Wie im Traum - Verliebt in den Milliardär (2 Miniserien)

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DIESE SEHNSUCHT WECKST NUR DU
"Ich weiß, dass du mich hassen musst." Entsetzt erkennt Serena, wer ihr neuer Boss ist: ausgerechnet der brasilianische Milliardär Luca Fonseca, der einst ihretwegen unschuldig verurteilt wurde - und der noch immer eine tiefe, romantische Sehnsucht in ihr weckt! Was hat er mit ihr vor? Statt sie auf der Stelle zu feuern, lädt er sie zu einem abenteuerlichen Ausflug in die Wildnis des Amazonas ein. Doch während Serena sich dabei mehr und mehr nach seinen zärtlichen Umarmungen verzehrt, muss sie fürchten, dass er nur einen ausgeklügelten Racheplan verfolgt ...

JETZT UND FÜR DIE EWIGKEIT?
"Nenn mir deinen Preis!" Darcy ist schockiert von der Forderung des exzentrischen Milliardärs Max Fonseca. Zwar ist sie als seine Sekretärin an seine Launen gewöhnt. Aber dass er sie jetzt zwingt, seine Verlobte zu spielen, geht zu weit! Auch wenn sie sich insgeheim seit Langem nach ihm verzehrt. Doch sie weiß, dass er sie nur an seiner Seite braucht, damit er das Geschäft seines Lebens abschließen kann. Und eine derart berechnende Beziehung kommt für Darcy auf keinen Fall infrage! Bis Max sie mit einem zärtlichen Kuss überrascht, der sie gegen ihren Willen dahinschmelzen lässt ...

FÜR IMMER BETÖRT VON DIR
Hat sie den Verstand verloren, sich ihrem Chef derart an den Hals zu schmeißen? Grafik-Designerin Bella kennt sich selbst nicht wieder. Doch seit der verboten attraktive Unternehmer Hugh Moncrieff ihr auf dem mondänen Familienschloss die aufregendste Nacht ihres Lebens schenkte, steht ihr Leben Kopf. Dabei hat sie sich geschworen, wegen eines Mannes nie wieder ihre Existenz zu riskieren! Aber je mehr Zeit sie mit Hugh verbringt, desto mehr vertraut sie ihm ... bis er sie kühl in ihre Schranken weist! Wird sie jetzt trotzdem noch um seine Liebe kämpfen?

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Ausgerechnet der gefährlich attraktive Millionär Roland Devereux macht Grace Faraday ein prickelndes Angebot: Er wird sie für zwei Wochen an die schönsten Orte der Welt entführen, dafür hilft sie ihm, sein Flirt-Talent aufzupeppen. Aber venezianische Gondelfahrten und sinnliche Küsse lassen ihre Augen nicht nur heller strahlen, Grace fühlt auch, sie ist rettungslos verliebt! Trotzdem, eine gemeinsame Zukunft ist undenkbar, denn auch wenn Rolands Blicke verlangend funkeln, Grace weiß, sein Herz gehört noch einer anderen ...


  • Erscheinungstag 01.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506595
  • Seitenanzahl 584
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Abby Green, Kate Hardy

Wie im Traum - Verliebt in den Milliardär (2 Miniserien)

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2015 by Abby Green
Originaltitel: „Fonseca’s Fury“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2229 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Petra Pfänder

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706692

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Serena DePiero saß in dem vornehmen Warteraum und starrte auf die ausladenden silbernen Buchstaben an der Wand vor ihr:

Roseca Industrie und Wohltätigkeitsstiftung

Sie spürte, wie das Entsetzen wieder in ihr hochstieg. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt … Erst gerade eben, im Flugzeug nach Rio de Janeiro, hatte sie erfahren, dass die Wohltätigkeitsorganisation, für die sie seit Kurzem arbeitete, zum Roseca-Verband gehörte. Gegründet und geleitet von Luca Fonseca – der Name Roseca war aus den Namen seines Vaters und seiner Mutter zusammengesetzt.

Und jetzt war sie hier, im Vorzimmer genau dieses Luca Fonseca. Und wartete darauf, dem einzigen Mann auf der ganzen Welt zu begegnen, der sie abgrundtief hasste.

Und das zu Recht.

Aber warum hatte er zugelassen, dass sie überhaupt eingestellt wurde? Er musste doch davon gewusst haben. Oder etwa nicht? Hatte er das Ganze vielleicht sogar von Anfang an inszeniert, um sie jetzt umso eindrucksvoller zu vernichten?

Das wäre unglaublich grausam. Aber trotzdem – dieser Mann schuldete ihr nichts außer Verachtung. Sie stand in seiner Schuld, und es bestand eine gute Chance, dass ihre Karriere vorbei war, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Bei diesem Gedanken verspürte sie einen Anflug von Panik. Aber ein wenig Hoffnung hatte sie noch. Vielleicht war inzwischen genug Zeit vergangen. Vielleicht konnte sie Luca Fonseca doch noch davon überzeugen, wie leid es ihr tat.

Bevor sie noch länger darüber nachdenken konnte, öffnete sich eine Tür zu ihrer Rechten, und eine schlanke dunkelhaarige Frau in einem grauen Hosenanzug erschien. „Senhor Fonseca möchte Sie nun sehen, Miss DePiero.“

Serena umklammerte ihre Handtasche. Sie wollte herausschreien: „Aber ich will ihn nicht sehen!“ Doch das war unmöglich. Genauso wenig konnte sie einfach weglaufen. Ihr gesamtes Gepäck befand sich noch in dem Wagen, der sie vom Flugplatz abgeholt hatte.

Als sie sich widerstrebend erhob, durchzuckte sie eine Erinnerung mit einer solchen Wucht, dass sie fast gestolpert wäre.

Luca Fonseca in einem blutbesudelten Hemd, mit einem blauen Auge und einer aufgeschlagenen Lippe. Ein Schatten dunkler Bartstoppeln auf seinem angeschwollenen Kinn, in einer Gefängniszelle. Er lehnte an der Wand und wirkte düster und gefährlich. Dann hob er den Kopf und sah sie an. Seine tiefblauen Augen wurden schmal, ein Ausdruck eisiger Verachtung erschien auf seinem Gesicht. Er richtete sich auf, kam zum Gitter herüber und umfasste die Stäbe, als würde er sich vorstellen, sie wären ihr Hals. Serena erstarrte beim Anblick seiner ramponierten Erscheinung.

„Wäre ich dir nur nie begegnet, Serena!“

„Miss DePiero? Senhor Fonseca wartet.“

Serena zwang ihre Füße dazu, an der Frau vorbei in Luca Fonsecas Büro zu gehen.

Sie hasste es, wie hart und schnell ihr Herz klopfte, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. In den ersten Sekunden nahm sie niemanden im Raum wahr. Die gesamte Rückwand des Büros bestand aus einem gewaltigen Fenster und bot den unglaublichsten Blick über eine Stadt, den Serena je gesehen hatte.

In der Ferne glitzerte dunkelblau der Atlantik, davor sah sie die beiden berühmten Wahrzeichen von Rio de Janeiro: den Zuckerhut und die dreißig Meter hohe Christusstatue auf dem Corcovado-Berg. Dazwischen befanden sich unzählige Hochhäuser, direkt bis ans Meer. Den Ausblick atemberaubend zu nennen, wäre eine Untertreibung gewesen.

Dann trat Luca Fonseca in ihr Blickfeld. Für eine Sekunde verschmolzen Vergangenheit und Gegenwart, und Serena war wieder in jenem Nachtclub, sah ihn zum ersten Mal.

Groß und breitschultrig hatte er im schummrigen Licht des Clubs gestanden. Nie zuvor hatte sie erlebt, dass jemand so ruhig und doch gleichzeitig so dominant wirken konnte. Mit einem dunklen Anzug und einem am Kragen geöffneten Hemd trug er mehr oder weniger das Gleiche wie die anderen Männer hier, doch durch seine Souveränität und Anziehungskraft hob er sich von ihnen ab. Bevor sie sich hatte bremsen können, war Serena zu ihm gegangen – als würde sie von dem Kraftfeld seiner magnetischen Ausstrahlung magisch angezogen.

Sie blinzelte. Das Bild des Nachtclubs löste sich auf.

Plötzlich war der Raum zum Ersticken heiß. Sie bekam keine Luft mehr. Luca Fonseca sah anders aus als damals. Sie brauchte einige Sekunden, dann erkannte sie, dass sein Haar heute länger und leicht zerzaust war. Ein dunkler Bart überzog sein Kinn und ließ ihn noch männlicher wirken.

Sein helles, am Hals offenes Hemd war in die dunkle Hose gesteckt. Ganz das Bild eines zivilisierten Geschäftsmannes, doch die Schwingungen, die von ihm ausgingen, waren alles andere als zivilisiert.

Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. „Was zum Teufel willst du hier, DePiero?“

Serena ging weiter in das enorme Büro hinein, obwohl sie am liebsten in die entgegengesetzte Richtung gerannt wäre. Sie konnte ihren Blick nicht von ihm losreißen. Sie zwang sich zu antworten, so zu tun, als würde sein Anblick sie nicht vollkommen durcheinanderbringen. „Ich bin hier, um meine Arbeit für die Wohltätigkeitsorganisation anzutreten, in der Abteilung für Kapitalbeschaffung.“

„Du hast hier keinen Job. Nicht mehr“, sagte Luca Fonseca. Seine Stimme klang angespannt.

Das Blut schoss Serena in die Wangen. „Ich wusste nicht, dass Sie … beteiligt sind, Mr. Fonseca. Davon habe ich erst erfahren, als ich schon auf dem Weg nach Rio war.“

Luca Fonseca gab ein leises, schnaubendes Geräusch von sich. „Eine ziemlich unwahrscheinliche Geschichte, meinst du nicht?“

„Aber es ist wahr!“, rief sie. „Ich habe nicht geahnt, dass die Wohltätigkeitsorganisation zur Roseca-Gruppe gehört. Sonst hätte ich nie zugesagt.“

Luca Fonseca kam um den Tisch herum, und Serenas Augen weiteten sich. Für einen so großen Mann bewegte er sich mit überraschender Geschmeidigkeit. Aus jeder Pore verströmte er Selbstsicherheit.

„Ich wusste nicht, dass du in unserem Büro in Athen arbeitest“, sagte er sichtlich verärgert. „Um solche Kleinigkeiten kümmere ich mich nicht selbst, dafür habe ich die besten Leute angestellt – obwohl ich nach diesem Vorfall diese Methode noch einmal überdenken werde. Ich wusste nicht, dass man von allen Bewerbern ausgerechnet dich ausgewählt hat.“ Er verzog den Mund. „Aber ich muss zugeben, dass ich interessiert genug war, um dir einen Wagen zum Flughafen zu schicken, anstatt dich direkt ins nächste Flugzeug zurück zu setzen.“

Er hatte also nicht gewusst, dass sie für ihn arbeitete. Serena ballte die Hände zu Fäusten, damit er ihr Zittern nicht sah. Seine herablassende Arroganz machte sie nur noch nervöser.

Luca Fonseca sah auf die große Platinuhr an seinem Handgelenk. „Ich kann fünfzehn Minuten erübrigen, bevor du zurück zum Flughafen gebracht wirst.“

Wie ein unerwünschtes Paket. Er feuerte sie.

Lässig lehnte er sich an seinen Schreibtisch, als wäre dies eine ganz normale Unterhaltung. „Also, DePiero? Was zum Teufel bringt Europas liederlichste Prominente dazu, für ein winziges Gehalt bei einer Wohltätigkeitsorganisation in Athen zu arbeiten?“

Noch vor wenigen Stunden war Serena bei dem Gedanken an ihren neuen Job so beschwingt gewesen. Eine Chance, ihrer besorgten Familie zu beweisen, dass sie es schaffen konnte. Endlich würde sie unabhängig sein. Und jetzt sorgte dieser Mann dafür, dass alles, wofür sie so hart gekämpft hatte, umsonst gewesen war.

Jahrelang war sie das enfant terrible der italienischen Partyszene gewesen, ständig verfolgt von Paparazzi. Was immer sie tat, landete in den Zeitschriften – völlig übertrieben und aus dem Zusammenhang gerissen. Aber hinter den Schlagzeilen steckte immer noch genug Wahrheit, um Serena bei der Erinnerung vor Scham erröten zu lassen.

„Ich weiß, dass Sie mich hassen.“ Ihre Stimme klang rau vor unterdrückten Gefühlen.

Luca Fonseca lächelte, aber seine Augen waren kalt. „Hassen? Bilde dir nichts ein, DePiero, Hass ist eine sehr unzureichende Beschreibung meiner Gefühle für dich.“

Noch eine Erinnerung stürzte auf sie ein: Ein zusammengeschlagener Luca in Handschellen, von der italienischen Polizei zu einem Wagen gezerrt. „Du hast mich reingelegt, du Miststück!“, hatte er wütend hervorgestoßen, unmittelbar bevor sie selbst in einen Polizeiwagen verfrachtet wurde, wenn auch ohne Handschellen.

Er hatte versucht, sich von dem Griff des bulligen Polizisten zu befreien, aber das hatte ihm nur einen Hieb in den Magen eingebracht. Serena konnte nur starr vor Entsetzen zusehen.

„Sie hat mir die Drogen zugesteckt“, hatte sie noch gehört, bevor er im Einsatzwagen verschwand.

Serena versuchte, die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu vertreiben. „Mr. Fonseca, ich habe Ihnen die Drogen nicht in die Tasche gesteckt … Ich weiß nicht, wer es war, ich jedenfalls nicht. Ich habe nachher versucht, Sie zu erreichen … aber da hatten Sie Italien schon verlassen.“

Er stieß einen verächtlichen Laut aus. „Nachher? Du meinst, nachdem du von deinem Shopping-Trip in Paris zurückgekommen bist? Ich habe die Fotos gesehen. Eine ganz normale Woche für dich, nicht wahr?“

Serena konnte die Wahrheit nicht abstreiten. Ganz gleich, wie unschuldig sie auch war, dieser Mann hatte ihretwegen gelitten. Sie sah die grellen Schlagzeilen noch deutlich vor sich:

DePieros neuester Liebhaber? Brasilianischer Milliardär Luca Fonseca bei Razzia in exklusivem Nachtclub mit Drogen aufgegriffen

Bevor Serena etwas zu ihrer Verteidigung sagen konnte, stand Luca auf und kam näher. Ihr Mund wurde trocken.

