Unter tausend Wüstensternen

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Mit dem heißblütigen Scheich Rashid al-Hassan in der Wüste: Sheridan ist hin- und hergerissen! Soll sie versuchen zu fliehen - oder die Nacht unter tausend Sternen mit Rashid genießen?


  • Erscheinungstag 07.04.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514330
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ein Fehler? Wie ist das bloß möglich?“ König Rashid bin Zaid al-Hassan durchbohrte seinen stammelnden Sekretär mit einem tödlichen Blick.

Der Mann schluckte nervös. „Die Klinik hat einen Fehler gemacht, Eure Majestät. Eine Frau …“ Mostafa warf einen Blick auf den Notizzettel in seiner Hand. „Eine Frau aus Amerika sollte eigentlich das Sperma ihres Schwagers injiziert bekommen, aber sie hat stattdessen Ihres erhalten.“

Rashid wurde erst heiß und dann eiskalt. Er glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren. Heiße Wut stieg in ihm auf und öffnete für einen Moment seinen Gefühlspanzer, bevor er sich wieder schloss. Seit fünf Jahren konnte nichts den Panzer wirklich aufbrechen.

Er ballte die Hände zu Fäusten. Was für ein unerhörter Skandal!

Wie konnte das Klinikpersonal es wagen, ihm diese Entscheidung aus der Hand zu nehmen? Er war noch nicht bereit für ein Kind und wusste nicht, ob er jemals dafür bereit sein würde, obwohl er dem Königreich Kyr irgendwann einen Erben schenken musste. Das war schließlich seine Pflicht.

Doch die Vorstellung zu heiraten und Kinder zu bekommen, weckte zu schmerzliche Erinnerungen in ihm. Er zog es vor, seine Gefühle dem Verlust und der Verzweiflung gegenüber abzuschotten, die ihn doch nur erwarteten, sollte der Gefühlspanzer je wieder aufbrechen.

Er hatte das Gesetz befolgt, das von ihm verlangte, bei zwei Samenbanken Sperma zu hinterlegen, um den Fortbestand seiner Dynastie zu sichern. Er hätte jedoch nie damit gerechnet, dass dabei etwas schiefgehen würde. Eine wildfremde Frau hatte also seine Samenspende erhalten. Wenn er Pech hatte, wurde er bald Vater – und riskierte damit einen weiteren Verlust.

Kalte Angst stieg in ihm auf.

Rasch erhob er sich und ging zum Fenster, um seine Traurigkeit vor Mostafa zu verbergen. Seine Herrschaft als König von Kyr begann alles andere als vielversprechend. Dabei hatte er auch so schon genug Ärger.

Verdammt!

Wut flackerte in ihm auf. Seitdem sein Vater vor zwei Monaten gestorben war und sein Bruder Kadir auf den Thron verzichtet hatte, war es Rashids Pflicht, das Land zu regieren. Aber davor war nichts so gelaufen, wie es sollte. Eigentlich wäre er als Ältester Kronprinz gewesen, doch sein Vater hatte ihn immer abgelehnt und ihn als Waffe bei seiner grausamen Auseinandersetzung missbraucht.

Im Königreich Kyr konnte der König unter seinen Söhnen einen Nachfolger frei bestimmen, auch wenn der Thron traditionell dem Ältesten zustand. König Zaid al-Hassan hatte sich jedoch selbstherrlich über diese Tradition hinweggesetzt. Er war ein herrschsüchtiger manipulativer Mann gewesen, dessen Kinder und Frauen in ständiger Angst vor ihm gelebt hatten. Seinen beiden Söhnen Rashid und Kadir hatte er den Thron immer wieder wie einen Köder unter die Nase gehalten. Dass Kadir nie Herrscher hatte werden wollen, hatte ihn dabei nie interessiert.

Vor zehn Jahren hatte Rashid endgültig die Nase voll gehabt. Er hatte sich geweigert, Zaids grausames Katz-und-Maus-Spiel weiter mitzuspielen, hatte seinem Heimatland den Rücken zugekehrt und sich vorgenommen, nie wieder dorthin zurückzukommen.

