"Es gibt bei uns kein festes Programm", erklärte Susan, als sie am nächsten Morgen alle zusammen beim Frühstück saßen. Sie backte Pfannkuchen, ihr Mann röstete Weißbrot, und Taffy, die Mischlingshündin, lag unter dem großen Küchentisch und wartete auf Leckerlis. "Jedes Kind, das zu uns kommt, hat andere Bedürfnisse. Das gilt auch für die Betreuer." Sie sah erst Shanni und dann Pierce an. "Ihr solltet euch noch einmal hinlegen und richtig ausschlafen."
"Unsinn", antworteten beide wie aus einem Mund.
Susan lachte. "Es ist wirklich nicht nötig, nachts auf dem Turm Wache zu halten. Die Barbaren sind für immer in die Flucht geschlagen."
"Die einzige Gefahr droht von den Kürbisdieben", meinte Hamish mit einem liebevollen Blick auf seine Frau. "Wie groß ist unser größter Kürbis jetzt?"
"Er hat einen Durchmesser von hundertsieben Zentimetern", verkündete Susan stolz. Als sie die verblüfften Gesichter der anderen sah, setzte sie erklärend hinzu: "Wir züchten Kürbisse für den jährlichen Wettbewerb. Soll ich euch mein Beet nach dem Frühstück zeigen?"
"Ich würde lieber wieder an den Strand gehen", antwortete Abby, die vor dem Frühstück schon kurz geplanscht hatte.
"Das sollst du auch", versprach Susan. "Gleich nach den Pfannkuchen."
"Shanni und ich gehen einkaufen", sagte Wendy nun so leise, dass Shanni sie kaum verstehen konnte. Ihr Gewissen meldete sich. In ihrem Kummer hatte sie Wendy zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ihr die Hoffnung auf Erfüllung des Versprechens genommen.
Sie drehte sich zu Pierce um und erkannte an seinem Gesicht, dass er dasselbe dachte.
Sieh nicht hin, ermahnte sie sich. Du weißt doch, dass er nichts mehr mit dir zu tun haben will.
Sie konzentrierte sich auf die Pfannkuchen, die gerade frisch auf den Tisch kamen, und schaute nicht mehr zu Pierce hin. Doch sie spürte seinen Blick, was sie ungemein irritierte.
"Ja, wir gehen einkaufen", bestätigte sie wie nebenbei. "Will irgendjemand mitkommen?"
"Ich", antwortete Pierce. "Zum Bezahlen."
"He!", rief Susan. "Einkaufen ist Frauensache. Da würden Sie nur stören." Dann wandte sie sich an Shanni. "Jedes Geschäft in Dolphin Bay räumt uns Kredit ein. Lassen Sie alles anschreiben. Pierce kann die Rechnung später begleichen."
"Einverstanden", meinte Pierce.
"Wie viel dürfen wir insgesamt ausgeben?"
"So viel, wie ihr wollt", antwortete er. "Um meine Tochter glücklich zu machen, ist mir nichts zu teuer."
Alle sahen ihn überrascht an. Diese Großzügigkeit hatte niemand erwartet – Wendy am allerwenigsten.
"Deine Tochter?", flüsterte sie.
"Damit bist du gemeint, Schatz", versicherte Pierce. Er stand auf, trat hinter Wendys Stuhl und zauste ihr das Haar. "Du machst dich mit Shanni auf den Weg, und wir anderen ziehen gemeinsam an den Strand. Einverstanden?"
"Ja!", riefen die Jungen im Chor.
Abby schloss sich dem Jubel nicht an. "Ich bin auch ein Mädchen", sagte sie schüchtern.
"Und meine zweite Tochter", bestätigte Pierce. "Du hast die Wahl. Möchtest du mit Shanni und Wendy zum Friseur gehen und anschließend einkaufen, oder willst du mit uns eine Sandburg bauen und lernen, wie man Boogieboard fährt?"
"Boogieboard?", wiederholte Abby unsicher.
