Zeit der Zärtlichkeit, Zeit der Liebe – Kapitel 5

~ Kapitel 5 ~

„Jake, warte!“

Als Rebeccas Stimme hinter ihm ertönte, griff Jake bereits nach dem Türgriff seines Trucks.

Er hielt inne, blickte über seine Schulter und sah, wie sie auf ihn zugerannt kam. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihm bis hierher nachlaufen würde. Dass sie es doch getan hatte, erstaunte und verärgerte ihn gleichermaßen. „Du hättest mir nicht folgen sollen, Rebecca.“ Seine Stimme war heiser. „Ich sagte doch, dass ich wegmuss.“

„Ich verstehe dich nicht, Jake. Ich dachte, wir hätten einen wunderschönen Abend zusammen verbracht.“

Irgendetwas in seiner Brust zog sich zu einem Knoten zusammen. Es war ein Schmerz, wie er ihn noch nie gespürt hatte. Und dieses Gefühl ängstigte ihn fast so sehr wie ihr Kuss. „Den haben wir auch. Es war … schön. Wirklich schön. Aber …“ Er stockte und stellte verwundert fest, dass ihm die Worte fehlten.

Bisher war es ihm nie sonderlich schwergefallen, sich mit Frauen zu unterhalten. Wenn Worte nicht wirkten, dann konnte er seinen Gefühlen immer noch auf körperliche Weise Ausdruck verleihen. Rebecca gegenüber hatte er in dieser Hinsicht jedoch schon zu viel geäußert.

Sie kam näher, und für einen Moment war er kurz davor, in seinen Truck zu flüchten. Dann wäre er wenigstens nicht mehr versucht, sie in seine Arme zu ziehen und ihre sinnlichen Lippen mit weiteren Küssen zu bedecken.

Rebecca sah ihn verwundert an. „Aber warum, Jake? Hat dir der Kuss nicht gefallen?“

Er stöhnte tief auf. „Natürlich hat er mir gefallen!“

„Warum läufst du dann vor mir davon?“

Ja, warum eigentlich? Er war noch nie vor einer Frau davongelaufen. Im Gegenteil, bisher hatte er sich ihnen nur allzu gern ausgeliefert – zumindest für eine Weile. „Weil das, was auf der Veranda zwischen uns passiert ist … ich hatte das nie so geplant.“

Nein, aber du hast es dir verdammt noch mal vorgestellt.

„Ich auch nicht.“

Er atmete heftig aus. „Ich will nicht, dass du denkst … Sieh mal, Rebecca, du bist eine Lady, und als ich heute hierherkam, war ich fest entschlossen, mich wie ein Gentleman zu benehmen.“

Sie musste lächeln.

Jake merkte, wie er sie anstarrte und sich dabei fragte, warum sich ihr Kuss so anders angefühlt hatte als die von allen Frauen, die er geküsst hatte.

„Auch Ladys küssen, Jake. Erst recht, wenn sie mit einem Gentleman zusammen sind, den sie mögen.“

Er schüttelte den Kopf und versuchte zu lachen, doch heraus kam nur ein hilfloses Stöhnen. „Und du denkst, ich bin so einer? Da täuschst du dich, Rebecca. Ich bin ein Durchschnittstyp, der gut darin ist, sich für etwas auszugeben, was er nicht ist. Ich bin nicht wie die Männer, mit denen du normalerweise ausgehst. Die Männer, die du küssen willst.“

Mit ernster Miene ging sie einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Woher weiß du, welche Männer ich küssen will?“

Er versuchte lässig zu bleiben und mit den Schultern zu zucken, doch innerlich zitterte er.

Es war verrückt. Einfach lächerlich. Was war nur los mit ihm? Eigentlich war es doch eine Freude, einer Frau wie ihr so nahe zu sein. Einer Frau, nach der er so lange gesucht hatte.

„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht die Art Mann bin.“

„Vielleicht hätte ich mich noch deutlicher ausdrücken sollen.“

Wenn sie noch deutlicher wäre, würde seine Selbstkontrolle wie ein dürrer Zweig zwischen ihren sanften Fingern zerbrechen. Er war immer noch erstaunt, dass er die Kraft gefunden hatte, sich von ihr und dem Kuss zu lösen.

