Zum Vergnügen des Chefs ... (4-teilige Serie)

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IM HERZEN DER TOSKANA
In der weißen Traumvilla in der Toskana erliegt Charlotte dem leidenschaftlichen Werben des attraktiven Marco Delmari. Wird der berühmte Autor ihr das Herz brechen? Für Marco scheint Liebe nicht mehr als nur ein Wort zu sein ...

IM PALAZZO DER SÜßEN TRÄUME
Gespannt wartet Elizabeth in Venedig auf ihren neuen Chef - und glaubt zu träumen. Es ist der Mann, den sie von ihrer Gondel aus in einem prächtigen Boot über den Canal Grande gleiten sah. Von dem sie sich trennte, den sie aber nie vergessen konnte: Luca Francesco, verstörend attraktiv und so unwiderstehlich, dass sie die alten Wunden fast vergisst und auf eine Chance hofft, ihn zurückzugewinnen. Doch er hat die Vergangenheit noch nicht verschmerzt und gibt sich kühl. Selbst, als er sie zu einem Maskenball in seinen romantischen Palazzo einlädt ...

SÜßE SEHNSUCHTSMELODIE
Leise Klavierklänge dringen durch die dunkle Nacht und wecken Orlando Winterton aus unruhigem Schlaf: Rachel Campion, die gestern überraschend vor der Tür seines Herrenhauses stand, spielt meisterhaft! Fasziniert folgt er ihrer süßen Sehnsuchtsmelodie. Und als er die schöne Pianistin am Flügel entdeckt, ist es um ihn geschehen: Voller Verlangen reißt er sie in die Arme. Er weiß, dass es geliehene Zeit ist, dass er seinem Schicksal nicht entkommen und es Rachel nicht verschweigen darf. Doch eine einzige Nacht lang will er sie lieben und alles andere vergessen …

VERZAUBERT UNTER PALMEN
Mit einem Traummann in der Südsee: Seit die junge Dolmetscherin Alexandra Hill vom Fleck weg von dem australischen Unternehmer Max Goodwin engagiert wurde, steht ihr Leben Kopf. Mit Max trinkt sie Champagner unter Palmen, besucht Golfplätze und Dinnerpartys - und bezaubert mit ihrer natürlichen Schönheit jeden seiner Geschäftspartner! Dabei ist es ihr Boss, der ihr Herz erobert und ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit geweckt hat … Bis sie eines Abends zufällig ein Gespräch mit anhört, das nur einen Schluss zulässt: Max ist nicht frei für die Liebe!


  • Erscheinungstag 10.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727949
  • Seitenanzahl 592
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Kathryn Ross, Christina Hollis, India Grey, Lindsay Armstrong

Zum Vergnügen des Chefs ... (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

Im Herzen der Toskana erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2007 by Kathryn Ross
Originaltitel: „Mediterranean Boss, Convenient Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 276 - 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Umschlagsmotive: Jacob Ammentorp Lund / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733728038

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Als Charlotte morgens die Augen öffnete, kehrte mit peinigender Klarheit die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück. Ihr Rendezvous hatte sich als ein komplettes Desaster erwiesen.

Dass der Mann statt der in seiner Anzeige beschriebenen ein Meter fünfundachtzig kaum ein Meter sechzig aufweisen konnte und eher auf die fünfzig als auf die dreißig zuging, störte sie nicht einmal so sehr. Weder hatte sie etwas gegen ältere Menschen, noch hielt sie gutes Aussehen für das Wichtigste im Leben. Obwohl … sein dünner grauer Zopf war dann doch etwas irritierend gewesen, ebenso wie die Tatsache, dass sie außer einer Scheidung nichts, aber auch absolut gar nichts gemein hatten.

Nach den ersten fünf Minuten gab es einfach nichts mehr zu sagen. Möglicherweise waren Internet-Dates doch keine so gute Idee. Sie hätte sich von ihrer Freundin nicht dazu überreden lassen dürfen.

„Aufstehen, Mummy!“, rief Jack im gewohnt munteren Tonfall, bevor er auf ihr Bett hüpfte und sie stürmisch umarmte. „Nana hat mir Schokolade gegeben und mich fernsehen lassen, als du gestern Abend weg warst.“

Charlie lächelte. „Oh, oh … ich glaube, Nana verwöhnt dich viel zu sehr.“

Wenn jetzt Wochenende wäre, könnten wir noch ein Weilchen kuscheln und uns unterhalten, dachte sie sehnsüchtig. Der vierjährige Jack war eine richtige Plaudertasche und ganz sicher ein interessanterer Gesprächspartner als ihr katastrophales Date! Aber es war Freitagmorgen, und sie hatte keine Zeit für Vergnügungen.

„Also hoch mit uns“, beschloss Charlie energisch. „Wir müssen dich für den Kindergarten fertig machen.“ Es war kühl im Haus. Während sie um die Wette in Richtung Bad liefen, legte sie kurz ihre Hand auf einen der Heizkörper. Kalt … das hieß, es gab auch kaum warmes Wasser.

Nachdem sie Jack angezogen hatte, versuchte sie die Zentralheizung wieder in Gang zu bringen, aber vergeblich. Offenbar war es diesmal ein Job für einen Fachmann. Was das kosten mochte, darüber wollte sie lieber gar nicht nachdenken. Außerdem lief ihr die Zeit davon. Sie schaffte es gerade noch, ihr langes blondes Haar in einem Knoten zu bändigen, eine Scheibe Toast zu essen und dabei die Morgenpost zu sichten. Rechnungen, Rechnungen und nochmals Rechnungen … wie gewöhnlich. Das Reihenhaus, das sie und Jack bewohnten, war nicht nur ziemlich klein, sondern kostete auch noch ein Vermögen an Unterhalt.

Momentan jobbte Charlie als eine Art Springer für die Zeitarbeitsagentur ihrer Freundin Karen, was den Vorteil hatte, dass sie als alleinerziehende Mutter leichter eine Auszeit nehmen konnte, falls es notwendig sein sollte.

Ihre augenblickliche Anstellung als persönliche Assistentin eines Doktors der Psychologie, der gleichzeitig auch Bestsellerautor war, erwies sich als ihr bisher lukrativster Job. Trotzdem kam sie mit ihrem Verdienst kaum hin, und am Ende des Monats blieb nichts übrig für irgendeinen Luxus, geschweige denn für eine Heizungsreparatur.

Aber das würde sie schon irgendwie regeln. Bisher war es ihr jedenfalls immer gelungen.

Es war ein feuchtnebliger Septembermorgen, und Charlies kleines Auto hustete und spuckte, ehe es widerwillig zum Leben erwachte. Doch dann schob Jack eine CD ein, und sie sangen lauthals die alten Liebesschnulzen mit, während sich der Wagen durch den Berufsverkehr quälte.

Zwanzig Minuten später setzte Charlie ihren Sohn sicher in der Vorschule ab. Und während sie sich immer noch mitsummend auf den Weg nach Oxford machte, hob sich langsam ihre Laune. Okay, das Date gestern war wirklich ein Reinfall gewesen und die Rechnungen in der Post ebenso unerfreulich wie die defekte Heizung, aber sie hatte den besten Sohn der Welt und arbeitete momentan für einen ausgesprochen attraktiven, sexy Boss. Allein an Marco Delmari zu denken, ließ ihr Herz bereits höher schlagen.

Von der ersten Sekunde an hatte sich Charlie zu ihrem umwerfend attraktiven Arbeitgeber hingezogen gefühlt, doch ihr Sinn fürs Praktische riet ihr, keinen unsinnigen Gedanken in diese Richtung zu verschwenden. Dafür war ihr Job viel zu gut, außerdem musste sie Prioritäten setzen … es ging um Jack, um sie und … basta!

Davon abgesehen bevorzugte Marco auch einen ganz anderen Frauentyp – weltgewandte, glamouröse Frauen mit perfekten Modelmaßen.

Davon war Charlie weit entfernt, obwohl sie schönes Haar, eine reine Haut und große grüne Augen hatte. Die kamen leider durch die Brille, die sie während der Arbeit am Bildschirm tragen musste, nicht richtig zur Geltung.

Und sie hatte ihren Stolz. Nicht mit einem Wimpernschlag tat sie kund, dass sie ihren Boss wahnsinnig attraktiv fand. Stattdessen verhielt sie sich absolut professionell und machte sich nahezu unentbehrlich, sodass Marco ihr Lob in höchsten Tönen sang und seiner Sekretärin immer wieder versicherte, dass er einfach hingerissen davon war, wie geschickt sie sein Bürosystem und seinen Terminkalender rationalisiert habe. Die Folge war, dass sie in den wenigen Monaten ihrer Zusammenarbeit ein ausgesprochen entspanntes Verhältnis zueinander aufgebaut hatten.

Charlie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Marco sollte heute Morgen in London ein Radiointerview geben. Wahrscheinlich war er längst unterwegs, ehe sie im Büro war. Trotzdem wählte sie kurz entschlossen eine holperige, kurvenreiche Abkürzung und erreichte das imposante Anwesen ihres Chefs, am Rande von Oxford, zehn Minuten früher als gewohnt.

Als sie Marcos Wagen vor dem roten Backsteingebäude im georgianischen Stil stehen sah, klopfte ihr Herz unversehens etwas schneller. Kurz darauf lief sie, mit dem Aktenkoffer unterm Arm, beschwingt die Steintreppe zur Haustür hoch und öffnete sie. In der großzügigen Eingangshalle wurden ihre Fußtritte von den dicken Persianerteppichen geschluckt. Das Haus war ein echter Traum. Die großen, hellen Räume … eine Symphonie in sanften Goldgelb- und Cremetönen, ausgestattet mit kostbaren Antiquitäten, die aus der Epoche stammten, in denen das Haus gebaut wurde.

Doch heute hatte Charlie wenig Sinn für das beeindruckende Ambiente. „Guten Morgen, Marco“, brachte sie etwas atemlos hervor, als sie nach einem kurzen Sprint das Büro betrat und die Tasche auf ihrem Schreibtisch ablegte. „Wundervoller Tag heute, nicht wahr?“

Er stand mit dem Rücken zu ihr und schaute aus dem Fenster. „Ja, wundervoll …“ Marco Delmari wandte sich um, und wie immer lief Charlie unter dem aufmerksamen Blick aus seinen dunklen Augen ein wohliger Schauer über den Rücken.

Okay, inzwischen war sie absolut entspannt in seiner Nähe, aber doch nicht so übertrieben, dass sie nicht wahrnahm, wie unglaublich sexy ihr Boss war – eben der typische Italiener mit diesem brütenden, heißen Blick, der alles bedeuten konnte …

Charlie erinnerte sich an das erste Mal, als sie Marco Delmari auf dem Bildschirm gesehen hatte. Dunkles Haar, das im Nacken bis zum Hemdkragen reichte, ein markantes Gesicht, der gut geschnittene Mund, das feste Kinn … auf keinen Fall, wie man sich einen Doktor der Psychologie vorstellte. Außerdem viel zu jung. Er wirkte eher wie ein Filmstar. Und doch hätte sie wetten können, dass Marco sich seines Äußeren und der Wirkung auf Frauen überhaupt nicht bewusst war.

Vom ersten Tag ihrer Anstellung an wusste Charlie, dass es nur eines für ihn gab, und das war seine Arbeit. Deshalb unterhielt er neben seinem Büro zu Hause auch noch eines in Londons City.

Natürlich hatte er Freundinnen … ausnahmslos hyperattraktiv und verrückt nach ihm. Sie kamen und gingen. Und angesichts seiner Gleichgültigkeit gegenüber ihren schmachtenden Blicken wusste Marco sicher nicht, wie viele Herzen er mit seinem nachlässigen Killercharme bereits gebrochen hatte.

Jetzt lächelte er seiner Sekretärin zu, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung.

„Na, wie war Ihr Date gestern Abend?“

Seine unerwartete Frage brachte Charlie aus dem Gleichgewicht. Erst langsam dämmerte ihr, dass sie ihm selbst davon erzählt hatte.

„Ganz okay“, behauptete sie in leichtem Ton, wich seinem intensiven Blick aber vorsichtshalber aus. Sie hasste es, zu lügen, doch die Wahrheit war viel zu deprimierend, um sie auch noch mit jemand teilen zu wollen. „Müssen Sie sich nicht langsam auf den Weg nach London machen?“, wechselte sie geschickt das Thema und warf einen beziehungsvollen Blick auf ihre Uhr. Marco sollte beim BBC Promotion für sein neu erschienenes Buch machen – eine analytische Studie über die These, dass Liebe nicht das wichtigste Kriterium für eine Partnerschaft sei. „Es ist Freitagmorgen, und der Berufsverkehr in London ist einfach mörderisch.“

„Ich weiß, aber ich warte noch auf Sarah. Sie will mich begleiten und unterwegs noch ein paar Fragen mit mir durchgehen, von denen sie glaubt, dass man sie mir stellen könnte.“

„Oh, ich verstehe …“ Charlie schaltete ihren PC an und starrte konzentriert auf den noch dunklen Bildschirm. Sarah Heart war Marcos Agentin und Pressesprecherin, eine extrem agile, ehrgeizige Frau mit einem nicht zu erschütternden Selbstbewusstsein. Charlie fand sie nervtötend, aber sie war gut in ihrem Job, und nur das zählte schließlich, nicht wahr?

