Romana Exklusiv Band 369

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IN EINER NACHT IN LONDON von FIONA HARPER

„Ich weiß, was ich will. Und ich ruhe nicht, bis ich es habe.“ Serena errötet bei Jakes deutlichen Worten. Der Millionär ahnt ja nicht, dass sie seine Begierde erwidert. Doch nur für eine Affäre gibt sie sich nicht her – und Jake will keine feste Beziehung …

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  • Erscheinungstag 16.12.2023
  • Bandnummer 369
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517416
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Fiona Harper, Sophie Pembroke, Penny Jordan

ROMANA EXKLUSIV BAND 369

1. KAPITEL

Jake Jacobs wusste nur zwei Dinge über die Frau, die er gleich treffen würde. Sie hieß Serena, und ihr Vater war wohlhabend.

Serena. Irgendwie klang der Name für ihn nach einer Pferdenärrin. Und wahrscheinlich trägt sie Reithosen, dachte er, während er im Londoner Nieselregen den Bürgersteig entlangging. Seine Schwester Mel hatte sich geweigert, ihm zu sagen, ob sie hübsch war oder nicht. Womöglich hatte sie ein Pferdegesicht.

Jake beschleunigte seine Schritte, denn er wollte nicht zu spät kommen. Er würde sich bei dem Abendessen höflich und charmant zeigen und sich danach schnellstens verabschieden.

Noch immer war ihm nicht ganz klar, wie Mel es geschafft hatte, ihm dieses Blind Date aufzuschwatzen. Sie hatte ihn im Büro angerufen und es in das Telefonat einfließen lassen. Jedoch hatte er währenddessen weiter eine Bilanz betrachtet und in ihm geeignet erscheinenden Abständen „Ja“ und „Mhm“ geäußert. Und ehe er sichs versah, hatte er zugestimmt, sich mit einer fremden Frau zum Abendessen in dem italienischen Restaurant „Lorenzo“ zu treffen.

Irgendwann würde er Mel gegenüber ein Machtwort sprechen müssen. Sie hatte ihn um den kleinen Finger wickeln können, seit sie ihn als Baby das erste Mal angelächelt hatte. Er war ziemlich sicher, dass sie gewusst hatte, dass er nicht zuhörte. Höchstwahrscheinlich hatte sie ihn sogar extra deshalb an seinem Arbeitsplatz kontaktiert.

Jake durchquerte einen kleinen Park und genoss den erdigen Duft des verfaulenden Laubs, das jetzt im November überall herumlag. Wenig später atmete er dann wieder die Autoabgase ein.

Wie gut, dass das Lokal nun nicht mehr weit entfernt war. Es gehörte nicht zu der exklusiven Sorte, die er bevorzugte, seit er es sich leisten konnte. Wie er in einer kurzen Beurteilung im Internet gelesen hatte, war es ein kleiner Familienbetrieb, in dem ein sehr schmackhaftes Essen serviert wurde. Der Verfasser der Kritik hatte ganz besonders von einem Cannelloni-Gericht geschwärmt.

Jake war so in Gedanken versunken, dass er weder den verstopften Gully noch die große Pfütze darüber wahrnahm. Auch sah er natürlich den Wagen nicht, der sich von hinten näherte. Erst als dieser durch die Lache fuhr und jede Menge Wasser aufspritzte, wurde er auf die Situation aufmerksam – und von Kopf bis Fuß nass.

Serendipity Dove erblickte im Rückspiegel, was sie verursacht hatte. Sie war so damit beschäftigt gewesen, sich den bevorstehenden Abend auszumalen, dass sie vergessen hatte, was für eine große Pfütze sich bei diesem Wetter hier immer bildete. Sofort hielt sie an, sprang aus dem Auto und lief zu dem Mann auf dem Bürgersteig.

„Es tut mir schrecklich leid!“

Er schaute auf und sie ärgerlich an.

„Sind Sie okay?“ Sie meinte, dass er eine Braue hochzog, war sich jedoch wegen der dunklen Haare, die an seiner Stirn klebten, nicht ganz sicher. „Sie sind völlig nass. Erlauben Sie mir, Sie dorthin zu fahren, wohin Sie unterwegs sind. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass er sie einfach nur ansah, eigentlich anstarrte. Sie ließ den Blick über ihren knöchellangen Rock zu den Wildlederstiefeletten schweifen. Alles war in Ordnung.

Als sie den Kopf wieder hob, bemerkte sie, dass er lächelte. Ein Schauer durchfuhr sie. Es war ein schönes Lächeln. Sie betrachtete ihn etwas genauer. Zweifellos war er ein äußerst attraktiver Mann.

„Was haben Sie gesagt?“

„Ich … ich sagte, dass es das Mindeste sei, was ich tun könne. Sie irgendwo abzusetzen.“

„Das ist wahrscheinlich eine gute Idee. Ich bin nicht sicher, ob ich mich so noch dazu eigne, zum Essen auszugehen.“

Serendipity schlug die Hände vor den Mund. „Ich fühle mich schrecklich … Ich habe Ihnen den Abend ruiniert … Lassen Sie mich Sie zu irgendeinem warmen, trockenen Ort fahren.“

„Ich habe keine Einwände. Wollen wir?“, erwiderte Jake und zeigte zu ihrem Sportwagen. „Ein schönes Auto.“

Es fing jetzt richtig an zu regnen, und wie auf Kommando liefen sie zum Wagen und stiegen ein.

„Es ist nicht meins“, erklärte sie und beobachtete, wie er sich mit den Fingern durchs nasse Haar fuhr und es nach hinten strich. Nun sah er sogar noch besser aus. Überhaupt wirkte er wie jemand, der sein Leben unter Kontrolle hatte.

Jake lächelte. „Was haben Sie gemacht? Es gestohlen?“

„Nein, natürlich nicht. Meins ist in der Werkstatt. Ich habe es von meinem … einem Freund ausgeliehen.“

Sie würde ihm nicht erzählen, dass es das Auto ihres Vaters war. Es war ein schreiender Beweis für seine Midlife-Crisis. Allerdings hatte ihr Dad nicht erst in seinen Fünfzigern angefangen, sich verrückt zu verhalten. Er war nie so richtig erwachsen geworden.

Außerdem sprach sie mit einem Mann, den sie attraktiv fand, nicht gern über ihre Abstammung. Sie hatte aus leidvoller Erfahrung gelernt, dass sie ihren geliebten alten Herrn besser erst einmal nicht erwähnte. Selbst wenn sie dann das Gefühl hatte, sie könnte ihre Herkunft offenbaren, und es tat, war sie danach nicht hundertprozentig sicher, ob das Hauptinteresse wirklich ihr galt.

„Von einem Freund?“, fragte Jake, während er sie mit leidenschaftlichem Blick ansah.

Verflixt, er hatte ihr Ausweichmanöver bemerkt.

Wehmütig lächelnd lehnte er sich im Sitz zurück. „Wie schade. Sagen Sie ihm, dass er einen großartigen Geschmack hat in puncto Autos … und Frauen.“

Los, lass dir eine geistreiche Antwort einfallen und klär ihn über sein Missverständnis auf, forderte sie sich auf. „Wo kann ich Sie absetzen?“ Das hast du ganz toll gemacht.

„In der Great Portman Street. Wissen Sie, wo sie ist?“

„Ich kenne jemanden, der in der Gegend wohnt. Sie ist nicht so weit weg von hier.“ Sie startete den Motor und fuhr los.

„Ja. Aber bei diesem Verkehr kann es gut zwanzig Minuten bis dorthin dauern.“

„Deshalb denke ich zuweilen, dass ich schneller bin, wenn ich zu Fuß gehe.“

„Ganz meine Meinung.“ Er betrachtete seine Hosenbeine. „Wenngleich ich mich nicht dafür verbürgen kann, dass man trockener ans Ziel kommt.“

Serendipity seufzte und wollte etwas erwidern, aber er hob Einhalt gebietend die Hand.