Doch jetzt war er wieder hier und trug sogar die Krone – etwas, womit er nie gerechnet hätte. Sein Vater, die alte Schlange, drehte sich vermutlich gerade im Grabe um.

Grimmig ließ Rashid den Blick über die Wüste gleiten, die roten Dünen in der Ferne und die Palmen und Brunnen, die den Garten des Palasts säumten. Die Sonne stand hoch am Himmel, und der Horizont flirrte in der Hitze. Ein primitives Gefühl der Befriedigung erfüllte ihn bei diesem Anblick.

Er hatte Kyr vermisst – die nach Jasmin duftenden Nächte, die glühende Hitze, den zähen Charakter der Einwohner, den Ruf des Muezzins am Morgen und die Ausritte auf seinem Araberhengst. Zehn Jahre lang hatte er keinen Fuß mehr auf heimischen Boden gesetzt. Bis vor zwei Monaten hatte er nicht damit gerechnet, sein Land je wiederzusehen, doch dann hatte sein Vater angerufen, um ihm von seiner Krankheit zu erzählen und Rashid herzubeordern. Sogar dann noch hatte Rashid sich gesperrt. Nur seinem jüngeren Bruder Kadir zuliebe hatte er schließlich nachgegeben.

Und jetzt war er König, obwohl er schon vor Jahren die Hoffnung auf den Thron aufgegeben hatte. Kadir dagegen war wieder abgereist. Er hatte seine frühere Assistentin geheiratet und war bis über beide Ohren verliebt. Für ihn war alles wunderbar und er blickte auf eine rosige Zukunft.

Rashid wurde von einem Gefühl der Verzweiflung erfüllt – ein alter und vertrauter Begleiter. Auch Rashid hatte einmal geliebt und war glücklich gewesen. Allerdings hatte er die bittere Erfahrung machen müssen, dass Glück und Liebe vergänglich waren. Seitdem ließ er Gefühle nicht mehr zu und die Liebe war für ihn gleichbedeutend mit Verlust und unheilbarem Schmerz.

Er hatte nichts für Daria und das Baby tun können. Das Gefühl, machtlos zu sein, war das Schlimmste gewesen. Wer hätte es heutzutage noch für möglich gehalten, dass eine Frau bei einer Geburt sterben konnte? Aber es passierte, sogar lächerlich schnell. Rashid wusste das aus bitterer Erfahrung.

Er blieb noch eine Weile stehen und betrachtete die Wüste, bevor er sich wieder zu seinem Sekretär Mostafa umdrehte. „Wir haben die Klinik in Atlanta nicht ohne Grund ausgewählt. Rufen Sie dort an und finden Sie den Namen und die Adresse der Frau heraus. Falls die Direktion sich weigert, drohen Sie mit einem öffentlichen Skandal.“

Mostafa senkte ergeben den Kopf. „Ja, Eure Majestät.“ Er sank auf die Knie und berührte mit der Stirn den Orientteppich, der vor Rashids Schreibtisch lag. „Das ist meine Schuld, Eure Majestät. Ich habe die Klinik ausgesucht. Ich werde von meinem Amt zurücktreten und die Hauptstadt in Schande verlassen.“

Rashid vergaß manchmal, wie stolz Kyrer sein konnten. Er hatte anscheinend zu viel Zeit im Ausland verbracht. Wäre er in seiner Heimat geblieben, wäre er geistig vielleicht nicht so angeknackst. Oder erst recht? Seine Mutter und sein Vater hatten einander immerhin leidenschaftlich gehasst und vor nichts zurückgeschreckt, um einander zu verletzen. Ihr Sohn Rashid war dabei ihre Lieblingswaffe gewesen.

Nein, seine Psyche war schon lange vor seinem Weggang angegriffen gewesen.

„Das werden Sie nicht!“, entgegnete er scharf. „Ich habe nämlich keine Zeit, um abzuwarten, bis Sie einen Nachfolger eingearbeitet haben. Die Schuld liegt außerdem ganz woanders.“

Er ging zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich wieder. Irgendwie würde er eine Lösung für dieses neue Problem finden müssen. Wenn dieser Amerikanerin wirklich sein Sperma injiziert worden war, erwartete sie vielleicht den Thronfolger von Kyr.

