannte. Er besaß eine Ausstrahlung, die sogar hier in dem großen Klassenzimmer spürbar war. Er hatte ein kantiges Gesicht und rötlich braune Haut, die sie an Kupfer erinnerte. Der militärische Haarschnitt konnte nicht von seiner Herkunft ablenken. Jeans und Hemd betonten die muskulöse Figur.

Unwillkürlich stellte Annie sich vor, wie dieser Mann aussähe, wenn er sich das dichte schwarze Haar lang wachsen ließe und zu Zöpfen flocht so wie die Indianer aus Hollywood-Filmen. Dieser gefährlich wirkende Krieger hätte mit Sicherheit allen noch so berühmten Hauptdarstellern die Schau gestohlen.

Aus seinen schwarzen Augen traf sie ein so abweisender Blick, dass sie ihm am liebsten nicht die Hand gegeben hätte. Er machte ein Gesicht, als würde er ihr sehr gern die Finger abbeißen.

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte sie trotzdem und streckte ihm mutig die Hand entgegen.

Er ließ sich viel Zeit, ehe er ihre Hand mit beiden Händen ergriff. Dabei setzte in ihrem Arm ein so heftiges Prickeln ein, dass Annie tatsächlich zu atmen vergaß. Sie wusste nur sehr wenig über die indianische Kultur, aber sie fragte sich, ob die Wirkung dieses geheimnisvollen Mannes vielleicht darauf zurückzuführen war, dass er Schamane oder Medizinmann war.

Über welche magischen Kräfte verfügte John Lonebear, dass sie ihn halb als Mensch, halb als Wolf sah, ein beeindruckendes Wesen, das über das raue Land und das Rudel herrschte? Dieses beeindruckende Wesen verteidigte bestimmt sein Territorium mit all seinen Kräften.

Annie schaffte es nicht, länger zu lächeln. Sie zog die Hand zurück. Hoffentlich hatte er nicht gemerkt, dass sie innerlich bebte. Jedenfalls verzichtete sie darauf, sich die Arme zu reiben, um die Gänsehaut zu vertreiben, die sie bekommen hatte. Damit hätte sie ihn nur auf ihre heftige Reaktion aufmerksam gemacht.

„Was kann ich nun für Sie tun, Mr. Lonebear?“, fragte sie ohne Umschweife.

Du kannst dich aus dem Leben meiner Nichte und aus meiner Schule zurückziehen und schnell wie der Wind weglaufen … Verschwinde mit deinen Ideen, die für die Großstadt geeignet sind, nimm den verlockenden Duft mit, der dich umgibt, und verlass das Reservat, solange du es noch kannst. Flieh, bevor dich ein großer böser Wolf verschlingt, der dich zu verlockend findet, als dass er dich ignorieren könnte. Und wenn du mich schon fragst, was du für mich tun kannst – du könntest mich küssen, wie du noch nie einen Mann geküsst hast …

Johnny hatte keine Ahnung, woher diese Gedanken stammten. Der Schauer, der durch den Körper dieser Frau gelaufen war, hatte sich auf ihn übertragen, und seine Finger prickelten jetzt noch, als hätte er versehentlich eine elektrische Leitung berührt.

Vermutlich war das eine Warnung des Schicksals, sich von dieser Frau fernzuhalten. Anstatt zu lächeln, sah er sie hart an und trat einen Schritt auf sie zu. „Ich sage Ihnen, was Sie für mich machen können, Miss Wainright. Zeigen Sie Ihren Schülern, wie man buntes Glas schneidet und daraus Butzenscheiben fertigt, aber hören Sie auf, Ihr hübsches Näschen in die Privatangelegenheiten Ihrer Schüler zu stecken.“

Sie sah ihn so entgeistert an, als hätte er ihr eine Ohrfeige versetzt. „Nennen Sie mich Annie“, bat sie ihn hastig. Vielleicht war es leichter, den Grund für sein Verhalten herauszufinden, wenn sie weniger förmlich miteinander redeten.

„Wir legen Wert darauf, unsere Lehrer nicht mit dem Vornamen anzusprechen“, erklärte er kühl. „Damit zeigen wir unseren Respekt für die Würde dieses Berufs.“

Wenn diese Frau glaubte, ihn mit ihrer sanften Stimme einlullen zu können, irrte sie sich. Nur weil ihr Name hübsch klang, hieß das noch lange nicht, dass sie jeden Mann mit ihrem natürlichen Charme einwickeln konnte.

