Darf ich ihm gehören? - 9. Kapitel

9. KAPITEL

Am Sonntagmorgen als allererstes führte Ronni den Schwangerschaftstest durch. Er war eindeutig positiv, genau wie sie erwartet hatte. Und trotzdem war ihr beim Anblick der rotgefärbten Linien zu Mute, als habe ihr jemand einen Tritt in die Magengrube versetzt.

     Ein Baby. Ich bekomme ein Baby …

     Mechanisch erledigte sie die anfallenden Hausarbeiten, während sie an Dinge dachte, über die sie nie zuvor nachgedacht hatte. Einen Kaffee könnte ich jetzt gut gebrauchen können, aber Koffein ist nicht gut für das Kind. Ich muss mehr Vitamine zu mir nehmen, – anfangen, mich besser zu ernähren, insgesamt besser mit mir selbst umgehen …

     Denn dass Ronni das Kind bekommen würde, daran bestand für sie kein Zweifel. Immerhin war sie zweiunddreißig Jahre alt und beruflich relativ gut etabliert. Es würde zwar nicht leicht werden, aber irgendwie würde es schon gehen.

     Um halb zwölf klingelte das Telefon.

     „Fertig?“ Es war Ryan.

     Sie hatten verabredetet, dass Ronni zum Haupthaus hinüberkommen, und sie alle gemeinsam von dort aus zu Pizza Pete fahren würden.

     „Bin gleich da.“ Sie bemühte sich, einen fröhlichen, normalen Ton anzuschlagen, und war erstaunt, wie gut ihr dies gelang. Sie fühlte sich nämlich alles andere als normal und fröhlich, sondern vielmehr verwirrt, durcheinander, wie betäubt …

     Rasch schlüpfte sie in ihren Trenchcoat, griff nach ihrer Handtasche und lief über den Rasen zum großen Haus hinüber.

     Ryan ließ oder besser zog sie herein, direkt in seine Arme. „Du hast mir gefehlt.“

     „Seit letzter Nacht?“ Oh, es tat so gut, ihn an ihrem Körper zu spüren.

     „Ja“, meinte er. „Seit letzter Nacht hast du mir schon gefehlt.“

     Ronni versuchte, ihm über die Schulter zu schauen.

     „Du brauchst gar nicht nach den anderen zu gucken“, neckte er. „Die sind alle noch oben. Küss mich.“

     „Oh, Ryan …“

     „Fang nicht wieder damit an. Küss mich.“

     Also hob sie ihm das Gesicht entgegen, und er bedeckte ihren Mund mit dem seinen. Die Augen geschlossen, stand Ronni auf Zehenspitzen und schmiegte sich eng an ihn, den lustvoll intimen Moment auskostend.

     „Entschuldigung.“

     Das war Lily, die hinter Ryan in der Küchentür stand.

     Ronni erstarrte und öffnete die Augen. Langsam, ohne jede Eile löste Ryan sich von ihr. Er schien nicht im Geringsten verlegen zu sein. Sanft strich er über ihren breiten Mantelkragen, eine besitzergreifende Geste, die beruhigend wirkte.

     Und Ronni dachte bei sich: Oh ja, wenn ich schon ungeplant schwanger werden musste, bin ich froh, dass es mit diesem Mann passiert ist.

     Ryan drehte sich um, den Arm schützend um Ronnis Schultern gelegt. „Können wir irgendetwas für dich tun, Lily?“

     Die Lippen aufeinander gepresst, erwiderte sie: „Die Kinder kommen sofort.“

     Er zuckte mit den Schultern. „Gut. Es wird Zeit, dass wir fahren.“

     „Ich … Das hier ist völlig inakzeptabel …“

     Ryan zog die Brauen zusammen. „Wovon redest du?“

     „Das weißt du ganz genau“, flüsterte Lily empört. „Dass ihr beide euch so aufführt. Das ist … nicht gut für die Kinder.“

     „Ach, was. Wir haben gedacht, dass wir alleine sind.“

     „Darum geht es doch nicht. Ihr solltet euch nicht so benehmen, wenn sie es sehen könnten.“

     „Lily, es war nur ein Kuss.“

     Sie fasste sich mit der Hand an den Hals. „Nun … ich finde eben, ihr solltet es nicht so zur Schau stellen. Und außerdem, ich … ich denke, dass ihr beide euch allmählich entscheiden solltet, ob ihr heiraten wollt oder nicht. Wenn ja, dann werde ich selbstverständlich gehen. Es wäre fair, wenn ihr es mich wissen lasst, damit ich mich um etwas anderes kümmern kann.“

     Ehe Ryan auf diese Hiobsbotschaft reagieren konnte, hörte man bereits das Trappeln kleiner Füße auf der Treppe.