Rashid griff nach seinem Füllfederhalter. Er beschloss, in diesem Kind nur seinen Erben zu sehen und die Frau als bloße Dienstleisterin zu betrachten, um die nächsten Tage irgendwie zu überstehen. Danach würde man weitersehen.

Die Erinnerung an Darias blasses Gesicht blitzte vor ihm auf. Der Schmerz traf ihn wieder mit voller Wucht. Er war noch nicht bereit dafür, wieder Vater zu werden, schon gar nicht, seitdem er wusste, dass von einem Moment auf den anderen alles vorbei sein konnte.

Leider blieb ihm keine andere Wahl, als sich diesem Problem zu stellen. Sollte diese Frau tatsächlich von ihm schwanger sein, gehörte sie ihm.

„Finden Sie innerhalb der nächsten Stunde heraus, wer diese Frau ist“, befahl er schroff. „Oder Sie hüten demnächst Kamele in der Wüste.“

Mostafa wurde blass. „Jawohl, Eure Majestät.“ Er ging hinaus und schloss die Tür.

Rashid spürte einen stechenden Schmerz an der rechten Handfläche. Als er den Blick senkte, stellte er fest, dass der Füllfederhalter in seiner Hand zerbrochen war. Dunkle Tinte und Blut tropften auf die Tischplatte. Rashid beobachtete, wie der Fleck größer wurde, bis ein Diener mit dem Nachmittagstee eintrat. Dann stand er auf und ging ins Bad, um sich das Blut abzuspülen und den Schnitt mit einem Pflaster zu versorgen. Als er zu seinem Schreibtisch zurückkehrte, waren Blut und Tinte bereits weggewischt worden, als sei nie etwas geschehen.

Rashid dehnte die schmerzende Hand. Man konnte Wunden versorgen und versuchen zu vergessen, was passiert war, doch er wusste, dass gewisse Wunden für immer Spuren hinterlassen würden, ganz egal, wie lange sie schon verheilt waren … und wie verzweifelt man sie zu vergessen versuchte.

„Bitte hör doch auf zu weinen, Annie.“ Sheridan saß an ihrem Schreibtisch und presste sich ihr Handy ans Ohr. Sie hatte einen Kloß im Hals. Sie hatte ihrer Schwester am anderen Ende der Leitung gerade die Nachricht von der Klinik mitgeteilt. Sie selbst stand noch zu sehr unter Schock, um wirklich zu begreifen, was passiert war. „Wir stehen das schon irgendwie durch. Ich werde ein Baby für dich bekommen, versprochen!“

Annie schluchzte und jammerte ganze zwanzig Minuten lang, während Sheridan versuchte, sie zu beruhigen. Annie war so schrecklich empfindlich. Ihr Leid schnitt Sheridan immer ins Herz. Obwohl sie ein Jahr jünger als ihre Schwester war, hatte sie sich ihr Leben lang für Annie verantwortlich gefühlt statt umgekehrt. Vielleicht fühlte sie sich deshalb immer schuldig, wenn es Annie schlecht ging, obwohl sie nur selten die Schuld dafür traf.

Ihre Eltern hatten nur einer Tochter das Studium finanzieren können, und Sheridan hatte einfach die besseren Noten gehabt, sodass die Entscheidung von Anfang an festgestanden hatte. Sheridan hatte trotzdem manchmal Gewissensbisse deswegen. Vielleicht hätten ihre Eltern Annie mehr ermutigen und sie in ihren Entscheidungen unterstützen sollen. Annie hatte nämlich schon immer die fatale Neigung gehabt, über ihr Leben andere bestimmen zu lassen.

Nur eins hatte sie immer gewollt – Kinder – und ausgerechnet das konnte sie nicht haben. Sheridan war daher fest entschlossen, ihr ein Kind zu schenken … trotz dieses herben Rückschlags.

Irgendwann kehrte Annies Ehemann Chris nach Hause zurück und nahm ihr das Telefon ab. Sheridan unterhielt sich noch ein paar Minuten mit ihm, bevor sie auflegten.