„Ich weiß nicht, wo sie so lange bleibt, aber wenn sie in den nächsten fünf Minuten nicht auftaucht, muss ich ohne sie fahren“, brummte Marco, wandte sich ab und starrte wieder aus dem Fenster auf die breite Auffahrt.

„Soll ich versuchen, sie per Handy oder Mail zu erreichen?“

„Habe ich längst probiert“, kam es knapp zurück. „Ich bekomme nur ihren Auftragsdienst.“

„Vielleicht steckt sie irgendwo im Stau.“

„Möglicherweise.“

Charlie runzelte die Stirn über die ungewohnte Einsilbigkeit ihres Bosses. Ob es an dem Interviewtermin lag? Merkwürdig. Normalerweise war er durch derartige Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe zu bringen. Marco hatte kein Problem mit den Medien. Er war stets charmant, sprach grundsätzlich frei, gab sich amüsant und unterhaltend.

Und genau deshalb war er sehr gefragt in Funk und Fernsehen und auf diesem Sektor fast so etwas wie eine Berühmtheit geworden. Auch intellektuell beeindruckte er sein Publikum, und seine Bücher landeten regelmäßig in den Bestsellerlisten.

Wobei Charlie insgeheim die These vertrat, dass Marco Delmari hauptsächlich deshalb oben auf der Sympathiewelle schwamm, weil er so faszinierend und sexy war, dass es selbst auf ein so trockenes Thema wie Psychologie abfärbte.

Sie unterdrückte ein Seufzen, fischte ihre Lesebrille aus dem Aktenkoffer und setzte sie auf.

„Dann hat also dieser Dreamboy Ihren Erwartungen tatsächlich entsprochen?“

Die Frage kam unerwartet und war so persönlich, dass Charlie spürte, wie sie rot wurde.

„Nun …“ Sie brach ab, als Marco sich erneut umwandte und sie scharf musterte. Charlies Gesicht brannte vor Verlegenheit. Hätte sie Marco nur nie von dieser verflixten Verabredung erzählt! Und vor allem nicht, dass es sich dabei um ein Internet-Date handelte. Sobald die Worte heraus waren, hatte sie der Anflug von Widerwillen in seinen dunklen Augen auch noch dazu aufgestachelt zu behaupten, das sei heutzutage durchaus „in“. Jeder täte so etwas, und der infrage kommende Mann sei ausgesprochen nett und charmant … sogar mehr als das – ein absoluter Dreamboy!

„Nun?“, drängte Marco.

„Er war ganz okay.“

„Wie schön für Sie, ich habe mir nämlich ein wenig Sorgen gemacht.“

Charlie schluckte. „Tatsächlich?“

„Ja, sich mit einem völlig Fremden zu treffen, birgt immerhin ein ziemliches Risiko.“

„Hmm …“ Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus. Es war so lange her, dass sich irgendjemand Gedanken um ihr Wohlbefinden gemacht hatte. „Aber ich war sehr vorsichtig und habe mich extra in einem gut besuchten Restaurant mit ihm verabredet. Und ich habe keinerlei persönliche Daten preisgegeben.“

„Gut, dann freut es mich, dass Sie einen schönen Abend hatten.“

„So schön dann auch wieder nicht“, gestand Charlie zögerlich. „Ehrlich gesagt, gab es zwischen uns absolut keine Gemeinsamkeiten.“

„Oh!“ Marco hob eine dunkle Braue. „Dann wird es kein zweites Rendezvous geben?“

Charlie schüttelte den Kopf und beschloss spontan, die Wahrheit zu sagen. „Es war schon schlimm genug, diesen Abend zu überstehen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn vor dem Restaurant zu verabschieden.“

Jetzt war Marco offensichtlich amüsiert. „Na, eine echte Chance, sich zu beweisen, haben Sie ihm dann aber nicht gegeben?“, neckte er sie. „Allerdings finde ich auch, dass es besser ist, offen zu sein, wenn man herausfindet, dass man nicht zusammenpasst.“

„Das wusste ich bereits nach einer Minute“, platzte Charlie gegen ihren Willen heraus.

Marco lachte. „Sie wollen sagen, Sie haben sich nicht auf den ersten Blick von ihm angezogen gefühlt? Aber das ist etwas völlig anderes. Ich …“

„Ich kenne Ihre professionelle Meinung zu diesem Thema, Marco“, unterbrach sie ihn rasch. „Und bis zu einem gewissen Punkt gebe ich Ihnen auch recht. Möglicherweise kann Liebe tatsächlich erst im Verlauf einer Beziehung entstehen, aber nicht, wenn die Chemie schon zu Beginn nicht stimmt.“

„Die Chemie ist ein sehr zweischneidiges Schwert“, erklärte er in diesem bedächtigen Ton, der Charlie jedes Mal zur Weißglut trieb. Wie kann ein Mann nur so kalt und emotionslos über das größte aller Gefühle reden, dachte sie frustriert? „Manchmal lenkt sie einfach von der Wahrheit ab und verschleiert die Tatsache, dass man absolut nicht zusammenpasst“, dozierte er weiter.

„Trotzdem muss sie zu Beginn vorhanden sein, sonst … sonst läuft gar nichts“, widersprach Charlie trotzig.

„Nicht unbedingt.“

„Doch!“ Fast hätte sie auch noch mit dem Fuß aufgestampft, so sehr erregte sie sein unbeteiligter Ton. „Ich meine … wenn Sie jemand treffen, der Sie einfach umhaut, dann wissen Sie doch sofort, ob er … oder sie die Richtige ist.“

Marco lächelte. Es war ein nettes, aber ziemlich nachsichtiges Lächeln und ließ goldbraune Pünktchen in seinen dunklen Augen aufleuchten. „Nein, Sie wissen, dass Sie sich beide im Bett ausgezeichnet amüsieren würden“, korrigierte er sanft. „Aber das ist etwas ganz anderes.“

Charlie spürte heiße Röte in ihr Gesicht steigen und fragte sich, wie sie auf dieses verfängliche Thema gekommen waren. Bisher hatte sie sich peinlichst darum bemüht, ihre Gespräche mit Marco auf einer rein sachlichen Ebene zu halten.

„Trotzdem haben Sie nicht ganz unrecht“, plauderte ihr Boss munter weiter. „Sexuelle Anziehung und Begehren sind wichtige Bestandteile einer gut funktionierenden Beziehung.“

Wann hatte sie das denn behauptet? Wenn nur sein italienischer Akzent nicht so sexy wäre … oder die Art, wie er sie aus diesen wundervollen Augen ansah. Unwillkürlich fragte Charlie sich, wie es wohl wäre, mit Marco ins Bett zu gehen. Diese schockierende Fantasie trieb noch dunklere Röte in ihre Wangen und erregte sie gleichzeitig derart, dass ihre Knie zu zittern begannen. Bestimmt war er ein fantastischer Liebhaber …

„Aber so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht“, schloss Marco in nüchternem Ton. „Wenn es das war, worauf Sie hinauswollten.“

Sie brauchte ein paar Sekunden, um in die Realität zurückzufinden. „Ich glaube trotzdem daran. Meine Eltern haben sich auf den ersten Blick ineinander verliebt und sind jetzt seit über fünfunddreißig Jahren verheiratet.“

Marco schüttelte den Kopf. „Das war Lust auf den ersten Blick“, korrigierte er und lachte, als er den schockierten Gesichtsausdruck seiner Sekretärin sah. „Tut mir leid, Charlie, aber auch Ihre Eltern werden irgendwann auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt sein und müssen ziemlich hart daran gearbeitet haben, um eine Ehe so lange aufrechterhalten zu können.“

„Dennoch war es Liebe auf den ersten Blick“, beharrte sie standhaft und erntete dafür erneutes Kopfschütteln.

„Ich befürchte, Sie sind eine unheilbare Romantikerin.“

„Nein!“ Charlie wusste selbst nicht, warum sie so vehement gegen diese Einschätzung protestierte, denn sie war hoffnungslos romantisch, aber aus Marcos Mund hörte sich das irgendwie nach einem Makel an.

„Oh, doch, das sind Sie“, wiederholte er überraschend sanft. „Ganz tief in Ihrem Innern hoffen Sie darauf, eines Tages eine Beziehung zu haben wie Ihre Eltern … inklusive Liebe auf den ersten Blick.“

„Um mit Ihren Worten zu sprechen – ich halte also Ausschau nach jemandem, den es gar nicht gibt, wollen Sie sagen?“, konterte sie gereizt. „Als Nächstes werden Sie mich wohl noch auf Ihre Couch bitten, aber ich brauche keine Psychoanalyse, Marco. Ich hatte gestern Abend ein grauenhaftes Date, aber ansonsten geht es mir fantastisch!“

Ihr Boss lachte, und Charlie presste die Lippen zusammen. „Jetzt sollten Sie aber wirklich fahren, sonst verpassen Sie noch Ihr Interview.“

Marco lächelte immer noch in sich hinein, während er seine verärgerte Sekretärin betrachtete. Von der ersten Sekunde, als sie dieses Büro betreten hatte, war er von ihr fasziniert gewesen. Und zugleich hatte sie ihn irritiert und neugierig gemacht. Vielleicht lag es an ihrer Art, wie sie diese unsichtbare Schranke zwischen ihnen aufrechterhielt und ihm in all den Monaten nicht erlaubte, einen Blick hinter ihre höflich verbindliche Fassade zu werfen.

Gut, nach ein paar Wochen waren sie weniger steif miteinander umgegangen als zu Beginn, und besonders, wenn er sie nach ihrem Sohn fragte, zeigten sich echte Gefühlsregungen auf Charlies fein geschnittenem Gesicht. Die schönen grünen Augen begannen regelrecht zu funkeln, und in ihrer Stimme lag ein warmer Ton, der ihm unter die Haut ging.

Aber was er besonders an seiner Sekretärin schätzte, war ihre Zurückhaltung. Und ihr Organisationstalent. Marco liebte es, einen ruhigen, umsichtigen und vertrauenswürdigen Menschen um sich zu haben – jemand, der nicht emotional reagierte, sondern vom Verstand her.

Als sie sich jetzt von ihrem Schreibtisch erhob, um einen Ordner aus einem der Aktenschränke zu holen, folgte Marco ihr mit einem nachdenklichen Blick. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie verletzlich sie hinter ihrer demonstrativ zur Schau getragenen Selbstsicherheit wirkte. Und er wäre kein Mann, wenn dieser Eindruck nicht seinen Beschützerinstinkt geweckt hätte.

Seine Aufmerksamkeit verlagerte sich, als Charlie sich reckte, um an das oberste Bord zu kommen. Für einen Sekundenbruchteil erhaschte er einen Blick auf eine aufregend schmale Taille, die sie sonst unter formlosen, hüftlangen Kostümjacken versteckte. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum Charlie so hartnäckig mit ihren versteckten Reizen geizte. Dabei könnte sie …

Verärgert über seine ausschweifenden Fantasien riss Marco sich zusammen und schaute auf seine Armbanduhr. Es gab ganz andere, wichtigere Sachen, um die er sich schnellstens kümmern musste.

„Sieht so aus, als schafft Sarah es nicht mehr“, stellte er verstimmt fest.

„Soll sie ins Studio nachkommen, falls sie noch hier auftaucht?“, wollte Charlie wissen, ihre Aufmerksamkeit bereits wieder auf den Bildschirm richtend, als wolle sie Marco so schnell wie möglich aus ihrer Peripherie ausschalten.

„Nein, weil nämlich Sie an ihrer Stelle mitkommen“, entschied Marco spontan.

Charlie schaute überrascht auf. „Aber ich muss doch die Daten für die Katalogisierung recherchieren und …“

„Das kann warten. Kommen Sie schon, wir müssen uns beeilen. Ich brauche Sie als Chauffeur, da ich mir unterwegs noch meine Notizen durchlesen muss.“

Widerstrebend setzte Charlie ihre Brille ab, verstaute sie umständlich im Aktenkoffer, schaltete den Computer aus und folgte ihrem Boss die Treppe hinunter. Seit der unglücklichen Diskussion über ihr Liebesleben fühlte sie sich ihm gegenüber seltsam unbehaglich und irgendwie … schutzlos. So, als habe er die Barrieren, die sie mühsam um sich errichtet hatte, mit einem einzigen Handstreich eingerissen.

2. KAPITEL

Charlie musste praktisch rennen, um mit Marco Schritt halten zu können. Umständlich suchte sie nach den Wagenschlüsseln und steuerte dann auf ihr Auto zu.

„Was haben Sie denn vor?“

Als sie aufschaute, sah sie Marco neben seinem roten Sportwagen stehen. „Sollte ich nicht fahren?“

„Natürlich, aber mit dem hier!“

Zweifelnd betrachtete Charlie den brandneuen Flitzer. „Ich würde lieber meinen nehmen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Hält der überhaupt bis London?“

„Immerhin bringt er mich jeden Morgen zuverlässig hierher.“

Marco zuckte nachlässig die breiten Schultern. „Gut, dann also los.“

Fast hätte Charlie aufgelacht, als sie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Marco sich bemühte, seine langen Gliedmaßen in ihrem kleinen Vehikel zu verstauen. Während sie versuchte, den Motor zu starten, schob er den Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten. Wie gewöhnlich sprang der Wagen nicht gleich beim ersten Versuch an.

„Ist schon okay“, beruhigte sie ihren Boss. „Das versucht er immer mit mir.“

Bei der dritten Umdrehung klappte es endlich, und in der nächsten Sekunde war der Wagen von romantischen Klängen erfüllt. Nach den ersten Takten von Love and Marriage, interpretiert von Frank Sinatra, gelang es Charlie endlich, an den CD-Player zu kommen.

