Big Sky Wedding - Hochzeitsglück in Montana

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Die Braut steht vorm Altar und wartet auf den Bräutigam. Und wartet - und wartet - vergeblich. Dieser Albtraum ist für Brylee Parrish Wirklichkeit geworden. Kein Wunder, dass sie Männern seitdem misstraut. Vor allem solchen wie Zane. Der sexy Schauspieler mit dem umwerfenden Lächeln, das Brylees Knie weich werden lässt, hat die Nachbarranch gekauft. Ein Sonntagscowboy, ein Aufreißertyp! Glaubt sie. Ein Irrtum - wie sie schnell erkennt. Doch selbst die romantischen Küsse können ihre Zweifel an Zane nicht ganz vertreiben: Wer weiß schon, ob der berühmte Hollywoodstar im beschaulichen Parable, Montana nicht nur eine Gastrolle spielt?


  • Erscheinungstag 10.10.2014
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493614
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Big Sky Wedding – Hochzeitsglück in Montana

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anita Sprungk

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Big Sky Wedding

Copyright © 2013 by Linda Lael Miller

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München; Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-361-4

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Wie das nun mal so ist, standen in dem Städtchen Three Trees, Montana, viel mehr Bäume, als der Name vermuten ließ. Das war Zane Sutton gerade recht. Er hatte die Nase voll von übervölkerten Großstädten, Beton, Stahl und Asphalt. Für eine lange Zeit konnte er gut darauf verzichten. Genauer gesagt für immer.

Stattdessen sehnte er sich nach Wäldern, blau und violett schimmernden Berggipfeln, reißenden Flüssen, kristallklaren Seen und Bächen.

Seit er erwachsen war, hatte Zane fast jeden Tag so genommen, wie er kam, und sich mit dem zufriedengegeben, was dessen flüchtige vierundzwanzig Stunden ihm zu bieten hatten. Selten hatte er länger als bis zum nächsten Rodeo in der nächsten Stadt, im nächsten County oder im nächsten Bundesstaat geplant. Alles andere – Beziehungen, Jobs außerhalb der Rodeo-Saison, meistens als Trucker oder Packer, ja, sogar seine zufällige Filmkarriere – ließ er unbeachtet hinter sich zurück. All diese Dinge bedeuteten ihm im Grunde wenig, waren sie doch nichts weiter als eine lange Spur von Nichtigkeiten, die er zur jeweiligen Zeit für eine gute Idee gehalten hatte.

Das hieß allerdings nicht, dass er viel bedauerte. Seit Jüngstem allerdings dachte er öfter daran, dass er mit vierunddreißig Jahren allmählich ein Ziel ins Auge fassen, und nicht mehr in den Tag hinein leben und sich ein wenig erwachsener verhalten sollte. Er wollte sich irgendwo niederlassen und sesshaft werden. Vielleicht gelang es ihm ja so, seinem Leben ein wenig mehr Sinn zu geben.

Im Augenblick stand er, beide Stiefel fest auf dem Boden, der ihm gehörte und hypothekenfrei war, im blendend hellen Licht der Junisonne. Zane nahm den Hut ab, strich sich mit einer Hand durch das hellbraune Haar, atmete tief die reine klare Luft ein und legte den Kopf in den Nacken, um den makellos blauen Himmel zu bewundern, der sich wolkenlos am Horizont erstreckte. Seiner Meinung nach konnte nichts mit diesem endlos weiten Himmel über Montana mithalten, nicht einmal das Deckengewölbe der prunkvollsten Kathedrale auf der ganzen Welt.

Der Anblick weckte eine gewisse Ehrfurcht in ihm, und er genoss ihn sehr bewusst, wann immer er hochschaute.

Endlich hatte er ein Zuhause gefunden, hier, auf diesem riesigen Stück Land. Genau hier wollte er Wurzeln schlagen wie die altehrwürdigen Eichen und Kiefern, Pappeln und Tannen ringsumher. Vor ein paar Jahren schon hatte er die Hangman’s- Bend-Ranch gekauft, ursprünglich als Geldanlage und aus einer puren Laune heraus, zusammen mit seinem Bruder Landry, einem Teufelskerl, der ein Vermögen am Kapitalmarkt machte. Auch Landry ließ sich ziellos treiben, jedoch auf eine andere Weise als Zane.

Beide hatten sich nicht die Mühe gemacht, das erworbene Land zu besichtigen. Sie hatten die Verträge unterschrieben, und das war’s.

Zane hatte keine Ahnung, ob es seinem Bruder ähnlich ging, er jedoch war seit Ewigkeiten von Rastlosigkeit getrieben. Bereits von Kindheit an, dessen war er sicher, aber erst vor ein paar Tagen hatte er sozusagen eine Offenbarung erlebt. Daran war nichts Mystisches. Es war ihm kein weißes Licht erschienen, das ihn umgeworfen hatte, keine Engelschöre oder Ähnliches. Ihm war einfach nur auf einmal klar geworden, dass er sich in seinem jetzigen Leben nicht mehr wohlfühlte. Er war es leid, allem Glamour zum Trotz. Oh, er hatte schon Spaß daran gehabt, Schauspieler zu sein. Meistens war die Arbeit leicht, wenn auch sehr oft tödlich langweilig. Aber seit Kurzem fiel es ihm immer schwerer, Film und Wirklichkeit auseinanderzuhalten.

