Verlockung in Venedig

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Ist es der Zauber der Lagunenstadt oder der Charme Guido Calvanis, der Dulcie in Venedig die Sinne raubt? Dabei hat die hübsche Privatdetektivin rein beruflich mit Guido zu tun. Sie soll ihn der Hochstapelei überführen – und hofft inständig, dass ihr Auftraggeber irrt …


  • Erscheinungstag 08.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503396
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Guido Calvani lief auf dem Flur des Krankenhauses auf und ab und versuchte, nicht an seinen Onkel zu denken, der hinter der geschlossenen Tür lag und schwer krank war.

Er befand sich im obersten Stock des Gebäudes. Das Fenster am Ende des Flures ging hinaus auf das Herz von Venedig, auf die roten Dächer, die Kanäle, die Brücken. Am anderen Ende befand sich der Canal Grande. Guido blieb stehen und betrachtete das in der Sonne glitzernde Wasser, das sich den Weg durch die Stadt bis zum Palazzo Calvani bahnte, in dem die Calvanis seit Jahrhunderten lebten. Wenn ich Pech habe, erbe ich heute den Titel von meinem Onkel, überlegte Guido bestürzt.

Normalerweise war er ein fröhlicher und optimistischer Mensch. Seine blauen Augen strahlten fast immer, und das Lächeln schien ihm angeboren zu sein. Er war zweiunddreißig, reich, frei, sah gut aus und hatte keine Sorgen – außer der einen, die ihn jetzt quälte.

Guido liebte seinen Onkel. Er liebte aber auch seine Freiheit, und innerhalb der nächsten Stunden würde er möglicherweise beides verlieren.

Zwei junge Männer kamen die Treppe hinauf, und er drehte sich zu ihnen um.

„Endlich seid ihr da.“ Er umarmte seinen Halbbruder Leo und klopfte seinem Cousin Marco auf die Schulter. Marco war ein stolzer, reserviert wirkender Mann. Er zeigte nicht gern Gefühle, was Guido respektierte.

„Wie schlimm ist es mit unserem Onkel Francesco?“, fragte Marco.

„Sehr schlimm, befürchte ich. Er hatte gestern Abend Herzschmerzen, wollte jedoch keinen Arzt kommen lassen. Heute Morgen ist er dann zusammengebrochen, und ich habe sogleich den Krankenwagen gerufen. Seitdem bin ich hier. Er wird immer noch untersucht“, antwortete Guido.

„Es ist sicher kein Herzanfall“, sagte Leo. „Er hat noch nie einen gehabt. Bei dem Leben, das er geführt hat …“

„Hätte jeder normale Mensch mindestens ein Dutzend Herzanfälle gehabt“, unterbrach Marco ihn. „Frauen, Wein, schnelle Autos …“

„Und er hat gespielt, ist Ski gelaufen, auf die höchsten Berge geklettert …“

„Und immer wieder Frauen“, sagten alle drei gleichzeitig.

Als sie Schritte auf der Treppe hörten, verstummten sie. Wenige Sekunden später erschien Lizabetta, Francescos Haushälterin. Die ältere Frau war ziemlich dünn und hatte strenge Gesichtszüge. Die drei begrüßten sie mit größerem Respekt, als sie jemals ihrem Onkel gezollt hatten. Diese energische Frau hatte im Palazzo Calvani das Sagen.

Sie nickte ihnen zu. Liza, wie die Frau genannt wurde, verfügte über das seltene Talent, mit einem einzigen Blick ihre Verachtung für das männliche Geschlecht, zugleich aber auch Respekt vor ihren aristokratischen Arbeitgebern ausdrücken. Dann setzte sie sich hin und zog ihr Strickzeug hervor.

„Es gibt leider bis jetzt keine guten Nachrichten“, berichtete Guido und sah sie an.

In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und der Arzt kam heraus. Der ältere Mann war seit vielen Jahren mit dem Conte befreundet. Seine ernste Miene konnte nichts Gutes bedeuten.

„Nehmen Sie den alten Dummkopf mit nach Hause, und verschwenden Sie nicht mehr meine Zeit“, forderte er die Wartenden auf.

„Aber er hatte doch einen Herzanfall“, protestierte Guido.

„Du liebe Zeit, er hat sich nur den Magen verdorben. Liza, Sie sollten ihm verbieten, Garnelen in Butter zu essen.“

„Glauben Sie etwa, er würde auf mich hören?“, fuhr Liza ihn an.