Als er so nah bei ihr war, dass sie die seidigen Härchen im Ausschnitt seines Hemdes sehen konnte, musterte er sie mit einem kalten Blick von Kopf bis Fuß. „Ein Unterschied wie Tag und Nacht zu dem lächerlichen Etwas, das du damals am Leib hattest.“

Serena stieg bei der Erinnerung an ihr Kleid von jenem Abend das Blut in die Wangen. Noch einmal versuchte sie, sich zu verteidigen: „Ich hatte wirklich nichts mit den Drogen zu tun.“

Einen Moment lang sah er sie an, dann legte er den Kopf zurück und lachte schallend. „Eins muss ich dir lassen – feige bist du jedenfalls nicht! Es gehört schon einiges dazu, nach all der Zeit dreist hier hereinzuspazieren und zu behaupten, du wärst unschuldig.“

Serena ballte die Hände zu Fäusten. „Aber es stimmt. Ich weiß, was Sie denken müssen …“ Sie brach ab. Was jeder dachte, schoss ihr durch den Kopf. Fälschlicherweise. „Ich habe nie solche Drogen genommen.“

Jede Heiterkeit verschwand aus Luca Fonsecas Gesicht. „Jetzt reicht´s mit deinen Unschuldsbeteuerungen. Du hattest harte Drogen in deinem hübschen Handtäschchen, und als du gemerkt hast, dass der Club durchsucht wird, hast du sie mir praktischerweise in die Jacke gesteckt.“

„Es muss jemand anderes gewesen sein.“

Luca Fonseca trat noch näher. Sie schluckte und blickte auf. Ihr brach der Schweiß aus.

„Muss ich dich wirklich daran erinnern, wie nah wir uns an jenem Abend waren, Serena? Du konntest mir das Beweismaterial einfach in die Tasche stecken.“

Sie erinnerte sich nur zu gut an seine starken Arme um ihre Taille, an ihre Arme um seinen Hals. Ihr Mund glühend von seinen Küssen. Jemand war zu ihnen gekommen, ein Bekannter von Serena. „Eine Razzia“, hatte er ihnen zugeraunt.

Und Luca Fonseca dachte … Dachte er etwa, sie hätte ihm in den wenigen Sekunden, bevor das Chaos losbrach, die Drogen in die Tasche geschmuggelt?

„Ich bin sicher, du hattest Übung darin. Darum habe ich auch nichts bemerkt.“

Er trat einen Schritt zurück, und Serena konnte wieder atmen. Aber dann ging er langsam um sie herum. Ihre Haut kribbelte. Sie war sich sehr bewusst, dass er sie betrachtete. Am liebsten hätte sie ihren Hosenanzug zurechtgezogen, doch sie beherrschte sich.

Serena schloss einen Moment lang die Augen, dann öffnete sie sie wieder. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an. „Mr. Fonseca, ich bitte nur um eine Chance …“

Er hob die Hand, und sie brach ab. Sein Gesichtsausdruck war jetzt schlimmer als kalt, er war vollkommen unlesbar. Er schnippte mit den Fingern, als wäre ihm gerade etwas eingefallen.

Spöttisch verzog er den Mund. „Natürlich – es ist wegen deiner Familie, nicht wahr? Sie haben dir die Flügel gestutzt. Andreas Xenakis und Rocco De Marco würden nie dulden, dass du deinen ausschweifenden Lebenswandel wieder aufnimmst. Und in den Kreisen, die dich vorher gefeiert haben, bist du immer noch eine persona non grata. Aber du und deine Schwester habt es trotzdem geschafft – ihr seid auf euren Füßen gelandet, auch wenn euer Vater in Ungnade gefallen ist.“ In seinen harten Zügen las sie Abscheu. „Nach allem, was er getan hat, kann Lorenzo DePiero sich nie wieder irgendwo sehen lassen.“

Serena wurde übel. Sie war die Letzte, die man an die Korruption und die zahlreichen anderen Verbrechen ihres Vaters erinnern musste.

Doch Luca war noch nicht fertig. „Ich vermute, du willst deiner Familie beweisen, dass du dich geändert hast. Welche Gegenleistung haben sie dir dafür versprochen? Unterhalt? Eine luxuriöse Wohnung in Italien? Oder willst du vielleicht lieber in Athen bleiben, wo dein Ruf noch nicht ganz so ruiniert ist? Jedenfalls wärest du dort unter dem Schutz deiner kleinen Schwester. Wenn ich mich richtig erinnere, war sie diejenige, die immer alles für dich ausgebügelt hat.“

Als er ihre Familie erwähnte – insbesondere ihre Schwester – stieg heiße Wut in Serena auf. Ihre Familie bedeutete ihr alles. Sie würde sie niemals im Stich lassen. Sie hatten sie gerettet. Etwas, das dieser kalte, voreingenommene Mann nie verstehen würde.

Serena spürte den Jetlag, ihre Augen brannten, und sie hatte sich noch immer nicht von dem Schock erholt, diesen Mann wiederzusehen. Das alles war ihrer Stimme anzuhören, als sie sagte: „Meine Familie hat damit nichts zu tun. Und vor allem nicht mit Ihnen.“

Luca Fonseca starrte sie ungläubig an. „Oh, ich bin sicher, sie haben alles damit zu tun. Haben sie deinem Chef vielleicht eine großzügige Spende versprochen, wenn du eine Beförderung bekommst?“

Serena errötete. Ein erstickter Laut entfuhr ihr. „Nein. Natürlich nicht.“

Aber die Art, wie sie seinen Blick vermied, sagte etwas anderes. Sowohl ihr Halbbruder Rocco De Marco, als auch ihr Schwager Andreas Xenakis, konnten mit einem Fingerschnippen das Kapital der Wohltätigkeitsorganisation für ein ganzes Jahr sicherstellen. Und auch wenn Luca selbst durchaus vermögend war, war die Organisation immer auf Spenden angewiesen.

Wie leicht mein eigenes Personal zu manipulieren ist! dachte Luca angewidert. „Ich werde mich jedenfalls nicht von dir dazu benutzen lassen, allen vorzuspielen, du hättest dich geändert.“

Serena schaute ihn nur an. Er sah, wie sich ihr langer graziöser Hals bewegte, als sie schluckte. Offenbar wollte sie etwas sagen, bekam aber die Worte nicht heraus. Er spürte kein Mitleid.

Sie hatte nichts mehr mit der glamourösen, provokativen Frau gemein, die in seinem Gedächtnis eingebrannt war. Die Frau vor ihm war blass, und ihr Outfit sah aus, als wäre sie zu einem Vorstellungsgespräch in einem Versicherungsbüro unterwegs. Ihre Unmengen weißblonder Haare waren in einem seriösen Knoten gezähmt. Doch nicht einmal das, zusammen mit dem nüchternen dunklen Anzug, konnte ihre unglaubliche natürliche Schönheit oder das Leuchten ihrer strahlend blauen Augen mindern.

Diese Augen … sie hatten ihn wie ein Schlag in die Magengrube getroffen, als Serena in sein Büro gekommen war und er ein paar Sekunden Zeit gehabt hatte, sie unbemerkt zu beobachten. Die schmucklose Hose konnte ihre berühmten langen Beine nicht verbergen. Ihre üppigen Brüste drängten gegen die Seide ihrer Bluse.

Habe ich gar nichts gelernt? fragte er sich wütend. Sie sollte sich vor ihm auf die Knie werfen und sich dafür entschuldigen, dass sie sein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Stattdessen besaß sie die Dreistigkeit, sich auch noch zu verteidigen. Meine Familie hat nichts damit zu tun.

Aber bei ihr sollte ihn wirklich gar nichts mehr wundern. Es kümmerte ihn nicht, warum sie hier war. Seine Neugier war befriedigt. „Deine Zeit ist um. Der Wagen wartet draußen, um dich zurück zum Flughafen zu bringen. Und ich hoffe sehr, dass du mir nie wieder unter die Augen kommst.“ Nur warum fiel es ihm so schwer, seine Augen von ihr loszureißen?

Ärgerlich trat Luca zurück hinter seinen Schreibtisch und drehte ihr den Rücken zu. Er erwartete zu hören, wie die Tür geöffnet und geschlossen wurde. Als alles still blieb, wirbelte er herum: „Wir haben nichts mehr zu besprechen. Dort ist die Tür.“

Sie wurde noch blasser. Ihm gefiel nicht, dass er es überhaupt bemerkte. Auch nicht sein Anflug von Besorgnis. Luca Fonseca sorgte sich um keine Frau!

Er konnte sehen, wie sie wieder schluckte, dann überwand ihre weiche, raue Stimme mit dem winzigen italienischen Akzent die Entfernung zwischen ihnen. „Ich möchte nur eine Chance. Bitte.“

Luca öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er war fassungslos. Wenn er einmal seine Entscheidung mitgeteilt hatte, wagte niemand, ihn infrage zu stellen!

Bis zu diesem Moment. Und dann ausgerechnet diese Frau! Aber die Chance, dass er seine Entscheidung wegen Serena DePiero überdenken würde, war kleiner als Null. Allein die Tatsache, dass sie noch immer in seinem Büro war, machte ihn wütend.

Anstatt sich geschlagen zu geben und endlich zu verschwinden, kam sie jetzt auch noch näher!

Luca spürte den Impuls, sie sich über die Schulter zu werfen und höchstpersönlich aus seinem Büro zu befördern. Aber ausgerechnet in diesem Moment überfiel ihn die Erinnerung an ihren verführerischen Körper in seinen Armen, ihre weichen Lippen, wie sie sich unter seinem leidenschaftlichen Kuss geöffnet hatten. Sein Körper reagierte sofort. Verfluchte Hexe!

Sie stand auf der anderen Seite seines Schreibtischs. Riesige blaue Augen, ihre Haltung hoheitsvoll wie die einer Königin, und er erinnerte sich an ihre makellose Abstammung.

Sie umklammerte ihre Hände so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Mr. Fonseca, ich bin mit den besten Absichten hergekommen.“ Ihre Stimme war leise. „Ganz egal, was Sie von mir denken – ich möchte gute Arbeit für die Wohltätigkeitsorganisation leisten. Ich werde alles tun, um Sie davon zu überzeugen, dass ich es ernst meine.“

Ärger über ihre Hartnäckigkeit durchflutete ihn. Über ihr kleinlautes Mr. Fonseca.

Er beugte sich vor und stützte sich mit den Händen auf den Schreibtisch. „Du bist der Grund dafür, dass ich meinen guten Ruf verloren hatte und völlig neu wieder aufbauen musste. Ich hätte fast für immer das Vertrauen der Leute in meine Arbeit verloren. Ich habe Monate, nein, Jahre gebraucht, um den Schaden einer einzigen Nacht wiedergutzumachen. Ein ausschweifendes Leben ist schön und gut, wie du ja selbst genau weißt, aber mit harten Drogen in der Tasche verhaftet zu werden, ist eine ganz andere Sache.“

Er dachte an die Paparazzi-Fotos, die sie beim Shoppen in Paris gezeigt hatten, und Bitterkeit schnürte ihm die Kehle zusammen. „Währenddessen hast du dich ungestört weiter vergnügt. Und nach all dem besitzt du die Dreistigkeit zu denken, ich würde auch nur erlauben, dass dein Name im selben Satz mit meinem ausgesprochen wird?“

Falls das möglich war, wurde sie noch bleicher.

Er richtete sich auf. „Du widerst mich an.“

Seine Worte verletzten sie tief in ihrem Inneren. Er sah sie mit Augen an, so kalt wie Saphire. Unempfindlich gegen Hitze oder Kälte oder ihre Bitten. Und er hatte ja recht! Es war vollkommen verrückt gewesen, auch nur für eine Sekunde zu glauben, er würde sie anhören.

Luca Fonseca sah sie nur an. Ihr Herz sank. Er würde kein weiteres Wort mit ihr reden. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Er hatte sie nur zu sich gerufen, um sie zu quälen. Ihr zu zeigen, wie sehr er sie hasste – als hätte sie daran gezweifelt.

Endlich gab sie sich geschlagen und wandte sich zur Tür. Es würde keine Gnadenfrist geben. Als winzige Geste ihrer verblieben Würde, hob sie ihr Kinn. Sie blickte nicht zu ihm zurück, sie wollte seinen eisigen Blick nicht noch einmal sehen. Als wäre sie etwas Widerliches unter seinem Schuh.

Sie öffnete die Tür, schloss sie hinter sich und wurde von seiner unterkühlten Sekretärin in Empfang genommen. Bestimmt war diese in seine Pläne eingeweiht gewesen. Schweigend wurde Serena zum Ausgang begleitet.

Ihre Demütigung war komplett.

Zehn Minuten später sprach Luca angespannt ins Telefon. „Geben Sie mir Bescheid, sobald das Flugzeug mit ihr an Bord gestartet ist.“

Er legte den Hörer auf, schwang seinen Drehstuhl herum und sah auf die Stadt hinunter. Sein Blut kochte immer noch. Seine Sekretärin hatte ihn erst über Serenas Kommen unterrichtet, als sie schon längst im Flugzeug nach Rio gesessen hatte. Warum hatte er sich das zweifelhafte Vergnügen gegönnt, sie noch einmal persönlich zu treffen? Es hatte ihm nur seine eigene Schwäche für sie vor Augen geführt.

Serena DePiero. Allein bei ihrem Namen spürte er einen sauren Geschmack in seinem Mund. Doch das Bild, das dabei vor seinen Augen aufstieg, war alles andere als sauer. Es war das Bild, wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte, in jenem verhängnisvollen Nachtclub in Florenz.

Natürlich hatte er gewusst, wer sie war. Jeder in Florenz kannte die DePiero-Schwestern – berühmt für ihr helles Haar, ihre blauäugige aristokratische Schönheit und das ungeheure Familienvermögen, das bis ins Mittelalter zurückreichte.

Serena war der Liebling der Medien gewesen. Anstatt ihr das ausschweifende Leben übelzunehmen, verfolgten sie jeden ihrer Schritte mit Begeisterung. Serenas Partyleben war legendär: Wochenenden in Rom, verwüstete Hotelzimmer, Trips mit privaten Jets in den Nahen Osten, zu irgendeinem Scheich, der eine Party mit seinen europäischen Freunden feierte. Und immer wieder Fotos von ihr in den Zeitschriften, mal mehr, mal weniger angetrunken, immer leicht bekleidet, doch das schien das Interesse an ihr nur noch anzufachen.

An jenem Abend trug sie ein Kleid, das den Namen nicht verdiente. Trägerloses Goldlamé, mit Fransen, die kaum bis zu ihren goldbraunen Oberschenkeln reichten. Silberblondes zerzaustes Haar, ein üppiges Dekolleté. Mit den Armen in der Luft tanzte sie selbstvergessen inmitten ihrer Bewunderer, die Verkörperung von Jugend, Reichtum und Schönheit.

Die Art von Schönheit, die Männer völlig verzaubert auf die Knie fallen ließ. Die Schönheit einer Sirene, die einen Mann in sein Verderben lockte.

Luca verzog den Mund. Er hatte bewiesen, dass er nicht besser als jeder andere sterbliche Mann war. Er trug selbst die Verantwortung für seinen Besuch in dem Club. Natürlich tat er das.

Lucas ganzes Leben drehte sich darum, klar und fokussiert zu sein, denn er hatte sich hohe Ziele gesteckt. Aber Serenas riesige blaue Augen hatten jede einzelne Faser in seinem Körper in Brand gesetzt und seine Bedenken in Nichts aufgelöst. Ihre Haut war makellos, die gebogene Nase ein Zeugnis ihrer Herkunft. Er konnte den Blick kaum von ihrem Mund abwenden. Perfekt geformte Lippen, nicht zu voll, nicht zu schmal, ein Versprechen tiefer, dunkler Sinnlichkeit.