Diese plötzliche Erkenntnis führte dazu, dass Zane sich auf einem Autostellplatz in Los Angeles wiederfand, wo er seinen PS-starken europäischen Luxuswagen gegen einen silbergrauen Pick-up eintauschte. Aus einer Laune heraus fuhr er mit dem neuen Auto zum nächsten Tierheim und adoptierte einen Hund, eine unscheinbare Promenadenmischung, groß, schwarz und mit Schlappohren. Er nannte den Hund Slim, vor allem weil dessen Rippen deutlich sichtbar hervortraten. Offenbar hatte das Tier Hunger leiden müssen. Zusammen mit dem Hund war Zane Richtung Nordosten aufgebrochen und hatte so ziemlich alles, was er besaß, einfach zurückgelassen. Er hielt jeweils nur hier und da kurz an, um in einem Schnellimbiss an der Straße eine Kleinigkeit zu essen, den Wagen aufzutanken oder ein Nickerchen auf einem Rastplatz zu machen.

Gestern waren sie spätabends auf Hangman’s Bend eingetroffen und hatten im unmöblierten Wohnhaus der Ranch ihr Lager aufgeschlagen. Am Morgen entdeckte Slim ein schattiges Plätzchen auf der Veranda, das ihm besonders gefiel. Dort blieb er liegen, während Zane den Wald auf seinem Grundstück genauer unter die Lupe nahm. Er ging zu Fuß, denn sein Wallach Blackjack, den er seit seinem Umzug nach Los Angeles vor ein paar Jahren in einem Pensionsstall in Kalifornien untergestellt hatte, war noch unterwegs hierher.

Eine Weile folgte er dem sich dahinschlängelnden Bach und erfreute sich daran, wie er sich, einem breiten silbernen Band gleich, durch das Dickicht zog. Das Plätschern des klaren Wassers klang fast wie Musik. Es floss über rund geschliffene Steine am Grund, die im Sonnenlicht wie Juwelen glitzerten, bahnte sich seinen Weg um große Findlinge und teilweise versteinerte Baumstümpfe und eilte seinem Ziel entgegen, wo immer dies auch liegen mochte.

Zu Hause wollte Zane einen Blick auf die Landkarte werfen, um Quell und Mündung des Flusses zu bestimmen. Er wusste immer gern, wo er war, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Aber im Moment verspürte er nicht den Drang umzukehren, denn er war auf der Suche nach der südlichen Ecke seines Grundbesitzes, die vermutlich markiert war.

Der Bach war mindestens zweieinhalb Meter breit, an manchen Stellen sogar drei bis vier Meter. Dementsprechend schwierig war er zu überqueren, aber schließlich entdeckte Zane die sechs flachen, relativ kleinen und weit auseinanderliegenden Steine, die in einer Linie quer zum Bachlauf lagen. Da er immer noch ziemlich fit war, trotz seines ausschweifenden Lebens in Hollywood, war er davon überzeugt, trocken das andere Ufer zu erreichen.

Die Arme seitlich ausgestreckt, damit er das Gleichgewicht halten konnte – ganz so, wie er und Landry als Kinder auf Zäunen entlangbalanciert waren –, bewegte er sich problemlos voran, obwohl er sich konzentrieren musste. Die Steine waren so klein, dass er immer nur einen Fuß darauf setzen konnte. Plötzlich verharrte er wie vom Donner gerührt mitten in der Bewegung. Was er sah, erschien ihm wie eine Vision.

Eine Waldnymphe in ausgebleichter Jeans, abgewetzten Stiefeln und einem blassgrünen Westernhemd stand mitten auf der kleinen Lichtung vor ihm, beide Arme um den Stamm einer Pappel geschlungen. Ihr dichtes, glänzend braunes Haar fiel ihr knapp bis auf die Schulter, und die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durchs Blätterdach bahnten, brachen sich darin in allen Regenbogenfarben. Sie hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, und auf ihrem fein geschnittenen Gesicht lag ein Ausdruck purer Wonne.

Was zum Teufel?

Zane hätte sie stundenlang beobachten können. Dieser Frau einfach nur zuzuschauen weckte in ihm die gleiche Erregung wie damals, als er noch Rodeo geritten war – der Augenblick, kurz bevor das Gatter aufschwang und der offizielle Acht-Sekunden-Countdown begann. Doch plötzlich verlor er das Gleichgewicht und musste einen halben Schritt nach vorn machen. Ein Zweig knackte unter seiner Stiefelsohle, und der Moment war vorbei.