„Können wir jetzt zu ihm?“, fragte Guido.

Aus dem Zimmer ertönte lautes Geschimpfe, und die drei jungen Männer gingen hinein. Francesco saß aufrecht im Bett. Sein Gesicht war von seinem weißen Haar umrahmt, und in seinen blauen Augen blitzte es auf.

„Na, da habe ich euch aber erschreckt, stimmt’s?“, rief er aus.

„Ja. Leo und ich sind sogleich hergekommen, ich aus Rom, er aus der Toskana“, erwiderte Marco. „Und das alles nur, weil du zu viel gegessen hast!“

„So solltest du mit dem Familienoberhaupt nicht reden“, stieß Francesco hervor. „Außerdem ist es Lizas Schuld. Sie kocht viel zu gut.“

„Deshalb brauchst du dich nicht vollzustopfen“, wandte Marco ein. „Onkel, wann benimmst du dich endlich deinem Alter entsprechend?“

„Ich wäre nicht zweiundsiebzig geworden, wenn ich mich immer meinem Alter entsprechend verhalten hätte“, entgegnete Francesco und wies auf Marco. „Wenn du einmal so alt bist wie ich jetzt, bist du ein völlig vertrockneter Mann ohne Herz.“

Marco zuckte nur die Schultern.

Francesco wandte sich an Leo. „Und wenn du zweiundsiebzig bist, hast du jeden Kontakt zur Stadt verloren und hältst dich nur noch auf deinem Landgut auf.“

„Ah ja“, sagte Leo unbeeindruckt.

„Und was ist mit mir, wenn ich so alt bin?“, wollte Guido wissen.

„Du wirst erst gar nicht so alt. Irgendein eifersüchtiger Ehemann hat dich dann längst schon erschossen.“

Guido lächelte. „Du kennst dich mit eifersüchtigen Ehemännern bestens aus. Das habe ich erst kürzlich wieder …“

„Verschwindet“, unterbrach Francesco ihn. „Liza nimmt mich mit nach Hause.“

Nachdem die drei jungen Männer das Krankenhaus verlassen hatten, seufzten sie erleichtert.

„Ich brauche einen Drink“, erklärte Guido und eilte auf eine kleine Bar am Wasser zu. Die anderen folgten ihm, und sie setzten sich an einen Tisch in der Sonne.

Seit Guido in Venedig lebte, Leo in der Toskana und Marco in Rom, sahen sie sich nicht mehr so oft. Leo hatte sich kaum verändert. Er liebte das Leben auf dem Land, wie sein Onkel erwähnt hatte. Er war schlank, kräftig und hatte einen offenen, klaren Blick. Außerdem war er sehr geradlinig.

Auch Marco hatte sich nur wenig verändert. Er wirkte jedoch etwas angespannter, konzentrierter und schien die gewöhnlichen Sterblichen um sich her kaum wahrzunehmen. Seine Cousins hatten den Eindruck, dass er sich in der Welt der Hochfinanz, in der er lebte, ausgesprochen wohl fühlte.

Guido war eine Frohnatur und führte in gewisser Weise ein Doppelleben. Offiziell residierte er im Palazzo. Aber er besaß auch eine Junggesellenwohnung. Dort konnte er kommen und gehen, wie es ihm beliebte, ohne dass er kritisch beobachtet wurde. Er war noch charmanter als zuvor und noch entschlossener, sich seine Unabhängigkeit zu bewahren. Hinter seinem fröhlichen Lachen und seinem angenehmen Wesen verbargen sich Unbeugsamkeit und Willensstärke. Sein dunkles Haar war etwas zu lang und ließ ihn jünger erscheinen.

„Ich kann das nicht ertragen“, brach Guido das Schweigen nach dem zweiten Bier. „Mit dem Schlimmsten zu rechnen und dann noch einmal davonzukommen, zerrt viel zu sehr an meinen Nerven. Für wie lange bin ich davongekommen?“

„Worüber regst du dich auf?“, fragte Marco.

