Die Schöne und der Bastard - Kapitel 20

~ Kapitel 20 ~

Soren war bereits angezogen und stürmte die Treppe nach unten, ehe ihm einfiel, dass er Sybilla hätte anweisen sollen, die Feste nicht zu verlassen. Für sie war so etwas jedoch nichts Neues. Sie würde wissen, dass sie sich nicht nach draußen begeben sollte, so wie er ihr das ja auch befohlen hatte, als die beiden angelsächsischen Lords hergekommen waren. Da Stephen auf dem Hof laut genug Befehle gab, Guermont jeden, der kein Soldat war, in die schützenden Räumlichkeiten der Feste schickte und Sorens Krieger auf der Mauer in Verteidigungsposition gingen, würde Sybilla ohnehin wissen, was vor sich ging. Daher konnte sich Soren jetzt ganz dem Schutz Alstons widmen und zunächst einmal herausfinden, von wem sie überhaupt angegriffen wurden.

Er lief zu den Ställen und überzeugte sich davon, dass alle Vorkehrungen getroffen waren, um zur Tat zu schreiten, falls mit brennenden Pfeilen auf sie geschossen wurde. Dort war alles in Ordnung. Raed hatte er angewiesen, auf Sybilla aufzupassen, um den Jungen aus der Schusslinie zu bringen. Solange er selbst es nicht schaffte, auf die Mauer zu kommen, wusste er auch nicht, aus welcher Richtung der Angriff erfolgte. Wenn erst einmal alle Leute in Sicherheit waren, würde er sich auf das konzentrieren können, was er am besten beherrschte: den Kampf. Die Letzten, für deren Sicherheit noch gesorgt werden musste, waren die Gefangenen. Soren sah, wie sich einige von ihnen den Anweisungen seiner Männer widersetzten, von denen sie aufgefordert wurden, sich auf den Boden zu legen, damit sie weder zur Zielscheibe für die Angreifer werden konnten, noch seinen Leuten im Weg standen. Gerade lief er zu ihnen, da hörte er, wie jemand seinen Namen rief.

„Soren! Lord Soren!“ Es war Gareth, der soeben von einem Krieger zu Boden geschlagen wurde. „Nehmt uns die Ketten ab. Wir wollen kämpfen!“, rief er unbeirrt weiter. „Das sind auch unsere Leute, wir wollen sie verteidigen!“

Soren fühlte sich hin und her gerissen. Er konnte mehr gute Kämpfer gebrauchen, aber war es klug darauf zu vertrauen, dass diese Angelsachsen gegen andere Angelsachsen kämpfen würden? Er sah zu Larenz, der nur eine Augenbraue hochziehen musste, um seine Meinung zu der Sache kundzutun. Soren nickte Stephen zu. Ein paar von seinen Leuten schauten drein, als wollten sie sich dagegen aussprechen, doch sie hatten mit ihm zusammen den Krieg überstanden und wussten nur zu gut, dass man mitten in einem Gefecht keine Diskussionen anfangen sollte. Mit nur geringer Verzögerung wurden den Gefangenen die Fesseln abgenommen, dann erhielten sie den Befehl, sich auf dem Hof zu verteilen, sollte das Tor oder die Mauer durchbrochen werden.

Obwohl er von dem Angriff aus dem Schlaf gerissen worden war, brauchte Soren nicht länger als üblich, um alles für eine wirkungsvolle Verteidigung in die Wege zu leiten. Wie befürchtet, flog eine Salve aus brennenden Pfeilen über die Mauer, die auf die hölzernen Nebengebäude gerichtet waren. Die befreiten Gefangenen machten sich sofort daran, jedes Feuer zu löschen, indem sie eine Kette bildeten und vom Brunnen und von einigen vorsorglich gefüllten Trögen aus volle Eimer Wasser von Mann zu Mann reichten.