Erschöpft lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Augen fühlten sich von den Tränen ganz geschwollen an. Sie griff nach einem Taschentuch und wischte sich übers Gesicht.

Wie hatte dieses Desaster nur passieren können? Alles hatte sich so einfach angehört. Annie konnte kein Baby austragen, also würde Sheridan das für sie tun, weil es Annie glücklich machen und ihr ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen würde. Es hätte auch ihre Eltern glücklich gemacht, wenn sie noch am Leben wären. Sie hatten Annie und Sheridan erst spät bekommen und sich verzweifelt Enkelkinder gewünscht. Doch Annie hatte keine bekommen können, während Sheridan noch nicht bereit dafür gewesen war.

Inzwischen wünschte Sheridan, sie hätte dieses Baby früher bekommen. Sie hatte sich jedoch erst vor einer Woche künstlich befruchten lassen. Sie wusste noch nicht, ob es geklappt hatte oder nicht, aber inzwischen hatte die Klinik festgestellt, dass man nicht Chris’ Sperma verwendet hatte, sondern das eines anderen Spenders. Sheridan wusste nur, dass der Mann Araber war, eins neunzig groß, schwarzhaarig, braunäugig und gesund. Abgesehen davon hatte sie keinerlei Informationen bekommen.

Sie legte eine Hand auf den Bauch und atmete tief durch. Mit einem Schwangerschaftstest würde sie noch eine Woche warten müssen – eine ganze Woche, in der Annie sich die Augen aus dem Kopf heulen würde, bis Sheridan wusste, ob sie das Baby eines Fremden austragen musste oder sich Chris’ Sperma injizieren lassen konnte.

Und wenn sie tatsächlich von diesem Fremden schwanger war? Was dann?

Es klopfte an ihre Tür. Sheridans Geschäftspartnerin Kelly steckte vorsichtig den Kopf ins Zimmer und trat ein. Sheridan wischte sich die Augen und lächelte Kelly zu.

„Hey, alles in Ordnung mit dir?“

Sheridan schniefte. „Nicht wirklich.“ Sie machte eine lässige Geste. „Das wird schon wieder, aber ich muss die Neuigkeit selbst erst mal verdauen.“

Kelly ging auf sie zu und drückte ihr tröstend eine Hand, bevor sie sich in einen Sessel setzte. „Willst du darüber reden?“

Sheridan hatte bisher noch nicht den Wunsch verspürt, aber ehe sie sich’s versah, sprudelte die ganze Geschichte aus ihr heraus. Es tat gut, sich jemandem anzuvertrauen – jemandem, der nicht gleich schluchzend zusammenbrach und mehr Trost brauchte, als Sheridan gerade geben konnte.

Kelly unterbrach Sheridans Redefluss nicht, doch ihre Augen wurden immer größer. Schließlich saß sie mit offenem Mund da. „Wow! Dann bist du also vielleicht von einem anderen Mann schwanger. Arme Annie! Sie muss am Boden zerstört sein.“

Sheridan bekam einen Kloß im Hals. „Kann man wohl sagen. Sie hat ihre ganze Hoffnung auf dieses Baby gesetzt. Nach all den Enttäuschungen und gescheiterten Behandlungen ist sie so verletzlich …“ Sie holte tief Luft. „Diese Verwechslung hätte wirklich zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können.“

„Das tut mir schrecklich leid, Süße. Aber vielleicht hat es mit der künstlichen Befruchtung ja gar nicht geklappt. Dann könnt ihr es noch mal versuchen.“

„Das hoffe ich auch.“ Der Arzt hatte gesagt, dass man die Befruchtung manchmal zwei oder drei Mal wiederholen musste, bis man Erfolg hatte. Das würde für alle Beteiligten die beste Lösung sein.