     „Darüber sprechen wir später“, erklärte er.

     Lily nickte, ihre Miene angespannt.

     Als sie ihnen an der Haustür zum Abschied nachwinkte, blickte Ronni zu ihr zurück. Eigentlich wollte sie ärgerlich auf Lily sein, aber in dem Moment dachte sie nur, wie einsam die ältere Frau aussah.

     Unterwegs ertönte plötzlich Ronnis Pieper. Sie holte ihr Mobiltelefon heraus, rief die Zentrale an und wurde mit einer aufgeregten Mutter verbunden, deren kleines Mädchen die Treppe hinuntergefallen war.

     „Dr. Powers, ich habe den Notdienst gerufen. Der Krankenwagen wird gleich hier sein. Sie ist bewusstlos. Ich habe solche Angst …“

     „Atmet sie normal?“

     „Ja. Ich glaube schon … ja.“

     „Lassen Sie sie nicht aus den Augen.“ Schnell sagte Ronni der Mutter, was diese tun sollte, falls die Atmung des Kindes schwer oder gurgelnd werden sollte.

     Die Mutter antwortete: „Ja. In Ordnung. Das mache ich. Ja.“

     „Und bleiben Sie ruhig. Das ist sehr wichtig. Sie tun alles, was Sie können, und bald kommt Hilfe.“

     „Ja, ich weiß. Okay.“

     „Wir sehen uns im Kinderkrankenhaus“, meinte Ronni und beendete das Gespräch. Ryan sah zu ihr herüber.

     „Sorry.“

     „Teil des Jobs, nicht wahr?“

     „Ich fürchte ja.“

     „Fahr uns doch einfach hin und nimm das Auto. Falls du nicht nachkommen kannst, bringt Tanner uns nach Hause.“

     „Einverstanden.“

     Er nahm ihre Hand und drückte sie.

 

Im Kinderkrankenhaus erfuhr Ronni, dass die kleine Patientin im Krankenwagen das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Ronni untersuchte das Mädchen sehr gründlich. Sie war immer sehr misstrauisch, wenn es sich um Verletzungen und plötzliche Stürze handelte. Sie hatte mehr als einen Fall erlebt, wo bei einem angeblich „bösen Sturz“ etwas wesentlich Schlimmeres dahinter steckte.

     Aber dieses Mal konnte sie keinerlei Hinweise auf Kindesmisshandlung feststellen. Die Blutergüsse und Prellungen des Mädchens passten dazu, dass sie eine Treppe hinunter gefallen war. Und die Kleine hatte auch keine Vorgeschichte an mysteriösen Verletzungen.

     Ronni ordnete eine Computer-Tomographie an und ließ das Mädchen über Nacht zur Beobachtung einweisen.

     „Es ist alles meine Schuld“, jammerte die Mutter. „Oh, ich verabscheue diese Treppe. Ich hätte einfach besser aufpassen müssen. Ich bin nach unten gelaufen, um nach meinen Plätzchen im Ofen zu schauen. Und sie muss wohl versucht haben, mir nachzulaufen …“

     „Solche Dinge passieren eben manchmal. Und es sieht wirklich so aus, als ob sie nicht allzu viel abbekommen hätte“, antwortete Ronni.

     „Wann kann sie denn wieder nach Hause?“

     „Falls keine Komplikationen auftreten, und davon gehe ich momentan aus, können Sie sie morgen mit nach Hause nehmen.“

     „Oh, Doktor. Danke. Vielen Dank …“

 

Gegen halb zwei kehrte Ronni zu Pizza Pete zurück. Drinnen zischte und surrte es von diversen Computerspielen, dazu spielte laute Rockmusik, und die Kinder streiften frei von einer Unterhaltung zur nächsten.