Die Augen der Nymphe weiteten sich. Sie wirkten haselnussbraun, vielleicht auch grün oder blassgrau. In der Sekunde, in der sie ihn entdeckte, flammten sie zornig auf. Die Frau trat von dem Baum zurück, und Zane bemerkte, dass ihr Hemd aufgeknöpft war und sie darunter ein Tanktop trug. Sie hatte tolle Brüste, nicht zu groß, nicht zu klein, und an ihrer Kleidung hing Baumrinde. Während sie ihn wütend anfunkelte, ließ sie die Arme kurz fallen, ballte dann die Hände zu Fäusten und stemmte sie in ihre wohlgeformten Hüften. Er wusste, dass sie ihn erkannt hatte, da sie ihre Kiefermuskeln anspannte, und ein Hauch von Wehmut erfasste ihn. In diesem Augenblick hätte er sehr viel dafür gegeben, der Mann zu sein, der er vor Hollywood gewesen war: ein einfacher Cowboy mit frechem Grinsen, klaren Standpunkten und ein oder zwei flotten Sprüchen auf den Lippen.

„Was tun Sie hier?“, fragte die Nymphe, als sie endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. Entschlossenen Schrittes näherte sie sich ihm. Dann hatte sie sich offensichtlich entschieden, ihm nicht zu nah zu kommen, und sie blieb in gerade noch sicherer Entfernung stehen. Es war kaum hörbar, wie sie das „Sie“ betonte, dennoch fühlte Zane sich angegriffen. Immerhin war nicht er es, der sich unbefugt auf fremdem Grund und Boden aufhielt.

„Ich wohne hier“, erwiderte er gelassen, die Beine leicht gespreizt, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Ärger verrauchte und wich leichter Belustigung. Wer die Dame auch sein mochte, sie sah trotz ihrer zwar sauberen, aber ausgesprochen schäbigen Kleidung, die sie ohne Weiteres aus einem Altkleidersack gestohlen haben konnte, einfach umwerfend aus.

Sie kam weder näher noch sagte sie etwas, doch es schien ganz so, als hätte seine Antwort ihr ein wenig den Wind aus den Segeln genommen.

Und Zane konnte nicht widerstehen. „Haben Sie gerade den Baum umarmt, oder bilde ich mir das nur ein?“, wollte er wissen.

Heftige Röte schoss ihr in die Wangen. Sie hatte einen breiten, ausdrucksstarken Mund, der zum Küssen einlud. Jetzt, wo sie nicht mehr so weit weg war, konnte er sehen, dass ihre Augen braun waren. Vermutlich änderte sich die Farbe je nach Kleidung oder Laune.

„Das war eine Übung für persönliches Wachstum“, erklärte sie steif, als hätte jeder Idiot auf Anhieb das erkennen müssen. Es entging Zane nicht, dass sie ihm selbst das nur äußerst ungern erklärte. Stolz und dickköpfig, entschied er – und kompetent in allem, was sie tat.

Aber was zum Teufel sollte eine Übung für persönliches Wachstum sein? War das etwas, was sie bei Oprah Winfrey aufgeschnappt hatte?

Langsam schritt er nach vorn und streckte die Hand aus, in der Hoffnung, sie würde begreifen, dass er sich nicht auf sie stürzen wollte. „Zane Sutton“, stellte er sich vor.

Sie schaute auf seine Hand, anschließend in sein Gesicht und wischte ihre Handflächen an ihrer Jeans ab, bevor sie sich für eine Nanosekunde dazu herabließ, ihm die Hand zu schütteln. „Brylee Parrish“, erklärte sie mürrisch, als wäre ihr Name ein Staatsgeheimnis. „Und ich weiß, wer Sie sind, auch ohne dass Sie es mir sagen müssen. Danke.“

Ganz offensichtlich ließ Brylee Parrish sich nicht von einem berühmten Star beeindrucken.

Das gefiel ihm. Es gefiel ihm sogar sehr, zumal er selbst dem Starrummel nie etwas hatte abgewinnen können, da alles nur Schein war und nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

„Dann waren Sie im Vorteil“, entgegnete Zane sanft.

Brylee legte den Kopf leicht schräg und musterte ihn skeptisch. „Schauspieler“, meinte sie schließlich. Ihr Tonfall war nicht unbedingt höhnisch, allerdings nahe dran.

„Ich betrachte mich eher als genesenden Schauspieler.“

„Ich bitte Sie.“ Jetzt lag Spott in ihrer Stimme, aber kein Sarkasmus. Die Hände hatte sie immer noch in die Hüften gestemmt, das Kinn vorgeschoben, und ihre ganze Haltung war eine einzige Warnung: Bleib mir vom Leib.