Sheridan stand auf und glättete sich den Rock. „Müssen wir nicht eine Party catern? Mrs Lands rechnet in zwei Stunden mit Krabbenpasteten und Roastbeef.“

„Alles erledigt, Sheri. Warum gehst du nicht nach Hause und ruhst dich aus? Du siehst schrecklich aus.“

Sheridan musste lachen. „Na, vielen Dank auch.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich mache mich nur ein wenig frisch. Ich möchte arbeiten, dann bin ich zumindest abgelenkt.“

Kelly musterte sie skeptisch. „Na schön. Aber sobald du in die Suppe heulst, musst du nach Hause gehen.“

Die Party war ein voller Erfolg. Die Gäste lobten das Essen in höchsten Tönen, und die Bedienung war hervorragend. Irgendwann kehrte Sheridan ins Büro zurück, um an der Speisefolge für die nächste Party zu arbeiten. Kelly wollte später nachkommen.

Sie beide waren schon seit dem Studium ein tolles Team. Kelly war eine hervorragende Köchin, und Sheridan organisierte gern Events. Sie hatte in Savannah Architektur studiert und auch eine Weile in ihrem Fachgebiet gearbeitet – dem Erhalt historischer Gebäude –, hatte ihren Job dann aber an den Nagel gehängt, um Partys zu organisieren. Kelly und sie hatten ein Gebäude mit einer großen gewerblich betriebenen Küche angemietet, Personal eingestellt und einen Laden eingerichtet, in dem Kunden Artikel wie Tischwäsche, Geschirr, Öl, Gewürze und Tee kaufen konnten.

Sheridan setzte sich an ihren Schreibtisch, um sich den Auftrag für die nächste Veranstaltung durchzulesen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon so dasaß, als plötzlich die Ladenklingel ertönte. Instinktiv blickte sie vom Computer hoch und warf einen Blick auf den Bildschirm der Sicherheitskamera. Tiffany, der Teenager, den sie für den Sommer eingestellt hatten, war nirgends zu sehen. Stattdessen stand ein Mann im Laden und blickte sich unschlüssig um, so, als habe er keine Ahnung, was er eigentlich hier wollte. Vermutlich hatte seine Frau ihn geschickt, um etwas Bestimmtes zu besorgen, und er hatte keine Ahnung, wie es aussah.

Sheridan stand genervt auf, da Tiffany noch immer nicht auftauchte. Sie würde dem Mädchen unbedingt sagen müssen, dass es den Laden nicht verlassen durfte.

Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr, als Sheridan eintrat. Er war groß, schwarzhaarig und trug einen Anzug. Mit seiner Präsenz schien er den ganzen Raum auszufüllen. Sheridan verdrängte diese Empfindung rasch. Er war auch nur ein Mann. Bisher war sie noch nie einem begegnet, der einen besonderen Eindruck auf sie hinterlassen hatte.

Naja, bis auf ihren Schwager Chris vielleicht. Der liebte ihre Schwester Annie abgöttisch und würde alles für sie tun.

Sheridan hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten Männer emotional sehr wankelmütig waren, und zwar umso mehr, je besser sie aussahen. Trotzdem fiel sie immer wieder auf Männer herein, weil sie einfach zu vertrauensselig und gutgläubig war. Sie arbeitete zwar an sich, sah aber nicht ein, welchen Vorteil es bringen sollte, von allen Menschen nur das Schlimmste zu erwarten. Eine solche Lebenseinstellung deprimierte doch viel zu viel – auch wenn ihr letzter Freund bestens bewies, dass sie von Anfang an hätte misstrauisch sein müssen.

„Willkommen“, sagte sie fröhlich. „Können wir Ihnen helfen, Sir?“

Der Mann versteifte sich und drehte sich langsam zu ihr um.

Sheridan stockte der Atem, als sie sein attraktives, aber verschlossen wirkendes Gesicht sah. In seinen dunklen Augen lag nicht ein Schimmer von Freundlichkeit – und trotzdem war sein Blick voller Glut. Ihr Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich … was bestimmt nur an den Hormonspritzen lag.

Doch dann wurde ihr bewusst, warum sein Anblick sie so nervös machte. Nicht weil er geradezu atemberaubend gut aussah, sondern weil er Araber war. Was für ein makaberer Scherz, einem solchen Mann ausgerechnet jetzt gegenüberzustehen, wo sie gerade erfahren hatte, dass sie vielleicht von einem solchen schwanger war.