„Beachte ihn nicht.“ Leo verzog das Gesicht. „Ihm ist soeben ein Aufschub gewährt worden, deshalb redet er so wirres Zeug.“

„Spotte du ruhig“, sagte Guido. „Von Rechts wegen müsstest du an meiner Stelle sein.“

Leo war sein älterer Bruder, doch durch eine Tücke des Schicksals war Guido der Erbe des Titels. Bertrando, ihr Vater, hatte eine Frau geheiratet, deren vermeintlich verstorbener Mann nach ihrem Tod plötzlich wieder aufgetaucht war. Sie war bei Leos Geburt gestorben, und ihr Sohn galt wegen des Auftauchens ihres ersten Mannes als unehelich. Zwei Jahre später hatte Bertrando wieder geheiratet. Seine zweite Frau hatte ihren gemeinsamen Sohn Guido zur Welt gebracht.

Damals hatte sich niemand Gedanken über die ganze Sache gemacht. Alle hatten damit gerechnet, dass Conte Francesco heiraten und einen Erben bekommen würde. Doch als dies nicht geschah, sah man sich gezwungen, sich mit der Frage der Erbfolge auseinanderzusetzen. Obwohl er jünger war als Leo, war Guido nach allgemeiner Auffassung der gesetzliche Erbe des Titels.

Diese Aussicht missfiel ihm sehr. Es kam ihm vor wie eine Falle, die ihm die Freiheit rauben würde, zu tun und zu lassen, was er wollte. Guido hoffte auf ein Wunder. Vielleicht stellte sich doch noch heraus, dass Leo der rechtmäßige Erbe war. Aber Leo wollte den Titel auch nicht haben, er legte darauf genauso wenig Wert wie Guido. Ihn interessierte nur das Landgut, er liebte es, Wein, Weizen und Oliven anzubauen.

Den einzigen Streit zwischen ihnen hatte es gegeben, als Guido seinen Bruder hatte überreden wollen, sich für ehelich erklären zu lassen und aufzuhören, sich vor seiner Verantwortung zu drücken. Leo hatte barsch erwidert, wenn Guido glaube, er würde sich mit einem solchen Unsinn belasten, sei er ein Dummkopf. Guido hatte genauso barsch geantwortet. Schließlich hatte Marco eingegriffen und den unwürdigen Streit beendet. Als Sohn von Silvio, Francescos und Bertrandos jüngerem Bruder, kam er kaum als Erbe des Titels infrage. Deshalb konnte er es sich erlauben, belustigt zuzuhören, wenn seine Cousins erklärten, sie wollten den Titel nicht haben.

„Natürlich wird es eines Tages so weit sein“, sagte Marco jetzt etwas schadenfroh. „Ich sehe Guido schon vor mir als Conte und Vater von zehn Kindern. Und ich kann ihn mir gut vorstellen als vornehmen, dicken Mann mittleren Alters mit seiner Frau.“

„Ich finde das gar nicht lustig.“ Guido trank noch einen Schluck und seufzte. „Überhaupt nicht.“

Roscoe Harrisons Londoner Haus war mindestens so teuer eingerichtet wie der Palazzo der Calvanis. Doch im Gegensatz zu den Calvanis hatte Roscoe Harrison keinen Geschmack. Alles wirkte zu protzig.

„Ich kaufe nur das Beste“, sagte er zu der jungen blonden Frau, die ihm in seinem Büro auf der Rückseite des Hauses gegenübersaß. „Das ist auch der Grund dafür, warum ich Sie kaufe.“

„Sie können mich nicht kaufen, Mr. Harrison“, entgegnete Dulcie Maddox kühl. „Sie engagieren mich nur als Privatdetektivin und bezahlen mich für meine Leistung. Das ist etwas ganz anderes.“

„Okay, ich bin von Ihren Leistungen überzeugt. Sehen Sie sich das hier an.“ Er reichte ihr ein Foto von seiner Tochter Sally. Es war in Venedig aufgenommen. Ihr dunkles Haar fiel ihr über die Schultern, und sie lauschte andächtig dem jungen Gondoliere, der Mandoline spielte. Ein anderer Gondoliere mit gelocktem Haar, der sehr jungenhaft wirkte, blickte sie an.

„Das ist der Mann, der Sally wegen ihres Vermögens heiraten will“, erklärte Roscoe und wies mit dem Finger auf den Mandolinenspieler. „Er hat ihr erzählt, er sei kein Gondoliere, sondern der Erbe des Conte Calvani. Ich glaube, so lautete der Name. Aber ich bin überzeugt, es ist eine faustdicke Lüge.

