Romana Extra Band 79

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

WENN DAS MEER VON DIR ERZÄHLT von CALLAHAN, NANCY
Der attraktive Fremde will ihr wirklich helfen, das "Casa Lizzy" zu renovieren? Hope kann ihr Glück nicht fassen. Erstens steht sie jetzt mit dem Hotel, das sie auf Teneriffa geerbt hat, nicht mehr alleine da, zweitens ist Mateo der Mann ihrer Träume. Aber darf sie ihm vertrauen?

EIN TANZ MIT DIR, EINE REISE INS GLÜCK von LOGAN, NIKKI
Auf der Suche nach ihrem Vater landet Ellie in Larkville, Texas. Für die Ex-Ballerina ein Balance-Akt. Nicht nur, weil sie alles hinter sich lässt, sondern auch, weil sie sich in Jed Jackson verliebt. Denn als Ellie ihm sagt, wer sie ist, will er plötzlich nichts mehr von ihr wissen …

LIEBESURLAUB IN DER KARIBIK von MARTON, SANDRA
Seine Augen hypnotisieren sie, sein Mund verspricht den Himmel auf Erden: Rettungslos verliebt Isabella sich in den Mann, den sie für einen Angestellten des Milliardärs Rio D‘Aquila hält. Doch nach einem Liebesurlaub in der Karibik fragt sie sich: Wer ist mein Liebhaber wirklich?

CHAOS, KINDER, SEHNSUCHTSKÜSSE von COLTER, CARA
Kinder? Nein danke! Daniel Riverton ist überzeugter Single. Daher denkt der Womanizer natürlich nur an einen Flirt, als er seiner bezaubernden Nachbarin Trixie zur Hilfe eilt. Doch statt Küssen erwarten ihn Kinderlärm und Chaos! Aber warum fühlt sich das plötzlich so richtig an?


  • Erscheinungstag 19.03.2019
  • Bandnummer 0079
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744779
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Callahan, Nikki Logan, Sandra Marton, Cara Colter

ROMANA EXTRA BAND 79

NANCY CALLAHAN

Wenn das Meer von dir erzählt

Als Mateo am Strand der schönen, idealistischen Hope begegnet, fühlt er plötzlich so viel! Doch das darf nicht sein, denn er plant, ihr kleines idyllisches Hotel für ein Luxusresort abzureißen …

NIKKI LOGAN

Ein Tanz mit dir, eine Reise ins Glück

Deputy Jed Jackson ist über die Ankunft von Ellie in Larkville nicht begeistert. Für ihn ist sie eine verwöhnte Großstadtprinzessin, die nur für Unruhe sorgt. Aber warum führt er sie dann zum Tanzen aus?

SANDRA MARTON

Liebesurlaub in der Karibik

Selfmade-Milliardär Rio D‘Aquila hält sich für wunschlos glücklich. Bis eine wunderschöne Frau sein Anwesen betritt, die ihn mit einem bezaubernden Lächeln ahnen lässt, was ihm fehlt …

CARA COLTER

Chaos, Kinder, Sehnsuchtsküsse

Ihre Nichten machen Trixie das Leben zur Hölle. Als ausgerechnet ihr smarter Nachbar Daniel die Racker bändigen will, hält sie das für einen Scherz. Doch sein Charme zähmt noch jemand ganz anderen …

1. KAPITEL

Verkaufen und nach England zurückkehren oder hierbleiben und die Herausforderung annehmen? Das fragte Hope sich mindestens zum hundertsten Mal, während sie am schwarzen Strand entlangging.

Eigentlich hätte sie im Hotel bleiben müssen. Es gab so viel zu tun – egal, wie sie sich entscheiden würde. Doch sie hatte beschlossen, den Nachmittag frei zu machen und erst am nächsten Tag die To-do-Liste in Angriff zu nehmen. Sie brauchte diese Auszeit dringend. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn sie nicht verrückt werden wollte, brauchte sie dringend Luft und etwas Bewegung am Meer. Sie hoffte damit ihren Kopf frei zu bekommen. Nur wenn sie klar denken konnte und das Wirrwarr ihrer Gedanken sich sortiert hatte, könnte sie sich festlegen. Dessen war sie sich sicher.

Sobald sie wusste, was sie wollte, könnte sie auch mit vollem Einsatz mit der Arbeit beginnen. Entweder müsste sie sich dann um den Verkauf des Hotels kümmern oder darum, das Haus schnellstmöglich wieder zu eröffnen und mit neuem Leben zu füllen. Hope spürte die starke Tendenz in diese Richtung, doch die Aufgabe, die dann auf sie wartete, machte ihr auch Angst. Konnte sie das wirklich bewältigen? Sie, als junge Frau allein auf einer fremden Insel? Hatte sie genug gastronomische Erfahrung, um ein Hotel zu betreiben; oder war sie verrückt? Überschätzte sie sich und ihre Fähigkeiten vielleicht? Kochen wäre kein Problem, das machte ihr keine Sorgen. Sie würde die Gäste mit großer Freude kulinarisch verwöhnen. Hier auf der Insel gab es eine Fülle an frischen Produkten, es wäre sicher ein Fest, neue Gerichte zu entwickeln. Aber um ein Haus erfolgreich zu führen, brauchte es deutlich mehr, als nur einen guten Geschmack und einen geschickten Kochlöffel.

Doch was hatte sie zu verlieren? In London gab es nichts, was sie hielt. Ihre kleine Wohnung hatte sie aufgegeben, als Tante Lizzy schwer erkrankt war und ihre Hilfe brauchte. Freunde hatte sie kaum, nur ihre Freundin Sarah, aber die war mit ihrem Mann nach Südafrika ausgewandert. Hope müsste in England komplett neu anfangen. Hier hatte sie zumindest das Hotel, auch wenn einiges getan werden musste, um es wieder zum Laufen zu bringen. Abgesehen von all diesen rationalen Erwägungen, war die Casa Lizzy alles, was ihr an Erinnerungen geblieben war.

Hope liebte dieses kleine, etwas angestaubte Boutique-Hotel. Sie liebte Teneriffa und das Städtchen Santa Maria del Mar. Das Wetter war viel angenehmer als im verregneten und oft nebeligen London. Die Menschen begegneten einander mit einer offenen Freundlichkeit, die sie immer wieder begeisterte. Hope vermutete, dass diese Offenheit mit dem Klima zu tun hatte. Hier musste sich niemand vor der Kälte verstecken, in den Mantel kriechen und das Gesicht mit einem Schal schützen. Und Teneriffas Natur war einfach atemberaubend. Wenn sie erst hier lebte, würde sie die Insel Stück für Stück erkunden. Sie wollte die Orte wiederentdecken, die in ihrer Erinnerung aus der Kindheit einen besonderen Zauber hatten. Ob sie das heute als Erwachsene noch genauso empfinden würde? Sie war gespannt. Nach allem, was sie aus Erzählungen der Hotelgäste kannte oder in Reiseberichten gelesen hatte, hatte die Insel wohl nichts von ihrem natürlichen Charme verloren. Die Vorfreude auf kommende Inselabenteuer kribbelte in ihr.

Sie schüttelte den Kopf. Nein. Eine Rückkehr in ihr altes Leben kam nicht infrage. Plötzlich waren alle Zweifel weggewischt. Die Entscheidung war längst gefallen. Sie hatte bislang nur nicht den Mut gehabt, sich das einzugestehen. Hier auf Teneriffa würde sie ihre neue Heimat haben. Davonlaufen war keine Option. Sie würde das Erbe ihrer Tante annehmen und in Ehren halten. Nicht nur weil sie das Gefühl hatte, es Lizzy schuldig zu sein, sondern auch, weil ihr Herz das wollte. Mit jedem Schritt am Wasser entlang wurde ihr das klarer.

„Hoppla! Lo siento, Señora, lo siento mucho.“

Die Hände eines fremden Mannes, mit dem Hope beinahe zusammengestoßen war, legten sich fest um ihre Oberarme, um sie vor einem Sturz zu bewahren.

Verwirrt blickte sie auf, der Vorhang ihrer Gedanken zerriss.

„Entschuldigung!“, sagte sie automatisch und bemühte sich, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. „Es tut mir auch leid, ich war so in Gedanken, ich hab Sie gar nicht bemerkt.“

Ihr Blick verfing sich in seinem. Die dunkelbraunen Augen nahmen sie einen Moment gefangen, es kostete Hope Kraft, sich davon zu lösen.

„Haben Sie sich weh getan?“, fragte die Stimme, die warm wie ein sanfter Südwind über Hope hinwegstrich. Vorsichtig ließ der Mann sie los, und da wo Hope eben noch seine Hände gespürt hatte, fühlte es sich plötzlich kalt an.

Es war schön gewesen, für diesen kurzen Moment gehalten zu werden. Besonders jetzt, wo sie sich so verloren und hilflos fühlte. Sie atmete durch, schenkte dem Mann ein herzliches Lächeln und schüttelte den Kopf.

„Nein, nichts passiert. Es ist alles in Ordnung. Vielen Dank, dass Sie mich gehalten haben. Ich werde jetzt besser aufpassen. Schluss mit der Tagträumerei.“ Den letzten Satz sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Gegenüber.

Sie nickte höflich und wollte weitergehen.

Doch anders als erwartet machte der Mann nicht den Weg frei, um sie vorbeizulassen. Im Gegenteil.

„Ich bin froh, dass Sie sich nichts getan haben.“ Er betrachtete sie, und sein Blick schien bis in ihr Inneres zu dringen.

Hope war es gewohnt, dass sie mit ihren blonden langen Locken, den blauen Augen und ihrer zarten Figur die Aufmerksamkeit der einheimischen Männer erregte. Doch die Art, wie ihr Gegenüber sie betrachtete, machte sie unsicher. Sie konnte es nicht genau benennen, aber dieser Mann war anders als diejenigen, die sie üblicherweise mit vermeintlichen Komplimenten überschütteten. Sprüche wie der vom goldenen Engel, der gerade vom Himmel gefallen war, konnte sie meistens freundlich weglachen. Aber der Mann zeigte sich nur fürsorglich, es wäre unhöflich, das so locker abzustreifen.

Während sie noch überlegte, was er wohl wollte und wie sie am besten reagieren sollte, betrachtete Hope den Fremden. Was sie sah, gefiel ihr ausgesprochen gut. Der dunkle Teint betonte seine markanten Gesichtszüge. Er wirkte stolz und selbstbewusst. In seinem Blick lag eine Kraft, die sie beeindruckte.

„Also dann, nochmals vielen Dank. Und auf Wiedersehen“, startete Hope den nächsten Versuch, aus der Situation rauszukommen.

Sie lächelte ihn ein letztes Mal an und ging dann um ihn herum, um ihren Weg fortzusetzen. Nach zwei Schritten wandte sie den Kopf nach hinten. War er stehen geblieben und sah ihr nach, oder war er weitergegangen? Oder verfolgte er sie gar? Vorwärts gehen und rückwärts sehen war keine sehr clevere Idee. Hope machte einen unachtsamen Schritt und stolperte über einen Stein.

Es ging alles so schnell, dass sie kaum Zeit hatte, sich zu erschrecken. Schon im nächsten Moment lag sie in den Armen des Fremden.

„Die herumliegenden Steine sind tückisch. Darf ich Sie ein Stück begleiten?“, fragte er und hielt sie immer noch fest. „Nur zur Sicherheit.“

„Entschuldigung. Ich bin sonst nicht so tollpatschig.“ Hope lachte verlegen. Sie wusste nicht, wie sie auf seine Frage reagieren sollte.

„Bitte!“, setzte er hinzu, als er merkte, dass sie unentschlossen war. „Ich wollte sowieso ein wenig am Strand entlanggehen. Lassen Sie mich Ihr Begleiter sein.“

Inzwischen stand Hope wieder sicher auf ihren Füßen, und er hatte die Umarmung gelöst. Jetzt bot der Fremde ihr seinen Arm, und bevor ihr Verstand einsetzen konnte, hatte sie sich auch schon untergehakt.

„Gern“, sagte sie.

Gleichzeitig staunte sie über sich selbst. Sie war eigentlich niemand, der so schnell Nähe zuließ. Aber es fühlte sich gut an, und vielleicht würde seine Gesellschaft ihr helfen, mit den Grübeleien aufzuhören. Die Entscheidung war gefallen, alles andere würde die Zeit bringen. Sie sollte lieber den Nachmittag genießen und Kraft tanken, anstatt sich immer neue Szenarien auszumalen. Alles zu seiner Zeit. Das Schicksal ließ sich nicht zwingen.

Und so marschierten sie los. Ihre Schritte fanden ganz von alleine einen gemeinsamen Rhythmus.

„Ich heiße übrigens Mateo Delgado. Ist es in Ordnung, wenn wir uns duzen?“, fragte er. In seinen Augen blitzte es schelmisch auf. „Immerhin habe ich dich schon zweimal gerettet.“ Er grinste sie an.

„Einmal beinahe umgerannt und zweimal gerettet, um genau zu sein“, korrigierte sie ihn und gab sein Grinsen zurück. „Ich bin Hope Reynolds“, sagte sie dann. „Das Du ist mir sehr willkommen.“

Nach einer kurzen Pause fragte er: „Machst du Urlaub auf Teneriffa, Hope?“

Sie seufzte. „Urlaub, ach das wäre schön. Nein. Ich …“ Sie stockte. So konkret hatte sie ihr Dasein auf der Insel noch nie benannt. Bislang war sie immer zu Besuch hier gewesen, aber nicht als Urlauberin, sondern um Tante Lizzy zu helfen. Und jetzt? „Ich lebe hier“, sagte sie und spürte ein sachtes Bauchflattern, als sie dem Satz nachlauschte.