„Wissen Sie nicht, dass es unhöflich ist, jemanden anzustarren?“, hatte sie ihn herausfordernd gefragt.

Angesichts ihrer Arroganz hätte er sich auf der Stelle umdrehen sollen. „Ich müsste blind sein, um nicht geblendet zu sein“, sagte er stattdessen. „Leisten Sie mir bei einem Drink Gesellschaft?“

Sie warf das Haar zurück. Für einen winzigen Moment glaubte Luca, eine seltsame Verletzlichkeit und Wachsamkeit in den atemberaubenden blauen Augen zu sehen, aber es musste eine Täuschung der flackernden Lichter gewesen sein, denn sie flötete: „Mit Vergnügen.“

Luca schob die Erinnerungen beiseite. Er hasste es, wie heftig sein Körper schon bei dem bloßen Gedanken an sie reagierte. Sieben Jahre waren vergangen, und trotzdem spürte er Ärger und Verlangen so heftig wie in jener Nacht.

Er hatte sie gefeuert und nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, was er von ihr dachte. Warum empfand er also keinerlei Triumph? Warum ließ dieses unbehagliche kribbelnde Gefühl nicht nach, als wäre noch … eine Rechnung offen?

Er sah vor sich, wie sie ihr kleines Kinn gehoben hatte, bevor sie ging. Widerwillig musste er zugeben, dass er einen winzigen Hauch von Bewunderung empfand, weil sie nicht vor ihm zu Kreuze gekrochen war.

2. KAPITEL

Das Hotel lag in der Nähe vom Copacabana-Strand. Es als einfach zu bezeichnen, wäre noch untertrieben gewesen, aber wenigstens war es sauber – das war die Hauptsache. Und billig – auch das war gut, wenn man bedachte, dass Serena von ihren dürftigen Ersparnissen aus dem letzten Jahr lebte. Sie zog ihre zerknitterte Reisekleidung aus, trat in die kleine Dusche und genoss den spärlichen lauwarmen Strahl.

Ihr Magen krampfte sich bei der Vorstellung zusammen, was Luca sagen würde, wenn er erfuhr, dass sie nicht abgereist war. Hastig schob sie den Gedanken beiseite.

Sie hatte in der Check-in-Schlange gestanden, als ihre Schwester anrief. Serena war zu traurig gewesen, um zuzugeben, dass sie schon wieder nach Hause kommen würde. Außerdem war ihr plötzlich klar geworden, dass Athen sich nicht wie ihr Zuhause anfühlte. Kurzentschlossen hatte sie Siena vorgemacht, alles sei in Ordnung.

Auch wenn sie es hasste, Geheimnisse zu haben – vor allem vor ihrer Schwester – bereute Serena nicht, dass sie geblieben war. Aber ihr Ärger auf Luca Fonseca hatte sie dazu gebracht, aus dem Flughafengebäude zu stürmen und wieder zurück in die City zu fahren.

Selbst jetzt war sie noch wütend auf Luca Fonseca. Er hatte sie nicht einfach nur gefeuert – was schon schlimm genug gewesen wäre. Nein, er hatte mit ihr gespielt wie die Katze mit der Maus, nur um sie dann aus seinem Büro zu werfen.

Unsanft shampoonierte sie ihr Haar. Ihr gefiel gar nicht, wie aufgewühlt ihre Gefühle noch immer waren. Noch weniger gefiel ihr, dass dieser Mann eine ganz bestimmte Art von Wut in ihr ausgelöst hatte, eine Wut, die sie seit langer Zeit nicht mehr gefühlt hatte. Sie war wütend genug, um zu rebellieren … dabei hatte sie geglaubt, dieses Verhalten würde inzwischen lange hinter ihr liegen.

Sie schlang ein Badetuch um ihren Körper, wickelte ein anderes um die Haare und verließ das Badezimmer. Ihr Ärger wollte einfach nicht verschwinden. Vor Schreck hüpfte sie in die Luft, als es plötzlich laut an ihrer Tür klopfte.

„Eine Sekunde!“, rief sie und schlüpfte hastig in Unterwäsche, eine ausgewaschene Jeans und ein T-Shirt. Dabei rutschte das Handtuch von ihrem Kopf, und das feuchte lange Haar fiel über Schultern und Rücken.

Sie öffnete die Tür. Ihr war, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. Ihr Atem stockte. Vor ihr stand Luca Fonseca. Seine Augen sprühten Funken, und er wirkte wütender, als sie ihn je gesehen hatte.

„Was zum Teufel tust du hier, DePiero?“, knurrte er.

„Es kommt mir vor, als würden Sie mich das in letzter Zeit oft fragen“, erwiderte sie schwach. Dann ließ der Schock über sein Auftauchen nach, und ihr Ärger kam zurück. „Aber ich könnte Sie dasselbe fragen – was tun Sie hier, Mr. Fonseca? Und woher wissen Sie überhaupt, dass ich hier bin?“

Seine Lippen wurden schmal. „Ich hatte meinen Fahrer angewiesen, am Flughafen zu warten und sich davon zu überzeugen, dass du auch wirklich abreist.“

Er jetzt begriff sie, wie dringend er sie loswerden wollte. „Dies ist ein freies Land, Mr. Fonseca. Ich habe mich entschieden, noch eine Weile zu bleiben und mir Rios Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Aber da ich nicht länger für Sie arbeite, denke ich wirklich nicht, dass meine Pläne Sie auch nur das Geringste angehen.“

Sie wollte ihm die Tür vor der Nase zuwerfen, aber blitzschnell trat er ins Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich und zwang sie dazu, einen Schritt zurückzuweichen.

Er musterte sie spöttisch, und Serena wurde bewusst, dass sie in der Eile keinen BH angezogen hatte. Unsicher verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Mr. Fonseca …“

„Schluss mit Mr. Fonseca! Warum bist du immer noch hier, Serena?“

Als er sie bei ihrem Vornamen nannte, zog sich etwas in ihr zusammen. Sie verschränkte die Arme noch fester. Absurderweise musste sie ausgerechnet jetzt daran denken, wie er sie damals mitten auf der Tanzfläche geküsst hatte.

Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gespürt. Wie im Schock hatte sie sich von ihm zurückgezogen, als hätte sein Kuss tief in ihrem Inneren ein Feuer entfacht, direkt dort, wo sie immer noch unversehrt war. Immer noch sie selbst.

„Ich warte.“

Seine barsche Frage holte sie unsanft in die Gegenwart zurück. Sie hasste es, dass sie sich ausgerechnet an dieses Gefühl der Verwundbarkeit erinnert hatte. „Ich möchte noch etwas von Rio de Janeiro sehen, bevor ich zurück nach Hause fliege.“ Sie würde bestimmt nicht zugeben, dass sie so viel Zeit wie möglich gewinnen wollte, bevor sie ihrer Familie eingestand, wie gründlich sie gescheitert war.

Luca schnaubte abfällig. „Hast du auch nur die geringste Idee, wo du bist? Hattest du vielleicht vor, nachher allein am Strand spazieren zu gehen?“

Serena biss die Zähne zusammen. „Das hatte ich allerdings vor. Ich würde dich ja einladen, mich zu begleiten, aber ich bin sicher, dass du etwas Besseres zu tun hast.“

In diesem kleinen Zimmer war seine magnetische Anziehungskraft fast überwältigend. Der Bart und das längere Haar verstärkten nur noch seine männliche Ausstrahlung. Ihre Haut prickelte. Sie konnte spüren, wie ihre Brustspitzen unter dem dünnen T-Shirt hart wurden, und sie hasste es, dass schon seine bloße Anwesenheit eine solche Wirkung auf sie hatte.

Luca schnaubte wieder. „Ist dir klar, dass du dich in einem der gefährlichsten Viertel von Rio befindest? Du bist nur wenige Minuten von den schlimmsten favelas der Stadt entfernt.“

Serena verkniff sich, ihn darauf hinzuweisen, dass ihm das doch nur recht sein konnte. „Aber der Strand ist ganz in der Nähe.“

„Ja, und niemand geht abends an diesen Teil des Strandes, es sei denn, er will sich Drogen besorgen oder ausgeraubt werden. Nach Einbruch der Dunkelheit ist dies einer der gefährlichsten Plätze der ganzen Stadt.“ Er trat einen Schritt näher. Seine Augen wurden schmal. „Aber vielleicht weißt du das ja auch schon? Vielleicht bist du ja genau darum hier. Hatte deine Familie in der letzten Zeit die Zügel etwas fester angezogen, und jetzt willst du deine Freiheit genießen? Hast du ihnen überhaupt schon erzählt, dass du gefeuert wurdest?“

Serena ließ die Arme fallen. Sie bemerkte kaum, dass Lucas Blick einen Moment auf ihrer Brust verweilte, bevor er ihr wieder in die Augen sah. Sie fühlte nur Ärger und Hass auf diesen Mann – selbst wenn er wie jetzt nicht ganz richtig lag.

Und sie war wütend auf sich selbst, weil sie ihm am liebsten erklärt hätte, was in ihr vorging. „Ich denke, wir sind hier fertig.“ Sie ging um Luca herum und griff nach der Türklinke. Bevor sie sie herunterdrücken konnte, legte er seine Hand auf die Tür und hielt sie zu. Serena drehte sich zu ihm um, kreuzte wieder die Arme vor der Brust und funkelte ihn an. Verzweifelt versuchte sie, sich nicht von seiner überwältigenden männlichen Ausstrahlung beeinflussen zu lassen. „Ich gebe dir fünf Sekunden. Wenn du dann nicht verschwunden bist, schreie ich.“

Luca ließ seine Hand auf der Tür ruhen. „Der Manager würde nur annehmen, dass wir unseren Spaß haben. Du kannst doch nicht so naiv sein, dass du nicht bemerkt hast, dass man die Zimmer hier stundenweise mieten kann.“

Serena schoss das Blut in die Wangen. „Natürlich habe ich das nicht bemerkt!“, herrschte sie ihn an. Sie duckte sich unter seinem Arm weg und brachte etwas Abstand zwischen sie.

Luca verschränkte die Arme. „Ja, das glaube ich dir sogar. Schließlich ist das hier nicht gerade die Umgebung, die du gewohnt bist.“

Serena dachte an die spartanischen Verhältnisse der Entzugsklinik in England, in der sie ein Jahr verbracht hatte, dann an ihre winzige Wohnung in einem der schlechteren Viertel von Athen. Sie lächelte ihn süß an. „Woher willst du wissen, was ich gewohnt bin?“

Luca runzelte die Stirn. „Bist du fest entschlossen, in Rio zu bleiben?“

Nie mehr als in diesem Moment. Allein schon, um diesen Mann zu ärgern. „Ja.“

Luca sah aus, als hätte er sie am liebsten gewürgt. „Dass ein Reporter dich hier beim Shoppen oder Clubben entdeckt, ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann.“

Serena verkniff sich eine scharfe Entgegnung. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie ihr Leben inzwischen aussah. Clubben? Shoppen? Sie konnte sich kaum etwas weniger Verlockendes vorstellen.

Ihr Lächeln wurde noch süßer. „Ich werde mir eine Louis-Vuitton-Tasche über den Kopf stülpen, wenn ich mich auf die Suche nach dem neuesten Chanel-Kostüm mache. Wäre das in deinem Sinne?“

Er nahm die Bemerkung nicht gut auf. An seiner Schläfe klopfte eine Vene. „Es wäre sogar noch mehr in meinem Sinne, wenn du Rio verlassen würdest.“

Unbewusst ahmte Serena seinen breitbeinigen Stand nach. „Nun, falls du nicht vorhast, mich mit Gewalt entfernen zu lassen, wird das nicht passieren. Und solltest du etwas in der Art versuchen, rufe ich die Polizei und erstatte Anzeige wegen Belästigung.“

Luca machte sich nicht die Mühe, ihr zu sagen, dass die Polizei in dieser Stadt mit weitaus größeren Problemen zu kämpfen hatte. Allein bei dem Gedanken, dass Serena in Rio gesichtet und mit ihm in Verbindung gebracht werden könnte, wurde ihm eiskalt. Nach der Sache, die in Italien passiert war, hatte er genug schlechte Presse für ein ganzes Leben gehabt.

Ein Gedanke formte sich in seinem Kopf. Keiner, der ihm sonderlich gut gefiel, aber offenbar hatte er keine andere Wahl. Auf die Weise würde er Serena DePiero umgehend aus Rio herausschaffen – und innerhalb kürzester Zeit hoffentlich aus ganz Brasilien. „Du hattest doch vorhin gesagt, dass du eine Chance haben möchtest. Dass du alles tun würdest.“

Serena erstarrte. Sie sagte nichts und sah ihn nur an. Ihre riesigen blauen Augen wurden schmal. Unter ihrem Blick begann Lucas Haut zu prickeln. Dieser Raum war eindeutig zu klein! Er sah nur sie. Sein hungriger Blick suchte ihre Brüste, nackt unter dem dünnen T-Shirt. Wieder reagierte sein Körper sofort. Verflucht!

„Was ist? Willst du nun eine andere Chance oder nicht?“, brummte er, ärgerlich über sein Verlangen. Ärgerlich, weil sie immer noch hier war.

Serena blinzelte. „Ja, natürlich will ich das.“ Ihre heisere Stimme verstärkte Lucas Erregung nur noch. Es war ein Fehler – er wusste es genau. Aber er hatte keine andere Wahl. Schadensbegrenzung.

Angespannt sagte er: „Ich betreibe eine Bergbaugesellschaft, die nach ethischen Richtlinien arbeitet. Ein Besuch bei den Iruwaya Minen und dem benachbarten Stamm steht jetzt an. Du kannst dein Engagement beweisen, indem du mich begleitest. Das Dorf gehört auch zu unserem Netzwerk, das heißt, die Reise stünde sogar in Zusammenhang mit dem Job, für den du hergekommen bist.“

„Wo liegt das Dorf?“

„Bei Manaus.“

Ihre Augen weiteten sich. „Meinst du die Stadt mitten im Amazonasgebiet?“

Luca nickte. Vielleicht war mehr gar nicht nötig. Vielleicht reichte schon der Gedanke an etwas, das auch nur vage an harte Arbeit erinnerte, damit sie freiwillig aufgab. Nachgab. Abreiste.

Als wollte sie sich über seine Hoffnung lustig machen, sah Serena ihn an und sagte entschlossen: „Wunderbar. Wann brechen wir auf?“

Ihre Antwort überraschte Luca – so sehr, wie ihn bereits ihre Wahl des schäbigen Hotels überrascht hatte. Er hätte sie in einem von Rios Fünf-Sterne-Resorts erwartet. Doch dann war ihm eingefallen, dass ihre Familie vermutlich ihr Budget gekürzt hatte.

