Nachts ist er nicht mein Boss

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Einmal mit einem Fremden Sex haben … Das hat sich Essie Newbold fest vorgenommen, und als sie einen attraktiven amerikanischen Touristen trifft, macht sie ihren Plan wahr! Mit Ash bekommt sie sogar noch mehr, als sie sich gewünscht hat: Einfühlsam zeigt er ihr, was sie ein Leben lang vermisst hat. Alles könnte perfekt sein. Doch Ash Jacob ist nicht der Fremde, für den Essie ihn hält, sondern der älteste Freund ihres Bruders - und außerdem Essies neuer Boss!


  • Erscheinungstag 06.09.2019
  • Bandnummer 17
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738488
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wenn ihm irgendein Ort jetzt Halt geben konnte, dann dieser – weit weg von den Trümmern seines Lebens, die er in New York zurückgelassen hatte. Ash Jacob schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Zwitschern der Vögel und das entfernte Rauschen des Londoner Verkehrs.

„Verdammt!“

Der ungestüme Ausruf riss ihn aus seinen Gedanken. Er schien nicht der Einzige zu sein, der einen schlechten Tag hatte. Er spürte, dass sich die Holzbretter der Bank in seine müden Muskeln drückten – gestern hatte er zwölf Stunden im Flugzeug verbracht, größtenteils zusammengekauert, trotz Erste-Klasse-Ticket.

„Verfluchtes Mistding.“

Er musste grinsen. Seine Stimmung hellte sich auf.

Nicht weit von seinem abgelegenen Plätzchen im St. James’s Park entfernt stand sie. Sie trug ein geblümtes, kurzes Kleid, das ihre schönen, nackten Beine betonte. In ihrem goldfarbenen Haar blitzten rotbraune Strähnen auf, sodass ihr langer Pferdeschwanz im richtigen Licht feuerrot strahlte. Der kleine Jeansrucksack, der über ihrer Schulter hing, ließ sie jünger wirken – ohne hätte er sie auf Mitte zwanzig geschätzt.

War sie Studentin? Eine Touristin?

Sie tippte auf den Bildschirm ihres Smartphones, als könnte sie es durch Hartnäckigkeit wieder zum Laufen bringen.

Ash war fasziniert und spürte in sich Lust erwachen. Ihr eigenartiger englischer Akzent machte ihm bewusst, wie weit New York entfernt war. Zwar hatten die Frauen in seinem exklusiven, wohlhabenden Umfeld einen Glanz und eine Selbstsicherheit, die ihr zu fehlen schienen. Jedoch zeigte die Wirkung ihres aufregenden Dekolletés und ihres zarten Profils auf seine durch den Jetlag verwirrte Libido, dass sein Interesse am anderen Geschlecht in diesem Fall sogar noch größer war.

Seine Jeans wurde im Schritt hauteng. Die Schöne ließ die Hand sinken, in der sie das Smartphone hielt und sah sich im Park um.

Er schloss schnell wieder die Augen. Er war nach London gekommen, um mit seinem ältesten Freund an einem geschäftlichen Projekt zu arbeiten, nicht, um eine englische Lady zu retten, egal wie lang ihre Beine oder wie kurvig ihr Hintern war. Und viel wichtiger, er war hergekommen, um wieder die Kontrolle über sein Leben zurückzuerlangen – so schnell wie irgend möglich.

„Ähm, Entschuldigung …“

Verdammt.

Sie hatte ihren hinreißenden Hintern tatsächlich auf ihn zu bewegt. Sie musste ihn meinen. Ash verlangsamte den Atem. Vielleicht würde sie ihn in Ruhe lassen, wenn sie glaubte, dass er schlief, und jemand anderes wegen ihres Technikproblems ansprechen.

Er hörte ein verlegenes Kichern.

Genau vor ihm.

Ihr leichter, blumiger Duft stieg ihm in die Nase.