„Sie glauben nicht, dass wir genesen können?“

Sie seufzte, dachte über die Frage nach. „Ich halte es für unwahrscheinlich“, entschied sie schließlich. „Leute im Showbusiness – sind eben Leute im Showbusiness.“

„Und das soll heißen?“

„Sie kommen und gehen. Sie kaufen oder bauen lächerlich große Häuser, nicht nur in Montana, sondern auch in Colorado, New Mexico und Arizona. Überall im Westen, um genau zu sein. Und sie verschandeln damit die Landschaft und verschwenden natürliche Ressourcen. Sie sitzen auf ihrem hohen Ross und boykottieren alles Mögliche. Rindfleisch zum Beispiel. Damit berauben sie anständige Menschen ihrer Existenzgrundlage. Sie mischen sich gerade eben lange genug in die lokale Politik ein, um ein paar bittere Fehden unter den Alteingesessenen in Gang zu setzen, und dann verkaufen sie ihren Besitz wieder an irgendeinen anderen berühmten Möchtegern-Idealisten, der alles besser weiß, und machen sich fröhlich daran, die nächste Gemeinde zu ruinieren.“

Zum Zeichen seiner Belustigung stieß Zane einen langen leisen Pfiff aus. Ihre Worte enthielten durchaus ein Körnchen Wahrheit – vielleicht sogar sehr viel Wahrheit –, allerdings mochte er es nicht, mit all diesen wohlmeinenden, aber oft flatterhaften Berühmtheiten in einen Topf geworfen zu werden. Tief in seinem Innersten war er immer noch ein Rodeo-Cowboy, aufgewachsen auf dem Land und großgezogen von einer Frau, die ihren Lebensunterhalt als Kellnerin verdient hatte. Die Filmerei war ihm einfach in den Schoß gefallen. Mit dem dazugehörigen Starrummel hatte er sich nie anfreunden können. „Warum sagen Sie nicht einfach ganz offen, was Sie meinen, statt Süßholz zu raspeln, damit ich mich wohl und willkommen fühle?“, stichelte er.

Da ließ Brylee die Schultern hängen. „Die meisten von uns haben gehofft, dass Sie nicht hier aufkreuzen“, erklärte sie. „Dass Sie die Ranch einfach so lassen und nicht in Three Trees die Läden plündern, um Medienzimmer einzurichten, große Restaurantküchen einzubauen, um die jeder Fernsehkoch Sie beneiden würde, und Tennisplätze und Hallenschwimmbäder zu bauen – in olympiageeigneter Größe natürlich.“

„Meine Güte“, gab Zane trocken zurück. „Danke für die großzügige Einschätzung. Ich glaube aber, dass Sie mir verdammt viel unterstellen.“

„Ach ja?“

„Ja, das denke ich. Sie wissen praktisch nichts über mich, Ms Parrish, außer dass ich in Hollywood gelebt und gearbeitet habe. Und stellen Sie sich vor: Mir gefällt das Haus, in dem ich jetzt wohne, richtig gut. Von den uralten Wasser- und Abwasserleitungen, dem Hausschwamm in manchen Wänden, den fehlenden Fußbodendielen und dem eingesunkenen Dachstuhl mal abgesehen. Oh, und ich gestehe: Ich werde mich wirklich freuen, wenn heute irgendwann im Laufe des Tages der Strom eingeschaltet wird. Doch Sie betrachten vermutlich jede Verbesserung als offensichtliche Verschwendung, wenn ich mich nicht irre.“

„Sie bleiben nicht“, verkündete Brylee rundheraus, nachdem sie sich seine Worte einen Moment hatte durch den Kopf gehen lassen und sie offensichtlich einfach abgetan hatte. Genauso, wie sie ihn abgetan hatte.

„Sie werden schon sehen“, konterte er, gleichermaßen verärgert wie fasziniert.

Und damit war ihre erste Unterhaltung zu Ende. Sie marschierte in die eine Richtung davon, er in die andere.

Kaum ein ermutigender Anfang, dachte Zane, doch immerhin ein Anfang.

Irgendetwas – Gott allein wusste, was – hatte gerade begonnen. Das verriet ihm sein Bauchgefühl. Und es sagte ihm auch, dass dieses Etwas, was immer es auch sein mochte, durch nichts aufzuhalten sein würde.

Als er wieder auf der anderen Seite des Baches angelangt war, grinste er fröhlich in sich hinein.

Hin- und hergerissen zwischen Wut und Bedauern stürmte Brylee zu ihrem Büro- und Lagerkomplex, der kurz hinter der Grenze zu Zane Suttons Grundstück lag. Warum um alles in der Welt musste dieser Mann sie dabei ertappen, wie sie sich ernsthaft bemühte sich zu erden? Die Methode hatte sie in einem Motivationsseminar für ihre Verkäufer gelernt, und sie brachte ihr viel. Nur wieso musste ausgerechnet er sie dabei beobachten?

Snidely, ihr Deutscher Schäferhund, begrüßte sie schwanzwedelnd und auf Hundeart fröhlich grinsend, als sie das Gebäude durch den Hintereingang betrat. Samstags arbeitete niemand in der Firma. Sie und ihr treuer Gefährte waren also allein.

Normalerweise genoss Brylee die Ruhe und den Frieden und schaffte eine Menge, weil sie anders als an Werktagen nicht ständig unterbrochen wurde. Aber heute fehlte ihr jemand, bei dem sie ihrem Ärger Luft machen konnte. Irgendjemand, egal wer.

Da sonst niemand da war, musste Snidely herhalten.