"Damit üben die Surfer", erklärte Bryce. "Das ist cool."
"Darf Taffy mit an den Strand?"
"Natürlich", versicherte Susan.
"Dann gehe ich mit Bryce und Donald", entschied Abby.
"Das wäre also geklärt." Susan wandte sich an Pierce. "Würden Sie die beiden in die Stadt fahren und später wieder abholen? Wir kümmern uns inzwischen um Bessy."
"Gern", sagte Pierce und warf Shanni dann einen fragenden Blick zu.
"Ich kann meinen Wagen nehmen", erklärte sie.
Hamish schüttelte den Kopf. "Sie haben gestern Abend das Fenster offen gelassen und den Möwen damit einen willkommenen Schlafplatz geliefert. Die haben jede Menge Vogeldreck zurückgelassen."
"Machen Sie sich nichts draus, Shanni", tröstete Susan sie. "Ich kümmere mich um den Wagen, aber bis dahin muss Pierce den Chauffeur spielen."
"Können wir nicht zu Fuß gehen?", fragte Shanni hoffnungsvoll.
"Nicht, wenn Sie bis zum Mittagessen zurück sein wollen."
"Dann nehme ich den Kombi."
"Ich fahre euch", entschied Pierce, worauf Susan zufrieden lächelte.
"Ich dachte, ihr zwei wärt miteinander befreundet", meinte sie scherzhaft.
"Pierce ist mein Arbeitgeber", verbesserte Shanni sie.
"Ach ja?" Susan stellte sich ahnungslos. "Und ich habe angenommen … Aber lassen wir das. Pierce bringt euch in die Stadt und besorgt Dillgurken für mich. Andere Leute haben schließlich auch ihre Wünsche. Okay?"
Während der Fahrt in die Stadt fiel kein Wort. Jeder schwieg aus einem anderen Grund: Wendy aus Ängstlichkeit, Pierce aus Verdrossenheit und Shanni aus Verlegenheit.
"Du hast doch nichts gegen unser Vorhaben einzuwenden?", fragte sie vorsichtshalber, als sie in der Hauptgeschäftsstraße von Dolphin Bay hielten, die direkt am Hafen lag. So früh ließen sich nur wenige Kunden blicken. Dafür herrschte unten bei den Booten reger Betrieb.
"Ich bin voll und ganz damit einverstanden", antwortete Pierce.
"Aber du willst nicht selbst mit Wendy einkaufen?"
Das Mädchen griff nun ängstlich nach Shannis Hand, was Pierce nicht entging. "Das ist Frauensache", flüsterte sie.
"Aber Pierce bezahlt", wandte Shanni ein. "Wenn er will, darf er zumindest zuschauen."
"Darauf verzichte ich." Pierce konnte nicht ganz verbergen, dass Wendys Ablehnung ihn kränkte. "Ich besorge jetzt Dillgurken und fahre zum Schloss zurück. Ist es recht, wenn ich euch in drei Stunden abhole?"
"Zum Essen", hauchte Wendy, ohne ihn anzusehen.
"Also um zwölf Uhr." Alle Natürlichkeit im Umgang mit Pierce war verschwunden. Shanni litt darunter, aber sie konnte nichts dagegen tun. "Bis dann."
"Bye", wisperte Wendy, bevor sie ausstieg.
Shanni folgte ihr widerstrebend. Sie wusste, dass Pierce ihnen nachsah, bis sie verschwunden waren.
Trotz allem wurde es ein herrlicher Vormittag. Der Friseur gab Wendys kupferrotem Haar einen Fassonschnitt und färbte einige Strähnen blond. Für ein elfjähriges Mädchen mochte das etwas gewagt sein, aber Wendy hatte im Spiegel alles genau beobachtet und mit wachsender Begeisterung verfolgt.
"Bin ich hübsch", staunte sie, nachdem der Mann die Haare geföhnt und noch einmal durchgekämmt hatte.