Was auch immer. Er verfluchte sich dafür, dass er überhaupt über sie nachdachte. „Morgen“, sagte er schroff. „Mein Fahrer holt dich um fünf Uhr morgens ab.“ Wieder erwartete er, dass sie entsetzt reagieren würde, aber sie zuckte mit keiner Wimper. Er sah sich im Zimmer um. Es sah aus, als hätte eine kleinere Explosion stattgefunden. Kleidung und Kosmetikartikel waren auf dem schmalen Bett verteilt. Ihm fiel auf, wie zart und sauber sie duftete, ganz anders als ihr schwüles, sexy Parfüm, an das er sich von damals erinnerte.

Er schob den unwillkommenen Gedanken zur Seite und sah sie wieder an. „Innerhalb der nächsten Stunde wird dir meine Sekretärin alles Nötige bringen. Deinen Koffer kannst du nicht mitnehmen.“

Ihr Blick wurde misstrauisch. „Alles Nötige?“

Luca spürte nur einen winzig kleinen Gewissensbiss, als er sie anschaute und sagte: „Oh, hatte ich nicht erwähnt, dass wir zu dem Dorf zu Fuß durch den Dschungel gehen werden? Von Manaus aus brauchen wir zwei Tage.“

Ihre blauen Augen blitzten. „Nein“, antwortete sie. „Du hattest nicht erwähnt, dass wir zu Fuß durch den Dschungel gehen. Ist das nicht gefährlich?“

Luca lächelte und freute sich schon darauf, wie sie nach der ersten Stunde Fußmarsch durch das insektenreichste Gebiet der Welt die Maske fallenlassen und abspringen würde. Aber bis dahin musste er mitspielen. Serena DePiero alleine in Rio war eine tickende Zeitbombe. Auf diese Weise bekam er sie wenigstens dazu, selbst aufzugeben und freiwillig abzureisen.

Und ganz bestimmt würde er ihr keinen Helikopter rufen, um sie aus dem Dschungel ausfliegen zu lassen. „Es ist sehr sicher, solange du mit einem Guide unterwegs bist, der sich im Dschungel auskennt.“

Sie hob die Brauen. „Und du bist so ein Guide?“, fragte sie gedehnt.

„Ja. Ich besuche diesen Stamm seit Jahren, und das Amazonasgebiet erkunde ich schon weitaus länger. Du könntest nicht besser aufgehoben sein.“

Serenas Blick sagte ihm, dass sie das bezweifelte. Sein Lächeln wurde breiter. Er hob eine Braue. „Du kannst jederzeit Nein sagen, Serena, die Entscheidung liegt ganz bei dir.“

Sie gab einen spöttischen Laut von sich. „Und wenn ich Nein sage, wirst du mich diesmal zweifellos persönlich zum Flughafen begleiten.“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippen. „Aber wenn ich mitgehe und dir mein Engagement beweise, lässt du mir dann meinen Job?“

Lucas Lächeln verschwand, und er betrachtete sie. Wieder spürte er den winzigen Anflug widerwilliger Bewunderung. Gnadenlos schüttelte er das Gefühl ab. „Nun, da ich fast sicher bin, dass du keine zwei Stunden im Dschungel durchhältst, erübrigt sich die Frage.“

Sie hob ihr Kinn. „Um mich abzuschrecken, ist mehr nötig als ein Fußmarsch durch ein bisschen dichten Wald.“

Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, als Serena fast zwölf Stunden später auf dem Flugplatz aus der Limousine stieg. Trotz der frühen Uhrzeit war die Luft schwül. Das erste, was Serena auf dem privaten Rollfeld sah, war Lucas hochgewachsene Gestalt. Er lud einige Taschen in das kleine Flugzeug. Sein Anblick traf sie wie ein Stromstoß.

Als sie hinter dem Fahrer her auf ihn zukam, sah er sie kaum an. „Hast du aus deinem Hotel ausgecheckt?“, fragte er und blickte auf.

Sofort schlug ihr Herz schneller. Dir auch Guten Morgen, dachte sie und verfluchte ihre unwillkürliche körperliche Reaktion. „Ja, habe ich. Mein Koffer ist im Wagen.“

Luca nahm dem Fahrer den kleinen neuen Rucksack ab, mit dem sie ausgestattet worden war, dann wechselte er einige Worte in schnellem Portugiesisch mit ihm. „Deine Sachen werden im Büro abgestellt, bis du zurückkommst“, erklärte er Serena.

Ihr entging nicht, dass er du sagte und nicht wir. „Ich werde nicht vorzeitig aufgeben“, sagte sie kühl.

Unter Lucas abschätzendem Blick wurde sie sich ihrer ungewohnten Kleidung bewusst. Sie trug, was seine Sekretärin ihr zusammen mit der restlichen Ausrüstung ins Hotel gebracht hatte: leichte lange Hosen, ein Khakihemd und eine ärmellose Weste. Derbe Wanderschuhe. Luca war ganz ähnlich gekleidet, nur seine Sachen wirkten nicht neu, sondern abgetragen. Sie betonten seine muskulöse, eindrucksvolle Gestalt.

Serena unterdrückte einen Fluch. Warum musste ausgerechnet er der einzige Mann auf der Welt sein, der solche Gefühle in ihr auslöste? Gefühle, die sie nie zuvor gespürt hatte?

Luca ging bereits zum Flugzeug. Über die Schulter rief er ihr zu: „Nun komm endlich, wir müssen unsere Abflugzeit einhalten.“

„Aye-aye, sir“, murmelte Serena, als sie hinter ihm hereilte und die Treppe zum Flugzeug hinaufstieg.

Sie setzte sich. Luca schloss und sicherte die Tür. Als Serena ihren Sicherheitsgurt anlegte, sah sie, wie er auf dem Pilotensitz Platz nahm. Sie schnappte hörbar nach Luft. „Du bist der Pilot?“

„Offensichtlich“, sagte er trocken.

Serenas Mund wurde trocken. „Hast du überhaupt einen Flugschein?“

Er war damit beschäftigt, Schalter umzulegen und Knöpfe zu drücken. „Seit ich achtzehn bin“, sagte er ohne aufzublicken. „Entspann dich, Serena.“

Er setzte die Kopfhörer auf, tauschte einige Worte mit dem Kontrollturm, dann fuhren sie über das Rollfeld. Normalerweise kannte Serena keine Flugangst, aber jetzt hielt sie sich krampfhaft an den Sessellehnen fest.

Erst in diesem Augenblick wurde ihr die ganze Tragweite ihrer Entscheidung klar. Sie saß in einem Flugzeug, auf dem Weg in das gefahrenreichste Ökosystem der Welt, zusammen mit einem Mann, der sie hasste wie die Pest. Sie erschauerte trotz der warmen Luft in der Kabine, während sich das Flugzeug in die anbrechende Morgendämmerung erhob.

Unglücklicherweise hob sich ihre Stimmung nicht mit. Aber sie tröstete sich damit, dass sie wenigstens nicht mit eingekniffenem Schwanz nach Athen zurückflog … jedenfalls noch nicht.

Serena nahm Lucas breitschultrige Gestalt im Cockpit sehr intensiv wahr. Aber so sehr sie sich auch bemühte, schaffte sie es zu ihrem großen Ärger nicht, richtig wütend auf ihn zu sein. Schließlich hatte er allen Grund, eine schlechte Meinung von ihr zu haben. Er glaubte, dass sie ihn hereingelegt hatte. Jeder andere an seiner Stelle würde dasselbe glauben … außer ihrer Schwester. Nur Siena hatte nie den Glauben an sie verloren.

„Serena!“ Luca wandte sich zu ihr um und sah sie ungeduldig an.

Anscheinend hatte er sie schon mehrere Male angesprochen. „Was?“

„Ich hatte gesagt, dass der Flug vier Stunden dauern wird.“ Er zeigte auf eine Tasche neben ihrem Sitz. „Dort findest du einige Informationen über den Stamm und die Minen. Du solltest sie lesen, bevor wir ankommen.“

Er wandte sich wieder um. Serena konnte sich gerade noch beherrschen, ihm nicht die Zunge herauszustrecken. Ihr Leben lang war sie von einem Mann schlecht behandelt und beherrscht worden. Sie hatte sich geschworen, so etwas nie wieder zuzulassen, und sie konnte es kaum ertragen, Lucas Verhalten wehrlos hinzunehmen.

Während sie die Unterlagen aus der Tasche nahm, sagte sie sich immer wieder, dass dies nur ein Mittel zum Zweck war. Sie hatte sich freiwillig entschieden, mit Luca herzukommen.

Egal, was auf sie zukam, sie würde es bis zum Ende durchstehen. Sie würde sich auf dieser Reise bewähren, und wenn es das Letzte war, was sie tun würde. In den vergangenen Jahren hatte sie gelernt, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren anstatt zurückzublicken. In den nächsten zwei Tagen würde sie diese Fähigkeit mehr denn je brauchen.

Knapp fünf Stunden später hatte Serena sich etwas beruhigt. Sie hatte so viel über ihr Ziel gelesen, dass ihr Kopf vor Informationen fast platzte. Ihre Angst hatte sich gelegt. Jetzt war sie vor allem fasziniert und aufgeregt – was sich schon wie ein kleiner Sieg anfühlte.

Nach der Landung hatten sie ein leichtes Frühstück im VIP-Raum des Flughafens eingenommen, und gerade war Luca dabei, ihre Taschen und Vorräte in einem Jeep zu verstauen.

Sein Rucksack war ungefähr dreimal so groß wie ihrer. Serena spürte ein nervöses Kribbeln in der Magengegend. Vielleicht war sie zu naiv gewesen, als sie zugesagt hatte. Wie um alles in der Welt sollte sie eine Wanderung durch den Dschungel durchhalten? Sie war ein Stadtkind. Die Stadt war ihr Dschungel, dort kannte sie sich aus.

Luca deutete ihren Gesichtsausdruck offenbar richtig, denn er hob fragend eine Braue. Sofort durchströmte Serena frische Entschlossenheit, und sie trat zu ihm. „Kann ich irgendetwas tun?“

Er schloss die Hecktür. „Nein, alles in Ordnung. Fahren wir – wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

Etwas später manövrierte Luca den Wagen durch den dichten Verkehr von Manaus. Erst in den Vororten wurde es schließlich etwas ruhiger auf den Straßen, und Luca begann, Serena einen Vortrag über Sicherheit im Dschungel zu halten: „Befolge unter allen Umständen meine Anweisungen! Der Dschungel wirkt sehr gefährlich, aber das muss er nicht sein – jedenfalls nicht, solange du deinen gesunden Menschenverstand gebrauchst, immer auf der Hut bist und auf alles um dich herum achtest.“

„Bist du immer so bestimmend oder nur bei mir?“

Zu Serenas Überraschung hob sich einer seiner Mundwinkel ein klein wenig – und löste ein gewaltiges Beben in ihrem Inneren aus. Seine dunkelblauen Augen sahen sie eine Sekunde lang an. „Ich gebe Anweisungen, und die Leute gehorchen“, erwiderte er gedehnt.

Serena schnaubte verächtlich. Das war auch die Devise ihres Vaters gewesen. „Das muss dein Leben sehr langweilig machen.“

Das winzige Lächeln verschwand. „Nach meiner Erfahrung sind die Menschen besonders fügsam, wenn sie etwas haben wollen … Du bist gerade ein leuchtendes Beispiel dafür“, sagte er zynisch.

„Du hast mir eine Chance angeboten zu beweisen, dass ich es ernst meine. Und genau das tue ich.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wie ich gesagt habe. Du hast etwas zu gewinnen.“

„Habe ich das wirklich?“, fragte sie ruhig.

Aber Luca hatte ihre Frage entweder nicht gehört oder hielt sie keiner Antwort für würdig. Aber Serena machte sich keine Illusionen. Die Antwort war zweifellos Nein.

Den Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück. Bald hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und waren von tiefgrüner Vegetation umgeben. Serena war, als wäre jedes Zeichen der Zivilisation von dem dichten Grün verschluckt worden.

Ihre Neugier überwand den Wunsch, so wenig wie möglich mit Luca zu tun zu haben. „Wie bist du dazu gekommen, dich ausgerechnet für diese Minen zu interessieren?“

Eine seine Hände lag auf dem Lenkrad, die andere auf seinem Oberschenkel. Er war ein guter Autofahrer – er fuhr ruhig, aber schnell. Sicher. Er sah sie an. Sofort wurde sie sich der Enge im Wagen bewusst.

Luca wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. „Mein Großvater hat sie erschlossen, nachdem hier Bauxit entdeckt wurde. Die Gegend wurde ausgebeutet, der Wald abgeholzt, und nachdem ihr Lebensraum ruiniert worden war, sind die Ureinwohner weitergezogen. Dies war die erste Mine in unserem Familienbesitz … und darum auch die erste, bei der ich versucht habe, den Schaden wiedergutzumachen.“

Serena erinnerte sich daran, was sie aus den Unterlagen erfahren hatte. „Aber in der Mine wird immer noch abgebaut?“

Er runzelte die Stirn, warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und legte beide Hände auf das Lenkrad. Offenbar hatte ihre Frage ihn verärgert. „Ja, aber in weit geringerem Umfang. Auch wohnen die Minenarbeiter nicht mehr in einem Camp im Dschungel, sondern im nächstgelegenen Ort. Ganz schließen kann ich die Mine nicht. Hunderte von Familien würden ihr einziges Einkommen verlieren. Zurzeit nutzen wir die Mine als Pilotprojekt, um ein Konzept für ethisch korrekten Bergbau zu entwickeln und umzusetzen. Es soll weltweit Standard werden“, fuhr er fort. „Die Gewinne aus der Mine werden genutzt, um den Regenwald wieder aufzuforsten, und die Ureinwohner wurden bereits zurück in ihre alte Heimat geholt.“

„Das klingt nach einem sehr ambitionierten Projekt.“

Serena versuchte, nicht allzu beeindruckt zu sein. Aus Erfahrung mit ihrem Vater hatte sie gelernt, dass ein Mann als Meister in der Kunst der Nächstenliebe erscheinen konnte, während sich darunter eine so schwarze Seele verbarg, dass der Teufel dagegen wie Mickey Maus aussah.

Luca blickte sie an. In seinen Augen loderte Entschlossenheit – etwas, das sie bei ihrem Vaters nie gesehen hatte, es sei denn, es ging um sein eigenes Wohlergehen. Er war gierig nach Macht. Nach Kontrolle. Anderen Menschen Schmerz zuzufügen.

„Natürlich ist es ein ambitioniertes Projekt. Aber es ist meine Pflicht. Mein Großvater hat der Natur dieses Landes unsäglichen Schaden zugefügt, und mein Vater hat mit der rücksichtslosen Zerstörung weitergemacht. Ich weigere mich, dieselben Fehler zu wiederholen. Abgesehen von allem anderen, würde es bedeuten, die Tatsache zu ignorieren, dass dieser Planet sehr verletzlich ist.“

Die Leidenschaft in seiner Stimme verblüffte Serena. Vielleicht meinte er es wirklich ernst. „Warum liegt dir so viel daran?“

Er spannte sich an, und sie dachte schon er würde nicht antworten, doch dann sagte er: „Als ich jung war, habe ich meinen Vater oft bei seinen Besuchen begleitet, und ich habe die Verachtung gesehen, die die Ureinwohner und sogar die Minenarbeiter für meinen Vater empfunden haben. Ich habe schon früh nachgeforscht, und ich war von dem Ausmaß der Zerstörung entsetzt – nicht nur für unser Land, sondern für die ganze Welt. Und ich war entschlossen, dem Ganzen ein Ende zu setzen.“

Serena betrachtete den ernsten Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag. Sie schaffte es nicht, ihren wachsenden Respekt zu unterdrücken. Luca bog in eine Abzweigung ein, die von der Straße aus kaum zu sehen war. Der Weg war nicht mehr als eine holprige Piste, und die majestätische Bäume waren plötzlich zum Greifen nah.