„Wir haben einen neuen Nachbarn“, erzählte sie dem Hund, der wie üblich fasziniert an ihren Lippen zu hängen schien, auch wenn er kein Wort von dem, was sie sagte, verstand. „Er ist ein Klugscheißer und so arrogant wie nur irgendwas und sieht, verflucht noch mal, viel, viel besser aus, als gut für ihn ist. Und für andere. Mich eingeschlossen.“

Brylee schloss die Hintertür ab und eilte über den Betonboden der Lagerhalle zu ihrem Büro. Snidely, der treueste Hund, den man sich vorstellen konnte, folgte ihr natürlich immer noch schwanzwedelnd.

„Nicht, dass wir irgendwas zu befürchten hätten“, schimpfte Brylee vor sich hin. „Denn genau wie die meisten anderen seiner Sorte wird sich auch Zane Sutton grüneren Weiden zuwenden, und das eher früher als später, wenn wir Glück haben.“

Warum versetzte diese Vorstellung ihr einen plötzlichen Stich?

Sie trat hinter ihren Schreibtisch – ausgemusterte Armyausstattung wie all ihre Büromöbel – und fuhr ihren Computer hoch. Ihre Firma, Décor Galore, operierte international. In aller Welt stellten Gastgeberinnen ihre Wohnzimmer für Verkaufspartys zur Verfügung, die einer von Brylees Verkäufern – allesamt selbstständige Vertriebspartner – abhielt. Im Gegenzug dafür, dass die Gastgeberinnen Freunde und Verwandte einluden, Wanddekorationen, Figürchen, Drucke von klassischen Malereien, exquisite Seidenblumenarrangements und alle nur denkbaren Arten von Kerzen zu kaufen, bekamen sie sorgfältig ausgewählte Geschenke und Preisnachlässe, die abhängig von dem erzielten Erlös der Veranstaltung waren.

Als Brylee vor nicht einmal sechs Jahren Décor Galore ins Leben gerufen hatte, hatte sie als Alleinunternehmerin Verkaufspartys organisiert, war mit Kartentischen und zweiseitigen Prospekten durchs Land gereist und hatte Produkte an den Mann gebracht, die sie entweder selbst importiert oder in großen Mengen auf einer Geschenkartikelmesse eingekauft hatte. Inzwischen arbeiteten über tausend Verkäufer für ihr Unternehmen. In der ganzen Gegend beschäftigten lediglich die örtliche Discounterkette und das Native American Casino gleich hinter der Grenze zu Idaho mehr Mitarbeiter als sie.

Allerdings hatte sie sich von ihrem Erfolg viel mehr Befriedigung erhofft, als er ihr tatsächlich gab. Das hätte sie allerdings nie jemandem eingestanden, zumal sie so engagiert und hart dafür gearbeitet hatte. Inzwischen besaß sie so viel Geld, dass es für drei Leben gereicht hätte und allemal mehr als genug für eines war.

Ihr Schrank hing voller wunderschöner maßgeschneiderter Kleidungsstücke – die sie nur trug, wenn sie einen geschäftlichen Termin wahrnahm oder Verkaufsseminare leitete. Sie hätte überall leben können, wo sie wollte. Die ganze Welt stand ihr offen. In den letzten Jahren hatte sie sämtliche Kontinente bereist, war in den besten Hotels abgestiegen, hatte in den teuersten Viersternerestaurants gespeist.

Vielleicht noch wichtiger, jedenfalls für sie, war der Umstand, dass sie dazu beigetragen hatte, Three Trees in Montana bekannt zu machen. Ihre Verkaufskongresse brachten jede Menge Besucher in die Stadt. Besucher, die Geld hatten und bereit waren, es auszugeben. Sie vergab sowohl in Parable als auch in Three Trees regelmäßig Highschool-Stipendien und hatte, verdammt noch mal, wirklich eine Menge erreicht.

Warum war sie dann nicht glücklicher?

Stirnrunzelnd und immer noch ohne Antwort auf diese Frage überflog Brylee die Berichte ihrer Bezirks- und Regionalverkaufsleiter. Sie waren die Macher, die die Verkaufsteams führten, Firmenwagen fuhren, auf Firmenkosten Urlaub an exotischen Zielen verbrachten und allesamt mindestens doppelt so viel Geld verdienten wie der Präsident der Vereinigten Staaten – und das trotz der angespannten Wirtschaftslage. Wie üblich übertrafen sie sich selbst und gaben sich allesamt größte Mühe, besser zu sein als alle anderen.

Und was kam bei dieser konstruktiven Konkurrenz heraus, die Brylee aktiv förderte? Mehr Geld. Immer neue Rekordgewinne. Wenn sie wollte, hätte sie mit Décor Galore an die Börse gehen, sich aus dem Geschäft zurückziehen und künftig tun und lassen können, was sie wollte.

Leider hatte sie keine Ahnung, was dabei herauskommen würde. Wäre sie dann immer noch sie selbst, oder würde sie sich so verändern, dass sie sich selbst nicht wiedererkannte?