„Tut mir leid …“, versuchte sie mit viel zu lauter Stimme den Schmachtfetzen zu übertönen, bis sie merkte, dass die Musik aus dem Radio kam.

„Das war Frank Sinatras Meinung zum Thema Liebe und Heirat“, erklärte der Rundfunksprecher heiter. „Doch gleich werden wir Gelegenheit haben, mit dem bekannten Psychologen und Autor, Dr. Marco Delmari, über sein neues Buch zu reden und ihn zu seiner These befragen, warum die Liebe sich in einer Ehe auch als hinderlich erweisen kann, wenn man sie als oberste Priorität betrachtet.“

„Ich dachte, es sei der CD-Player“, murmelte Charlie entschuldigend, während sie den Sender leiser stellte. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass Marco das Cover zu ihrer Love-Songs-CD in Händen hielt und aufmerksam die Liste der Titel studierte.

„Und Sie wollten mir vormachen, keine Romantikerin zu sein?“

„Ich höre genauso gerne Klassik und verfüge über eine beachtliche Sammlung von Rock-Alben“, verteidigte sich Charlie.

Marco lächelte. „Wie interessant. Ich würde Sie wirklich gerne mal als Rocklady sehen. Tragen Sie dann Leder und fahren Motorrad?“

„Natürlich!“, log sie dreist. „Versuchen Sie immer noch, mich zu analysieren?“

Er lachte. „Das ist doch mein Job, aber nebenbei … es ist absolut nichts Ehrenrühriges dabei, ein wenig romantisch zu sein.“

„Das sehen Sie in Ihrem Buch aber ganz anders“, erinnerte Charlie ihn.

„Da geht es um Menschen, die sich auf einer Romantikwelle fern jeder Realität treiben lassen. Sie halten stimulierende Gefühle für Liebe, obgleich es sich eindeutig um Lust handelt, was auch absolut akzeptabel innerhalb einer zeitlich begrenzten Affäre ist, aber auf Dauer nicht trägt. Eine echte Beziehung braucht ein stabileres Fundament. Deshalb darf …“

„… Liebe nie der allein entscheidende Grund für eine Eheschließung sein.“

„Ah, Sie haben es also gelesen?“

„Natürlich, ich habe mir eine Kopie vom Manuskript besorgt, bevor ich angefangen habe, für Sie zu arbeiten.“

„Als einen Leitfaden für Internet-Dates?“

„Nein, als Recherche über meinen zukünftigen Arbeitgeber“, gab sie spröde zurück. „Übrigens, das war gestern mein erster Versuch, jemand übers Internet kennenzulernen.“

„Werden Sie noch weitere Versuche starten?“

„Wenn Sie mich das gestern Abend auf dem Heimweg gefragt hätten, wäre die Antwort ein klares Nein gewesen, aber …“ Sie machte eine nachdenkliche Pause. „Ich denke, so etwas wie gestern könnte einem auch unter konventionelleren Umständen passieren.“

„Dann wollen Sie also ein weiteres Date riskieren?“

„Vielleicht.“

„Aber nicht mit dem Dreamboy?“

Charlie lachte und schüttelte sich. „Auf gar keinen Fall!“

Marco lehnte sich vor und stellte das Radio aus. „Wie funktioniert das eigentlich im Internet?“, wollte er wissen. „Sieht man Fotos von den Leuten, die man treffen will?“

„Ja, was aber nicht immer hilfreich sein muss. Wenn mein Dreamboy wirklich selbst auf dem Foto war, muss es mehr als zwanzig Jahre alt gewesen sein.“ Sie warf Marco einen forschenden Seitenblick zu. „Warum interessiert Sie das so? Haben Sie etwa selbst vor …?“

„Nicht in dieser Woche …“, fuhr er ihr sarkastisch in die Parade, und Charlotte wünschte, sie hätte sich den albernen Witz verkniffen. Natürlich hatte Marco Delmari es nicht nötig, im Internet nach einer Frau Ausschau zu halten, außer, es ging um ein Experiment für eines seiner Bücher.

Aber für jemand wie sie, der so gut wie nie ausging, war es eigentlich ganz praktisch – teils, weil es ebenso schwierig wie kostspielig war, einen Babysitter zu organisieren, teils weil sie ohnehin kein großes Faible für Bars und das Nachtleben hatte.

„Es geht doch nur um ein bisschen Spaß“, murmelte sie.

„Ist es das wirklich?“

„Ja, natürlich.“

„Dann sind Sie nicht an einer ernsthaften Liebesbeziehung interessiert?“

Die harmlose, nicht unfreundliche Frage löste eine seltsame Gefühlsregung in Charlie aus. Insgeheim vermisste sie schon die Intimität einer Zweierbeziehung – nicht nur den Sex, sondern Zärtlichkeit, Wärme, das Gefühl einer starken Schulter …

Nicht dass sie das bei ihrem Exmann je gehabt hätte! Nach gerade einmal zwölf Monaten Ehe war sie schwanger geworden. Und kurz darauf hatte Greg, der zunächst sogar Freude heuchelte, ganz plötzlich entschieden, dass eine Vaterschaft nichts für ihn sei. Damals lebten sie in einer Eigentumswohnung und hielten ständig Ausschau nach einem kleinen Haus mit Garten. Mehr kinderfreundlich hatte Greg es formuliert.

Ihr Traumhaus war schnell gefunden. Ein perfektes kleines Cottage in ländlicher Umgebung. Charlie war begeistert und voller Pläne für die Zukunft gewesen. Doch obwohl ihr Angebot vom Verkäufer akzeptiert wurde, platzte ihr schöner Traum wie eine Seifenblase. Denn sobald sie ihr Apartment verkauft hatten, verschwand Greg mit der Hälfte des Geldes auf Nimmerwiedersehen.

Für Charlie war es ein absoluter Schock. Sie hatte Greg geliebt und ihm uneingeschränkt vertraut. Nie hätte sie gedacht, dass er sie einfach so sitzen lassen könnte – und dann auch noch schwanger. Allein konnte sie das Cottage natürlich nicht bezahlen. Deshalb kaufte sie von ihrem Anteil das schlichte Reihenhaus, das Jack und sie jetzt bewohnten.

Also, was hatte es für einen Zweck, sich selbst zu belügen? Greg war nie wirklich für sie da gewesen – und für Jack schon gar nicht. Das schmerzte sie am allermeisten.

Energisch verbannte sie die trüben Gedanken in den Hinterkopf und konzentrierte sich auf Marcos Frage. „Ich glaube nicht, dass ich mit einer ernsthaften Beziehung momentan etwas anfangen könnte, doch wenn irgendwann in der Zukunft der Richtige meinen Weg kreuzen würde, wäre das sehr nett.“ Mit einer Hand klappte sie den Sonnenschutz runter, um nicht geblendet zu werden. „Manchmal denke ich auch, Jack bräuchte eigentlich einen Vater.“ Die Worte entschlüpften Charlotte gegen ihren Willen.

„Hat Jack keinen Kontakt zu seinem Vater?“

„Nein, nicht wirklich … außer ab und zu einem Anruf oder einer Geburtstagskarte.“ Sie schaute zur Seite in Marcos aufmerksames Gesicht und fühlte einen Stich im Herzen. Warum erzähle ich ihm das alles? fragte sie sich unwillig. Es ging ihn doch gar nichts an.

„Wie auch immer. Es ist kein großer Verlust. Und lieber gar keine Partnerschaft als eine schlechte.“

„Sehr weise.“

„Jetzt habe ich Sie die ganze Zeit von Ihrer Arbeit abgehalten“, warf Charlie sich vor. „Sie sollten schnell noch Ihre Notizen durchlesen.“

„Ja, das sollte ich wohl …“

Die nächsten Kilometer legten sie in tiefem Schweigen zurück. Während Marco in seinen Papieren blätterte, machte Charlie sich die bittersten Vorwürfe, dass sie sich auf ein derart persönliches Gespräch mit ihrem Boss eingelassen hatte. Sie mussten täglich auf einer professionellen Ebene zusammenarbeiten, und da waren zu tiefe Einblicke in die Privatsphäre des anderen nur hinderlich.

Plötzlich spürte sie, dass Marco sie von der Seite anschaute. Bildete sie sich nur ein, dass sein Blick mit mehr Interesse auf ihr ruhte als sonst? Mit gerunzelten Brauen schaute sie zu ihm hinüber.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht anstarren“, sagte er sofort. „Aber …“

Charlie war froh, dass genau in dieser Sekunde Marcos Handy klingelte.

„Hi, Sarah“, meldete er sich knapp. „Wo zum Teufel steckst du? … Tatsächlich? Nein, Charlie war so nett, mich zu fahren. In zwanzig Minuten sind wir da.“ Dann lauschte er eine Weile, ehe er ihr antwortete. „Ich glaube nicht, dass es Schwierigkeiten geben wird, weil alles gründlich recherchiert wurde. Die Fakten sprechen für sich.“

Trotz der klaren Aussage schien er irritiert oder beunruhigt zu sein. „Hmm, lass uns später darüber sprechen … okay?“ Damit war das Gespräch beendet.

„Probleme?“, fragte Charlie.

„Ja, und dieses Problem hat sogar einen Namen … Sarah“, gab er trocken zurück.

Das war zwar auch Charlies Meinung, trotzdem fragte sie sich neugierig, was seine Managerin Marco gesagt haben mochte, um ihn derart zu verstimmen. Normalerweise kamen die beiden gut miteinander aus … manchmal sogar zu gut, wie es ihr schien. Oft genug musste sie mit ansehen, wie Sarah förmlich an Marcos Lippen hing und ihm kritiklos in jedem Punkt zustimmte, während sie mit ihren langen, künstlichen Wimpern klimperte. Kein Zweifel, dass die smarte Brünette es auf ihn abgesehen hatte, und Marco schien ihre übertriebene Anhänglichkeit bisher nicht zu stören.

Mittlerweile hatten sie die Autobahn verlassen, und Charlie folgte konzentriert den Hinweisschildern in Richtung Zentrum.

„Da vorn müssen Sie links ab“, sagte Marco kurz vor einer belebten Kreuzung.

„Was hat Sarah denn aufgehalten?“, wollte Charlie wissen.

„Krisenbewältigung. Offenbar ist eine ihrer prominenten Klientinnen bei Harrods in der Dessous-Abteilung auf die Geliebte ihres Mannes gestoßen und von der Polizei wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen worden.“

„Nicht zu fassen!“

Marco nickte. „Sarah musste sofort zur Polizeiwache und sie da rauspauken, ehe die Presse Wind davon bekommt.“

„Jedenfalls hat sie keine Langeweile in ihrem Job.“

„Das kann man wohl sagen. Erst gestern hat sie versucht, mich zum Heiraten zu überreden, oder wenigstens zu einer ernsthaften Beziehung.“ Charlie schaute schockiert zur Seite und hätte dabei fast eine rote Ampel überfahren. Gerade noch rechtzeitig stieg sie auf die Bremse. „Eine recht ungewöhnliche Marketingstrategie, oder?“

„Marketingstrategie?“, echote sie verblüfft.

„Ja, wie Sie wissen, erscheint mein Buch demnächst in den Staaten, und ich werde dort auf Promotiontour gehen müssen. Es hat bereits im Vorfeld ziemliches Aufsehen erregt, und meine Thesen werden in Zeitschriften und Talkshows ziemlich kontrovers diskutiert. Deshalb rechnet man damit, dass es sich recht schnell in den Bestsellerlisten etabliert.“

„Das hört sich doch fantastisch an. Aber ich verstehe nicht, was Sarahs Idee damit zu tun haben soll.“

„Sarah befürchtet, der Umstand, dass ich Junggeselle bin, könnte sich im konservativen Amerika negativ auf die Verkaufszahlen auswirken. Damit wäre der Spitzenplatz auf der Bestsellerliste gefährdet.“

„Das ist doch lächerlich! Es ist immerhin eine wissenschaftliche Abhandlung und kein aus persönlicher Sicht geschriebener Roman. Statistiken, Fallstudien und Rechercheergebnisse sprechen doch eine klare, unmissverständliche Sprache.“

„Genau, was ich Sarah gestern Abend zu erklären versucht habe. Trotzdem ist sie der Meinung, das Buch wäre wesentlich erfolgreicher, wenn ich eine intakte Beziehung hätte. Wir haben uns über diesen Punkt bisher nicht einigen können.“

„Sie ist wirklich unglaublich“, grummelte Charlie vor sich hin und bewunderte insgeheim Sarahs geschickten Schachzug. Keine Frage, dass sie natürlich sich selbst an der Seite des attraktiven Psychologen sah. „Absurd …“

„Tja …“ Marco hob die Schultern. „Andererseits würde es natürlich meine These untermauern, dass Liebe nicht das beste Entscheidungskriterium für eine funktionierende Partnerschaft ist, aber das habe ich ihr natürlich nicht gesagt!“, fügte er übermütig hinzu.