Tiefer und tiefer führte die Piste in den Dschungel, bis sie nach einiger Zeit eine große Lichtung erreichten. Erstaunt sah Serena auf ein hochmodernes zweistöckiges Gebäude, das harmonisch mit der Umgebung verschmolz.

Luca stellte den Jeep neben einigen anderen Fahrzeugen ab. „Dies ist unsere Haupt-Forschungsbasis im Amazonasgebiet. Wir besitzen noch einige kleinere Stationen an anderen Orten.“ Bevor er ausstieg, warf er ihr einen Blick zu. „Du solltest die Gelegenheit nutzen, noch einmal ein Bad aufzusuchen – solange du sie noch hast.“

Wieder flackerte etwas wie Furcht in Serena auf, aber sie weigerte sich, Luca ihre Beklemmung merken zu lassen. Fasziniert betrachtete sie das dichte Grün, das die Lichtung wie ein Wall umgab. Ihr war, als würde der Wald nur durch bloße Willenskraft zurückgehalten. Bekäme er auch nur die kleinste Gelegenheit, würde er diesen Platz verschlingen.

„Serena?“ Luca runzelte ungeduldig die Stirn und hielt ihr die Eingangstür auf.

Sie ging hinein, und er deutete einen langen Korridor hinunter. „Das Bad findest du dort. Danach treffen wir uns wieder hier.“

Als sie die Waschräume betrat, blickte Serena ihr eigenes Gesicht aus Dutzenden von Spiegeln entgegen. Sie schnitt sich eine Grimasse. Schon jetzt sah sie ganz verschwitzt aus, aber bis heute Abend würde es garantiert noch viel schlimmer werden.

Nachdem sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen hatte, flocht sie ihr Haar zu einem Zopf und ging zurück. Bei dem Gedanken an die Kämpfe, die vor ihr lagen, flatterte ihr Magen nervös. Aber keinesfalls würde sie schon bei der ersten Hürde aufgeben!

Luca wartete schon auf sie und reichte ihr ihren Rucksack. Etwas ratlos betrachtete sie den heraushängenden Gummischlauch, dann setzte sie den Rucksack auf.

Luca legte ihr den Schlauch über die Schulter. „Der Trinkschlauch“, erklärte er. „In dem Rucksack ist dein Wasser. Trink oft, aber nur kleine Schlucke. Wir füllen ihn später wieder auf.“

Serena sicherte den Rucksack um ihre Taille und über der Brust. Erleichtert stellte sie fest, dass er nicht sehr schwer war. Dann sah sie Lucas riesigen Rucksack. Offenbar enthielt er ihre gesamten Vorräte. Am unteren Ende war ein zusammengerolltes Zelt befestigt. Ihre Augen weiteten sich, als sie um seine Hüfte ein Holster mit einer Waffe entdeckte.

Er las ihr die Gedanken offenbar vom Gesicht ab. „Eine Betäubungspistole“, kommentierte er trocken. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. „Steck deine Hose in die Socken, roll die Hemdsärmel herunter und schließ die Knöpfe.“

Während sie tat, was er sagte, wurde Serena immer nervöser. Sie fühlte sich wie ein Kind in einer Schuluniform. Als sie ihn wieder anschaute, hob er die Brauen über seinen atemberaubenden Augen. „Bist du dir wirklich sicher? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, Nein zu sagen.“

Serena versteckte jeden Anflug von Nervosität und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich dachte, wir hätten nicht den ganzen Tag Zeit.“

3. KAPITEL

Einige Stunden später konzentrierte Serena sich darauf, bei jedem Schritt in Lucas Fußstapfen zu treten – was eine echte Herausforderung war, denn seine Beine waren viel länger als ihre. Ihr Atem ging keuchend. Schweißbäche strömten aus jeder Pore.

Sie war getränkt in Schweiß. Es tröstete sie nicht, auch auf Lucas Hemd Schwitzflecken zu sehen. Sie betonten nur seine beeindruckende Männlichkeit.

Sie hatte nicht gewusst, was sie im Regenwald erwartete, aber die Luft war viel feuchter als sie es für möglich gehalten hatte. Und es war laut. Ohrenbetäubend laut. Ständig schrien unzählige Tiere und Vögel. Jedes Mal, wenn Serena aufschaute, blitzte in den Zweigen über ihr ein leuchtend buntes Gefieder von irgendeinem unbekannten Vogel auf. Einmal hatte sie einen Affen hoch oben in den Baumkronen entdeckt, wie er sich träge von Ast zu Ast schwang.

So viel stürmte auf ihre Sinne ein, dass sie sich danach sehnte, für eine Minute stehenzubleiben und alles in sich aufzunehmen. Aber sie wagte nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Seit ihrem Aufbruch stapfte Luca ohne Pause durch den Dschungel und erwartete, dass sie ihm folgte.

Hin und wieder warf er einen flüchtigen Blick über die Schulter zurück – wahrscheinlich, um sicherzugehen, dass sie nicht von irgendeiner mystischen Kreatur in das undurchdringliche Grün gezogen worden war.

Jedes Mal, wenn etwas im Unterholz raschelte, wurde Serena etwas schneller. Als Luca plötzlich stehen blieb und sich umwandte, wäre sie darum fast in ihn hineingelaufen.

Etwas verspätet bemerkte sie, dass sie am Rande einer Lichtung angelangt waren. Erleichtert, der erdrückenden Atmosphäre des Waldes entronnen zu sein, atmete sie einige Male tief durch.

Luca zog etwas aus einer Hosentasche. Es sah wie ein altmodisches Mobiltelefon aus, etwas größer und dicker als die aktuellen Modelle. Er hob es hoch. „Das ist ein Satellitentelefon. Ich kann den Hubschrauber rufen, und er ist in fünfzehn Minuten hier. Das ist deine letzte Chance, zurückzugehen.“

Einerseits sehnte Serena sich nur danach, am Horizont die Skyline einer Stadt zu sehen. Nach kaltem klaren Wasser auf der Haut. Sie schwitzte wie noch nie in ihrem Leben. Ihr war, als würde sie kochen. Und ihre Muskeln brannten. Doch gleichzeitig hatte sie sich noch nie so energiegeladen gefühlt. Und abgesehen von allem anderen war sie wild entschlossen, vor diesem Mann keine Schwäche zu zeigen. Er war das einzige Hindernis zwischen ihr und ihrer Unabhängigkeit.

„Ich gehe nirgendwohin, Luca.“

Ein Gefühl glitt über sein Gesicht, das eindeutig nach Überraschung aussah. Serena richtete sich stolz auf. Ganz offensichtlich war er fest davon überzeugt gewesen, dass sie sich als Schwächling erweisen würde. Aber sie würde ihm zeigen, dass er sich geirrt hatte.

Er sah auf den Boden, als würde seine Aufmerksamkeit von etwas gefangengenommen, dann wieder zu ihr. Die Andeutung eines boshaften Grinsens spielte um seine Mundwinkel. „Bist du dir wirklich sicher?“ Er starrte wieder betont auf den Boden.

Serena blickte hinunter. Ihr ganzer Körper erstarrte in Angst und Panik, als sie sah, wie ein kleiner schwarzer Skorpion über ihren Schuh krabbelte, seinen gebogenen Schwanz hoch über den spinnenartigen Körper erhoben.

Sie drängte ihre Angst zurück. Sie nahm ihren Wanderstock und schubste den Skorpion sanft von ihrem Schuh. Er krabbelte davon und verschwand im Unterholz. Sie sah wieder Luca an. „Wie ich schon sagte, ich gehe nirgendwohin.“

Luca konnte einen Anflug von Respekt nicht unterdrücken. Nicht viele Leute hätten auf ihre erste Begegnung mit einem Skorpion mit solcher Gelassenheit reagiert. Männer eingeschlossen. Und jede andere Frau, die er kannte, hätte dies als Entschuldigung genutzt, sich schreiend vor Angst in seine Arme zu werfen.

Aber Serena hielt seinem Blick stand. Ihre blauen Augen wirkten riesig. Für einen Moment zog sich etwas in seiner Brust zusammen. Sein Atem ging schneller. Selbst so schweißgebadet und zerrauft war sie atemberaubend schön. Schön wie Helena von Troja. In diesem Moment konnte er nachvollziehen, dass Männer wegen der Schönheit einer Frau in den Krieg zogen oder den Verstand verloren.

Aber nicht er.

Nicht wenn er am eigenen Leib erlebt hatte, wie skrupellos diese Frau war. Skrupellos genug, einen anderen für ihre Taten büßen zu lassen.

„Also gut“, sagte er widerwillig. „Dann lass uns weitergehen.“

Serena sog noch einmal tief die Luft ein und genoss ein letztes Mal die weite Lichtung, dann folgte sie Luca in den Dschungel. Immer noch spürte sie ihren Triumph. Sie durfte bleiben!

Während sie ihm folgte, versuchte sie, nicht aufzustöhnen. In den neuen Schuhen waren ihre Füße mit Blasen bedeckt und brannten bei jedem Schritt wie Feuer. Aber sie durfte sich keine Schwäche leisten. Luca würde sich darauf stürzen wie ein Raubtier auf seine Beute.

Stunden später taten so viele Teile ihres Körpers weh, dass die Schmerzen zu einer einzigen pochenden Qual verschmolzen. Ihr Rucksack, der am Morgen noch so leicht gewesen war, fühlte sich jetzt an, als hätte ihn in der Zwischenzeit jemand mit nassem Sand gefüllt.

Sie hatten nur eine kurze Pause eingelegt. Luca hatte einen Proteinriegel aus seiner Tasche geholt und einige Feigen von einem Baum gepflückt. Sie hatten köstlich geschmeckt. Schweigend hatten sie ihren Proviant verzehrt, dann ging es weiter.

Zum Glück fühlten sich wenigstens ihre Füße seit einiger Zeit ganz taub an. Ihre Kehle war trocken, ganz gleich, wie oft sie auch an ihrem Wasser nippte, und ihre Beine schienen aus Gelee zu bestehen. Aber Luca marschierte gnadenlos im selben Tempo weiter. Und Serena war nicht bereit, auch nur mit einem Flüstern zu verraten, wie schlecht es ihr ging.

Dann stoppte er plötzlich. Er sah sich um und hielt einen Kompass hoch. Er sah sich zu ihr um und sagte: „Hier durch – und bleib nah bei mir.“

Einige Minuten lang gingen sie weiter. Als er wieder abrupt stehen blieb, prallte sie vor seinen Rucksack und schrie überrascht auf. Er wandte sich um und stützte sie. Bis zu diesem Moment hatte Serena gar nicht bemerkt, dass sie schwankte.

„Das ist unser Camp.“

Serena blinzelte. Luca ließ seine Hände fallen. Hastig trat sie zurück. „Camp?“

Sie blickte sich um, aber alles was sie sah, war eine kleine Lichtung. Etwas verspätet bemerkte sie, dass die Geräusche des Urwalds, die sie den ganzen Tag begleitet hatten, ruhiger geworden waren. Es kam ihr vor, als würde über dem ganzen Wald eine erwartungsvolle Stille liegen, und die intensive Hitze schien ein wenig nachzulassen. „Es ist so ruhig.“

„In einer halben Stunde sagst du das nicht mehr, dann setzt der nächtliche Chor ein.“ Er setzte den Rucksack ab. „Nimm deinen auch ab“, warf er ihr über die Schulter zu.

Als Serena ihn von ihrem schmerzenden Körper abstreifte, hätte sie vor Erleichterung fast aufgeschrien. Luca hockte auf dem Boden und holte einige Dinge aus seinem Rucksack. Die Hose spannte sich über seinen muskulösen Oberschenkeln. Serena konnte kaum den Blick losreißen, als er das Zelt ausrollte. Es sah beunruhigend klein aus. Ohne ihr wachsendes Entsetzen zu bemerken, baute Luca bemerkenswert schnell das Zelt auf.

„Darin werden wir nicht schlafen.“ Serenas Stimme klang heiser.

Luca schaute von dem Hering auf, den er mit ganz unnötiger Kraft in den Boden gerammt hatte. „Oh ja, das werden wir, minha beleza – es sei denn, du ziehst es vor, im Freien zu übernachten. In dieser Gegend kommen häufig Jaguare vor. Ich bin sicher, sie würden sich mit Vergnügen über deinen wohlriechenden Körper hermachen.“

„Du lügst!“

Luca sah sie an, er wirkte dunkel und gefährlich. „Willst du es wirklich darauf ankommen lassen?“ Er machte eine ausladende Geste. „Tu dir keinen Zwang an. Aber wenn die Jaguare dich nicht holen, werden es Tausende von Insekten tun – von den Fledermäusen will ich gar nicht erst anfangen. Solange du darüber nachdenkst, fülle ich schon mal unsere Wasservorräte auf.“ Nach einigen Schritten blieb er stehen. „Während ich weg bin, könntest du einige Dosen herausholen und auf dem Campingkocher warm machen.“

Serena schaute ihm nach. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, ihm feige hinterherzurufen, sie wollte mit ihm gehen. Bestimmt hatte er ihr nur Angst einjagen wollen. Aber trotzdem … nervös blickte sie sich um. Sicherheitshalber blieb sie in der Nähe des Zeltes.

Als Luca wenig später zurückkam, sah er sie wartend auf dem Zeltplatz. Er blieb stehen, trat hinter einen Baum und beobachtete sie einen Moment lang. Als er sah, wie nervös sie war, spürte er leise Gewissensbisse. Und noch etwas anderes spürte er. Verlangen.

Nach einer Tageswanderung durch das feuchteste Ökosystem der Welt klebte ihr die Kleidung auf der Haut. Sie war sehr schlank, aber ihre weiblichen Kurven waren nicht zu übersehen: feste, üppige Brüste, eine schmale Taille und geschwungene Hüften.

Er hatte sie nur aus einem einzigen Grund hergebracht: Sie sollte schreiend wegrennen, so weit weg von ihm wie möglich. Aber sie war immer noch bei ihm.

Er konnte noch deutlich ihr panisches Gesicht vor sich sehen, als sie den Skorpion entdeckte hatte. Aber sie hatte sich beherrscht. Den ganzen Tag über war er mit einem gnadenlosen Tempo gelaufen, selbst für ihn war es eine Herausforderung gewesen. Doch jedes Mal, wenn er einen Blick zurückwarf, war sie immer noch hinter ihm, ihm dicht auf den Fersen, die Augen auf dem Boden, gewissenhaft schauend, wohin sie trat, genau wie er ihr gesagt hatte. Schweiß war ihr über Gesicht und Nacken gelaufen und von ihrem Kinn getropft, ihre goldene Haut hatte vor Feuchtigkeit geglänzt.