Ja, sie lebte nun hier. Sie hatte sich entschieden.

„Oh, das ist ja wunderbar. Seit wann? Bist du ausgewandert? Was …“ Er stoppte vor der nächsten Frage und lachte ein lautes herzliches Lachen, das ihr auf der Haut kribbelte. „Entschuldige, Hope. Ich bin entsetzlich neugierig und damit reichlich unhöflich. Ich wollte dich nicht mit Fragen überschütten.“

Normalerweise reagierte Hope abweisend, wenn jemand zu neugierig war. Sie mochte es nicht, wenn Fremde ihr uneingeladen zu nahe kamen. Weder körperlich noch emotional. Doch Mateo wirkte überhaupt nicht wie ein Fremder. Sie hatte ein Gefühl von Vertrautheit, als würde sie ihn schon lange kennen.

„Kein Problem. Die Kurzfassung: Ich habe das Hotel meiner Tante geerbt und eben beschlossen, das Erbe anzunehmen und das Haus in ihrem Sinne weiterzuführen. Seit heute bin ich nicht mehr Besucherin, sondern Neuinsulanerin.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte Mateo nun in ernstem Ton.

Irritiert runzelte Hope die Stirn.

Gerade noch schien er doch sehr begeistert zu sein von der Vorstellung, dass sie auf der Insel lebte. Und nur Sekunden später bedauerte er das? Sie löste ihre Hand von seinem Arm. Sie brauchte keinen Halt von jemandem, der ihren Zuzug bedauerte.

„Ich hoffe, sie konnte friedlich einschlafen.“ Mateo berührte Hope tröstend an der Schulter. „Kein Wunder, dass du durcheinander bist und schneller als sonst stolperst. Es ist immer schwer, einen lieben Menschen zu verlieren.“

Erst jetzt verstand Hope, wovon er sprach, und sie schämte sich, weil sie gedanklich so sehr um sich selbst kreiste, dass sie dachte, er spräche von ihr. Und natürlich hatte er absolut recht. Lizzys Tod schmerzte, und sie vermisste ihre wunderbare Tante sehr. Ihr Lachen, ihre herzliche Art. Einfach alles. Wie viel schöner wäre es, wenn sie noch da wäre.

„Ja, sie ist friedlich eingeschlafen, und ich war bis zuletzt bei ihr. Sie fehlt mir sehr.“ Die Bilder, die sich durch ihre Zukunftsüberlegungen etwas in den Hintergrund geschoben hatten, ploppten nun wieder auf. Die letzten Wochen mit Tante Lizzy. Der Abschied.

Hope spürte, wie die Trauer ihr den Hals zuschnürte und Tränen in ihre Augen traten. Sie atmete energisch dagegen an.

„Tante Lizzy war ein wunderbarer Mensch! Ich werde ihr Hotel so weiterführen, wie sie es sich gewünscht hat. Ich weiß, dass sie das mitbekommt, wo auch immer sie jetzt ist. Sie wird sich freuen. Und dieses Wissen tut mir gut und gibt mir Kraft.“

Eine etwas stärkere Welle schlug auf den Strand auf, die Gischt sprühte bis zu Hopes Füßen. Fast schien es, als wolle das Wasser ihr zustimmen.

„Warst du schon oft auf Teneriffa? Kennst du dich hier aus?“

Wie einfühlsam er war. Hope freute sich, dass er sacht die Gesprächsrichtung änderte, um sie von den traurigen Gedanken abzulenken. Zumindest vermutete sie, dass dies der Grund war.

„Als Kind war ich oft mit meinen Eltern hier. Dann lange Zeit nicht mehr. Erst in den letzten Jahren hatte ich einige Male die Möglichkeit, meine Tante zu besuchen. Aber ich muss gestehen, wir hatten immer viel zu tun, wenn ich da war. Zeit, die Insel zu erkunden, hatte ich bislang nicht. Ich hoffe, das wird sich ändern.“

„Genau, das muss es auch!“, sagte Mateo mit dem Brustton der Überzeugung. Er war stehen geblieben und schüttelte energisch den Kopf. „Du kannst doch nicht auf die Insel ziehen, ohne deine neue Heimat zu kennen.“ Er überlegte einen Moment, blickte auf seine Uhr. Dann sagte er: „Ich habe eine Idee. Hast du Lust, mit mir zusammen zur Westküste zu fahren? Ich verspreche dir den schönsten Sonnenuntergang, den du je erlebt hast. Wenn wir jetzt losfahren, schaffen wir es rechtzeitig. Was ist? Lust auf ein Abenteuer?“

„Aber …“ Hope überlegte. Sie kannte ihn doch gar nicht. Wie sollte sie einfach mit einem Fremden mitgehen? Wie kam er überhaupt dazu, sie zu solch einer Tour einzuladen? Machte er sich etwa Hoffnungen? Das konnte er gleich wieder vergessen. Sie hatte kein Interesse an einem amourösen Abenteuer, ihr Leben war auch ohne Liebeskummer schwierig genug. Sie war heilfroh, dass sie Mark und das dramatische Ende ihrer Beziehung hinter sich gelassen hatte. Die Wunden von damals waren verheilt, aber die Narben blieben.

Sie musterte ihren Begleiter noch einmal aufmerksam. Am Arm trug er eine teure Markenuhr. Die Jeans und das Hemd waren Designerstücke, das war deutlich zu erkennen. Und auch der Rest seiner Erscheinung wirkte edel und teuer. Schuhe, Gürtel, Jacke – alles war aufeinander abgestimmt. Obwohl Mateo leger gekleidet war, strahlte er eine gewisse Eleganz aus.

Gut. Zumindest machte er nicht den Eindruck eines Straßenräubers. Und bei seinem Aussehen hatte er es sicher auch nicht nötig, Frauen am Strand aufzusammeln und unter einem Vorwand zu entführen. Solange er sich keine falschen Hoffnungen machte – näher kennenlernen, also rein platonisch und ohne Gefühlswirrungen, konnte ja nicht schaden, oder? Sie musste sich ohnehin einen Bekanntenkreis aufbauen, wenn sie hier auf Teneriffa sesshaft werden wollte.

„Komm, gib dir einen Ruck“, versuchte Mateo sie zu einem Ja zu überreden. „Ich werde dich ganz bestimmt unversehrt wieder nach Hause bringen, das verspreche ich.“

Er hatte recht. Wieso auch nicht? Sie hatte heute nichts Besonderes mehr vor. Um mit den Plänen für den Umbau zu beginnen, brauchte sie einen freien Kopf. Um den zu bekommen, war sie ja an den Strand gegangen. Wieso also nicht ein bisschen Heimatkunde? Noch dazu in so angenehmer Gesellschaft.

„Also gut. Überredet. Wohin fahren wir denn?“

Mateo wandte den Kopf etwas zur Seite und bewunderte Hopes zartes Gesicht. Der Fahrtwind hatte einen Hauch Rosa auf ihre Wangen gelegt. Einige blonde Strähnen hatten sich aus dem Tuch gelöst, das sie sich umgebunden hatte. Mit einer Engelsgeduld fing sie die Haare immer wieder ein und schob sie sich hinters Ohr zurück, nur damit sie sich in der nächsten Sekunde wieder frei zerren konnten, um ihr erneut über das Gesicht zu flattern.

„Wenn es zu windig ist, kann ich das Verdeck auch schließen“, sagte Mateo. Er wollte schließlich nicht, dass Hope sich seinetwegen erkältete.

„Untersteh dich!“, widersprach sie vehement. „Ich habe seit meiner Jugend von einem zitronengelben Cabrio geträumt. Du ahnst ja nicht, was für eine Freude du mir gerade machst. Ich genieße die Fahrt!“ Um ihre Worte zu unterstreichen, hob Hope beide Hände in den Wind und stieß einen Freudenruf aus.

Unwillkürlich lächelte Mateo. Was für ein bezauberndes Wesen diese Hope Reynolds doch war. Wie schade, dachte er und seufzte. Schlecht gelaunt und hässlich wäre ihm eindeutig lieber gewesen, dann wäre es ihm sehr viel leichter gefallen, zu tun, was er tun musste.

Ursprünglich war er an diesem Nachmittag zu ihrem Hotel gefahren. Er hatte mit ihr sprechen wollen, um ihr ein Angebot zu machen. Doch als er ankam, hatte sie gerade das Haus verlassen. Mateo konnte nicht genau sagen warum, doch statt sie anzusprechen, hatte er sie heimlich beobachtet. Er war ihr bis zum Strand nachgegangen.

Was für eine Schönheit sie war! Als wäre sie aus seinen Träumen gestiegen.

Beine bis in den Himmel, die in ihren Jeansshorts besonders gut zur Geltung kamen. Das cremeweiße Oberteil mit Spitzeneinfassung endete kurz über dem Hosenbund, gerade so, dass bei manchen Bewegungen etwas Haut hervorblitzte.

Hope Reynolds – er hatte ihren Namen natürlich recherchiert – hatte Locken wie ein blonder Engel und eine tolle Figur. Kein Wunder, dass sämtliche Männer und sogar einige Frauen ihr hinterherstarrten. Was ihn allerdings überraschte, war die Tatsache, dass sie von der Aufmerksamkeit, die sie erregte, gar nichts mitzubekommen schien.

Gedankenverloren ging sie über den Strand bis hin zur Wasserlinie. Dort zog sie ihre Sandalen aus und steckte sie in die bunte Häkeltasche, die sie locker über der Schulter trug. Diese Natürlichkeit berührte Mateo mehr als jede perfekt gestylte Frau, die sich bewusst in Szene setzte.

Neben all der Schönheit erkannte Mateo auch eine große Traurigkeit, die die junge Frau wie eine Wolke umhüllte. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Das wunderte ihn nicht, immerhin hatte sie vor kurzer Zeit ihre Tante verloren.

Aus einem Impuls heraus hatte er beschlossen, sie erst einmal kennenzulernen, bevor er mit der Tür ins Haus fiel. Vielleicht ergab sich auch alles von selbst? Und falls nicht konnte er als unbelasteter Fremder immer noch ein wenig nachhelfen, damit sie eine Entscheidung traf, die den Expansionsplänen der Familie Delgado entsprach.

Diese Hoffnung hatte sich zwischenzeitlich zerschlagen. Hope schien fest entschlossen zu sein, auf Teneriffa zu bleiben und das Hotel zu behalten. Verdammt! Die Angelegenheit entwickelte sich nicht so, wie er sich das ausgemalt hatte.

Trotzdem brachte er es nicht über sich, zur Sache zu kommen, ein Angebot zu machen und die Engländerin zum Verkauf zu drängen. Er brauchte einen anderen Plan. Er wollte etwas Zeit mit ihr verbringen und rausfinden, wo er ansetzen könnte. Sie sollte von sich aus zu dem Entschluss kommen, das Hotel zu verkaufen. Das wäre für alle Beteiligten die beste Lösung. Und garantiert sehr viel billiger für ihn und seine Familie.

„Verrätst du mir jetzt, wo wir hinfahren?“ Hope riss Mateo mit ihrer Frage aus seinen Grübeleien. Sie hatten Puerto de la Cruz hinter sich gelassen und fuhren in westlicher Richtung die Küstenstraße entlang.

„Neugierig?“, fragte Mateo.

Entgegen aller Vernunft machte es ihm unglaublich Spaß, mit Hope an seiner Seite die Insel zu erkunden. Er genoss die Zeit, und das war nicht gut. Gar nicht gut. Sein Vater würde toben, wenn er das wüsste.

Energisch schob Mateo diesen Gedanken beiseite. Sie hatte so viel mitgemacht, er sah die Schatten der Müdigkeit auf ihrem Gesicht. Sie hatte es verdient, ein paar schöne Stunden zu erleben. Das würde ihr guttun.

Irgendwann wäre es so weit, dann würde er ihr klarmachen, dass sie nicht auf der Insel bleiben konnte. Zumindest nicht in ihrem Hotel.

„Nur Geduld. Wir sind bald da! Vorher machen wir noch einen kurzen Zwischenstopp. Ich möchte dir eines unserer Wahrzeichen zeigen: den Drachenbaum in Icod de los Vinos.“

„Wie schön! Von dem habe ich schon gehört.“ In Hopes Augen leuchtete die Vorfreude. Das Glitzern ließ Mateo ahnen, was für eine strahlende Frau in ihr steckte, wenn sie erst einmal die Trauer um ihre Tante überwunden hatte. Vermutlich drückte auch die Last des Neubeginns auf sie. Vielleicht war sie sogar froh, wenn ihr das abgenommen wurde? Es war nur ein kurzer Gedanke, den er sofort wieder wegschob. Jetzt wollte er sich auf die paar unbeschwerten gemeinsamen Stunden konzentrieren, ohne strategische Überlegungen. Er parkte und führte Hope zum ersten Ziel ihres Ausflugs.

„Angeblich soll der Baum über tausend Jahre alt sein, erzählt man sich. Die Botaniker schätzen ihn aber nur auf fünf- bis sechshundert.“

„Was auch ein beeindruckendes Alter ist“, hauchte Hope. Sie stand vor dem Baum, die Hände auf den Stamm gelegt und den Kopf im Nacken. „Unglaublich, wie groß und mächtig er ist.“

„Sechs Meter Stammumfang und ungefähr siebzehn Meter ist er hoch. Sein Blut soll heilende Wirkung haben. Die Ureinwohner Teneriffas, die Guanchen, haben ihn als heiligen Baum verehrt.“

„Blut?“, fragte Hope.