Ich bin keineswegs ein unvernünftiger Mensch. Wenn er wirklich so ein hohes Tier wäre, wäre es natürlich etwas anderes. Sein Titel, mein Geld – das wäre keine schlechte Kombination. Doch ein zukünftiger Conte würde nicht Gondoliere spielen, das kann ich mir nicht vorstellen. Deshalb sollen Sie nach Venedig fliegen und herausfinden, was los ist. Sobald Sie den Beweis dafür haben, dass er gelogen hat …“

„Vielleicht ist es die Wahrheit“, wandte Dulcie ein.

„Es ist Ihre Aufgabe zu beweisen, dass es eine Lüge ist.“

„Das kann ich aber nicht, wenn er wirklich ein zukünftiger Conte ist“, erwiderte Dulcie unbehaglich.

„Es dürfte Ihnen nicht schwerfallen, die Wahrheit herauszufinden. Sie kommen doch selbst aus diesen Kreisen. Sie sind eine Lady, oder?“

„Na ja, das stimmt, ich mache jedoch meist keinen Gebrauch von dem Titel. Ich bin einfach nur Dulcie Maddox und Privatdetektivin.“

Das schien Roscoe nicht zu gefallen. Er war beeindruckt von ihrer Herkunft. Doch weil sie wenig Wert auf ihren Titel legte, fühlte Roscoe sich betrogen.

Am Abend zuvor hatte er sie zum Essen eingeladen, damit sie seine Tochter Sally kennenlernte. Dulcie fand die fröhliche, etwas naive junge Frau ausgesprochen nett und konnte sich gut vorstellen, dass man sie vor Mitgiftjägern beschützen musste.

„Ich habe Sie engagiert, weil Sie die Beste sind“, kam Roscoe auf das Thema zurück. „Sie haben Klasse, man merkt Ihnen an, dass Sie aus einer vornehmen Familie stammen. Nicht wegen Ihrer Kleidung, die …“

„Die ist billig“, half Dulcie ihm weiter. Ihre Jeans und die Jacke waren das Billigste, was sie hatte finden können. Glücklicherweise war sie groß und schlank. Sie sah immer gut aus, egal, was sie anhatte. Ihr langes blondes Haar und die grünen Augen erregten allgemeine Bewunderung.

„Sagen wir, sie wirkt nicht unbedingt teuer“, entgegnete Roscoe in einem seltenen Anflug von Takt. „Aber insgesamt wirken Sie vornehm und so, als würden Sie aus einer reichen Familie kommen.“

„Der Schein trügt“, erwiderte sie. „Ich bin so arm wie eine Kirchenmaus. Deshalb arbeite ich als Privatdetektivin. Das Geld, das meine Familie einmal hatte, ist für Pferdewetten draufgegangen.“

„Dann brauchen Sie neue Outfits, um überzeugend auftreten zu können. Ich habe für Sally ein Konto bei Feltham’s eingerichtet und rufe dort an, damit Sie sich auf meine Kosten neu einkleiden können. Im Hotel Vittorio können Sie nur in eleganter Kleidung erscheinen.“

„Im Hotel Vittorio?“, wiederholte sie und blickte rasch aus dem Fenster. Roscoe sollte nicht merken, dass dieses Hotel für sie eine besondere Bedeutung hatte. Vor einigen Wochen hatte sie noch vorgehabt, die Flitterwochen dort mit dem Mann zu verbringen, der ihr ewige Liebe geschworen hatte.

Aber das war Vergangenheit. Seine Liebe war plötzlich erloschen. Dulcie wäre es lieber gewesen, nicht im Vittorio übernachten zu müssen, doch es ließ sich nicht ändern.

„Das teuerste Hotel in Venedig“, erklärte Roscoe. „Kaufen Sie sich alles, was Sie brauchen, und machen Sie sich auf den Weg. Sie fliegen erster Klasse, nur für den Fall, dass er Nachforschungen über Sie anstellt.“

„Halten Sie es für möglich, dass er auch einen Privatdetektiv engagiert hat?“

„Es gibt Menschen, denen ich alles zutraue.“

Dulcie schwieg diplomatisch.

„Hier ist ein Scheck für Ihre Ausgaben. Es genügt aber nicht, nur reich auszusehen. Sie müssen bei jeder Gelegenheit Reichtum zeigen.“

„Ah ja, zeigen.“ Dulcie betrachtete ungläubig den hohen Betrag, über den der Scheck ausgestellt war.

