Romana Jubiläum Band 7

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SINNLICHE TAGE AUF MYROS von SARA CRAVEN

Am Strand in der Sonne, allein in einer Bucht auf einer griechischen Trauminsel – hier trifft Cressida den feurigen Draco. Und plötzlich wird aus dem ruhigen Urlaub ein sinnliches Abenteuer. Doch Draco scheint ihr etwas zu verschweigen …

HAND IN HAND von HELEN BROOKS

Ihre Reise nach Griechenland stellt das Leben von Sophy gehörig auf den Kopf. Denn als sie zum ersten Mal in Andreas Karydis’ dunkle Augen blickt, spürt sie gleich: höchste Gefahr, sich zu verlieben! Deshalb nimmt sie auch nur zögernd sein Angebot an, ihr die Schönheit seiner Heimat zu zeigen ...


ROMANTISCHES SPIEL IN GRIECHENLAND von MARGARET MAYO

Miranda fliegt nach Salamyndros, um Georgios zu suchen. Doch der Mann, der so zärtlich zu ihr war, gibt vor, sie nicht zu kennen. Erst sein Bruder Lukas beweist Miranda am nächtlichen Meer, dass Liebe mehr ist als das leichtsinnige Spiel, das Georgios mit ihr getrieben hat …


  • Erscheinungstag 06.04.2024
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524384
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Craven, Helen Brooks, Margaret Mayo

ROMANA JUBILÄUM BAND 7

1. KAPITEL

Cressida Fielding lenkte ihren Fiat zwischen den beiden Steinsäulen in die Einfahrt und fuhr über den langen, gewundenen Weg zum Haus.

Auf der breiten Kiesfläche vor dem Haupteingang brachte sie den Wagen zum Stehen. Die Hände um das Lenkrad gekrampft, saß sie einen Moment still und starrte auf das Haus.

Endlos war ihr die Fahrt vom Krankenhaus über die engen, kurvigen Landstraßen vorgekommen, während die Abendsonne ihre Augen blendete. Aber lieber wäre sie den Weg noch einmal gefahren, als sich der Situation zu stellen, die sie nun erwartete.

Das Bild ihres Vaters auf der Intensivstation ging ihr nicht aus dem Kopf. Sein Gesicht unter dem grellen Neonlicht war aschfahl, sein stämmiger Körper schien seltsam geschrumpft.

Mit zusammengepressten Lippen versuchte Cressida das Bild abzuschütteln. So durfte sie nicht denken. Ihr Vater hatte einen schweren Herzanfall erlitten, aber er war auf dem Weg der Besserung. Und sobald sein Zustand stabil genug war, würde er operiert werden. Und dann würde es ihm wieder gut gehen – zumindest gesundheitlich.

Und ich werde alles tun, ihm die Rückkehr ins Leben zu erleichtern, dachte sie.

Ihr Herz tat einen Sprung, als sie den Range Rover ihres Onkels neben den Rhododendronbüschen stehen sah. Wenigstens war sie nicht alleine.

Als sie die Stufen hochging, öffnete sich die Eingangstür, und die Haushälterin erschien mit besorgtem Gesicht. „Oh, Miss Cressy“, rief sie erleichtert bei ihrem Anblick. „Endlich sind Sie da.“

„Ja, Berry, ich bin zurückgekommen.“ Cressida legte beruhigend ihre Hand auf Mrs Berrymans Arm. In der Eingangshalle blieb sie stehen und blickte auf die geschlossenen Türen rundherum. Sie holte tief Luft. „Ist Sir Robert im Wohnzimmer?“

„Ja, Miss Cressy. Und Lady Kenny ist auch da. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn angefangen hätte, er war wie ein Fels in der Brandung.“ Sie zögerte. „Soll ich Ihnen etwas bringen?“

„Ja, vielleicht Kaffee – und ein paar Sandwiches. Ich konnte im Flugzeug nichts essen.“

Cressida sah der forteilenden Berry nach, dann durchquerte sie seufzend die Halle. An dem großen Spiegel über dem hübsch geschwungenen antiken Tischchen hielt sie kurz inne und betrachtete ihr Spiegelbild.

Sie behielt immer einen kühlen Kopf. Ihr Chef sagte es mit Bewunderung, ihre Freunde mit bekümmertem Lächeln und ihre Verehrer mit an Feindseligkeit grenzender Verzweiflung.

Eine Persönlichkeit, die sie sorgfältig und mit Bedacht aufgebaut hatte, und die ihr Halt gab.

Aber heute Abend zeigten sich Risse in der Fassade. Unter den graugrünen Augen lagen tiefe Schatten, was die hohen Wangenknochen noch stärker betonte, und um den Mund zogen sich Linien der Anspannung.

Nach dem Gefühlssturm der letzten Wochen war es das erste Mal, dass sie sich eingehend im Spiegel betrachtete. Ihre Sachen waren völlig zerknittert von der Reise, und ihr hellblondes Haar klebte am Kopf. Mit einer Grimasse fuhr sie sich durchs Haar, atmete tief durch und betrat das Wohnzimmer.

An der Tür blieb sie verdutzt stehen, als sie die veränderte Einrichtung sah – mit schwerem Brokat bezogene Polstermöbel, weißer Teppichboden anstelle der schönen alten Perserbrücken, vergoldete und kristallene Leuchter, wo früher grazile Lampen standen, und überall Spiegel. Alles wirkte teuer und geschmacklos zugleich.

Es sah aus wie ein Bühnenbild, und vermutlich war es auch so gedacht, mit Eloise in der Hauptrolle. Nur dass sie ihre Rolle nicht zu Ende gespielt hatte …

Sir Robert, der unbehaglich auf einer Sesselecke in all dieser Pracht saß, sprang sichtlich erleichtert auf, als er Cressida erblickte. „Mein liebes Kind. Das ist eine schlimme Geschichte.“ Er umarmte sie unbeholfen. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

„Ich auch nicht“, erwiderte Cressida und gab ihrer Tante einen Kuss. „Hat Eloise sich gemeldet?“

„Nein“, sagte Sir Robert knapp. „Und das wird sie auch nicht. Sie hat praktisch das ganze Haus geplündert, bevor sie ging.“ Er runzelte die Stirn. „Berry sagt, sie hätte auch den Schmuck deiner Mutter mitgenommen.“

„Dad hat ihn ihr geschenkt, als sie heirateten“, erinnerte sie ihn. „Er gehörte ihr. Wenigstens sind wir sie jetzt los.“

„Aber zu welchem Preis.“ Sir Robert verzog den Mund. „Nun ja, ich habe nie verstanden, was James an ihr fand.“

„Da bist du der Einzige, mein Liebling“, wandte seine Frau trocken ein und zog Cressida neben sich auf das Sofa. „Eloise war eine sehr schöne, sehr sexy aussehende junge Frau, und sie hat meinen unglückseligen Bruder im Sturm erobert. Er war ihr vom ersten Moment an verfallen und ist es wahrscheinlich immer noch.“

„Herrgott, Barbara, sie hat ihn ruiniert – sie und ihr … Liebhaber.“

„Das ist das Schreckliche an der Liebe“, sagte Cressida langsam. „Sie macht dich blind … verrückt …“ Ich habe das vorher nie verstanden, dachte sie schmerzlich. Aber jetzt weiß ich es. Bei Gott, jetzt weiß ich es …

Sie fing sich wieder und sah ihren Onkel an. „Stimmt es wirklich? Es ist nicht nur ein schrecklicher Irrtum?“

Sir Robert schüttelte ernst den Kopf. „Den Irrtum hat dein Vater begangen, fürchte ich. Er hat diesen Caravas anscheinend vor zwei Jahren in Barbados getroffen, als er mit Eloise dort Urlaub machte. Caravas gab sich als Anlageberater aus und machte ihm einige ganz vernünftige Angebote.“ Er presste die Lippen zusammen. „Das nennt man wohl ‚den Boden vorbereiten‘.“

„Wann hat er zuerst von der Ferienanlage gesprochen?“

„Einige Monate später“, erwiderte Sir Robert grimmig. „Sie trafen sich, angeblich zufällig, bei einem Ball. Danach gab es andere Treffen – teure Abendessen, für die er bezahlte –, und schließlich begann er von dieser Luxusferienanlage zu sprechen, wie gewinnbringend das Projekt sei und dass man möglichst viel anlegen sollte.“

Cressy zog die Luft ein. „Also hat Dad sein ganzes Geld hineingesteckt? Und noch eine Hypothek auf das Haus aufgenommen?“ Sir Robert nickte bekümmert. „Wenn James mir nur davon erzählt hätte, vielleicht hätte ich es noch verhindern können. Aber als ich es erfuhr, war es zu spät.“

„Und natürlich war es ein Flop.“ Cressy blickte auf ihre zusammengepressten Hände. „Ein Sumpfgebiet mitten in der Einöde. Niemand würde dort je etwas hinbauen.“

„Aber es war schlau eingefädelt. Ich habe die Pläne gesehen und auch die Baugenehmigung. Alles wirkte sehr professionell.“

„Und der clevere Mr Caravas? Seit wann sind er und Eloise zusammen?“, fragte Cressy.

