Eine Woche später.
Rebecca hob die Edelstahlhaube an, unter der sich der Hauptgang ihres Abendessens verbarg, und bedachte den glasierten Lachs mit einem desinteressierten Blick.
Vielleicht hätte es ihren Appetit angeregt, hinunter ins Hotelrestaurant zu gehen, anstatt den Zimmerservice zu beanspruchen. Zumindest hätte sie sich unter die anderen Gäste mischen und so tun können, als wolle sie etwas essen. Jetzt wurde das Essen kalt, und sie hatte erst recht keine Lust mehr, sich etwas davon in den Mund zu schieben.
Auf ihrem Bett am anderen Ende des geräumigen Hotelzimmers lagen unzählige wallende, verknitterte Kleider, dünne Frühlingsjacken, Handtaschen, Schuhe und klobige Schmuckstücke. Alles Dinge, die sie auf dem heutigen Modebasar erstanden hatte. Doch auch dafür konnte sie keinerlei Interesse aufbringen.
Sie seufzte schwer, ging zu der Glasfront des Zimmers und starrte in die finstere Nacht hinaus.
Die blinkenden Lichter der Skyline von Chicago erstreckten sich endlos in alle Richtungen. Und direkt unter ihr, auf der gut beleuchteten Straße, stiegen Menschen in Taxis – oder stiegen gerade aus, um einen der nahe gelegenen Nachtclubs aufzusuchen.
Manchmal wurde Rebecca von einer Modeassistentin begleitet, doch dieses Mal war sie allein zur Midwest Modemesse gefahren. Aber auch wenn sie mit einer Freundin hier gewesen wäre, hätte sie keine Lust verspürt, sich ins Nachtleben zu stürzen.
Sieh es ein, Rebecca. Du bist verwirrt, trübsinnig und vermisst Jake Rollins unendlich. Warum hast du ihm nicht wenigstens …
Plötzlich klingelte ihr Handy und unterbrach Rebecca in ihren Gedanken. Sie wandte sich von ihrem unangetasteten Essen ab und ging zu dem Nachttisch, wo sie ihr Handy liegen lassen hatte. Plötzlich stutzte sie. Eigentlich hatte sie mit einem Anruf ihrer Chefin Arlene gerechnet. Doch die Nummer, die auf der Anzeige aufleuchtete, war ihr vollkommen unbekannt.
Und da dämmerte ihr, dass es die Vorwahl von New Mexico war. Lieber Gott, war es vielleicht Jake?
„Hallo?“, meldete sie sich hastig.
„Rebecca? Sind Sie das?“
Erstaunt, Abe Cantrells Stimme zu hören, ließ sie sich auf die Bettkante sinken.
„Ja, ich bin’s. Wie geht es Ihnen, Abe?“
„Bestens. Ich war gerade draußen und habe mir den Sonnenuntergang angesehen. War wunderschön. Hat mich an Sie erinnert. Und da habe ich Sie angerufen, um zu hören, wie es Ihnen geht.“
Bevor sie zurück nach Houston gefahren war, hatte sie Abe erzählt, dass Gertrude ihre Mutter war. Und wie sehr sie diese ganze Geschichte verwirrt und verletzt hatte. Überraschenderweise hatte Abe ihr Elend besser verstanden als all ihre Freundinnen in Houston.
„Nun, im Moment sitze ich in Chicago in einem Hotelzimmer“, sagte sie.
„Machen Sie Urlaub?“
Als Rebecca die Augen schloss, kam ihr all das, was sie an New Mexico lieben gelernt hatte, in den Sinn. „Weniger angenehm. Ich bin auf einer Geschäftsreise. In meinem Job muss ich sehr viel reisen.“
„Gleich wieder zurück an die Arbeit, nicht wahr? Dann haben Sie wahrscheinlich noch gar keine Zeit gehabt, diesen Ort hier zu vermissen.“
„Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich alles daran.“
„Das Haus Ihrer Mutter sieht jetzt ziemlich verlassen aus. Das ist kein schöner Anblick und gefällt mir überhaupt nicht.“
Vor ihrer Rückreise nach Houston hatte Abe ihre Tiere zu sich genommen und ihnen auf der Apache Wells ein liebevolles Zuhause gegeben. Noch etwas, wofür Rebecca ihm dankbar war.