     Ronni sah Ryan und Tanner in einer Ecke allein an einem der Rotholz-Picknicktische sitzen, neben ihnen die Überreste einer Riesenpizza und mehrere halbvolle Limonadenbecher. Die beiden dunklen Köpfe eng zusammengesteckt, hatte Ronni den Eindruck, als seien sie in ein ernsthaftes Gespräch vertieft.

     Da blickte Tanner auf, sah Ronni und lächelte ihr zu. Ryan wandte sich um und winkte sie herbei. Sie blieben noch eine Stunde. Ronni trank eine Limonade, lehnte es jedoch dankend ab, von der kalten Pizza zu probieren. Sie beobachtete, wie Drew ein äußerst komplex wirkendes Videospiel besiegte, und bewunderte Griffin, der auf einem bockenden mechanischen Pferd ritt.

     „Bleib doch noch zum Abendessen“, meinte Ryan, als sie zu Hause waren.

     Aber Ronni hatte für heute genug von Lilys kaum verhohlener Feindseligkeit. Sie wollte lieber ins Gästehaus zurück und eine Weile allein sein, um sich von dem Gefühl zu erholen, ein Eindringling zu sein. Denn so fühlte sie sich, seitdem sie bei Pizza Pete Ryan und seinen Bruder eindringlich miteinander hatte sprechen sehen, die beiden das Thema aber sofort hatten fallen lassen, sobald Ronni dazugekommen war.

     Dennoch schien es ihr nicht richtig, sich einfach zurückzuziehen. Schließlich ging es ja darum, dass Ryan und sie so viel Zeit wie möglich mit den Kindern verbrachten. Also nahm sie die Einladung an, ehe es ihr gegen halb neun dann endlich gelang zu flüchten.

     Ryan versprach, später noch vorbeizukommen.

     Kaum war Ronni in ihrem Häuschen, musste sie sich bereits übergeben. Und danach lief sie unruhig im Schlafzimmer auf und ab.

     Als Ryan kam, zog er die Vorhänge zu und drehte sich zu ihr um. Er sah so … besorgt aus.

     Ronni lief auf ihn zu. Er schloss sie in die Arme und hielt sie fest.

     Und dann sagte er es: „Ich liebe dich, Ronni.“

     „Ich liebe dich auch.“

     „Ich wollte, dass es … schöner ist als so.“

     „Das weiß ich doch.“

     „Es gibt so vieles, worüber wir reden müssen.“

     „Oh ja.“

     „Ich denke immer, es wird sich schon alles wieder beruhigen, und dass wir dann Zeit füreinander haben. Aber das scheint nie der Fall zu sein.“

     „Nein …“

     „Ich möchte, dass wir … heiraten.“

     Helle Freude durchzuckte sie. „Ich auch …“

     „Aber ich glaube, Lily wird es nicht akzeptieren. Wir werden sie verlieren.“

     Ronni griff nach Ryans Hand. „Komm mit.“

     Sie führte ihn in die Küche, wo er sich auf einen Stuhl fallen ließ. Ronni setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, und Ryan fasste nach ihrer Hand.

     „Ich habe versucht, mit ihr zu reden, nachdem die Kinder im Bett waren“, berichtete er.

     „Und?“

     „Sie hat dasselbe gesagt wie heute Vormittag. Wenn ich dich heirate, geht sie.“

     „Das wird hart für die Kinder“, meinte Ronni. „Lily ist der einzig stabile Faktor in ihrem Leben.“

     „Sie war wie ein Fels in der Brandung seit Patricias Tod“, brummte er.

     In Ronnis Magen rumorte es erneut.

     Ryan ließ ihre Hand los und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wir müssen eben eine gute Tagesmutter finden. Das ist ja nicht unmöglich.“

     „Aber du weißt doch, wie viel wir beide arbeiten. Ich finde das den Kindern gegenüber nicht fair.“

     „Wir können es nicht ändern.“

     Ronni drückte die Hände in ihrem Schoß zusammen. „Vielleicht … wenn wir ihr ein bisschen mehr Zeit geben …“

     Er sah sie über den Tisch hinweg an, seine Miene war härter als zuvor. „Zum Henker, Ronni. Ich möchte dich heiraten. Und du hast gerade gesagt, du willst es auch.“