„Ich vermute, schon ziemlich seit Beginn. Zweifellos hat sie James zu dem Deal überredet. Und jetzt sind die beiden wie vom Erdboden verschwunden. Die Polizei vermutet, dass sie ihre Namen geändert haben und das Geld sich auf einem Nummernkonto befindet.“ Er machte eine Pause. „Natürlich war dein Vater nicht das einzige Opfer.“

Cressy schloss die Augen. „Wie, um alles in der Welt, konnte Dad ein solches Risiko eingehen?“

Sir Robert räusperte sich. „Er war schon immer ein Spieler, mein Kind. Deshalb hatte er auch so großen geschäftlichen Erfolg. Aber dann verlor er an der Börse – und es gab noch verschiedene andere Probleme. In dem Projekt sah er eine zukunftssichere Anlage. Er hat nie an Ruhestand gedacht. Er wollte immer die Fäden in der Hand behalten.“

„Ja“, sagte Cressida bitter. „Und jetzt kann ich zusehen, ob aus dem Trümmerhaufen noch was zu retten ist.“ Sie blickte sich um. „Ich nehme an, das Haus sind wir los.“

„Sieht so aus“, sagte Barbara bekümmert.

Cressy nickte entschlossen. „Ich habe meinen Laptop dabei. Morgen werde ich nachsehen – herausfinden, wie schlimm es wirklich steht.“

Es klopfte, und Mrs Berryman kam mit einem vollen Tablett herein. Der Kaffeegeruch, die appetitlichen Sandwiches und selbst gebackenen Plätzchen erinnerten Cressy daran, wie lange sie nichts gegessen hatte. „Das sieht sehr lecker aus, Berry“, sagte sie mit warmer Stimme.

„Sie machen den Eindruck, als hätten Sie es nötig.“ Die Haushälterin blickte sie prüfend und mitfühlend zugleich an. „Sie haben abgenommen.“

Cressy schenkte Kaffee ein. „Das scheint nur so wegen meiner griechischen Bräune. Außerdem bin ich dort viel gewandert.“ Und ich bin geschwommen und habe getanzt …

„Mein Kind, es tut mir leid, dass dein Urlaub auf diese Weise unterbrochen wurde“, sagte Sir Robert bedrückt. „Aber ich hatte schon, bevor James zusammenbrach, daran gedacht, dir Bescheid zu geben.“

Cressy zwang sich zu einem Lächeln. „Es war ohnehin Zeit zurückzukommen.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.“ Sie reichte den Kaffee herum und bot Sandwiches an. „Ich wollte schon längst hier sein. Aber es ist Hochsaison, und ich konnte nicht gleich einen Flug bekommen. Ich musste einen ganzen Tag in Athen warten.“

Es war ein nervenaufreibender, verkorkster Tag gewesen. Sie hatte an einer Führung auf die Akropolis teilgenommen, sich von der Menge durch die Plaka schieben lassen und ständig darauf gewartet, dass sich eine Hand auf ihre Schulter legt, jemand sie beim Namen nennt …

„Cressy, ich mache mir Sorgen um dich“, sagte Lady Kenny. „Du hast nicht genug Spaß im Leben. Dauernd hockst du vor dem Computer, um anderer Leute Steuerprobleme zu lösen. Du solltest dir einen netten jungen Mann suchen.“

„Ich mag meinen Job“, erwiderte Cressy sanft. „Und wenn du damit meinst, ich solle mich der Leidenschaft hingeben, dann haben wir damit schon genug Ärger in unserer Familie. Wenn ich daran denke, wie mein Vater sich zum Narren machte für jemand wie Eloise…“

„Er war lange allein“, sagte ihre Tante ruhig. „Der Tod deiner Mutter hat ihn sehr mitgenommen. Und Eloise war clever – sie hat ihn um den Finger gewickelt. Sei nicht zu hart mit ihm, Kind.“

„Nein“, erwiderte Cressy gedankenverloren. „Ich habe kein Recht, über ihn zu urteilen. Wie leicht kann man von seinen Gefühlen überrumpelt werden.“ Das wusste sie nur zu gut.

Für einen Moment sah sie das kobaltblaue Meer, den weißen Strand, die von der Sonne gebleichten Klippen. Und sie sah dunkle lachende Augen in einem markanten, gebräunten Gesicht, Augen, in denen ganz plötzlich das Begehren aufflackern konnte …

Sie schob das Bild beiseite. Ich werde nicht mehr an ihn denken, befahl sie sich streng. Ich darf nicht …

Als sie die erstaunten Blicke ihrer Tante und ihres Onkels sah, fügte sie schnell hinzu: „Vielleicht sollte ich mich nicht von meiner Abneigung gegen Eloise überwältigen lassen. Wenn ich hier gewesen wäre, hätte ich vielleicht alles verhindern können.“ Tränen traten ihr in die Augen, und sie biss sich auf die Lippen.

Sir Robert tätschelte ihre Schulter. „Cressy, du bist die Letzte, die man dafür verantwortlich machen könnte. Und was den Herzanfall angeht, so meinte der Doktor, dass er schon vor einem Jahr Anzeichen festgestellt und deinen Vater gewarnt hat. Aber der wollte es nicht wahrhaben.“

„Wegen Eloise“, sagte Cressy bitter. „Oh, warum musste er sie treffen?“

Lady Kenny sagte sanft: „Manchmal geht das Schicksal seltsame Wege, Cressy.“ Und nach einer Pause: „Ich habe ein Zimmer in unserem Haus für dich hergerichtet, falls du nicht nach London zurückwillst. Und du sollst das nicht alleine durchstehen müssen.“

„Das ist sehr nett von dir“, sagte Cressy dankbar; „Aber ich möchte hier im Haus bleiben. Ich habe im Krankenhaus hinterlassen, dass sie mich hier erreichen können. Und Berry ist ja auch noch da.“

„Ach ja“, seufzte Sir Robert. „Ich fürchte, Berry wird ein weiteres Opfer dieses Debakels werden.“

„Oh, bestimmt nicht“, wandte Cressy ein. „Sie hat schon immer zur Familie gehört.“ Etwas, das selbst Eloise nicht ändern konnte, dachte sie.

Sir Robert trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse ab. „Mein Kind, du musst dich wohl damit abfinden, dass nichts mehr so sein wird wie früher.“

Er hat recht, dachte Cressy, als sie eine Stunde später auf der Treppe stand, um ihn und ihre Tante zu verabschieden. Alles hatte sich auf einen Schlag verändert. Einschließlich ihr selbst.

Während sie ins Haus zurückging, versuchte sie, die Erinnerung abzuschütteln.

Sie musste die verzauberten, sonnentrunkenen Tage auf Myros vergessen. Wie nahe war sie selbst daran gewesen, einen schrecklichen Fehler zu begehen.

Der dringende Anruf aus England, auch wenn der Anlass noch so schmerzlich war, hatte sie in die Realität zurückgeholt. Hatte sie aus diesem gefährlichen, verführerischen Traum erweckt, der sie gefangen hielt. Eine Urlaubsaffäre – mehr war es nicht. Unbedeutend und kitschig, wie so was eben ist – ein glutäugiger Grieche und eine gelangweilte Touristin.

Sie fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sie die Nachricht ihres Onkels nicht im Hotel vorgefunden hätte. Wenn sie Dracos Aufforderung gefolgt und zu ihm zurück nach Myros gefahren wäre …

Sie unterbrach diesen Gedankengang. Solche Fantasien waren jetzt nicht am Platz. Myros und alles, was dort passiert war, gehörte der Vergangenheit an. Irgendwann würde es nichts weiter sein als eine jener Erinnerungen, die man ausgräbt, abstaubt und lächelnd anschaut.

Die Erinnerung an eine Leidenschaft …

Jetzt aber gab es andere Probleme. Sie würde früh ins Bett gehen und morgen sehen, was noch zu retten war.

Doch sie schlief unruhig, wachte mehrmals schweißgebadet auf, von Bildern verfolgt, die sie nicht einordnen konnte. Vielleicht lag es daran, dass sie in dieses Haus zurückgekommen war, wo sie sich so lange fremd gefühlt hatte, und wieder in ihrem alten Zimmer schlief. Die Vergangenheit spukte in ihrem Unterbewusstsein herum.

Aber wenigstens hatte dieser Raum Eloises kostspielige Renovierungsmaßnahmen unbeschadet überstanden. Cressy dachte eher sorgenvoll als ärgerlich daran, wie entschlossen Eloise jede Spur ihrer Vorgängerin zu tilgen versucht hatte. Kein Wunder, dass ihr Vater in finanzielle Schwierigkeiten geraten war.

Obwohl man gerechterweise sagen musste, dass dies nicht das erste Mal war, dass James Fielding zu viel riskiert hatte. Nur diesmal schien sein guter Riecher ihn im Stich gelassen zu haben.