„Der Pflanzensaft verfärbt sich blutrot, wenn er mit Luft in Berührung kommt“, erklärte Mateo. Er genoss es, Hope seine Insel zu zeigen, sein Wissen mit ihr zu teilen. Ihm wurde bewusst, dass er die Insel plötzlich wieder mit anderen Augen sah. Im Alltag gingen diese Kostbarkeiten, die es hier in Fülle gab, doch viel zu oft unter.

Und so wie Hope nun über den Stamm tastete, sich auf den Baum und die Geschichte einließ, erkannte er, dass sie solche Momente zu schätzen wusste. Das machte es noch viel wertvoller.

„Wollen wir weiter?“, fragte Mateo mit Blick zum Himmel. „Wir wollen ja nicht erst ankommen, wenn die Sonne bereits gesunken ist.“

„Dieser Baum ist fantastisch. Es fühlt sich toll an, so nah bei diesem Naturwunder zu stehen. Es ist, als würde er mir etwas von seiner Kraft und Weisheit abgeben.“

„Ja, das wird ihm tatsächlich nachgesagt.“

„Hier muss ich wieder hin. Ich glaube, das wird einer meiner Lieblingsplätze.“

Mateo lachte.

„Dann war es ja die richtige Entscheidung, dich hier hinzubringen. Und jetzt auf! Lass uns weiterfahren.“

Als sie wieder im Wagen saßen und der Fahrtwind das Spiel mit Hopes Locken wieder aufgenommen hatte, war sie noch immer vollkommen von der Begegnung mit dem Drachenbaum gefangen. Sie wurde nicht müde, immer wieder zu sagen, wie beeindruckend sie es fand.

Es war viel zu lange her, dass Mateo einfach mal drauflosgefahren war. Er beschloss, das Geschäftliche, das sich immer wieder versuchte, in sein Bewusstsein zu drängen, endgültig beiseitezuschieben und auch sich selbst diese kleine Auszeit zu schenken.

2. KAPITEL

„Ist das schön hier!“ Hope stand am Rand der Punta de Teno und konnte ihr Glück kaum fassen.

Auf dem Weg hierhin war ihr alles andere als wohl gewesen. Nachdem sie Buenavista del Norte verlassen hatten, war die Straße immer enger und zwischendurch auch durchaus holprig geworden. Der Weg führte durch einen dunklen Tunnel und vorbei an den Felsen des Tenogebirges. Wo wollte Mateo mit ihr hin? Hatte sie einen Fehler gemacht, einem Fremden einfach so zu vertrauen?

Doch nachdem er den Wagen auf dem kleinen Parkplatz abgestellt hatte, wurde Hope klar, dass er nicht zu viel versprochen hatte. Sie gingen über einen schmalen Holzsteg am Leuchtturm vorbei auf die natürliche Plattform.

„Der Leuchtturm heißt Faro de Teno“, erklärte Mateo. Während sie weitergingen, machte er sie auf die Besonderheiten aufmerksam, die dieser Flecken Erde zu bieten hatte. Er hatte sichtlich Spaß daran, ihr persönlicher Reiseführer zu sein. Voller Stolz auf seine Insel zeigte er ihr einen Felsen mit einer außergewöhnlichen Form und Pflanzen, die zwischen den Steinen wuchsen. „Die Punta de Teno ist durch Lava entstanden, die hier ins Meer floss, langsam erkaltete und schließlich erstarrte. Diese Plattform ist ein Geschenk des Vulkans. Sieh dir nur diese Aussicht an!“ Sein Arm schweifte einmal von links nach rechts über das gesamte Panorama. Dann blieb er ausgestreckt in der Luft stehen. Mateo zeigte auf ein Stück Land, das etwas weiter entfernt im Meer auftauchte. „Das da drüben ist La Gomera. Und dort, etwas weiter weg, siehst du La Palma.“

Wie so oft in letzter Zeit, spürte Hope, dass ihr wieder Tränen in die Augen stiegen. Doch dieses Mal waren es Tränen des Glücks und der Dankbarkeit. Die Schönheit dieses Ortes mit dem Ausblick auf das Meer war atemberaubend. Sie wusste gar nicht, was sie zuerst bewundern sollte. Und plötzlich kam eine Erinnerung in ihr hoch. Sie war schon einmal hier gewesen. Vor zwanzig Jahren etwa, sie musste so fünf oder sechs gewesen sein. Damals – als ihre Welt noch heil war und das Leben wie ein gerade begonnenes Gemälde vor ihr gelegen hatte.

So viel hatte sich verändert seit damals. Die Menschen, die ihr wichtig gewesen waren, gab es nicht mehr. Ihre Eltern waren viel zu früh gestorben und nun auch Tante Lizzy. Vertrauen, das sie geschenkt hatte, war enttäuscht worden. Ein Gefühl, von dem sie dachte, es sei Liebe, war mit Füßen getreten worden. Heute war ihr klar, dass es keine Liebe gewesen sein konnte. Verliebtheit vielleicht. Kribbeln. Hoffnung. Aber nicht diese Liebe, die sie sich wünschte. Nicht dieses allmächtige Gefühl, dieses Wissen, dass es genau dieser eine Mensch ist und sonst keiner. Im Nachhinein konnte sie froh sein über die Entwicklung. Die Erinnerung und das Echo des Schmerzes waren aber noch deutlich in ihr.

Jetzt war sie auf sich alleine gestellt. Die Träume, die sie als Kind gehabt hatte, waren nicht in Erfüllung gegangen. Dafür waren über die Jahre neue Träume gewachsen.

Ja, dachte Hope, das Leben liegt immer noch vor mir. An dem Gemälde hat das Leben weitergemalt, aber noch immer liegt es in meiner Hand, was ich daraus mache. Sie war dankbar für die Zeit, die sie erleben durfte, und spürte gleichzeitig ein Kribbeln, wenn sie daran dachte, was die nächsten Monate wohl bringen würden. Wie würden sich die Weichen für ihre Zukunft hier auf Teneriffa stellen?

Sie fühlte sich bereit. Die Tränen waren wie eine Befreiung.

Das Taschentuch, das Mateo ihr reichte, nahm sie mit einem entschuldigenden Lächeln an. „Danke. Tut mir leid. Es ist nur so …“ Ihr fiel kein passendes Wort ein, das erklärte was sie bewegte. Für die Größe dieses Augenblicks gab es keinen Ausdruck.

„Komm, wir klettern dort rüber. Ein kleines Stück nur, dann kommt eine kleine Badebucht. Dort können wir uns in den Sand setzen und der Sonne zusehen, wie sie sich für heute verabschiedet und ins Meer eintaucht. Es wird der beste Sonnenuntergang, den du dir vorstellen kannst. Das verspreche ich dir!“

Wieder beeindruckte Mateo sie mit seiner einfühlsamen Art. Er drängte sie nicht, ihm etwas zu sagen. Er gab ihr nicht das Gefühl, dass sie ihm eine Erklärung schuldig wäre. Er war einfach da und ließ ihr den Raum, den sie benötigte. Dich hat mir der Himmel geschickt, dachte sie. Ob Lizzy da ihre Hände im Spiel hatte?

Inzwischen hatte Hope keinerlei Bedenken mehr. Der voreilige Schluss, dass Mateo irgendetwas Unredliches im Sinn haben könnte, war ihr jetzt fast peinlich. So viel Misstrauen hatte dieser freundliche und rücksichtsvolle Mensch nicht verdient. Sie genoss seine Gegenwart von Sekunde zu Sekunde mehr. Als er ihr seine Hand bot, damit sie sicher über die Felsen balancieren konnte, nahm sie die Hilfestellung, ohne zu zögern, an. Kurz darauf saßen sie Seite an Seite am menschenleeren Strand. Der schwarze Sand hatte die Wärme des Tages gespeichert. Die Wellen rollten im gleichbleibenden Rhythmus heran, brachen vor dem Strand und liefen dort aus. Das Wasser schwappte und platschte leise, als wolle es eine Geschichte erzählen. Die Wasseroberfläche glitzerte und funkelte im Licht der jetzt schon sehr tief stehenden Sonne.

Hope nahm sich Zeit. Sie genoss den Augenblick mit allen Sinnen. Sie hörte dem Meer zu, reckte den Kopf in den frischen Abendwind und schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Sie spürte die Sandkörner unter ihren Händen und versuchte all das Schöne, das sich vor ihr ausbreitete, mit ihrem Blick einzufangen.

„Wunderschön“, sagte sie leise. „Danke!“

„Dann bereust du es nicht, dass du dich hast von mir entführen lassen?“, fragte Mateo und grinste sie wieder mit dieser feinen Schalkhaftigkeit an, die ihr am Strand von Santa Maria del Mar schon aufgefallen war. Wenn er so verschmitzt lächelte, wirkte er unbeschwert, locker-leicht und lebensfroh. Unwillkürlich löste sich ein Seufzer aus ihrer Kehle. Wie lange war es her, dass sie sich locker-leicht gefühlt hatte? Soweit sie sich zurückerinnerte, hatte das Leben ihr immer alles abverlangt. Für ausgelassene Lebensfreude war nicht viel Raum geblieben. Vielleicht lag es aber auch an ihrem Charakter? Sie war von jeher eher ernsthaft und vernünftig gewesen.

In Marks Augen war sie stinklangweilig. Zumindest hatte er ihr das an den Kopf geworfen, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hatte, weil er Geld aus der Haushaltskasse entwendet hatte.

Hope versuchte sofort, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Sie wollte jetzt nicht an Mark denken und an die Enttäuschung, die er ihr bereitet hatte. Schluss damit! Nicht jetzt. Nicht hier, an diesem wunderschönen Ort und in Begleitung dieses tollen Mannes.

Mark war auch toll, als du ihn kennengelernt hast, flüsterte ihre innere Stimme. Doch Hope wollte das nicht hören.

„Lebst du schon immer auf Teneriffa?“, fragte sie Mateo und versuchte, sich mit einem Gespräch abzulenken. „Bist du hier geboren?“

Mateo lachte. „Oh ja! Ich bin hier geboren, genauso wie mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater. Weiter zurück habe ich die Familienchronik nicht verfolgt.“

„Und?“, fragte Hope weiter. Sie war neugierig, mehr über diesen Menschen zu erfahren, der spontan eine Fremde in sein Auto packte und mit ihr dem Sonnenuntergang entgegenfuhr. „Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor. Immer auf einer Insel. Wolltest du auch mal von hier weg? Oder hast du keine Sehnsucht nach der großen weiten Welt?“

Sie beobachtete Mateos Mienenspiel. Sie sah, wie sich ein Schleier über sein Gesicht legte. Die Leichtigkeit verflog, und Hope erhaschte einen Blick in eine Tiefe, die sie so nicht erwartet hatte. Unwillkürlich spürte sie, dass Mateos Leben auch nicht nur Lachen und Party gewesen war. Doch gleich darauf hatte Mateo den schweren Moment im Griff und die Tiefe wieder vor ihrem Einblick verschlossen. Er lächelte versonnen, schaute verträumt auf das Meer hinaus, bevor er antwortete.

„Doch. Durchaus“, sagte er, und Hope hörte an der Art, wie er sprach, dass er mit seinen Gedanken weit weg war. „Ich bin hinausgezogen in die weite Welt, wie du es nennst. Ich habe mir einiges angesehen. Aber nicht, weil ich unbedingt von hier wegwollte. Es ging mir darum, selbst bestimmen und frei entscheiden zu dürfen, wo ich leben will. Das war mir wichtig. Ein halbes Jahr war ich als Austauschschüler in New York. Nach der Schule bin ich zwei Monate mit dem Rucksack durch Australien gezogen. Ich habe mir England, Irland und Italien angesehen und war natürlich auch auf dem spanischen Festland. Aber es hat mich immer wieder nach Hause gezogen. Hier sind meine Wurzeln. Ich glaube nicht, dass ich auf Dauer an einem anderen Ort mein Glück finden könnte. Trotzdem war es wichtig für mich, es auszuprobieren.“

Hope beobachtete ihn, während er von seinen Auslandsstationen erzählte und kleine Reiseanekdoten zum Besten gab. Es war schön, mit welcher Leidenschaft er sprach. Er konnte sehr anschaulich berichten. Sie lachte über die Geschichte von einem Känguru, das sich offensichtlich in ihn verliebt hatte. Es war ihm stundenlang hinterhergehüpft und wollte mit ihm kuscheln. Erst als er in den Jeep gesprungen und mit Vollgas davongebraust war, hatte er es abhängen können. Der Farmer, dem er ein paar Tage aushalf, wunderte sich nicht. Das Känguru war in der Gegend bekannt, es stürzte sich auf jeden Menschen, der in seine Nähe kam. Woher diese Verhaltensauffälligkeit kam, konnte niemand sagen. Oder als er in Sydney die Orientierung verloren hatte. Er war in einem Viertel gelandet, vor dem in jedem Reiseführer gewarnt wurde. Doch statt Gefahr fand Mateo wundervolle Menschen, die ihn in ihr Haus einluden, die ihr Essen mit ihm teilten und ihn später sogar zu seinem Hotel brachten.