„Es war deutlich genug, Rebecca. Wir sind zwei völlig unterschiedliche Menschen. Im Moment siehst du in mir wahrscheinlich den Reiz des Neuen. Großstadtpflanze trifft raubeinigen Cowboy. Aber das passt nun einmal nicht zusammen. Aus diesem Grund können du und ich nur Freunde sein. Mehr nicht.“

Seufzend überbrückte sie auch noch die letzte Distanz und legte eine Hand auf seinen Unterarm. „Warum tust du das, Jake?“

Er schluckte. „Warum tu ich was?“

„Du machst eine Riesensache aus einem kleinen Kuss. Ich schwöre, dass ich nicht versucht habe, dir einen Strick umzulegen.“

Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Jake wahrscheinlich über ihre Bemerkung gelacht. Vor allem, weil sie ernsthaft annahm, er sei besorgt darüber, von ihr angebunden zu werden. Nach dreißig Minuten würde sie ihn doch wieder losbinden, ihm einen Tritt in den Hintern verpassen und ihn in die Herde zurückschicken. Im Moment war ihm jedoch gar nicht zum Lachen zumute. „Ich habe keinen Gedanken daran verschwendet, was du vielleicht tun könntest. Und ich mache auch keine Riesensache daraus.“

„Tatsächlich? Du springst also immer auf und lässt deine weiblichen Gäste einfach so sitzen?“

„Du bist heute nicht mein Gast. Ich bin deiner.“

Rebecca war sichtlich verzweifelt. Doch als sie seine Miene betrachtete, wurde ihre Miene weicher, und sie drückte sanft seinen Arm. „Jake, ich will nicht, dass du im Zorn gehst. Ich mag dich. Und der heutige Abend war für mich etwas ganz Besonderes.“

Die Mauer des Widerstands, die er zwischen ihnen errichtet hatte, begann zu bröckeln wie alter Lehm. „Ich bin nicht wütend. Nicht im Entferntesten. Ich versuche nur …“ Nicht den Verstand zu verlieren. Hilflos suchte er nach den richtigen Worten. „Vorhin auf der Veranda … wenn dieser Moment noch länger gedauert hätte, dann hätte ich mich möglicherweise nicht mehr zurückhalten können.“

„Wäre das denn so schlimm gewesen?“

Sie hatte angedeutet, dass ein gemeinsames Liebesspiel kein Tabu für sie war. Normalerweise war das genau das Startsignal, dass Jake sich von einer Frau erhoffte. Er war sich jedoch unschlüssig, ob er das auch von Rebecca wollte. „Vor einer Sekunde sagtest du, dass du mich magst“, gab er zurück. „Nun, ich mag dich auch, Rebecca. Und ich möchte nicht, dass irgendetwas geschieht, das dieses Gefühl zunichtemacht.“

Sie forschte eine gefühlte Ewigkeit in seinem Gesicht. Dann nickte sie gedankenverloren und ließ seinen Arm los. „Ich verstehe.“

Tat sie das wirklich? Er verstand sich selbst nämlich absolut nicht. Eine Frau zu mögen – das hatte ihn nie davon abgehalten, mit ihr zu schlafen. Bis jetzt zumindest nicht.

Er drehte sich zur Wagentür um und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Ich gehe jetzt besser, Rebecca.“

„Wirst du … sehen wir uns wieder?“, fragte sie.

Er wich ihrem Blick aus, aus Angst, sein Vorsatz, ein Gentleman zu sein, könne in sich zusammenfallen.

„Natürlich. Ich komme irgendwann mal abends vorbei und nehme dich zur Rafter-R-Ranch mit. Wenn du sie immer noch sehen möchtest.“

„Natürlich will ich das. Bevor du gehst, habe ich noch eine Frage.“

Das machte ihn neugierig. „Ja?“

„Die Frau auf der Beerdigung meiner Tante. Ihre Freundin, die du Bess genannt hast. Wenn du denkst, dass es sie nicht stört, würde ich gern mal mit ihr reden. Kannst du mir sagen, wo ich sie finde?“

„Natürlich. Wenn du Alto durchquerst, gibt es auf der rechten Seite einen kleinen Gemüseladen mit der Hausnummer 532. Morgens arbeitet sie dort.“

„Danke. Ich hoffe, dass sie mir ein paar Fragen über meine Tante beantworten kann.“

„Das ist gut möglich.“ Jake riss die Wagentür auf und kletterte hinter das Steuer, bevor er sich noch einen letzten Blick auf Rebecca erlaubte. „Bis bald, Rebecca.“

Wortlos hob sie die Hand zum Abschied.