Sie schob die Decke weg, stand auf und ging zum Fenster. Am östlichen Horizont zeigte sich bereits ein heller Streifen, und die kühle Morgenluft ließ sie in ihrem dünnen Baumwollhemd erzittern.

In Griechenland waren die Nächte so heiß gewesen. Außer im Hotel, wo es eine Klimaanlage gab. Jeden Abend hatte das Zimmermädchen ihr seidenes Nachthemd kunstvoll aufs Bett drapiert, eine Rose darauf gelegt und ein exquisites Stück Konfekt aufs Kopfkissen.

In der Taverne in Myros hatte sie nackt geschlafen und selbst das dünne Laken weggeschoben, froh, durchs offene Fenster die laue Meeresbrise auf ihrer Haut zu spüren.

Sie ging leise nach unten in die Küche und kochte sich eine Kanne Kaffee, die sie mit ins Arbeitszimmer nahm. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, konnte sie ebenso gut mit der Arbeit anfangen.

Sie war sicher, dass das finanzielle Desaster abgewendet werden konnte. Ihr Vater war ein Stehaufmännchen. Er würde seine Krankheit überwinden und ein neues Leben beginnen.

Sie hatte im Flugzeug schon überlegt, was sie dazu beitragen konnte, war aber nicht sehr weit gekommen. Selbst wenn sie ihre Londoner Wohnung verkaufen und wieder hier leben würde, könnte sie die Hypothek nicht abzahlen.

Außerdem war sie nicht sicher, ob sie es ertragen könnte, wieder in diesem Haus zu wohnen, und sei es auch nur für kurze Zeit. Es gab zu viele schlechte Erinnerungen.

Cressida war ein Teenager gewesen und hatte noch um ihre Mutter getrauert, als sie erfuhr, dass ihr Vater wieder heiraten wollte. Zu dem Schock kam das Gefühl des Verrats, als sie herausfand, welche Art von Frau ihr Vater sich ausgesucht hatte.

Rückblickend erkannte sie allerdings auch ihre eigene Intoleranz gegenüber der neuen Mitbewohnerin.

Eloise war eine kleine Schauspielerin gewesen, und der Höhepunkt ihrer Karriere war die Rolle als Hostess in einer zweitklassigen Quizsendung im Fernsehen. Sie war groß und vollbusig, mit kokett aufgeworfenen Lippen und kindlich weit geöffneten veilchenblauen Augen. Außer wenn sie sich ärgerte. Dann waren ihre Augen zusammengekniffen wie bei einem Raubtier.

Die Abneigung war beiderseitig. Eloise machte kein Hehl daraus, dass sie keine Lust hatte, sich mit anderen Frauen abzugeben, und sei es auch nur mit einem jungen unreifen Küken, das ihr keinesfalls Konkurrenz machen konnte.

Und wenn Cressy auf Drängen ihres Vaters zaghafte Annäherungsversuche unternahm, wurde sie brüsk zurückgewiesen. Sie wurde immer verschlossener und galt schließlich als hinterlistiges, ja schwer erziehbares Kind. Und James Fielding, der nicht merkte, dass er manipuliert wurde, zeigte ihr deutlich sein Missfallen. So entstand mit den Jahren eine immer größere Kluft zwischen Vater und Tochter.

Cressida hatte bald gespürt, dass sie unerwünscht war. Selbst über Weihnachten war sie alleine. Dann organisierte Eloise gewöhnlich einen Skiurlaub für sich und ihren Mann.

„Liebling“, hatte sie beim ersten Mal einschmeichelnd gesagt. „Cressida hat bestimmt keine Lust, ihre Ferien mit uns altmodischen Leuten zu verbringen. Sie hat ihre eigenen Freunde, ihr eigenes Leben.“ Ihr stählerner Blick traf die Stieftochter. „Stimmt’s?“

Es war leichter, den Schmerz und die Verwirrung hinunterzuschlucken und zuzustimmen. Natürlich hatte sie Freunde, zu denen sie gehen konnte, und auch Onkel Robert und Tante Barbara waren immer für sie da. Ihr gemütliches, unordentliches Haus war für sie ohnehin zur Heimat geworden.

Lange Zeit hatte Cressida sich einzureden versucht, dass ihrem Vater eines Tages die Augen aufgehen würden. Aber das war nie passiert.

Eloise, dessen war Cressida sicher, sah in James Fielding nur den erfolgreichen Geschäftsmann mit solidem Hintergrund und einem hübschen Haus im viktorianischen Stil, nicht allzu weit von London entfernt.

Was sie nicht wusste, war, dass James’ Firma wiederholt in finanzielle Krisen geriet und dass James als Vorstandsvorsitzender mehr als einmal versagt hatte, bis man ihm schließlich den Rücktritt nahe legte.

Eloise war viel zu sehr damit beschäftigt, Wochenendpartys zu organisieren und sich mit den richtigen Leuten an den richtigen Orten zu zeigen.

Selbst als James in den Ruhestand ging, schraubte sie ihre Ansprüche nicht zurück.

Alec Caravas war jung und unternehmungslustig. Und Eloise war leicht zu verführen.

In den letzten beiden Jahren hatte Cressida ihren Vater nur hin und wieder in London zum Lunch getroffen, meist in angespannter Atmosphäre.

Vielleicht hätte ich mir mehr Mühe geben sollen, dachte sie, während sie ihren Kaffee trank. Vielleicht hätte ich ihm vorheucheln sollen, sie zu mögen. Ich hätte mir einreden können, dass sie, ungeachtet meiner Abneigung, meinen Vater liebte und ihn glücklich machte.

Aber daran hatte sie nie geglaubt. Allerdings hätte sie auch nicht erwartet, auf solch fatale Weise Recht zu bekommen.

Sie wandte sich seufzend dem Computer zu. Es hatte keinen Sinn, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Besser wäre es, sich um die Zukunft ihres Vaters zu kümmern.

Was sie herausfand, war jedoch wenig beruhigend.

Die Rente war tatsächlich alles, was ihrem Vater blieb. Nach seiner Genesung wird er feststellen, dass er bankrott ist, dachte sie unglücklich.

Er würde seinen Lebensstil herunterschrauben müssen. Sie musste eine Wohnung oder ein kleines Haus für ihn mieten und ihm ein Heim schaffen – ihm und Berry, die er mehr denn je brauchen würde. Aber wer sollte das bezahlen?

Darüber würde sie später nachdenken. Sie sah auf die Uhr. Zeit, zu duschen und sich anzuziehen und dann wieder ins Krankenhaus zu fahren.

Erst als sie den Stuhl zurückschob, bemerkte sie auf dem Bildschirm den Hinweis auf eine Nachricht.

Noch jemand, der früh aufgestanden ist, dachte sie und zog eine Grimasse.

Sie öffnete die E-Mail und las:

Ich warte auf Dich.

Obwohl dieser Satz knapp war und die Absenderadresse ihr unbekannt vorkam, zuckte sie zusammen und blickte instinktiv hinter sich. Das Zimmer war leer, und doch fühlte sie Dracos Anwesenheit. Es war, als würde er ihr von hinten die Hand auf die Schulter legen.

„Nein“, sagte sie in Panik. „Das ist nicht wahr. Das kann nicht sein …“

2. KAPITEL

Bestimmt gab es eine ganz einfache Erklärung. Irgendwer hatte sich einen Scherz mit ihr erlaubt.

Während der Fahrt zum Krankenhaus versuchte Cressy, sich das einzureden. Es war ganz sicher einer ihrer Kollegen …

Nur dass alle dachten, sie würde sich auf einer Insel in der Ägäis sonnen. Sie hatte noch niemandem erzählt, dass sie wieder da war.

Außerdem war die Nachricht zu knapp, zu persönlich. Sie konnte nur von Draco kommen. Aber wie kam ein griechischer Fischer mit einem kleinen, schäbigen Boot und einem halb fertigen Haus zu einem Computer und all dem technischen Know-how?

Es ergab keinen Sinn.

Davon abgesehen hatte sie ihm nur ihren Vornamen genannt. Wie konnte er sie damit ausfindig machen?

Die Gedanken kreisten immer noch in ihrem Kopf, als sie im Fahrstuhl zur Intensivstation hochfuhr. Erst als die Schwester ihr mitteilte, es gehe ihrem Vater erheblich besser, wurde sie ruhiger.

„Im Augenblick schläft er, aber Sie können sich gern zu ihm setzen.“ Die ruhigen Augen der Schwester blickten sie offen an. „Sicher werden Sie ihm keine Dinge erzählen, die ihn aufregen, Miss Fielding. Er braucht absolute Ruhe.“

„Natürlich nicht“, beeilte sich Cressy zu sagen. „Ich will doch, dass er wieder gesund wird.“

Sie holte sich einen Kaffee am Automaten im Gang und setzte sich ans Bett. Sie durfte jetzt nicht mehr an die mysteriöse Nachricht denken. Zuerst musste sie sich um ihren Vater kümmern.

James Fieldings Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen, und er sah fast aus wie früher. Bald würde er in ein normales Einzelzimmer verlegt werden können. Für die ausstehenden Beiträge seiner privaten Krankenversicherung würde sie aufkommen.