Vor langer, langer Zeit – so erschien es ihr –, als sie mit Hutch Carmody, einem Rancher aus der Gegend um Parable verlobt gewesen war, hatte Brylee geglaubt zu wissen, was sie wollte. Sie hatte einen romantischen Wunschtraum gehegt, in dem alles stimmte: Sie würde Hutch lieben, Kinder von ihm kriegen, zufrieden als Ehefrau und Mutter leben, zugegebenermaßen als sehr reiche Ehefrau und Mutter, und an der Seite ihres sagenhaft attraktiven Mannes alt werden. Das war der Plan gewesen.

Natürlich hatte er nicht funktioniert. Hutch hatte die Hochzeit abgeblasen – und das auf spektakuläre Weise. Nicht etwa so rechtzeitig, dass sie ihr Gesicht hätte wahren, die Hochzeitsgeschenke zurückschicken, den Hochzeitskuchen abbestellen, die Gäste ausladen und mit dem Fotografen reden können. Nein, sie stand bereits in ihrem Brautkleid in der Tür der Kirche, am Arm ihres Bruders Walker, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, als ihr umwerfend gut aussehender Bräutigam plötzlich seinen Trauzeugen und den Priester sitzen ließ, ihr durchs Kirchenschiff entgegeneilte und mit einem „Moment mal!“ alles stoppte.

In der Erinnerung daran senkte Brylee kurz die Lider. Selbst jetzt noch war ihr die Demütigung jenes Augenblicks schmerzlich gegenwärtig, und sie fühlte sich, als hätte ihr jemand mit der Faust in den Magen geboxt.

Es hatte sich zwar als wahr erwiesen, dass die Zeit die meisten Wunden heilte – oder doch wenigstens den Schmerz linderte. Sie hatte sich schließlich mit Hutch ausgesöhnt. Inzwischen war er mit Kendra, geborene Shepherd, verheiratet, die ebenfalls aus Parable stammte. Die beiden hatten zwei hübsche Kinder, das dritte war unterwegs. Sie waren glücklich miteinander, und Brylee missgönnte ihnen keine Sekunde ihr Glück.

Trotzdem gab es immer noch Momente, so wie jetzt, in denen ihr die ganze Szene lebendig vor Augen trat. So lebendig, dass es ihr vorkam, als hätte man ihr erneut den Boden unter den Füßen weggezogen und als kämpfte sie atemlos, hilflos und verzweifelt darum, ihr Gleichgewicht zurückzuerlangen.

Nachdem die Achterbahnfahrt ihrer Gefühle endlich zum Stillstand kam, loggte sie sich aus ihrem Computer aus, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und vergrub das Gesicht in den Händen. Heute würde sie nichts mehr schaffen. Also konnte sie ebenso gut Feierabend machen.

Snidely winselte mitfühlend, legte seine Schnauze auf ihren Oberschenkel und tröstete sie, so gut er konnte.

Brylee hob den Kopf, lachte geknickt und kraulte dem Hund die Ohren. „Wenn ich jemals einem Mann begegne, der auch nur halb so treu zu mir hält wie du, dann heirate ich ihn auf der Stelle. Selbst wenn ich ihn dafür fesseln und vor den Altar schleifen müsste.“

Wieder ein mitfühlendes Winseln von Snidely. Es klang, als stimme er ihr zu.

Brylee beugte sich über ihn, küsste ihn aufs seidig glänzende Fell und schob ihren Stuhl vorsichtig zurück, damit sie dem Hund nicht über die Pfoten fuhr. „Lass uns nach Hause gehen“, forderte sie ihn in sanft resigniertem Tonfall auf.

Zu Hause, das war die Ranch der Familie, Timber Creek, die ihr und ihrem Bruder Walker gemeinsam gehörte, obwohl Walker sich um das Geschäftliche kümmerte und den Löwenanteil der Arbeit erledigte. Brylee und Snidely lebten in einer großzügigen Einliegerwohnung in einem Anbau hinter der Küche. Diese Wohnung hatte ihr immer vollkommen ausgereicht, da sie ohnehin die meiste Zeit in dem Firmengebäude von Décor Galore verbrachte.

Vor Kurzem allerdings hatte Walker die Countrysängerin Casey Elder geheiratet. Brylee mochte sie, und sie liebte auch ihre Kinder Clare und Shane sowie den kleinen Preston, der erst vor drei Monaten das Licht der Welt erblickt hatte. Casey und Walker waren dabei, das Haus auszubauen – sie wünschten sich noch mehr Kinder –, und überall herrschte fröhliches Chaos.

Sosehr ihr Bruder und ihre Schwägerin sich auch bemühten, Brylee in alles mit einzubeziehen, fühlte sie sich trotzdem wie das fünfte Rad am Wagen, wie ein Eindringling. Walker und Casey lebten praktisch noch in den Flitterwochen, obwohl sie schon ein Jahr verheiratet waren, und so, wie die beiden einander liebten, würden sie wohl ewig wie Jungverheiratete miteinander umgehen.

Sie brauchten ihre Privatsphäre, Zeit nur für sich und ihre Familie.