Seine Libido nahm noch mehr Fahrt auf. Mann, was würde er dafür geben, diese Kurven im Bikini ausgestreckt auf einer Liege am Pool seines Ferienhauses in den Hamptons zu sehen.

Ihr sanftes Räuspern vernebelte ihm die Sinne. Mit ihrer tollen Figur verkörperte sie genau seinen Typ. Unter anderen Umständen hätte er ohne zu zögern seinen Charme eingesetzt, herausgefunden, ob sie zwanglosem Sex nicht abgeneigt war, und dann den Nachmittag zwischen ihren langen Beinen verbracht.

Doch Frauen standen erst einmal nicht auf seiner Agenda.

Schon einmal hatte eine schöne Frau mit ihm gespielt. Die große Wunde, die sie ihm damals zugefügt hatte, war erst vor Kurzem auf demütigende Weise in aller Öffentlichkeit wieder aufgerissen worden, was der Hauptgrund für seine überstürzte Flucht aus New York gewesen war.

Und außerdem: Wer sprach mitten in einem Park Fremde an? Sein Auftreten heute war ziemlich leger, verglichen mit den maßgeschneiderten Anzügen, die er für gewöhnlich trug. Er hatte nur schnell dem Hotelzimmer entfliehen wollen, das er für die ersten Tage in London gebucht hatte, bis das Jacob-Holdings-Apartment bereit sein würde. Etwas frische Luft schnappen, um seinen Kopf von seinen Schuldgefühlen und dem Selbstekel frei zu kriegen.

Also hatte er ein T-Shirt und seine gemütliche Jeans angezogen und den Dreitagebart stehengelassen. Der Freizeitlook war der sichtbare Beweis dafür, dass sein Umzug nach London für ihn ein außergewöhnlicher Schritt war. Einfach alles würde sich verändern.

„Entschuldigung, ist alles … in Ordnung?“

Seufzend kapitulierte Ash. Vielleicht hatte sie sich verlaufen. Er kannte sich nicht besonders gut aus in London, hatte hier aber in den letzten Jahren genug Zeit verbracht, um sich ausreichend orientieren zu können.

Er öffnete die Augen und zwang sich, sie interessiert anzulächeln, anstatt genervt davon zu sein, dass der Inbegriff weiblicher Verführung vor ihm stand.

„Klar. Ich genieße nur die Sonne.“

Sie erwiderte sein Lächeln. Beim Anblick ihrer vollen Schmolllippen schoss ihm schlagartig das Blut in die Leistengegend. Ihr Blick war offen und freundlich. Waren alle englischen Frauen so naiv? So gutgläubig? Als ein Mann, der niemandem vertraute, war sie ihm ein Rätsel.

„Könnte ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten? Mein Handy ist gerade ausgegangen.“

„Okay … Hast du dich verlaufen?“

Erklär ihr den verdammten Weg und sieh dir ihre umwerfenden Beine von hinten an.

Ihr leuchtendes Lächeln wärmte ihm das Herz.

„Nein. Aber könntest du vielleicht ein Foto von mir machen?“ Sie zeigte auf das London Eye in der Ferne. „Mit deinem Handy … und könntest du es mir dann schicken?“

Waren die Briten alle so freundlich? Egal. So konnte er ihren prächtigen Körper noch ein paar Sekunden länger verstohlen begutachten und sie sich nackt unter ihm vorstellen.

Ash veränderte seine Position auf der Bank in der Hoffnung, sich unauffällig in seiner Hose Platz zu schaffen, während er den Blick genüsslich über jeden Zentimeter der Porzellanschönheit schweifen ließ. Sie hatte makellose, seidige Haut, große himmelblaue Augen und einige kupferfarbene Sommersprossen auf der leicht nach oben geschwungenen Nase. Und auf den ersten Blick war sie der Inbegriff eines sonnigen Gemüts.

Und wenn sie ein Foto wollte, war sie anscheinend eine Touristin. Vielleicht war das ihr letzter Tag in London?

Wieder meldete sich seine Libido.