„Bitte entschuldigen Sie sich nicht erneut. Tatsächlich haben Sie mir einen großen Gefallen erwiesen. Ich habe mich nicht auf den Abend gefreut, und Sie haben mir die perfekte Entschuldigung geliefert, um ihn abzusagen.“

„Ehrlich?“

„Ehrlich. Ich bin unterwegs zu einem Date mit einer Frau, die wie ein Pferd aussieht. Wobei ich nicht weiß, ob sie mehr dem Vorder- oder Hinterteil ähnelt.“

Serendipity musste lachen. „Dann betrachten Sie mich als Ihre Retterin in der Not.“

Jake lachte ebenfalls. „Ich werde meiner edlen Samariterin ewig dankbar sein. Überhaupt sollte ich mich erkenntlich zeigen. Wie wäre es mit einem Abendessen?“

Da sie erneut vor einer roten Ampel warten mussten, schaute Serendipity ihn an. „Haben Sie vergessen, warum Sie hier neben mir sitzen? Sie sind klatschnass.“

„Ich würde nicht lange zum Umziehen brauchen. Wir könnten in ein Lokal in der Nähe gehen. Dann befinden wir uns an einem öffentlichen Ort, wo Sie sicher sind.“

„Woher soll ich das wissen? Wir sind uns gerade erst begegnet. Ich kenne noch nicht einmal Ihren Namen.“

„Ich heiße Jake.“

„Okay, jetzt weiß ich zwar, wie Sie heißen, aber das ist bereits auch alles.“

„Warum haben Sie mich dann in Ihren … in den Wagen Ihres Freundes einsteigen lassen? Ich könnte sonst wer sein. Zum Beispiel ein Wahnsinniger mit einem Messer.“

Ein Frösteln überlief sie. Er hatte recht. Vor lauter Mitleid mit ihm und schlechtem Gewissen hatte sie nicht an ihre eigene Sicherheit gedacht. „So ein Unsinn.“ Sie klang mutiger, als sie sich fühlte. „Ich habe Sie gerettet. Schon vergessen? Sie sind ein Jake in Not und können unmöglich ein Wahnsinniger mit einem Messer sein.“ Oder doch?

Jake lachte, und sie entspannte sich wieder, sagte aber nichts mehr, sondern konzentrierte sich auf den Verkehr. Schneller als erwartet, erreichten sie die Great Portman Street.

„Welches Haus ist es?“, erkundigte sie sich, als sie in die Straße eingebogen war.

„Gleich hier vorn. Oberstes Stockwerk.“ Er zeigte zu einem roten Ziegelbau aus der viktorianischen Zeit mit mehreren Wohnungen.

„Sehr nobel.“ Serendipity hielt am Bürgersteig an.

„Kommen Sie mit rein, dann führe ich Sie herum.“

„Sie sind ganz schön forsch.“

„Ich weiß, was ich will, und ruhe nicht, bis ich es habe.“

Sie errötete und war sehr stolz darauf, dass ihre Stimme nicht im Mindesten zitterte, während sie erwiderte: „Sorry, Jake in Not. Ich bin schon verabredet. Vielleicht ein anderes Mal.“

„Können Sie ihn nicht versetzen?“

Normalerweise würde sie auf eine solche Antwort scharf reagieren. Aber er fragte es so charmant, dass sie lachen musste. „Nein.“ Allerdings hätte sie es gern getan, denn die Aussicht auf einen Abend mit Charles Jacobs erschien ihr plötzlich noch öder.

„Wie schade.“ Sein Ton verriet, dass er ihre Entscheidung mehr respektierte, als er eingestehen wollte. „Dann geben Sie mir wenigstens Ihre Telefonnummer.“

„Ich soll Ihnen meine Telefonnummer geben? Einem Wahnsinnigen mit einem Messer? Sie müssen verrückt sein.“ Sie lächelte ihn an, und er lächelte ebenfalls.

Wow, er lächelte jedes Mal umwerfender. Sie sollte das Beisammensein schnellstens beenden, sonst würde sie es sich mit dem Essen noch anders überlegen. Ihre Freundin Cassie würde sie umbringen, wenn sie den passenden Mann versetzte, den sie für sie gefunden hatte.

Jake holte eine Visitenkarte aus der Tasche und schrieb etwas mit einem Füllfederhalter auf die Rückseite. „Wie Sie wollen. Das ist meine Nummer.“

Serendipity nahm die Karte. Selbst die war feucht. Sie hatte ihn wirklich gründlich nass gespritzt.

Durchdringend sah er sie an. „Benutzen Sie sie.“

Ihre Blicke begegneten sich. Wie sie in seinen blauen Augen las, hatte er nicht den geringsten Zweifel, dass sie es tun würde. Vermutlich überschlugen sich die Frauen, um ihm jeden Wunsch zu erfüllen.

Zwei Seelen stritten in ihrer Brust. Einerseits wollte sie die Karte zum Fenster hinauswerfen, und andererseits hätte sie sie am liebsten in ihren BH geschoben, damit sie sie nicht verlieren konnte.

„Vielleicht. Bye, Jake.“

Sobald er ausgestiegen war und die Tür geschlossen hatte, wollte sie wegfahren, aber er klopfte gegen das Seitenfenster. „Einen Moment noch. Sie haben mir nicht einmal Ihren Namen genannt.“

Sie drückte auf einen Knopf, und das Fenster glitt langsam nach unten. „Das habe ich nicht.“

„Und?“

„Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als wären Sie ein Mann, der sich von einem solch kleinen Detail aufhalten lassen würde. Sie werden ihn herausfinden, wenn Sie es unbedingt wollen.“

Sie schloss das Fenster wieder und fuhr davon. Im Rückspiegel sah sie dann, dass er mit offenem Mund hinter ihr herblickte und lächelte zufrieden. Kurz hupte sie und winkte. Wenn das nicht lässig gewesen war! Und dumm! Weil sie ihm ihren Namen nämlich nur nicht genannt hatte wegen der merkwürdigen Reaktionen der Leute, sobald sie ihn hörten. Sie hatte den Moment nicht verderben und auch verhindern wollen, dass dieser attraktive Mann die üblichen Vorurteile gegen sie hegte.

Was hatten ihre Eltern sich bloß dabei gedacht, sie „glücklicher Zufall“ zu nennen oder ihr einen Namen zu geben, der die „Gabe“ bezeichnete, „glückliche und unerwartete Entdeckungen zu machen“? Das kam schon einer Kindesmisshandlung gleich. In der Schule war sie ständig gehänselt worden.

Warum hatte sie nicht Sally oder Susan heißen können? Das waren schöne traditionelle Namen. Keiner würde bei Susan an einen Hippie-Wildfang denken. Und bei Sally stellte man sich ein Mädchen vor, dessen Vater von neun bis fünf im Büro arbeitete, während die Mutter zu Hause nach dem Rechten sah.

Serendipity seufzte. Es war dumm gewesen, Jake ihren Namen nicht zu sagen. Nun würde sie ihn anrufen müssen, wenn sie an ihm interessiert war. Was sie war. Sie hätte ihm ihre Nummer geben und ihm das Hinterherlaufen überlassen sollen. Die altmodische Idee, umworben zu werden, hatte ihr schon immer gefallen.

Aber sein Gesichtsausdruck war es vielleicht wert, überlegte sie, als sie fast am Ziel war. Zumindest hatte sie jetzt etwas, worüber sie insgeheim lächeln konnte, sollte Charles Jacobs so langweilig sein, wie er sich anhörte.

Mit einer halben Stunde Verspätung eilte Serendipity ins Restaurant und auf die kleine Bar zu, die auch als Empfangstresen diente. Jemand stellte Orangensaftflaschen in ein unteres Regal. Es war die Frau des Eigentümers, wie sie sofort erkannte.

„Hallo, Maria.“

Die Italienerin richtete sich auf, lächelte sie an und rief in Richtung der Küche: „Gino, unser Mädchen ist hier!“

Momente später erschien ein rundlicher Mann mittleren Alters in der Tür. „Wir dachten schon, du wärst von einem Bus überfahren worden. Stimmt’s, mein Schatz?“

Serendipity duckte sich unter der Theke hindurch und gab den beiden einen Kuss auf die Wange. „Du regst dich auf wie eine alte Frau, Gino. Und jetzt erzähl mir, ohne Rücksicht auf meine Gefühle zu nehmen, wie er ist.“

Gino winkte ab und deutete zu ihrem Lieblingstisch. Eine riesige Palme versperrte ihr die Sicht. Sie musste erst auf die Zehenspitzen gehen und sich den Hals ein wenig verrenken, um zu sehen, dass dort niemand saß.

„Er ist noch nicht da?“

Der Italiener schüttelte todunglücklich den Kopf.

„Dann gib mir bitte das Übliche. Ich werde bis um neun warten. Schließlich bin ich selbst nicht pünktlich gewesen. Da darf ich wohl kaum herummeckern.“

Hoffentlich ist er das Warten wert, dachte sie, als Gino ihr ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte und sie sich an den Tisch setzte. Sie würde Cassie umbringen, sollte sie erneut versuchen, sie mit einem totalen Loser zu verkuppeln. Ihre Freundin wusste, dass sie eine Familie gründen wollte, konnte aber nicht so ganz zwischen solide und zuverlässig und absolut langweilig unterscheiden. Sie hatte sich nur auf dieses Date eingelassen, weil es weniger anstrengend war als mit Cassie zu streiten. Die Freundin hätte sie so lange bearbeitet, bis sie am Ende doch eingewilligt hätte, um ihre Ruhe zu haben. Also hatte sie auch gleich zustimmen können.