„Ich werde dich nicht allein lassen, Daddy, was auch kommen mag“, murmelte sie.

Einmal wachte er kurz auf und lächelte sie schwach an, schlief jedoch sofort wieder ein.

Abgesehen vom leisen Brummen der Maschinen war es friedlich im Raum. Und heiß. Cressy öffnete einen weiteren Knopf ihrer cremefarbenen Baumwollbluse.

Fast so heiß wie in Griechenland.

Einen Moment lang spürte sie wieder die stechende Sonne auf ihrem Kopf, sah das gleißende Licht auf dem Wasser und hörte, wie die Wellen leise an das Boot schlugen, das sie nach Myros brachte.

Myros …

Der indigoblaue Fleck am Horizont war ihr gleich am ersten Tag aufgefallen, nachdem sie über den kühlen Marmorboden ihres Hotelzimmers zum Balkon gegangen war und den Blick über das schillernde Meer gleiten ließ.

Und als der Hotelboy ihr Gepäck brachte, fragte sie nach dem Namen der Insel „Das ist Myros“, war die Antwort.

„Myros“, wiederholte sie flüsternd.

Sie stand an der Balustrade, ihr Gesicht zur Sonne erhoben, während sie dem Meeresrauschen und dem Zirpen der Grillen im unterhalb gelegenen Park lauschte.

Die Anspannung der letzten Monate fiel von ihr ab. Sie hatte diesen Urlaub wirklich bitter nötig. Martin hatte recht gehabt.

Für gewöhnlich arbeitete sie sehr gewissenhaft, aber in den letzten Wochen hatte sie einige, wenn auch geringfügige Fehler gemacht.

Martin hatte sie über seine Brillengläser hinweg angesehen. „Wann hast du das letzte Mal richtig ausgespannt, Cress? Abgesehen von Weihnachten und den üblichen Feiertagen?“

„Ich nehme mir schon ab und zu frei“, hatte sie erwidert. „Das letzte Mal habe ich mein Wohnzimmer renoviert.“

„Eben.“ Er hatte sich im Sessel zurückgelehnt und sie durchdringend angesehen. „Und jetzt nimmst du dir den Nachmittag frei, gehst in ein Reisebüro und buchst mindestens drei Wochen absolute Erholung irgendwo am Mittelmeer. Dann kaufst du dir Sonnencreme und ein paar Krimis und schwirrst ab. Das ist ein Befehl“, hatte er hinzugefügt, als Cressy protestierend den Mund öffnete.

Murrend hatte sie gehorcht und gleich den ersten Vorschlag des Reisebüros angenommen. Ein Zimmer in einem gerade eröffneten griechischen Luxushotel, alles inklusive.

In den ersten Tagen tat sie nichts anderes, als unterm Sonnenschirm auf der Terrasse zu liegen und abwechselnd in den drei Pools zu schwimmen. Ab und zu spielte sie ein bisschen Tennis oder versuchte sich im Surfen. Ansonsten nahm sie ausgiebig die verschiedenen Restaurants in Anspruch.

Das Reisebüro hatte nicht zu viel versprochen. Das Hotel war absolute Luxusklasse, und es war für jede Bequemlichkeit gesorgt.

Aber nach einer Woche fand Cressy, es sei alles zu perfekt. Die meisten anderen Gäste schienen es zu genießen, den ganzen Tag in der Ferienanlage zu verbringen, und ließen sich willig von vorne bis hinten bedienen. Doch Cressy begann unruhig zu werden. Sie nahm sich einen Mietwagen und erkundete die Insel.

Die Inselhauptstadt mit ihrem Jachthafen und den eleganten Geschäften ließ sie kalt. Sie zog es vor, über halsbrecherische Gebirgsstraßen zu fahren, besichtigte eine Kirche mit berühmten Fresken, trank dunklen würzigen Wein in kleinen Tavernen und süßen griechischen Kaffee im Kafenion eines verlassenen Bergdorfs.

Aber immer wieder schaute sie über die blau schimmernde Ägäis auf diesen Fleck am Horizont.

Eines Morgens fragte sie beiläufig an der Rezeption: „Wie kommt man eigentlich nach Myros?“

Der Angestellte hätte nicht erstaunter blicken können, wenn sie nach dem nächsten Raumschiff zum Mond gefragt hätte.

„Es ist doch nicht weit. Ich nehme an, es gibt eine Fähre.“

Der Mann presste die Lippen aufeinander. „Es gibt Boote“, sagte er mit nicht gerade ermutigender Stimme, „aber Touristen gehen dort nicht hin, Miss Fielding.“

„Warum nicht?“

Er hob die Schultern und antwortete: „Weil sie hier alles haben, was sie brauchen.“

„Trotzdem möchte ich wissen, von wo die Boote abfahren“, erwiderte Cressy ungerührt und unterdrückte ein Grinsen.

In fast beleidigtem Ton sagte der Angestellte: „Aber es gibt dort nichts zu sehen, keine Hotels, keine Freizeitmöglichkeiten. Es ist ein Ort für Bauern und Fischer.“

„Das hört sich gut an“, sagte Cressy.

Der Bootsmann sah wie ein freundlicher Pirat aus und wollte den Fährpreis, den sie ihm anbot, zuerst nicht annehmen. Sie war die einzige Ausländerin, und sie war sich der neugierigen Blicke bewusst, während sie den verschwommenen Fleck am Horizont fixierte, der allmählich näher rückte. Bis sie schließlich die felsige Gebirgskette und die tiefer gelegenen grünen Abhänge klar erkennen konnte.

Das Boot fuhr an der Küste entlang, und Cressy sah helle Sandstrände, flankiert von zerklüfteten Felsen. In dem kleinen Hafen lagen Fischerboote. Kleine weiße Häuser schienen den Hang hinab zum Meer zu kullern, wo die Fischernetze zum Trocknen ausgebreitet lagen.

Der Klang einer Kirchenglocke durchdrang kühl und sonor die heiße, vibrierende Luft.

Cressys Herz wurde von plötzlicher Freude und Erregung ergriffen. Sie nahm ihre Segeltuchtasche über die Schulter und kletterte aus dem Boot.

Am Hafen lagen vereinzelte Tavernen und Kafenions, in denen zumeist ältere Männer saßen und Tavli, eine Art Backgammon, spielten.

Cressy setzte sich im größten der Lokale an einen Tisch unter der Markise und wartete, bis der Wirt, ein stämmiger Mann in Jeans und weißem T-Shirt, die Steinfliesen abgespritzt hatte.

„Sie wünschen?“, fragte er auf Griechisch. Sein Lächeln war höflich, aber seine schwarzen Augen blickten sie abschätzend an.

Cressy bestellte eine eisgekühlte Cola. Als er sie brachte, fragte sie ihn, ob sie irgendwo ein Auto leihen könne.

Er zeigte ein breites, bedauerndes Lächeln. Die einzigen Fahrzeuge auf Myros seien Jeeps und kleine Lieferwagen, die man aber nicht mieten könne. Und ohnehin seien die Straßen sehr schlecht.

Sie hatte zwar gewusst, dass die Insel nicht auf Touristen eingestellt war, aber dennoch war es eine erste Enttäuschung. „Kann man zu Fuß zum Strand gehen?“, fragte sie.

Der Mann nickte. „Unser schönster Strand ist nur einen Kilometer von hier entfernt.“ Er machte eine Pause und strich über seinen schwarzen Schnurrbart. „Aber es gibt eine bessere Möglichkeit.“ Er verschwand in einem Schuppen hinter der Taverne und kam mit einem alten Fahrrad zurück. „Es gehört meiner Schwester“, erklärte er. „Aber die wohnt jetzt in Athen.“

„Und Sie wollen es mir leihen?“, fragte Cressy erstaunt. „Das ist aber sehr nett von Ihnen.“

„Es ist ihr sicher eine Ehre, wenn Sie es benutzen“, erwiderte er.

„Aber woher wollen Sie wissen, dass ich es wieder zurückbringe?“

Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Mannes. „Wenn Sie Myros verlassen wollen, müssen Sie wohl oder übel wieder hier vorbeikommen. Außerdem wollen Sie sicher etwas essen, und bei mir gibt es guten Fisch. Den besten.“

Cressy war seit Jahren nicht mehr Rad gefahren. Sie wartete, bis der Besitzer, er hieß, Yannis, umständlich den Sattel für sie abgewischt hatte. Dann stieg sie ungelenk auf.

„Ich hoffe, es hält bis zum Strand“, sagte sie zweifelnd.

„Ein Kilometer ist nicht weit, und ich würde Ihnen nicht raten, weiterzufahren.“

„Na, vielleicht kriege ich Spaß daran und mache eine große Tour“, erwiderte Cressy fröhlich.

Yannis’ Gesicht wurde plötzlich ernst. „Es ist besser, wenn Sie nicht weiter als bis zum Strand fahren. Dahinter ist die Straße sehr, sehr schlecht.“

Irgendwie hatte sie das Gefühl, er wolle sie noch vor etwas anderem warnen als dem schlechten Zustand der Straße.

