Sybilla stand am Tor und wartete, während auf dem letzten Wagen alles festgezurrt wurde. Soren hatte darauf bestanden, dass sie alles mitnahm, was ihrer Familie gehörte, und genau das tat sie auch. Der Webstuhl war zerlegt worden; man würde ihn wieder zusammensetzen, wenn sie einen Ort gefunden hatte, an dem sie leben konnte.
Die blaue Bettdecke hatte sie letztlich noch zu Ende gewebt, aber sie brachte es nicht fertig, sie ebenfalls mitzunehmen. Wenn sie die Decke betrachtete, sah sie darin ihr Leben vor sich ausgebreitet – das perfekt gewebte Stück stand für den Abschnitt ihres Lebens, bevor Soren vor den Toren Alstons aufgetaucht war, das misslungene Stück für die Zeit, als sie blind gewebt hatte, der besser geratene Teil für die Hilfe, die er ihr war, und dann das letzte Stück, das sie in den schmerzhaften letzten Wochen allein fertiggestellt hatte.
Diese Decke hatte sie zurückgelassen, damit Soren damit machen konnte, was er wollte.
Brice und Giles verabschiedeten sich von den Männern, die mit ihnen gedient hatten. So bald würden die drei Freunde nicht wieder zusammenkommen, da Giles frischgebackener Vater war und Brice’ Ehefrau inzwischen auch in anderen Umständen war. Sybilla hatte Giles’ Angebot angenommen, für eine Weile bei ihnen in Taerford zu bleiben. Als er jetzt das Zeichen gab, dass sie zum Aufbruch bereit waren, schaute sich Sybilla ein letztes Mal um und betrachtete den Ort, der immer ihr Zuhause gewesen war.
Da sie das Gefühl hatte, irgendein Teil vergessen zu haben, ging sie noch einmal zurück in den Burgfried. Mit Tränen in den Augen stieg sie die Treppe hoch zu ihren Gemächern und sah sich dort um. Nur das Bett stand noch da, darauf lag die blaue Decke. Unwillkürlich ging sie hin und berührte den Bettpfosten. Sie schloss die Augen und dachte daran zurück, wie viele Stunden voller Lust und Liebe sie mit Soren in diesem Bett verbracht hatte.
Zu der Zeit war ihnen nicht klar gewesen, dass es Liebe war, aber jetzt wusste sie es, und sie würde bis ans Ende ihrer Tage um das trauern, was sie hier verloren hatte. Sie hatte sich Soren mit Leib und Seele hingegeben und würde all dies niemals vergessen.
„Ich habe nicht nur jede Nacht dafür gebetet, dass du blind bleiben würdest“, hörte sie ihn aus einer Ecke des Raums plötzlich zu ihr sagen, aber sie drehte sich nicht um, weil sie ihn in diesem Moment nicht ansehen konnte.
„Ich habe auch gebetet, dass ich einen Weg finde, wie ich dich dazu bringe, dass du bei mir bleibst.“
Soren ging auf sie zu.
„Ich hatte nur nicht den Mut, dich zu fragen“, sagte er, nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen, damit er ihr einen Kuss geben konnte.
Sybilla wagte es nicht zu hoffen. Sie hielt den Atem an und betete für eine Chance, ihm ihre Liebe zu beweisen.
Soren sah ihr in die Augen, während er seinen Gürtel ablegte, dann folgten der Waffenrock und die Hose, bis er nur noch im Hemd vor ihr stand. Er tat es bei vollem Tageslicht, damit sie alles zu sehen bekam, was er so lange Zeit vor ihr versteckt hatte. Dann machte er die Augen zu und wartete.
Sein Magen verkrampfte sich vor Angst. Angst, die er immer geleugnet hatte. Er liebte sie und hatte es schon gewusst, lange bevor er von Larenz dazu gezwungen wurde, es auch zuzugeben. Ihm hatte es nur am nötigen Mut gefehlt.
So lange Zeit war er von Hass erfüllt gewesen, dass er seine Liebe genauso wenig erkannt hatte wie ihre Liebe zu ihm. Er musste erst Gefahr laufen, all das zu verlieren, ehe er sich dazu hatte bekennen können. Sein Atem stockte, als er auch noch das Hemd auszog und dann nackt vor ihr stand.
Da er ihren Gesichtsausdruck nicht sehen wollte, kniff er die Augen zu und wartete. Er wartete auf eine Reaktion, auf einen Laut, ein Wort, irgendetwas.
Dass sie zu ihm gehen und diese Narben küsste, traf ihn wie ein Schock, da er damit am wenigsten gerechnet hatte. Er spürte ihre Lippen, die sich über die Spuren seiner Verletzung Stück für Stück nach oben vorarbeiteten, bis Sybilla seinen Kopf umfasste und ihn zu sich herunterzog, damit sie sein Gesicht dort küssen konnte, wo seine Narben am gröbsten waren. Soren sank auf die Knie, schlang die Arme um sie und drückte sie fest an sich.
„Bleib bei mir“, flehte er sie an. Der Mann, der er für sie sein wollte, war zurückgekehrt und gab Soren den Mut, ihr seine Liebe zu offenbaren. „Sei meine Ehefrau, meine Zukunft.“