Sie war so in Gedanken versunken, dass sie zusammenzuckte, als Gino plötzlich an den Tisch trat. „Er hat angerufen und eine Nachricht für dich hinterlassen.“

Seiner Miene nach zu urteilen war es keine gute. „Raus mit der Sprache.“

„Er hat gesagt, es tue ihm leid, aber es sei etwas dazwischengekommen.“

Was war denn das für eine lahme Ausrede? „Was genau hat er gesagt?“

„Dass er nicht kommen könne, es ihm sehr leidtue und er dich bittet, ihn morgen um eins im ‚Maison Blanc‘ zum Mittagessen zu treffen.“ Gino rümpfte die Nase darüber, dass jemand vorschlug, in einem anderen Lokal zu speisen als in seinem. Anschließend lächelte er. „Aber er hat auch gesagt, dass das Essen heute auf ihn gehen würde.“

„In dem Fall, mein Freund, fange ich mit Kaviar an.“ Sie lächelte breit. „Und danach freue ich mich auf das teuerste Hauptgericht, das dein Sohn Marco zaubern kann. Außerdem spendiere ich euch und allen Gästen ein Glas Sekt.“

Gino zwinkerte. „Ganz mein Mädchen! Zeig es ihm.“

Der Typ hatte vielleicht Nerven. Erst versetzte er sie, und dann bestellte er sie quasi zum Mittagessen ein, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es ihr passte und ob sie es einrichten konnte. Schließlich konnte er nicht wissen, dass sie keinen festen Job hatte. Wie arrogant von ihm, anzunehmen, dass ich das Date so dringend will und deshalb nach seiner Pfeife tanze. Nein, sie würde morgen nicht zum Lunch erscheinen.

Serendipity genoss ihr Dinner in vollen Zügen, denn bei jedem Bissen, den sie sich in den Mund schob, hörte sie die Kasse klingeln. Als sie schließlich ihren Espresso trank und dabei überschlug, was der Abend diesen Charles kosten würde, erwog sie, doch morgen ins „Maison Blanc“ zu gehen – um seinen Gesichtsausdruck zu sehen, wenn er von ihr persönlich erfuhr, wie hoch die Rechnung war.

Und jetzt wurde es Zeit, dass sie Cassie die Meinung geigte. Schon holte sie das Handy aus der Tasche.

„Wie läuft’s?“, fragte Cassie sofort, kaum hatten sie Hallo gesagt. „Ist er nicht ein super Typ?“

„Davon merke ich nichts.“

„Nein? Ich war sicher, dass ihr beide euch gut verstehen würdet. Meine neue Projektmitarbeiterin hat so viel von ihrem Bruder erzählt, dass ich das Gefühl habe, er wäre ein lange verschollener Freund.“

„So? Er ist auch mein lange verschollenes Date.“

„Was soll das heißen?“

„Er ist nicht erschienen, Cassie. Er hat mir über Gino eine lahme Entschuldigung ausrichten lassen und auch erklärt, er würde die heutige Rechnung übernehmen. Du solltest deiner Mitarbeiterin raten, noch so viel Zeit wie möglich mit ihrem Bruder zu verbringen. Denn wenn er erfährt, was ihn der Abend gekostet hat, kriegt er einen Herzinfarkt.“

„Oh.“

„Ja, oh. Back besser deinen tollen Karottenkuchen, wenn ich am Mittwoch zum Kaffee komme, sonst vergebe ich dir nie.“

„Zu Befehl.“

„Und keine Blind Dates mehr, verstanden?“

„Alles klar.“

Nichts war klar. Sie kannte Cassie gut genug, um zu wissen, dass die Freundin bereits über den nächsten Heiratskandidaten nachdachte. „Versuch dem Drang zu widerstehen, für mich einen Ehemann finden zu wollen, der so bezaubernd ist wie deiner. Vergiss nicht, in Sachen Männer haben wir sehr unterschiedliche Geschmäcker. Also dann bis Mittwoch.“

„Ja, bis dann.“

Ehrlich gesagt, war sie froh, dass Charles Jacobs nicht aufgetaucht war. Aber sie war wegen des verschwendeten Abends trotzdem ärgerlich auf ihn. Hätte sie es vorher gewusst, hätte sie Jakes Einladung annehmen können. Sie blickte auf das Handy. Sollte sie sich nun noch bei ihm melden? War sie mutig genug, ihm vorzuschlagen, dass sie irgendwo etwas miteinander tranken?

Sie holte die Visitenkarte hervor und drehte sie um. Verflixt, die Tinte war verlaufen und die Telefonnummer auch beim besten Willen nur noch teilweise lesbar. Sie schob die Karte zurück in die Tasche und war jetzt doppelt ärgerlich auf Charles Jacobs.

Ich kann Jake zwar nicht anrufen, aber ich weiß, wo er wohnt, dachte Serendipity, als sie wenig später in ihr Auto stieg. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, startete sie den Motor und fuhr auf kürzestem Weg zur Great Portman Street.

Dort parkte sie und blieb erst einmal hinterm Steuer sitzen. Sollte sie wirklich bei Jake klingeln? Wie würde er ihr Erscheinen interpretieren? Sie wollte keine Affäre, sondern war auf der Suche nach Liebe und dem Mann fürs Leben. Wenn sie jetzt nach zehn Uhr ungebeten bei ihm auftauchte, erweckte sie damit den völlig falschen Eindruck.

Sie neigte dazu, spontan zu sein. Genau deswegen hatte sie schon mehrere unmögliche Freunde gehabt. Vergiss nicht, dass du dir vorgenommen hast, dich nicht mehr Hals über Kopf in eine Beziehung zu stürzen, sondern besonnener zu sein, ermahnte sie sich. Und das galt auch bei einem so attraktiven Mann wie Jake.

Würde es doch bloß einen anderen Weg geben, um mit ihm in Kontakt zu treten. Serendipity holte noch einmal seine Karte aus der Tasche, und plötzlich hatte sie eine Idee. Sie war vorhin so fixiert auf die Telefonnummer gewesen, die er auf die Rückseite geschrieben hatte, dass sie gar nicht weiter nachgedacht hatte. Auf der Vorderseite befand sich natürlich seine Geschäftsadresse. Warum rief sie ihn nicht in ein paar Tagen an seinem Arbeitsplatz an? Das war völlig in Ordnung.

Jake war Finanzberater, wie sie las. Das gefiel ihr. Diesen Beruf übten im Allgemeinen vernünftige, gefestigte Menschen aus. Sie waren anders als die Männer – Musiker, Schauspieler und andere Künstler –, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht hatte und auf die sie sich besser nicht mehr einlassen sollte.

Ihr Blick fiel auf den Namen, der ganz unten stand, und sie erstarrte. Charles Jacobs! Aber er hatte doch gesagt, dass er Jake heißen würde. Schon wollte sie die Karte zerreißen, als ihr der Gedanke kam, dass es vermutlich ein Kurzname war. Sie selbst benutzte zurzeit ja auch nicht ihren richtigen Namen. Sie nannte sich Serena. Was längst nicht so nach Blumenkind klang, sondern einfach normal.

Vielleicht ist ihm Charles zu bieder, überlegte sie und lächelte. Das morgige Mittagessen würde vergnüglich werden.

2. KAPITEL

Um zehn Minuten vor eins betrat Jake das „Maison Blanc“. Das Restaurant war ganz nach seinem Geschmack. Es war schlicht und schnörkellos gestaltet und hatte ein vornehmes Ambiente sowie eine ausgezeichnete Küche.

Er war absichtlich zu früh erschienen. So konnte er schon an einem der viereckigen Tische mit den gestärkten weißen Decken Platz nehmen und dort in Ruhe auf Serena warten. Er ging an der Bar vorbei in den Speiseraum, wo er den Blick von links nach rechts schweifen ließ. Dann schaute er noch einmal genauer hin.

Ja, sie war es. Die geheimnisvolle Frau von gestern Abend war hier. Fast hätte er geflucht. Die Frau, die er die ganze letzte Nacht zu vergessen versucht hatte, saß an einem der Tische in der Mitte des Restaurants und trank etwas. Sie hatte die braunen Haare zu einem Pferdeschwanz frisiert, der geflochten war, und trug eine moosgrüne Strickjacke. Auch heute sah sie wieder umwerfend aus.

Nun wandte sie langsam den Kopf, und er drehte sich schnell um und eilte an die Bar. Er setzte sich, bestellte ein Glas Wasser und hoffte, dass sie ihn nicht bemerkt hatte. Als sie gestern durch London gefahren waren, hatte er sich gewünscht, dass alle Ampeln rot sein würden. Er hatte sie verstohlen betrachtet und war von ihren fließenden Bewegungen fasziniert gewesen. Auch hatte er sogar die Art und Weise bewundert, wie sie ihn stehen gelassen hatte.

Es war ihm recht geschehen. Er war sich zu sicher gewesen, dass sie ihn anrufen würde. In seiner Wohnung war er dann auf und ab gelaufen und hatte sich wegen seiner Selbstgefälligkeit verachtet. Er hatte sich das Hirn zermartert, ob er nicht jemanden kannte, der für ihn herausfinden konnte, wer der Eigentümer des blauen Sportwagens war.

Worüber er sich jetzt nicht mehr den Kopf zerbrechen musste, denn sie war hier. Er brauchte sich über nichts mehr Gedanken zu machen – außer dass sie einen erstklassigen Platz hatte, um sein Blind Date zu beobachten.