Er hat nicht übertrieben, dachte sie, als sie über den Weg holperte, der bald nur noch ein Lehmpfad war, mit Olivenhainen auf der einen Seite und dem Meer auf der andern. Sie musste sich sehr anstrengen, um den Drahtesel einigermaßen gerade zu halten und den Löchern und großen Steinbrocken auszuweichen.

Abgesehen vom leisen Plätschern der Wellen und dem sanften Rascheln des Windes in den Olivenbäumen war kein Laut zu hören, und Cressy hatte das Gefühl, allein zu sein mit dieser stillen, sonnendurchglühten Landschaft.

Und sie war froh über den breiten Strohhut auf ihrem blonden Haar.

Bald hatte sie den Strand erreicht, sah aber voller Enttäuschung, dass er nur aus einem schmalen Streifen Sand bestand, der mit Kieselsteinen durchsetzt war und keinen Schatten bot.

Die Strände, die ich vom Boot aus gesehen habe, waren viel schöner, dachte sie. Yannis kann nicht diesen hier gemeint haben.

Und da sie trotz des holprigen Wegs zunehmend Gefallen an ihrer Radtour fand, entschied sie sich, weiterzufahren.

Doch bald bedauerte sie ihren Entschluss. Die Straße stieg plötzlich steil an, und ihr klappriger Untersatz war leider kein Mountainbike. Sie hätte auf Yannis hören sollen.

Sie stieg ab, trank einen Schluck aus der Wasserflasche, die Yannis ihr mitgegeben hatte, und überlegte, was sie tun sollte.

Myros war nur eine kleine Insel, und der nächste Strand konnte nicht allzu weit entfernt sein. Es wäre sicher besser, das Fahrrad abzustellen und zu Fuß weiterzugehen. Bestimmt würde niemand das alte Rad mitnehmen.

Sie legte es vorsichtig unter einen Olivenbaum und machte sich auf den Weg.

Als sie ein paar Hundert Meter gegangen war, hörte sie leise Musik – mit ihrem typischen Grundrhythmus unzweifelhaft griechisch. Cressy blieb stehen, außer Atem von dem steilen Aufstieg, und lauschte mit zusammengezogenen Augenbrauen.

„Das darf doch nicht wahr sein“, murmelte sie. „Jetzt bin ich den ganzen Weg in der Hitze gelaufen, nur um in eine Strandparty zu geraten.“

Zuerst wollte sie weitergehen, doch dann packte sie die Neugier. Dem Klang der Musik folgend, ging sie leise durch das Gestrüpp zum Rand des Kliffs. Dort gab es einen schmalen Pfad, der zu einer hellen Sandbucht hinabführte. Aber zunächst kletterte Cressy weiter nach oben, bis zum höchsten Punkt der Klippe, von wo sie rundum blicken konnte.

Unten lag ein kleines Boot mit verblichenem blauen Anstrich und eingerollten Segeln. Es schien verlassen.

Doch dann stockte ihr der Atem. Unter ihr auf dem Sand tanzte ein Mann.

Die Arme weit zur Seite ausgestreckt, das Gesicht der Sonne zugewandt, bewegte er selbstvergessen seinen Körper, sprang hoch, tippte mit den Fußspitzen im Rhythmus der Musik auf den Boden. Sein ganzer Körper atmete schiere Lebenslust und schien völlig der eindringlichen Musik hingegeben.

Sie setzte sich unter einen dürren Strauch und beobachtete den Mann, zuerst amüsiert, dann wurde sie immer stärker mitgerissen.

Im Hotel hatte es Abendveranstaltungen gegeben, auf denen Sirtaki getanzt wurde, aber niemals mit dieser wilden, elementaren Kraft.

Dieser Mann schien vollkommen mit seiner Umgebung zu verschmelzen, als sei er Teil des Meeres und der Felsen und der sengenden Sonne. Wie ein griechischer Hirtengott …

Jetzt geht meine Fantasie aber mit mir durch, unterbrach sie ihren Gedankengang. Er mochte ein wunderbarer Tänzer sein, aber sicher war er nur ein Kellner aus einem der Hotels auf der Nachbarinsel, der nach dem Abendessen für die Touristen tanzte und hier seine Übungen machte.

Aber nicht aus meinem Hotel dachte sie. Sonst wäre er mir aufgefallen … Denn er war nicht nur ein guter Tänzer, sondern in jeder Hinsicht ein schöner Mann.

Er war groß, mit wundervollem Körperbau, breiten, muskulösen Schultern, schmalen Hüften und langen Beinen. Seine einzige Bekleidung waren abgetragene Baumwollshorts, die nicht allzu viel verdeckten.

Das dichte dunkle Haar kräuselte sich im Nacken und glänzte in der Sonne wie Seide, und seine Haut war wie aus Bronze.

Cressy bemerkte leicht schockiert, wie ihr Mund trocken wurde und ihr Puls erregt hämmerte.

Was, zum Teufel, ist mit mir los? fragte sie sich unwirsch und erhob sich vom Boden. Ich bin eine intelligente Frau und stehe normalerweise auf Hirn, nicht auf Muskeln – falls ich überhaupt an derartigen Geschichten interessiert bin.

Und ich bin ganz bestimmt nicht hierhergekommen, um mich in einen Urlaubsflirt verwickeln zu lassen.

Sie ging den Weg weiter. Ich bin unfair, dachte sie und beschleunigte ihre Schritte. Schließlich konnte der einsame Tänzer nicht wissen, dass er beobachtet wurde. Er lebte ganz in seiner Welt voll Leidenschaft und Bewegung, und es war ihr Problem, wenn sie dahinschmolz wie Butter in der Sonne.

Trotzdem war sie froh, als sie die Musik nicht mehr hörte. Das Bild würde ihr allerdings nicht so schnell aus dem Kopf gehen.

Nach ein paar Hundert Metern erreichte sie eine andere kleine Bucht, die zum Glück menschenleer war, und kletterte hinunter zum Strand.

Sie blieb einen Moment lang stehen und lauschte in die Stille. Dann breitete sie ihr Handtuch im Schatten eines Felsens aus, schlüpfte aus ihren Espadrilles und zog Baumwollshorts und T-Shirt aus. Ihren Bikini hatte sie bereits an.

Sie ließ sich in die Wellen gleiten und schwamm mit kraftvollen Bewegungen ins Meer hinaus. Das Wasser war wie kühlender Balsam auf ihrer erhitzten Haut.

Nach einer Weile drehte sie sich auf den Rücken und ließ sich mit geschlossenen Augen treiben, ihr Gesicht der Sonne zugewandt.

Sie fühlte sich vollkommen gelöst. London und das Büro mit seinen Problemen schienen unendlich weit. Selbst der Zwist mit ihrem Vater schmerzte nicht mehr so sehr. Eloise hatte einen Keil zwischen sie getrieben, aber den konnte man auch wieder entfernen. Vielleicht war nur etwas Distanz nötig gewesen, um das zu erkennen.

Zurück an ihrem Felsen, trocknete sie sich ab, cremte sich ein, trank noch etwas Wasser und legte sich auf den Bauch. Sie öffnete den Verschluss ihres Bikinioberteils und legte ihr Gesicht schläfrig auf die Arme, mit sich und der Welt vollkommen im Reinen.

Sie hätte nicht sagen können, was sie geweckt hatte. Aber plötzlich hatte sie ein Gefühl von Unbehagen – ein plötzliches Frösteln, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben –, das ihre angenehmen Träume abrupt beendete.

Cressy öffnete widerstrebend die Augen. Zunächst konnte sie nichts erkennen, weil die Sonne sie blendete.

Dann wurde ihr klar, dass sie nicht mehr allein war. Ein paar Meter von ihr entfernt lag jemand im Sand. Ein großer, gebräunter Mann in ausgewaschenen Shorts, der sie – o Gott – anlächelte.

Sie wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Und sie konnte auch nicht so schnell weg, weil ihr Bikinioberteil offen war.

Schließlich brachte sie mit dünner Stimme heraus: „Was wollen Sie von mir?“

Sein Lächeln wurde breiter. Wie sie feststellte, hatte er einen sinnlich geformten Mund und strahlend weiße Zähne. Seine Nase war gerade, wenn auch eine Spur zu lang, um dem klassischen Schönheitsideal zu genügen. Er hatte breite Backenknochen und tief liegende achatfarbene Augen mit goldenen Pünktchen. Und augenscheinlich hatte er sich heute noch nicht rasiert.

„Warum bist du nicht heruntergekommen und hast mit mir getanzt?“, fragte er auf Englisch mit tiefer Stimme und leicht amüsiertem Tonfall.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen“, sagte Cressy indigniert.

„Nein?“ Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Du solltest nicht schwindeln, besonders wenn deine Augen etwas anderes sagen.“

„Das ist lächerlich“, erwiderte Cressy feindselig. „Und unverschämt obendrein. Schließlich kennen Sie mich überhaupt nicht.“

„Ich habe gesehen, wie du mich beobachtet hast, und dann bist du weggerannt“, sagte er.