Als hätte sie das gleiche Interesse an ihm, musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. In ihm stieg eine Hitze auf, die der Sommersonne Konkurrenz machen konnte. Flirtete sie etwa mit ihm?

„Klar.“

Warum auch nicht? Er konnte ihr diesen Gefallen sicherlich tun und vielleicht sogar jeden anderen, den sie wollte. Er hob eine Augenbraue, als ihr Blick wieder in sein Gesicht zurückkehrte. Auf ihren hohen Wangenknochen bildeten sich hellrote Flecken. Sie schien das sexuelle Interesse zu teilen. Vielleicht würde sie dafür sorgen, dass er endlich zur Ruhe käme und wieder klar denken könnte.

Er wägte ihr Alter neu ab, vielleicht war sie nicht so unerfahren, wie sie aussah. Sie schnipste ihren Pferdeschwanz weg – und da war es wieder, ihr strahlendes Lächeln.

Er rutschte auf der Bank herum und zog sein Handy aus der Hosentasche. Von seiner Position aus konnte er dank der Sonne praktisch durch ihr Kleid hindurchsehen. Sollte er es ihr sagen? Oder einfach ihre wohlgeformte Silhouette genießen? Und sich vorstellen, wie sie ihn mit diesen langen Beinen umklammerte …

Nein.

Erst kürzlich hatte er herausgefunden, wie lange ihn seine Ex-Verlobte betrogen hatte und welche Ausmaße ihre Lügen angenommen hatten. Das hatte seine Einstellung dem anderen Geschlecht gegenüber nur noch mehr gefestigt. Er war fertig mit Frauen, es sei denn, sie wollten so wie er nur das Eine und kannten die Regeln. Erstens: nach seinen Bedingungen; zweitens: nur für eine Nacht.

Sie setzte sich neben ihn. „Du bist Amerikaner, richtig?“

Er nickte und wich dann ihrem Blick aus. Angesichts seines Outfits konnte diese Frau nicht ahnen, dass seiner Familie halb Manhattan und ziemlich große Teile von London gehörten. Dass er nach London gekommen war, um sich von seinem Ruf als „Immobilienmagnat“ sowie dem hinterlistigen Betrug eines Familienmitglieds zu distanzieren. Zumindest nicht, wenn sie die Klatschseiten der New York Times nicht las.

Wut stieg in ihm auf. Wie konnte sein Vater ihm das antun? Wie konnte er Ashs jahrelange professionelle Loyalität gegenüber dem Familienunternehmen so ausnutzen und ihn bloßstellen?

Die attraktive Fremde drehte sich zu ihm, sodass sie mit ihren unbedeckten Knien gegen seinen Oberschenkel stieß. Ihre Augen leuchteten. „London ist eine tolle Stadt, nicht wahr? Warst du schon am Buckingham-Palast? Er ist direkt da vorne.“ Sie zeigte über ihre Schulter.

„Und kennst du die Seven Noses of Soho? Ich gucke sie mir heute an. Fun Fact.“ Sie zeigte auf den kleinen See in dem Park. „Wusstest du, dass ein russischer Botschafter 1664 King Charles II. die Pelikane geschenkt hat?“

Sie sprach so schnell, dass ihr reizender Akzent das Englisch so sehr verzerrte, dass sie auch Mandarin hätte sprechen können. Nasen? Pelikane? Vielleicht hatte ihm Testosteron seine für gewöhnlich scharfen Sinne vernebelt.

„Also du wolltest ein Foto?“ Er wollte aufstehen. Eine gute Tat und dann könnte er sich wieder damit befassen, sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Auch andere Gründe als geschäftliche Angelegenheiten hatten ihn dazu bewogen, über den Atlantik zu fliehen, wie etwa die Schuld, seine Mutter gezwungen zu haben, sich dem Ehebruch zu stellen, und das demütigende Interesse der Öffentlichkeit nach dem Familienzwist.

„Wie lange bist du schon hier?“ Mit der Zunge fuhr sie sich über die Unterlippe.