Serena. Fast hätte er sie vergessen. Jake sah auf die Uhr. Es war vier Minuten vor eins. Er erhob sich und winkte den Ober herbei, damit er ihn zu dem reservierten Tisch brachte. Vielleicht hatte er Glück und bekam einen Ecktisch in ihrem Rücken.

Jake verlangsamte den Schritt, als der Ober auf den Tisch mit seiner Bekanntschaft von gestern Abend zusteuerte. Verflixt, er würde unmittelbar an ihr vorbeimüssen. Lächle charmant, forderte er sich auf. Doch dazu kam er nicht – denn der Ober stoppte bei dem Tisch und rückte ihm den Stuhl ihr gegenüber zurecht.

Jake stand wie angewurzelt da und blickte sie starr an. Der Ober wusste nicht so ganz, wie er sich verhalten sollte, und Serena bedeutete ihm, dass er gehen könnte. Danach lächelte sie Jake an.

„Guten Mittag, Mr. Jacobs. Es freut mich, dass Sie es dieses Mal einrichten konnten.“

„Aber Sie sind … Sie können nicht …“

„Ich bin Serena. Schön, dich kennenzulernen, Charles. Oder soll ich Jake sagen?“

Er schluckte. Sie konnte nicht Serena sein. Sie sah nicht im Mindesten aus wie in seinen Vorstellungen. Und sie hatte kein Pferdegesicht.

„Ich habe mich extra für dich so frisiert.“ Sie drehte den Kopf zur Seite, sodass der Pferdeschwanz in seine Richtung schwang. Dann beugte sie sich etwas vor und fuhr leise in verschwörerischem Ton fort: „Damit du zwischen vorne und hinten unterscheiden kannst.“

Offenbar konnte sie seine Gedanken lesen. „Eins zu null für dich.“ Seine Stimme klang ungewöhnlich heiser.

Serena genoss die Situation. In ihren leuchtenden Augen spiegelte sich ein Lächeln, das jedoch in keiner Weise boshaft war. Sie war nicht ärgerlich, sondern zog ihn nur auf und wollte, dass er mitmachte.

„Okay, okay, du hast mich erwischt. Seit wann weißt du es?“

„Ich habe es herausgefunden, nachdem du mich versetzt hast. Ich bin auf deine Visitenkarte gestoßen. Ist das Ganze nicht ein erstaunlicher Zufall? Vermutlich hätte ich dich heute Morgen anrufen und vorwarnen können, aber ich wollte mir den Spaß nicht entgehen lassen.“ Sie lächelte ihn an. „Ich kann nicht wirklich sauer sein, oder? Schließlich hast du abgesagt, weil ich dich vorher durchnässt habe. Fangen wir einfach neu an?“

„Einverstanden.“ Jake setzte sich auf den Lederstuhl mit der hohen Rückenlehne und streckte ihr die Hand entgegen. „Charles Jacobs. Aber keiner nennt mich mehr so. Außer meine Schwester, wenn sie über mich verärgert ist. Meine Freunde nennen mich Jake.“

Serena schüttelte seine Rechte. „Ich muss dir schätzungsweise meinen Namen nicht mehr erzählen, oder? Den wirst du nach heute wohl nie wieder vergessen.“

„Du siehst nicht wie eine Serena aus.“

„Und du nicht wie ein Charles. Warum Jake?“

„Jungen, die Charles hießen, wurden dort, wo ich aufgewachsen bin, geschlagen. Ein paar Freunde haben meinen Nachnamen abgekürzt, und seither bin ich Jake. Außerdem bin ich nach meinem Vater benannt worden, und es war eine Erleichterung, dass man uns so auseinanderhalten konnte“, erklärte er, als der Ober an den Tisch trat und sich erkundigte, was sie trinken wollten.

„Jetzt bist du dran, mit der Sprache rauszurücken“, sagte Jake, sobald sie wieder allein waren.

„Womit soll ich denn rausrücken?“

„Mit deinem Namen.“

„Ich heiße Serena, oder glaubst du mir nicht?“

„Doch, natürlich. Ich möchte nur deinen vollständigen Namen erfahren. Du kannst nicht einfach bloß Serena sein.“

„Warum nicht? Madonna benutzt auch lediglich ihren Vornamen.“

„Aber sie hat ebenfalls einen Nachnamen. Sie braucht ihn nur nicht zu benutzen. Was bei dir anders ist. Würde ich versuchen, Serena im Telefonbuch nachzuschlagen, würde ich dich nicht finden. Du musst mir schon ein wenig mehr verraten. Sonst wäre ich nicht klüger als zuvor, würdest du wie gestern Abend verschwinden.“

Nachdenklich blickte sie auf die weiße Tischdecke. „Ich verstehe.“

„Also? Serena … und wie weiter?“

Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Sorry, Charlie, meinen Nachnamen sage ich nur, wenn es zwingend nötig ist.“

Jake beugte sich vor und sah Serena in die Augen. „Was ist, wenn ich ihn wirklich kennen muss?“

„Davon müsste ich wirklich überzeugt sein.“ Serena lachte. „Dir meinen Nachnamen zu nennen stellt eine zu große Verpflichtung dar. Ich bin nicht gerne gebunden. Aber keine Sorge, wenn ich meine, dass es an der Zeit ist, werde ich ihn dir verraten.“

Jake lächelte. Serena lag ganz auf seiner Wellenlänge. Sie wollte wie er keine Verpflichtungen eingehen, sondern einfach schauen, was die Zukunft brachte. Und ihre Art, ihn herauszufordern, war erfrischend.

Mit ihr zu plaudern war so leicht, dass er nicht wahrnahm, wie die Minuten verstrichen. Sie war lustig und redegewandt, und er reagierte in einer Weise darauf, die seine Geschäftspartner überrascht hätte. Natürlich konnte er seinen Charme spielen lassen, wenn er wollte. Er setzte ihn nicht selten ein, um die Leute auf Abstand zu halten. Doch im Gespräch mit Serena gab er die eine oder andere Kleinigkeit über sich preis, die er sonst nicht erzählte.

Mitten im Hauptgericht hörte er zu essen auf und beobachtete, wie sie sich das Steak schmecken ließ. Bei jedem Bissen schloss sie die Augen und seufzte ganz leise zufrieden auf. Plötzlich sah sie ihn fragend an, als hätte sie seinen Blick gespürt, und er fühlte sich ertappt.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ein Stück gebratene Lende so fesselnd sein könnte.“ Er äußerte das Erstbeste, das ihm einfiel. „Mich erstaunt, wie genüsslich du das Fleisch verspeist. Du wirkst auf mich eher wie eine Sojabohnensprossen-und-Tofu-Esserin.“ Er wusste auch nicht warum. Vielleicht hing es mit der Frisur zusammen oder dem kunstvollen filigranen Ohrschmuck.

Serena legte Messer und Gabel weg und sah ihn finster an. „Ich habe in meinem Leben schon so viele Sojabohnensprossen vertilgt, dass es bis in alle Ewigkeit reicht. Meine Eltern waren überzeugte Veganer, bis … Ach, egal. Sagen wir einfach, dass meine Liebe zu Fleisch wahrscheinlich ein Ausdruck von Rebellion war. Seit ich vierzehn bin, bin ich eine totale Fleischnärrin.“ Sie griff wieder zu ihrem Besteck. „Willst du deinen Schwertfisch nicht aufessen?“

„Doch“, erwiderte er und schob sich Momente später ein Stück in den Mund.

Nachdem der Ober die Teller abgeräumt hatte, studierte Serena die Dessertkarte. „Möchtest du keinen Nachtisch?“

„Das ist nicht so mein Ding. Ich werde nur einen Kaffee trinken“, antwortete Jake, als Serenas Handy klingelte.

„Bitte entschuldige. Ich habe vergessen, es auszuschalten. Es wird nicht lang dauern.“

„Kein Problem.“ Er lehnte sich zurück und nutzte die Gelegenheit, sie zu betrachten, während sie abgelenkt war.

„Hallo, du. Es tut mir leid, aber ich bin mitten … Nein, mach das nicht. Bleib, wo du bist … Ja, aber … Bitte gib Benny den Apparat und lass mich mit ihm reden. Ich werde aus dem, was du sagst, nicht ganz schlau … Hallo, Benny. Halt ihn fest. Ich bin da, so schnell ich kann … Ja, keine Sorge … Sieh bitte zu, dass er niemandem mehr einen Schlag versetzt …“

Jake spitzte die Ohren und beobachtete dann, wie Serena die Verbindung trennte und das Handy in die Tasche schob, während sie tief ausatmete.

„Es tut mir leid. Ich muss weg. Es handelt sich um einen Notfall.“

„Kann ich irgendwie helfen?“

„Nein, vielen Dank. Ich muss nur so rasch wie möglich in Peckham sein.“

Was wollte eine allem Anschein nach wohlhabende junge Frau wie sie in Peckham? „Warum?“

„Ich muss ins ‚The Swan‘, das ist ein Pub“, antwortete sie im Aufstehen. „Vielen Dank für das sehr nette Mittagessen.“ Sie küsste ihn geistesabwesend auf die Wange.