„Ich bin nicht weggerannt“, sagte Cressy so resolut, wie es ihre missliche Lage zuließ. Ohne ihr Oberteil konnte sie sich schlecht hinsetzen. „Ich wollte nur einfach ein friedliches Plätzchen finden. Und ich hatte nicht die Absicht, Sie zu stören. Bitte gehen Sie zurück zu Ihrem – Training.“

„Das ist für heute beendet. Jetzt ist erst mal Essenszeit“, sagte er ungerührt und öffnete einen kleinen Rucksack.

Cressy grollte innerlich. Wie, zum Teufel, sollte sie diesen griechischen Macho wieder loswerden, ohne ihn zu beleidigen? Voller Unbehagen wurde ihr klar, wie abgelegen der kleine Strand war, und dass sie beide fast nichts anhatten. Sie durfte ihn auf keinen Fall provozieren. In keinerlei Hinsicht.

Sie sah umständlich auf die Uhr. „Ja, das stimmt. Ich muss zum Dorf zurück. Yannis erwartet mich zum Essen in seiner Taverne.“

„Aber doch nicht mitten am Tag“, sagte er. „Da trinkt er gerne Kaffee und spielt Tavli. Heute Abend wird er kochen.“

„Das glaube ich nicht.“ Cressy versuchte, den Haken an ihrem Bikini zu schließen. „Heute Abend muss ich mit der Fähre nach Alakos zurückfahren.“

Ihr unerwünschter Nachbar beobachtete interessiert, wie sie sich abmühte, bot aber glücklicherweise nicht seine Hilfe an. „Wohnst du dort im Hotel?“

„Ja.“ Beim dritten Versuch war es ihr endlich gelungen, den Haken zu schließen, und sie fühlte sich ein wenig sicherer. „Im Hellenic Imperial.“

„Hoho!“ Er hob die Augenbrauen. „Du musst ziemlich reich sein, um in einem solchen Hotel zu wohnen.“

„Überhaupt nicht“, erwiderte Cressy spitz. „Ich arbeite wie jeder andere auch.“

„Ah, dann bist du bestimmt Model oder Schauspielerin.“ Er brachte eine Papiertüte aus seinem Rucksack zum Vorschein und öffnete sie. Cressy sah, dass eine Pitta darin war.

„Nein, ich arbeite im Büro – als Steuerberaterin.“ Sie griff nach ihrem T-Shirt. „Und jetzt muss ich los.“

„Es ist noch viel Zeit, bis die Fähre geht.“ Er teilte die Pitta und hielt ihr die Hälfte hin.

„Nein danke“, sagte Cressy. „Das ist sehr nett, aber ich kann unmöglich …“

Er legte das gefüllte Pittabrot mit der Tüte als Unterlage auf eine Ecke ihres Badetuchs.

„Warum bist du so ängstlich?“ Es klang, als frage er aus höflichem Interesse.

„Ich bin nicht ängstlich.“

Er seufzte. „Du schwindelst schon wieder. Jetzt iss und erzähle mir von deiner Arbeit in England. Und dann gehen wir schwimmen. Und sag nicht, du könntest nicht schwimmen, ich habe dich nämlich auch beobachtet.“

Cressy setzte sich kerzengerade auf. Ruhig und kühl sagte sie: „Kommt es Ihnen eigentlich nicht in den Sinn, dass ich vielleicht keine Lust habe, den Nachmittag mit Ihnen zu verbringen?“

„Doch“, antwortete er. „Aber das wird sich ändern, wenn du mich kennenlernst. Und jemand, der so jung und hübsch ist, sollte nicht alleine sein. Das ist traurig.“

Die Pitta war mit Lammfleisch gefüllt, und der Geruch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Sie sah zu ihm hin. „Ich lege keinen Wert auf nichtssagende Komplimente.“

Er sagte: „Ich auch nicht. Aber du bist nun mal jung, und wer jung ist, ist meistens hübsch. Ich heiße übrigens Draco.“ Er lächelte sie an. „Und jetzt iss und hör auf, dir Gedanken zu machen.“

Leichter gesagt, als getan, dachte Cressy.

3. KAPITEL

Trotz ihres unbehaglichen Gefühls entschied Cressy, dass es vernünftiger wäre, das Essen anzunehmen. Wenigstens das – und dann würde sie gehen.

Falls es dann noch möglich ist, meldete sich eine unangenehme innere Stimme. Sie mochte ihm geistig überlegen sein, aber körperlich könnte sie es niemals mit ihm aufnehmen.

Das kommt davon, wenn man glaubt, unabhängig zu sein und sich auf Abenteuersuche begibt, dachte sie. Sie hätte lieber in der sicheren Umgebung ihres Hotels bleiben sollen.

Obwohl ihr Hals wie zugeschnürt war, schmeckte der erste Bissen bereits so köstlich, dass sie alles restlos aufaß. Das Fleisch war gegrillt und mit Kräutern und Zitrone eingerieben und schmeckte wunderbar.

„Das war gut, nicht wahr?“, fragte Draco, als Cressy sich Mund und Finger an einer Serviette abwischte.

„Ganz köstlich“, gab sie zu und lächelte ihn an. „Sie sprechen sehr gut Englisch.“

Er lächelte leicht, als erinnere er sich an etwas. „Ich hatte gute Lehrer.“

„Sicher Frauen“, hörte Cressy sich gegen ihren Willen sagen und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Was ging sie sein Privatleben an?

Seine Gesichtszüge verhärteten sich, doch dann begann er plötzlich zu lachen. „Du bist ziemlich schlau.“ Auf den Ellbogen gestützt, betrachtete er sie so unverhohlen, dass sie sich wie nackt vorkam. „Aber meine Aussprache und die Grammatik sind nicht perfekt. Ich bin sicher, da kann noch viel getan werden – mit der entsprechenden Anleitung.“

Cressy wurde rot. „Ich fürchte, Sie müssen sich einen andern Lehrer suchen. Ich bin ziemlich ungeeignet.“

„Das Leben hat mich gelehrt, dass fast alles zu kaufen ist – vorausgesetzt, der Preis stimmt.“

Jetzt wurde es gefährlich. Kühl erwiderte sie: „Aber ich nicht. Und jetzt gehe ich wohl besser.“

„Wie du willst.“ Er hob bedauernd die Schultern. „Aber du solltest wissen, dass ich nur annehme, was mir freiwillig geboten wird. Und im Übrigen bist du hier Gast und hast mein Brot gegessen, du brauchst also nichts zu befürchten.“

Behände kam er auf die Füße. „Und jetzt gehe ich schwimmen. Natürlich hoffe ich, dass du noch hier bist, wenn ich zurückkomme. Aber das liegt bei dir.“ Er blickte auf sie herunter und sagte sanft: „So hübsch und so scharfzüngig. Und doch solche Angst vorm Leben. Schade.“

Cressy schäumte innerlich vor Wut, als er zum Wasser ging. Ihre natürliche Vorsicht als Feigheit auszulegen! Bestimmt war auch er nur einer dieser gut aussehenden Griechen, die auf Eroberung aus waren. Sie hatte das im Hotel beobachtet. Wie sie alleinstehende Frauen anmachten, geschiedene, Frauen mit Verlangen in den Augen.

Cressy hatte sie nie an sich herankommen lassen.

Aber ich hätte mir denken können, dass das nicht für immer möglich ist, dachte sie ärgerlich.

Noch konnte sie gehen. Draco schwamm mit kräftigen Stößen hinaus. Sie konnte seinen dunklen Kopf im flimmernden Wasser erkennen.

Sie brauchte nur ihre Sachen zu nehmen, die Schuhe anzuziehen, und sie wäre frei.

Frei, ins Dorf zurückzugehen und auf die Fähre zu warten. Aber Draco würde wissen, wo er sie findet …

Sie war in der Falle. Und wenn sie jetzt einfach ging, sah das wirklich feige aus.

Es wäre sicher angebrachter, hier zu bleiben, seine möglichen Annäherungsversuche kühl und bestimmt zurückzuweisen und dann zur Taverne zurückzugehen.

Er sollte ruhig einmal erfahren, dass trotz seines guten Aussehens und Sex-Appeals nicht alle Touristinnen auf ihn flogen.

Außerdem hatte er ihr versprochen, sie in Ruhe zu lassen. Und sie glaubte ihm, dass für ihn die Gastfreundschaft an erster Stelle stand.

Sie würde also noch eine Weile bleiben, denn sie hatte alles unter Kontrolle. Aber nur, weil er es zulässt, meldete sich wieder die irritierende Stimme in ihrem Innern.

Cressy ignorierte sie, cremte sich neu ein, setzte ihre Sonnenbrille auf und öffnete das Buch, das sie mitgebracht hatte. Wenn Draco zurückkam, würde sie einen beschäftigten Eindruck machen, und er würde sie nicht mehr in ein Geplänkel verwickeln.