Soren befand sich auf dem Weg zum Wehrgang und hatte den Eindruck, dass sie schnell Herr der Lage wurden, als er plötzlich nahe der Tür zum Burgfried eine Bewegung ausmachte. Er wollte seinen Augen nicht trauen, als er Sybilla sah, die nach draußen auf den Hof gelaufen kam. Sie war bereits zu weit von der Tür entfernt, um kehrtzumachen, aber auch noch zu weit weg von seinen Leuten, sodass er niemanden zu ihr schicken konnte, um sie wieder hineinzubringen, damit sie keine lebende Zielscheibe abgeben konnte.

Herr im Himmel! dachte er und sprang von der Treppe in den Hof, wobei er betete, dass seine Fußgelenke einen Sprung aus dieser Höhe aushalten würden. Er überstand es unversehrt und rannte los, wobei er Sybilla zurief, sie solle sich in Sicherheit bringen, bevor sie in die Flugbahn der Pfeile geriet. Er selbst war durch seinen Helm und das Kettenhemd einigermaßen geschützt, aber sie besaß weder das eine noch das andere.

Als es dann geschah, war er zu weit entfernt, um sich schützend vor sie zu werfen.

Ein Pfeil surrte über ihn hinweg, traf Sybilla und ließ sie nach hinten taumeln.

So sehr er sich anstrengte, zu ihr zu rennen, die Zeit verging unendlich langsam, und er schien kaum von der Stelle zu kommen. Alle Umstehenden sahen voller Entsetzen mit an, wie der Pfeil den Ärmel ihres Kleids in Flammen aufgehen ließ, aber niemand war nahe genug, um sich auf sie zu werfen und die Flammen zu ersticken. Gerade als Soren ihren Entsetzensschrei hörte und sie fast erreicht hatte, kam ihm jemand zuvor, stieß sie zu Boden und schlug auf die Flammen. Als Soren dann endlich bei ihr war, rauchte der angebrannte Stoff nur noch, woraufhin er ihr den Ärmel abriss und zur Seite schleuderte. Dann packte er Raed, der zu Hilfe geeilt war, hob ihn hoch und wirbelte ihn durch die Luft in Richtung Burgfried. Dort stand Larenz an der Tür, bekam den Jungen zu fassen und zog sich mit ihm schnell nach drinnen zurück.

Dann nahm er Sybilla in seine Arme, hob sie vom Boden auf und lief mit ihr zur Tür, wobei er sie mit seinem Körper vor weiteren Pfeilen zu schützen versuchte. Am Burgfried übergab er sie an Larenz und kehrte zurück zum Kampfgeschehen. Auf dem Wehrgang angekommen, hörte er einen vertrauten Kriegsruf, der aus den Wäldern drang, wo sich der Angriff zu konzentrieren schien.

Brice’ Krieger waren eingetroffen. Auf ihren Pferden stoben sie aus den Schatten und stellten einer Gruppe Angreifer nach. Die wussten, welches Schicksal sie erwartete, sollten sie den Kampf suchen. Also rannten sie davon, ohne zunächst zu begreifen, dass sie ihren erfahrenen Verfolgern gar nicht entkommen konnten.

Zwar hätte Soren gern den einen oder anderen lebend gefangen genommen, um ihn auszufragen, aber vor allem wollte er den Tod dieser Rebellen, weil sie nur dann keine Bedrohung mehr darstellten. Brice’ Männer befolgten seine Anweisungen ohne irgendwelche Rückfragen und verfolgten jeden, der durch den Wald in Richtung der Hügel zu entkommen versuchte. Soren überwachte das Ganze vom Wehrgang aus, dann kehrte er auf den Hof zurück. Eine Beteiligung an der Verfolgungsjagd kam für ihn nicht infrage, dafür war die Gefahr zu groß, dass ein zweiter Angriff von einer anderen Seite erfolgte. Stattdessen half er mit, die Brände zu löschen und die angerichteten Schäden wenigstens provisorisch zu beheben. Es gab mehrere Verletzte zu beklagen, die in den Saal gebracht wurden, um sie zu versorgen.