Bevor Jake noch etwas erwidern konnte, eilte sie bereits davon. Er holte seine Kreditkarte aus der Tasche, zahlte, so schnell er konnte, und verließ ebenfalls das Restaurant. Draußen wäre er fast in Serena hineingelaufen, die an der Bürgersteigkante stand und mit beiden Händen winkte.

„Was tust du?“

„Ich versuche, mir ein Taxi zu organisieren. In der einen Minute wimmelt es nur so von ihnen und in der nächsten ist weit und breit keines zu sehen.“

Jake umfasste ihre Unterarme, drückte sie nach unten und drehte Serena zu sich. Erst da bemerkte er, dass sie ganz blass war. „Hey, alles wird gut.“ Kurz drückte er ihre Hand zur Beruhigung.

„Ich muss so rasch wie möglich in diesem Pub sein, sonst gibt es einen riesigen Ärger.“

Sie blickte zur Straße, auf der gerade ein Taxi vorbeibrauste, und ihrer Miene nach zu schließen, wäre sie am liebsten hinter dem Wagen hergerannt.

„Ich bringe dich hin. Mein Auto steht gleich um die Ecke, und ich kenne eine Route, die nicht so stark befahren ist“, erklärte er und sah, dass ihre Augen verdächtig glitzerten.

„Würdest du das wirklich machen? Du hast keine Ahnung, wie dankbar ich dir wäre. Aber du musst mir etwas versprechen.“

„Was?“

Serena umfasste seine Schultern. „Dass du für dich behältst, was geschieht, wenn wir dort sind. Es ist enorm wichtig.“

Je mehr Jake sich auf Nebenstraßen dem Londoner Stadtbezirk Peckham näherte, umso unbehaglicher wurde ihm zumute. Seit Jahren war er nicht mehr dort gewesen und hatte sich versprochen, nie wieder zurückzukehren. Er hatte alles Menschenmögliche getan, um die Hochhaussiedlung mit den Sozialwohnungen hinter sich zu lassen, in der er aufgewachsen war.

In was war Serena hineingeraten? Ärger in dieser Gegend hatte im Allgemeinen einen kriminellen Hintergrund. Obwohl sie unkonventionell wirkte, hatte er sie nicht für eine Frau gehalten, die in solche Probleme verwickelt war. Ihr fehlte eine gewisse Härte, die er nur zu gut kannte. Aber der Schein konnte trügen – wie er bei seinem Vater gesehen hatte. Dieser war der beste Beweis dafür, dass selbst ein sehr verlockend ausschauender Apfel im Innern von Maden befallen sein konnte.

Sein Bauchgefühl sagte ihm jedoch, dass er ihr vertrauen konnte. Und wenn er an ihren Gesichtsausdruck dachte, als das Taxi an ihnen vorbeigebraust war, wusste er, dass er sich nicht täuschte. Sie hatte nichts mit Drogen oder schmutzigem Geld zu tun. Ihr lag viel an dem Menschen – vermutlich war es ein Mann –, dem sie gerade zu Hilfe eilten.

Als sie bei dem Pub ankamen, erblickte er nicht weit weg ein Abschleppauto und einen Mann, der sich gerade um einen metallicblauen Sportwagen kümmerte. Verflixt, was war er für ein Idiot. Er war schnellstens hergefahren, um ihren Freund aus irgendwelchen Schwierigkeiten herauszuholen.

Sobald er das Auto am Straßenrand geparkt hatte, sprang Serena heraus und lief auf die Eingangstür zu. Jake folgte ihr Momente später hinein, wo ihn der muffige Geruch von Zigaretten und Bier empfing. Seit er vor über zehn Jahren das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich das Lokal noch mehr in eine Spelunke verwandelt.

Mehrere jüngere Männer mit tätowierten Handrücken lehnten am Tresen. Er kannte Typen wie sie, konnte sie jedoch nicht verurteilen. Hätte er weniger Glück gehabt und ein paar andere Entscheidungen getroffen, könnte er jetzt einer von ihnen sein. Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie von ihrer Arbeitslosenunterstützung verwässertes Bier kauften.

Jake lenkte die Aufmerksamkeit auf den umgefallenen Tisch und das kaputte Glas in der hinteren Ecke. Serena hatte sich zu einem Mann gebeugt, der auf einer der gepolsterten Bänke lag. Dann richtete sie sich auf, um mit einem kräftigen Mann in schwarzer Lederjacke zu reden. Erst als Jake fast bei ihnen war, konnte er hören, was gesprochen wurde.

„Was ist passiert, Benny? Wie seid ihr hier gelandet?“

„Mike hat gesagt, er wolle einige der Lokale besuchen, in denen er in den Anfängen der Band gespielt hat. Zunächst schien es eine gute Idee zu sein.“

„So ist es immer, Benny.“

„Tut mir leid, Kleines.“

„Was ist genau geschehen?“

„Mike hat mit mehreren Leuten von hier in Erinnerungen geschwelgt. Er hat Drinks spendiert, und wir hatten viel Spaß. Dann sind einige jüngere Typen frech geworden, und Mike ist ausgeflippt. Er wollte einem von ihnen einen Schlag versetzen und ist über einen Hocker gestolpert. Sie haben gelacht, weshalb er noch einmal ausgeholt hat und unbeabsichtigt den Barkeeper erwischt hat.“ Benny zuckte die Schultern. „Nach den ganzen Drinks zielt er total schlecht. Er hat ihn nicht verletzt, ihm lediglich ein Tablett mit leeren Gläsern aus der Hand geschlagen.“

„Dem Himmel sei Dank.“ Serena war erleichtert. „Versuch, ob du ihn aufrichten kannst, während ich mit dem Wirt rede. Wir müssen unbedingt hier weg, bevor die Presse von der Sache Wind bekommt.“

Die Presse? Wen interessiert schon eine Kneipenschlägerei, dachte Jake. Als Serena zum Tresen ging, konnte er erstmals einen Blick auf den Sportwagenfahrer werfen – und war überrascht, dass es sich um einen mitgenommen aussehenden Mittfünfziger mit Bierbauch handelte. Was in aller Welt fand sie bloß an ihm?

„Der Wirt wird keine Anzeige erstatten“, informierte Serena Benny, als sie zurückkehrte. „Ich habe ihm angeboten, den Schaden zu ersetzen und ihm eine kleine Entschädigung zu zahlen. Er scheint sehr zufrieden mit dieser Lösung, aber wir sollten trotzdem schnell verschwinden, bevor er es sich anders überlegt. Gib mir das Geld, damit ich alles gleich erledigen kann.“

Benny reichte ihr ein Banknotenbündel, und Jake hatte das unheimliche Gefühl, dass sie diesen Mann nicht zum ersten Mal aus Schwierigkeiten herausholte. Ihm war, als würde sie automatisch reagieren und Erfahrung mit solchen Situationen haben.

„Alles in Ordnung, Kumpel?“ Mike schaute ihn an und streckte ihm die Hand entgegen, die er jedoch ignorierte. Was Mike offenbar nicht störte. „Sie ist großartig, oder?“, fragte er mit Blick auf Serena.

Am liebsten hätte Jake ihm einen Schlag versetzt. „Ja, das ist sie. Sie haben Glück, dass sie sich so um Sie kümmert.“

„Ich weiß. Sie ist die beste Tochter der Welt.“

Tochter! Zuweilen war er wirklich dämlich. Still lächelte er in sich hinein, und Benny sah ihn seltsam an. Vermutlich fragte er sich, wer er war und was er an dem Ganzen so komisch fand.

Er betrachtete Serenas Vater genauer, und ihm war, als würde er ihm bekannt vorkommen. Angestrengt dachte er nach, aber es wollte ihm nicht einfallen. Irgendwann würde es das, denn er konnte sich Gesichter gut merken.

Als sie schließlich den Pub verließen, bog das Abschleppauto samt Sportwagen gerade um die Ecke.

„So viel dazu, schnell zu verschwinden“, sagte Serena leise.

„Ich kann euch mitnehmen.“

Jake war froh über die Gelegenheit, nicht nur Zuschauer zu sein. Serena drehte sich zu ihm und blickte ihn an, als hätte sie sich erst jetzt wieder an ihn erinnert. Wenn das sein Ego nicht streichelte!

„Wie wär’s, wenn ich Benny beim Abschlepphof absetze. Ich bezahle, wenn du wegen der Sache im Pub nicht mehr genug Geld hast. Und dann bringen wir deinen Dad nach Hause.“

Sie schloss die Augen und fragte, ohne sie zu öffnen: „Du weißt, dass er mein Dad ist?“

„Es kam zur Sprache.“

„Wunderbar.“

Warum war sie so bestürzt? Jake legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie näher. „Lass mich dieses Mal dein Retter in der Not sein.“ Zu seiner Überraschung schaute sie auf und küsste ihn auf die Wange.