Sie hörte ihn nicht zurückkommen – er bewegte sich geräuschlos und geschmeidig wie ein Panther –, fühlte aber seine Gegenwart. Sie hatte sich etwas abgewandt und die Augen auf das Buch fixiert, als sei die Geschichte so fesselnd, dass sie keine Unterbrechung vertrage.

Doch gleichzeitig erwartete sie, dass er diese unmissverständlichen Zeichen ignorieren und zumindest eine Bemerkung über ihr Bleiben machen würde. Als es nach einigen Minuten immer noch still blieb, merkte Cressy, dass sie sich offenbar geirrt hatte.

Sie riskierte einen Seitenblick und stellte mit völlig grundloser Empörung fest, dass Draco mit dem Gesicht nach unten auf seinem Handtuch lag und fest schlief.

Sie biss sich auf die Lippen und blätterte vehement eine Seite um.

Aber es war vollkommen sinnlos. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Viel zu sehr war sie sich des neben ihr liegenden Mannes bewusst.

Sie klappte das Buch zu und betrachtete ihn. Wie alt mochte er wohl sein? Mindestens dreißig, wenn nicht mehr. Er trug keinen Schmuck – kein Medaillon, keine Ohrringe oder andere Geschenke einer geneigten Dame. Und auch keinen Ehering, obwohl das nichts zu bedeuten hatte. Wenn er darauf aus war, Touristinnen zu betören, würde er wohl kaum damit angeben, dass er verheiratet ist.

Sie legte sich auf den Rücken und schaute in den Himmel. Sie konnte sich seine arme Frau so richtig vorstellen. Schwarz gekleidet. Wie sie kochte, sauber machte und auf dem Feld arbeitete, während ihr Mann seinen speziellen Interessen nachging.

„Und, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“

Cressy zuckte heftig zusammen, und als sie den Kopf zur Seite drehte, blickte sie in Dracos amüsiertes Gesicht. Es war zwecklos, ihm etwas vorzumachen, und so sagte sie: „Ich weiß nicht genug, um mir eine Meinung zu bilden.“

Er hob erstaunt die Augenbrauen und fragte: „Was möchtest du denn wissen?“

„Nichts“, sagte Cressy schulterzuckend. „Schließlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir uns wiedersehen.“

„So? Und warum hast du mich dann angesehen, als ob du mein Herz ergründen wolltest?“

Cressy tat, als wäre sie vollauf mit dem Eincremen ihrer Beine beschäftigt. „Habe ich das? Das war mir nicht bewusst.“

Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Du lügst schon wieder, meine Schöne.“

Cressy drehte wütend die Tube zu. „Na gut“, sagte sie, „wenn Sie unbedingt Spielchen machen wollen. Womit verdienen Sie Ihr Geld?“

Er hob die Schultern. „Mal mit diesem, mal mit jenem.“

Das kann ich mir vorstellen, dachte Cressy. Laut sagte sie: „Das ist keine Antwort. Ich nehme an, das Boot da unten gehört Ihnen. Und ich habe Sie tanzen sehen. Also sind Sie wahrscheinlich ein Fischer, der hin und wieder in den Hotels die Gäste unterhält. Ist das richtig?“

„Du bist wirklich schlau“, murmelte er, und seine Stimme klang leicht spöttisch. „Du liest in mir wie in einer Bilanz.“

„Soll ich jetzt raten, was du machst?“, fuhr er fort.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen, meinen Beruf kennen Sie ja schon.“

„Aha“, sagte er und sah ihr tief in die Augen. „Ich meinte eigentlich nicht die Arbeit.“ Er stand auf und klopfte sich den Sand von den Beinen. „Aber du hast mich daran erinnert, dass ich die Sonne und deine Gesellschaft leider nicht mehr länger in Anspruch nehmen kann. Ich muss mich auf die Vorstellung heute Abend vorbereiten.“ Er legte das Handtuch über die Schulter, nahm seinen Rucksack und blickte lächelnd auf sie hinunter. „Kalispera, matia mou.“

„Was heißt denn das?“, fragte Cressy fast ärgerlich, denn seltsamerweise war sie enttäuscht darüber, dass er wegging.

Er berührte leicht ihre Wange und strich eine Haarsträhne zurück. Es war wie ein Windhauch. „Es heißt: ‚Meine Augen‘“, sagte er sanft. „Und wir sehen uns bestimmt wieder.“

Er hatte sie kaum berührt. Kein Grund, so aus der Fassung zu geraten.

Die ganze Zeit über hatte sie versucht, Distanz zu wahren. Hatte wie gewöhnlich eine unsichtbare Mauer um sich errichtet.

Und dann war er mit dieser beiläufigen Geste in ihre Intimsphäre eingedrungen. Und es gab nichts, aber auch gar nichts, was sie dagegen tun konnte.

Nicht, dass etwas Sexuelles in dieser Berührung gewesen wäre. Und doch spürte sie, wie ihr ganzer Körper davon durchdrungen wurde. Als er wegging, fühlte sie sich merkwürdig verlassen. Am liebsten hätte sie ihn zurückgerufen.

Mit dieser gefährlichen Schwäche, dieser plötzlichen Verletzbarkeit konnte sie überhaupt nicht umgehen. Wie hätte ich wohl reagiert, wenn er mich umarmt hätte, dachte sie unglücklich.

Doch am bittersten war die Tatsache, dass er es war, der zuerst ging.

Ich hätte weggehen sollen, als ich aufwachte und ihn da liegen sah, schalt sich Cressy. Ich hätte sehr englisch und sehr aufgebracht auf die Störung meiner Privatsphäre reagieren sollen. Schluss, aus.

Wie auch immer, die Geschichte war zu Ende. Nur dass nicht sie es war, die sie beendet hatte. Sie mochte dies bedauern, aber es war unnütz, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen.

Als er mit dem Boot an ihr vorbeituckerte, tat sie, als sei sie in ihr Buch vertieft. Doch als sie schließlich einen Blick riskierte, sah sie zu ihrem Ärger, dass er ihr zuwinkte.

Wenigstens war er in die entgegengesetzte Richtung des Hafens gefahren, und sie würde ihm nicht über den Weg laufen, wenn sie zur Fähre ging.

Jetzt hatte sie die Bucht ganz für sich allein, wie sie es gewünscht hatte. Nur war es nicht mehr die friedliche Oase, die sie ein paar Stunden zuvor entdeckt hatte. Sie fühlte sich unruhig und seltsam unzufrieden.

Fast hatte sie Lust, loszuweinen wie ein verwöhntes Kind, das seinen Willen nicht bekam. Aber es brachte überhaupt nichts, hier herumzusitzen und zu lamentieren. Cressys Humor gewann wieder die Oberhand.

Sie ging noch einmal schwimmen und genoss die Frische des Wassers und die aufkommende leichte Brise. Vielleicht würde dadurch nicht nur ihr Körper abgekühlt, sondern auch ihre überhitzte Fantasie.

Dann packte sie ihre Sachen zusammen und kletterte den Pfad wieder nach oben. Unterwegs überlegte sie, was sie als Nächstes tun sollte. Es war noch zu früh zum Abendessen, und die Hitze hatte nachgelassen. Also warum nicht schauen, was es sonst auf Myros gab. Sie holte das abgestellte Fahrrad. Es würde höchstens eine Stunde dauern, die Insel zu umfahren.

Entgegen Yannis’ Warnung war die Straße in Richtung Norden gut befahrbar. Die Insel war sehr fruchtbar, wie sie bald feststellte. Das Inselinnere mochte felsig und unwirtlich sein, aber die zum Meer hin sich ausdehnenden Felder waren umgepflügt, und es wuchsen dort Wein, Oliven und Zitrusfrüchte. Die verstreuten Dörfer machten einen recht wohlhabenden Eindruck, und die wenigen Leute, denen sie begegnete, grüßten sie freundlich.

Umso überraschter war sie, als ihr der Weg plötzlich von einem hohen schmiedeeisernen Tor und einer Mauer abgeschnitten wurde.

Cressy stieg vom Fahrrad und versuchte vergeblich, das Tor zu öffnen. Dahinter war zwischen Olivenhainen eine Einfahrt, die jedoch eine Biegung machte, sodass man nicht erkennen konnte, wohin sie führte.

Cressy ging ein Stück an der Mauer entlang, aber diese schien kein Ende zu nehmen, und sie sah sich gezwungen, umzukehren.

Offenbar war hier ein Teil der Insel unzugänglich gemacht worden, und es gab keine Möglichkeit, die Rundfahrt fortzusetzen. Nach dieser Enttäuschung war sie nicht besonders überrascht, als sie auch noch einen platten Reifen vorfand. Sie verwünschte sich dafür, so weit gefahren zu sein. Jetzt musste sie das Fahrrad schieben und den langen Weg zum Hafen zu Fuß zurücklegen.

Der Wind hatte aufgefrischt und blies ihr den Staub in Augen und Mund. Ihr Wasser hatte sie bereits ausgetrunken, und sie fühlte sich erhitzt, durstig und niedergeschlagen. Zudem würde sie sicher Blasen an den Füßen bekommen.