Hope genoss dieses wunderbar leichte Gefühl, das Mateo ihr vermittelte. Aus seinem Mund klang das Leben wie ein herrliches Abenteuer, das man tänzelnd nehmen konnte. Aus einem Impuls heraus hätte sie beinahe die Hand gehoben und sein Gesicht berührt. Seine Nähe fühlte sich vertraut an. Sie fragte sich, wie seine Lippen sich wohl anfühlten, bei einem Kuss. Energisch räusperte sie sich. Wo gingen ihre Gedanken da nur hin? Sie wunderte sich über sich selbst.

„Was für ein Glück, dass wir uns heute begegnet sind“, sagte sie schließlich. „Ich bin wirklich froh, dass ich dich beinahe umgerannt hätte. Sonst wäre mir all das hier entgangen.“

Er blickte sie nachdenklich an. Lange. Eindringlich. Doch er sagte nichts.

Und dann war für Worte ohnehin kein Raum mehr.

Der Moment war gekommen. Langsam, aber unaufhaltsam senkte die Sonne sich ins Meer. Das Schauspiel war atemberaubend. Die Farben spektakulär. Der Himmel zeigte ein Spektrum von gleißendem Weiß, über unterschiedlichste Rottöne bis hin zu tiefem Lila.

Noch nie hatte Hope einen derart ergreifenden Sonnenuntergang erlebt.

Es war ein Fehler! Mateo verfluchte sich selbst, dass er nicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt hatte. Er hätte ihr sagen müssen, wer er war. Was für eine verrückte Idee, sie erst näher kennenlernen zu wollen. Hatte er wirklich gedacht, dann wäre es einfacher? Wie sollte er dieser bezaubernden Frau nun eröffnen, worum es ihm wirklich ging?

Die Gedanken hämmerten derart in Mateos Kopf, dass er dachte, er würde zerspringen. Doch jetzt war nicht der richtige Moment, um die Wahrheit auszusprechen. Nicht ausgerechnet jetzt. Er spürte, wie dieser Engel neben ihm sich entspannte und Vertrauen fasste. Das konnte er nicht kaputt machen. Nicht jetzt.

Am liebsten nie, dachte er. Aber er ahnte, was für ein Sturm losbrechen würde, wenn er das seinem Vater sagen würde. Doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.

Hope hatte die Arme um ihre Knie geschlungen, den Kopf aufgelegt und träumte mit offenen Augen dem Sonnenuntergang entgegen. Dabei berührte sie ganz leicht sein aufgestelltes Bein. Ihre Nähe löste eine köstliche Unruhe in Mateo aus. Er lehnte sich etwas zurück und konnte sie so in aller Ruhe von hinten betrachten, während sie gebannt das Himmelsspektakel verfolgte.

Seine Hand hob sich wie von selbst und berührte die blonden Locken, die ihr auf den Rücken fielen. Er konnte nicht anders. Die Versuchung war größer als jeder vernünftige Gedanke. Die Haare fühlten sich ebenso seidig und wundervoll an, wie ihr Aussehen es versprach. Mateo sog tief die Luft ein, erhaschte Hopes feinen Duft. Sie roch nach einem Hauch Vanille. Ausgerechnet! Mateo liebte Vanille!

Mühsam zwang er seine Hand wieder in den Sand zurück, verlegte sich darauf, die wunderschöne Frau neben sich mit dem Blick abzutasten. Ihre Haut wirkte zart. Ob die Blässe wohl bald der Inselbräune weichen würde, oder gehörte sie zu dem Typ, der immer alabasterfarben blieb, egal wie oft er Sonne tankte?

Das anmutige Äußere passte perfekt zu der feinen Seele, die sie ihm in den vergangenen Stunden offenbart hatte.

Ihre leicht vorgebeugte Sitzposition entblößte einen Streifen zarter Haut zwischen dem leichten Oberteil und ihren Shorts. Mateo musste sich räuspern und tief durchatmen, denn er konnte sich kaum noch bremsen. Er wollte Hope berühren. Er wollte sie in seinem Arm halten. Ihren Körper nah an seinem fühlen. Ihren Duft inhalieren. Ihre Lippen schmecken.

Stopp!

„Hattest du in London besondere Lieblingsplätze?“, versuchte er, sich durch ein unverfängliches Gespräch abzulenken.

Einen kurzen Moment hob Hope ihren Kopf, dachte nach.

„Ja. Natürlich. Aber das ist gerade so weit weg. Mein Kopf ist voll mit Zukunftsmusik. Ich genieße es, über meine Pläne nachzudenken. Weißt du, ich glaube es ist wichtig, dass Teneriffa kleine feine Hotels behält. Ich weiß, mit dem Massentourismus ist mehr Geld zu verdienen. Und einfacher ist es allemal. Aber da will ich nicht hin. Ich möchte, dass die Menschen sich ein bisschen wie zu Hause fühlen. Die Gäste sollen ein Teil der Familie sein.“ Sie hielt inne, lachte und strich sich verlegen eine Locke hinters Ohr. „Das klingt reichlich pathetisch, nicht wahr? Aber vielleicht verstehst du, was ich meine.“

Mateo nickte langsam und nachdenklich.

„Ja, ich verstehe es und finde es gar nicht pathetisch. Es entspricht der herzlichen Art, die ich heute bei dir erleben durfte. Aber …“ Mateo überlegte sehr genau, was er sagen wollte. Hope wartete geduldig ab. Schließlich sagte er: „Es klingt wundervoll. Ein Hotel, das auch ein Zuhause ist. Gäste, die wie Familienmitglieder behandelt werden. Die in ruhiger und persönlicher Atmosphäre ihren Aufenthalt genießen dürfen. Aber hast du dir das wirklich gut überlegt? Menschlich ist das sicher perfekt, aber ein Hotel ist ja auch ein Wirtschaftsbetrieb. Hast du das gut durchkalkuliert? Eine derart persönliche Führung verursacht mehr Kosten und braucht sehr viel persönliches Engagement. Du wirst voll und ganz eingebunden sein. Und dein Profit wird nicht gerade berauschend sein, selbst wenn du gut wirtschaftest. Ist es das, was du willst?“

„Jetzt klingst du wie einer dieser herz- und seelenlosen Manager“, antwortete sie und seufzte. „Aber natürlich habe ich all diese Argumente, jedes Für und Wider gründlich überprüft. Und ja, du hast absolut recht. Unter dem wirtschaftlichen Aspekt wäre eine Bettenburg sicher ertragreicher. Aber das Leben ist so viel mehr als Geld auf dem Konto. Ich will ein Haus führen, das eine Seele hat. Und wenn ich es schaffe, davon zu leben, dann bin ich zufrieden. Ich brauche kein dickes Bankkonto.“

Hope hatte sich deutlich angespannt, als er dem Gespräch diese Richtung gegeben hatte. Jetzt bereute Mateo den Vorstoß bereits. Ein Mensch wie Hope ließ sich nicht durch Dollarzeichen beeindrucken. Seine Hochachtung vor ihr stieg. Gleichzeitig wuchs seine Unsicherheit, bezüglich seiner eigenen Marschrichtung. War er ein kalter, berechnender Mensch, der nur den Profit im Kopf hatte? So hatte er das bisher noch nie betrachtet. Es ging doch nur um ein Geschäft, das hatte nichts mit ihm als Privatperson zu tun. Für Hope allerdings schien es diese Trennung zwischen privat und geschäftlich nicht zu geben.

„Das klingt fantastisch“, sagte Mateo jetzt. „Wenn ich Urlaub auf Teneriffa machen wollte, würde ich mir vermutlich genau so ein Haus aussuchen. Ein Haus mit Seele.“

Ja, dachte er, es stimmt. Ich würde gern in so einem Hotel Urlaub machen. Viel lieber als in einer Bettenburg.

„Ich werde Handwerker brauchen, es gibt einiges zu renovieren. Vermutlich werde ich einen Bauleiter einstellen müssen, der die Umbauarbeiten beaufsichtigt und mir später als Hausmeister den technischen Teil der Hausführung abnimmt. Und ich werde neue Vorhänge und Tischdecken nähen oder besser vielleicht nähen lassen. Kennst du ein Geschäft, in dem ich schöne Stoffe kaufen kann?“

Erleichtert stellte Mateo fest, dass Hope sich wieder entspannte. Fast hatte er befürchtet, mit seinem Vorstoß die Stimmung zerstört zu haben.

„Weißt du, es macht Spaß, davon zu erzählen. Dadurch wird alles gleich ein Stück realer. Ach, ich kann es kaum erwarten, dass ich wiedereröffnen und endlich die ersten Gäste bekochen kann. Aber wenn ich dich langweile, musst du mich bitte bremsen.“

Hope lächelte ihn an, und sein Herz setzte für einen Schlag aus.

„Du könntest mir das Telefonbuch von Santa Cruz de Tenerife vorlesen und würdest mich nicht langweilen“, sagte er voller Inbrunst, was ihr ein schallendes Lachen entlockte.

Er hatte noch versichern wollen, dass ihn das Thema aber sehr interessierte und er ihr Lieferanten und Handwerker empfehlen könnte, außerdem … Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Bevor er sich klar darüber war, was passierte, hatte er sich nach vorne gebeugt.

Nun saßen sie ganz nah – Gesicht an Gesicht. Er spürte ihren Atem auf seinen Lippen. Sein Puls raste, und sein Hals kratzte vor Aufregung. Darf ich? fragten seine Augen. Sie kam ihm als Antwort noch ein Stück näher. Jetzt trennten sie nur noch Millimeter, und auch die waren im nächsten Moment überwunden.

Warm und weich legten sich ihre Lippen aufeinander. Seine Hand tastete zu dem kleinen Streifen nackter Haut, der ihn vorher bereits eingeladen hatte. Ihre Haut fühlte sich warm, weich und einfach herrlich an. Sacht strich er ihre Wirbelsäule entlang. Nur ein kleines Stück nach oben und wieder zurück, bis zum Bund ihrer Shorts.

Hope hatte die Augen geschlossen und die Arme um seine Schultern gelegt. Er spürte ein leichtes Zittern und nahm sich etwas zurück. Er wollte sie auf keinen Fall überrumpeln.

Schüchtern küsste sie ihn, öffnete ein wenig ihre Lippen, ließ ihre Zungenspitze über seine Lippen wandern. Mateo hielt sich zurück, er überließ ihr das Tempo. Seine andere Hand hatte sich auf ihre Wange gelegt. Sein Daumen strich über ihr Gesicht und sie schmiegte sich in seine Berührung.

Die Lippen gaben sich für einen Augenblick frei. Hope öffnete ihre Augen, suchte seinen Blick. Sie lächelte und der Kuss ging weiter.

„Hola!“, klang ein Ruf durch den sich langsam auf den Strand senkenden Abend. Die Sonne war inzwischen fast komplett im Meer versunken. Eine Gruppe junger Leute kam über die Felsen geklettert. Sie waren gut gelaunt, fröhlich und laut.

Mateo unterdrückte den Fluch, der ihm beinahe rausgerutscht wäre. Hope rückte etwas von ihm weg. Sie lächelte.

Nachdem sein Blut sich etwas abgekühlt und der Verstand seine Arbeit wieder aufgenommen hatte, war Mateo fast dankbar für die Unterbrechung. Beinahe hätte er sich vom Zauber des Momentes einfangen lassen. Oh, es wäre sicher wundervoll gewesen. Alles in ihm sehnte sich nach mehr. Er wollte Hope ganz nah bei sich, er wollte sie fühlen, schmecken, riechen. Er wollte eins mit ihr werden, mit ihr zu den Sternen fliegen und wieder zurück.

Aber das war unmöglich! Er durfte seine persönlichen Wünsche nicht derart über seinen Auftrag stellen. Was war nur in ihn gefahren?

Die Gruppe hatte sich unweit von ihnen in den Sand geworfen. Eine Flasche Wein machte die Runde. Sie lachten, begannen zu singen und rumzualbern. Zwei der Jungs balgten sich im seichten Wasser und spritzten wild herum.

„Wollen wir zurückfahren?“, fragte Hope. Sie hatte sich bereits erhoben und klopfte den Sand aus der Kleidung.

Mateo sprang auf die Füße, und wenig später fuhren sie zurück nach Santa Maria del Mar.

Er war ein Idiot! So etwas wie heute durfte sich auf keinen Fall wiederholen. Ab jetzt würde er sich darum kümmern, den Auftrag zu erfüllen, den seine Familie, allen voran sein Vater als Familienoberhaupt, ihm gegeben hatte.

Er wusste nun, dass Hope Reynolds plante, auf der Insel sesshaft zu werden und das Hotel Casa Lizzy als kleines Boutique-Hotel weiterzuführen. Solange ich hier auf der Insel glücklich bin, habe ich keinen Grund wegzugehen, hatte sie gesagt. Und genau das war der Punkt, an dem er ansetzen konnte.

Er musste lediglich dafür zu sorgen, dass sie nicht glücklich war.

Der Gedanke schnitt ihm wie ein Säbel ins Herz. Doch es war der einzige Weg. Und es wäre das Beste für sie, versuchte Mateo sich einzureden. Leider war das Argument ziemlich kraftlos und schaffte es nicht einmal im Ansatz, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Okay, er handelte im Auftrag und zum Wohl seiner Familie. Aber dazu musste er sich wie ein herzloser Schuft verhalten. Und dafür hasste er sich. Von Sekunde zu Sekunde wuchs der Zorn auf sich selbst. Er musste die Sache stoppen. Aber er ahnte, dass das nicht so einfach werden würde. Wenn er Pech hatte, würde daran alles zerbrechen, was ihm bislang wichtig gewesen war. Würde er es wirklich schaffen, sich gegen seine Familie zu stellen? Gegen seinen Vater?