„Du bist ein echter Gentleman. Also los, bevor uns noch jemand sieht.“

Benny half Mike auf den Rücksitz, während Serena vorne einstieg. Schweigend fuhren sie durch London, und Jake schaltete das Radio ein, um Mikes Schnarchen abzumildern. Er stellte einen Sender ein, der immer alte Hits brachte. Das musste eigentlich für alle im Wagen in Ordnung gehen. Gerade erklangen die Anfangsakkorde von einem Song, den er seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte. Er erinnerte ihn an einen Sommer, in dem er und seine Freunde mit ihren Rädern unterwegs gewesen waren oder sich auf dem Spielplatz in der Wohnsiedlung getroffen hatten. Bevor die Wippe mutwillig beschädigt worden war und sie angefangen hatten, gebrauchte Spritzen bei den Schaukeln zu finden. Was machten Martin und Keith wohl jetzt?

Plötzlich wurde Mike wach und sang den Refrain mit. Er hatte keine schlechte Stimme. Jake schaute gerade rechtzeitig in den Rückspiegel, um zu sehen, wie er auf einer imaginären Gitarre spielte.

Ja, jetzt weiß ich endlich, an wen er mich erinnert, dachte er, als er wieder auf die Straße sah. Mike hatte große Ähnlichkeit mit Michael Dove, dem Leadgitarristen der Band „Phönix“. Und dieser Song war einer ihrer größten Hits in den späten Siebzigern gewesen.

Erneut betrachtete er Serenas Vater im Rückspiegel. Er hatte sogar wie Michael Dove eine kleine Narbe an der Lippe …

„Jake!“

Serena stieß ihn heftig an. Automatisch trat er auf die Bremse, denn er bemerkte, dass die Bremslichter des vorderen Autos bedrohlich nahe waren. Als sein Wagen stand, drehte er sich um.

„Sie sind Michael Dove“, sagte er, und Serena stöhnte auf. Er blickte sie an, während hinter ihm gehupt wurde. „Du bist die Tochter von Michael Dove.“

Finster schaute sie ihn an. „Ich weiß. Seltsamerweise bin ich das schon mein Leben lang.“

Nun würde er glänzende Augen bekommen, und dabei hatte sie gerade gemeint, sie hätte vielleicht einen geeigneten Heiratskandidaten gefunden. Die Männer reagierten sehr unterschiedlich, wenn sie erfuhren, dass ihr Vater eine Rocklegende war. Doch es führte stets zu demselben Ergebnis: Es bedeutete eine Art von Todesstoß. Ob sie vorgaben, es wäre ihnen egal, oder ob sie beschlossen, die Beziehung zum Vorteil ihrer eigenen Karriere zu nutzen – die Dinge änderten sich für immer.

„Aber ich dachte, dass Michael Doves Tochter einen komischen Vornamen hätte. Wie zum Beispiel Mondschein“, erwiderte Jake.

„Mondschein …“

„Dad!“

„Aber Mr. Dreiteiler findet deinen Namen lächerlich.“

Jake schüttelte den Kopf. „Der Name Serena ist nicht lächerlich. Ich wollte nur sagen …“

Serena konnte ein erneutes Stöhnen nicht unterdrücken. Vorhin war sie für Jake noch eine geheimnisvolle Frau gewesen. Nun konnte er alles über sie im Internet lesen.

„Wer ist Serena?“, fragte ihr Dad leise.

Jake beugte sich zu ihr und meinte kaum hörbar: „Er muss in schlechterer Verfassung sein, als es den Anschein hat.“

Das wäre schön. Denn dann würde ihr Dad wieder einschlafen und sie nicht weiter in Verlegenheit bringen. Sobald sie zu Hause waren, würde sie jede Flasche mit hochprozentigem Alkohol wegschütten. Einschließlich des Whiskeys, den er in seinem Gitarrenkasten aufbewahrte in dem Glauben, sie würde das Versteck nicht kennen.

„Der Name stammt von Elaine.“ Ihr Vater redete auf dem Rücksitz weiter vor sich hin. „Sie war so begeistert … Wir dachten, wir könnten keine Kinder bekommen. Dann war uns das Glück hold … Was ist an Serendipity auszusetzen? Es ist ein bezaubernder Name …“

Jake hustete. „Wie bitte?“

„Du hast sehr wohl verstanden“, antwortete Serena bissig und hörte an seiner Stimme, dass er ein Lachen unterdrückte, als er erwiderte:

„Mir scheint, Sie haben bei Ihrem Namen ein paar Silben eingespart, Miss Dove.“

„Ihre Angabe war auch nicht korrekt, Mr. Charles Jacobs!“

„Lassen wir das und einigen uns darauf, dass wir zwei Leute mit ähnlicher Veranlagung sind.“

Sie musste sich ein Lächeln verkneifen. „Vielleicht.“

Sie wandte den Kopf nach hinten. Ihr Vater war erneut eingeschlafen und bemerkte zum wiederholten Mal nicht, welche Unruhe er in ihrem Leben verursachte. Aber es war schwer, ihm böse zu sein. Er wollte keine Probleme schaffen, doch es passierte ihm immer wieder. Sie sank in den bequemen Ledersitz, schloss die Augen und schaffte es abzuschalten.

Ob ich Jake wohl je wiedersehe, fragte sie sich, als sie später am Küchentisch saß und eine Tasse Tee trank. Er hatte ihr geholfen, ihren Dad in sein Zimmer zu bringen, und sich danach verabschiedet. Auf immer und ewig?

3. KAPITEL

Serena ließ den Blick über die Skyline von London schweifen, um sich davon abzulenken, dass ihr Hinterteil sehr bald am Holz der Parkbank festfrieren würde.

„Ein bezaubernder Platz mit einer wunderschönen Aussicht.“

Jake lächelte und reichte ihr einen Teller mit Leckereien, die er aus dem Picknickkorb geholt hatte, der zwischen ihnen stand. „Dies war früher einer meiner Lieblingsplätze.“

„Hast du hier in der Nähe gewohnt?“ Sie konnte sich gut vorstellen, dass er in dem eleganten Stadtteil Blackheath aufgewachsen war, der südlich an den Greenwich Park grenzte, in dem sie gerade waren. Möglicherweise war eine der cremefarbenen Villen aus der georgianischen Zeit sein Zuhause gewesen.

„Jedenfalls nicht zu weit weg … Nein, du siehst etwas in die falsche Richtung.“ Er zeigte mehr nach Westen. „Dort.“

„Hinter den Hochhäusern?“

„Nein, in ihnen. Ich habe in dem ganz rechts gelebt. Im vierzehnten Stock.“

„Wirklich?“ Serena sah ihn an.

„Ich konnte den Park von meinem Zimmer aus sehen. Ein wunderschöner grüner Fleck inmitten von Beton und Abgasen.“

Sie lachte. „Sehr poetisch.“

„Hör auf. Sonst ruinierst du noch mein Image, ein harter Geschäftsmann zu sein.“

„Ich bin nicht sicher, ob du so hart bist, wie du aussiehst, Charlie.“

„Warum nennst du mich immer so?“

„Ich weiß es nicht. Irgendwie kommt mir der Name einfach über die Lippen. Er muss zu dir passen.“

„Ich ziehe Jake vor.“

„Aber das ist nicht dein richtiger Name.“

„Dann darf ich deinen richtigen Namen auch benutzen, oder?“

„Da ist was dran. Also nenne ich dich Jake.“ Serena lehnte sich zurück und sah in die blattlosen Äste über sich. „Gab es dort keinen Garten? Noch nicht einmal einen gemeinsamen für alle Hausbewohner?“

„Müssen wir in Kindheitserinnerungen kramen?“

„Es ist nur fair. Obgleich ich nicht selbst berühmt bin, bin ich mit jemandem verwandt, der es ist. Was den einschlägigen Medien völlig reicht. Wahrscheinlich könntest du herausfinden, was ich letzten Mittwoch gefrühstückt habe, wenn du meinen Namen googelst. Ich möchte gern mehr über dich erfahren. Das ist doch kein Verbrechen.“

„Nein, ist es nicht. Ich erzähle bloß für gewöhnlich keine Einzelheiten von früher. Manche Klienten würden in Ohnmacht fallen, wenn sie wüssten, dass ein Halbstarker aus einer Sozialwohnung sich um ihre Millionen kümmert.“

Auf die Idee wird niemand kommen, dachte Serena, während sie sich ein gefülltes Weinblatt schmecken ließ und den über ein Meter fünfundachtzig großen Mann neben sich betrachtete. Jake war die personifizierte Eleganz, von dem Kaschmirmantel angefangen bis hin zu den maßgefertigten Schuhen.