     „Ich weiß, und das stimmt ja auch, aber … es ist nicht richtig.“

     „Was zum Teufel soll das heißen?“

     „Ich meine nur, vielleicht sollten wir … das Ganze ein bisschen langsamer angehen.“

     „Langsamer?“, wiederholte Ryan. Seine Stimme klang kühl. „Was genau willst du damit sagen?“

     Ronni holte tief Atem, um ihren rebellierenden Magen zu beruhigen. „Ach Ryan, hier geht es doch nicht nur um dich und mich. Ich versuche doch nur fair zu sein.“

     „Fair“, knurrte er. „Das Leben ist nun mal nicht fair.“

     „Ja schon, aber …“

     „Weißt du vielleicht was Besseres?“

     „Ich … Lily ist im Grunde eine gutherzige Frau.“

     „Das habe ich nie bestritten.“

     „Und sie und ich, wir könnten sicher einige Gemeinsamkeiten finden. Irgendwann. Es fällt ihr nur schwer, mich zu akzeptieren. Dass ich in euer Leben trete, ist auf eine Art so, als würde Patricia … noch mal sterben. Für Lily scheint es, als würde ich mich in das Territorium ihrer Tochter hineindrängen, um sie zu ersetzen.“

     „Patricia ist tot. Das ist eine Tatsache.“

     „Und Lily braucht mehr Zeit, sich damit auseinander zu setzen.“

     Ryan stand auf. „Sag es. Was immer es ist, sprich es endlich aus.“

     „Würdest du dich bitte wieder hinsetzen?“

     Er ignorierte ihre Bitte. „Du willst mich nicht, stimmt’s?“

     Ronni schwieg.

     „Antworte mir. Wirst du mich heiraten, oder nicht?“

     „Ja.“

     Ungläubig starrte er sie an. „Ja, aber … was?“

     „Ja, aber ich denke, wir sollten Lily vielleicht etwas entgegenkommen. – Hör zu, meine Wohnung ist fertig.“

     Ryans Blick war kalt. „Ja und? Dann verkauf sie.“

     „Das werde ich auch. Nach einer Weile. Aber im Augenblick glaube ich, es wäre eine gute Idee, wenn ich erst einmal dort einziehe. Weißt du, das zwischen uns ist wirklich alles so schnell gegangen. Wir sollten Lily, und auch uns gegenseitig, ein bisschen Raum lassen, um …“

     „Moment mal. Soll das heißen, du willst weg von mir?“

     „Nein, gar nicht. Überhaupt nicht.“

     „Dann vergiss es.“

     „Ryan …“

     Die Hände auf die Tischplatte gestützt, beugte er sich auf ihre Höhe herab. „Nein. Ich brauche keinen Raum. Ich habe es satt, im Dunkeln hier herzukommen, dann mitten in der Nacht wieder aufzustehen und allein in das kalte leere Zimmer drüben zurückzugehen. Ich möchte dich bei mir haben, da wo du hingehörst. Und ich möchte dich heiraten, so schnell wie möglich.“

     „Und dann wird Lily uns verlassen. Gekränkt und im Zorn. Und die Kinder werden darunter leiden.“ Ronni lehnte sich vor. „Ryan, bitte glaub mir. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Und ich weiß, dass dich schon zu viele Menschen verlassen haben. Aber du bist stark. Und ich auch. Und manchmal müssen die Starken eben ein Opfer bringen. Es wäre nicht für ewig, das verspreche ich dir.“

     Er setzte sich wieder. „Und was glaubst du, wird das ändern?“

     „Dass Lily merkt, dass ich nicht ihre Feindin bin. Dass ihre Tochter wirklich fort ist. Und dass das Leben weitergeht.“

     „Du meinst also, wenn du ausziehst, wird ihr das eher bewusst werden?“

     „Zumindest würde eine gute Chance dafür bestehen. Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, wenn wir ihr gar keine Wahl lassen, dann zwingen wir sie geradezu, wegzugehen. Damit würden wir sie und alles, was sie für dich und die Kinder getan hat, missachten. Und ich finde einfach, dass das nicht richtig ist.“

     Ryan blickte auf seine Hand, die auf dem Tisch lag, und schaute dann auf. „Aber wenn du sowieso zurückkommst, ist das doch keine echte Wahl, oder?“