„Finden Sie diesen Gondoliere, und lassen Sie ihn glauben, Sie würden im Geld schwimmen, damit er sich an Sie heranmacht. Wenn er angebissen hat, rufen Sie mich an. Dann schicke ich Sally nach Venedig. Sie soll sich selbst überzeugen, was für ein Mensch er ist. Sie will es mir nicht glauben, dass die Welt voller Schurken ist, die auf der Suche nach reichen jungen Frauen sind.“

„Leider gibt es viel zu viele solcher Männer“, antwortete Dulcie wehmütig.

Nachdem Francesco wieder zu Hause war, aß er zusammen mit seinen Neffen zu Abend. Es ging sehr formell zu. Ein Gericht nach dem anderen wurde unter Lizas strengem Blick von einer Hausangestellten serviert. Für den Conte war das normal, und Marco saß ganz entspannt da. Aber Guido und Leo fanden es erdrückend und waren froh, als es vorbei war.

Als sie hinauseilen wollten, bat der Conte Guido zu sich in sein überladenes Arbeitszimmer.

„Wir sind in Luigis Bar“, rief Marco ihm zu.

„Hat das nicht Zeit?“ Guido ging hinter seinem Onkel her in das Arbeitszimmer.

„Nein“, antwortete Francesco mit finsterer Miene. „Es muss einiges geklärt werden. Ich frage dich erst gar nicht, ob die Geschichten, die man sich über dich erzählt, wahr sind.“

„Wahrscheinlich stimmt alles.“ Guido lächelte seinen Onkel an.

„Das muss aufhören. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, dir alle jungen Frauen der Gesellschaft vorzustellen.“

„Diese Frauen machen mich nervös. Sie interessiert doch nur eins.“

„Was denn?“

„Mein zukünftiger Titel. Die Hälfte von ihnen nimmt mich kaum richtig wahr. Sie sind auf den Titel der Calvanis fixiert.“

„Wenn du damit sagen willst, dass sie bereit sind, deinen unmöglichen Lebenswandel aus Respekt vor deiner gesellschaftlichen Stellung zu ignorieren …“

„Vielleicht will ich gar keine Frau, die meinen unmöglichen Lebenswandel ignoriert“, unterbrach Guido ihn. „Es würde sicher mehr Spaß machen, wenn sie bereit wäre, sich daran zu beteiligen.“

„Die Ehe ist nicht dafür da, um Spaß zu haben“, fuhr Francesco ihn an.

„Das habe ich befürchtet.“

„Du solltest endlich anfangen, dich deiner Herkunft entsprechend zu verhalten, statt so viel Zeit mit der Familie Lucci zu verbringen und Gondoliere zu spielen. Die Luccis sind ordentliche, anständige Leute, aber du …“

Guidos Blick wurde hart. „Die Luccis sind meine Freunde. Vergiss das bitte nicht“, unterbrach er seinen Onkel.

„Natürlich kannst du mit ihnen befreundet sein. Du kannst jedoch nicht so leben wie Fede, sondern musst deinen eigenen Weg gehen. Ich hätte dir nicht erlauben dürfen, so oft mit ihm zusammen zu sein.“

„Da gab es nichts zu erlauben“, wandte Guido ruhig ein. „Ich brauchte dich nicht um Erlaubnis zu bitten. Das würde ich niemals tun. Ich habe großen Respekt vor dir, werde jedoch nicht zulassen, dass du dich in mein Leben einmischst.“

Wenn Guido in diesem Ton sprach, wirkte er nicht mehr wie der unbekümmerte Charmeur. Der Conte bemerkte den strengen Blick, die ernste Miene und den energischen Zug um den Mund seines Neffen und schwieg vorsichtshalber.

Versöhnlicher fügte Guido hinzu: „Es ist nichts dabei, es macht mir einfach nur Spaß. Außerdem hält es mich fit, nach meinen anderen ‚Exzessen‘ Gondoliere zu spielen.“

„Es wäre alles nicht so schlimm, wenn du nur rudern würdest.“ Francesco bekam wieder Oberwasser. „Aber ich habe dich sogar O sole mio für Touristen singen hören.“

„Das erwarten sie, vor allem die Engländer.“

„Und du lässt dich mit ihnen fotografieren.“ Der Conte zog ein Foto hervor, auf dem Guido im typischen Gondoliereoutfit einer dunkelhaarigen jungen Frau ein Ständchen brachte, während ein anderer Gondoliere mit gelocktem Haar, der sehr jungenhaft wirkte, hinter ihnen saß. „Mein Neffe, der zukünftige Conte Calvani, posiert mit einem Strohhut auf dem Kopf“, stellte Francesco mit finsterer Miene fest.