Er winkte, während er den Motor startete. Und bevor er seine Meinung noch ändern konnte, fuhr er davon.

    Während draußen die Sonne gleißend hell schien, war es im Innern des Ladens düster.

Der Duft von Gebratenem stieg Rebecca in die Nase. Als ihr Blick zur linken Kasse wanderte, sah sie, dass der Laden an einen kleinen Imbiss angeschlossen war, der warme Mahlzeiten servierte.

Hinter der Kasse hockte eine füllige Frau mit einer schwarzen Hose und einer roten Bluse, die rechts in Brusthöhe das Wort „Frank’s“ aufgestickt hatte.

Die Frau war gerade dabei, einem jungen Mann, der Getränke einkaufte, das Wechselgeld zu zählen. Ihre Haarfarbe war eine Mischung aus Grau und Haselnussbraun, und obwohl sie wahrscheinlich noch keine sechzig Jahre alt war, hatte sie zahlreiche Falten im Gesicht.

Rebecca konnte sich nur undeutlich an die Beerdigung erinnern, aber sie erkannte das Gesicht der Frau wieder. Sie wartete an der Seite, bis der Kunde den Laden verlassen hatte. Dann trat sie näher.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“

„Ich denke schon. Sie sind Bess, nicht wahr?“

Mit der Hüfte schob die Frau die Kassenschublade zu. „Ja, warum? Kennen wir uns?“

„Ich bin Rebecca Hardaway, Gertrude O’Dells Nichte.“

Die Frau starrte Rebecca an, als hätte diese ihr gerade eröffnet, sie käme vom Mars. „Sie machen Witze. Sie sind die Frau, die ich auf der Beerdigung gesehen habe?“

Rebecca nickte und sah unbewusst an ihrer legeren Kleidung hinunter. Für diesen Besuch hatte sie sich absichtlich in ihre älteste Jeans und ein einfaches T-Shirt geworfen. Sie trug auch kein Make-up, und ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Zweifellos sah sie der Houston-Rebecca überhaupt nicht mehr ähnlich.

„Das ist richtig“, entgegnete sie. „Tut mir leid, dass ich an dem Tag keine Gelegenheit hatte, mit Ihnen zu sprechen. Ich wollte Ihnen danken, dass Sie sich die Zeit genommen haben, zur Beerdigung meiner Tante zu kommen.“

Bess musterte sie ein, zwei Sekunden lang gedankenverloren. Dann drehte sie plötzlich den Kopf und rief jemandem im hinteren Bereich des Ladens zu. „Sadie! Kommst du mal und übernimmst die Kasse für mich? Zeit für meine Pause.“

„Moment!“, rief eine Stimme aus dem hinteren Bereich des Ladens zurück. „Ich komme in einer Minute!“

„Draußen gibt es einen Platz, wo wir uns hinsetzen können“, sagte Bess zu Rebecca. „Ich habe ein paar Minuten Zeit, wenn Sie reden möchten.“

Hinter ihr schlurfte eine sehr junge Frau mit pink-schwarzen Haaren und einer gepiercten Unterlippe heran. „Okay, bin schon hier. Lass dir Zeit. Ist ja nicht so, dass heute massenhaft Kundschaft da wäre.“ Sie sah Rebecca kurz an. „Sie werden schon bedient?“

„Sie ist hier, um mich zu besuchen“, erklärte Bess der Kollegin und führte Rebecca eilig zur Tür hinaus. „Sadie ist ein nettes Mädchen, aber sie liebt es, Tratsch zu verbreiten. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Ich verstehe schon“, nickte Rebecca. Gleichzeitig fragte sie sich, ob diese Frau ihr irgendetwas über ihre Tante erzählen wollte, das nicht für fremde Ohren bestimmt war.

Auf der Westseite des Gebäudes stand ein Picknicktisch im Schatten zweier Espen. Rebecca nahm auf der einen Seite Platz, während sich Bess ihr gegenüber vorsichtig auf die Bank plumpsen ließ.