Die Holzdächer der Ställe und der Kapelle waren unversehrt geblieben, während der größte Teil der Vorratsschuppen von den Pfeilen in Brand gesetzt worden waren. Keines der Pferde war verletzt worden, und nachdem draußen wieder alles unter Kontrolle war, wartete Soren auf Brice’ Rückkehr, bevor er sich in den Burgfried begab.

Für sein Zögern gab es aber auch noch einen anderen Grund. Soren hatte geglaubt, sein Herz wollte nicht weiterschlagen, als er Sybilla einer lebenden Zielscheibe gleich mitten auf dem Hof hatte stehen sehen, zu weit von ihr entfernt, um sie gleich wieder in Sicherheit zu bringen. Als sie dann von dem Pfeil getroffen worden war, hatte er eine Angst erlebt, die alles bis dahin Dagewesene unbedeutend werden ließ. Nicht einmal im Angesicht seines eigenen Todes hatte er so empfunden.

Er würde sie dafür umbringen, dass sie ihn einem solchen Schrecken ausgesetzt hatte.

Brice näherte sich dem Tor und rief nach Soren. Das Tor wurde geöffnet, damit er und seine Männer in die Feste gelangen konnten, direkt hinter ihnen machte man es wieder zu. Es gab viele Fragen rund um diesen überraschenden Angriff, und er würde erst Ruhe geben, wenn er die Antworten kannte und wusste, wie er so etwas in Zukunft verhindern konnte.

„Sag nicht, dass du im Bett gelegen und dich deiner Ehefrau gewidmet hast, als das passiert ist“, sagte Brice, als er auf Soren zuging.

Er nickte den anderen zu, die er kannte, und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Soren, der auf das Unvermeidbare wartete. Weder ging er auf die Frage ein, noch merkte er etwas dazu an, wie zutreffend die Vermutung war. Auch wich er Brice’ Blick nicht aus. Einen Moment lang standen die beiden sich reglos gegenüber, dann packte Brice ihn und umarmte ihn.

„Da wäre ich auch gewesen, wenn das hier mein Zuhause wäre“, flüsterte Brice ihm zu, dann lachten sie beide. „Ich hatte einen Mann losgeschickt, der uns ankündigen sollte, aber er kam zurück und berichtete uns von dem Angriff. Ich dachte mir schon, dass ihr vielleicht unsere Hilfe gebrauchen könntet.“

Soren wusste so gut wie Brice, dass die Ankunft seiner Leute entscheidend dazu beigetragen hatte, dass in der Feste nicht so gut wie alles wieder zerstört worden war, was sie mühevoll aufgebaut hatten. Vermutlich hätte es auch mehr Tote und Verletzte gegeben, und auch wenn es ihnen wohl gelungen wäre, diese erste Welle zurückzuschlagen, wären sie bei einem zweiten oder gar dritten Angriff so sehr geschwächt gewesen, dass sie dann womöglich nicht mehr genügend Gegenwehr hätten leisten können.

„Sind das alle Männer, die du mitgebracht hast?“, fragte Soren und sah sich auf dem Hof um. Brice’ Leute hatten bereits begonnen, sich nützlich zu machen, indem sie den anderen beim Aufräumen halfen. Hier und da war zu beobachten, wie sich alte Bekannte begrüßten. Viele von ihnen hatten schon früher Seite an Seite gekämpft und waren gute Freunde oder sogar miteinander verwandt.

„Nein, die restlichen zehn habe ich ein paar Meilen entfernt bei den Wagen zurückgelassen“, ließ Brice ihn wissen und fügte hinzu: „Gillian hat darauf bestanden.“ Er hob die Hände, um zu unterstreichen, dass er damit nichts zu tun hatte. „Du hast Shildon für sie … für uns zurückerobert.“

Wagen mit Vorräten, mit Lebensmitteln, Stoffen und vielem mehr. All die Dinge, zu denen er von Gillian befragt worden war, bevor er auf Geheiß des Bischofs aufgebrochen war, um für Brice’ Ehefrau das Land zu beanspruchen, das sie geerbt hatte und das von ihrem Halbbruder kontrolliert worden war.