3. KAPITEL

Hope wälzte sich im Bett hin und her. Immer wieder kam sie zu der Frage, ob sie etwas falsch gemacht hatte. War sie zu anhänglich gewesen? Hatte sie etwas gesagt, was ihn vielleicht verletzt hatte? Sie ging ihre Unterhaltung durch, so gut sie konnte. Immer und immer wieder. Wort für Wort. Satz für Satz. Aber sie fand keinen Anhaltspunkt, der Mateos verändertes Verhalten erklären könnte. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. In dem einen Moment war er zärtlich und nah gewesen und dann plötzlich fremd und distanziert.

Vielleicht war er auch einfach nur verschroben, und sie konnte froh sein, dass es sich so entwickelt hatte? Wer wusste schon, wohin das sonst geführt hätte?

Doch so sehr sie es auch versuchte, Hope konnte sich die Situation nicht erklären. Es war so schön gewesen, in seinen Armen zu liegen. Sie hatte es genossen, nach so langer Zeit mal wieder gestreichelt und begehrt zu werden. Die Schauer, die er in ihr ausgelöst hatte, waren zu verführerisch gewesen. Sie hatte sich gegen alle Vernunft ein anderen Ausgang ihrer Begegnung gewünscht.

Nackt, wie sie war, tappte sie in die Küche, kochte sich eine Tasse Tee und zog sich damit wieder in ihr Bett zurück. Aus ihrer Musikliste wählte sie ihr Lieblingsklavierkonzert von Chopin. Während sie den Klängen lauschte und zwischendurch an ihrem Kräutertee nippte, dachte sie wieder über den vergangenen Tag nach.

Wie überraschend sich alles entwickelt hatte! Am Morgen war sie verzweifelt, ratlos und unentschlossen gewesen. Dann kam der Punkt, an dem sie plötzlich glasklar vor sich sah, wie sie entscheiden wollte. Viel mehr noch, sie war sich sicher, wenn sie glücklich werden wollte, dann musste sie das Erbe ihrer Tante Lizzy annehmen und es in Ehren halten. Sie musste sich selbst beweisen, dass sie es konnte.

Dieses Thema hatte sie fest in seinem Bann gehabt, bis zu dem Moment, in dem sie Mateo begegnet war. Richtigerweise bis zu dem Moment, in dem sie Mateo beinahe umgerannt hatte. Sie musste unwillkürlich lächeln, als sie an die filmreife Szene am Strand dachte.

Als sie das Zusammensein und die Gespräche erneut Revue passieren ließ, wurde ihr klar, dass Mateo der erste Mensch war, dem sie von ihrem Entschluss erzählt hatte. Viel mehr noch! Sie hatte ihm von ihren Ängsten, aber auch von ihren Träumen und Hoffnungen berichtet. Sie hatte sich sehr weit geöffnet und diesem im Grunde fremden Menschen Einblicke gewährt, die sie sonst niemandem so leicht gestattete.

Im Nachhinein wunderte sie sich immer mehr, wie vertrauensselig sie gewesen war. Möglicherweise war es seine offene Wesensart, auf die sie reagiert hatte. Vielleicht lag es auch daran, dass sie bislang noch nie einen derart empathischen und herzlichen Menschen kennengelernt hatte. Schon gar keinen Mann.

Dass er dabei auch noch unglaublich attraktiv war, kam als Sahnehäubchen obendrauf. Die Zeit mit ihm hatte ihr gutgetan. Aber es hatte sie auch ziemlich aufgewühlt. Einerseits war sein Einfühlungsvermögen eine Wohltat. Sie liebte seine Art, ihr zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen und sie dazu zu bringen, ihren Standpunkt zu reflektieren. Gleichzeitig weckte er aber auch eine Sehnsucht in ihr, die sie so nie wieder hatte fühlen wollen.

Die Trennung von Mark war äußerst schmerzhaft gewesen. Sie hatte feststellen müssen, dass sie in eine Illusion verliebt gewesen war, hinter der sich ein Monster verbarg. Mark hatte sie belogen und betrogen. Sie hatte beschlossen, sich nie wieder derart verletzlich zu machen. Sie wollte ihr Herz davor bewahren, noch einmal hintergangen und zerrissen zu werden.

Wie hatte Mateo sie nur dazu gebracht, alle Vorsätze innerhalb kürzester Zeit über den Haufen zu werfen? Hatte er sie zuerst geküsst oder sie ihn? Sie sich, befand sie, nachdem sie diesen Moment wieder und wieder in ihrer Erinnerung durchlebt hatte. Es war ein gemeinsames sich Nähern gewesen. Ein vorsichtiges Herantasten. Wortloses Fragen mit den Augen, mit den Lippen und mit allen Sinnen.

Und wie sehr sie seine Berührungen genossen hatte!

Wohin hätte das alles geführt, wenn nicht genau in dem Moment, als sie sich noch etwas weiter geöffnet hatte, die jungen Leute gekommen wären? Hope war sich ziemlich sicher, dass sie miteinander geschlafen hätten.

Allein bei dem Gedanken spürte Hope ihre Wangen heiß werden. Ihr Puls beschleunigte sich, und fast schien es ihr, als könne sie noch immer seine Lippen fühlen. Seinen Duft hatte sie noch sehr präsent – männlich und würzig nach wilden Kräutern. Mateo roch nach Abenteuer und gleichzeitig nach Geborgenheit.

Es hatte sich so gut angefühlt, in seinen Armen zu liegen. Und sie hatte absolut den Eindruck, dass er es ebenso schön fand wie sie. Immerhin hatte sie ihn ja zu nichts gezwungen. Aber vielleicht täuschte sie sich. Bei Mark war sie auch einem Irrtum aufgesessen. Zum Abschied hatte er ihr damals an den Kopf geworfen, ihre Küsse wären schal und langweilig wie abgestandener Champagner. Schnell schob sie diesen Gedanken von sich. Mark hatte sie verletzen wollen, das war alles. Sie konnte genauso gut oder schlecht küssen wie jeder andere Mensch.

Aber was war geschehen, nachdem sie gestört worden waren? Sie verstand es nicht.

Die plötzliche Distanz hatte sich wie eine eiskalte Dusche angefühlt. Während der Heimfahrt hatte Hope sich zunächst bemüht, das Gespräch in Gang zu halten, doch Mateo war nicht mehr nahbar gewesen. Im Gegenteil. Er schien von einem Moment zum anderen eine Mauer um sich herum gezogen zu haben. Von seiner locker-leichten Art war nichts mehr vorhanden.

Er war nicht unhöflich gewesen. Nein, er hatte sich weiter liebenswürdig mit ihr unterhalten, doch mit einer unverbindlichen Distanz, die nach dem innigen Kuss fast schon beleidigend war. Sich aufzudrängen, lag Hope fern, also hatte sie dieses Spiel, das sie weder verstand noch mochte, lächelnd mitgespielt. Sie hatte nach Restaurantempfehlungen gefragt und nach Ausflugszielen, die nicht in jedem Reiseführer standen und oberflächliche Plauderei betrieben, die ihrer Seele weh tat.

Und dann hatte sie erleichtert durchgeatmet, als sie endlich vor dem Hotel angekommen waren.

„Vielen Dank, Mateo!“, hatte sie gesagt. „Für den Ausflug, für das Zuhören. Es war ein schöner Tag.“

„Ich danke dir“, hatte er seltsam gestelzt erwidert. „Ich wünsche dir viel Erfolg!“

Ein Händedruck, eine kurze Umarmung und er war eingestiegen und davongebraust. Erst als er um die nächste Ecke gebogen war, fiel Hope ein, dass sie keine Telefonnummern ausgetauscht hatten. Vergesslichkeit oder von seiner Seite aus Absicht? Sie wusste es nicht.

Mateo hatte sich wohl anders besonnen. Anders war die merkwürdige Stimmung während der Rückfahrt nicht zu deuten – kein Wort mehr von gemeinsamen Ausflügen oder Restaurantbesuchen. Er hatte sehr klar von einer Sekunde zur anderen das Interesse an ihr verloren. War er vielleicht doch nicht frei? Gab es da jemanden in seinem Leben? Es wäre möglich, auch wenn sie es nicht glaubte. Doch wenn nicht, was war es dann? Vielleicht lag es doch an der Art, wie sie küsste? Oder interpretierte sie das alles komplett falsch und er war einfach nur verlegen gewesen? Es könnte auch sein, dass er Angst hatte, sie zu bedrängen. Entnervt gab Hope ihre Grübelei auf. Wie auch immer, sie würde dieses Rätsel in dieser Nacht nicht mehr lösen.

Immerhin wusste er, wie sie hieß und wo sie wohnte. Wenn er wollte, konnte er sich bei ihr melden. Falls er den Zauber des Augenblicks dort am Strand auch nur annähernd so empfunden hatte wie sie, würde er das auch tun.

Ein Teil von Hope hoffte es. Sie wollte ihn wiedersehen. Der andere Teil war dankbar, dass es nicht weitergegangen war. Sie brauchte ihre Kraft für das Hotel und musste sich darauf konzentrieren, ihr neues Leben zu organisieren. Sie hatte keine Zeit und keine Nerven für eine Liebesgeschichte.

Seufzend stellte sie die Teetasse auf den Nachttisch und schlüpfte unter die Decke. Von den Klavierklängen getragen, schaffte sie es nun endlich, in einen leichten Schlaf hinüberzugleiten.

Nachdem er Hope abgesetzt hatte, fuhr Mateo noch eine Weile ziellos durch die Gegend. Das Verdeck ließ er offen, die kühle Nachtluft tat seinem überhitzten Gemüt gut.

Was hatte er nur angestellt? Und wieso, verdammt noch mal, konnte er nicht aufhören, an ihre zarte Haut zu denken? An dieses Beben, als sie in seinen Armen lag?

Schluss! befahl er sich selbst.

Zu Hause öffnete er, immer noch im Karussell seiner Gedanken gefangen, eine Flasche Rotwein und setzte sich in den Ohrensessel, den er von seinem Großvater geerbt hatte. Nachdenklich nippte er an dem köstlichen Wein. Alejandro, der Winzer, war sein Freund. Die Bodega Fernandez, die zu Alejandros Weingut gehörte, war berühmt für die geselligen Abende mit Weinprobe, gutem Essen und Livemusik. Mateo hätte Hope sehr gern irgendwann dorthin mitgenommen. Er war sicher, dass sie es mögen würde. Und Lucia, Alejandros Schwester, würde Hope ganz sicher in ihr Herz schließen.

Was würde Alejandro ihm raten? Mateo unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und zu seinem Freund zu fahren. Es war mitten in der Nacht! Und außerdem brauchte er keinen Rat. Es war ihm längst klar, dass er den Auftrag der Familie nicht ausführen wollte. Alles in ihm sträubte sich dagegen.

Entschlossen nahm Mateo den letzten Schluck Wein. Er stand auf, schlüpfte aus seinen Kleidern und genoss eine ausgiebige heiße Dusche. Das Wasser prasselte auf seinen Körper, und er stellte sich vor, wie es wäre, mit Hope gemeinsam hier zu stehen. Verdammt! Diese Frau hatte es im Handumdrehen geschafft, sich tief in seine Seele zu graben. Wären die Jugendlichen nicht gekommen – Mateo war sicher, sie hätten sich geliebt. Jetzt blieb ihm nur seine Fantasie und die Sehnsucht.

Er wollte sie fühlen. Alles in ihm sehnte sich danach, ihre Erregung zu spüren. Allein die Erinnerung an ihren Duft, der sich unter der Leidenschaft des Kusses verändert hatte, machte ihn verrückt. Die leichte Vanillenote hatte einen süßen Akzent bekommen, und am liebsten hätte er sie angeknabbert, so sehr mochte er dieses Aroma, das Hope verströmte. Frustriert drehte Mateo das Wasser ab und rubbelte sich trocken.

Trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit, trotz Rotwein und Dusche fand er keine Ruhe. Er drehte sich von links nach rechts und wieder zurück. Wann immer er fast wegschlummerte, schob sich ihr Gesicht in seinen Kopf. Ihre Augen, in denen Schmerz stand und die große Frage: Warum?

Kurz nach sechs Uhr am nächsten Morgen stand Mateo bei seinen Eltern in der Küche. Beide waren Frühaufsteher, und seine Mutter stellte ihm einen frischgebrühten Kaffee hin. Sie strich ihm über die Haare und sah ihn mit diesem Blick an, den nur Mütter haben. Eine Mischung aus Sorge und Neugier. Sie spürte, dass ihn etwas beschäftigte. Etwas, das über das Geschäftliche des Familienunternehmens hinausging. Mateo wusste, das sie für ihn da wäre. Sie würde ihn anhören und ernst nehmen. Aber letztlich würde sie sich nicht gegen ihren Mann und gegen die Interessen der Familie stellen. Auch das wusste er.

Deshalb wollte er nicht mit ihr sprechen. Nicht jetzt. Erst musste er das Gespräch mit seinem Vater hinter sich bringen.

Mateos Herz klopfte fast schmerzhaft in seiner Brust, als er vor der Tür des Arbeitszimmers stand. Er würde gleich einen Sturm entfesseln, das war ihm klar. Aber er war fest entschlossen, sich dem Unwetter zu stellen. Hatte nicht sein Vater ihn gelehrt, dass ein Mann in bestimmten Situationen das tun musste, was notwendig war? Ganz egal, was für Konsequenzen das mit sich brachte? Wenn es um die Ehre ging, gab es für Antonio Delgado kein Verbiegen.