Charlie nickte zustimmend und stellte sich den enttäuschten Ausdruck auf Sarah Hearts Gesicht vor. Zweifellos war sie eine sehr attraktive Frau, allerdings mit so viel Wärme ausgestattet wie ein Eiszapfen. Eine nette Vorstellung, dass Sarah einmal nicht bekam, was sie sich wünschte …

„Parken Sie bitte den Wagen, Charlie?“, fragte Marco mit einem Blick auf seine Uhr, nachdem er sie geschickt zum Sender gelotst hatte. „Ich muss mich beeilen.“

„Soll ich hier draußen auf Sie warten?“

„Nein, gehen Sie rein und trinken Sie einen Kaffee. Ich werde Sie an der Rezeption anmelden.“

Charlie schaute ihm hinterher und kam nicht umhin zu bemerken, wie eine junge Frau, die offenbar ebenfalls zum Sender wollte, ihrem Boss einen begehrlichen Blick zuwarf. Da sie gleichzeitig vor dem Eingang standen, hielt Marco Delmari die große Glastür höflich auf, sagte irgendetwas, das der schmachtenden Schönheit ein perlendes Lachen entlockte, und dann waren beide im Inneren des Gebäudes verschwunden.

Kein Wunder, dass auch Marcos Agentin alles versucht, um ihn sich zu krallen, dachte Charlie grimmig und fuhr in Richtung Parkplatz davon. Dort stellte sie den Wagen ab, klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und lief zum Eingang zurück.

Davor hielt gerade ein Taxi, dem eine aufsehenerregende Brünette entstieg: zwei wohlgeformte, lange Beine in schwarzen Stiefeln mit mörderisch hohen Absätzen, ein langer schwarzer Kaschmirmantel über einem leuchtend roten Kleid, glänzendes, perfekt frisiertes Haar, frostig goldener Lidschatten über den dunklen Augen und feucht schimmernde korallenrote Lippen. Sarah Heart wirkte so glamourös und vital wie stets.

„Hallo, Sarah.“

„Hi.“ Die Angesprochene warf Charlie einen kurzen Blick zu, den man nur als missbilligend bezeichnen konnte, bevor sie sich wieder abwandte, um den Taxifahrer zu bezahlen.

„Ist es Ihnen gelungen, Ihre Klientin vor dem Knast zu retten?“, wollte Charlie wissen, als sie nebeneinander das Gebäude betraten.

„Ja, allerdings ist das eine sehr vertrauliche Angelegenheit, und ich frage mich, wie Marco dazu kommt, es Ihnen gegenüber zu erwähnen.“

„Wenn es tatsächlich so topsecret ist, hätten Sie es ihm vielleicht auch nicht erzählen sollen.“

Sarah zog es vor, diesen Einwurf zu ignorieren. „Marco ist schon oben?“ Charlie nickte. „Gut, dann gibt es für Sie keinen Grund, länger hier herumzuhängen, würde ich sagen.“

„Marco hat mich ausdrücklich gebeten, auf ihn zu warten“, entgegnete Charlie steif. Sarahs besitzergreifende Art ging ihr zunehmend auf die Nerven.

„Ich möchte Sie nur nicht unnötig von Ihrer Büroarbeit abhalten. Sicher haben Sie noch jede Menge … zu tippen oder abzulegen.“

Diese Anmaßung quittierte Charlie mit einem Lächeln und fragte sich insgeheim, ob Marcos Managerin diesen versnobten Tonfall täglich üben musste oder ob er ganz natürlich zu ihr gehörte. Dann trat sie an den Empfangstresen und vertiefte ihr Lächeln. „Ich bin mit Marco Delmari hier“, verriet sie der freundlichen Rezeptionistin.

Die nickte und senkte ihren Blick auf ein vor ihr liegendes Blatt. „Darf ich Ihren Namen wissen?“

„Sarah Heart“, trompetete Sarah und schob Charlie zur Seite, was ihr einen irritierten Blick der jungen Frau hinter dem Tresen eintrug.

„Heart … Entschuldigen Sie bitte, Miss Heart, aber Sie stehen leider nicht auf dieser Liste.“

„Pardon?“ Sarahs perfekt mattierte Gesichtsfarbe wechselte ins Dunkelrote. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, nahm Charlie ihren alten Platz wieder ein und beugte sich leicht vor.

„Charlotte Hopkirk, wenn Sie bitte noch mal schauen würden?“

„Oh ja, Miss Hopkirk … Sie habe ich hier stehen.“

„Gut, das hier ist Mr Delmaris Agentin. Würden Sie Miss Heart bitte in die Liste mit aufnehmen?“, bat sie freundlich.

Die junge Frau nickte. „Selbstverständlich. Ich nehme an, es ist okay, wenn sie in Ihrer Begleitung ist. Sie finden Mr Delmari im Gästeraum, wenn Sie dort drüben durch die Tür gehen.“

„Danke sehr.“

„Wofür um alles in der Welt bedanken Sie sich auch noch bei dieser inkompetenten Person?“, regte sich Sarah hinter ihr auf.

„Dass Ihr Name nicht auf der Liste stand, können Sie wohl kaum der jungen Frau anlasten“, wandte Charlie ein und bemühte sich, jeden Anflug von Genugtuung aus ihrer Stimme zu verbannen. „Glücklicherweise war ich ja da, und alles ist glattgegangen“, konnte sie sich dann doch nicht verkneifen und lächelte leise, als sie Sarahs Schnauben hörte.

Sie fanden Marco im Gespräch mit dem Sendeleiter. Als er Charlie sah, lächelte er ihr kurz zu, dann wandte er sich an seine Managerin. „Sarah, was für eine Überraschung! Du hättest dich nicht extra noch hierher bemühen müssen.“

„Ich wollte es aber. Tut mir leid, dass ich aufgehalten wurde, Marco …“

Fasziniert registrierte Charlie, wie ihre Stimme in Sekundenbruchteilen vom Zischen einer Schlange zum Schnurren eines Kätzchens – oder eher einer ausgewachsenen Raubkatze – mutieren konnte.

„Sarah Heart“, stellte sie sich mit einem spektakulären Augenaufschlag und ausgestreckter Hand dem Sendeleiter vor. „Marcos Agentin.“

„Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Heart.“

„Nennen Sie mich doch bitte Sarah …“

„Nun, Sarah, wir warten noch auf unseren Moderator Sam Richmond, der vorab ein paar Worte mit Mr Delmari wechseln möchte, dann geht es weiter ins Sendestudio.“

„Wie geht es Sam?“, fragte Sarah sofort animiert. „Es ist ein Weilchen her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe.“

„Sie sind befreundet?“

„Oh ja, Sam und ich kennen uns von früher.“

Vielleicht war er ja Ehemann Nummer zwei oder drei? überlegte Charlie. Wenn man dem Klatsch glauben durfte, war Sarah bereits vier Mal verheiratet und geschieden, was mit achtunddreißig ja noch nicht als endgültiger Stand gelten musste. Exmann Nummer vier war ein bekannter und sehr wohlhabender Fernsehmagnat gewesen. Seinen Kontakten und seiner Abfindung verdankte sie ihren Job.

Als der Moderator auftauchte, veranstaltete Sarah ein riesiges Begrüßungsspektakel, ehe sie ihn Marco vorstellte. Dabei kehrte sie Charlie halb den Rücken zu, aber Sam Richmond trat auf sie zu und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen.

„Ach ja …“, reagierte Sarah prompt. „Das ist Charlotte Hopkirk, Marcos …“

„Meine rechte Hand“, beendete Marco den Satz für sie. Dabei schaute er Charlie in die Augen, und etwas in seinem Blick ließ ihr einen wohligen Schauer über den Rücken rinnen.

Kurz darauf befand sie sich allein in dem Gästeraum, während Sarah die Männer ins Studio begleitete. Charlie bediente sich an der Kaffeemaschine, nahm in einem der bequemen Cocktailsessel Platz und wartete. Sie konnte die anderen durch die Glaswände hindurch zwar sehen, aber nicht hören, was sie sprachen. Dafür erfüllte leise Hintergrundmusik den Raum.

Irgendwann ertappte sie sich dabei, dass sie Marco beobachtete, während er mit dem Moderator sprach. Sie liebte den konzentrierten, aufrichtigen Gesichtsausdruck, wenn er anderen Menschen zuhörte, und das Grübchen in seiner Wange, wenn er lächelte. Als sie ihren Blick weiter schweifen ließ, wurde er von Sarah eingefangen, und Charlie wusste, dass sie beim Starren erwischt worden war.

Hastig senkte sie die Lider und fühlte sich unsinnigerweise regelrecht schuldig. Auf jeden Fall aber unbehaglich, obwohl sie nicht erklären konnte, warum.

Kurz darauf gesellte sich Sarah zu ihr. Charlie war gerade aufgestanden, um ihre Tasse nachzufüllen. „Bringen Sie mir eine Tasse mit, wenn Sie schon mal dabei sind. Weiß, ohne Zucker.“

Charlie tat, wie ihr geheißen, und reichte Sarah den Kaffee, wofür sie natürlich kein Wort des Dankes erntete. Was für eine Schnepfe, dachte sie verstimmt.

„So …“, begann Marcos Agentin, nachdem Charlie wieder Platz genommen hatte. „Dann verraten Sie mir doch mal, wie lange Sie bereits in Ihren Boss verknallt sind, meine Liebe.“

Diese unverschämt intime Frage brachte sie mit einer solchen Nonchalance hervor, dass Charlie zunächst glaubte, sich verhört zu haben. „Wovon um alles in der Welt reden Sie da überhaupt?“

„Ich denke, das wissen Sie sehr genau“, lautete die ungerührte Antwort.

„Ich weiß nur, dass Ihre Unterstellung absurd ist.“

„Ist sie das …?“, kam es gedehnt zurück. „In meinen Augen ist jeder blind, der nicht auf den ersten Blick erkennt, dass Sie ihn förmlich anbeten.“

Charlie war so empört, dass sie um Worte ringen musste. „Das … auf so etwas antworte ich nicht!“, stieß sie schließlich hervor.

„Sie wissen aber, dass Sie überhaupt nicht sein Typ sind?“, fuhr Sarah ungerührt fort. „Und dabei meine ich nicht, dass er sich nur für Frauen vom Typ Supermodel erwärmen kann, nein, ich rede von Ihrer romantischen Ader. Dafür ist er einfach zu pragmatisch. Tja, ich befürchte, Sie haben ein Problem …“

„Mein einziges Problem sind ehrlich gesagt allein Sie“, presste Charlie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und ich würde es vorziehen, wenn Sie Ihre unmaßgebliche Meinung in Zukunft für sich behalten könnten, meine Liebe.“

Sarah blinzelte kurz, dann lachte sie auf. Es klang alles andere als amüsiert.

In diesem Moment verebbte die Musik, und das Radiointerview begann. Charlie schloss die Augen und versuchte, sich auf das Gespräch im Studio zu konzentrieren, während ihr Sarahs ungeheuerliche Frage im Kopf herumging.

Wie lange sind Sie bereits in Ihren Boss verknallt …

3. KAPITEL

„Alles in Ordnung?“, unterbrach Marcos Stimme die lastende Stille während der Rückfahrt.

„Bestens“, behauptete Charlie und legte etwas heftiger als beabsichtigt einen höheren Gang ein. Das hässliche Geräusch, das die Kupplung daraufhin von sich gab, spiegelte exakt ihre innere Verfassung wider.

„Sie haben kaum ein Wort gesagt, seit wir den Sender verlassen haben“, versuchte ihr Boss es erneut.

Worüber hätte sie auch mit ihm sprechen sollen? Vielleicht über die hanebüchenen Verleumdungen seiner Agentin? Wenn einer in Marco Delmari verliebt war, dann doch wohl Sarah selbst! Regelrecht kriecherisch hatte sie sich nach dem Interview an seine Fersen geheftet … ihn für Samstag zum Essen in ihr Apartment gebeten! Eine Einladung, die er, ohne mit der Wimper zu zucken, akzeptierte. Den Triumph und die Verachtung in den Augen der anderen hatte natürlich nur Charlie gesehen und richtig interpretiert.

„Sie müssten doch inzwischen bemerkt haben, dass ich eher der ruhige Typ bin … Das Interview ist ja ganz gut gelaufen“, fügte sie schnell hinzu, als ihr auffiel, wie unhöflich sich ihre Bemerkung in seinen Ohren anhören musste.

Ich bin nicht in Marco verliebt, ganz egal, was Sarah Heart behauptet!

Ihr Boss runzelte die Stirn. „Ja, bis auf die Fragen nach meinem Liebesleben … aber die sind wohl nicht so relevant.“

Damit hatte er Charlies volle Aufmerksamkeit. „Natürlich nicht“, bestätigte sie schnell. „Doch leider sind die Zuhörer mindestens so sehr an dem Privatleben der Stars interessiert wie an deren Profession.“

„Sie reden schon genau wie Sarah.“

„Verzeihung!“ Auf keinen Fall wollte sie sich so anhören wie seine unsympathische Agentin!

„Schon okay. Wahrscheinlich hat sie in diesem einen Punkt sogar recht, wenn ich es mir genau überlege.“

„Nein, hat sie nicht!“, warf Charlie vehement ein.

Marco lächelte. „Vom akademischen Standpunkt aus gesehen natürlich nicht, aber schließlich zielt mein Buch ja nicht ausschließlich auf Geisteswissenschaftler ab. Es ist an die breite Masse gerichtet, und Sarah ist eben in erster Linie Geschäftsfrau. Sie weiß, wie der Markt arbeitet, wie man mit den Medien umgeht und wie man sich am besten verkauft …“

Am liebsten hätte Charlie ihn berichtigt und erklärt, dass seine Agentin dabei in erster Linie ihr eigenes Wohl im Auge hatte, indem sie ihn bereits als Ehemann Nummer fünf anvisierte, aber mit einiger Anstrengung gelang es ihr, sich zurückzuhalten.