„Ich danke euch für alles, was ihr mitgebracht habt, und ich danke deiner Frau, dass sie deine Beute mit uns teilt“, sagte Soren und verneigte sich für die mitgebrachten Geschenke. Alles war willkommen, und es würde Sybilla helfen, die Lager gut gefüllt zu halten.

Sybilla.

„Bei den Vorräten befindet sich auch ein Geschenk für deine Frau. Gillian war in Sorge, dass …“

Brice musste nicht weiterreden. Sie waren alle davon ausgegangen, dass er Sybilla gleich nach seinem Eintreffen getötet hatte. Dass er sie stattdessen geheiratet hatte, war für jeden eine überraschende Nachricht gewesen, der ihn und seine Pläne kannte.

„Das Geschenk könnte ein wenig verfrüht sein“, entgegnete Soren und gab ihm ein Zeichen, damit er ihm in den Burgfried folgte. „Es könnte immer noch passieren, dass ich sie umbringe.“

Brice’ ausgelassenes Lachen verriet, dass er von einem seiner Männer bereits gehört haben musste, was sich hier während des Angriffs zugetragen hatte. Im Saal herrschte Ruhe und Ordnung, die Leute wussten, die Gefahr war überstanden, und sie würden an ihre Arbeit zurückkehren können. Dennoch stand in der Saalmitte eine größere Gruppe beisammen.

Wer sich in der Mitte dieser Gruppe befand, war Soren klar. Er schob sich durch die Menge und drängte jene zur Seite, die ihm nicht von sich aus Platz machten. Seine Hände zitterten, als er endlich zu Sybilla vorgedrungen war, die auf einem Stuhl saß. Ihr Gesicht war bleicher als der Tod, und sie zitterte am ganzen Leib, während sie eine Hand an der Stelle auf ihren Arm drückte, an der der Pfeil ihre Haut verbrannt haben musste. Sie sah schrecklich und wunderschön zugleich aus. Über seine eigene Reaktion verärgert, verlor Soren die Beherrschung.

„Was hast du dir nur dabei gedacht, Sybilla?“, brüllte er sie aufgebracht an. Da die Menge vor ihm zurückwich, konnte er nun näher an sie herangehen. „Was hast du dir dabei gedacht, während eines Angriffs nach draußen auf den Hof zu laufen?“

Die Worte waren ihm über die Lippen gekommen, ehe er bemerkte, dass sie bei jedem seiner Worte zusammenzuckte, als würde er sie schlagen.

Ihr Gesicht wurde noch bleicher, sie presste sich gegen die Rückenlehne, als wollte sie sich in den Stuhl zurückziehen, während er näher kam. Er wusste nicht, ob er sie in den Arm nehmen und trösten oder sie würgen sollte, weil sie in ihrer Gedankenlosigkeit so viel aufs Spiel gesetzt hatte. Dann entschied er sich aber für einen dritten Weg. „Kehre in deine Gemächer zurück und warte dort auf mich.“

Jetzt fiel ihm der wütende Blick auf, den Raed ihm zuwarf, der neben Sybilla stand. Der Junge hatte ihr durch sein rasches Eingreifen das Leben gerettet und sie vor schweren Verletzungen bewahrt. Aus diesem Grund war Soren bereit, die rebellische Miene des Burschen dieses eine Mal zu entschuldigen. „Begleite Lady Sybilla in ihre Gemächer, Junge.“

Soren versuchte, nicht zur Kenntnis zu nehmen, wie stark ihre Hand zitterte, als sie sie auf Raeds Schulter legte und ihm zur Treppe folgte. Absolute Stille begleitete die beiden, die von allen Blicken im Saal verfolgt wurden. Es dauerte eine Weile, ehe irgendjemand etwas sagte. Er hätte erwartet, dass Brice ihn für diesen Auftritt zurechtwies. Oder Larenz, der das Gleiche ohne ein Wort und nur mit seinem Mienenspiel geschafft hätte.

Er hätte nicht damit gerechnet, dass sich ein anderer zu Wort melden würde – und zwar jemand, der noch nie gewusst hatte, wann es besser war, den Mund zu halten und den Soren am liebsten niemals wiedergesehen hätte.