Mateo hatte gedanklich diverse Strategien durchgespielt und allesamt wieder verworfen. Es gab nur den direkten Weg. Er trat in das Zimmer und legte ohne Umschweife los: „Ich habe gestern Hope Reynolds kennengelernt. Nach allem, was ich nun weiß, bin ich nicht mehr überzeugt davon, dass wir das Richtige tun. Hope liebt ihre Casa Lizzy. Sie ist eine anständige, fleißige junge Frau und will sich hier ein neues Leben aufbauen. Mit welchem Recht wollen wir ihr das zerstören?“

Doch genau wie erwartet wollte sein Vater nichts hören, was nicht seiner Vorstellung entsprach.

„Hast du eigentlich in den letzten Jahren gar nichts gelernt?“, wetterte er unbeherrscht los. „Das ist doch wieder typisch. Ist sie hübsch? Hope. Du bist also bereits mit dieser Person per Du. Hat sie dir den Kopf verdreht?“ Er schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte. „Verdammt, Junge. Ist es das, was du bei mir gelernt hast? Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass Geschäft und Gefühl nichts miteinander zu tun haben? Du findest sie süß? Dann sei kein Idiot. Schnapp sie dir und mach dir ein paar schöne Stunden. Aber lass dir von deinen Hormonen nicht den Verstand vernebeln. Geschäft bleibt Geschäft und das Grundstück ist Gold wert! Wir kaufen ihr den alten Kasten ab, reißen ihn nieder und stellen einen Komplex hin, der den Begriff Hotel auch verdient. Und dann, mein Sohn, verdienen wir Geld. Hier auf Teneriffa gibt die Familie Delgado den Ton an. Merk dir das.“

Du meinst wohl Antonio Delgado gibt den Ton an, verbesserte Mateo seinen Vater stumm. Doch er hielt sich zurück. Ein Familienstreit würde Hope nicht helfen. Er musste die Sache anders regeln. Vielleicht schaffte er es doch, sie dazu zu bringen, ihren Traum zu überdenken? Was, wenn sie als Köchin bei ihnen im Unternehmen einstieg? Er könnte dafür sorgen, dass sie die Küchenleitung des neuen Hotelkomplexes bekam. Das wäre ein Kompromiss, auf den sich sein Vater sicher einlassen würde.

„Ich dachte mir bereits, dass du es so sehen wirst, Vater“, antwortete Mateo. Er merkte selbst, wie gepresst seine Stimme klang. Das lag an der mühsam unterdrückten Wut. Er hatte es satt, von seinem Vater wie ein dummer Junge behandelt zu werden. Immerhin war er neunundzwanzig und Juniorchef des Familienunternehmens. Er betreute eigenständig mehrere Hotels und Fitnessstudios. Allerdings hatte er sich dieses Stück Selbstständigkeit hart erkämpfen müssen, und bis heute kam es immer wieder vor, dass sein Vater die Grenzen missachtete und versuchte, sich in Mateos Geschäftsführung einzumischen. Heftige Diskussionen und Machtkämpfe standen bei den Delgados für Mateos Geschmack viel zu oft auf der Tagesordnung. Wie schön wäre es, wenn er stattdessen seine Energie auf die Weiterentwicklung der Unternehmenszweige verwenden könnte.

Vielleicht hätte ich doch in Australien bleiben sollen? Dort wäre ich frei gewesen, mir mein eigenes Imperium aufzubauen.

„Was ist? Willst du den ganzen Tag hier stehen und mich böse anfunkeln, oder kümmerst du dich jetzt darum, den Auftrag zu erledigen, den ich dir übertragen habe?“

„Keine Angst, Vater. Ich werde mich darum kümmern. ICH! Du mischst dich nicht ein, verstanden? Ich werde das auf meine Art regeln.“

„Mach, was du willst“, sagte sein Vater und winkte mit der Hand Richtung Tür. „Aber tu es.“

Wie gern hätte er die Tür lautstark zuknallen lassen. Doch Mateo hatte von Kindheit an gelernt, seine Emotionen zu kontrollieren. Er nickte seinem Vater einen knappen Gruß zu und ging. In der Küche schenkte er seiner Mutter noch eine Umarmung und einen schnellen Kuss, dann verließ er das Anwesen, bevor sie Fragen stellen konnte.

Es war falsch. Falsch! Falsch! Falsch! Das wusste er. Doch sich jetzt und heute gegen die Vorgaben des Familienoberhauptes zu stellen, würde nichts bringen, außer einem Haufen Scherben. Er musste die Angelegenheit anders lösen. Er hatte auch schon eine Idee, aber dazu musste er sich umziehen.

Was sie wohl sagen würde, wenn er auftauchte? Würde sie sich freuen oder hatte er sie mit seiner plötzlichen Distanziertheit zu sehr vor den Kopf gestoßen? Wenn sie Nein sagte, stand er wieder am Anfang.

In seinem Apartment wechselte Mateo den hellgrauen Designeranzug gegen Jeans und Karohemd. Er schlüpfte in bequeme Slipper und machte sich umgehend wieder auf den Weg. Gleich würde es sich entscheiden.

Nanu? Wer klopfte denn da? Sie hatte doch das Geschlossen-Schild in mehreren Sprachen an der Tür hängen. Hope stieg von der Trittleiter und legte das Maßband auf den Empfangstresen. Es wurde ohnehin Zeit, dass sie eine Pause machte. In der Küche wartete ein Korb voller Köstlichkeiten darauf, verarbeitet zu werden. In aller Frühe war sie über den Markt geschlendert und hatte sich mit frischem Gemüse und Obst eingedeckt. Das Hühnchen hatte sie direkt vom Erzeuger erstanden. Was die Vielfalt frischer Produkte anging, erwies Teneriffa sich wieder einmal als Paradies. Hope wollte vor der Eröffnung ein paar Rezepte ausprobieren, die sie später ihren Gästen servieren konnte. Frische Küche mit Inselflair. Vielleicht konnte sie in nächster Zeit auch ein paar Streifzüge unternehmen, um die originale Inselküche kennenzulernen. Dazu hatte sie große Lust.

Während sie zur Tür ging, strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. Der flüchtige Blick in den Spiegel zeigte ihr, dass sie verschwitzt und etwas derangiert aussah, aber sie erwartete ja auch kein Date. Der unerwartete Besucher musste mit ihrem Arbeitsoutfit klarkommen. Immerhin kroch sie seit zwei Stunden durch das Haus, inspizierte, kontrollierte und machte Listen von den Dingen, die erledigt werden mussten.

Gerade hatte sie sich die Fenster vorgenommen, die auf jeden Fall neue Vorhänge brauchten. Wie schade, dass Mateo ihr gestern keinen Stoffladen empfohlen hatte, jetzt konnte sie ihn nicht mehr fragen. Nach einer Nacht mit viel zu wenig Schlaf und stundenlangen Grübeleien war sie zu dem Schluss gekommen, dass er es sich offensichtlich anders überlegt hatte. Sie verstand zwar nicht weshalb, aber bitte schön, er war ein freier erwachsener Mann und ihr keine Rechenschaft schuldig. Sie hatte mit dem Kapitel Mateo abgeschlossen.

„Guten Tag, entschuldigen Sie, aber das Hotel ist …“, der Rest des Satzes schaffte es nicht mehr über ihre Lippen. Vor ihr stand Mateo.

„Hallo“, sagte er und wirkte beinahe schüchtern. „Störe ich?“

Wow! Sein Anblick katapultierte Hope einmal durch das Universum und zurück. Wieder hatte er ein legeres Outfit gewählt, und wieder sah man den Kleidungsstücken an, dass es sich nicht um Billigware handelte. Viel mehr als die Qualität seines Hemdes wirbelte das, was sie zwischen dem geöffneten Kragen durchblitzen sah, ihre Gefühle durcheinander. Auch wenn Mateo kein Bodybuilder war, sah Hope deutlich die gut definierte Muskulatur unter der bronzefarbenen Haut.

„Nein!“, sagte sie endlich. Jetzt reiß dich aber zusammen! So wie du ihn anstarrst, denkt er sicher, du willst ihm gleich an die Wäsche gehen! Womit er gar nicht so unrecht hätte, gab sie widerstrebend vor sich selbst zu. Die Erinnerung an die gestrigen Küsse, an das Gefühl, von ihm gehalten zu werden, überflutete sie. Seine Hand auf ihrer Haut. Seine Stärke, die sich so wunderbar gut angefühlt hatte. Sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Doch dann erinnerte sie sich an ihre guten Manieren. Sie lächelte kurz und nickte. „Komm doch rein. Möchtest du einen Kaffee?“ Hope trat ein Stück zur Seite und ließ ihn eintreten.

„Kaffee wäre sehr gut. Danke.“

Während Hope sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte, beobachtete sie aus dem Augenwinkel Mateo, der sich neugierig in der Empfangshalle umsah. Er entdeckte ihre Liste und den Zettel, auf dem sie begonnen hatte, die Fenstermaße zu notieren. Kommentarlos nahm er das Maßband und stieg auf die Leiter.

„Zwei Meter achtzig“, meldete er kurz darauf.

Im ersten Moment wollte Hope protestieren, doch dann zuckte sie mit den Schultern. Wieso eine helfende Hand ausschlagen, die sich freiwillig anbot? Sie nahm den Zettel und notierte. Auf diese Weise waren die ersten vier Fenster im Nu ausgemessen. Mateo trat zu ihr an den Tresen und nahm dankend den Kaffee, den sie ihm inzwischen eingeschenkt hatte.

„Es gibt noch einiges zu messen und zu planen. Kann ich dich mieten?“, witzelte Hope, um die nun eintretende Stille zu überbrücken. Sie musste endlich aufhören, ständig an seine Küsse zu denken, und vor allem musste sie aufhören, ihm auf die Lippen zu starren!

Seine Hand fand den Weg an ihre Wange. Sacht streichelte er über ihre Haut.

„Tut mir leid“, murmelte er. „Ich war ein Idiot.“

Für das Glücksgefühl, das sie in diesem Moment erfasste, verfluchte Hope sich selbst. Sie war auf Teneriffa, um ein neues Leben zu beginnen. Sie wollte das Hotel nach vorne bringen und auf der Insel Wurzeln schlagen. Ein Mann kam in diesen Plänen nicht vor. Wieso freute sie sich dann aber derart, dass er hier war? Wieso genoss sie seine Berührung, anstatt ihm zu sagen, dass nichts aus ihnen werden konnte?

Sie konnte sich selbst keine Antwort geben auf all diese Fragen. Stattdessen beugte sie sich zu ihm rüber. Ihre Lippen fanden seine. Ihr Körper machte sich selbstständig, der Verstand hatte keine Macht mehr.

„Wow!“

„Ja“, sie lachte leise. „Wow.“

Hope machte die Augen auf und suchte seinen Blick. Sie stellte fest, dass sie auf seinem Schoß saß. Wie war sie denn dahin gekommen? Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, dass sie süchtig war nach ihm. Sie wollte viel mehr. Sie wollte ihm nah sein. So nah, wie man einem Menschen nur sein konnte.

Seine Hand hatte sich unter ihr Shirt geschoben und streichelte über ihren Rücken.

Da sie beide Atem holen mussten, nutzte Hope die kurze Pause, um ihn eingehender zu betrachten.

„Falls es noch nicht klar geworden ist“, sagte sie und grinste ihn an. „Ich freue mich, dass du da bist.“

Das Grinsen erwiderte er.

„Also das würde ich sehr gern noch etwas deutlicher gezeigt bekommen“, neckte er sie. Doch im nächsten Moment wurde er ernst. „Aber vorher, Hope, muss ich etwas mit dir besprechen, wenn es dir recht ist.“

4. KAPITEL

Wie konnte sie nur? Wahrscheinlich hatte sie sich komplett zum Affen gemacht mit ihrer Anhänglichkeit. Hängte sich dem nächstbesten Kerl an den Hals, als wäre sie sexuell ausgehungert. Die Scham über ihr unkontrolliertes Verhalten trieb ihr die Röte ins Gesicht. Die Erregung, die immer noch durch ihren Körper flatterte, und das sehnsüchtige Ziehen in ihrer Brust machten diesen Moment noch schlimmer. Er wollte nicht mit ihr knutschen. Er wollte keine Küsse und Zärtlichkeiten. Er wollte mit ihr sprechen. Reden! Ja. Natürlich.

Hope rutschte von seinem Schoß und setzte sich auf einen der Hocker neben ihm. Verlegen zupfte sie an ihrem Shirt und hoffte, dass er ihre Brustwarzen nicht sah, die sich hart aufgerichtet unter dem Stoff abzeichneten.

„Was gibt es? Kann ich dir helfen?“ Ihre Worte klangen blechern. Hopes Hand zitterte, als sie nach ihrer Kaffeetasse griff. Es klirrte leise, als die Tasse gegen die Untertasse stieß.

„Hey!“ Seine Stimme war weich und wohltuend wie warmer Honig. „Nicht“, flüsterte er und streichelte über ihre Finger, die nervös die inzwischen leere Tasse hin und her drehten. „Es tut mir leid. Ich bin so ein Idiot.“ Mateo beugte seinen Kopf nach vorn und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Er gab einen unwilligen Laut von sich. „Irgendwie mache ich immer alles falsch. An meinem Timing muss ich auf jeden Fall noch arbeiten.“

„Oder ich an meiner Kussqualität“, sagte sie leise.