     Ronni erwiderte ruhig seinen Blick. „Doch. Weil wir ihr Zeit geben, sich mit der Situation vertraut zu machen. Das, was sie deinen Kindern in den letzten beiden Jahren geschenkt hat, ihre Liebe, ihre Zeit, ihre Fürsorge, ist doch eigentlich das Wichtigste der Welt. Das, was du und ich als Kinder nicht gehabt haben, und wovon ich nicht möchte, dass deine Kinder es verlieren, wenn wir das irgendwie verhindern können.“

     Argwöhnisch gab er zu bedenken: „Sie könnte uns aber trotzdem verlassen wollen. Sie besitzt ihr eigenes Geld. Sie hat früher als Maklerin gearbeitet und gut verdient. Ich bezahle sie auch gut. Möglicherweise nicht so viel, wie sie wert ist. Mir ist klar, dass ich das niemals mit Geld aufwiegen könnte. Aber genug, dass sie sich einige Ersparnisse davon anlegen konnte. Es könnte sein, dass sie, auch wenn sie dich akzeptiert, trotzdem gehen möchte.“

     Ronnis Magen war kaum noch zu bändigen. Sie schluckte, atmete tief durch und antwortete dann mit all der Überzeugungskraft, die sie aufzubringen vermochte: „Ja, das ist möglich. Aber wenn sie mich vorher akzeptiert hätte, könnten wir einen sanften Übergang daraus machen. Gemeinsam. Es wäre eine positive Veränderung, anstatt einer hässlichen und schmerzhaften.“

     Ryan sagte lange nichts. Ronni nutzte die endlos scheinenden Minuten dazu, langsam und ruhig ein- und wieder auszuatmen, wobei sie sich befahl, dass ihr jetzt nicht übel werden würde.

     Schließlich, als das Schweigen so lange angedauert hatte, dass sie sich fragte, ob er überhaupt noch sprechen würde, sagte er: „Da ist noch etwas anderes, habe ich recht?“

     Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

     „Ich sehe es an deinen Augen, Ronni. Es gibt irgendetwas, was du mir verschweigst. Ich möchte wissen, was es ist.“

     Sie schluckte, ihr drehte sich der Magen um. „Ich …“

     „Du hast doch noch Zweifel, stimmt’s? Wegen uns. Darüber, einen Mann zu heiraten mit einem Vierundzwanzig-Stunden-Job, drei Kindern – und unsicheren Aussichten auf eine Tagesmutter.“

     Ronni hatte Mühe zu atmen, und ihr Magen … Oh je …

     „Sag mir die Wahrheit, Ronni.“ Ryans Augen bohrten sich eindringlich in die ihren.

     Sie sprang auf. „Ich … Entschuldige …“

     Mit offenem Mund starrte er sie an. „Ronni?“

     Sie drehte sich um und rannte den Flur entlang zum Badezimmer, warf den Toilettendeckel hoch und schaffte es in letzter Sekunde, sich vor die Schüssel zu knien.

     Ryan, der ihr hinterher kam, hockte sich neben Ronni, legte ihr eine Hand auf den Rücken und hielt ihr das Haar aus dem Gesicht zurück.

     Als es vorüber war, legte er die Arme um sie und wiegte sie sanft.

     „Hey“, flüsterte er. „Hey …“

     Ronni lehnte sich an ihn, spürte seine Wärme und seine Kraft, dann löste sie sich seufzend ein wenig von ihm.

     Liebevoll wischte Ryan ihr mit einem nassen Lappen das gerötete Gesicht. Danach richtete Ronni sich auf, spülte sich den Mund aus, und als sie fertig war, führte Ryan sie zum Schlafzimmer.

     Gehorsam folgte sie ihm, zu erschöpft, um irgendetwas anderes zu tun.

     „Leg dich hin.“

     Sie streckte sich auf dem Bett aus. Ryan zog erst ihr, dann sich selbst die Schuhe aus und legte sich neben Ronni. Zärtlich zog er sie an sich, sodass ihr Kopf an seiner Schulter lag.

     „Das war es also, was du mir nicht gesagt hast?“

     „Ja“, gestand sie kleinlaut.