„Oh, ja“, sagte sie und seufzte zufrieden. „Das tut den alten Füßen gut. Bin schon seit fünf Uhr morgens auf den Beinen.“

Erstaunt warf Rebecca einen Blick auf die Uhr. Es war fast elf. „Sie arbeiten schon seit fünf Uhr früh?“

„Eigentlich habe ich sogar etwas früher angefangen. Das bekommt mein Chef allerdings nicht mit. Ich muss ja das Gebäck und die Frühstück-Tacos vorbereiten. Die Arbeiter wollen etwas, das sie unterwegs essen können. Wahrscheinlich haben sie keine Frauen, die für sie kochen.“ Sie sah Rebecca an und lachte. „Jetzt merkt man mir aber mein Alter an, nicht wahr, meine Liebe? Ehefrauen kochen doch heutzutage nicht mehr.“

 

Ein schwaches Lächeln huschte über Rebeccas Gesicht. „Da kann ich nicht mitreden. Ich war nie verheiratet“, gab sie zu. Und ihre engsten Freundinnen auch nicht. Alle waren Karrierefrauen, wie sie selbst. Und was ihre Mutter anging – zu ihrer Küche hielt Gwyn so viel Abstand wie möglich.

„Nun, da verpassen Sie nichts. Ich spreche aus Erfahrung. Ich hatte mal einen Mann. Der war aber ein Nichtsnutz. Arbeiten mochte er nicht. Und als ich versucht habe, ihn zum Arbeiten anzutreiben, mochte er auch mich nicht mehr. Eines Tages brach er zu anderen Ufern auf und kam nie mehr zurück.“

Die Frau erzählte das alles völlig beiläufig. Rebecca nahm an, dass ihr das vor sehr langer Zeit passiert war. „Oh. Hatten Sie Kinder mit ihm?“

„Zwei. Einen Jungen und ein Mädchen. Danach habe ich sie allein großgezogen.“ Sie sah Rebecca bedeutsam an. „Eine Frau muss tun, was sie tun muss, wenn Sie verstehen.“

Ja, Rebecca verstand. Ihr Vater hatte sie verlassen, wenn auch nicht freiwillig. Und ohne ihn hatte sich ihre Welt verändert. Nach seinem Tod hatte sie beschlossen, sich nie an einen Mann zu ketten oder gar ihr Glück von ihm abhängig zu machen.

Bisher hatte sie dieser Schwur vor einem gebrochenen Herzen bewahrt. Doch er hatte sie auch um eine dauerhafte Beziehung gebracht. Ein Mann wollte, dass man sich an ihn kettete. Er wollte gebraucht werden. Aber bis zum heutigen Tag hatte sie noch nie einen Mann kennengelernt, für den sie ihre Unabhängigkeit geopfert hätte.

Sie sagte zu Bess: „Sie müssen eine sehr starke Frau sein.“

Bess schnaubte, dann murmelte sie: „Von wegen! Die meiste Zeit hatte ich schreckliche Angst. Aber das ist eine andere Geschichte, und Sie sind ja nicht hergekommen, um über mich zu sprechen.“

„Jake Rollins sagte mir, dass ich Sie hier finde. Er meinte, Sie seien mit meiner Tante befreundet gewesen.“

Bess blinzelte Rebecca neugierig an. „Jake, hm? Kennen Sie Jake?“

Rebecca spürte, wie sie errötete und ihre Wangen heiß wurden. Schon die Erwähnung seines Namens genügte, um die Erinnerung an seinen Kuss wach werden zu lassen. An seinen Geschmack und das wilde, ungezähmte Verlangen, das er in ihr ausgelöst hatte … „Wir … kennen einander.“

„Nehmen Sie sich vor dem nur in Acht, Kindchen. Der lässt bei Frauen nichts anbrennen.“

Tief in ihrem Innern kochte eine ungewohnte Hitze hoch, und Rebecca tastete unbewusst nach ihren Lippen. Der Mann war wie ein Potenzmittel, und die Dosis, die sie letzte Nacht eingenommen hatte, wirkte immer noch nach.

„Das habe ich mir schon gedacht“, gab Rebecca zu. Dann versuchte sie, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Kannten Sie meine Tante gut?“

Bess hielt kurz inne, um nachzurechnen. „Vielleicht zwanzig Jahre, oder noch länger. Ich hatte gerade angefangen, bei Frank’s zu arbeiten. Sie kam einmal die Woche her, um Vorräte einzukaufen. Anfangs wechselten wir nie mehr als ein paar Worte. Bis sie irgendwann ein Kartenspiel kaufte. Sie war eine stille, bescheidene Frau, die immer mit gesenktem Kopf herumlief. Sie kleidete sich fast wie ein Mann. Wahrscheinlich, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber bestimmt wissen Sie das schon alles.“