Verdammt! dachte er wütend. Bis zu diesem Moment hatte er Serena nur als eine Art vorübergehende Störung betrachtet – wie eine Zecke, die irgendwann wieder von ganz allein abfallen würde. Aber sie erwies sich als äußerst hartnäckig.

Und vor allem hatte er nicht vorgehabt, sein Zelt mit ihr zu teilen. Er hatte ein wildes, unbekümmertes Partygirl erwartet, das sich nur für sich selbst interessierte. Die Serena DePiero aus seiner Erinnerung wäre schon längst wieder auf ihrem Rückweg.

Aber sie war nicht gegangen.

Wenn sie also nicht die verwöhnte Erbin war – wer zum Teufel war die Frau, die dort auf der Lichtung auf ihn wartete? Und warum kümmerte ihn das überhaupt?

Serena biss sich auf die Lippen. Es wurde schnell dunkel, und noch immer gab es kein Zeichen von Luca. Inmitten dieser gewaltigen, übermächtigen Natur fühlte sie sich schrecklich verletzlich und unbedeutend.

Dann hörte sie das Knacken eines Zweiges. Dunkel und stark tauchte Luca aus dem Dämmerlicht auf. Vor Erleichterung, dass sie nicht länger allein war, wurde ihr ganz schwindelig. Dann erst fiel ihr wieder ein, dass sie wütend auf ihn war, weil er ihr Angst gemacht hatte.

Luca sah sie provozierend an. „Hattest du Angst, die Jaguare hätten mich gefressen, Prinzessin?“

„Man darf ja wohl noch hoffen“, erwiderte Serena in süßem Tonfall. Dann runzelte sie die Stirn. „Und nenn mich nicht Prinzessin!“

Luca blickte hinüber zum Campingkocher. „Immerhin bist du in der Lage dazu, Anweisungen zu befolgen.“

Serena runzelte die Stirn und ärgerte sich, dass sie getan hatte, was er gesagt hatte. Jetzt sammelte Luca Holz und schichtete es nicht weit entfernt von ihrem Zelt auf.

„Kann ich helfen?“, bot sie an.

Er richtete sich auf. „Du könntest auch Holz suchen – aber bevor du etwas aufhebst, überzeuge dich davon, dass es nicht lebendig ist.“

Serena ging langsam über die Lichtung. Sorgfältig trat sie vor jeden Zweig, bevor sie ihn aufnahm. Ein Blatt stellte sich als gut getarnter großer Käfer heraus. Als sie ihn aufscheuchte, eilte er hastig davon. Serena unterdrückte einen Aufschrei. Sie schaute sich um, ob Luca den kleinen Zwischenfall bemerkt hatte, aber er schichtete neben dem Zelt große Holzscheite auf. Inzwischen war es fast dunkel geworden, und die gewaltigen Bäume warfen ihre Schatten über die Lichtung.

Als die Nachtschicht der Tierwelt den Wald übernahm, wurde die Geräuschkulisse wieder lauter, ganz so, als würden eine Million Grillen ihr Konzert gleichzeitig direkt neben Serenas Ohren anstimmen.

Sie brachte den letzten Scheit zum Zelt und legte es neben dem Stapel ab, als mit einem schmerzhaften Pochen das Gefühl in ihre Füße zurückkehrte.

Luca musste etwas in ihrem Gesicht gesehen haben. „Was ist los?“, fragte er knapp.

„Nur ein paar Blasen an den Füßen“, antwortete Serena wiederstrebend.

Er stand auf. „Komm her, lass mich sehen.“

Die flackernden Flammen ließen goldene Lichter auf seinem dunklen Gesicht tanzen. Für eine Sekunde stand Serena wie erstarrt, dann wandte sie den Blick ab. „Es ist nichts. Wirklich nicht.“

„Glaub mir, ich biete dir meine Hilfe nicht aus Mitgefühl an. Aber wenn deine Blasen aufplatzen und sich in dieser Feuchtigkeit entzünden, kannst du nicht mehr laufen. Und ich habe ganz sicher nicht vor, dich durch den Dschungel zu tragen.“

Hitze schoss in Serenas Wangen. „Nun, ich würde nur ungern eine noch größere Last werden, als ich schon bin.“

Luca führte sie zu einem großen Holzblock neben dem Feuer. Sie setzte sich, er ließ sich auf die Knie nieder und zog seine Tasche zu sich heran. „Zieh deine Schuhe aus“, sagte er schroff.

Serena löste die Schnürsenkel und schnitt eine Grimasse, als sie die Schuhe abstreifte. Luca zog ihre Füße zu sich und legte sie auf seine Oberschenkel. Das Gefühl seiner eisenharten Muskeln unter ihren Füßen ließ eine Hitzewelle durch ihren Körper schießen.

„Was tust du?“, brachte sie erstickt heraus.

„Entspann dich. Ich habe eine Ausbildung als Sanitäter“, sagte Luca kurz angebunden.

Serena schloss den Mund wieder. Gab es irgendetwas, das er nicht konnte? Sie sah zu, wie er einen Medizinkoffer öffnete. Sie konnte sich nicht verkneifen zu fragen: „Warum hast du eine Ausbildung zum Sanitäter gemacht?“

Er warf ihr einen Blick zu, bevor er wieder auf ihre Füße schaute. „Als ich jünger war, habe ich in einem Dorf mitangesehen, wie ein Junge erstickt ist. Keiner wusste, was zu tun war. Er ist direkt vor unseren Augen gestorben.“

Serena schnappte hörbar nach Luft. „Wie schrecklich!“

Bevor sie etwas dagegen tun konnte, stieg eine vertraute, aber schmerzhafte Erinnerung in ihr auf. Auch sie hatte einmal gesehen, wie jemand gestorben war – und es hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. In dieser Umgebung – so nah bei diesem Mann – schien ihr Selbstschutz nicht so gut zu funktionieren wie sonst. Sie konnte Lucas Hilflosigkeit gut nachfühlen, und zu ihrem eigenen Entsetzen spürte sie sich ihm plötzlich nahe.

Luca bemerkte offenbar nicht, welchen Aufruhr seine Worte in Serena ausgelöst hatten. Er fuhr fort: „Nicht so schrecklich wie die Tatsache, dass mein Vater sich dadurch nicht davon abhalten ließ, den Stamm umzusiedeln. Er hat den Eltern kaum Zeit gelassen, ihren Sohn zu begraben. Die Menschen haben ihm nichts bedeutet – für ihn waren sie nicht mehr als ein lästiges Problem.“

Jetzt zog er Serenas Socken herunter. Beim Anblick der großen Blasen sog er hörbar die Luft ein. „Das ist meine Schuld.“

Serena blinzelte. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Und hatte sie wirklich einen fast entschuldigenden Ton in seiner Stimme gehört? Anstatt sich zu freuen, fühlte sie sich bei seinem Mitgefühl deutlich unbehaglich.

Als er sie anschaute, war seine Miene undurchdringlich. „Neue Schuhe, sie waren nicht eingetragen. Kein Wunder, dass du Blasen bekommen hast. Du musst Höllenqualen gelitten haben.“

Serena zuckte mit den Schultern und wich seinem Blick aus. „Nun übertreib mal nicht, ich bin keine Märtyrerin, Luca. Ich wollte dich bloß nicht aufhalten.“

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass du so lange durchhältst“, gab er ein wenig kleinlaut zu. „Ich hätte darauf gewettet, dass du aussteigst, bevor wir Rio verlassen.“

Ihre Augen trafen sich. In ihrem Inneren zog sich etwas schmerzhaft zusammen. Sie vergaß alles um sich herum. Bis er den Blick abwandte und etwas aus dem Medizinköfferchen herausnahm.

Der Augenblick war vorüber. Doch er ließ Serena zitternd zurück.

Lucas Hände waren groß und kundig. Und überraschend sanft, als er die Blasen reinigte und dick verpflasterte. Dann zog er ihre Socken über die Verbände. „Du hast ein paarmal gesagt, du hättest nichts mit Drogen zu tun gehabt … aber du vergisst, dass ich dabei war. Ich habe dich gesehen.“

Ärger stieg in ihr auf. Was er von ihr gesehen hatte, war ein winziger Augenblick gewesen, nicht mehr als die Oberfläche ihres Lebens, unter der sie so vieles versteckt hatte. „Du hast gesehen, was du sehen wolltest“, gab sie zurück und griff nach ihren Schuhen.

Doch Luca kam ihr zuvor. Er schüttelte sie sorgfältig aus. „Überzeuge dich immer zuerst, dass nicht etwas hineingekrabbelt ist.“ Seine Stimme klang rau.

Serena unterdrückte ein Schaudern und steckte ihre Füße in die Schuhe, doch Luca stand nicht auf. „Was meinst du damit: Ich hätte gesehen, was ich sehen wollte?“

Serena funkelte ihn ärgerlich an. Im Schein des Feuers wirkte er noch dunkler und bedrohlicher als sonst.

Er hob eine Braue. „Ich habe ein Recht darauf, das zu wissen – du schuldest mir eine Erklärung.“

Ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte, schnürte Serena die Luft ab. Lag es an dem dunklen Wald um sie herum, dass ihr war, als würde nichts außer diesem Platz existieren, nichts außer ihm und ihr? „Ich habe niemals in meinem ganzen Leben harte Drogen genommen“, sagte sie schließlich zögernd. Sie versuchte, Lucas zweifelnden Augenausdruck zu ignorieren. „Aber ich war abhängig. Von verschreibungspflichtigen Medikamenten und Alkohol. Und beides werde ich nie wieder anrühren.“

Endlich stand er auf. Serena konnte wieder atmen. Bis er fragte: „Wie bist du an die Medikamente gekommen?“

Sie schluckte. Das Gespräch kratzte an der Schuld und an der Angst, die schon so lange zu ihrem Leben gehörten. Ein Teil von ihr wollte ihm die Wahrheit sagen, auch wenn er sie danach vielleicht verachten würde. Bestenfalls würde er Mitleid empfinden. Doch wenigstens würde er dann seine Meinung über sie noch einmal etwas überdenken.

„Als ich angefangen habe, Tabletten zu nehmen, war ich fünf.“

„Ein kleines Kind?“

Als sie den Zweifel in seiner Stimme hörte, bereute Serena ihre Ehrlichkeit. Nein, das Schlimmste von allem konnte sie ihm nicht sagen. Dieser Mann würde sie nie verstehen. Darum zwang sie ein Lächeln auf ihr Gesicht, eine Leichtigkeit in ihre Stimme, die sie nicht fühlte, und verfiel wieder in ihre Rolle. Die Rolle, die ihr Vater vor so langer Zeit für sie geschrieben hatte.

Sie zuckte mit den Schultern und vermied seinen durchdringenden Blick. „Ich war ein schwieriges Kind. Nachdem meine Mutter gestorben war, konnte niemand mit mir umgehen. Mit zwölf wurde bei mir Hyperaktivität diagnostiziert. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon jahrelang Medikamente bekommen und war bereits abhängig. Mir gefiel, wie ich mich nach den Tabletten gefühlt habe.“

„Und dein Vater … wie konnte er das zulassen?“

Serena spürte einen vertrauten Schmerz. Er hatte es nicht nur zugelassen, er hatte eigenhändig dafür gesorgt. Sie zuckte wieder mit den Schultern und brachte ein Lächeln zustande. „Wie ich schon sagte, ich war ein schwieriges Kind.“

„Und was macht dich so sicher, dass du die Abhängigkeit jetzt überwunden hast?“

Unbewusst hob sie das Kinn. „Meine Schwester und ich haben Italien verlassen, als mein Vater …“ Sie stockte. Die vertraute Mischung aus Scham und Wut stieg in ihr auf. „Nachdem alles zusammengebrochen war, sind wir nach England gegangen, und ich habe ein Jahr in einer Entzugsklinik verbracht.“ Sofort bereute sie ihren Impuls, ihm so viel anzuvertrauen. „Nicht, dass dich das irgendetwas angehen würde“, setzte sie schroff hinzu.

Als Luca sich erhob, war seine Miene undurchdringlich. „Ich denke, nach unserer gemeinsamen Geschichte geht es mich sehr wohl etwas an. Du musst mir beweisen, dass man dir vertrauen kann und du in der Lage bist, ordentliche Arbeit zu leisten.“

Serena hatte mittlerweile ihre Schuhe angezogen. Sie stand auf und funkelte ihn an. „Spielst du dich jetzt auch noch zum Richter auf?“ Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. „Worauf basiert dein Urteil? Auf deinen unzähligen Erfahrungen mit Süchtigen?“

Einige Sekunden lang starrten sie sich an, dann stieß Luca aus: „Es gründet auf der Erfahrung mit einer alkoholkranken Mutter, die in Entzugskliniken ein und aus geht. Und wenn sie nicht gerade an der Flasche hängt oder Pillen nimmt, jagt sie einer neuen Eroberung hinterher, um ihren kostspieligen Lebensstil zu finanzieren.“ Bei dem bitteren Spott in seiner Stimme stieg Übelkeit in ihr auf.

Er trat zurück. „Wir sollten essen.“

Als Serena ihm nachschaute, wie er zum Kocher ging, löste sich ihr Ärger auf. Sie war froh, dass sie ihm ihr Herz nicht noch weiter ausgeschüttet hatte. Kein Wunder, dass die Geschichte in Florenz ihn besonders hart getroffen hatte und er nur das Schlechteste von ihr glaubte. Und trotzdem … es war keine Entschuldigung.

Nach ihrem Gespräch fühlte sie sich zu verletzlich, um noch länger in seiner Gesellschaft zu bleiben. Außerdem überfiel sie plötzlich eine Welle der Müdigkeit. „Ich habe keinen Hunger. Ich denke, ich gehe gleich schlafen.“

Über die Schulter warf Luca ihr einen Blick zu. Sie hatte den Eindruck, dass er etwas sagen wollte, doch dann zuckte er nur die Achseln. „Tu dir keinen Zwang an.“

Serena nahm ihren Rucksack und kroch ins Zelt. Erleichtert stellte sie fest, dass es geräumiger war, als es von außen aussah. Sie zog ihre Schuhe aus und rollte den Schlafsack auf einer Seite des Zelts aus. Noch bevor ihr Kopf den Boden berührte, fiel sie in den Schlaf.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen rührte Luca das Dosenessen auf dem Campingkocher um. Im ersten Morgengrauen hatte er sich aus dem Zelt gestohlen. Als er gestern Abend ins Zelt gekommen war, hatte Serena zu seiner Erleichterung zusammengerollt in ihrem Schlafsack gelegen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig.

Bei dem Gedanken an ihre wunden Füße und dass sie ohne Abendessen schlafen gegangen war, spürte er wieder Gewissensbisse. Er hatte noch immer nicht verarbeitet, dass sie schon als Kind Medikamente genommen hatte. Es war schwer genug, eine süchtige Mutter zu haben.