     „Ist denn alles … in Ordnung? Ich meine, ist es normal, sich so heftig zu übergeben? Es ist doch erst, wie lange …?“

     „Etwas über zwei Wochen. Und ja, morgendliche Übelkeit ist normal ab etwa der zweiten Woche. Und es heißt, dass sie durch Stress verstärkt werden kann.“

     „Stress.“ Er nickte. „Davon gab’s in letzter Zeit genug. Du hast also … einen Test gemacht?“

     „Heute Morgen. Er war positiv.“

     Er drückte ihre Schultern. „Wann hättest du es mir denn gesagt?“

     „Ich habe hin und her überlegt, ob ich erst warten soll, oder es dir gleich sage.“

     „Aber dein Magen hat dir die Entscheidung abgenommen.“

     „Ja, sozusagen.“

     Ronni setzte sich halb auf. „Ich werde das Kind bekommen.“

     „Selbstverständlich.“

     „Ich liebe dich.“ Sie streifte seinen Mund mit den Lippen und legte sich dann wieder auf seine Brust.

     Ryan schloss beide Arme um sie, und Ronni fühlte seine Lippen auf ihrem Haar. In diesem Augenblick war sie sicher, dass alles gut werden würde, auch mit Lily …

     Er lachte leise. „Ich schätze, jetzt wirst du mich wohl heiraten müssen.“

     „Müssen?“, scherzte Ronni. „Wir haben das einundzwanzigste Jahrhundert, falls dir das entgangen sein sollte. Frau müssen heutzutage keineswegs mehr heiraten.“

     „Du schon. Und das werden wir auch. So bald wie möglich.“

     Sie lag ganz still. „Ryan. Hast du denn gar nichts von dem verstanden, was ich vorhin in der Küche gesagt habe?“

     „Doch, natürlich. Ich bin nur nicht einverstanden damit. Und das hier ändert doch alles.“

     „Es ändert überhaupt nichts.“

     „Wie kannst du so etwas sagen? Wir lieben uns. Du erwartest ein Kind von mir. Und wir werden heiraten.“

     „Irgendwann, ja.“

     Ronni merkte, wie angespannt Ryans Körper wurde. Selbst durch die Kleidung hindurch spürte sie, wie seine Muskeln sich verhärteten.

     „Du ziehst nicht aus“, befahl er.

     „Doch. Ach, bitte, vertrau mir. Ich möchte es einfach ausprobieren … Lily eine Chance zu geben.“

     „Ich bin dagegen.“

     „Es tut mir leid. Ich liebe dich. Aber ich tue es trotzdem.“

 

Am Tag darauf veranlasste Ronni, dass ihre Möbel aus dem Lager zu ihrer neuen Wohnung gebracht wurden. Und am Nachmittag konnte sie auch das dreijährige Mädchen nach Hause schicken, das die Treppe hinuntergefallen war.

     Nachdem sie ihre Aufgaben im Kinderkrankenhaus erledigt hatte, fuhr Ronni zu ihrer Wohnung, wo sie bis nach neun Uhr die Küchenschränke einräumte und diejenigen Möbel an Ort und Stelle rückte, die sie ohne Hilfe bewegen konnte.

     Um halb zehn kehrte sie ins Gästehaus zurück, um da zu sein, wenn Ryan kam.

     Aber auch um elf war er nicht aufgetaucht.

     Er ist böse auf mich, dachte sie und fühlte sich schrecklich dabei. Dennoch war Ronni fest davon überzeugt, dass ihr vorübergehender Auszug das Richtige war. Ihre gegenseitige Liebe war stark. Eine Meinungsverschiedenheit und Ryans damit verbundener Ärger vermochte sie bestimmt nicht zu zerstören.

     Ronni ging schlafen, und erwachte gegen Mitternacht, als Ryan zu ihr unter die Decke kam.

     Er umarmte sie, und sie schmiegte sich eng an ihn.

     „Ryan, bitte sei nicht böse auf mich.“

     Statt einer Antwort küsste er sie nur, und eine Weile zählte nichts mehr außer ihnen beiden, ihren Berührungen, ihren Körpern …

     Am folgenden Tag vereinbarte Ronni mit einem Handwerker, der ihr empfohlen wurde, dass dieser um sieben Uhr abends zu ihrer Wohnung kommen und ihr dabei helfen würde, die schwereren Möbelstücke dorthin zu bewegen, wo sie hin sollten.