Der Friseur strahlte. "Ich habe zwei andere Termine abgesagt", gestand er Shanni zum Abschied. "Das tue ich immer, wenn sich ein Kind aus dem Schloss zu mir verirrt."
Anschließend bummelten Shanni und Wendy durch die Geschäfte und fanden überall das gleiche Entgegenkommen. Wendy war ein "Schlosskind" und wurde wie eine Prinzessin behandelt. Auf sämtliche Kleidungsstücke gab es Rabatt, und kleinere Accessoires wurden kostenlos hinzugefügt. Als sie im Schuhgeschäft nicht gleich bedient wurden, stand einer der Kunden – ein alter Fischer – auf und sagte: "Sie sind zuerst dran, junge Dame. Das ist bei uns so üblich."
Überall half man ihnen. Als sie schließlich jeder mit einem Eis am Stil in der Hand auf der Hafenmole saßen und auf Pierce warteten – Wendy in kurzem, weitem Rock, ärmellosem Top und roten Sandalen –, gab es kaum jemanden, der im Vorbeigehen nicht einen Augenblick stehen blieb, winkte oder etwas herüberrief.
Als Pierce wenig später in der Nähe parkte und ausstieg, hielt Shanni unwillkürlich den Atem an. Auch Wendy wurde plötzlich ganz still. Sie hielt ihr Eis so, dass es nicht auf ihre neue Kleidung tropfen konnte, und hörte auf, daran zu lecken.
Sein Urteil ist ihr wichtig, dachte Shanni, und mir auch. Wenn Wendy erst volles Vertrauen zu diesem Mann gefasst hat, wird sie ihn genauso lieben wie ich.
Pierce kam langsam näher und blieb in einer Entfernung von etwa fünf Metern unvermittelt stehen. Er legte eine Hand über die Augen, als müsste er sie vor der Sonne schützen, und sagte: "Shanni erkenne ich, aber ist das … Wendy?" Langsam ging er weiter.
Die Kleine begann zu kichern. Es war ein nervöses, verlegenes Kichern, aber Shanni freute sich unendlich darüber.
"Du siehst sehr hübsch aus", fuhr Pierce fort. Mehr sagte er jedoch nicht.
Wendy lächelte, klimperte schüchtern mit den Wimpern und strahlte dann über das ganze Gesicht.
"Ich bin wirklich stolz auf dich." Pierce blieb bewundernd vor Wendy stehen.
"Soll ich dein Eis halten?", fragte Shanni. Als Wendy nicht antwortete, nahm sie es ihr einfach aus der Hand. Sie ahnte, was kommen würde, und hatte sich nicht geirrt.
Pierce hob Wendy hoch und wirbelte sie so schnell herum, dass sie vor Entzücken quiekte. Wie ein normales fröhliches Kind. Shanni traten Tränen in die Augen. Die Szene rührte sie, aber sie wusste auch, dass sie an all dem keinen Anteil hatte.
"Auf zum Essen", sagte Pierce, nachdem er Wendy abgesetzt hatte. "Oder habt ihr zu viel Eis genascht?"
"Meins ist zur Hälfte geschmolzen", stellte Wendy mit einem Blick auf den Rest fest.
Shanni hatte Wendys Eis völlig vergessen. Es tropfte ihr jetzt als rote Flüssigkeit vom Handgelenk.
"Habt ihr einen besonderen Wunsch?", fragte Pierce.
Wendy überlegte. "Wie wäre es mit Fish and Chips am Strand?"
Pierce schüttelte den Kopf. "Heute nicht. Unterhalb des Leuchtturms gibt es ein hübsches kleines Restaurant. Wir waren mit Ruby dort, als das Schloss neu eröffnet wurde. Es gibt dort Champagner."
"Champagner?", wiederholte Wendy unsicher.
"Wir müssen doch auf den Neuanfang anstoßen", meinte Pierce lächelnd. "Aber vorher will Shanni sich bestimmt die Hände waschen."