„Ein oder zwei Tage.“ Wie konnte er eine derart appetitliche Versuchung ablehnen? Mit Sicherheit hatte er ihre Signale richtig gedeutet. Der perfekte Zeitvertreib saß vor ihm und sah ihn an, als wäre er ein Stück Torte. Was konnte flüchtiger sein als zwei Reisende, die auf einer Wellenlänge waren und ihren letzten Abend in London gemeinsam verbrachten?

Er würde seine wahre Identität – dass er einer von New Yorks Top-Unternehmensanwälten, ein Immobilienmogul und Erbe des Jacobvermächtnisses war – nicht preisgeben. Geschweige denn jetzt jegliche Verbindung zu seinem Schweinehund von Vater publik machen. Ash hatte Hal Jacobs skrupelloser Charakter schon lange Sorgen bereitet. Und doch hatte er die unvermeidbare Katastrophe nicht kommen sehen, hatte die weitreichenden Konsequenzen auf sein Zuhause nicht ahnen können.

Er zwang sich, die dunklen Gedanken beiseitezuschieben und sich auf die attraktive, sonderbare und verführerische Frau vor ihm zu konzentrieren. Sie duftete fantastisch. Ihre quirlige Persönlichkeit war so berauschend wie ein Atemzug frischer und duftender Sommerluft. Wieder wurde seine Hose im Schritt etwas enger, und die Lust pulsierte durch seine Glieder.

Ash überprüfte heimlich, ob sie einen Ehering trug.

Aber seiner Erfahrung nach wollten Frauen mit diesem Aussehen – Pfirsichhaut, drolliger Pferdeschwanz – mehr, als er bereit war zu geben.

Er stand auf, stellte sich in die Mitte des Weges und hob sein Smartphone an, sodass Londons beliebteste Touristenattraktion im Hintergrund zu sehen war. Er erfüllte seinen Auftrag, was aber sein anderes Vorhaben anging, schwankte er noch. Sollte er sich höflich verabschieden oder seine Absichten etwas deutlicher machen? Schließlich wollte er sich nicht in ihr getäuscht haben für den Fall, dass sie seine Philosophie in Sachen zwanglosem Sex doch teilte.

„Hast du Lust, Riesenrad zu fahren? Oder hast du schon eine Runde gedreht?“ Sie tauchte an seiner Seite auf.

„Noch nicht.“ Er hielt ihr sein Smartphone hin, damit sie das Foto begutachten konnte. Als sie sich vorbeugte und die Spitzen ihrer Haarsträhnen über sein Handgelenk strichen, wusste er genau, worauf er wirklich Lust hatte.

Fuck! Es gab in ganz England nicht genug frische Luft, um diesem … Drang zu entkommen. Und außer am Verhandlungstisch war Ash nirgends so sehr Herr der Lage wie im Bett.

Ja, ein kleines Sommerabenteuer würde seine Rastlosigkeit vertreiben und seinen Kopf frei machen. Dann würde er am Morgen rechtzeitig wieder die Ruhe selbst sein für den ersten Tag seines neuen geschäftlichen Vorhabens.

Die bezaubernde Fremde lächelte, und sein Puls beschleunigte sich wieder.

„Vielen Dank. Du hast mir das Leben gerettet.“ Sie rasselte ihre Nummer herunter, er tippte die Zahlen ein und schickte ihr das Bild.

„Ich heiße übrigens Essie.“ Sie hielt ihm die Hand hin – zart, geschmeidig, lilafarben lackierte Nägel.

Er schüttelte sie. „Ash.“

Sie grinste. „Also, Ash, amerikanischer Tourist …“ Sie spielte wieder mit einer Haarsträhne, und in ihren Augen schimmerte ein unmissverständliches Interesse. Nein, sein Bauchgefühl täuschte ihn nicht.