     Danach war Ronni wiederum zwei Stunden damit beschäftigt, die Wohnung weiter einzurichten, ehe sie gegen zehn in das Häuschen zurückkehrte.

     Ryan kam wieder spät zu ihr, und nachdem sie sich geliebt hatten, erklärte Ronni, dass sie am Sonntag umziehen würde.

     „Ich schätze, dann tust du eben, was du tun musst“, war alles, was er dazu sagte.

     Die übrigen Nächte in dieser Woche verliefen alle ähnlich. Ryan kam zu ihr, sie liebten sich, aber sie sprachen kaum miteinander. Auch wenn Ronni es versuchte, ließ er sie reden, und wechselte dann das Thema.

 

Am Samstag sammelte Drew fünfundfünfzig Dollar und elf Cents vor dem Supermarkt, und nachdem Ronni ihn zu Hause abgeliefert hatte, suchte sie Lily, die sie auf der Waschveranda antraf.

     Ronni wartete, bis Lily die Waschmaschine angestellt hatte, und sagte dann: „Ich … hätte gerne kurz mit Ihnen gesprochen.“

     „Oh? Worüber denn?“

     Da Ronni nicht wusste, wie sie am besten anfangen sollte, kam sie direkt zur Sache. „Meine Wohnung ist fertig. Und ich habe meine Möbel aus dem Lager geholt, wo ich sie untergestellt hatte. Ich werde das Gästehaus verlassen und in meine Wohnung umziehen. Morgen.“

     Lily stützte sich auf die Waschmaschine. „Wie bitte?“

     „Ich … wollte Ihnen nur Bescheid sagen. Ich ziehe morgen aus.“

     „Sie ziehen aus?“ Lily schien mehr als verblüfft.

     „Ja. Ryan und ich … Nun, ich habe mir überlegt, dass momentan vielleicht ein wenig … Abstand ganz sinnvoll wäre. Ein bisschen Zeit für uns alle, um zu darüber nachzudenken, was wir eigentlich wirklich wollen.“

     Lily brachte nicht mehr heraus als: „Ach tatsächlich?“

     „Ja. Ich … wollte es Sie nur wissen lassen.“

     „Nun ja, ich danke Ihnen.“ Lily schaute zur Seite, straffte die Schultern und stieß sich von der Waschmaschine ab. „Ich glaube, das ist eine kluge Entscheidung, und ich hoffe, dass für Sie alles gut verläuft.“

     „Da bin ich sicher. Morgen um die Mittagszeit bin ich fort. Aber ich werde trotzdem Drew auch weiterhin samstags und sonntags beim Spendensammeln helfen.“

     „Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

     „Ich hole ihn morgen um halb drei ab und bringe ihn gegen fünf wieder nach Hause.“

     „Ist gut. Ich …“

     Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Ronni, Lily könnte etwas von Herzen Kommendes sagen, und fragte hoffnungsvoll: „Ja?“

     „Nichts. Ich nehme an, Sie wollen es jetzt den Kindern mitteilen.“

     Ronni fand Lisbeth und Griffin in Griffins Zimmer, wo die beiden mit ihrem Gameboy spielten.

     Ronni setzte sich zu ihnen auf den Boden und meinte, dass sie ihnen etwas sagen wollte. Sie erklärte, was eine Eigentumswohnung war, dass sie eine besaß, und dass diese in der Zeit, in der sie in dem Gästehäuschen gewohnt hatte, fertig geworden war. Und dass sie ab jetzt dort leben würde.

     „Aber du kommst uns doch noch besuchen, oder?“, fragte Lisbeth.

     Griffin hüpfte auf und ab und rief: „Ja! Komm uns besuchen!“

     Ronni versprach es und ging weiter zu Drews Zimmer. Sie klopfte an und steckte den Kopf zur Tür herein.

     „Darf ich reinkommen?“

     Drew saß mit dem Rücken zu ihr am Computer. Lächelnd wandte er sich um. „Klar.“

     Ronni holte einen zweiten Stuhl heran, setzte sich, und sagte dann, dass sie am nächsten Tag ausziehen würde. Da Drew nichts sagte, sondern die Hände zwischen die Knie geklemmt, nur zu Boden blickte, fuhr sie fort, dass sie ihn aber dennoch auch weiterhin bei seinem Spendenprojekt unterstützen würde.