„Sie denken doch hoffentlich nicht ernsthaft über ihren Vorschlag nach, aus Gründen der Popularität eine … eine Pseudobeziehung einzugehen?“

„So richtig überzeugt bin ich tatsächlich nicht von dieser Idee, allerdings … in der momentanen Situation eine Partnerin an meiner Seite zu haben, wäre sicher auch kein Nachteil. Voraussetzung wäre natürlich die gleiche Wellenlänge …“

„Sie meinen jemand, der sich auf keinen Fall in Sie verliebt und womöglich noch an den Hals wirft?“, entfuhr es ihr wider Willen.

„Nein, ich meine jemanden, der meine Überzeugungen teilt“, korrigierte er sie sanft. „Wie auch immer, da mein Buch in wenigen Wochen erscheint, bleibt mir kaum Zeit, eine passende Kandidatin zu finden.“

Charlie lachte spröde. „Oh, ich bin sicher, das dürfte kein Problem sein.“ Zum Beispiel Miss Sarah Heart! fügte sie im Stillen hinzu.

Ihr scharfer Ton hatte Marco aufhorchen lassen. „Die Vorstellung einer Zweckverbindung widerspricht Ihrem ausgeprägten Sinn für Romantik, nicht wahr?“

„In erster Linie bezweifele ich einfach, dass eine derartige Verbindung Aussicht auf Bestand hat.“

„Ich nicht“, gab er ruhig zurück. „Immerhin entspricht das meiner These, die ich durch etliche Fallstudien belegt habe. Im Grunde genommen …“

„Seltsam, ich dachte immer, alle Italiener seien leidenschaftlich, impulsiv und geradezu unheilbar romantisch“, unterbrach Charlie sehr impulsiv. „Aber Sie entsprechen ja auch sonst nicht dem allgemein herrschenden Klischee, oder?“

Marco maß seine Sekretärin mit einem forschenden Seitenblick. „Woraus schließen Sie das?“, fragte er gedehnt, und Charlie meinte, einen Anflug von Amüsement in seiner dunklen Stimme zu hören. „Sich auf jemanden impulsiv, leidenschaftlich und lustvoll einzulassen ist eine Sache … daraus eine lebenslange Beziehung zu machen, eine ganz andere.“

„Ich … ja, offensichtlich …“, murmelte Charlie und wünschte, sie hätte den Mund gehalten. „Ich wollte nur auf die romantische Seite einer Beziehung anspielen. Wenn man sich nämlich liebt, ergibt sich dieser Aspekt so sicher, wie der Tag auf die Nacht folgt.“

Marco lächelte nachsichtig. „Nette Theorie, nur leider nicht wahr. Viel zu häufig ist Liebe nicht mehr als eine Illusion, ein Moment gefühlsmäßiger Verzückung, dem sehr schnell die Realität folgt.“

„Also glauben Sie gar nicht an die Liebe“, stellte Charlie resigniert fest.

„Definieren Sie Liebe, müsste ich jetzt vielleicht sagen“, kam es trocken zurück. „Zu lieben und Liebe zu machen, wird viel zu häufig verwechselt. Gegen wilde Nächte voller Leidenschaft ist nichts einzuwenden, aber Versprechen für ein ganzes Leben sollten besser vom Verstand als vom Herz diktiert werden.“

„Das hört sich für mich sehr zynisch an.“

„Ich bin eben Realist, Charlie. Es mag ja sein, dass meine Theorie für Menschen wie Sie nicht zutrifft.“

„Menschen wie mich …?“ Da sie an ihrem Ziel angelangt waren, machte Charlie den Motor aus und wandte sich Marco zu. „Was meinen Sie damit?“

„Nun, wie ich schon sagte … Sie sind offenkundig unheilbar romantisch.“

„Ich wünschte, Sie würden damit aufhören“, murrte sie mit einem vernichtenden Blick, der ihn zum Lachen reizte.

„Tut mir leid, Miss Hopkirk, aber das ist meine professionelle Diagnose, und ich befürchte, es besteht nicht die geringste Aussicht auf Heilung.“

Leider war Charlie völlig immun für seinen hintergründigen Humor. „Da irren Sie sich aber gewaltig“, entgegnete sie brüsk. „Ich bin schon vor langer Zeit von meiner … Verblendung würden Sie es wohl nennen, geheilt worden. Und zwar durch eine echte Rosskur. Jetzt bin ich geschieden und alleinerziehende Mutter. Da bleibt wenig Sinn für Romantik, das können Sie mir glauben!“

Marco hob die Hände in spielerischer Abwehr. „Hey, ich habe doch nur einen Scherz gemacht.“

„Nein, das haben Sie nicht. Sie waren unsensibel und herablassend“, belehrte sie ihn steif. „Ja, ich liebe Rosen, honigsüße Worte und Mondschein … aber ich bin nicht so naiv und dumm, mich nur deswegen in jemanden zu verlieben. Wenn ich noch mal nach einem Heiratskandidaten Ausschau halten sollte, dann mit sehr viel mehr Sinn für Realismus, das können Sie mir glauben!“

„Tatsächlich?“ Marco betrachtete seine aufgebrachte Assistentin mit ganz neuen Augen. Sein ehrlich interessierter Ton brachte Charlie auf den Boden zurück, und sie spürte, wie sie errötete. Was hatte sie nur dazu getrieben, sich ihrem Boss gegenüber derartig auszulassen?

Wahrscheinlich war es immer noch Sarahs unglückliche Bemerkung, die ihr in den Knochen steckte. Oder der Gedanke, dass Marco sie für eine weltfremde Träumerin hielt, die man nicht ernst nehmen konnte.

„Natürlich wünsche ich mir in erster Linie etwas Solides, Dauerhaftes“, fuhr sie betont gelassen fort. „Tut mir leid, Sie in Ihrer Einschätzung enttäuschen zu müssen. Aber ich mache nie denselben Fehler zweimal. Ich habe meine Lektion gelernt.“

„Dann würden Sie inzwischen also auch eine ernsthafte Partnerschaft in Betracht ziehen, wenn die äußeren Gegebenheiten eher auf Vernunft als auf Liebe beruhten?“, vergewisserte Marco sich.

„Was für äußere Gegebenheiten?“, fragte Charlie mit gerunzelter Stirn.

„Heirat als eine Art geschäftlicher Vertrag. Man legt vorher fest, was man einbringt, und was man zu erwarten hat.“ Marco sah, wie sich die Röte auf Charlies Wangen vertiefte und lächelte. „Sehen Sie … das klingt Ihnen dann doch zu klinisch, wahrscheinlich sogar geschmacklos.“

„Nein! Wenn ich mit den Gegebenheiten einverstanden wäre, könnte ich mir eine derartige Beziehung durchaus vorstellen“, behauptete Charlie, entschlossen, sich den eben gewonnenen Boden nicht wieder entziehen zu lassen. Sie war keine Träumerin! Sie stand mit beiden Beinen im Leben, bewies sie das nicht bereits seit Jahren?

„Ich glaube Ihnen nicht. Sie sind viel zu weich und emotional, um mit einem derartigen Arrangement glücklich zu werden.“

„Ach, und worauf stützen Sie dieses Vorurteil?“, empörte sich Charlie. „Allein auf den Umstand, dass ich ab und zu romantische Musik höre?“

„Nein, sondern darauf, was Sie mir über sich selbst und Ihre Eltern erzählt haben … über deren Heirat … und über Ihr gestriges Date.“

„Sie wissen gar nichts über mich“, entschied Charlie. „Aber denken Sie doch, was Sie wollen! Lassen Sie uns den Unsinn vergessen und zurück an die Arbeit gehen.“ Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus, aber Marco fing sie auf halbem Weg ein. Dabei kam er ihr so nah, dass sie seinen Atem an ihrer Wange spürte.

„Also, wonach suchen Sie genau in Ihrer nächsten Partnerschaft?“

Seine direkte Frage erschütterte Charlie mindestens so sehr wie seine beunruhigende Nähe. Wie hypnotisiert starrte sie auf Marcos Hand, die ihre Finger warm und fest umschlossen hielt.

„Darüber habe ich noch nicht im Einzelnen nachgedacht“, murmelte sie. „Ich … ich meinte das Ganze eher hypothetisch.“

Marco lachte und ließ sie los. „Versuchen Sie nie, ernsthaft zu pokern, Charlie“, riet er ihr mit einem Augenzwinkern. „Sie würden verlieren.“

Das war zu viel! „Okay, wenn Sie es unbedingt wissen wollen … in erster Linie lege ich Wert auf Kameradschaft!“, stieß sie wild hervor.

„Kameradschaft?“ Machte sie sich jetzt über ihn lustig, oder war das ihr Ernst? Charlie begegnete standhaft dem Zweifel in seinen dunklen Augen.

„Was ist? Klingt Ihnen das zu praktisch?“

„Wir reden hier nicht über mich, sondern darüber, was Sie sich wünschen.“

Im Moment wünschte Charlie sich nur, er würde sie nicht so … beunruhigend intensiv anschauen. Natürlich würde ihr Kameradschaft allein auf die Dauer nicht genügen. Sie wollte Liebe … tief und leidenschaftlich … nichts anderes kam für sie infrage. Warum hatte sie nur begonnen zu lügen?

„Selbstverständlich müsste er auch ein Herz für Kinder haben und gut zu Jack sein“, fuhr sie mit abgewandtem Blick fort. Das zumindest entsprach der Wahrheit.

„Das ist klar.“

„Wie Sie es in Ihrem Buch schreiben – es ist wichtig, sich durch seine Gefühle nicht den Blick auf die Realität zu versperren“, zitierte Charlie und beabsichtigte, damit das leidige Thema zu einem Ende zu bringen.

„Dann lag ich wohl ziemlich falsch mit meiner Einschätzung, was Sie betrifft, oder?“

Charlie schaute misstrauisch zur Seite. Was sollte das denn nun wieder? Wollte er sie etwa aufs Glatteis führen? „So ist es“, bestätigte sie kurz angebunden und wich erneut seinem forschenden Blick aus.

Marco betrachtete nachdenklich ihr reizendes Profil. Hatte er seine Assistentin möglicherweise wirklich falsch eingeschätzt? Vielleicht war sie ja sogar genau das, wonach er suchte …?

„Da nun feststeht, dass wir die gleiche Wellenlänge haben … und Sie entschlossen sind, Ihr Internet-Date nicht zu wiederholen … wie wäre es da, wenn ich Sie für heute zum Dinner einladen würde?“

Das kam so selbstverständlich und nonchalant, dass Charlotte sicher war, sich verhört zu haben.

„Wie bitte?“

„Ich möchte Sie zum Dinner einladen … Sie wissen doch, die Mahlzeit nach dem Lunch und vorm Zubettgehen“, präzisierte Marco schmunzelnd.

Charlie versuchte verzweifelt zu ignorieren, dass ihr Herz plötzlich oben im Hals schlug. „Soll das etwa ein Date sein?“, platzte sie dann heraus. Sekundenlang sah ihr Boss richtig erschrocken aus, oder bildete sie sich das nur ein?

„Ja … es ist ein Date“, bestätigte er mit einem Lächeln und spürte, dass es ihm tatsächlich ernst damit war. Sekundenlang versanken ihre Blicke ineinander, und Charlie hatte das Gefühl, die Welt höre auf, sich zu drehen. Dann setzte ihr Verstand mit einem Klick wieder ein und sagte ihr, dass dieser unglaublich attraktive Typ auf dem Beifahrersitz nicht nur ihr Boss, sondern auch der Mann war, der sich ausschließlich mit Laufstegschönheiten verabredete.

„Und warum sollten Sie das wollen?“, fragte sie mit vorgeschobenem Kinn.

„Warum nicht?“

„Nun, zum einen sind Sie mein Boss, und ich habe noch nie etwas davon gehalten, Geschäftliches und Privates zu verquicken“, erklärte sie nüchtern.

„Ich wusste ja gar nicht, dass Sie so ein Snob sind“, neckte Marco sie.

„Ich bin nur vernünftig.“

„Wie ich“, stellte er mit einem mutwilligen Glitzern in den Augen fest. „Aber Sie haben mich neugierig gemacht, sodass ich es kaum abwarten kann, noch mehr über Ihre praktische Seite zu erfahren, und darüber, was Sie in Ihrer nächsten Partnerschaft suchen.“

„Eigentlich suche ich nach gar nichts“, dementierte sie hastig.

„Das hörte sich eben noch ganz anders an.“

„Wie gesagt … reine Hypothese …“

„Komisch, dabei hatte ich den Eindruck, mich quasi auf dem Prüfstand zu befinden. So, als wollten Sie antesten, wie ich mich in Ihr Anforderungsprofil einfügen könnte …“

„Ganz sicher nicht!“, fuhr Charlie wütend auf. „Wie kommen Sie auf diese absurde Idee?“

„Sehr leicht, da Sie mir Ihre Voraussetzungen so offen und ehrlich …“

„Um Himmels willen! Ich wollte doch nicht …“ Erst jetzt fielen Charlie seine tanzenden Augen und das leichte Zucken um die Mundwinkel auf. „Schämen Sie sich!“, forderte sie vehement. „Sie machen sich über mich lustig!“

„Nur ein klitzekleines bisschen“, verteidigte er sich schmunzelnd.