„Es gab kaum einen Baum in der Siedlung. Ich bin oft am Wochenende hier gewesen, habe auf dieser Bank gesessen und Pläne geschmiedet, wie ich meiner Herkunft entfliehen konnte. Mir war klar, dass ich dazu Geld benötigen würde. Deshalb beschloss ich, dass ich besser lernen sollte, wie man gut damit umging. Nach dem Schulabschluss habe ich bei einer Finanzberatungsfirma in der Nähe angefangen. Schon bald wusste ich, dass ich meinen Platz gefunden hatte. Also habe ich weiter hart für die entsprechenden Qualifikationen gearbeitet.“

„Es klingt, als wärst du sehr motiviert gewesen.“

„Ich wollte meine Mutter von dort wegholen. Sie hatte Besseres verdient.“

„Wie ich gehört habe, sind die Prüfungen sehr schwer.“ Serena seufzte. „Ich habe nichts dergleichen gemacht. Wir sind zu oft unterwegs gewesen. Entweder war Dad auf Tournee, oder er musste irgendwohin zu Aufnahmen.“

„Wie war das mit der Schule?“

„Meine Mum hat mich zu Hause unterrichtet, bis ich etwa elf war. Meine Grundschulbildung war ziemlich unkonventionell, gelinde gesagt. Als ich zehn war, wusste ich alles über Bäume und Kristalle sowie über die Sternbilder und die Konstellationen. Von Mathematik und den Naturwissenschaften hatte ich nicht so viel Ahnung. Aber ich war sehr gut in der tänzerischen und pantomimischen Improvisation.“

Jake lächelte. „Was ist danach passiert?“

„Mum wurde krank, und ich musste ein Internat besuchen.“

„Ich kann mir dich nicht wirklich in einer gestärkten Schuluniform vorstellen oder bei Mitternachtspartys.“

„Hast du schon mal vom ‚Foster’s Educational Centre‘ in Südwestengland gehört?“

„Nein.“

„Vor ein paar Monaten hat ein Sonntagsmagazin ein Feature darüber gebracht. Es handelt sich um eine reformpädagogische Schule, in der Psychologie großgeschrieben wird und die Vernunft und der gesunde Menschenverstand keine Rolle spielen. Ein absolutes Irrenhaus, wenn du mich fragst.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich habe natürlich nicht dorthin gepasst.“

„Sicher nicht.“

„Die anderen Kinder haben sich über mich lustig gemacht, weil sie mich nach dem speziellen Unterricht meiner Mum für seltsam hielten. Da die Lehrer meinten, es wäre wichtig für unsere emotionale Entwicklung, negative Energie herauszulassen, war es leicht für die anderen, mich zu quälen, wenn sie es wollten. Und das war leider der Fall. Ich war für sie Frischfleisch.“

„Autsch.“

„Ich bin weg von dort, sobald ich konnte, und zu Dad geflohen. Er hatte gerade eine Entziehungskur wegen seiner Drogensucht hinter sich. Vermutlich weißt du davon, denn es ist ziemlich bekannt. Nach dem Krebstod meiner Mutter hat er ein paar Jahre zu schnell und intensiv gelebt. Er brauchte mich genauso sehr zu Hause, wie ich es brauchte, dort zu sein.“

„Wie steht’s mit einem Beruf?“

„Glaub mir, mich um Dad zu kümmern ist ein Vollzeitjob. Ich bin die letzten fünf Jahre seine Managerin gewesen. Außerdem bin ich seine persönliche Assistentin, seine Schlichterin, seine Problemlöserin und sein Kindermädchen. Die Band ist nicht mehr so aktiv wie früher, aber manchmal geht es ganz schön hektisch zu.“

Jake reichte ihr ein Glas Sekt. „Was würdest du machen, wenn du die freie Wahl hättest? Reisen?“

Serena trank einen kleinen Schluck und schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Leben ist schon nomadenhaft genug gewesen.“

„Was dann?“

Schweigend lächelte sie ihn an. Ihm zu erzählen, dass sie am liebsten Ehefrau und Mutter werden würde, wirkte auf einige Männer, als würde ein Startschuss abgefeuert. Sie wollte nicht dabei zusehen müssen, wie Jake in einer Staubwolke verschwand.

Er entsprach so ganz ihren Vorstellungen. Er hatte einen sicheren Job und war zu erfolgreich, um hinter dem Geld ihres Vaters her zu sein. Außerdem zeigte er sich rücksichtsvoll und charmant. Und die Liste ließ sich noch beliebig verlängern.

Bei allem, was er tat, engagierte er sich, und was er machte, war erstklassig. Zum Beispiel stammte dieser gefüllte Picknickkorb zwischen ihnen aus Londons exklusivstem Kaufhaus.

Er hatte nicht einfach Schinkensandwiches in Tüten verpackt mitgebracht. Aber irgendetwas in ihr sehnte sich nach genau solchen Sandwiches, Limonade und Kindern, die mit Marmelade im Gesicht herumtollten.

Sie hatte genug Sekt getrunken. Er hatte das Prickeln für sie verloren. Wahrscheinlich weil sie gesehen hatte, wie ihr Dad so viel davon gehabt hatte, dass es für zwei oder drei Leben gereicht hätte. Sie hatte ihn gedrängt, sich wegen seines Alkoholproblems Hilfe zu suchen. Auch wenn er es bestritt, glaubte sie, dass er fast so weit war, erneut eine Entziehungskur zu machen. Sie mochte über die Alternative gar nicht nachdenken. Außer ihrem Vater hatte sie niemanden mehr. Er bedeutete ihr alles.

Als sie zu Ende gepicknickt hatten, ergriff Jake den Korb und streckte Serena die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Er hielt sie umfasst, während sie losgingen, um den Greenwich Park zu verlassen. Auch ohne das leichte Kribbeln in ihrem Arm hätte sie es als wunderschön empfunden. Sie hatte schon lange mit keinem Mann mehr Händchen gehalten.

Sie kamen am Königlichen Observatorium vorbei und schlenderten den kleinen eingezäunten Weg entlang, der etwas unterhalb verlief und zu einem Schwingtörchen führte. Dort ließ Jake ihre Hand noch immer nicht los, obwohl eigentlich keine zwei Personen gleichzeitig hindurchpassten. Außerdem hatte er Probleme mit dem Picknickkorb. Serena vermutete, dass er sich absichtlich etwas ungeschickt anstellte, um länger so dicht bei ihr zu sein.

Als sie schließlich das Törchen passiert hatten, gingen sie weiter, doch er blieb nach einer Weile einfach stehen. Verwirrt wandte sie sich zu ihm um. Er schaute nach unten, und sie tat es ihm gleich. Dort sah sie einen Messingstreifen, der die Stelle markierte, an der der Nullmeridian verlief. Im Gegensatz zu ihr hatte Jake ihn noch nicht überquert.

„Der nullte Längengrad.“ Tief blickte er ihr in die Augen. „Ein Ort der Anfänge.“

Wenn er meinte, heute wäre ein Anfang, dann hieß das, mehr würde folgen. Der Gedanke gefiel ihr. „Ist das nicht ein bisschen unwirklich? Wir stehen so dicht beieinander und befinden uns doch in verschiedenen Hemisphären.“

„So dicht stehen wir gar nicht beieinander.“ Er stellte den Korb auf den Boden und umfasste auch Serenas andere Hand. „Wir könnten noch dichter beieinanderstehen.“ Wie zum Beweis zog er sie näher, sodass sich ihre Mäntel berührten.

Und wenn sie nun das Kinn ein wenig hob, würden seine Lippen ganz nahe sein. Serena spürte, dass sie errötete. Noch bei niemandem hatte sie so empfunden wie jetzt. Sie hielten einander lediglich an den Händen fest, und doch raste ihr Puls.

„Hast du immer noch ein seltsames Gefühl?“, fragte er kaum hörbar.

„Es könnte sich verstärkt haben.“ Sie schluckte und sah ihm in die faszinierend blauen Augen.

„Noch ein paar Millimeter, und wir könnten bewirken, dass die Welt sich dreht.“ Sein warmer Atem streifte ihre Wange.

„Das ist kitschig“, erwiderte sie genauso leise.

Serena schloss die Augen, als er sich unendlich langsam zu ihr beugte. Der erste Kuss war ganz, wie er sein sollte. Zärtlich. Süß. Verheißungsvoll. Sie fasste in Jakes volles Haar, während er ihr Gesicht umschloss und mit den Fingern ihre Wangen streichelte.

Noch nie hatte sie einen solchen Kuss erlebt. Er berührte ihre Seele. Leider beendete Jake ihn viel zu schnell. Er nahm den Picknickkorb und geleitete sie zu seinem Wagen, und Serena hoffte, dass es nicht der letzte Kuss zwischen ihnen gewesen war.

„Erzähl mir alles“, sagte Cassie Morton, die mit ihrer pinkfarbenen Igelfrisur, dem Nasenstecker und den vier Ohrpiercings wohl die unkonventionellste Pfarrersfrau war, die man sich vorstellen konnte. „Jeder Widerstand ist zwecklos, wie du inzwischen wissen solltest.“

„Du änderst dich nie, oder?“, fragte Serena.