Aber ein Kind?

Serena hatte ihre Geschichte erzählt, als hätte sie selbst damals schon genau gewusst, was sie tat. Aber ihre Worte nagten an ihm. Irgendetwas an der Geschichte hörte sich nicht richtig an. Hatte sie ihm die Wahrheit erzählt?

Warum sollte sie wegen etwas lügen, das vor so langer Zeit geschehen ist? fragte eine leise Stimme in seinem Kopf. Luca schluckte. Das bedeutete vielleicht auch … Wenn sie niemals harte Drogen genommen hatte, war es vielleicht nicht sie gewesen an diesem Abend vor sieben Jahren, die ihm die Drogen in die Tasche gesteckt hatte…

Es gefiel ihm nicht, was ihre Worte mit ihm anstellten.

Er dachte an das Chaos im Club an jenem Abend zurück. Plötzlich zuckte eine Erinnerung durch seinen Kopf: Serenas Hand hatte sich in seine geschoben. Sie war sehr bleich gewesen. Dann hatte die italienische Polizei sie unsanft getrennt und durchsucht.

Die Erinnerung ließ ihm keine Ruhe. Er hatte immer geglaubt, dass Serenas elendes Aussehen ein Zeichen ihrer Schuld gewesen war. Doch sollte es keine Schuld gewesen sein, was steckte dann dahinter? Er dachte daran, wie leidenschaftlich sie sich verteidigt hatte, als er ihre Vertrauenswürdigkeit in Frage gestellt hatte. Aber warum in aller Welt konnte er nicht aufhören, darüber nachzudenken? Fühlte er sich schuldig?

Er erstarrte, als er hörte, wie der Reißverschluss aufgezogen wurde, dann wurde die Zeltplane zur Seite geschoben. Serena hatte ihr Haar zu einem Knoten geschlungen und festgesteckt. Als ihr blauer Blick seinen traf, zog sich sein Inneres zusammen. Im Stillen verfluchte er sie – und sich selbst, weil er sie hergebracht hatte.

Weil sie möglicherweise unschuldig an allem war, was er ihr jahrelang vorgeworfen hatte.

Ihr Blick war wachsam, als sie ihn anschaute. „Guten Morgen.“

Beim Klang ihrer Stimme, die vom Schlaf noch heiser war, schoss eine Welle des Verlangens durch Lucas Körper. Sie sollte verknittert und zerzaust und schmutzig aussehen, doch sie war einfach hinreißend. Ihre Haut strahlte frisch und klar, als käme sie gerade aus einem Spa, nicht aus einem Zelt mitten im Dschungel.

Er drückte ihr eine Schüssel mit proteinreichem Dosenessen in die Hand. „Hier, dein Frühstück!“

Den Bruchteil einer Sekunde lang flackerte etwas wie Ärger in ihren Augen auf. Offenbar war ihr nicht entgangen, dass er ihren Gruß nicht erwidert hatte. Aber sie nahm die Schüssel und einen Löffel, setzte sich auf einen Holzscheit und begann zu essen. Sie zuckte kaum mit der Wimper über das nicht gerade appetitanregende Mahl.

Er bemühte sich, sein stechendes Schuldgefühl zu ignorieren. So einfach würde er ihr nicht auf den Leim gehen. Schon von frühester Kindheit an hatte ihm seine Mutter gezeigt, wie unbeständig Abhängige waren. Sobald man glaubte, sie wollten einmal wirklich etwas ändern, taten sie das Gegenteil.

Er spürte Serenas Blick. Sie hatte ihr Mahl beendet. Luca nahm ihr die Schüssel ab, zog einen Proteinriegel aus der Tasche und reichte ihn ihr. „Hier, iss das auch noch.“

„Aber ich bin jetzt satt. Ich …“

Er hielt seinen Arm ausgestreckt. „Iss, Serena! Ich kann mir nicht leisten, dass du schlappmachst. Wir haben heute noch einen langen Weg vor uns.“

Bei seinen Worten flatterten ihre Lider, als wäre sie verletzt – genau wie er beabsichtigt hatte. Graziös erhob sie sich und nahm den Riegel aus seiner Hand. Als sich ihre Finger berührten, glaubte Luca ein Knistern zu spüren.

Serena verfluchte sich selbst, weil sie geglaubt, gehofft hatte, dass etwas wie ein Waffenstillstand zwischen ihnen entstanden war. Und weil sie ihm am vergangenen Abend zu viel anvertraut hatte.

Nach dem Aufwachen hatte sie einige Sekunden gebraucht, um zu begreifen, wo sie war und mit wem. Am liebsten hätte sie aufgejubelt. Sie hatte den ersten Tag im Dschungel überlebt, und sie hatte keine Schwäche vor Luca gezeigt.

Jetzt stand Luca auf und begann, alle Sachen in seinem Rucksack zu verstauen, damit sie aufbrechen konnten. Serena sah ihm zu. Bei der Erinnerung an seine sanften Hände auf ihren Füßen stieg ihr das Blut heiß in die Wangen. Ihre Wangen wurden noch heißer, als ihr bewusst wurde, in welch engem Raum sie die Nacht mit Luca verbracht hatte. Zum Glück hatte sie vor Erschöpfung nichts mehr davon mitbekommen.

Damit Luca nicht die Röte in ihrem Gesicht sah, ging sie ins Zelt und rollte sorgfältig ihren Schlafsack zusammen, dann begann sie das Zelt abzubauen.

„Wo hast du das gelernt?“ Lucas Stimme klang ungläubig.

Serena sah ihn kaum an. „Als ich in der Klinik war, haben wir oft Camping-Ausflüge unternommen. Das gehörte zum Programm.“

Angespannt wartete sie auf einen spöttischen Kommentar oder eine Frage, aber es kam nichts. Er begann lediglich, die Heringe auf der anderen Seite des Zelts aus dem Boden zu ziehen und die Leinen zu lösen.

Serena hatte noch niemandem von ihrer Zeit in der Klinik erzählt – nicht einmal ihrer Schwester. Dabei hatte Siena am meisten für sie geopfert, am meisten ihretwegen gelitten: Nur um ihr, Serena, zu helfen, hatte sie sich wieder mit einem Mann eingelassen, den sie Jahre zuvor betrogen hatte und der noch immer seine Rache suchte. Doch völlig unwahrscheinlicherweise hatten sich Siena und Andreas ineinander verliebt. Mittlerweile waren sie glücklich verheiratet und Eltern von zwei bezaubernden Babys.

Nicht viel anders sah es bei ihrem Halbbruder Rocco aus. Seine zutiefst glückliche Ehe würde selbst einem Zweifler den Glauben an die Liebe wiedergeben. Auch Serena sehnte sich nach einem Leben voller Liebe, doch das konnte es für sie niemals geben. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte sie einen Seufzer.

Erst jetzt merkte sie, dass sie während ihrer Grübeleien zusammen mit Luca das gesamte Camp abgebaut hatte.

Er reichte ihr ihren Rucksack. „Fertig?“

Serena hob ihn auf den Rücken und nickte knapp. Sie vermied Lucas Blick. Plötzlich fühlte sie sich sehr verletzlich.

„Wie geht es deinen Füßen?“

Konnte er Gedanken lesen?„Sie fühlen sich gut an.“ Sie unterdrückte einen Anflug von Freude. Bestimmt hatte er nicht aus Mitgefühl gefragt.

Luca gab einen unbestimmbaren Laut von sich und ging los. Schon bald wurde die Hitze fast unerträglich. Als sie an einem kleinen Wasserlauf Halt machten, hätte sie vor Freude fast geweint, während sie sich kühles Wasser ins Gesicht spritzte. Sie tränkte ein Taschentuch mit dem kostbaren Nass und legte es sich um den Hals.

Die Erleichterung währte nur kurz. Luca nahm sein gnadenloses Tempo wieder auf und blickte sich nicht einmal mehr um, um zu sehen, ob sie noch hinter ihm war. Ärger stieg in Serena auf. Würde er überhaupt merken, wenn irgendein Tier sie plötzlich ins Unterholz zog? Und selbst wenn, würde er wahrscheinlich nur kurz mit den Schultern zucken und weitergehen.

Eine Stunde später strömte ihr der Schweiß über Gesicht, Hals und Rücken. Jeder Muskel tat weh, ihre Füße waren wieder taub. Doch Luca ging weiter wie ein Roboter. Plötzlich hatte Serena den Wunsch, ihn zu provozieren, ihm irgendeine Reaktion zu entlocken. Ihn zu zwingen, sich umzudrehen und sie anzusehen. Er sollte zugeben, dass sie ihre Sache bis jetzt gut gemacht hatte. Zugeben, dass sie möglicherweise die Wahrheit über die Drogen sagte.

„Bist du bereit zuzugeben, dass ich vielleicht doch unschuldig bin?“, platzte sie laut heraus.

Ihr Wunsch nach seiner Aufmerksamkeit ging in Erfüllung. Luca blieb abrupt stehen. Nach einer langen Sekunde, drehte er sich langsam um. Seine Augen waren so dunkel, dass sie schwarz wirkten. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung stand er so dicht vor ihr, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Sofort hasste sie sich für den Reflex.

Er sah unendlich gefährlich aus, doch seltsamerweise spürte Serena keine Angst. Tief in ihrem Bauch spürte sie etwas weitaus Intensiveres als Angst. Ihr wurde noch heißer.

„Um ganz ehrlich zu sein, ist mir inzwischen ganz egal, ob du es getan hast oder nicht“, sagte er kalt. „Die Tatsache bleibt, dass die Verbindung mit dir alles viel schlimmer gemacht hat. Deinetwegen stand der Vorfall auf den Titelseiten. Deinetwegen waren alle von meiner Schuld überzeugt – weil alle davon ausgegangen sind, dass du Drogen nimmst und dass ich dich entweder beschützen wollte oder dein Dealer war. Vielleicht hast du mir wirklich nicht die Drogen zugesteckt. Aber unschuldig oder nicht – ich bin deinetwegen in Schwierigkeiten geraten.“

Serena schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. „Du wirst mir nie vergeben, nicht wahr?“

Seine Lippen wurden schmal. Und dann landete plötzlich ein riesiger Tropfen Wasser in ihrem Gesicht – so groß, dass es spritzte.

Luca sah auf und fluchte.

„Was? Was ist los?“

„Regen. Verdammt! Ich hatte gehofft, wir würden vorher das Dorf erreichen. Wir müssen einen Unterschlupf finden. Komm mit!“

In diesem Moment setzte der Regen ein. Gewaltige Tropfen prasselten vom Himmel. Serena lief hinter Luca her und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Doch innerhalb weniger Sekunden konnte sie kaum noch die Hand vor Augen sehen. Panik verdrängte jeden ihrer Gedanken. Wo war Luca? Und dann tauchte er wieder auf, nahm ihre Hand und hielt sie dicht bei sich.

Der Regen war majestätisch, Ehrfurcht gebietend. Ohrenbetäubend. Doch Serena nahm nur ihre Hand in Lucas wahr. Er führte sie zwischen den Bäumen hindurch, fort vom Weg zu einer kleinen Lichtung, wo der Boden etwas höher lag. Erst hier ließ er ihre Hand los und entrollte eine Plane.

Ohne zu zögern, fasste Serena mit an. Sie nahm ein Ende und befestigte es an einem kleinen Bäumchen. Luca tat auf der anderen Seite dasselbe, und auf diese Weise schafften sie einen Unterschlupf. Luca legte eine weitere Plane unter das notdürftige Dach. „Los, geh rein!“

Serena streifte den Rucksack ab und kroch in den Unterschlupf. Sekunden später kam Luca zu ihr. Beide waren bis auf die Haut durchnässt. Von ihrer Kleidung stieg Dampf auf. Aber sie hatten Schutz gefunden. Serena konnte immer noch nicht fassen, wie plötzlich der Regen gekommen war. Einige Minuten lang saßen sie schweigend nebeneinander.

„Wie lange wird es dauern?“, fragte sie schließlich.

Luca reckte sich und schaute nach draußen, dann zuckte er mit den Schultern. „Vielleicht Minuten – vielleicht auch Stunden. So oder so werden wir heute noch einmal hier im Wald übernachten müssen. Das Dorf ist zwar nur noch einige Stunden entfernt, aber bald wird es dunkel und zu gefährlich draußen.“

Bei dem Gedanken an eine weitere Nacht mit Luca im Zelt spürte Serena ein Flattern im Magen. Er griff in seine Tasche und reichte ihr noch einen Proteinriegel. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu nehmen, aber bevor sie dazu kam, packte Luca ihr Handgelenk.

Er runzelte die Stirn. „Was sind das für Narben?“ Er inspizierte eingehend ihre Handfläche, dann nahm er die andere Hand und betrachtete sie.

Serena reagierte viel zu spät. Sie wollte die Hände wegziehen, aber er hielt sie fest. Sie sah, was er sah. Ein Netz feiner silbriger Narben bedeckte ihre Handflächen.

„Sie sind alt“, stellte er überrascht fest. „Wie alt?“

Serena versuchte, ihre Hände mit einem Ruck zu befreien, aber sein Griff gab nicht nach. Ärger stieg in ihr auf. Welches Recht hatte er, sie zu befragen, als stünde sie vor einem Tribunal? „Sie sind zweiundzwanzig Jahre alt“, sagte sie widerstrebend.

Luca sah sie an. „Deus, was ist das?“

Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er suchte nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit. Und plötzlich begriff sie, dass dies ein Teil seiner Natur war. Darum sah er die Welt schwarz und weiß, gut und schlecht. Und sie, Serena, hatte den Stempel schlecht bekommen.

Sie sehnte sich danach, dass das aufhörte. Sie war müde. Ihre Kehle fühlte sich rau an, alles in ihr schmerzte vor unterdrückten Gefühlen, von all den entsetzlichen Bildern, die sie tief in ihrem Kopf verschlossen hielt. Bilder, die nur sie selbst und ihr Vater kannten. Und er hatte alles getan, um sie auszulöschen.

Ein Teil von ihr wollte Luca die Wahrheit sagen – wie schon in der vergangenen Nacht – ihn verstehen lassen, dass manche Dinge nicht einfach schwarz oder weiß waren.

Eine innere Stimme warnte sie, sich vor seinem Spott zu schützen, doch sie hörte, wie die Worte aus ihrem Mund kamen. „Es sind Male von einer Bambusgerte. Mein Vater bevorzugte körperliche Züchtigungen.“

Lucas Griff wurde fester. „Wie alt warst du?“, fragte er leise.

„Fünf – fast sechs.“

„Was zum Teufel …?“ In seinen Augen loderte ein Feuer.

Serena nutzte den Augenblick, um ihre Hände zurückzuziehen. Sie verschlang sie miteinander, um die Schandmale zu verbergen. Sie verstand, wie schockiert Luca sein musste. Selbst ihre Therapeutin war schockiert gewesen, als Serena ihr zum ersten Mal davon erzählt hatte.