Seltsamerweise fühlte sich Charlie gar nicht beleidigt, sondern viel selbstbewusster als zuvor. „Okay“, sagte sie leichthin. „Sie haben Ihren Spaß gehabt, dann können wir wohl endlich an die Arbeit gehen.“

Erneut versuchte sie auszusteigen, wurde aber wieder zurückgehalten. „Halt, nicht zu schnell. Sie haben mir noch keine Antwort gegeben. Gehen Sie denn nun mit mir aus?“

„Ich denke, das sollte ein Witz sein?“

„Nicht das Dinner. Sie haben wirklich meine Neugier geweckt, Charlie.“

„Und wodurch?“, entschlüpfte es ihr.

„Nun, zunächst passiert es mir nicht oft, dass ich eine Frau treffe, die meine Ansichten über Partnerschaft teilt …“

Seine Antwort brachte Charlie mit einem Schlag auf den Boden der Realität zurück. „Dann bin ich also so etwas wie eine neue Fallstudie für Sie?“, fragte sie spöttisch.

„So würde ich es nicht ausdrücken“, erwiderte Marco bedächtig und ließ seinen Blick über ihre angenehmen Kurven wandern. Nicht einmal sich selbst konnte er so etwas weismachen.

Marco betrachtete sich selbst als einen Mann mit einem ganz normalen sexuellen Appetit, und gerade in den letzten Tagen war ihm immer wieder durch den Kopf gegangen, dass seine tüchtige Sekretärin weit mehr aufzuweisen hatte als ihr Organisationstalent und ihre unbestrittene Zuverlässigkeit. Die Art, wie sie sich bewegte … und ihn manchmal anschaute …

Doch wie sie eben noch richtig dozierte – Arbeit und Vergnügen sollte man strikt getrennt halten. Und war es nicht genau diese Einstellung, warum er sich nach den Erfahrungen mit seiner vorherigen PA in Charlies Gegenwart die letzten Monate so sicher und gut gefühlt hatte?

Konnte es sein, dass ihr Gespräch ein Wink des Schicksals war, der ihm zeigen sollte, dass Job und Spaß sich doch vereinen ließen?

„Vielleicht sollten wir beiden es tatsächlich miteinander versuchen“, murmelte Marco versonnen und hob seinen Blick wieder zu Charlies Gesicht.

Seine neue Taktik und der veränderte Tonfall, der sie an einen italienischen Gigolo erinnerte, überraschten sie. „Ich würde sagen, das war jetzt ziemlich …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „… frech, wenn nicht sogar dreist.“

„Bin ich das?“ Er lachte leise. „Wenn ich an unser Gespräch von heute Morgen denke, wo es um Chemie und körperliche Anziehung ging … Du wirst doch wohl zugeben müssen, dass zwischen uns mehr ist als nur ein kleiner Funke, oder?“

„Nein!“

Das war ein gefährliches Gebiet, das Charlie auf jeden Fall meiden wollte. Und der Umstand, dass ihr Boss plötzlich zum vertrauten Du wechselte, ließ das Ganze noch viel gefährlicher erscheinen. Doch dann wurden ihre Augen wie magisch von Marcos Mund angezogen, dessen Winkel sich leicht nach oben bogen, und der so verflixt sexy und einladend aussah …

Unbewusst fuhr Charlie sich mit der Zungenspitze über die volle Unterlippe. Nein, dieses unausgesprochene Gefühl des Begehrens, das plötzlich in der Luft lag, war ganz sicher kein kleiner Funke, sondern eher ein unerwartet aufflammendes, loderndes Feuer, das sie zu verzehren drohte. Wenn Marco sie jetzt küssen würde, sie auf die Arme nehmen, ins Haus tragen und in sein Bett …

In Charlies Hinterkopf begannen sämtliche Alarmsirenen zu schrillen, doch die ignorierte sie mit beachtenswerter Entschlossenheit.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ein Mann sie je so erregt hatte, ohne sie überhaupt zu berühren. Einmal nicht vernünftig sein! Einmal …

„Wie wäre es, wenn ich dich heute Abend gegen sieben abhole?“

Es dauerte einige Sekunden, bis Charlie den Sinn der Worte erfasste. Ganz schön selbstsicher, dachte sie verschwommen. Eigentlich geschähe es ihm recht, wenn sie einen anderen Termin vorschützen würde. Aber aus irgendeinem Grund bekam sie den Mund nicht auf.

Marco streckte die Hand aus und fuhr ihr mit nachlässiger Zärtlichkeit über die Wange. „Dann sehen wir uns also heute Abend?“

Sein arroganter Tonfall traf Charlie wie ein Schlag ins Gesicht. Doch noch schlimmer war die Enttäuschung, dass er nicht einmal versucht hatte, sie zu küssen.

„Wir müssen auch morgen noch zusammenarbeiten, Marco“, erinnerte sie ihn kühl.

„Habe ich dir schon einmal gesagt, wie sehr mir deine prüde, mustergültige Art gefällt? Ich finde sie außerordentlich erfrischend.“

„Es geht mir weniger darum, erfrischend zu erscheinen, als vernünftig zu sein“, kam es noch steifer zurück.

„Ah, jetzt sprechen wir wieder die gleiche Sprache“, stellte er lächelnd fest und schaute auf seine Uhr. „Ich stimme dir voll und ganz zu, dass es einiges zwischen uns zu besprechen gibt. Unglücklicherweise habe ich im Moment keine Zeit dafür. Es wird wohl bis heute Abend warten müssen.“

Charlie schüttelte hilflos den Kopf. „Tut mir leid, so schnell kann ich keinen Babysitter organisieren.“

„Okay, dann morgen zum Lunch.“

„Ich will aber nicht mit dir ausgehen!“ In ihrer Rage wurde Charlie gar nicht bewusst, dass auch sie zur vertraulichen Anrede übergegangen war.

„Warum nicht?“

Ja, warum nicht?

„Weil es nicht funktionieren würde“, sagte sie schließlich.

„Ich dachte, wir wären uns einig darüber, dass man einer Sache erst eine Chance geben muss, um herauszufinden, ob es funktioniert, aber wie auch immer …“, wechselte er übergangslos in einen sachlichen Tonfall. „Es gibt da einige geschäftliche Dinge, die keinen Aufschub dulden, über die wir reden müssen. Ein gemeinsames Essen morgen wäre eine gute Gelegenheit dazu.“

Charlie blieb misstrauisch. „Was für geschäftliche Dinge?“

„Darüber reden wir morgen.“ Wieder schaute Marco auf seine Uhr und stieg abrupt aus dem kleinen Wagen. „Ich muss jetzt ins St. Agnes Hospital, mich um zwei Neuzugänge kümmern …“, erklärte er beim Gehen.

Damit war sie offenbar für heute entlassen und restlos verwirrt. Wie sollte sie die Einladung zum Lunch nun auffassen, als Date oder als Arbeitsessen?

„Habe ich das richtig verstanden? Nachdem du deinem Boss erklärt hast, du seiest einer intimen Beziehung zu ihm – die ausschließlich auf gleichen Einstellungen beruht – nicht abgeneigt, hat er dich zum Essen eingeladen?“

„Ich habe kein Wort von intim gesagt“, korrigierte Charlie hastig. „Und auch nicht, dass es um eine Beziehung mit ihm geht. Es war eine rein hypothetische Diskussion. Er hat nur versucht, mir die Worte im Mund umzudrehen … genau wie du!“

„Hmm …“ Karen musterte ihre Freundin mit erhobenen Brauen.

„Ich wollte ihn nur davon überzeugen, dass ich nicht hoffnungslos romantisch bin“, verteidigte sie sich weiter.

Charlie hatte ihre Freundin angerufen, sobald sie zu Hause war, um ihr von den verstörenden Vorfällen dieses ungewöhnlichen Arbeitstages zu berichten. Karen hatte sich sofort auf den Weg gemacht und bemühte sich nun aufrichtig, Klarheit in Charlies verworrene Andeutungen zu bringen. Doch bisher wollte es ihr nicht so recht gelingen.

Möglicherweise lag es ja daran, dass Charlie ihren spontanen Anruf längst bereute und das peinliche Interview so schnell wie möglich beenden wollte.

„Und alles nur, weil diese Sarah Heart behauptet, du seiest in deinen Boss verknallt?“

„Teilweise … na ja, Marco kann ziemlich herablassend sein, wenn es um Menschen geht, die eher … emotional als vernünftig sind, verstehst du?“

„Nein.“

Charlie seufzte und stellte eine Kanne Tee und zwei Becher auf den Küchentisch. „Ist ja auch egal. Lass uns das Ganze vergessen. Ich habe nicht vor, mit ihm auszugehen und damit basta.“

„Warum nicht?“, fragte Karen und schenkte beide Teebecher voll. „Nach dem, was ich von ihm in den Illustrierten gesehen habe, ist er ein echter Zischer.“

„Ja, er sieht nicht schlecht aus“, bestätigte Charlie in leichtem Ton. „Aber er ist mein Boss … und in den wichtigen Dingen sind wir eben doch nicht einer Meinung. Im Gegensatz zu mir glaubt er, dass Liebe nicht das Wichtigste in einer Beziehung ist.“

„Du hast ihn also angelogen … na und? Ist doch nur eine Theorie.“

„Es ist die Hauptthese, die er in seinem neuen Buch vertritt, und es ist ihm sehr ernst damit.“

„Dann spiel ihm doch einfach weiter Miss Vernünftig vor“, riet Karen und grinste plötzlich. „Du brauchst ihm ja nicht zu verraten, dass dein Lieblingsfilm Schlaflos in Seattle ist.“

Charlie lachte.

„Außerdem ist er ja nur noch für einen Monat dein Boss, dann läuft der Zeitvertrag aus.“ Ohne Charlies entsetzten Gesichtsausdruck wahrzunehmen, reckte Karen sich genüsslich und fuhr mit beiden Händen durch die kurzen roten Locken. „So gesehen könntest du ruhig eine kurze Affäre mit ihm riskieren, um zu sehen, wie’s läuft.“

„Und mir dabei womöglich die Finger verbrennen?“ Charlie schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Außerdem habe ich ihn ohnehin bereits abblitzen lassen. Wenn wir uns morgen treffen, geht es nur ums Geschäft, und damit scheint er ganz zufrieden zu sein.“

„Du hast also immer noch Angst davor, verletzt zu werden“, konstatierte Karen. „Aber du kannst dich nicht für immer vor den Männern verstecken, wie du es nach deiner Scheidung getan hast, Charlie. Du solltest wirklich endlich wieder ausgehen und Spaß haben.“

„Ich weiß.“ Charlie griff nach ihrem Becher und nahm einen großen Schluck Tee. „Aber ich glaube nicht, dass Marco dafür der Richtige ist. Und jetzt will ich nicht mehr über ihn reden. Wie läuft es bei dir in der Agentur?“

Zu ihrer Erleichterung ließ Karen das Thema fallen und schien aufrichtig froh zu sein, quasi im Gegenzug etwas von ihrem Alltagsfrust bei der Freundin abladen zu können. Charlie wusste genau, wie hektisch und chaotisch es in der Arbeitsvermittlung zugehen konnte, da sie Karen zwischen zwei Engagements schon häufiger bei ihrer Büroarbeit unterstützt hatte.

Für diese Arbeitseinsätze war ihre Freundin immer besonders dankbar gewesen, weil sie Charlie voll und ganz vertraute, und es für sie bedeutete, dass sie sich währenddessen intensiver um ihre Kinder kümmern konnte.

„Ich denke ernsthaft darüber nach, den ganzen Laden zu verkaufen“, erklärte Karen frustriert. „Du weißt ja, dass ich ein verlockendes Übernahmeangebot von einer größeren Agentur bekommen habe, das sie sogar noch aufstocken wollen.“

„Wie schön für dich.“ Charlie war ehrlich bemüht, sich mit Karen zu freuen, ahnte aber, dass ihre eigenen Jobs damit gefährdet waren. Und genau das bestätigten Karens nächste Worte.

„Das Einzige, was mich daran stört, ist der Umstand, dass damit auch mein örtliches Büro geschlossen wird, da die neue Firma alles von einem zentralen Standort aus verwalten will.“

„Ich verstehe … Trotzdem musst du tun, was für dich das Beste ist“, riet Charlie ihr tapfer. „Mach dir um mich keine Sorgen. Du weißt doch, dass ich eine Überlebenskünstlerin bin.“

4. KAPITEL

In der darauffolgenden Nacht hatte Charlie einen ungewöhnlichen Traum. Marco Delmari und sie … schliefen miteinander. Sie spürte seine Hände auf ihrem Körper … seine Lippen auf ihren … leidenschaftlich, fordernd und gleichzeitig so zärtlich, dass sie völlig verstört erwachte und mit wild klopfendem Herzen in die Dunkelheit starrte.

„Verrückt!“, konstatierte sie selbstkritisch. „Völlig verrückt!“

Zurückzuführen waren ihre erotischen Fantastereien sicher darauf, dass ihr letztes sexuelles Erlebnis schon so lange zurücklag. Karen hatte recht, sie musste wieder unter Menschen gehen, versuchen, eine normale Beziehung aufzubauen. Natürlich hatte es nach ihrer Scheidung einige Verabredungen gegeben, aber keinem der Männer war es gelungen, sie richtig bezaubern zu können. Und genau das war ihr Problem. Sie konnte nicht einfach mit irgendjemandem Sex haben.