Crimson Dawn hielt es offenbar für nötig einzugreifen. „Lass sie in Ruhe, Onkel!“, verlangte sie und gab ihm durch einen Blick zu verstehen, dass sie ihn später umbringen würde. Danach wandte sie sich an ihr neues Vorbild und versuchte, das Verhalten ihres Onkels herunterzuspielen. „Hören Sie nicht auf ihn, Miss Wainright. Bestimmt hat ihn meine Mutter dazu angestiftet.“

Das beruhigte Annie nicht im Geringsten.

„Apropos Mutter“, sagte Johnny zu seiner Nichte. „Sie wartet draußen im Wagen auf dich.“

Annie merkte, dass das Mädchen sie nur ungern mit dem feindseligen Onkel allein ließ. „Geh nur“, drängte sie. „Ich komme hier schon zurecht. Morgen sehen wir uns dann im Unterricht wieder.“

Crimson Dawns starre Haltung beim Hinausgehen ließ keinen Zweifel daran, dass ein gewaltiger Streit zwischen Mutter und Tochter bevorstand. Man sah förmlich die Gewitterwolken, die sich zusammenbrauten, während das Mädchen den Korridor entlangmarschierte und sich auf einen Kampf für die Lehrerin einstellte.

Annie kannte solche Kämpfe zur Genüge und hätte gern eingegriffen, wusste jedoch aus Erfahrung, dass sie damit nur Zeit verschwendet hätte. Eher hätte sie einen Tornado aufhalten können als eine Jugendliche, die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

„Na schön, worum geht es denn hier?“, fragte Annie den Mann, der einschüchternd vor ihr stand. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, worüber Sie sich aufregen, und ich kann nicht Gedanken lesen.“

Johnny änderte sein Urteil über ihre Augen. Sie waren gar nicht so kalt, wie er zuerst angenommen hatte. Das hatte an dem verhaltenen Blick gelegen, mit dem sie ihn auch jetzt musterte. In den Tiefen dieser klaren blauen Augen fand er Verwundbarkeit, was ihn ziemlich aus dem Gleichgewicht brachte. Wie sie da vor ihm stand, ihm die Stirn bot, aber gleichzeitig die Arme um den Körper schlang, hätte er sie am liebsten beschützt – nicht zuletzt vor ihm.

„Sie sprechen wie General Custer zu seinen Truppen“, scherzte er. Humor gehörte stets zu seiner Verteidigung, und er versuchte verzweifelt, sämtliche Gefühle aus seinem Herzen zu verbannen.

„Erlauben Sie mir gütigst diese Anspielung auf die Geschichte“, entgegnete Annie und lächelte nur andeutungsweise. „Aber wenn Sie mich schon skalpieren wollen, sollten Sie mir wenigstens vorher den Grund nennen.“

Johnny hielt ein Lächeln zurück. Mut hatte sie, das musste er ihr zugestehen. Um seine Neugierde zu befriedigen und um die Lady etwas mehr zu reizen, hob er die Hand und berührte ihr Haar. Es besaß die Farbe von Honig mit dunkleren rötlichen Strähnen, und es fühlte sich seidenweich an.

„Sehr hübsch“, stellte er fest.

Annie ärgerte sich, weil er nun schon zwei Mal im Zusammenhang mit ihr das Wort „hübsch“ benützt hatte. Das eine Mal war es um ihre Nase gegangen. Aus seinem Mund klang es nicht wie ein Kompliment, sondern wie ein anderer Ausdruck für „dumm“. Da sie sich selbst nicht als Schönheit betrachtete, reagierte sie besonders heftig auf derartige Anzüglichkeiten.

Um ihn loszuwerden, wich sie energisch zurück. Dabei strich seine Hand über ihre Wange, und erneut verspürte sie das gleiche heftige Prickeln wie vorhin. Unbewusst fasste sie sich an die Stelle.

Johnny zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. In sämtlichen Filmen hatten die weißen Frauen Angst vor den „wilden“ Indianern.

„Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen.“ Hoffentlich fiel sie nicht gleich in Ohnmacht wie die zartbesaiteten Damen auf der Leinwand. Schließlich hatte er kein Riechsalz bei sich, mit dem in diesen Filmen die holde Weiblichkeit von den Folgen ihrer Hysterie kuriert wurde.

„Sie haben mir keine Angst eingejagt“, erwiderte Annie und richtete den Blick offen auf ihn.