„Also, Essie, englische Fun-Fact-Expertin …“

Wieder lachte sie so, dass sich etwas in seinem Schritt regte. „Lust auf Lunch? Ich kenne diesen Teil von London nicht gut, aber es gibt einen süßen Deli nicht weit von hier, und ich weiß noch jede Menge mehr über diese Stadt …“ Ihre hübschen blauen Augen leuchteten.

Sie machte sich tatsächlich auf subtile, reizende Art an ihn ran, die ihm viel besser gefiel als die offenkundigen Vorstöße der Frauen, mit denen er sich normalerweise einließ. Er wäre auf jeden Fall für Gelegenheitssex mit dieser wunderschönen Fremden zu haben. Und als Tourist würde er nicht das übliche Geschwafel wie „einfach nur Spaß haben“ abspulen müssen, damit die Frau, die er flachlegen wollte, wusste, woran sie war.

Sie würde London verlassen und in irgendeinen entzückenden Teil Englands, der ihre Heimat war, zurückkehren. In dem Glauben, er würde zurück nach Amerika fliegen.

Ash bedeutete ihr vorzugehen. Sie lächelte.

Er war aufgeregt – es war die Art von Aufregung, die man spürte, wenn man jemand Fremdes an einem fremden Ort kennenlernte. Heute konnte jeder sein, wer er wollte. Er würde nicht Ash sein, der Betrogene, der nicht nur hintergangen, sondern auch von den beiden Menschen in seinem Leben, die hinter ihm hätten stehen sollen, belogen worden war. Er war Ash, der amerikanische Tourist, der ein bisschen Zeit mit der interessanten, wunderschönen, erfrischenden Essie verbrachte.

„Also“, er schenkte ihr sein erstes aufrichtiges Lächeln und genoss, wie sich ihre Wangen daraufhin deutlich röteten, „erzähl mir von diesen Noses.“

Essie Newbold lachte und stieß immer wieder leicht gegen die Arme des großen, attraktiven Amerikaners, mit dem sie den Nachmittag und Abend verbracht hatte. Den ganzen Tag schon schoss ein köstliches, leichtes Kribbeln in all ihre erogenen Zonen, jedes Mal, wenn sich ihre Arme berührten, während sie die Seven Noses of Soho betrachteten oder sie in der U-Bahn im Stehen gegeneinander gedrückt wurden. Noch nie war sie so dankbar dafür gewesen, dass Londons U-Bahn überfüllt war.

Anstatt von ihren frechen Schulterstupsern genervt zu sein, legte Ash ihr den Arm um die Schultern und lächelte sie an.

In ihrem Kopf drehte sich alles.

Sie würde es wirklich tun. Sie würde mit dem Traumtypen, den sie an diesem Morgen im Park getroffen hatte, schlafen. Ihr erster One-Night-Stand.

Essie kniff ihm in den durchtrainierten Hintern. Woher kam dieser untypische Mut? Das Verlangen nach mehr als dem Kleckerkram, den sie bei ihrem Nichtsnutz von Ex toleriert hatte?

Sie würde diese Erfahrung machen und sich hoffentlich mit der Art von Orgasmus belohnen, die in ihrer Welt nur als mystischer Irrglaube existierte. Und danach würden sie beide glücklich ihrer Wege gehen. Eine Win-Win-Situation.

Sie genoss die Gegenwart des großen, warmen Körpers neben ihr, die ungekannt berauschende Schauer durch ihre Gliedmaßen schickte.

Niemals zuvor hatte sie sich so draufgängerisch gefühlt. Wenn sie ehrlich war, schämte sie sich auch ein bisschen. Es gab kein Gesetz, das vorschrieb, vor dem fünfundzwanzigsten Geburtstag mindestens einen One-Night-Stand gehabt zu haben, doch da sie sich selbst als Beziehungsexpertin anpries, war sie es den Leserinnen ihres Beziehungspsychologie-Blogs schuldig, herauszufinden, ob an dem Wirbel darum etwas dran war.