Sie zuckte mit den Schultern. „Er war ein gewalttätiger Mann. Wenn ich etwas getan habe, was ihm nicht passte, oder wenn meine Schwester sich schlecht benommen hatte, wurde ich bestraft.“

„Du warst ein Kind!“

Serena dachte daran, dass ihre Kindheit sich in nichts aufgelöst hatte – durch weit Schlimmeres als ein paar Narben auf ihren Handflächen. „Der Regen – er hat aufgehört“, sagte sie schwach.

Luca betrachtete sie einen langen Moment, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Unter seinem Blick wurde Serena ganz nervös.

„Lass uns das Camp hier aufschlagen“, sagte er schließlich.

Mit steifen Gliedern kroch Serena aus ihrem Unterschlupf hervor. Der Dschungel um sie herum dampfte, die drückende Feuchtigkeit war unerträglich. Sie sah zu, wie Luca unter der Plane hervor kam. Einen Augenblick lang war sie fasziniert von seiner männlichen Geschmeidigkeit.

Er wandte sich zu ihr um, so schnell, dass sie den Blick nicht mehr rechtzeitig abwenden konnte. Als er ihren Gesichtsausdruck sah, runzelte er die Stirn. „Was ist?“

Serena schluckte und suchte verzweifelt nach einer Ausrede. „Durst – ich habe Durst“, brachte sie hervor.

Luca sah sich um, dann ging er zu einem der Bäume in ihrer Nähe und prüfte die Blätter. „Komm her!“

Nicht sicher, was sie erwartete, ging sie zu ihm. Luca legte eine Hand auf ihren Arm. Seine Berührung schien sich durch den Stoff ihres Hemdes zu brennen. Er schob Serena unter das Blatt. „Leg deinen Kopf zurück und öffne den Mund“

Sie hob den Blick zu ihm. Etwas in seinen Augen ließ ihr Herz schneller klopfen.

„Nun komm schon, ich beiße nicht.“

Sie tat, wie er gesagt hatte, und Luca kippte das Blatt. Kühles Wasser fiel in ihren Mund, erfrischender als alles, was sie je gekostet hatte. Das Wasser rieselte über ihr Gesicht und kühlte ihre heißen Wangen.

Als nur noch vereinzelt Tropfen in ihren Mund fielen, richtete sie sich wieder auf. Luca beobachtete sie. Er stand nah bei ihr. Sie müsste nur einen Schritt machen, und sie würden sich berühren.

Doch dann, als hätte er ihre Gedanken gelesen und wollte sie zurückweisen, trat er zurück und ließ sie los. „Wir müssen uns trockene Sachen anziehen.“ Er drehte sich um und ging.

Serena fühlte sich zittrig. Was war bloß los mit ihr?

Luca nahm Kleidung aus seinem Rucksack. Er begann, mit seinen langen schlanken Fingern die Knöpfe seines Hemds zu öffnen und enthüllte seinen gebräunten muskulösen Oberkörper. Serena stand wie angewurzelt. Ihr Atem stockte.

Endlich setzte ihr Verstand wieder ein. Ihr Gesicht glühte vor Scham. Hastig beugte sie sich über ihren eigenen Rucksack und konzentrierte sich darauf, ihre eigene Kleidung herauszusuchen.

Doch zu ihrem Ärger sah sie immer wieder sein Gesicht vor sich, wie er betroffen auf ihre Hände geschaut hatte, den Ausdruck seiner Augen, als sich ihre Blicke vorhin am Baum einen Moment lang getroffen hatten. Sie hätte schwören können, dass in seinen Augen Verlangen aufgelodert war, doch dann hatte er sich abgewandt, als wollte er ihre Fantasien verspotten.

Grob zerrte Luca seine Kleidung aus dem Rucksack und versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Deus. Was war bloß los mit ihm? Um ein Haar hätte er vorhin Serena an sich gezogen und ihren geöffneten Mund mit seinen Lippen bedeckt. Er war eifersüchtig auf das Regenwasser gewesen, das über ihre vollen Lippen tropfte!

Und was hatte es mit diesen Narben auf ihren Handflächen auf sich? Den silbernen Linien, die sich über ihre zarte, blasse Haut zogen? Auf den Ansturm von Gefühlen war er nicht vorbereitet gewesen. Eine Welle von Panik hatte ihn überschwemmt, als er dachte, sie hätte sich die Male während ihrer Wanderung zugezogen. Dann, als sie ihm so nüchtern von ihrem Vater erzählt hatte, war die Wut gekommen.

Er war ihm ein- oder zweimal bei irgendwelchen Veranstaltungen begegnet, und er hatte ihn nie leiden können. Seine Augen waren kalt und tot, und er besaß die arrogante Ausstrahlung eines Menschen, der gewohnt war, alles zu bekommen, was er wollte.

Luca musste zugeben, dass es ihn nicht überraschte, von seiner Gewalttätigkeit zu hören. Er hatte den Mann auf den ersten Blick für bösartig gehalten. Aber gegenüber seiner eigenen Tochter? Der blonden, blauäugigen Erbin, die von jedem beneidet wurde?

Luca war sich mit jeder Faser bewusst, dass Serena sich hinter ihm umzog. Er konnte hören, wie ihre Kleidung zu Boden fiel. Dann war es still. Es ist reine Besorgnis, sagte er sich. Doch als er sich umwandte, wusste er schon, dass er sich selbst belog

Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Als sie die Hose abstreifte, enthüllte sie ihre Beine in ihrer ganzen langen Pracht. Der hoch geschnittene Slip ließ ihre schmale Taille sehen und das runde, feste Gesäß. Als sie alles bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte, wollte er zu ihr gehen, ihre schwellenden Brüste mit den Händen bedecken, spüren, wie sie sich an ihn schmiegte.

Sein Körper reagierte unmittelbar – nicht anders als ein Teenager, der eine Frau in der Umkleidekabine beobachtete.

Wütend auf sich selbst, wandte Luca sich ab und zog sich an. Es würde gleich dunkel sein, und er war so mit Serena beschäftigt gewesen, dass er nicht einmal daran gedacht hatte, das Camp aufzubauen.

Endlich war er fertig angekleidet. Er drehte sich gerade um und wollte Serena die üblichen barschen Anweisungen geben. Doch zu seiner Überraschung war sie bereits dabei, das Zelt auszurollen und die Heringe in den Boden zu stecken. Ihr langer Pferdeschwanz fiel über eine Schulter.

Er fluchte leise. Diese Frau zog ihm den Boden unter den Füßen weg, und zwar schnell.

Etwas später, nachdem sie ihr karges Abendessen verzehrt hatten, saß Serena auf einem Holzscheit neben dem Feuer. Sie warf einen Blick auf das Zelt und spürte einen fast lächerlichen Stolz. Ganz allein hatte sie es aufgebaut!

Luca hatte erwartet, dass sie beim kleinsten Anzeichen von Gefahr oder Arbeit zurück in die Zivilisation flüchten würde, aber sie war immer noch hier. Tag zwei – und sie hatte nicht nur überlebt, nein, sie blühte geradezu auf.

Doch so berauschend das Triumphgefühl auch sein mochte, konnte es doch nicht die ständigen Gedanken an Luca verdrängen. Sie war gefährlich nah daran gewesen, ihr Verlangen zu verraten.

„Was bedeutet die Tätowierung auf deinem Rücken?“, unterbrach er ihre Grübeleien.

Sie schwieg. Wann hatte er das kleine Tattoo auf ihrer Schulter gesehen? Er musste sie beim Umziehen beobachtet haben! Bei dem Gedanken wurde ihr heiß. Die Tätowierung besaß eine sehr persönliche Bedeutung für sie, sie wollte ihm nichts darüber erzählen.

„Es ist eine Schwalbe“, sagte sie schließlich widerstrebend.

„Hat sie eine Bedeutung?“

Fast hätte sie gelacht. Als ob sie ihm das verraten würde! Wahrscheinlich würde er vor Lachen von seinem Holzscheit fallen. Sie zuckte mit den Schultern. „Mein Lieblingsvogel. Ich habe es vor ein paar Jahren machen lassen.“

An dem Tag, an dem ich die Entzugsklinik verlassen haben.

Sie vermied seinen Blick. Schwalben waren ein Symbol für Auferstehung und Wiedergeburt … Luca würde wohl kaum über die Bedeutung dieses Vogels nachdenken, aber trotzdem … Sie hatte das unheimliche Gefühl, er könnte es doch tun, und das gefiel ihr nicht.

Abrupt stand sie auf. „Ich gehe schlafen.“ Ihre Stimme klang rau. Schon der Anblick seines muskulösen Körpers auf der anderen Seite des Feuers reichte aus, um sie zittern zu lassen.

Ohne etwas von ihren erregten Fantasien zu ahnen, stocherte Luca in den Flammen. „Ich warte hier draußen, bis du fertig bist.“

Serena wandte sich ab, kroch ins Zelt und zog die Schuhe aus, aber sie ließ ihre Kleidung an. Doch dann kam sie sich albern vor. Luca hatte ihr nicht mit dem kleinsten Zeichen zu verstehen gegeben, dass er sie anziehend fand, und sie sehnte sich danach, etwas Luft an ihre Haut zu lassen. Sie zog sich bis auf ihre Unterwäsche aus, kroch in den Schlafsack und zog ihn bis zum Kinn hoch.

Sie betete, dass sie wieder so schnell einschlafen würde wie gestern, als sie nicht einmal bemerkt hatte, wie er ins Zelt gekommen war. Wahrscheinlich hatte er jede Sekunde gehasst, die er nur wenige Zentimeter von ihr entfernt verbringen musste.

Luca versuchte, sich durch pure Willenskraft zu beruhigen. Ihm gefiel gar nicht, wie Serena ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Ihn dazu brachte, sie zu begehren. Über sie nachzudenken. Mehr über sie wissen zu wollen. Immer wieder überraschte sie ihn.

Seit frühester Kindheit hatte er bei seiner Mutter erlebt, wie selbstsüchtig Frauen waren. Die wachsende Ahnung, dass er sich in Serena geirrt hatte, gefiel ihm nicht.

Bei seinen Geliebten hatte er bisher nur körperliche Entspannung und Zeitvertreib gesucht. Für mehr gab es keinen Platz in seinem Leben. Er war viel zu beschäftigt damit, den Schaden wiedergutzumachen, den sein Vater und sein Großvater angerichtet hatten. Der Name Fonseca wurde in Brasilien seit Langem gleichgesetzt mit Korruption, Gier und Zerstörung. Als sein Vater vor zehn Jahren gestorben war, hatte Luca sich zum Ziel gesetzt, das Ansehen der Familie wiederherzustellen.

Der Drogenskandal war für Luca zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt gekommen. Gerade als seine Arbeit ihm bei seinen Partnern ein erstes zaghaftes Vertrauen eingebracht hatte. Danach hatte er Jahre gebraucht, um den Schaden wiedergutzumachen.

Und die Person, die nur wenige Meter entfernt von ihm im Zelt lag, konnte all seine Bemühungen wieder zunichtemachen. Das durfte er nie vergessen!

Selbst wenn sie unschuldig war, würde jede Verbindung mit ihr die Gerüchte wieder auflodern lassen.

Erst als Luca sich sicher war, dass Serena tief und fest schlief, ging auch er ins Zelt. Er tat sein Bestes, die zusammengerollte Gestalt im Schlafsack zu ignorieren, doch sie war viel zu nah. Er hatte nicht erwartet, dieses Zelt mit irgendjemandem zu teilen, erst recht nicht mit Serena DePiero, zwei Nächte hintereinander!

Widerwillig legte er sich neben sie. Doch er musste zugeben, dass sie nichts gemein hatte mit dem verwöhnten Mädchen, für das er sie seit Langem gehalten hatte. Er dachte daran, wie sie das Zelt aufgebaut hatte, mit der Zungenspitze zwischen den Zähnen. Schweiß war ihr über Hals und Gesicht gelaufen und in den verlockenden Ausschnitt ihres Hemdes getropft.

Luca biss die Zähne zusammen, seufzte und schloss die Augen. Sie war diejenige, die es im Dschungel nicht hätte aushalten sollen! Doch jetzt sehnte er die Zivilisation herbei. Es wurde höchste Zeit, dass er diese Frau endlich aus dem Kopf bekam!

Einige Stunden später erwachte Luca. Hellwach und angespannt lauschte er auf ein Geräusch vor dem Zelt. Doch es kam nicht von draußen.

Serena murmelte etwas auf Italienisch im Schlaf. „Papa … no, per favore, no che… Siena, aiutami.“

Siena, hilf mir.

Lucas Brust krampfte sich schmerzhaft zusammen, als sie zu weinen begann. Ohne nachzudenken, berührte er ihre Schulter.

Augenblicklich war sie wach. „Che cosa?“

Seltsamerweise berührte ihn die Tatsache, dass sie immer noch Italienisch sprach, besonders tief. „Du hast geträumt.“ Ihm war, als würde er in ihre Intimsphäre eindringen.

Serenas Körper wurde steif wie ein Brett. Im Dämmerlicht sah er das Glitzern ihrer Augen. „Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe“, murmelte sie. Ihr Akzent war deutlicher zu hören als sonst.

Sie rollte sich wieder zusammen, so weit wie möglich von seiner Hand entfernt. Im schwachen Licht schimmerte ihr Haar wie Weißgold, und er stellte sich vor, wie sich die seidigen Strähnen auf seiner nackten Haut anfühlen würden, wenn er sie in den Armen hielt.

Ärger stieg in ihm auf. Ärger über seine Gedanken, Ärger, weil diese Frau ihm so unter die Haut ging. Ärger, wie abrupt sie sich von ihm abgewendet hatte. Fast, als hätte er etwas falsch gemacht. „Serena?“

Sie antwortete nicht, und das regte ihn noch mehr auf. Vor wenigen Minuten hatte sie ihm noch leidgetan. Doch jetzt dachte er an seine Mutter und wie sie ihre Gefühlsausbrüche dazu benutzt hatte, jeden in ihrer Nähe zu manipulieren. Er verfluchte sich selbst für seine Schwäche.

„Was zum Teufel war das gerade?“ Der Ärger schwang in seiner Stimme mit.

„Ich habe doch schon gesagt, es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe“, murmelt sie in ihrem Schlafsack hinein. „Es war nichts.“

„So hörte es sich aber nicht an!“

Serena wandte sich wieder zu ihm um, ihre Augen funkelten. „Es war ein Traum, mehr nicht! Nur ein schlechter Traum, und ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern. Können wir jetzt bitte wieder schlafen?“, fuhr sie ihn an.

Ganz offensichtlich brauchte sie seinen Trost nicht. Doch seltsamerweise war er darüber nicht erleichtert. Er griff hinüber, umfasste ihre Arme und zog sie zu sich. Er hörte, wie sie schockiert nach Luft schnappte.

„Luca, was soll das?“ Doch jede Schroffheit war aus ihrer Stimme verschwunden.

Die Dunkelheit umhüllte sie, doch sie konnte nicht ihr goldenes Haar oder ihre hellen blauen Augen verbergen. Den Schwung ihrer atemberaubenden Wangenknochen.

Sie entzog sich ihm nicht.

„Was ich tue?“ Seine Stimme war rau. „Das.“

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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