Das war nicht einmal gelogen. Dieser Mann war zwar groß und kräftig, doch davor fürchtete sie sich nicht. Es beunruhigte sie jedoch, wie stark er auf sie wirkte und wie sehr sie als Frau auf ihn reagierte. Nachdem sie lange Zeit gar nichts empfunden hatte, erschreckte es sie, dass er überhaupt bei ihr Gefühle auslöste.

„Würden Sie mir endlich verraten, was ich getan habe, dass Sie stört?“, fragte sie, weil sie dieses Spiel leid war und nun ohne Umschweife zur Sache kommen wollte. Das Ganze wurde ihr ohnedies dadurch erschwert, dass seine Stimme höchst erotisch klang.

„Crimsons Mutter ist empört, weil Sie ihrer Tochter verrückte Ideen in den Kopf setzen. Zum Beispiel, dass sie das Reservat verlassen und an einem College in St. Louis Kunst studieren soll.“

„Ich habe ihr keine Ideen in den Kopf gesetzt, die waren schon vorhanden“, wehrte Annie ab. „Bestimmt wissen Sie, wie talentiert Ihre Nichte ist, und möchten sie unterstützen und ermutigen.“

Johnny rieb sich das Kinn. Seine Hand duftete jetzt so zart wie Annies Haar, ein Duft, der ihn gefangen nahm – genau wie die Frau. Annie Wainright war stark genug, um ihren Weg in dieser Welt allein zu gehen, und trotzdem wirkte sie verwundbar und weckte in einem Mann den Wunsch, herauszufinden, ob sie wirklich so unabhängig war, wie sie sich gab.

„Crimson hat mich um meine Meinung gefragt“, fuhr sie fort, und ich habe ihr lediglich erklärt, sie wäre meiner Meinung nach fähig, es draußen in der weiten Welt zu schaffen, falls sie das will. Das kann man wohl kaum als Einmischung auslegen.“

„Lady, falls Sie es nicht wissen sollten, vielen Menschen hier erscheinen Ihre Beweggründe suspekt, nur weil Sie als Weiße im Reservat arbeiten.“

Das begriff sie nun gar nicht. „Ich bin doch nur hier, um Schüler zu unterrichten, noch dazu an einer Schule, die von der hiesigen Gemeinde betrieben wird.“

„Sind Sie bestimmt nicht hier, um das indianische Volk zu retten?“, fragte Johnny spöttisch und gleichzeitig verächtlich.

„Lieber Himmel, nein!“, rief Annie überrascht und hätte beinahe hinzugefügt, dass es ihr kaum gelungen war, sich selbst zu retten.

Wieso glaubten stets alle Leute von ihr, sie wäre freiwillig eine Märtyrerin, die gern die ganze Welt retten wollte und dann alle Schuld auf sich nahm, wenn sie es nicht schaffte? Sie strich sich über die Augen, um die Kopfschmerzen zu vertreiben, die sie nur noch selten loswurde. Super Woman war sie bestimmt nicht.

„Sie scheinen nicht zu begreifen“, fuhr Johnny so langsam fort, als hätte er es mit einer geistig Behinderten zu tun, „dass wir verzweifelt begabte junge Männer und Frauen wie meine Nichte im Reservat brauchen, damit sie eines Tages unser Volk führen. Mit Sicherheit brauchen wir keine Fremden, die uns einreden, wir sollten uns anpassen und auf unsere angestammte Kultur verzichten. Ich habe etliche Jahre in der Welt des weißen Mannes verbracht und bin aus freien Stücken ins Reservat zurückgekehrt, um meinen Leuten zu erklären, dass es dort alles andere als ideal ist.“

Daraufhin zuckte Annie mit den Schultern und schlug einen kühlen und abweisenden Ton an, um dieses Gespräch zu beenden. „Ich werde das, was Sie gesagt haben, als einen Rat betrachten.“

„Tun Sie das“, erwiderte Johnny gereizt. Er ärgerte sich darüber, dass sie nun seinetwegen verletzt wirkte. Wenn er nicht auf der Stelle den Rückzug antrat, begann sie womöglich noch zu weinen.