Sie schwor sich, in Zukunft auf solche Exkursionen zu verzichten.

Als sie eine Weile gelaufen war, hörte sie ein Auto hinter sich. „Noch mehr Staub“, murrte sie und wich auf den steinigen Randstreifen aus.

Ein klappriger Lieferwagen röhrte an ihr vorbei, und sie konnte einen Blick ins Wageninnere werfen. „O nein – nicht schon wieder“, murmelte sie, als der Fahrer scharf bremste.

„Wie schön. Dass wir uns so schnell wiedersehen, hätte ich nicht erwartet“, sagte er.

„Ich auch nicht“, gab sie spitz zurück. „Vorhin sind Sie mit dem Boot gefahren und jetzt mit dem Lieferwagen. Ich frage mich, was als Nächstes kommt.“

„Wahrscheinlich werde ich zu Fuß gehen – so wie du.“ Draco lächelte sie aus dem offenen Fenster an. „Steig ein, ich werde dich zum Hafen zurückbringen.“

„Ich laufe gerne“, sagte Cressy.

Er seufzte. „Schon wieder eine Lüge. Wann wirst du es endlich lernen?“ Er stieg aus, hob das Fahrrad hoch und legte es hinten auf die Ladefläche. Dann sah er Cressy abschätzend an. „Willst du weiterlaufen oder lieber doch mit mir kommen?“

Cressy blitzte ihn an und kletterte auf den Beifahrersitz. „Bekommen Sie immer Ihren Willen?“

Er zuckte lächelnd mit den Schultern. „Warum nicht?“

Ihr fielen eine Menge Gründe ein, aber sie sagte nichts. Schweigend saßen sie nebeneinander, während der Wagen holpernd die Straße hinunterfuhr.

Wenigstens hatte er die aufreizenden Shorts ausgezogen. Sie schielte unter den Augenlidern zu ihm hinüber. Jetzt trug er ausgewaschene, aber saubere Jeans und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Die Ärmel waren über den gebräunten Armen zurückgekrempelt. Und er schien sich rasiert zu haben. Offensichtlich bereit für die abendliche Eroberungstour.

Nach einer Weile sagte er: „Du scheinst nicht besonders gut gelaunt zu sein nach dem Tag am Strand.“

„Es fing gut an. Aber jetzt will ich nur noch nach Alakos zurück“, erwiderte Cressy mürrisch.

„Magst du meine Insel nicht?“

„Das ist es nicht“, sagte sie schnell. „Aber mir ist heiß, ich bin staubig, und mein Haar ist voller Salz. Ich brauche eine Dusche, einen kühlen Drink und etwas zu essen.“

„Ich verstehe.“ Er schwenkte den Wagen zur Seite, um einem Loch auszuweichen. „Wie findest du Myros?“

„Was ich gesehen habe, gefällt mir.“ Cressy machte eine Pause. „Aber ein Teil davon scheint abgegrenzt zu sein.“

„Ah“, sagte er, „du warst im Norden der Insel. Einige reiche Leute haben dort Häuser.“

„Sie geben deutlich zu verstehen, dass sie ungestört sein wollen.“ Sie runzelte die Stirn. „Macht das den Inselbewohnern nichts aus?“

„Es gibt Platz genug für alle.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wenn sie sich hinter hohen Mauern wohler fühlen, ist das ihr Problem.“

Nach einer Pause sagte er: „Ich habe vorhin bemerkt, dass du hinkst.“

Cressy schnappte nach Luft. „Ihnen entgeht aber auch gar nichts. Ich habe mir eine Blase gelaufen, das ist alles.“ Sie lächelte etwas gequält. „Ich scheine das Laufen verlernt zu haben.“

Er nickte. „Und auch das Leben, glaube ich.“

Cressy wurde rot. „Sie sagen das die ganze Zeit. Aber es stimmt nicht. Mein Leben ist fantastisch. Ich bin erfolgreich und sehr glücklich. Und Sie haben kein Recht, etwas anderes zu behaupten“, fuhr sie entrüstet fort. „Sie wissen doch überhaupt nichts von mir.“

„Du machst es mir auch nicht einfach“, sagte er.

„Vielleicht sollten Sie das als Hinweis nehmen“, funkelte sie ihn an. „Suchen Sie sich doch ein willigeres Objekt Ihrer Analyse.“

Plötzlich wurde sie quer über den Sitz gerissen, als Draco das Steuer herumwarf und sein klappriges Gefährt am Randstreifen zum Stehen brachte.

„Was machen Sie da?“ Cressy versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzufinden, und fühlte, wie ihr Atem schneller ging, als Draco sich ihr langsam zuwandte.

„Du glaubst, du bist unwillig?“ Seine dunklen Augen blickten sie durchdringend an. „Aber du irrst dich. Du hast einfach kein Bewusstsein für diese Dinge.“

Er ließ ihr Zeit, diese Feststellung zu schlucken, und fuhr fort: „Was das Glück und den Erfolg anbelangt, von denen du sprichst, so sehe ich davon nichts. Eine Frau, die davon erfüllt ist, strahlt es aus. Ihre Augen leuchten, sie hat eine blühende Haut. Aber in deinen Augen sehe ich nur Angst und Traurigkeit, matia mou.“

Nach einer Pause fügte er hinzu: „Und nicht alle hohen Mauern sind aus Stein gebaut.“

Cressy saß steif in ihrem Sitz. „Sicher haben solche Aussagen bei manchen Leuten Wirkung, aber nicht bei mir. Sie sind unverschämt und arrogant, und ich würde gerne den Rest des Weges zu Fuß weitergehen.“

Draco ließ den Motor wieder an. „Damit tust du nur dir selbst weh, mein Engel. Und du wirst nirgendwohin laufen, bevor die Blase versorgt ist“, sagte er bestimmt.

Noch nie im Leben war sie so wütend gewesen. Sie saß da, die Arme um den Körper geschlungen, und versuchte, ihre Wut zurückzuhalten. Gleichzeitig war sie den Tränen nahe.

Als der Wagen vor Yannis’ Taverne anhielt, versuchte sie, sich einen würdevollen Abgang zu verschaffen, aber leider klemmte der Türgriff.

Draco hat damit keine Probleme, dachte sie grimmig, als er aus dem Wagen sprang und die Tür für sie öffnete. Und plötzlich fühlte sie sich aus dem Sitz gehoben und zum Seiteneingang der Taverne getragen.

Sie versuchte sich zu wehren. „Was fällt Ihnen ein, Sie Flegel? Lassen Sie mich sofort runter!“

Sie sah Yannis mit einer plumpen hübschen Frau im blassroten Kleid im Türrahmen stehen, beide mit verdutzten Gesichtern. Draco rief ihnen auf Griechisch etwas zu, während er Cressy die Stufen hochtrug. Am Ende der Treppe war ein Korridor und zu beiden Seiten Türen aus geschnitztem Holz.

Draco öffnete die erste und trug Cressy hinein. Es war ein großer Raum mit weißen Wänden und Steinfußboden. Die untergehende Sonne schien durch die halb geschlossenen Läden und zauberte goldene Reflexe auf Wände und Fliesen.

In dem Raum standen eine Kommode, ein Kleiderschrank und ein großes Bett, das mit makellos weißem Leinen bezogen war.

Ihre Wut wurde von Panik abgelöst. Und als Draco sie auf das Bett legte, flüsterte sie: „Nein – bitte nicht…“

Er richtete sich auf, sein Blick war kalt, sein Mund ein schmaler Strich. „Beleidige mich nicht. Ich habe Maria beauftragt, nach dir zu sehen. Also warte hier.“

Als er zur Tür ging, erschien die pummelige Frau gerade mit einem Stapel Handtücher, einem Korb mit Seife und Shampoo und, vor allem, einer Flasche Mineralwasser.

Sie wandte sich mit schriller Stimme an Draco, der ihr grinsend das Feld überließ und aus dem Zimmer ging.

Maria blickte Cressy mit ihren dunklen Augen feindselig an. Dann sagte sie langsam in gebrochenem Englisch: „Wer sind Sie, und was machen Sie hier?“

Cressy erwiderte schwach: „Ich glaube, das weiß ich selbst nicht mehr.“ Und schließlich brach ihre mühsam aufrechterhaltene Fassade zusammen, und sie begann, herzzerreißend zu weinen.

4. KAPITEL

Im nächsten Moment fühlte sie sich von Marias Armen umfangen. Sie flüsterte ihr griechische Koseworte zu und streichelte mit sanfter Hand ihr Haar.

Als Cressy aufhörte zu schluchzen, führte Maria sie in das kleine Bad. „Alles wird wieder gut, meine Kleine“, sagte sie. „Männer“, fügte sie in missbilligendem Ton hinzu und ließ sie allein.

Das warme Wasser und das Shampoo hatten eine heilsame Wirkung, und Cressy fühlte sich fast wieder wohl in ihrer Haut, als sie in ein großes Badetuch gehüllt...

Autor

Sara Craven

Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis.

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