Ash legte den Arm um ihre Taille, und Essie griff nach seiner Hand. Sie grinsten sich an. Ihr Bauch kribbelte, ihr Puls beschleunigte sich.

Endlich würde sie ihre umfangreiche Theorie mit harten, wissenschaftlichen Fakten belegen können. Was wusste sie praktisch überhaupt über Beziehungen, vor allem über zweckmäßige?

Ihre einzige Beziehung während des Studiums hatte dazu geführt, dass sie dem anderen Geschlecht aus gutem Grund hatte abschwören wollen. Ihr Ex hatte es auf den Punkt gebracht: Sie würde einen Heiratskandidaten nicht mal dann erkennen, wenn er splitterfasernackt vor ihr stehen würde mit den Worten „Nimm mich, ich bin treuer als dein Hund“ auf der Brust.

Ein Charakterzug, den sie wahrscheinlich von ihrer Mutter hatte … Die Frau hatte sich schließlich mit Essies lügendem, betrügendem, sich aus dem Staub machendem Vater fortgepflanzt und viele Jahre die zweite Geige neben seiner eigentlichen Frau, seiner richtigen Familie, gespielt.

Nicht, dass Essie damals davon gewusst hatte. Sie war einfach ein Mädchen gewesen, das ihren geliebten Vater, der immer wieder für lange Zeit in Übersee arbeiten musste, sehr vermisst hatte … Offensichtlich strahlten sie und ihre Mutter aus, dass sie verzweifelt nach Liebe suchten, was Männer dazu veranlasste, die Flucht zu ergreifen.

Ash hatte bisher nicht die Flucht ergriffen.

Und sie war nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Nur Sex. Seine subtilen Gesten sagten ihr, dass er so wie sie nur an einer einmaligen Sache interessiert war. Sie konzentrierte sich auf das Musterexemplar männlicher Perfektion neben ihr. Er war exotisch. Ein Gentleman. Witzig, intelligent und interessiert an dem, was sie zu sagen hatte.

Er war ganz anders als ihr Ex. Und sie hatte zwei Jahre an diese unbefriedigende Beziehung verschwendet.

Plötzlich fühlte sie sich eingeengt.

Vielleicht war sie ja zu einer Veränderung bereit. Es war immerhin der Beginn eines brandneuen Kapitels in ihrem Leben. Ab morgen würde sie für ihren Halbbruder arbeiten, den sie bis vor Kurzem noch gar nicht gekannt hatte. Oder ihr komisches Gefühl lag einfach an dem charmanten, weltmännischen Ash mit seinem muskulösen Körper, den dunklen Locken, Lachfältchen und dem scharfen Verstand.

Sie spürte instinktiv, dass er im Bett phänomenal sein würde. Orgasmen mit Schreifaktor garantiert – eine weitere Erfahrung, die in ihrem bemitleidenswerten Repertoire fehlte.

Doch noch konnte sie einen Rückzieher machen. Eine unbedachte Äußerung entfuhr ihr: „Ich habe das noch nie gemacht.“ Sie ignorierte die Hitze, die ihr beinahe die Luft abschnürte, und sah zu ihm auf.

Jetzt würde er sie für ziemlich naiv halten. Doch naiv war sie nicht, sie hatte sich nur viel zu lange mit dem Mittelmaß zufriedengegeben.

Er sah mit seinen funkelnd blauen Augen zu ihr hinab und zog sie näher an sich. „Okay …“

Keine Verurteilung. Nur das Verlangen, das sie die meiste Zeit gesehen hatte.

Aus dem Knistern beim Lunch war ein Flirt am Piccadilly Circus und Trafalgar Square geworden. In einem typisch viktorianischen Pub in Soho hatte Ash dann darauf bestanden, dass sie lauwarmes Real Ale probierten. Es war so stark gewesen, dass Essie danach forscher geworden war. Jetzt befanden sie sich auf dem Gehweg vor seinem Hotel, und sie sehnte sich danach, ihn zu küssen.