Für Charlie gehörte dazu mehr als ein ungestilltes Liebesbedürfnis oder eine rein körperliche Anziehung. Deshalb hatte sie nach der Trennung von Greg auch mit niemandem mehr geschlafen.

Nicht einmal Karen wusste das! Und auch nicht, dass Charlie insgeheim sogar schon gefürchtet hatte, frigide zu sein, weil sie sich in der ganzen Zeit zu keinem einzigen Mann hingezogen fühlte.

Und nun dies! Wenn das nicht wirklich verrückt war!

Dabei gibt es wirklich Wichtigeres, worum ich mich in nächster Zeit kümmern muss, entschied Charlie. Mit einem herzhaften Gähnen schlug sie die Bettdecke zurück, stand auf und zog ihren Bademantel über. Wenn Karen tatsächlich ihre Agentur aufgab, musste sie sich nach einem permanenten Job umsehen, da ihr Arbeitsvertrag mit Marco in wenigen Wochen auslief.

Als das Telefon neben dem Bett läutete, nahm sie gedankenverloren den Hörer ab und meldete sich verschlafen. Doch Marcos dunkle Stimme mit dem italienischen Akzent machte sie schlagartig hellwach.

„Ich entschuldige mich dafür, dass ich so früh anrufe, aber keine Angst, ich habe nicht vor, unsere Verabredung zum Lunch abzusagen. Ich wollte dich nur erreichen, bevor ich ins Krankenhaus fahre, um nach einigen Patienten zu sehen.“

„Ich habe keine Angst“, erklärte Charlie förmlich. „Die Einladung war mir schon völlig entfallen. Ich hatte gehofft, du wärst der Monteur, der mir versprochen hat, so schnell wie möglich nach meiner defekten Heizung zu sehen.“

„Oh, ich verstehe!“ Marco lachte. Es war ein wundervolles Lachen. Rau, kraftvoll und ebenso sexy wie seine Stimme. „Es muss ziemlich kalt in deinem Haus sein. Soll ich früher vorbeikommen und versuchen, es dir wieder warm zu machen?“

Charlies Puls stieg in schwindelnde Höhen, während sie sich vorstellte, Marco würde sie wärmen, wie er es in ihrem Traum getan hatte. Instinktiv zog sie ihren Bademantel vor den üppigen, runden Brüsten zusammen. „Nein, nein … nicht nötig“, wehrte sie hastig ab.

„Aber ich bin handwerklich gar nicht so ungeschickt“, versicherte er ihr. „Ich bin nämlich in einem jahrhundertealten Landhaus in der Toskana aufgewachsen, und dort gab es eigentlich ständig etwas zu reparieren. Wie auch immer …“, beendete er selbst abrupt das Thema. „Zurück zu unseren Plänen für heute Mittag.“

In Charlies Bauch flatterten tausend Schmetterlinge auf. „Du sagtest, es gehe um etwas Geschäftliches?“

„Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, über die wir reden müssen, aber dazu später. Ich dachte, wir essen im Summer House. Sie haben eine exzellente Speisekarte.“

„Davon habe ich gehört“, murmelte Charlie und dachte an das Nobelrestaurant mit der fantastischen Aussicht über die Themse, das mindestens zehn Nummern zu groß für ihren Geldbeutel war. Vor ihrem inneren Auge sah sie elegant gekleidete, weltgewandte Gäste und fragte sich unwillkürlich, was sie in einer derart exklusiven Umgebung tragen würde. Jedenfalls nichts, was in ihrem Kleiderschrank hing.

„Gut, dann hole ich dich gegen halb eins ab.“

„Nein, Marco!“, entfuhr es ihr spontan. „Können wir nicht lieber woanders essen?“

„Aber natürlich“, kam es bereitwillig zurück. „Wo immer du willst. Hast du etwas Bestimmtes im Sinn?“

Charlie dachte blitzschnell nach. „Es gibt da so einen kleinen Landgasthof im nächsten Ort. Er heißt The Water­house.“

„Okay, dann essen wir dort. Jetzt muss ich aber los, Charlie, bis später.“

Damit war die Leitung tot. Erst als Charlie langsam den Hörer zurücklegte, wurde ihr bewusst, dass sie Marco nicht wie beabsichtigt abgesagt, sondern ziemlich schnell kapituliert hatte. Aber es geht ja nur um dieses eine Geschäftsessen, versuchte sie sich zu beruhigen. Und daran konnte selbst die vernünftige Charlie eigentlich nichts Schlimmes sehen.

Charlie hatte gehofft ausgeruht und souverän zu wirken, wenn Marco zur vereinbarten Zeit kam, um sie abzuholen. Doch der sehnlichst erwartete Heizungsmonteur tauchte erst mitten am Vormittag auf und brauchte auch länger als erwartet für die Reparatur, sodass sie erst in letzter Minute fertig wurde.

Kaum war sie in ihre schwarzen Jeans geschlüpft, da hörte sie auch schon Marcos Wagen vorfahren. Während sie ihre weiße Bluse zuknöpfte, warf Charlie einen letzten Blick in den Spiegel. Ihr Haar hatte sie wie gewohnt streng aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken zusammengefasst. In einem plötzlichen Impuls zog sie das Haarband heraus, sodass die goldblonden Strähnen ihr lose über die Schultern herabfielen.

Doch in der nächsten Sekunde bereute Charlie es bereits wieder. Jetzt würde Marco vielleicht denken, dass sie ihr Geschäftsessen doch als ein Date ansah. Und mit den Frauen, die seinem exquisiten Geschmack entsprachen, konnte sie sowieso nicht mithalten.

Als es läutete, fuhr Charlie nervös zusammen. Zu spät, noch etwas zu ändern! Rasch eilte sie die Treppe hinunter, um zu öffnen. Bei Marcos Anblick setzte ihr Herz einen Schlag aus. In der ungewohnten Freizeitkleidung sah er einfach umwerfend aus! Zu den lässigen Jeans trug er einen grob gestrickten irischen Wollpullover, der seine Schultern noch breiter als sonst erscheinen ließ, und das unternehmungslustige Funkeln in den dunklen Augen bescherte Charlie weiche Knie.

„Hi“, begrüßte er sie fröhlich.

„Hi, ich bin fertig, aber komm doch herein. Ich muss nur schnell meine Handtasche holen …“, haspelte sie atemlos herunter und hielt die Tür für ihn auf.

„Du siehst wunderschön aus“, murmelte Marco und ließ sie nicht aus den Augen, während er in die kleine Diele trat.

Charlie errötete. „Danke.“

„Du solltest dein Haar immer offen tragen. So wirkst du unglaublich … verführerisch.“ Marco streckte die Hand aus und ließ ein paar goldene Strähnen wie flüssige Seide durch seine Finger rinnen. Es war eine fast nachlässige Geste und dennoch seltsam intim. Charlies Herz klopfte zum Zerspringen, und plötzlich schien die Luft zwischen ihnen vor Elektrizität zu knistern.

Rasch trat sie einen Schritt zurück und war froh, als Jack in diesem Moment die Treppe herunterkam, gefolgt von seiner Nana. Gerettet! schoss es ihr durch den Kopf. Auf keinen Fall durfte sie vergessen, dass ihr Boss nichts weiter als ein gewiefter Charmeur war, den man nicht ernst nehmen durfte.

„Marco, das ist meine Mutter Helen und das hier mein Sohn Jack“, stellte sie die beiden vor.

Marco lächelte der älteren Frau zu. „Freut mich.“ Dann ging er in die Knie, bis seine Augen auf gleicher Höhe mit denen des Jungen waren. „Hallo, Jack. Schön, dass ich dich auch mal kennenlerne, nachdem ich schon so viel von dir gehört habe.“

Der Kleine lächelte schüchtern. „Gehört das rote Auto vor dem Haus dir?“

„Ja.“

„Wow!“ Jacks dunkle Augen leuchteten anerkennend.

Marco lachte leise und zauste Jacks schwarzen Lockenkopf. „Du liebst also schöne Autos? Wie ein echter Italiener.“

Charlie schmunzelte, griff nach ihrer Handtasche und wandte sich ihrer Mutter zu. „Es wird nicht allzu lange dauern, Mom. Danke, dass du dich um Jack kümmerst.“

Da es ein sonniger Tag war, fuhren sie mit offenem Verdeck. Während Marco den schnittigen Sportwagen durch die ländlichen Straßen lenkte, fuhr ein leichter Wind durch Charlies Haar. Am Ziel angekommen, parkte Marco auf dem vorgesehenen Platz neben dem Pub und beobachtete amüsiert, wie sie versuchte, ihre zerzauste Mähne wieder zu entwirren.

„Ich hätte sie doch lieber zurückbinden sollen“, murmelte Charlie, die seinen Blick bemerkte.

„Das finde ich nicht …“ Bedächtig streckte Marco die Hand aus und strich ihr eine besonders vorwitzige Strähne hinters Ohr. „Siehst du, alles wieder am Platz.“

Die leichte Berührung sandte Charlie heiße Schauer über den Rücken.

„Ich freue mich, dass du deine Meinung über meine Einladung zum Lunch geändert hast“, bemerkte Marco leichthin.

„Nun, hast du nicht gesagt, es gäbe dringend etwas Geschäftliches zu besprechen?“, vergewisserte sich Charlie.

„So ist es auch … unter anderem.“

Charlie runzelte die Stirn. „Wie ich bereits gestern sagte, halte ich es für absolut notwendig, Job und Privatleben strikt zu trennen“, erinnerte sie ihn streng und fragte sich gleichzeitig, was für einen Unsinn sie da faselte. Mit Marco so dicht neben sich schwanden ihre guten Vorsätze von Sekunde zu Sekunde. Der aufregend maskuline Duft seines herben Rasierwassers machte sie regelrecht benommen, und wenn sie daran dachte, wie zärtlich er ihr gestern über die Wange gestrichen hatte … oder als er eben im Wagen ihr Haar … Wie mochte es wohl sein, wenn er mit seinen starken Händen ihren Körper erforschte?

Unverhofft fühlte sich Charlie von einer Welle wilden Verlangens überflutet. Die verbotenen erotischen Fantasien katapultierten ihren Pulsschlag in ungeahnte Höhen.

„Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass in unserem Fall Geschäftliches und Privates ausgesprochen gut unter einen Hut zu bringen wären“, holte Marcos dunkle Stimme sie in die Realität zurück.

„Ich wüsste nicht wie das …“

„Nun, da wir beide vernünftige Menschen sind, ist uns natürlich bewusst, dass es gewisse Grenzen einzuhalten gilt …“ Während er sprach, streckte Marco die Hand aus, legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie sanft, ihn anzuschauen. „Deshalb kann es eigentlich gar keine Probleme geben …“

Die leichte Berührung und der eindringliche Blick seiner dunklen Augen ließen Charlie den Atem stocken. Als sie spürte, wie Marco immer näher an sie heranrückte, versteifte sie sich automatisch. Sie sehnte sich danach, endlich von ihm geküsst zu werden, und gleichzeitig fürchtete sie sich vor dem heißen Verlangen, das jeden Nerv in ihrem Körper erzittern ließ.

Hatte sie sich nicht geschworen, die Finger von ihrem Boss zu lassen, da sie sich sonst unweigerlich verbrennen würde? Warum nur musste die Versuchung, sich mitten ins Feuer zu stürzen, so groß, so übermächtig sein?

„Ach, was soll’s …“, murmelte Marco dicht vor ihrem Gesicht. „Ich denke, das Geschäftliche kann warten …“ Jetzt fuhr er mit der Fingerspitze sacht über Charlies bebende Unterlippe. „Dies hier aber nicht.“ Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht und neigte sich ihr zu. Es war kein tastender, unverbindlicher Kuss, wie Charlie es erwartet hatte. Nein, er war fordernd, besitzergreifend und schmeckte nach unverhohlener Leidenschaft. Und noch bevor sie wusste, was sie tat, erwiderte sie ihn mit so viel Hingabe und Lust, wie sie es sich nie zugetraut hätte.

Als Marco sie viel später freigab, kehrte Charlie nur zögernd in die Wirklichkeit zurück. Auf der einen Seite wünschte sie sich, in seine Arme zurückzukehren und den Kuss bis in alle Ewigkeit auszudehnen, auf der anderen Seite war sie darüber entsetzt, wie leicht sie kapituliert und Marco auch noch zurückgeküsst hatte!

Lieber Himmel! Er war ihr Boss!

„Was haben wir nur getan?“, flüsterte sie atemlos.

Marco lächelte. „Ich denke, man könnte sagen, wir haben das kleine Renkontre beide sehr genossen.“

Der ironische Tonfall verunsicherte und ärgerte sie, oder war es eher ihre eigene Schwäche, weil sie so rückhaltlos seinen Kuss erwidert hatte?

„Lass uns das nicht überbewerten“, schlug Charlie lässig vor und wünschte, ihre Stimme würde souveräner klingen.

„Okay“, stimmte Marco ihr zu, stieg aus und ging um den Wagen herum. „Nur fürs Protokoll, ich habe wirklich etwas Geschäftliches mit dir zu besprechen“, erklärte er in nüchternem Tonfall und öffnete die Beifahrertür. „Komm, dann lass uns mal schauen, was dein Lieblingsrestaurant Schönes auf der Speisekarte stehen hat.“

Noch völlig benommen stieg Charlie aus dem Wagen und beeilte sich, Marco zu folgen. Offensichtlich hatte er den Kuss bereits unter ferner liefen abgehakt, ganz anders als sie. Warum gelang es ihr nicht, so cool und unantastbar zu wirken wie ihr Boss?