Sie sagte: „Vielleicht wäre es besser, wenn dort eine nette kleine Familie einzieht und das Haus in Ehren hält. Kennen Sie vielleicht jemanden?“
„Viel lieber würde ich Sie darin sehen.“
Sie schluckte hart und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. „Nun, Sie wissen ja, wie es ist, Abe. Man muss arbeiten, um sich über Wasser zu halten.“ Sie räusperte sich und fragte: „Wie geht es Beau?“
„Nachdem Sie gegangen sind, hat er tagelang Trübsal geblasen. Inzwischen geht es ihm jedoch gut. Ich war nie der Typ, der sich mit einem Hund anfreundet, aber wie es aussieht, kann er nicht ohne mich sein, und ich nicht mehr ohne ihn. Wir sind praktisch aneinandergekettet. Die Katzen im Stall schweben im Mäusehimmel, und Star hat in der Herde schon neue Freunde gefunden. Ich weiß, dass Sie mich nicht darum gebeten haben, aber ich habe Ihren Rasen mähen lassen. Nur für den Fall, dass Sie zurückkommen.“
„Das wird leider nicht so bald passieren. Trotzdem vielen Dank. Mir geht es besser, wenn ich weiß, dass das Anwesen nicht herunterkommt.“
„Sie haben sich noch gar nicht nach Jake erkundigt“, sagte er spitz.
Der alte Mann war ziemlich geschickt, das musste man ihm lassen. Rebecca holte tief Luft. „Wie geht es Jake?“
„Gar nicht gut. Mehr kann ich leider nicht sagen.“
Rebecca umklammerte das Handy. „Warum? Was ist los mit ihm?“
„Das müssten Sie ihn schon selbst fragen. Ich weiß nur, was Quint mir erzählt. Und er sagt, dass Jake mit dem Gedanken spielt, einen Job bei der Rennbahn anzunehmen und die Rafter-R-Ranch zu verkaufen.“
„Seine Ranch verkaufen?“ Rebecca war verblüfft. „Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn, Abe! Er hat so schwer daran gearbeitet. Und er war sehr stolz auf das Anwesen.“
„Nun, Jake hat sich nie an materielle Dinge geklammert. In gewisser Weise ist Quint genauso. Wahrscheinlich waren die beiden Jungs deshalb immer so gute Freunde. Wenn Sie mich fragen, dann sollte er die ganzen verdammten Kühe loswerden und sich ganz auf die Pferdezucht konzentrieren. Das ist es, was er liebt.“
„Dann sollten Sie ihm das sagen, Abe. Sie sind sein Freund, und ich weiß, dass er Ihre Meinung respektiert.“
Abe lachte. „Er wäre nicht begeistert, wenn ich ihm vorschreiben würde, was er zu tun hat. Sie dagegen … das ist etwas ganz anderes. Wenn Sie ihm das sagen, dann hätte das durchaus Gewicht.“
„Das bezweifle ich, Abe. Ich habe nicht einmal etwas von Jake gehört. Und ich rechne auch nicht damit.“
„Kein Gesetz verbietet Ihnen, dass Sie ihn anrufen, oder?“
Jake anrufen? Was sollte das bewirken, außer, dass es ihr erneut das Herz aufreißen würde? „Jake will aber nichts von mir hören.“
Abe prustete in den Hörer. „Und Gras wächst nicht im Frühjahr.“
Rebecca schloss die Augen und fuhr mit der Fingerspitze über eine Braue. „Gras braucht Sonne und Regen zum Wachsen“, erinnerte sie den alten Mann.
Es herrschte längeres Schweigen, und während Rebecca auf eine Antwort wartete, hörte sie im Hintergrund das leise Wiehern eines Pferdes. War das Star, die noch immer nach Banjo rief? Bei diesem Gedanken hatte Rebecca einen Kloß im Hals.
„Jake ist für mich wie ein Sohn“, sagte Abe schließlich. „Ich will nicht, dass es ihm