Verflixt. Das war ihr rausgerutscht, bevor sie denken konnte. Vielleicht hatte er sie nicht verstanden, sie hatte es ja mehr geflüstert als deutlich ausgesprochen. Doch diese Hoffnung zerfiel sofort, als sie kurz zu ihm sah.

Jetzt hatte sie sich endgültig lächerlich gemacht! Was war nur mit ihr los? Und wie kam sie dazu, so etwas Dummes zu sagen? Doch kaum hatte sie sich das gefragt, wusste sie auch schon die Antwort. Aber das machte die Sache nicht besser. Im Gegenteil, das kurze Aufflackern von Mark in ihrem Kopf, machte es eher noch schlimmer. Sie war so wütend auf sich selbst, dass sie sich am liebsten selbst einen Tritt gegeben hätte.

Sie wollte doch gar keinen Mann. Und sie wollte schon gar keine Verwicklungen. Sie wollte das Hotel auf Vordermann bringen und wiedereröffnen. Doch kaum kam Mateo in ihre Nähe, spielten ihre Gefühle und ihr Körper verrückt. Alle Vernunft wurde von dem Wunsch weggewischt, in seinen Armen zu liegen. Auf einen Schlag konnte sie nur noch daran denken, wie es wäre, seine Hände überall zu spüren und ihm nahe zu sein. Näher. Viel näher!

Das alles war wirklich schlimm genug, aber sie trieb das Ganze auf die Spitze, indem sie sich jetzt auch noch wie ein unerfahrener Teenager benahm. Vermutlich dachte er, sie wollte mit diesem dummen Kommentar ein Lob von ihm provozieren. Fishing for compliments! Viel peinlicher konnte es kaum werden.

Vielleicht sollte sie doch über den Verkauf des Hotels nachdenken und von hier wegziehen? Das andere Ende der Welt schien ihr gerade sehr verlockend. Wobei sie auf Anhieb nicht einmal genau sagen konnte, was sie dort wollte. Glühende Sahara oder ewiges Eis – alles war besser, als sich hier der Lächerlichkeit preiszugeben.

„Du bist zauberhaft“, sagte Mateo. Seine Worte drangen zwar durch ihre Selbstvorwürfe hindurch, doch sie kam nicht aus ihrem Gedankenkarussell heraus. Mateo legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Du – bist – zauberhaft!“, wiederholte er langsam und eindringlich. Die Art, wie er ihr Gesicht mit seinem Blick abtastete, verdeutlichte seine Worte. Liebevoll lächelte er sie an. „Hast du mich verstanden? Zauberhaft! Es gibt keinen Grund für dich, an dir zu zweifeln.“

Hope zögerte, doch schließlich seufzte sie und nickte. Sie war eine erwachsene Frau. Es war an der Zeit, sich endlich auch so zu benehmen. Sie schüttelte ihre Verwirrung und ihre Selbstzweifel, so gut es ging, ab und konzentrierte sich auf das Gespräch. „Okay. Dann sag mir bitte, was es so Wichtiges zu besprechen gibt.“

Jetzt war es Mateo, der die Tasse in seiner Hand drehte und plötzlich nervös wirkte. Sie ließ ihm Zeit.

„Du hast gestern erwähnt, dass du vielleicht einen Bauleiter einstellen möchtest, der dich dabei unterstützt, das Hotel umzubauen und den Betrieb auf ein neues und sicheres Fundament zu stellen. Und ich habe mir überlegt, was du wohl sagen würdest, wenn ich mich um diese Stelle bewerbe.“

Hope hielt die Luft an. Sie hatte mit vielem gerechnet, doch damit sicher nicht! Oder hatte sie sich verhört?

Ein Ruck lief durch Mateo. Er richtete sich auf, straffte seine Haltung und blickte sie ganz direkt und offen an. „Hope, ich möchte sehr gerne für dich arbeiten. Deshalb frage ich dich: Stellst du mich ein?“, sagte er mit fester Stimme. Und dann beeilte er sich, seine Vorzüge aufzuzählen: „Du wirst es ganz sicher nicht bereuen. Ich bin handwerklich geschickt. Ich kenne mich auf der Insel aus, habe gute Beziehungen und wäre dir sicher ein guter Berater, wenn es darum geht, zuverlässige Handwerker und Lieferanten zu finden.“

Wie bitte? Der Mann, der ihr Innerstes zum Kochen brachte, der sie von der ersten Sekunde des Kennenlernens an verrückt machte und durcheinanderbrachte, bewarb sich ernsthaft bei ihr um einen Job? Das musste ein Witz sein. Irgendein merkwürdiges Inselritual, mit dem man Neuinsulaner an der Nase herumführte.

„Mateo, aber …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. Dann lachte sie und sagte: „Ich bin sprachlos. Ich meine, das kommt absolut unerwartet. Du willst als Bauleiter und Hausmeister für mich arbeiten?“

Er hielt ihrem fragenden Blick stand. Kein Zucken, kein Zweifel.

„Ja“, sagte er. „Das will ich. Und ich hoffe, du gibst mir diese Chance.“

Sie hatte sich nicht verhört. Er meinte es offensichtlich wirklich ernst.

Jetzt packte sie die Neugier. Ein Mann wie Mateo? Sie war sich ziemlich sicher, dass er nicht auf Jobsuche war. Dahinter musste etwas anderes stecken.

Wollte er sich an sie ranmachen? Aber um Himmels willen, dafür musste er sich nicht um eine Arbeitsstelle bewerben. Immerhin hatte sie gerade schon auf seinem Schoß gesessen. Nein, das konnte nicht sein Motiv sein. Aber was dann?

„Hast du denn schon mal in der Bau- und Hausbetreuung gearbeitet? Was machst du derzeit? Hast du einen Job? Oder bist du arbeitslos? Ich meine, du bist ziemlich teuer gekleidet, fährst ein Auto, das deutlich mehr als ein Trinkgeld kostet. Wie kommt das? Wie passt das zusammen?“ Erneut suchte sie seinen Blick und hielt ihn fest. „Wer bist du, Mateo? Und was willst du wirklich?“

Dich! schrie alles in ihm.

Doch natürlich sagte er es nicht. Genau vor diesen Fragen hatte ihm gegraut.

„Ich möchte die Stelle, die du zu vergeben hast. Genügt das nicht?“

Natürlich war ihm klar, dass er damit höchstwahrscheinlich nicht durchkommen würde. Sie wäre reichlich naiv, wenn sie ihn ohne Hintergrundinformationen einstellen würde. Da er sie aber als intelligente zielstrebige Frau kennengelernt hatte, würde sie sich nicht mit so einer oberflächlichen Antwort zufriedengeben.

Es war vollkommen verständlich, dass sie wissen wollte, wieso er sich um eine Stelle bewarb, die augenscheinlich nicht zu ihm passte.

Mateo merkte, dass seine Hand schon wieder zu ihr rübergewandert war und ihre Hand streichelte. Er zog sie zurück und ärgerte sich über sich selbst. Wozu hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, wenn er sich im nächsten Moment von seinen Gefühlen vom Weg abbringen ließ?

Er war zu ihr gekommen, um sich für die Stelle zu bewerben. Er wollte für sie arbeiten und ihr dabei frühzeitig klarmachen, dass sie sich keinen Gefallen mit ihrem kleinen Boutique-Hotel tat. Sie gleich wieder zu küssen, war in diesem Plan nicht vorgesehen. Er musste diese Stelle einfach bekommen!

Als Bau- und Hausbetreuer könnte er für genügend Probleme sorgen, um ihr die Lust an ihrem Abenteuer der Selbstständigkeit zu verderben. Und dann irgendwann, wenn sie eingesehen hatte, dass ihr Traum eher ein Albtraum war, dann könnte er ihr den Vorschlag unterbreiten, als Küchenchefin ein Delgado-Haus zu übernehmen. Und während dieser Zeit hätte er – soweit seine Vorstellung – herausfinden können, was es mit der Anziehung zwischen ihnen auf sich hatte.

Doch kaum hatte er sie gesehen, wie sie erhitzt und zerzaust die Tür öffnete, waren alle seine Vorsätze vergessen gewesen. Eines war ihm inzwischen klar, er hatte Hopes Anziehungskraft deutlich unterschätzt. Diese Frau hatte einen Sex-Appeal, der ihm den Verstand raubte. Gerade die Tatsache, dass sie sich dessen offensichtlich nicht bewusst war, verstärkte die Wirkung um ein Vielfaches. Keine andere Frau, die er kannte, hätte verschwitzt und in Arbeitskluft einem Fremden die Tür geöffnet. Um ehrlich zu sein, kannte er privat keine Frau, die auf der Leiter stehend Fenster ausmaß und sich nicht zu fein war, im Staub zu arbeiten. Das erledigte bei den Delgados das Hotelpersonal.

Kein Wunder also, dass Hope ihn derart aus dem Takt brachte.

So betrachtet war Mateo froh, dass er es überhaupt geschafft hatte, die Sache mit der Hausmeisterstelle ins Rollen zu bringen. Doch jetzt kam der knifflige Teil.

Ihr Blick lag fragend auf ihm. Sie saß stumm da und wartete darauf, dass er sprach. Sie wartete auf die Geschichte hinter seiner Bewerbung.

Mateo seufzte. Es half nichts. Er musste ihr mehr erzählen.

Er hasste es zu lügen. Schon als Kind hatte er es vorgezogen, die Wahrheit zu sagen und dafür eine Strafe zu bekommen. Das war eine Frage der Ehre für ihn. Ehre – was für ein großes Wort. Auch sein Vater war ein Mann, der großen Wert auf die Ehre legte. Doch im Laufe der letzten Jahre hatte Mateo gelernt, dass es offensichtlich unterschiedliche Auslegungen dieses Begriffes gab. Für Antonio Delgado stand die Familienehre an erster Stelle. Und das gesellschaftliche Ansehen, das eng mit dieser Ehre verbunden war. Dazu gehörte für ihn ganz selbstverständlich ein bedeutender wirtschaftlicher Erfolg. Ein Ehrenmann machte keine Fehler. Ein Ehrenmann erlebte keine Niederlagen. Und wenn es notwendig war, dann bog ein Ehrenmann auch mal die Tatsachen so zurecht, dass die Familie am Ende doch den Sieg davontrug.

Genau wie ich die Wahrheit jetzt verbiege, dachte Mateo, und hasste sich in diesem Moment aus tiefstem Herzen selbst. Wenigstens wollte er so nahe wie möglich an der Realität bleiben. Er dachte daran, dass er Hope die Situation irgendwann würde erklären müssen. Sollte sich zwischen ihnen die Geschichte weiterentwickeln, dann käme irgendwann der Zeitpunkt. Dann müsste er ihr gestehen, dass alles von Anfang an sein Plan gewesen war. Und je weniger er die Tatsachen verbog, desto weniger würde sie ihm vorwerfen können.

Mit etwas Glück hätte sie bis dahin längst eingesehen, dass er nur zu ihrem Besten gehandelt hatte. Nach Ansicht seines Vaters hatte ein kleines Hotel wirtschaftlich betrachtet keine Chance, und er würde ihr letztlich einen Gefallen tun. Wenn sie die Idee mit dem Boutique-Hotel aufgab, würde ihr das eine spätere Enttäuschung ersparen. Und genau das musste ihr klar werden.

Die innere Stimme, die ihn warnte und ihm zuflüsterte, dass er vielleicht unrecht hatte, ignorierte er. Er wollte jetzt nicht weiter darüber nachdenken, ob Hope Reynolds vielleicht doch genau den richtigen Plan verfolgte, weil zum dauerhaften Glück eben mehr gehörte, als möglichst schnell und möglichst bequem reich zu werden. Ein merkwürdig grummelndes Geräusch riss ihn aus seinen Überlegungen.

„Weißt du was?“ Nachdem Hope eine Zeit lang zugesehen hatte, wie Mateo um Worte rang, ergriff sie die Initiative. Sie rieb sich den Bauch. „Du hörst es ja“, sagte sie und grinste. „Ich habe Hunger. Ich war heute schon auf dem Markt.“ Sie rutschte von ihrem Hocker, ging Richtung Küche und winkte ihm zu, dass er ihr folgen sollte. „Dieser Markt ist herrlich!“, schwärmte sie. „Sieh nur, was ich alles gefunden habe. Diese Tomaten! Das Gemüse. Alles ist prall und frisch. Ich sag dir, mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Wie wäre es, wenn ich uns etwas koche, und du erzählst mir währenddessen, was hinter deiner unerwarteten Bewerbung steckt. Was ist? Kannst du ohne Gefahr für dich und deine Umwelt mit einem Messer umgehen? Und gleichzeitig erzählen? Dann darfst du mir beim Schnippeln helfen.“

Sein erleichtertes Lächeln zeigte ihr, dass er froh war. Mit ihrem spontanen Vorschlag hatte sie es geschafft, die angespannte Situation aufzulockern.

„Ich bin der Meister des Tomatensalats“, gab er selbstbewusst zurück. „Soll ich?“

„Perfekt!“ Hope schob ihm ein paar Tomaten zu. Mateo suchte sich ein Brett, ein geeignetes Messer und sowie eine Schüssel und machte sich an die Arbeit.