Rebecca schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, ich muss leider zugeben, dass ich gar nichts über meine Tante weiß. Bevor ich von ihrem Tod erfuhr, wusste ich noch nicht einmal, dass ich eine Tante habe.“

„Das ist nicht wahr, oder?“

„Leider doch. Und jetzt versuche ich, so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen. Hat sie je von ihrer Familie gesprochen? Hat sie mich mal erwähnt?“

Bess nickte grimmig. „Gertie hat mal erzählt, dass sie Verwandte in Texas hat. Aber sie hat nie von jemand Bestimmtem gesprochen. Ich wusste, dass ihre Eltern tot sind, und dass sie nie geheiratet hat. Einmal habe ich sie gefragt, warum sie nie zu Besuch hinfährt. Da meinte sie, dass sie ungern reist und die Stadt hasst. Viele Male, vor allem wenn es ihr schlecht ging, hätte ich sie am liebsten gefragt, warum ihre Familie sie nie besucht. Aber ich habe gemerkt, dass sie darüber nicht sprechen wollte. Und das habe ich respektiert. Es gibt einen Haufen Dinge, die auch ich lieber für mich behalte.“

„Gab es irgendjemand Besonderen in ihrem Leben?“

Und wieder schüttelte Bess den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass es irgendwann einmal einen Mann in ihrem Leben gegeben hat. Das kann ich mir natürlich auch eingebildet haben.“

„Haben Sie sie mal darauf angesprochen?“

„Aber sicher. Vor vielen Jahren, kurz nachdem sie hierhergezogen war, habe ich sie gefragt, ob sie verheiratet gewesen sei. Sie erwiderte, dass sie und Männer keine gute Mischung ergeben. All die Zeit hat sie da draußen allein mit ihren Viechern gelebt. Mit Männern kam sie vielleicht nie besonders gut klar, aber die Tiere liebte sie. Apropos … kümmert sich eigentlich jemand um die Tiere, die sie zurückgelassen hat? Ich dachte, dass ihr Nachlassverwalter sie vermittelt.“

„Ich kümmere mich um sie“, sagte Rebecca. „Zumindest, solange ich noch hier bin.“

„Sie verkaufen das Haus wahrscheinlich“, meinte Bess nachdenklich. „Bei einem Mädchen wie Ihnen kann ich mir nicht vorstellen, dass sie wie Gertie dort draußen in der Einöde lebt.“

„Erst einmal bleibe ich dort wohnen. Ich weiß allerdings nicht, für wie lange. Wie sah meine Tante eigentlich aus? War sie klein und dunkelhaarig?“

Bess stutzte. „Aber nein. Ganz im Gegenteil. Sie sah Ihnen sehr ähnlich. Groß und blauäugig. Und blond war sie auch, nur etwas dunkler. Straßenköterblond haben wir es immer genannt. Warum? Hat ihre Zwillingsschwester denn anders ausgesehen?“

„Ja. Meine Mutter ist brünett und außerdem kleiner. Das kann nur bedeuten, dass die beiden keine eineiigen Zwillinge waren.“

Bess tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger ans Kinn. „Gertie hatte eine Zwillingsschwester. Das will mir noch immer nicht in den Kopf.“ Sie sah Rebecca bedeutungsvoll an. „Wenn Ihre Mutter sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, zur Beerdigung zu kommen, muss zwischen den beiden ganz schön böses Blut geherrscht haben.“

„Da haben Sie wahrscheinlich recht. Aber ich … meine Mutter will einfach nicht über Gertrude sprechen.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern und lächelte Bess dankbar an. „Vielen Dank, dass Sie mir von ihr erzählt haben.“

Bess tätschelte ein weiteres Mal Rebeccas Arm. „Sehr gern, Kindchen. Wenn Ihnen mal wieder nach einem Gespräch ist – ich wohne etwa eine Meile von hier. Wo genau Sie mich finden, kann Ihnen jeder hier sagen.“ Sie stand auf. „Ich gehe besser zurück, bevor Sadie ungeduldig wird und die Kasse verlässt, um nach mir zu sehen.“

Rebecca verabschiedete sich dankend.

Während Bess in den Laden zurückging und Rebecca zum Truck zurückkehrte, drehten sich ihre Gedanken um die Informationen, die sie von Bess erhalten hatte.

Was hatte das alles zu bedeuten?