Außerdem kam Brylee sich langsam wie eine alte Jungfer vor, wie die sprichwörtliche unverheiratete Tante, die nur am Rande an dem Leben aller anderen beteiligt war.

War es falsch, sich ebenfalls ein Zuhause, einen Mann und Kinder zu wünschen? Verlangte sie zu viel vom Leben? Immerhin gehörte ihr ein florierendes Unternehmen, das sie mit eigenen Händen aufgebaut hatte. Wenn es nicht gerade eine globale Wirtschaftskrise gäbe, würde sie nie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Vielleicht war sie einfach gierig, wenn sie mehr wollte, zumal so viele Menschen von allem zu wenig hatten, sogar von den lebensnotwendigen Dingen.

Als sie etliche Minuten später in ihrem zuverlässigen alten Geländewagen auf den Hof der Ranch fuhr, war sie immer noch nicht zu einem klaren Schluss gekommen. Casey saß auf der Verandaschaukel und wiegte sacht ihren kleinen Sohn Preston in den Armen.

Obwohl ihre Schwägerin eine feurige Rothaarige war, schön und talentiert, hatte sie in diesem Augenblick sehr viel Ähnlichkeit mit dem Renaissancegemälde eines alten Meisters: eine Vision in verschiedenen Schattierungen von Tizianrot und Grün.

Sie lächelte, sowie Brylee und Snidely aus dem Wagen stiegen.

„Komm, setz dich einen Moment zu mir“, sagte sie in ihrem weichen texanischen Akzent und klopfte einladend auf das Kissen neben sich. „Preston schläft, und ich sitze einfach nur hier und bilde mir ein, die glücklichste Frau auf Erden zu sein.“

Offenbar waren Brylee ihre Gefühle deutlich anzusehen, denn Caseys Gesichtsausdruck änderte sich sofort, und kurz blitzte Traurigkeit in ihren Augen auf. „Weißt du“, meinte sie verdrießlich, „es ist ein Wunder, dass ich überhaupt laufen kann, wo ich doch immer mit einem Bein im Fettnäpfchen stehe.“

Lächelnd stieg Brylee die Verandastufen hinauf und nahm neben Casey und ihrem schlafenden Neffen auf der Schaukel Platz, die hier stand, solange sie denken konnte. Als kleines Kind hatte sie hier geweint, wenn ihre Mutter wieder einmal fortgegangen war. Hier hatte sie große Träume gehegt und sich wohl tausend Mal selbst neuen Mut eingeredet, vor allem nach der geplatzten Hochzeit mit Hutch.

Ob ich wohl je mein eigenes Baby hier in den Armen wiegen werde, so wie Casey es tut?

Aus irgendeinem Grund tauchte plötzlich Zane Sutton vor ihrem inneren Auge auf, und sie musste wohl rot geworden sein, da Casey auf einmal die Augen zusammenkniff, und sie aufmerksam musterte.

„Was ist los?“, fragte Casey. „Und sag ja nicht ‚nichts‘, Brylee Parrish, denn ich bin nicht von gestern, und du siehst aus, als hättest du Fieber, so sehr glüht dein Gesicht. Außerdem glänzen deine Augen verdächtig. Alles in Ordnung mit dir?“

Was für ein Glück ich doch habe, dachte Brylee, auch wenn es ein etwas melancholisches Glück ist. Zwar hatte sie keinen Mann oder ein Baby, doch sie hatte Casey und Walker, dazu Clare und Shane und eine Menge Freunde, denen aufrichtig etwas an ihr lag.

„Ich hatte gerade eine Begegnung mit Zane Sutton“, erklärte sie. „Im Wald zwischen meinem Firmengebäude und seinem Ranchhaus. Genau genommen habe ich vermutlich unbefugt sein Land betreten.“

In Caseys Augen blitzte es amüsiert. „Und? Wird er dich anzeigen?“

Brylees Lachen klang gezwungen und hart. „Nein“, erwiderte sie. „Ich glaube nicht. Aber trotzdem komme ich mir ausgesprochen dämlich vor.“

Während Casey die Stirn runzelte, blitzte immer noch Belustigung aus ihren Augen. Preston, in eine leichte blaue Decke gewickelt, strampelte ein wenig im Schlaf. „Hör mal, warum in aller Welt kommst ausgerechnet du dir dämlich vor? Du bist eine der klügsten Frauen, die ich kenne, Brylee, und das will was heißen. Ich kenne nämlich ein paar sehr intelligente Frauen.“

Bei der Erinnerung an die Szene lief Brylee erneut rot an. „Ich dachte, ich wäre allein. Ich habe … einen Baum umarmt.“

„Um Himmels willen“, zog Casey sie auf. „Soo schlimm!“

„Er hält mich für eine Spinnerin, Casey.“

„Hat er das gesagt?“

„Nicht wörtlich, aber … Ich habe einen Baum umarmt. Und ich fühle mich so idiotisch.“

„Warum? Bäume sind gute Gesellschafter. Warum sollte man sie nicht umarmen?“

„Du übst absichtlich Nachsicht“, warf Brylee ihr vor, war jedoch gerührt. Casey war wie die Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte, und obendrein eine ihrer besten Freundinnen.