„Bevor Sie gehen, möchte ich Ihnen auch einen Rat erteilen“, sagte sie leise, obwohl sie ihm eine unangenehme Wahrheit beibringen musste. „Falls Sie glauben, hier alle jungen Menschen dadurch kontrollieren zu können, dass Sie mich kontrollieren, irren Sie sich gewaltig, Mr. Lonebear. Junge Menschen haben Träume, auf die sie nicht verzichten, und ich persönlich werde keine Träume zerstören. Dabei interessiert es mich nicht, was andere darüber denken und ob sie diese Träume großartig, unwichtig oder falsch finden.“

Jetzt war sie richtig in Fahrt gekommen und ließ sich durch nichts mehr aufhalten.

„Ich habe zwar nicht die Absicht, mich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen und in Ihre schon gar nicht. Allerdings erinnere ich Sie daran, dass es als Lehrerin meine Aufgabe ist, meinen Schülern bei der Verwirklichung ihrer Träume zu helfen. Wenn Ihnen etwas an Ihrer Nichte liegt, was ich annehme, lassen Sie Crimson Dawn ihren eigenen Weg im Leben wählen. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass sie genau wie Sie hierher zurückkehrt und ihren Leuten dann viel mehr zu bieten hat als vorher.“

Johnny ließ sich mit der Antwort Zeit und betrachtete eingehend diese mutige Frau. Es störte ihn gewaltig, dass er dermaßen ruhig und entschieden in die Schranken gewiesen wurde.

Er selbst hatte für seine Schule aus der Folklore seines Volkes den Namen „Dream Catchers“ – „Traumfänger“ – gewählt. Wie konnte man ihm da vorwerfen, er würde die Hoffnungen und Ziele eines Menschen zerstören? Sein ganzes Leben hatte er dem Ziel gewidmet, anderen bei der Verwirklichung ihrer Träume zu helfen. Darum empfand er diese Vorwürfe so beleidigend wie die Einstellung der Lehrerin, die jungen Leute müssten das Reservat verlassen, um Erfolg zu haben.

Als er endlich antwortete, beherrschte er sich eisern. „Ich rate Ihnen, Miss Wainright“, sagte er und hielt sich bewusst nicht an ihre Bitte, sie mit dem Vornamen anzusprechen, „in Zukunft darauf zu achten, wie Sie mit Ihren Vorgesetzten sprechen. Ich habe Sie zwar nicht eingestellt, aber ich besitze die Macht, Sie auf der Stelle zu entlassen, wenn Sie mir ungeeignet erscheinen.“

Danach wandte er ihr den Rücken zu und ließ die Lady allein zurück. Sollte sie doch selbst die Informationen und Anweisungen ähnlich, wie ihre Buntglasbilder zu einem komplizierten Gebilde zusammensetzen.

2. KAPITEL

Annie hatte erst vor kurzer Zeit in Chicago eine wesentlich besser bezahlte Stellung mit der Vereinbarung gekündigt, jederzeit zurückkommen zu können. Darum geriet sie nun schwer in Versuchung, ihre Sachen zu packen und Mr. John Lonebear den gewaltigen Gefallen zu erweisen, sofort zu gehen.

Von dem Hungerlohn, den sie an der Dream Catchers High School bekam, konnte sie kaum genug zu essen kaufen und die Telefonrechnung bezahlen. Im Moment wohnte sie im Haus ihrer Freundin Jewell, die an der Sommerschule ihren Master-Abschluss machte, und Jewell bestand zum Glück darauf, weiterhin Strom und Wasser zu bezahlen. Annie stand tief in der Schuld ihrer Freundin, auch wenn Jewell behauptete, es wäre genau anders herum.

Ein gesichertes Einkommen war nicht der Grund, aus dem Annie sich beharrlich weigerte, an diesem schönen Tag Anfang Juni alles hinzuschmeißen. Praktisch und vernünftig, wie sie war, hatte sie ein Jahresgehalt auf die hohe Kante gelegt, um in aller Ruhe überlegen zu können, wie ihr Leben weitergehen sollte.

Die Entscheidung, an der Dream Catchers High zu bleiben, hatte vielmehr damit zu tun, dass sie ihr Buntglasmosaik fertigstellen wollte. Sie hatte es entworfen und war gerade dabei, es zusammenzusetzen. Sie wollte es der Schule schenken, die John Lonebear in seiner arroganten Art als sein Eigentum betrachtete.

Wenn es nur irgendwie ging, beendete Annie Wainright stets, was sie angefangen hatte. Zusätzlich dachte sie auch an den flehenden Ausdruck in Crimson Dawns Augen, als das Mädchen auf der Suche nach Anerkennung und Rat zu ihr gekommen war. Ihre Haltung hatte bestimmt auch damit zutun, dass sie sich von niemandem zu einer Entscheidung drängen ließ, die ihr widerstrebte.