„Sie sind Sheridan Sloane“, stellte er so sachlich fest, als würde er sie bereits kennen. Sheridan hingegen hatte ihn noch nie gesehen – und sein abschätziger Blick passte ihr überhaupt nicht. Was für ein arroganter Idiot.

„Das bin ich.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig das Kinn. „Und wer sind Sie?“

Sie legte so viel Südstaatenhochmut in ihre Worte wie sie nur konnte. Manchmal hatte es Vorteile, von einer Familie abzustammen, deren Vorfahren schon mit der Mayflower nach Amerika gekommen waren und von denen viele im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatten. Obwohl ihre Familie inzwischen in vornehme Armut abgerutscht war, besaß Sheridan noch immer ihren Stolz und war sich ihres Erbes bewusst – und sie hörte die kultivierte Stimme ihrer Mutter im Ohr, dass niemand das Recht hatte, auf sie hinabzublicken.

Der Mann reagierte sehr seltsam. Er beugte sich leicht vor und berührte seine Stirn, seine Lippen und sein Herz. Als er sich wieder zu seiner vollen … und ziemlich imposanten Höhe aufrichtete, breitete sich ein Kribbeln in Sheridans Unterleib aus. Unwillkürlich stellte sie sich den Mann in einer Wüstenrobe vor. Ihr wurde plötzlich an Stellen heiß, die schon sehr lange nicht mehr durchblutet worden waren.

„Ich bin Rashid bin Zaid al-Hassan.“

Die Tür ging wieder auf, und ein weiterer Mann betrat den Laden. Auch er trug einen Anzug, hatte jedoch zusätzlich einen Knopf im Ohr. Zu ihrem Schreck wurde Sheridan bewusst, dass er ein Leibwächter sein musste. Als sie aus dem Schaufenster sah, fiel ihr Blick auf eine schwarze Limousine, in der ein weiterer Mann mit Anzug saß. Ein Vierter stand auf der anderen Straßenseite und behielt die Passanten im Auge.

Der Mann, der gerade eingetreten war, baute sich neben der Tür auf. Der Mann vor Sheridan schien dessen Anwesenheit noch nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. Oder er war so daran gewöhnt, dass er die Anwesenheit einfach nicht mehr wahrnahm.

„Womit kann ich Ihnen helfen, Mr … äh, Rashid?“ Das war der einzige Name, der ihr von der komplizierten Aneinanderreihung noch im Gedächtnis geblieben war.

Der Mann vor der Tür versteifte sich, doch der Mann vor Sheridan zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Sie haben etwas, das mir gehört, Miss Sloane. Und ich will es haben.“

Sheridan brach der kalte Schweiß aus. Sie betete, dass der Mann ihr das nicht ansah. Erstens waren Schweißausbrüche nicht damenhaft, und zweitens spürte sie irgendwie, dass er jedes Anzeichen von Unsicherheit sofort als Schwäche deuten würde. Er würde sich bestimmt darauf stürzen wie eine ausgehungerte Wildkatze.

„Ich glaube nicht, dass wir schon für irgendwelche Rashids gearbeitet haben, aber sollten wir aus Versehen das Silberbesteck Ihrer Frau eingepackt haben, können Sie es selbstverständlich zurückhaben.“

Der Mann wirkte plötzlich nicht mehr belustigt, sondern wütend. „Hier geht es nicht um Silberbesteck, Miss Sloane.“ Mit der Anmut und Lautlosigkeit einer Katze schlenderte er auf sie zu und blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie ihn riechen konnte. Er duftete nach Sommer und Gewürzen. Vor Sheridans innerem Auge tauchte eine Wüstenoase mit sich im Wind wiegenden Palmen, einer kühlen Quelle, einem Araberhengst und diesem Mann in der Wüstenkluft von Omar Sharif oder Peter O’Toole auf.

Eine wundervolle Fantasie … und ziemlich verstörend.

Sheridan strich betont lässig mit einer Hand über den Verkaufstresen. „Wenn Sie mir sagen, worum es sich handelt, werde ich sofort nachsehen, ob ich es finden kann.“

Zittert etwa meine Stimme?