Doch immer noch war sie gefangen zwischen Verlangen und Vorsicht.

Obwohl sie sich immer bemüht hatte, die Fehler zu vermeiden, die ihre Eltern gemacht hatten, war sie verletzt worden. Immerhin war es nur eine einzige schlechte Erfahrung gewesen.

Und Ash musste nicht der perfekte Mann sein. Er könnte für diese eine Nacht perfekt sein. Danach würde sie ihn nie wiedersehen.

Seine Augen leuchteten verheißungsvoll. Er lächelte sie mit seinen einladenden Lippen schief an. Sexy.

Essie schüttelte die letzten Bedenken ab und stellte sich auf die Zehenspitzen. Sein Dreitagebart scheuerte an ihrem Kinn. Er öffnete die Lippen etwas, als sie ihm einen federleichten Kuss auf seinen wunderschönen Mund gab. Dann legte er eine Hand auf ihren Rücken, drückte sie fester an sich und dirigierte das Übereinandergleiten ihrer Lippen und Vorstoßen ihrer Zungen. Es war ein aufregendes Konzert, das sie vollkommen aus dem Konzept brachte und ihr weiche Knie bescherte.

Wow. Der entspannte, aufmerksame Gentleman hatte eine fordernde Seite. Sie wollte mehr. Das Knutschen auf offener Straße war so gut, dass ihr Herz wie wild in ihrer Brust schlug.

Ash stöhnte und befreite sich von ihrem Kuss. Seine harte Erektion drückte gegen ihren Bauch. „Nicht, dass es mir etwas ausmacht …“, er strich ihr eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, „… aber ich bin neugierig. Warum hast du das noch nie gemacht?“

Ihre Unsicherheit kam zurück. Trotz ihres Abschlusses in Psychologie und ihrer Doktorarbeit über zwischenmenschliche Paarbeziehungen beruhte ihr Liebesleben und ein großer Teil ihrer freundschaftlichen Beziehungen überwiegend auf der Theorie, mit der sie sich während ihres Studiums beschäftigt hatte und über die sie auf ihrem geliebten Blog nachgrübelte.

Ash wollte sie. Warum sollte sie die Seifenblase zerplatzen lassen? Ja, normalerweise vermied sie es, attraktive Fremde in Parks aufzureißen. Doch seit er ihr sein erstes echtes Lächeln geschenkt hatte, war Ash total entspannt und einfach ein witziger, cleverer und unterhaltsamer Typ. Sie hatte nicht klargestellt, dass sie in South East London lebte. Sie war einfach auf seine falsche Annahme, nämlich dass sie, so wie er, eine Touristin war, eingestiegen. Dadurch wurde die Sache nur noch geheimnisvoller, und die gewagte Unbekümmertheit pochte jetzt heiß durch ihre Adern und schürte das Feuer ihrer Lust.

Sie würden sich nach dieser Nacht nie wiedersehen. Wer sonst würde sich besser dazu eignen, ihr den Knoten zu lösen, als dieser heiße Fremde, der schon bald in einen Flieger zu einem ganz anderen Kontinent sitzen würde?

Essie zuckte mit den Schultern. „Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der ein unzuverlässiges, lügendes Arschloch war. Seitdem hab ich es nicht mehr so mit Männern.“ Sie hatte Jahre damit verbracht, ihre suboptimale Beziehung zu ihrem Ex in die perfekte Form zu bringen. Doch als sie schlussendlich zugeben musste, dass diese emotional missbräuchliche Beziehung, in die sie all ihre Hoffnung gesetzt hatte, vorbei war, hatte sie aufgegeben, an Happy Ends zu glauben, die Suche nach Liebe zurückgestellt und sich darauf konzentriert, anderen durch ihren Blog bei ihren Beziehungen zu helfen.