„Zugegeben, das ist wirklich unmöglich“, stimmte Guido ihm zu. „Ich bin ein Schandfleck für die Familie. Du solltest rasch heiraten und einen Sohn bekommen. Das löst das Problem. Es geht das Gerücht um, du seist noch so aktiv und … leistungsfähig wie früher. Deshalb sollte es kein Problem für dich sein …“

„Verschwinde, ehe ich mich vergesse!“

Erleichtert verließ Guido den Raum und den Palazzo. Dann eilte er durch die engen, dunklen Gassen. Am Canal Grande angekommen, sah er sieben Gondeln, die nebeneinanderher fuhren. Es war eine Vorführung für Touristen. In der mittleren Gondel saß der Mann mit dem jungenhaften Gesicht, der auf dem Foto abgebildet war. Sein schöner Tenor klang über das Wasser hinweg zu Guido herüber. Als seine Stimme verklang, setzte Applaus ein, und dann glitten die Gondeln zu den Anlegestegen.

Guido wartete, bis sein Freund Federico Lucci den letzten Passagieren beim Aussteigen geholfen hatte, ehe er ihn begrüßte.

„Hallo, Fede! Wenn deine englische Signorina dich so singen hören könnte, würde sie dir überallhin folgen.“ Als Fede stöhnte, fragte Guido: „Was ist los? Liebt sie dich nicht mehr?“

„Sally liebt mich“, erklärte Fede. „Aber ihr Vater würde mich eher umbringen, als ihr zu erlauben, mich zu heiraten. Er glaubt, ich sei nur hinter ihrem Geld her. Das stimmt aber nicht. Ich liebe sie wirklich. Du kennst sie doch. Ist sie nicht wunderbar?“

„Ja, wunderbar“, stimmte Guido ihm diplomatisch zu. Seiner Meinung nach war Sally ein hübsches Püppchen, das weder Charakter noch Temperament hatte. Er selbst zog Frauen vor, die eine Herausforderung darstellten und es ihm nicht zu leicht machten. „Du weißt, ich helfe dir so gut, wie ich kann“, bot er seinem Freund an.

„Du hast uns immer sehr geholfen“, antwortete Fede. „Wir konnten uns in deinem Apartment treffen, du hast mich als Gondoliere vertreten …“

„Ach, das war doch selbstverständlich. Es hat mir Spaß gemacht. Sag mir Bescheid, wenn ich dich wieder einmal vertreten soll.“

„Sally ist nach England geflogen, weil sie mit ihrem Vater reden will. Ich befürchte jedoch, sie kommt nicht mehr zurück.“

„Wenn es wirklich die große Liebe ist, kommt sie zurück“, erklärte Guido.

Fede musste lachen und klopfte Guido auf die Schulter. „Was weißt du schon von der großen Liebe? Sobald deine Freundinnen vom Heiraten sprechen, verabschiedest du dich.“

„Nicht so laut“, forderte Guido ihn besorgt auf. „Mein Onkel scheint seine Ohren überall zu haben. Komm, lass uns in Luigis Bar gehen. Dort warten Leo und Marco auf mich.“

Zwei Tage später flog Dulcie nach Venedig. Nach der Landung auf dem Marco-Polo-Flughafen beobachtete sie schließlich mit hoheitsvoller Miene, wie ihr Gepäck in dem Motorboot des Hotels Vittorio verstaut wurde.

Die Sonne schien an diesem schönen Junitag von dem tiefblauen Himmel, und es war warm. Als das Boot über das glitzernde und funkelnde Wasser der Lagune glitt, vergaß Dulcie für kurze Zeit ihre Traurigkeit.

Rechts von ihr befand sich der Damm, der Venedig mit dem Festland verband und über den gerade ein Zug fuhr. Auf der anderen Seite erstreckte sich die Lagune bis zum fernen Horizont.

„Sehen Sie dort, Signorina.“ Der Mann, der wie alle Venezianer stolz auf seine wunderschöne Stadt war, wies auf die goldenen Kuppeln, die in der Sonne leuchteten.

Der Anblick der Stadt raubte Dulcie beinah den Atem. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, um nichts zu versäumen, während das Boot langsamer fuhr.