„Gut gemacht, Cousin“, rief Tristan le Breton von seinem Platz gleich neben der Tür. „Das hast du wirklich gut gemacht!“

Soren hatte Gefallen an einem bestimmten angelsächsischen Schimpfwort gefunden, das sich für Situationen wie diese hervorragend eignete. Er sprach es laut aus, so laut, dass jeder im Saal es hörte. Da er wusste, dass sich Brice um alles kümmern würde, was es zu erledigen galt, eilte er zur Treppe, um seiner Frau zu folgen.

 

Sybilla schaffte es kaum zurück in ihre Gemächer. Obwohl sie sich bei Raed aufstützte, war jeder einzelne Schritt für sie fast unmöglich zu bewältigen. Der Junge führte sie die Stufen hinauf und dann durch den Korridor bis zu ihrer Tür. Sie hörte Aldys’ hastige Schritte, die ihr durch den Korridor folgten, und ein entsetztes Keuchen, wohl als ihr das zerrissene Kleid und die Brandwunde am Arm auffielen.

„Bring sie rein, Junge“, forderte sie Raed auf. „Ich werde Arznei holen und mich um ihren Arm kümmern.“

Der Drache war zurück, wie Sybilla feststellen musste. Nachdem Raed sie bis zum Bett begleitet hatte, ließ sie sich auf die Bettdecke fallen.

„Mylady“, flüsterte er ihr zu. „Er hat das nicht so gemeint.“ Vorsichtig drückte er ihre Hand. „Er hatte nur Angst um Euch, so wie wir alle. Er …“ Plötzlich hielt Raed inne und ließ ihre Hand los.

Das konnte nur eines bedeuten.

„Raus hier.“

Sybilla rutschte bis zum Kopfende und setzte sich auf, während sie seine schweren Schritte hörte, die sich ihr langsam näherten. Sie wischte sich die Tränen fort und hätte ihm ihr Verhalten zu gern erklärt. Aber dafür hätte sie erst einmal selbst verstehen müssen, warum sie so gehandelt hatte, und genau das konnte sie nicht. Also saß sie nur stumm da und wartete ab, welche Bestrafung ihr unüberlegtes Verhalten ihr nun einbringen würde.

Er stellte das, was er mitgebracht hatte, auf dem Tisch neben dem Bett ab, woraufhin sie vor Schreck zusammenzuckte. Soren griff nach ihrer Hand, und noch immer hatte sie keine Vorstellung davon, was er wohl vorhatte. Umso überraschender war die Sanftheit, mit der er sie berührte.

Soren hob ihren Arm an und entfernte die Überreste ihres verbrannten Kleids von der verletzten Haut, während er leise vor sich hin murmelte, was immer noch laut genug war, dass sie ihn hören konnte. Es war eindeutig, dass er seiner eigenen Sprache den Vorzug gab, wenn er wütend war, und wenn sie ehrlich sein sollte, war sie sogar froh darüber, kaum ein Wort zu verstehen. Oft genug benutzte er englische Worte mit solchem Nachdruck, dass sie dabei zusammenzuckte.

Frauen, verstand sie. Ehefrauen. Dann Wortfetzen, die dumm, Anweisungen, Ungehorsam, nochmals dumm und unbezwingbar bedeuten mussten. Den Abschluss bildete irgendein Vergleich mit einem Pferd, wie es schien.

Dabei hielt er nicht inne, sondern kümmerte sich um ihre Verletzung und säuberte ihre Wunde, trug eine Salbe auf und legte einen Verband an. Erst als er den Verband zusammenknotete und sie vor Schmerzen den Mund verzog, hörte er auf zu schimpfen, verstummte und sah sie abwartend an.

„Warum, Sybilla? Warum hast du das gemacht?“, fragte er in einem so unerwartet sanften Tonfall, dass sie die Fassung verlor.

„Ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht nachgedacht, Soren“, setzte sie dann an. „Ich …“

Wie sollte sie ihm ihre Verwirrung und Ratlosigkeit klar machen? Als sie von Schreien aufgewacht war, die vom Hof kamen, da hatte er bereits ihr Gemach verlassen. Während er allen Befehle erteilte, war in ihr der Wunsch geweckt worden, ihm unbedingt zu helfen. Aldys hatte ihr in aller Eile beim Anziehen geholfen und sie dann nach unten in den Saal begleitet. Sybilla hatte helfen wollen, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Auf die Idee, nach draußen auf den Hof zu gehen, war sie erst gekommen, als sie hörte, wie Gareth Soren darum bat, die Gefangenen freizulassen, damit sie sich am Kampf beteiligen konnten.

Wie sollte sie ihm die Wahrheit sagen?

Er legte die Finger an ihr Kinn und drehte ihren Kopf so, als könnte sie ihm in die Augen sehen. „Was, Sybilla? Was hast du dir dabei gedacht?“

Jetzt, da sie wusste, dass er sich nicht über sie lustig machen würde, dachte sie daran zurück, was geschehen war, und antwortete ihm wahrheitsgemäß: „Ich habe vergessen, dass … dass ich nicht sehen kann.“

Sie wartete darauf, dass ihn etwas so Dummes doch zum Lachen bringen würde, weil sie es nicht nur gedacht, sondern sogar ausgesprochen hatte. Aber er lachte nicht. Stattdessen versetzte er sie in blankes Erstaunen, als er sagte: „Ich hatte das Krankenbett kaum verlassen, als von mir verlangt wurde, dass ich mich in einem Scharmützel verteidige. Aus Gewohnheit zog ich mein Schwert und marschierte mitten ins schlimmste Getümmel. Ich war bereit, so weiterzukämpfen wie zuvor.“

Er lachte leise und wich ein Stück weit zurück, was sie an seinen Schritten hören konnte.

„Ich hatte vergessen, dass ich monatelang kein Schwert mehr im Kampf geführt hatte. Mir war entfallen, dass die Muskeln, die ich benötigte, um die Klinge zu halten, fast durchtrennt worden und noch längst nicht verheilt waren. Ich vergaß …“ Er ließ den Satz unvollendet, da er in die Erinnerungen an jenes Scharmützel eintauchte.

„Was geschah dann?“, fragte sie, da sie ihre Neugier nicht bändigen konnte.

„Larenz rettete mir das Leben“, antwortete er und lachte wieder. „Und er machte mir klar, dass ich viele Dinge neu erlernen musste, ehe ich wieder so sein würde, wie ich einmal war.“

Er konnte sie verstehen, weil er das Gleiche durchgemacht hatte. Wie eigenartig, dass ihr bislang noch nie aufgefallen war, wie ähnlich sie sich doch waren.

„Und was hast du gehört, dass du daraufhin deine Blindheit vergessen hast und auf den Hof gestürmt bist?“

Er setzte sich zu ihr, und sie nahm ihre Beine zur Seite, damit er Platz hatte. Als er eine Hand auf ihren Oberschenkel legte, versuchte sie sich einzureden, dass so etwas zwischen einem Mann und seiner Ehefrau üblich war. Immerhin waren sie beide schon intim gewesen, da hatte eine Hand auf ihrem Bein nun wirklich nichts mehr zu bedeuten.

„Hat jemand etwas gesagt, das dich aufmerksam werden ließ? Oder das für dich Anlass zur Sorge war?“, hakte er behutsam nach.

Sie zwang sich dazu, sich auf seine Frage zu konzentrieren, anstatt auf seine Hand zu achten und darauf, wie ihre Haut wegen dieser Berührung kribbelte. Sie wollte sich jetzt nicht von der Erinnerung daran mitreißen lassen, wie er erst vor ein paar Stunden diese Stelle und noch viele andere gestreichelt hatte. Hier in diesem Bett, in dem sie nackt unter ihm gelegen hatte.

Sybilla schluckte und setzte zum Reden an.