Dabei spielte es keine Rolle, wie wichtig sich der Betreffende nahm – oder wie attraktiv er auch sein mochte. Und attraktiv war dieser Mann unbestreitbar. Attraktiv und sexy.

Oft genug hatte sie anderen erklärt, dass man durch einen Ortswechsel keinem inneren Schmerz entfloh. Es war unmöglich, vor Problemen davonzulaufen. Während der Fahrt auf der unebenen Straße zur gemütlichen Blockhütte ihrer Freundin fand sie trotzdem, dass dies hier der ideale Ort war, ein gebrochenes Herz und einen verletzten Geist zu heilen.

Von Jewells einsam gelegener Hütte am Fuß der Wind River Mountains, kurz Winds genannt, hatte man einen herrlichen Blick auf den Fluss, dessen Namen die alles überragende Bergkette trug. Die Winds waren zwar nicht annähernd so berühmt wie die Teton Mountains, aber auf ihre Art genauso prächtig. Außerdem war es für jemanden, der den Problemen des Großstadtlebens entfliehen wollte, ein Vorteil, dass diese Gegend touristisch noch nicht erschlossen war.

Allein schon, wenn Annie zusah, wie die Sonne sich zwischen die Bergspitzen senkte, als wäre sie ein riesiger strahlender Diamant, der in eine Fassung aus Granit gesetzt wurde, vergaß sie für einen Moment ihre Probleme. Dann verschmolz sie mit der Landschaft, die es seit Anbeginn der Zeit zu geben schien. Das Wunder des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs genoss sie Tag für Tag.

Dass sie hier überhaupt die Zeit fand, Derartiges zu genießen, war ebenfalls ein Grund, weshalb sie bleiben wollte. Erst am Ende des Sommers musste sie aus finanziellen Gründen Entscheidungen treffen.

Im Moment stellte sie einfach ihren kleinen staubigen Sportwagen neben der Hütte ab und setzte sich auf die Verandaschaukel. Beim Anblick des tiefblauen Himmels wünschte sie sich, sie könnte die herrlichen Farben in Glas einfangen. Jede Schattierung dieses unbeschreiblichen Himmels im Lauf der Jahreszeiten wollte sie als Hintergrund ihres Meisterstücks benützen.

Auf ihrem Buntglasmosaik war ein indianisches Zelt, ein Tipi, zu sehen. Eine Familie hatte sich ums Lagerfeuer versammelt. Im Hintergrund waren die Jahreszeiten dargestellt. Das beeindruckende Mosaik von fast zwei Metern Durchmesser wurde nur durch dünne Bleistreifen zusammengehalten, die den Eindruck erweckten, als würden sie einen Traum in einem Netz einfangen – Symbol des Namens dieser Schule.

Annie ertappte sich dabei, dass sie überlegte, wie der feindselig eingestellte Mr. Lonebear ihren Beitrag zu seiner Kultur aufnehmen würde. Es ärgerte sie, dass es sie auch nur im Geringsten interessierte, was dieser aufgeblasene Kerl dachte. Und es machte sie zornig, dass sie bei der Erinnerung an seine Berührung erschauerte und Hitze in ihr hochstieg. Der Gedanke an ihn löste höchst eindeutige und mit Sicherheit nicht jugendfreie Vorstellungen aus, die eigentlich gar nicht ihrem zurückhaltenden Wesen entsprachen.

Als das Telefon klingelte, stand Annie von der Verandaschaukel auf. Hoffentlich hörte sie gleich eine freundliche Stimme. So schön und friedlich die Einsamkeit hier draußen im Vergleich zu ihrer früheren Wohnung im Stadtzentrum auch war, so bedrückend fand Annie auch gelegentlich die Einsamkeit.

Zu ihrer größten Freude wurde sie herzlich von Jewell begrüßt, und sie zögerte keinen Moment, ihrer Freundin den Zusammenstoß mit John Lonebear zu schildern.

Autor

Cathleen Galitz

Cathleen Galitz hat als Autorin schon viele Preise gewonnen und unterrichtet an einer kleinen Schule im ländlichen Wyoming Englisch. Ihr Ehemann und sie haben zwei Söhne, die ihre Eltern mit ihren vielen unterschiedlichen Aktivitäten ganz schön auf Trab und damit auch jung halten. Cathleen liest sehr gerne, geht oft Golf...

Mehr erfahren