Schweigend liefen sie Seite an Seite vom etwas abseits gelegenen Parkplatz zum Pub hinüber. The Waterhouse war eine ehemalige Kutscherscheune, romantisch am Ufer einer Flussschleife der Themse gelegen. Vor dem Gebäude lag ein kleiner Biergarten, in dem die Gäste an rustikalen Tischen sitzen und den Ausblick genießen konnten. Heute allerdings saßen nur die Abgehärtetsten in der fahlen Herbstsonne, und Charlie war nach der Fahrt im offenen Sportwagen insgeheim froh, im lauschigen Inneren der alten Gastwirtschaft Platz nehmen zu können.

Marco bedeutete Charlie mit einer Geste vor ihm einzutreten, und während sie das tat, ließ er seinen Blick begehrlich von der seidigen goldenen Haarpracht, die bis auf den Rücken herabfiel, weiter über ihren wohlgerundeten Po in den engen Jeans bis hinunter zu ihren unglaublich langen Beinen wandern.

In diesem ungewohnten Aufzug wirkte sie ungeheuer sexy. Vorhin hatte er große Mühe gehabt, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Wie oft hatte er sie heimlich im Büro mit den Augen verfolgt und versucht, sich vorzustellen, wie sie ohne die strenge Frisur und die formlose Kleidung aussehen mochte. Insgeheim hatte er davon geträumt, dass sich hinter der kühlen Fassade eine aufregende, sensitive Frau versteckte … und er hatte sich nicht geirrt. Die Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, ließ nicht den geringsten Zweifel.

Und jetzt konnte er an nichts anderes mehr denken, als auch noch die letzten Barrieren einzureißen und sie in sein Bett zu bekommen.

Sie fanden einen freien Tisch in der Nähe eines gemütlich prasselnden, offenen Kaminfeuers. „Was soll ich uns zu trinken bestellen?“, wollte Marco wissen, als er höflich den Stuhl für Charlie zurechtrückte.

„Ein Glas Weißwein wäre nett, danke.“

Marco ging zur Bar hinüber, und während er auf die Getränke wartete, schaute er zum Tisch zurück. Charlie war noch einmal aufgestanden, zog ihre Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Meist kleideten sich die Frauen, mit denen er ausging, sehr viel auffälliger, doch seltsamerweise empfand Marco die prüde weiße Bluse zu den hautengen Jeans sehr viel herausfordernder als die meist auf vordergründige Wirkung bedachte Garderobe ihrer Geschlechtsgenossinnen. Er brachte es kaum fertig, seine Augen von Charlies schmaler Taille und der reizenden Kurve ihrer vollen Brüste abzuwenden.

Als hätte sie seinen intensiven Blick gespürt, schaute sie plötzlich zu ihm hinüber, und Marco lächelte ihr zu, ehe er sich wieder der Bar zuwandte.

Charlotte war schön, daran bestand kein Zweifel, und sie rief etwas in ihm wach, von dem er bisher nicht gewusst hatte, dass er es besaß – einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Wahrscheinlich lag es an dem verletzlichen Ausdruck in ihren großen grünen Augen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.

Und wie sie ihn gestern angeschaut hatte, als ihr Auto unversehens mit romantischen Liebesklängen erfüllt war …

Marco musste zugeben, dass er zunächst ziemlich skeptisch reagiert hatte, als sie ihm versicherte, dass sie sich nach ihren bisherigen Erfahrungen durchaus eine Partnerschaft vorstellen könne, die eher auf Realität und Vernunft aufgebaut war als auf Liebe und Romantik. Aber möglicherweise schätzte er sie ja tatsächlich falsch ein.

Nicht dass er selbst grundsätzlich etwas gegen Liebe einzuwenden hatte! Er glaubte nur nicht, dass sie alles überwinden oder ersetzen konnte. Dafür stand ihm das Beispiel der katastrophalen Ehe seiner Eltern viel zu lebhaft vor Augen. Jahrelang hatte er mit anschauen müssen, wie sie sich gegenseitig zerstörten. Oh nein, so eine Beziehung wollte er auf keinen Fall … eigentlich gar keine ernsthafte.

Marco kehrte an den Tisch zurück und stellte die Gläser ab, ehe er sich Charlie gegenübersetzte.

„Danke“, sagte sie lächelnd und versuchte, eine Gruppe von Frauen in Marcos Rücken zu ignorieren, die ihn mit ihren gierigen Blicken fast verschlangen. Wie üblich war er sich der Aufmerksamkeit, die ihm überall entgegengebracht wurde, gar nicht bewusst.

„Nettes Ambiente“, stellte er mit einem Rundblick fest. „Hier verbringst du also deine Sonnabende?“

Charlie lachte kurz auf. „Schön wär’s! Die meiste freie Zeit bin ich mit Jack zu Hause und erledige liegen gebliebene Hausarbeit. Ich wette, deine Wochenenden sehen ganz anders aus.“

„Es muss wirklich schwierig sein, den ganzen Tag zu arbeiten und sich nebenher noch um Kind und Haus kümmern zu müssen.“

„Manchmal schon, aber meine Mutter ist mir eine große Stütze und ein fantastischer Babysitter für Jack. Mein Vater starb vor einigen Jahren, und es half ihr, über die Trauer und Einsamkeit hinwegzukommen.“

„Wie schön, wenn man sich in der Familie gegenseitig unterstützt.“

Charlie nickte. „Aber ich versuche, Mum nicht zu sehr auszunutzen, denn sie hat inzwischen wieder ein reges Privatleben. Deshalb habe ich mich auch dazu entschieden, mich über eine Zeitarbeitsagentur vermitteln zu lassen. Besonders als Jack noch kleiner war, haben mir die flexiblen Arbeitsbedingungen in Krisenfällen geholfen.“ Bei dem Gedanken, dass es damit wohl nun vorbei war, seufzte sie unwillkürlich leise auf.

„Und Jacks Vater hat in diesem Arrangement gar keinen Platz?“, wollte Marco wissen.

Charlie schüttelte den Kopf. „Greg ist Pilot und lebt im Moment in Los Angeles.“

„Dann sieht er seinen Sohn nie?“

Die Ungläubigkeit in seiner Stimme war Balsam auf Charlies Seele. „Greg führt ein sehr hektisches Leben. Selbst wenn er mal eine Route nach London hat, muss er gleich wieder zurück. Zumindest ist das seine Entschuldigung Jack gegenüber.“

„Ich verstehe.“

Ob Marco wirklich verstand, dass es ihr unmöglich war, einem Vierjährigen zu sagen, dass sein Vater sehr wohl genug Zeit hätte, ihn zwischen den Flügen zu besuchen?

„Genug davon“, entschied Charlie spontan. „Du wolltest mit mir über etwas Geschäftliches sprechen und nicht meiner Litanei über …“

„Du bist sehr zurückhaltend und fair in dem, was du sagst, und es interessiert mich aufrichtig“, unterbrach er sie ruhig. „Dein Exmann hat immer noch die Macht, dich zu verletzen, stimmt’s?“, fügte er dann hellsichtig hinzu.

War sie tatsächlich so leicht zu durchschauen? „Wie kommst du darauf?“

„Ich weiß nicht … vielleicht der Ausdruck in deinen Augen, wenn du von ihm sprichst.“

„Ich habe meine Enttäuschung über Greg längst verwunden“, behauptete sie fest. „Es tut mir nur so leid für Jack. Er leidet sehr darunter, seinen Vater nie sehen zu können.“

„Absolut verständlich.“

„Das ist aber auch schon alles. Abgesehen von seinem Sohn, ist Greg für mich Geschichte. Also, zurück zum Thema. Was wolltest du mit mir besprechen?“

Marco zögerte. Er hätte gern noch mehr über Charlies Vergangenheit erfahren, aber vielleicht war heute doch nicht der beste Zeitpunkt dafür, und er musste das Ganze etwas langsamer angehen lassen.

„Okay, wie du weißt, neigt sich dein Arbeitsvertrag bei mir dem Ende zu. Aber ich würde es gerne sehen, wenn du dich dazu entschließen könntest, ihn zu verlängern.“

„Bis wann?“, fragte Charlie in professionellem Ton.

„Zunächst ein Jahr, vielleicht länger … wenn wir feststellen, dass wir dann immer noch miteinander klarkommen.“

Das hatte sie nicht erwartet! Charlie wurde ganz schwindelig vor Erleichterung.

„Ehrlich gesagt kommt dein Angebot zum denkbar besten Zeitpunkt“, erklärte sie lächelnd. „Die Arbeitsagentur, die mich vermittelt hat, soll nämlich verkauft werden, sodass ich gezwungen bin, mich nach einem festen Job umzuschauen.“

„Gut, dann ist uns also beiden geholfen.“ Zufrieden lehnte sich Marco auf seinem Stuhl zurück. Schon vor gestern hatte er nämlich beschlossen, Charlie einen unbefristeten Vertrag anzubieten, ganz abgesehen davon, was sich sonst noch zwischen ihnen entwickeln würde. Eine so gute Arbeitskraft wollte er einfach nicht verlieren.

„Sollen wir sagen, gleiche Arbeitszeiten? Im Hinblick auf Jack kannst du sie in Zukunft nach Absprache gern flexibler gestalten als bisher.“

„Danke“, gab Charlie erfreut zurück. „Das würde mir sehr entgegenkommen.“

„Das einzige Problem könnte für dich sein, dass du mich auf einigen meiner Reisen begleiten müsstest … Seminare und so, du verstehst?“

Diesmal zögerte Charlie mit der Antwort und wog für sich im Stillen die Nachteile und Vorteile des neuen Arrangements ab.

„Es geht hauptsächlich um die nächsten Monate, bis das neue Buch auf dem Markt etabliert ist“, fügte Marco hinzu. „Danach sollte alles wieder in normalen Bahnen laufen.“

„Gut, in dem Fall könnte ich mich darauf einrichten.“ Sicher hatte ihre Mutter Verständnis für diese besondere Lage und würde Jack in der Zeit betreuen. Zwölf Monate an der Seite dieses faszinierenden Mannes! Reisen mit ihm um die halbe Welt! Charlie konnte ihr Glück kaum fassen. Sie mochte ihren Boss wirklich gern und war dankbar für sein Verständnis, was ihren Status als alleinerziehende Mutter betraf.

„Großartig, dann sind wir uns also einig?“, resümierte Marco zufrieden und riss damit seine Sekretärin aus ihren erfreulichen Tagträumen.

Oh ja … und es war wirklich großartig! Aber einen Wermutstropfen gab es doch in Charlies Glückskelch … Wie sollte sie es fertigbringen, Marco Delmari nur als ihren Boss anzusehen, wenn ihre Gefühle für ihn sie ständig zu überwältigen drohten? Und allein mit ihm auf Reisen zu sein …?

„Charlie?“

Himmel, er hatte etwas gesagt und wartete auf eine Antwort!

„Ja, alles bestens.“

„Okay, und jetzt, da das Geschäftliche erledigt ist, sollten wir uns entspannen und endlich etwas Leckeres bestellen.“

Charlie senkte den Blick auf die Menükarte in ihrer Hand und dachte, dass es für sie viel zu gefährlich war, sich in Marcos Gegenwart zu entspannen.

„Nächstes Wochenende muss ich in die Toskana.“

„Oh?“, überrascht und interessiert schaute Charlie ihren Boss an. „Du hast am Telefon kurz erwähnt, dass du dort aufgewachsen bist. Auf einer Art Bauernhof, oder?“

Marco schmunzelte. „Fast. Una Casa di Campagna oder Villa, wie man bei uns auch sagt. Warst du schon einmal in Italien?“

Charlie schüttelte bedauernd den Kopf.

„Nun, das Anwesen liegt in einer ausgesprochen reizvollen Umgebung. Im Sommer erstrahlen die umliegenden Felder im leuchtenden Ockergelb der Sonnenblumen, die dort angebaut werden, und selbst um diese Zeit, während der Weinlese, ist es dort immer noch sommerlich warm.“

„Wie hast du ein so zauberhaftes Fleckchen Erde nur verlassen können?“, wunderte sich Charlie.

Marco zuckte achtlos mit den Schultern. „Ganz einfach, ich bin eben kein sentimentaler Typ.“

„Natürlich, wie konnte ich das vergessen!“, neckte sie ihn in einem Anflug von Mutwillen. „Nicht dass du noch in Verdacht gerätst, ein versteckter Romantiker zu sein.“

„Was ich definitiv nicht bin“, gab er lächelnd zurück.

Ihre Blicke begegneten sich und hielten einander fest. Plötzlich fiel Charlie das Atmen schwer, und nur mit äußerster Kraftanstrengung löste sie sich aus dem gefährlichen Bann.

„Wohnen deine Eltern noch in der Villa?“, fragte sie in lockerem Konversationston.

„Sie sind beide vor fünf Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.“

„Oh, Marco! Das tut mir so leid!“, rief Charlie bestürzt aus. „Wie grauenhaft!“

Autor

Christina Hollis
Christina Hollis wurde ein paar Meilen entfernt von Bath* in der englischen Grafschaft Somerset geboren. Sie schreibt, seitdem sie und einen Stift halten konnte. Ihr erstes Buch bestand aus ein paar Sätzen über Puppen, die in einem Korb lebten. Damals war sie drei Jahre alt!
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