„Nicht seit ich im Internat in den Aufenthaltsraum gekommen bin und dich vor einem weiteren Jahr gerettet habe, das du in der Ecke sitzend verbringst, wo du melancholische Gedichte schreibst, die keiner lesen durfte.“

„Meine Gedichte waren nicht melancholisch. Vielleicht waren sie etwas ausschweifend und zusammenhanglos, aber nie melancholisch.“

„Egal. Du brauchtest jedenfalls etwas Aufmunterung.“

„Wozu du mir zweifellos verholfen hast.“

„Wie haben Prudence und ihre Clique uns noch genannt?“

Serena grinste. „Die ausgeflippten Zwillinge.“

„Unzertrennlich für immer und ewig.“

„Zumindest bis du Steve begegnet bist. Ich sollte dir böse sein. Aber er ist ein solcher Schatz, dass ich dir zehn Sekunden, nachdem ich ihn kennengelernt hatte, verziehen habe.“

„Ja, er ist wunderbar.“

„Und du hast recht. Du hast mich im Internat gerettet. Ohne dich war es schrecklich dort. Ich stehe tief in deiner Schuld.“

„Das lässt sich leicht ändern.“

„Okay, okay.“ Serena gab sich geschlagen. „Ich erzähle dir alles. Aber bloß, wenn ich ein Riesenstück von dem Karottenkuchen bekomme.“

Zufrieden lächelnd, legte Cassie ihr wenig später eines auf einen Teller und schob ihr diesen über den Küchentisch zu. Es war das erste Mal, dass Serena etwas nicht wirklich mit ihrer besten Freundin teilen wollte. Das Ganze mit Jake war so kostbar, dass sie die Einzelheiten gern in ihrem Innersten verschlossen hätte. Doch musste sie Cassie irgendetwas sagen, sonst würde diese die Daumenschrauben hervorholen.

„Er könnte tatsächlich der Richtige sein. Wir waren gemeinsam beim Essen, haben ein Picknick gemacht und sind im Ballett gewesen. Es ist ein wenig wie bei Aschenputtel …“

„Dich hat es offenbar schwer erwischt.“

„Meinst du? Fühlt es sich so an, wenn man sich bis über beide Ohren verliebt hat?“

„Das kommt darauf an. Wie fühlt es sich denn an?“

Serena seufzte. „Meine Gedanken kreisen praktisch nur noch um ihn. Wenn ich nicht bei ihm bin, spüre ich ein Kribbeln im Bauch, wenn ich an unser nächstes Treffen denke. Und wenn wir zusammen sind, spüre ich ein Kribbeln im Bauch, weil ich bei ihm bin. Er gibt mir das Gefühl, jemand Besonderes zu sein. Ich glaube, ich habe zum ersten Mal einen Mann kennengelernt, der mich mag. Nicht die Tochter von Michael Dove, sondern mich.“

„Hast du schon …“

„Habe ich schon was?“

„Dir ist klar, wovon ich rede.“

Serena schob sich ein großes Kuchenstück in den Mund und schüttelte den Kopf. Leider konnte sie nicht ewig kauen und musste schließlich antworten. „Du weißt, dass ich mir versprochen habe, erst einen Ring am Finger zu tragen als Symbol fester Absichten, bevor es … dazu kommt. Ich bin in puncto Männer in der Vergangenheit zu oft dumm gewesen. Mein Radar, das Mistkerle ortet, ist völlig kaputt.“

„Ja. Jeder Versager mit einem Gitarrenplektrum war in deinen Augen der Richtige.“

„Man sollte meinen, ich würde es besser wissen, oder? Letztlich bin ich mein ganzes Leben lang mit Musikern zusammen gewesen. Mir ist völlig klar, wie wenig zuverlässig und vertrauenswürdig sie sind. Doch haben diese Typen etwas an sich, dem ich nicht widerstehen kann. Und jedes Mal endet es damit, dass mir unerwartet ein Schlag versetzt wird und ich am Boden zerstört bin. Deshalb habe ich solchen Männern abgeschworen.“

„Und deshalb betätige ich mich gewissermaßen als Prüferin.“

Zum dritten Mal korrigierte Jake den Bilderrahmen an der Wand. Verflixt, das Gemälde hatte am besten gehangen, bevor er angefangen hatte, es zurechtzurücken. Er wollte einfach nur, dass alles in Ordnung war, wenn Serena herkam. Denn heute Abend kochte er für sie – was er normalerweise nicht machte.

Seit er es sich leisten konnte, lud er seine Freundinnen stets in sehr gute Restaurants ein. Er war ein Perfektionist und besaß einigen sportlichen Ehrgeiz, weshalb es ihn dazu drängte, alle Register zu ziehen, wenn er mit einer Frau ausging. Er wollte immer ein bisschen besser sein als sein Nachfolger, den es geben würde, da er keine dauerhaften Beziehungen führte. Chantelle war eine Ausnahme gewesen – und sein größter Fehler.

Jake blickte auf die Armbanduhr. Es war eine Luxusuhr, die im Lauf der Jahre ein paar Kratzer abbekommen hatte. Aber er würde sie nicht ersetzen. Er hatte zu Anfang seines Berufslebens jeden möglichen Cent gespart, bis er dieses edle Teil hatte bar bezahlen können. Es war für ihn ein wichtiges Symbol gewesen, der Beweis dafür, dass er es geschafft hatte.

Nach dem Kauf der Uhr hatte er ein kleines möbliertes Zimmer gemietet und begonnen, seine Vergangenheit abzustreifen. So hatte er zum Beispiel hart daran gearbeitet, kein Cockney, den Londoner Dialekt seiner Kindheit, mehr zu sprechen. Auch hatte er irgendwann nur noch maßgefertigte Kleidung getragen. Er scheute keine Anstrengung, damit seine reichen Klienten nicht errieten, dass sich der Sohn eines Kleinkriminellen um ihr Geld kümmerte.

Er war selbst überrascht gewesen, dass er Serena seine Geschichte erzählt hatte. Obwohl er einige ziemlich bedeutende Details ausgelassen hatte. Aber er hatte mehr preisgegeben, als er es normalerweise tat. Irgendwie war es egal, wenn sie die Wahrheit kannte. Sein Geld beeindruckte sie nicht im Mindesten. Dies hatte zunächst an seinem Ego gekratzt, ihn dann jedoch sehr erleichtert. Er war die Frauen leid, die in ihm eine gute Partie sahen. Aber es war nicht bloß das. Trotz aller Unterschiede zwischen ihnen, verband sie etwas: Serena wusste ebenfalls, was es hieß, ein Außenseiter zu sein.

Als er sich zur Küche wandte, fiel sein Blick durch die offene Schlafzimmertür auf das tadellos gemachte Bett. Schon erschien ein Bild vor seinem inneren Auge. Er stand mit einem Frühstückstablett davor und sah auf die schlafende Serena. Energisch schloss er die Tür. Er sollte sich zusammenreißen und durfte nichts übereilen. Das wäre bei ihr mit Sicherheit falsch.

Es galt, sich zu beherrschen. Was kein Problem sein sollte. Er war es gewohnt, in Beziehungen die Kontrolle zu behalten. Er bestimmte, was geschah, von Beginn an bis zum Ende. Und normalerweise trennte er sich von einer Frau, wenn er in ihren Augen den Wunsch nach einem Diamantring aufleuchten sah.

Mel meinte, er wäre herzlos. Aber er tat es, um seine Exfreundinnen zu schützen. Es hatte keinen Sinn, ihnen Hoffnungen auf ein lebenslanges glückliches Miteinander zu machen. Das lag ihm nicht im Blut.

Wie gut, dass er sich bei Serena diesbezüglich nicht zu beunruhigen brauchte. Sie hatte ihm gleich bei ihrem ersten Date zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht festlegen wollte.

Jake holte den Korkenzieher aus der Küchenschublade, um die Rotweinflasche zu öffnen, als das Telefon klingelte. Hoffentlich war es nicht Serena, die ihm absagen wollte.

„Hallo, großer Bruder“, begrüßte Mel ihn gezwungen heiter, kaum hatte er sich gemeldet.

„Was ist los?“

Seine Schwester seufzte. „Es geht um Dad.“

Jake versteifte sich. „Was ist mit ihm?“

„Er wurde kürzlich mehrfach gesehen.“

„An der Costa Blanca?“

„Nein, hier.“

„Wie ich dir schon früher erklärt habe, ist mir egal, was dieser Mann tut, solange er nicht in meiner Nähe auftaucht.“

„Es ist zehn Jahre her. Bist du kein bisschen neugierig?“

„Nein. Er wird sich nicht geändert haben. Fall nicht auf seine Schmeicheleien rein, Mel.“

„Warum glaubst du, dass ich ihn treffen werde?“...

Autor

Fiona Harper
Als Kind wurde Fiona dauernd dafür gehänselt, ihre Nase ständig in Bücher zu stecken und in einer Traumwelt zu leben. Dies hat sich seitdem kaum geändert, aber immerhin hat sie durch das Schreiben ein Ventil für ihre unbändige Vorstellungskraft gefunden.
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