„Ich bin ein Mann.“

Und was für einer. Sie konnte sich gerade noch beherrschen, nicht genüsslich die Augen zu verdrehen, als er sein gutes Stück gegen sie drückte. „Das bist du.“

Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Obwohl er legere Kleidung trug, strahlte er Selbstbewusstsein und Autorität aus, was Essie unglaublich antörnte. Dass er sich für den Grund ihres Zögerns interessierte, anstatt ihr gleich die Zunge in den Hals zu stecken, war ein weiterer Pluspunkt.

Aber je weniger sie über ihn wusste, umso leichter würde es ihr fallen, ihn zu verlassen. Sie würde am Morgen gehen in dem Wissen, dass in der Kürze der Zeit keine Gefühle hatten entstehen können.

Essie nahm all ihren Mut zusammen, packte ihn am Bizeps und zog sich fester an ihn. „Sind wir uns einig?“

Ash presste seine Lippen auf ihren Mund. „Vollkommen.“ Das Wort vibrierte auf ihren prickelnden Lippen und glitt auf seiner Zunge in sie hinein. Sie ließ sich von der in ihr aufwallenden Lust davontragen und schlang mit wiedererwachtem Enthusiasmus die Arme um seinen Hals.

Als sie nach Luft schnappte, wurde ihr wieder bewusst, wo sie waren. Sie standen vor einem ziemlich exklusiven Hotel in St. James.

„Hier übernachtest du?“ War er reich?

Er grinste sie neckisch an.

Ja, Ash hatte beim Lunch angeboten, sie einzuladen, aber nachdem sie darauf bestanden hatte, für sich selbst zu zahlen, hatte er hingenommen, dass es auch den Rest des Tages dabei blieb. Er hatte wirklich nicht mit Geld um sich geworfen – definitiv ein Abtörner für Essie.

„Ich kenne den Besitzer. Ich bin nur eine Nacht hier.“ Er legte ihr den Zeigefinger unter das Kinn, sodass sie den Kopf anhob. „Hast du deine Meinung geändert? Wenn ja, wäre das okay.“

So umsichtig.

Ihr Körper hatte immer noch überhaupt nichts dagegen, die Nacht mit diesem unglaublich gut aussehenden Fremden zu verbringen. Und war es wichtig, dass er reiche Hotelier-Freunde hatte? Sie würden sich nicht gut genug kennenlernen, als dass sie ihm von ihren monetären Engpässen würde beichten müssen.

Einer der Gründe für die Stelle bei ihrem Halbbruder, die sie morgen antreten würde, war, mal ihr eigenes Geld zu verdienen. Endlich würde sie tatsächlich nach fünf Jahren Vollzeitstudium in der Lage sein, sich selbst ohne weitere Studienkredite zu versorgen. Denn sie hätte lieber ihr ganzes Leben lang Schulden, als jemals auch nur einen Cent von ihrem hinterhältigen Vater anzunehmen. Sie hatte keinen einzigen seiner Schecks eingelöst, die er ihr für die Studiengebühren geschickt hatte. Wenn sie es annehmen würde, hätte sie das Gefühl, sie würde ihm vergeben, was er ihr, ihrer Mutter, seiner Frau und Ben angetan hatte.

Ash trat langsam zurück und beendete den anregenden Körperkontakt.

„Ich bringe dich gern nach Hause … oder rufe dir ein Taxi.“ Doch er sah ihr hungrig tief in die Augen.

Lass dir nicht die wahrscheinlich beste Nacht deines Lebens durch deine Komplexe entgehen.

Essie trat näher an ihn heran und zog ihn an sich, wobei das Reiben ihrer Nippel auf seiner Brust ein unübertreffliches Kribbeln in ihr auslöste.

Auf keinen Fall würde sie einen Rückzieher machen.

Autor

JC Harroway
JC Harroway beschreibt sich selbst als "liebesromansüchtig". Für ihre Autorinnenkarierre gab sie sogar ihren Job im medizinischen Bereich auf. Und sie hat es nie bereut. Sie ist geradezu besessen von Happy Ends und dem Endorphinrausch, den sie verursachen. Die Autorin lebt und schreibt in Neuseeland.
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