Sie glitten im Schatten der hohen Gebäude dahin, die auf beiden Seiten emporragten. Dulcie lehnte sich auf dem Sitz zurück und betrachtete den schmalen Streifen Himmel über ihnen. Nach wenigen Minuten waren sie wieder im Sonnenschein und fuhren auf einen prachtvollen Palazzo aus dem siebzehnten Jahrhundert zu, der das Hotel Vittorio beherbergte.

Am Anlegesteg streckten sich ihr Hände entgegen, man half ihr die Stufen hinauf. Dann wurde Dulcie in das Hotel geführt, während Hotelangestellte mit ihrem Gepäck folgten.

„Die Empire-Suite ist für Sie reserviert“, erklärte der Mann an der Rezeption mit hochmütiger Miene.

„Die Empire-Suite?“, wiederholte Dulcie verblüfft. „Sind Sie sicher, dass es sich um keinen Irrtum handelt?“

Aber man dirigierte sie schon auf die dritte Etage, wo sich eine vergoldete Doppeltür vor ihr öffnete. Sie betrat die Luxussuite, die so aussah, als wäre sie extra für eine Kaiserin konzipiert worden. Die Möbel stammten offenbar aus dem achtzehnten Jahrhundert, und an der Wand hing das Porträt von Elisabeth, der schönen, jungen Kaiserin von Österreich. Es war im neunzehnten Jahrhundert gemalt worden, als Venedig eine österreichische Provinz gewesen war.

An einer Seite entdeckte Dulcie eine andere Doppeltür, die in das Schlafzimmer führte. In dem riesigen Bett hätten bestimmt vier Personen Platz, dachte sie. Sie war überwältigt von so viel Luxus und Üppigkeit. Ein Zimmermädchen kam herein, um Dulcies Koffer auszupacken. In dem Moment erinnerte sie sich an Roscoes Rat, ihren vermeintlichen Reichtum zu zeigen, und verteilte so großzügige Trinkgelder, dass man sogar in diesem Luxushotel darüber reden würde.

Als alle weg waren, versuchte sie, damit zurechtzukommen, dass sie ganz allein hier war, obwohl sie eigentlich als strahlende Braut hatte kommen wollen.

Simon hatte angenommen, dass Lord Maddox, Dulcies Vater, viel Geld besaß. Er hatte sich sehr um sie bemüht. Sie war auf seine schönen Worte hereingefallen und hatte an die große Liebe geglaubt.

Aber sie war jäh aus ihren Träumen gerissen worden. Simon hatte sehr verschwenderisch und auf Kredit gelebt, wie sie später erfahren hatte. Seine Liebe war genauso illusorisch gewesen wie sein angeblicher Reichtum, für den Dulcie sich sowieso nicht interessiert hatte.

Eines Abends hatte er ihr beim Essen im Hotel Ritz den Prospekt des Hotels Vittorio gezeigt. „Ich habe uns die Empire-Suite für die Flitterwochen reservieren lassen“, hatte er verkündet.

„Liebling, das kostet doch …“

„Na und? Geld ist dazu da, dass man es ausgibt.“

„Du brauchst für mich nicht so viel Geld auszugeben“, erwiderte sie sanft. „Darum geht es doch nicht.“

Simon runzelte spöttisch die Stirn. „Nein, Liebes, aber Geld ist sehr hilfreich.“

„Glaubst du etwa, ich würde dich wegen deines Geldes heiraten?“, fragte sie. „Ich liebe dich, nur dich. Es wäre mir völlig egal, wenn du genauso arm wärst wie ich.“

Sein Blick wurde plötzlich merklich kühler. „Das soll ein Scherz sein, oder?“

„Nein, ich besitze nichts.“

„Ich habe gehört, dein Großvater hätte an einem einzigen Tag beim Pferderennen mehrere tausend Pfund verwettet.“

„Das stimmt. Mein Vater war genauso. Deshalb haben wir jetzt nichts mehr.“

„Aber es ist doch allgemein bekannt, dass er Aktien, Grundstücke und dergleichen besitzt.“

Dulcie begriff, um was es ihm wirklich ging. Sie wollte es jedoch noch nicht wahrhaben. „Lebe ich wie jemand mit einem großen Vermögen?“

„Du stapelst tief, nehme ich an.“

Schließlich war es ihr gelungen, Simon zu überzeugen, dass sie die Wahrheit sagte.

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

Mit dem Schreiben...

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