Vielleicht waren sie gar keine Zwillingsschwestern gewesen. Möglicherweise waren sie nicht einmal echte Schwestern, was erklärt hätte, weshalb es ihnen so leichtgefallen war, getrennte Wege zu gehen. Eine oder beide von ihnen war möglicherweise adoptiert. Doch warum hatte ihre Mutter ihr erzählt, sie und Gertrude seien Zwillinge?

Nichts von alledem ergab einen Sinn. Wie sollte sie jemals die Wahrheit herausfinden, ohne Gwyn erneut zu konfrontieren und Antworten von ihr zu verlangen?

    Drei Tage später verbrachte Jake den Vormittag und einen Teil des Nachmittags damit, die Kälber zu brandmarken, die er und seine Hilfsarbeiter Trace und Jet zusammengetrieben hatten.

Kaum waren alle gegangen, machte sich bei Jake die Stille bemerkbar. Und mit dem Gefühl der Einsamkeit kehrte auch die Erinnerung an Rebecca zurück. Nicht, dass er einen ruhigen Moment gebraucht hätte, um an sie zu denken. Die letzten drei Tage hatte er an kaum etwas anderes gedacht.

Dieser Kuss. Noch nie hatte ihn ein so kurzer Kuss auf ähnliche Weise berührt. Er konnte ihn einfach nicht vergessen, musste immer wieder daran denken, wie gern er das wiederholen würde.

Dabei war der Kuss wahrscheinlich ein Fehler gewesen. Der ganze Vorfall trieb ihn fast in den Wahnsinn. Dennoch musste er zugeben, dass noch keiner seiner Fehler so gut geschmeckt hatte.

Stöhnend griff er nach seinem Handy und klappte es auf. An dem Abend, an dem er Rebecca in der Küche geholfen hatte, hatte sie ihm ihre Handynummer gegeben.

Sie nahm beim dritten Klingeln ab. Das schwache Hintergrundrauschen verriet ihm, dass sie sich höchstwahrscheinlich draußen aufhielt. „Wie schön, von dir zu hören, Jake“, begrüßte sie ihn.

Die Freude floss durch ihn hindurch wie ein kaltes Getränk nach einer langen Durststrecke, und er lächelte. „Störe ich gerade?“

„Überhaupt nicht. Ich streiche den Zaun im Hof. Für die Unterbrechung bin ich dir also dankbar.“

Sie strich den Zaun im Hof? Das klang nicht nach einer Frau, die kurz vor dem Aufbruch stand. Aber vielleicht brachte sie das Haus auch nur auf Vordermann, um es zum Verkauf anzubieten.

Herrgott, Jake, das macht doch überhaupt keinen Unterschied. Irgendwann fährt sie nach Houston zurück, und du führst wieder dein Vagabundenleben.

Schnell verdrängte er diesen Gedanken und sagte: „Nun, meine Arbeit ist für heute getan, und ich habe mich gefragt, ob du mich vielleicht auf der Ranch besuchen möchtest.“

Sie zögerte – aber nur für eine Sekunde. „Ich dachte schon, du hast die Einladung vielleicht vergessen.“

Vergessen? Nichts von dem, was mit ihr zu tun hatte, oder was zwischen ihnen gesagt worden war, konnte er jemals vergessen. Wenn ihn das zu einem romantischen Trottel machte, dann zog er sich diesen Schuh gern an.

„Nein. Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Wenn du willst, hole ich dich in einer Dreiviertelstunde ab.“

„Wenn du mir den Weg beschreibst, kann ich selbst fahren, Jake. Es ist nicht nötig, dass du so weit fährst, nur um mich abzuholen.“

Er stand von seinem Stuhl auf und ging ins Haus. Während er das Wohnzimmer durchquerte, sagte er: „Ich weiß, dass dein alter Truck sehr zuverlässig ist. Trotzdem hätte ich kein gutes Gefühl, wenn du nachts mit ihm durch die Berge fährst.“

„Oh. Bleibe ich denn so lange bei dir?“

Neben einem Sessel blieb er stehen und lachte leise, dann sagte er mit heiserer Stimme: „Die Ranch ist groß, Rebecca. Und ich will dir alles zeigen. Zumindest das Wichtigste. Hast du immer noch Lust?“

Sie zögerte erneut, und Jake wünschte in diesem Moment, er könne ihr Gesicht sehen, um ihre Gedanken zu erraten. Vielleicht biss sie sich auf die Lippe und überlegte, ob er die Mühe wert war.

„Ich bin bereit“, sagte sie.

 


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