„Sybilla?“

„Ich hörte Gareth nach dir rufen. Ich stand in der Nähe der Tür, die noch geöffnet war, und da hörte ich, wie er dich bat, ihn freizulassen.“

„Das habe ich auch gemacht, aber das war nicht der Moment, als du auf den Hof gekommen warst.“

Sie hatte sich geschworen, nicht ihre eigenen Leute zu verraten, aber wenn sie ihm die Wahrheit sagte, dann würde sie genau das tun. Rechtfertigen konnte sie ihr Handeln nur dadurch, dass sie nicht wusste, wer diese Worte zu ihr gesprochen hatte.

„In dem Durcheinander rannte jemand an mir vorbei und verkündete, sie würden mich von dem normannischen Bastard befreien, der sich zu meinem Ehemann erklärt hatte.“

„Bretonisch.“

„Bitte?“

„Ich bin der bretonische Bastard, der sich zu deinem Ehemann erklärt hat“, stellte er klar.

Warum pickten sich Männer immer die bedeutungslosen Dinge heraus und nahmen dabei keine Notiz davon, was das eigentlich Wesentliche ihrer Aussage war? Sie war nach draußen gelaufen, um ihn zu warnen, dass er das Ziel dieses Angriffs war, und dabei hatte sie vergessen, dass sie nichts sehen konnte. Ehe sie ihn darauf hinweisen konnte, küsste Soren sie so stürmisch und leidenschaftlich, dass es ihr den Atem verschlug. In ihrem Kopf drehte sich alles, als er schließlich den Kuss unterbrach, und doch verlangte sie nach mehr.

„Zweifellos war ich das Ziel. Du wurdest versehentlich getroffen, der Angriff selbst war gegen mich gerichtet. Dich zu töten wäre nutzlos. Dann würde ich eine normannische Braut herbringen und mit ihr treue normannische Erben zeugen.“

Was er sicher auch tun würde, wenn sie ihn in einem halben Jahr verließ. Im Augenblick wollte sie nur schreien. Er hatte das alles gewusst? Oh, diese Männer!

„Ich bin dankbar, dass du mich warnen wolltest, aber denk beim nächsten Mal erst gründlich nach, bevor du dich noch einmal in solche Gefahr begibst.“

Sie konnte nichts weiter tun als nicken. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie es tatsächlich noch einmal vergessen würde.

„Wenn es dir jetzt wieder besser geht, werde ich dich allein lassen müssen“, sagte er dann. Seine Schritte entfernten sich in Richtung Tür, aber im letzten Moment rief sie seinen Namen, weil sie ihn noch etwas fragen musste, bevor er sich um seine Angelegenheiten kümmerte.

„Gareth und die anderen, Soren … Wirst du sie jetzt wieder in Ketten legen lassen?“ Sie fürchtete sich vor der Antwort und den Folgen, die ein solcher Schritt bei den Leuten außerhalb von Alston nach sich ziehen würde. Denn sie wusste, dass sie den neuen normannischen Lord genauso argwöhnisch beobachteten wie seinen Umgang mit ihren Landsleuten.

„Ich werde mich mit ihnen darauf einigen, dass sie mir zu dienen haben“, erklärte er.

„Und du würdest dich dabei allein auf ihr Wort verlassen?“, warf sie ein und wunderte sich über seinen Seufzer.

„Warum musst du nur genauso an mir zweifeln wie alle anderen?“, fragte er. Ehe sie ihm sagen konnte, dass die Rebellen in anderen Dörfern nach neuen Rekruten suchten, wie ihr zugetragen worden war, begann er sein Handeln zu erklären – was er zuvor noch nie gemacht hatte. „Ich werde ihren Schwur annehmen, und solange sie sich nichts zuschulden kommen lassen, werden sie ohne Fesseln und ohne Ketten bei ihren Familien leben dürfen.“

Das war weitaus mehr, als sie von ihm hätten erwarten können.