„Das sieht ja wirklich so aus, als könntest du es“, kommentierte Hope anerkennend, nachdem die ersten beiden Tomaten in der Schüssel gelandet waren. „Ich brate uns Hühnerbrust mit Thymian, Fenchel und Zitrone, und dazu gibt es eine mediterrane Gemüsepfanne. In Ordnung? Ich hoffe du magst Hühnchen.“

Das Knurren, das aus den Tiefen seines Bauches kam, war Antwort genug. Wie auf Kommando antwortete Hopes Magen und beide mussten herzhaft lachen.

„Unsere Bäuche sprechen auf jeden Fall die gleiche Sprache“, interpretierte Hope das Magenknurrduett.

Sie war immer noch ziemlich perplex über Mateos Bewerbung und über die Wendung, die ihr Leben schon wieder nahm. Anscheinend hatte Teneriffa sich auf die Fahne geschrieben, ihr jeden Tag eine Überraschung zu bieten. Noch dazu eine äußerst attraktive! Hope konnte nicht anders, als Mateos Muskeln und seine Gesichtszüge zu bewundern. Wäre es vernünftig, einen Mann, der sie derart anzog, als Hausmeister einzustellen? Würde sie es schaffen, die Verbindung auf beruflicher Ebene zu halten? Und wenn nicht? Wollte sie das überhaupt? Sie hatte doch beschlossen, sich nicht auf eine neue Beziehung einlassen zu wollen. Noch dazu diese Verwicklung von Arbeit und Privatleben. Da war der Ärger doch vorprogrammiert.

„Nein“, sagte Mateo mitten in ihre Abwägungen hinein. „Ich bin nicht arbeitslos. Aber ich bin unzufrieden. Ich arbeite in unserem Familienunternehmen“, erklärte er. „Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass das nicht immer besonders lustig ist. Mein Vater ist …“ An dieser Stelle stockte Mateo. Er schien seine Worte genau abzuwägen. „Mein Vater ist ein sehr stolzer Mann, und es ist nicht einfach für mich als sein Sohn, mir meinen Platz im Unternehmen zu erkämpfen. Vielleicht würde es uns guttun, wenn wir eine Weile Abstand hätten.“

„Familiensysteme können Kraft geben, aber sie können auch ziemlich anstrengend sein. Ich bin sicher, dein Vater liebt dich.“ Sie konnte sich etwas anderes gar nicht vorstellen. „Wird er nicht gekränkt sein, wenn du dich von ihm abwendest?“ Sie ließ die Pfanne sinken, die sie gerade aus dem Regal gezogen hatte, und drehte sich zu Mateo um. „Ich will auf keinen Fall, dass du dich mit deiner Familie überwirfst, nur weil du mir helfen möchtest.“ Mit einem Mal sah sie Mateos Motivation ganz deutlich vor sich. Er machte sich ihretwegen Sorgen und wollte sie unterstützen, indem er für sie arbeitete.

„Ich habe mit ihm gesprochen“, versicherte Mateo. „Er ist einverstanden.“

Mateo ging zum Schrank und nahm Essig, Öl und die anderen Zutaten heraus, die er für das Dressing benötigte.

„Hope, es ist mir wirklich ernst. Und nicht nur, weil ich dir helfen möchte. Es wäre tatsächlich auch eine große Hilfe für mich. Ich wäre froh, wenn ich mich dem familiären Druck etwas entziehen könnte.“ Er rührte den Salat um und reichte ihr eine Gabel zum Abschmecken.

Das Hühnchen brutzelte, das Gemüse ebenso, und Hope verdrehte genüsslich die Augen, nachdem sie den Tomatensalat gekostet hatte. „Als Koch würde ich dich sofort einstellen“, sagte sie. „Aber diese Stelle ist leider besetzt.“

Gemeinsam deckten sie den Tisch in der Küche. Es war gemütlich hier. Hope hatte sich viel Mühe gegeben und bereits bei ihren früheren Besuchen immer wieder die Küche umgeräumt und umgestaltet, bis alles so war, wie sie es sich vorstellte. Als Köchin hatte sie gewisse Ansprüche an ihren Arbeitsplatz.

„Viel bezahlen kann ich aber nicht“, sagte sie endlich, nachdem sie die ersten Bissen genommen hatten. Das Essen war köstlich!

„Bekomme ich jeden Tag ein so wundervolles Essen?“, fragte Mateo.

„Und du bist wirklich handwerklich geschickt?“, stellte sie die Gegenfrage. Als er protestieren wollte, lachte sie. „Schon gut, schon gut. Wer so einen guten Tomatensalat macht, dem glaube ich alles.“ Sie legte Messer und Gabel zur Seite, wischte sich mit der Serviette die Lippen ab und nickte ihm zu. „Also gut. Probieren wir es miteinander. Und sei dir gewiss, ich bin eine gnadenlose Chefin. Ich werde dich schamlos ausbeuten.“

„Wie schamlos?“, fragte er, ohne dabei eine Miene zu verziehen.

Kaum hatte er die Frage ausgesprochen, schoss Hope eine schier unerträgliche Hitze ins Gesicht. Das hatte sie nicht gemeint! An seinem Spitzbubengrinsen erkannte sie, dass er das genau wusste und ihre Reaktion sehr genoss. So ein frecher Kerl!

Sie hätte ihm gern die Meinung gesagt, aber sie wagte es nicht. Das Terrain war zu unsicher. Sie musste sich dringend klar darüber werden, was sie eigentlich wollte. Galt ihr Vorsatz noch, dass sie keinen Mann in ihrem Leben wollte? Oder gab es eine Richtungsänderung?

Hoffentlich war es klug gewesen, ihn einzustellen. Das könnte unter Umständen reichlich kompliziert werden. Trotz dieser Zweifel genoss Hope das Gefühl, nicht mehr alleine zu kämpfen. Ab sofort hatte sie Hilfe. Noch dazu fachkundige Hilfe in allen Fragen, die das Inselleben so bot.

„Wie wäre es, wenn wir morgen einen Ausflug machen?“, fragte Mateo.

Hope runzelte die Stirn. „Mateo, das ist lieb, aber hast du vergessen, dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben? Wir müssen hier vorankommen.“

„Hey, keine Angst, ich habe nichts vergessen. Ich möchte dich einigen wichtigen Leuten vorstellen. Und glaube mir, du wirst es nicht bereuen. Wir fahren bei Pablo vorbei. Er hat eine Maler- und Trockenbaufirma. Und ich bin sicher, wenn er dich kennengelernt hat, wird er alle anderen Kunden warten lassen und sich umgehend darauf stürzen, deinen Auftrag zu erledigen. Dann fahren wir zu Alejandro. Bei ihm kannst du den besten Wein kaufen, den es auf Teneriffa gibt. Und ich werde dafür sorgen, dass du auch die besten Konditionen bekommst. Außerdem lernst du dann seine Schwester Lucia kennen. Du wirst sie mögen, da bin ich ziemlich sicher. Und danach fahren wir noch an einen Platz, den jeder kennen muss, der auf der Insel leben will. Der Rest bleibt eine Überraschung. Was sagst du? Klingt das nach Spaß oder nach Arbeit?“

„Nach beidem, würde ich sagen. Und das gefällt mir ausgesprochen gut.“

Zufrieden stippte Mateo den Rest der Hähnchensoße mit einem Stück Brot von seinem Teller.

„Wann willst du eigentlich anfangen?“, fragte Hope jetzt.

„Wie wäre es mit sofort? Was steht heute noch an?“

Er ließ wirklich nichts anbrennen.

Hope freute sich, dass sie den Nachmittag in seiner Gesellschaft verbringen konnte. Und sie ärgerte sich gleichzeitig über sich selbst, weil sie sich so freute. Sie wollte sich nicht von ihren Emotionen abhängig machen. Das war schon einmal mächtig schiefgegangen. Doch weil es einfach zu schön war und sie sich die Stimmung nicht von ihren Sorgen verderben lassen wollte, schob sie die mahnenden Gedanken energisch weg.

„Ich brauche noch einen Kaffee“, sagte sie. „Und dann will ich die restlichen Maße nehmen. Sollen wir das zusammen machen? Und danach gehen wir durch das Haus und notieren, was wir an Arbeiten zu vergeben haben. Dann können wir Pablo morgen gleich die Liste geben. Einverstanden?“

5. KAPITEL

„Pablo ist ein Schatz! Ich kann gar nicht glauben, dass er schon morgen loslegen kann. Nach allem, was ich von Lizzy weiß, sind gute und zuverlässige Handwerker hier auf der Insel nicht so einfach zu finden. Und wenn, dann sind sie über Monate ausgebucht. Wie hast du das gemacht?“

„Ich? Wieso ich? Das warst du! Ich hab es dir doch gesagt, wenn Pablo dich kennengelernt hat, wird er Feuer und Flamme sein.“

Wieder einmal spürte Hope, wie ihr Gesicht vor Verlegenheit heiß wurde. Dabei war ihr sehr bewusst, dass Mateo seine Finger im Spiel gehabt haben musste. Weibliche Reize allein halfen nicht derart weiter, das wusste sie ganz genau. Hätte sie Pablo ohne Mateos Unterstützung beauftragt, hätte er auf Teufel komm raus mit ihr geflirtet und sie am Ende doch hängen lassen. So hatte Tante Lizzy es immer wieder erlebt, und weshalb sollte es ihr heute besser gehen. Deshalb war sie sicher, dass Mateo irgendwelche für sie unsichtbaren Fäden gezogen hatte. Das sagte sie ihm auch, doch er winkte ab.

„Nein“, sagte er. „Das hast du wirklich dir selbst zu verdanken.“

Okay. Mateo war nicht bereit, sich in die Karten gucken zu lassen. Das änderte nichts an ihrer Überzeugung. Aber er sollte auch nicht denken, dass sie ihre Grenzen nicht einschätzen konnte. So naiv oder selbstverliebt war sie nicht.

„Du tust so, als wäre ich ein Engel. Okay, ich bin kein hässliches Ungeheuer, aber eine Miss World bin ich auch nicht.“

Er versuchte mit allen Mitteln ihr einzureden, dass sie wunderschön sei, aber das verwirrte sie. Das ging schon los, als er sie in aller Frühe abgeholt hatte. Den Kuss, den er ihr auf die Wange gegeben hatte, spürte sie jetzt noch. Und sein begeisterter Blick, als sie sich vor ihm drehte und fragte, ob sie passend gekleidet war für den Ausflug, hatte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt. Er schien etwas zu sehen, was sich für sie verbarg, wenn sie sich im Spiegel betrachtete.

Sie trug doch nur ihr Lieblingssommerkleid mit den kleinen Blümchen.

„Stimmt“, gab Mateo ihr recht. „Du bist meilenweit davon entfernt, irgendeine Miss zu sein.“

Sie war nicht kokett und bewertete ihr eigenes Aussehen auch nicht nach einem gängigen Schönheitsideal. Aber dieser Satz versetzte ihr doch einen empfindlichen Stich. So deutlich hätte er das nun auch nicht sagen müssen. Erst dieses Anhimmeln und dann so eine kalte Dusche? Falls er das witzig fand, hatten sie offensichtlich eine sehr unterschiedliche Auffassung von Humor.

Doch Mateo tat, als sähe er nicht, dass ihre Miene sich verfinstert hatte. Er lächelte kurz zu ihr rüber, konzentrierte sich aber gleich wieder auf die Straße. Eine fast schmerzhafte Stille entstand. Ein paar Minuten war nur das Brummen des Motors zu hören.

„Du bist so viel mehr als jede Miss dieser Welt. Schön, klug, witzig und absolut unprätentiös“, sagte er dann.

„Oh.“ Damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie das Pochen am Hals spürte. „Versuchst du dir eine Gehaltserhöhung zu erflirten?“, fragte sie schließlich betont spitz und versuchte damit, seine Worte witzig umzudrehen. Doch treffen konnte sie ihn damit nicht.

„Sehe ich aus, als ob ich das nötig hätte?“, kam die Gegenfrage wie aus der Pistole geschossen. „Wenn ich dir ein Kompliment mache, darfst du davon ausgehen, dass es ehrlich gemeint ist. Strategiespielchen auf diesem Niveau liegen mir nicht.“

Puh. An ihrer Fähigkeit, mit seinen Komplimenten umzugehen, musste sie ganz offensichtlich noch arbeiten. So wie er sie ansah, hatte er jedes seiner Worte ernst gemeint.

Nein. Er hatte sicher keine Gehaltserhöhung nötig. Zumal sie noch nicht einmal über die Höhe seines Lohns gesprochen hatten. Es schien ihm überhaupt nicht wichtig zu sein. Hatte er genug Geld und konnte sich das leisten? Vermutlich.

Hope hätte zu gern gewusst, um was für ein Familienunternehmen es sich handelte und was bislang Mateos Job gewesen war. Doch wann immer sie einen Vorstoß in diese Richtung machte, verschloss sich seine Miene. Ganz klar, er wollte nicht darüber sprechen.

„Ich bin das nicht gewohnt“, gab sie nun offen zu. „Derartige Komplimente, meine ich.“

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

Mehr erfahren
Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
Mehr erfahren
Nikki Logan
Nikki Logan lebt mit ihrem Partner in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Australiens. Sie ist eine große Tierfreundin. In ihrer Menagerie tummeln sich zahlreiche gefiederte und pelzige Freunde. Nach ihrem Studium der Film- und Theaterwissenschaften war Nikki zunächst in der Werbung tätig. Doch dann widmete sie sich ihrem Hauptinteresse: dem...
Mehr erfahren
Nancy Callahan
Mehr erfahren