„Ich bezweifle, dass Sie das können.“ Vielsagend senkte der Mann den Blick zu ihrem Bauch.

Es dauerte ein Weilchen, bis Sheridan kapierte, worauf er hinauswollte. Er konnte doch unmöglich meinen …

Oh nein! Nein, nein, nein …

Als er wieder den Kopf hob und ihrem Blick begegnete, bestätigte sich ihr Verdacht, dass er nicht wegen des Familiensilbers gekommen war. „Wie …?“, begann sie stockend.

Unfassbar! Was für ein Vertrauensbruch. Sie würde diese Klinik verklagen und wenn sie die Anwaltskosten das letzte Hemd kosten würden! „Sie wollen mir keinerlei Auskunft über sich geben. Wie sind Sie an meine Kontaktdaten gekommen?“

Für einen verrückten Moment hoffte sie, dass der Typ keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, und sich das alles hier nur als ein großes Missverständnis herausstellen würde. Vielleicht würde er ja gleich verwirrt den Kopf schütteln und ihr sagen, dass sie beim Catern aus Versehen ein Familienerbstück eingepackt hatte, obwohl ihr so etwas noch nie passiert war. Sie würde sich dann sofort auf die Suche danach machen. Hauptsache, sie wurde den Typen wieder los … und dieses beunruhigende Gefühl, das seine körperliche Nähe in ihr auslöste.

Doch tief im Innern wusste sie, weshalb er gekommen war. Es gab kein Missverständnis.

„Ich bin ein sehr einflussreicher Mann, Miss Sloane, und ich kriege grundsätzlich, was ich will. Außerdem schreckt die Klinik vor einem Skandal zurück.“ Seine Stimme triefte geradezu vor Selbstgefälligkeit. „Sie kann schließlich nicht irgendeine Wildfremde mit dem potenziellen Thronfolger von Kyr schwängern und dem König dann die Auskunft über den Anwesenheitsort des Kindes verweigern.“

Sheridan erstarrte innerlich zu Eis. Was hatte er gerade gesagt? Sie ließ sich gegen den Verkaufstresen sinken und starrte den Mann vor ihr wie betäubt an. „H…haben Sie gerade König gesagt? Die Klinik hat mir die Samenspende eines Monarchen injiziert?“ Zitternd legte sie eine Hand an die Stirn. Ihr Hals wurde ganz trocken, und ihr war plötzlich speiübel.

„Das hat sie, Miss Sloane.“

Oh mein Gott!

Vor Sheridans Augen verschwamm alles. War dieser Mann hier doch nicht der Samenspender? Ein Monarch würde ja wohl kaum persönlich in ihren Laden kommen, oder? Und nicht so dunkel und gefährlich aussehen.

Nein, es musste sich um jemand anderen handeln – einen Beamten, vielleicht sogar einen Botschafter. Der Typ war vielleicht nur gekommen, um ihr von diesem König zu erzählen und … und … Ehrlich gesagt, hatte sie keine Ahnung, weshalb er gekommen war und was er von ihr wollte.

„Bitte richten Sie dem König aus, dass es mir leidtut. Ich kann verstehen, wie schwierig das Ganze für ihn sein muss, aber er ist nicht der Einzige, der Probleme dadurch hat. Meine Schwester …“ Sheridan stockte. Bei dem Gedanken an Annie wurde ihr schon wieder schlecht. Wie sollte sie ihr das bloß erklären? Sie würde einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn sie erfuhr, was passiert war.

„Eine Entschuldigung reicht mir aber nicht, Miss Sloane. Noch nicht mal ansatzweise.“

Autor

Lynn Raye Harris

Lynn Raye Harris las ihren ersten Harlequin Mills & Boon Roman als ihre Großmutter mit einer Kiste Bücher vom Flohmarkt zurück kam. Sie wusste damals noch nicht, dass sie eines Tages selber Schriftstellerin werden wollte. Aber sie wusste definitiv, dass sie einen Scheich oder einen Prinzen heiraten und ein so...

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