„So, und nun ruhst du dich eine Weile aus und lässt diese Salbe ihre Arbeit machen. Ich muss Raed für sein umsichtiges Handeln danken, und dann werde ich mich um unsere Gäste kümmern.“

„Gäste?“, rief sie erschrocken. „Wir haben Gäste?“ Hatten die etwa mitbekommen, wie er sie im Saal angeherrscht hatte?

„Brice ist eingetroffen, und genau zum richtigen Zeitpunkt. Er hat von seiner Frau Geschenke für uns alle und besonders für dich mitgebracht. Und er wird von meinem Cousin begleitet, Tristan le Breton.“

Sein Tonfall kündete von Missbilligung.

„Stellt dieser Tristan ein Problem dar?“, wollte sie wissen.

„Mehr ein Ärgernis denn ein Problem, würde ich sagen. Er gehört zur Familie, auch wenn wir nur sehr entfernt verwandt sind.“ Er hob den Türriegel an. „Sybilla, wenn du dich kräftig genug fühlst, um nach unten in den Saal zu kommen, dann setz eine zerknirschte Miene auf und lass sie glauben, ich hätte dich geschlagen. Ich muss einen Ruf wahren, der dann ruiniert ist, wenn ich meine ungehorsame Ehefrau nicht züchtige.“

Er machte Scherze und sprach das aus, was man sich über ihn erzählte und was die Leute auch glaubten, sie selbst eingeschlossen. Sie lehnte sich gegen die Kissen auf ihrem Bett und dachte über seine Bemerkungen nach, als er gegangen war. Aber kaum hatte sie sich ein wenig entspannt, wurde die Tür erneut geöffnet.

„Sybilla?“

„Aye, Soren?“

„Zwei Dinge noch. Erstens solltest du dich darauf konzentrieren, dir zunächst das Innere des Burgfrieds einzuprägen, ehe du dich nach draußen begibst. Ordne zum Beispiel alle Dinge hier in deinen Gemächern so an, dass du dich leichter bewegen kannst und schneller findest, wonach du suchst.“

„Eine ausgezeichnete Idee, Soren“, erwiderte sie erfreut. „Und die zweite Sache?“

Entschlossen kam er auf sie zu. Noch vor einer Weile hätte sie sich vor seinen möglichen Absichten gefürchtet. So aber erwachte in ihr eine Vorfreude, die ihr Blut in Wallung versetzte.

„Zweitens habe ich mir überlegt, dass ich dich sehr wohl für deinen Ungehorsam züchtigen muss.“ Er beugte sich vor und küsste sie so voller Inbrunst, dass sie nach Luft schnappen musste. „Heute Abend werde ich das nachholen.“

Sie musste sich zwingen, auf dem Bett sitzen zu bleiben, obwohl sein sinnlicher Unterton ihr Verlangen geweckt hatte und sie ihn am liebsten zu sich ins Bett gezogen hätte.

„Tatsächlich?“

Wieder küsste er sie, wobei er mit den Händen über ihren Körper streichelte und sie mit seinen verlockenden Berührungen daran erinnerte, dass er sie auf eine Weise kontrollieren konnte, die ihr noch immer ein Rätsel war.

„Ja, tatsächlich. Heute Nacht werde ich das nachholen“, versprach er ihr.

 

So wie bei allem, was er versprach, hielt er es auch. In dieser Nacht ließ er sie seinen Namen schreien und stöhnen, flüstern und keuchen, ganz so, wie er es wollte, während er ihr unaufhörlich Lust bereitete und sie immer wieder neue Gipfel dieser Lust erreichen ließ. Er ließ sie betteln – betteln, damit er weitermachte, betteln, damit er aufhörte, betteln, damit er mit ihr machte, was immer er wollte.

 

Am nächsten Morgen verstand sie wesentlich besser, weshalb er vor der Schlacht bei Hastings den Ruf genossen hatte, dass jede Nacht eine andere Frau sein Bett teilen wollte.

Als der nächste Abend anbrach, war ihr Körper schon wieder bereit für ihn. Der bloße Gedanke an seinen Namen genügte, dass sie sich nach all dem sehnte, was er mit ihr machen würde.


Mondscheinküsse für Miss Dara

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