     „Ich hole dich wie immer morgen Nachmittag ab, und wir können …“

     Der Junge schaute auf, einen zutiefst betroffenen Ausdruck in den blauen Augen. „Magst du meinen Dad denn nicht mehr?“

     Sie streckte die Hand aus. „Oh, Schatz …“

     Er wich zurück, ehe sie ihn berührte. „Sag’s mir. Magst du ihn nicht?“

     Ronni legte die Hände in den Schoß. „Doch, ich mag deinen Dad. Sehr sogar.“

     „Oder magst du uns nicht … mich und Griff und Lizzy und Großmutter?“

     „Aber natürlich mag ich euch.“

     „Warum ziehst du dann weg?“

     „Ich … glaube, es ist so am besten.“

     „Aber warum?“, beharrte Drew.

     „Ach, Drew. Es hat doch keine Bedeutung, jedenfalls nicht für dich und mich und unser Projekt. Es ist nur so, dass ich mein eigenes Haus habe, und es ist fertig, und jetzt ziehe ich eben für eine Weile darin ein.“

     „Du kommst also zurück?“

     „Ja, schon …“

     „Und wann?“

     „Ich weiß es nicht genau. Bald.“

     Mit seinem Drehstuhl drehte er sich von ihr fort.

     Vielleicht hat Ryan ja doch recht, dachte Ronni. „Drew … bitte …“

     Er blickte auf die gegenüberliegende Wand. „Du hast es versprochen“, sagte er leise. „Du hast ein feierliches Gelübde abgelegt, niemals jemandem wehzutun. Aber du tust es trotzdem. Du tust uns weh. Du lässt uns allein. Wie meine Mutter. Du verlässt uns.“ Er stieß mit dem Zeh gegen die Fußmatte und flüsterte dann so leise, dass Ronni sich vorbeugen musste, um es zu verstehen: „Ich hasse dich.“

     Die drei Worte schnitten ihr tief in die Seele. „Oh, Drew, ich …“

     Doch er ließ sie nicht ausreden. „Ich glaube, ich will nicht mehr darüber sprechen, Ronni. Ich möchte, dass du gehst.“

     „Drew …“

     Aber er saß nur regungslos da, ohne sie anzusehen.

     Nach einer Minute erhob Ronni sich. „Ich komm dann morgen um halb drei, um dich abzuholen.“

     Er schwieg und drehte sich auch nicht um.

     Also ging Ronni zur Tür, wo sie kurz stehen blieb. Da ihr jedoch nichts Positives einfiel, was sie noch hätte sagen können, verließ sie das Zimmer und schloss ganz leise die Tür hinter sich.

     In der Küche fand sie Lily beim Kartoffelschälen.

     Ein Blick genügte, und Lily wusste Bescheid. „Andrew hat es nicht gut aufgenommen.“

     „Nein, leider nicht.“

     „Er wird sich schon wieder beruhigen.“ Lily lächelte gezwungen. „Seien Sie unbesorgt. Sobald er sich an den Gedanken gewöhnt hat, ist wieder alles in Ordnung. Und viel Glück in Ihrem neuen Heim.“

     Bedrückt meinte Ronni: „Ich komme dann morgen vorbei, wie abgemacht.“

     „Ja, fein.“

 

Im Gästehäuschen wartete ein letzter Stapel Kartons an der Vordertür. Alles andere hatte Ronni bereits gestern zusammengepackt und in die Wohnung gefahren. Morgen kamen dann diese letzten Sachen sowie ihre Reisetasche und ihr Koffer mit ins Auto, und das wäre es dann.

     Nur dass Ronni es auf einmal gar nicht mehr wollte. Inzwischen glaubte sie, dass sie möglicherweise einen großen Fehler beging. Ich hätte wahrhaftig mehr darüber nachdenken sollen, wie Drew darauf reagiert, warf sie sich vor. Für ihn ist es wie ein Verrat, so als würde ich ihn im Stich lassen.

     „Kein guter Schachzug, Dr. Powers“, murmelte sie vor sich hin. „Wirklich nicht …“

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