„Entschuldige bitte.“ Casey grinste. „Zufällig habe ich selbst ein Herz für Bäume. Sie sind gut, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Ich umarme sie, wann immer ich kann. Es sei denn, ein Reporter versteckt sich in der Baumkrone.“

Wieder lachte Brylee, und dieses Mal klang es echter und aufrichtiger. „Wahrscheinlich hat es ein bisschen dämlich ausgesehen. Das war alles“, meinte sie schließlich.

„Und es ist dir wichtig, was Zane Sutton von dir denkt?“, hakte Casey nach. „Interessant. Und ermutigend. Walker wird sich freuen, das zu hören.“

„Wage es ja nicht, meinem Bruder davon zu erzählen“, protestierte Brylee, wohl wissend, dass ihre Bitte auf taube Ohren stieß. Casey und Walker hatten keine Geheimnisse, jedenfalls nicht voreinander.

„Gefällt er dir denn, Brylee?“, ließ Casey nicht locker und lächelte geheimnisvoll. „Wenn dem nämlich so ist, kann ich euch miteinander bekannt machen. Wir sind Freunde, Zane und ich. Wir haben zusammen einen Film gedreht.“

Manchmal vergaß Brylee, dass ihre Schwägerin ein Star war, eine berühmte Countrysängerin, die auch schon vor der Kamera gestanden hatte. Sie hatte schon vor Königen, Königinnen und Präsidenten gesungen und eine Menge hochkarätiger Auszeichnungen eingeheimst. Trotzdem war sie so bodenständig geblieben, dass man leicht vergaß, wie prominent sie tatsächlich war.

„Das Letzte, was ich mir wünschen würde, wäre mit Zane Sutton bekannt gemacht zu werden“, wehrte Brylee ab. „Vergiss es also bitte einfach.“

„Ganz wie du meinst“, gab Casey feixend zurück. Der Unterton, der in ihrer Stimme mitschwang, ließ Brylee ein wenig nervös werden. „Doch Zane ist wirklich ein alter Freund, wie ich schon sagte. Wundere dich also nicht, wenn er demnächst zum Abendessen hier aufkreuzt.“

„Dann warne mich bitte rechtzeitig vor, damit ich mir für den Abend etwas anderes vornehmen kann.“

Casey lachte. „Du bist genauso starrsinnig wie dein Bruder, weißt du das? Vielleicht sogar noch schlimmer, falls das überhaupt möglich ist. Muss ich dich wirklich darauf hinweisen, wie viele Frauen auf der Welt sonst was dafür gäben, auch nur einen Abend mit Zane verbringen zu dürfen?“

„Lade doch eine von ihnen ein“, schlug Brylee knapp vor, während Snidely sich zu ihren Füßen zusammenrollte.

Ihre Schwägerin reichte ihr das Baby, ein warmes kleines Bündel, das Brylees Herz mit Liebe und bittersüßer Sehnsucht füllte. „Nimmst du deinen Neffen bitte für ein paar Minuten? Ich muss schon seit mindestens einer halben Stunde dringend aufs Klo.“

Mit dieser trockenen und für Casey so typischen Bemerkung stürzte sie eilends ins Haus.

Brylee kuschelte ihren Neffen eng an sich, drückte ihm einen leichten Kuss auf den flaumigen Kopf und flüsterte: „Deine Mutter hat recht. Sie ist die glücklichste Frau auf Erden.“

Zane blieb eine Weile am Waldrand stehen und ließ den Blick feierlich über sein „neues“ Zuhause schweifen – das einstöckige Wohnhaus mit der großen Veranda und den vielen Schornsteinen. Die Fenster waren hoch und saßen tief in ihren Rahmen. Innen waren die Fensterbänke so breit, dass man darauf sitzen konnte, und das ganze Gebäude strahlte eine Ruhe aus, die ihn schon fasziniert hatte, als er nur die Bilder auf der Internetseite des Maklers gesehen hatte. Jetzt, wo er unmittelbar davorstand, war dieser Eindruck von Ruhe und Frieden noch stärker.

Das waren die Dinge, die er an dem Haus mochte.

Zu den Dingen, die ihm nicht gefielen, gehörten weit mehr als die paar Details, die er Brylee aufgezählt hatte. Das Haus auf Vordermann zu bringen würde viel Zeit und Arbeit kosten. Der Hof war gründlich überwuchert, da sich lange niemand darum gekümmert hatte. Zwischen dem hohen Gras leuchteten Löwenzahnblüten und diverse andere, weniger schöne Unkräuter. Der Palisadenzaun war verwittert und teilweise umgefallen. Mit einem neuen Anstrich würde es nicht getan sein.

Slim, der ihn entdeckt hatte, erhob sich von seinem Schlafplatz und trottete ihm entgegen, um ihn zu begrüßen.

„Da wartet eine Menge Arbeit auf uns, Junge“, sagte Zane und schaute zum Stallgebäude hinüber. Es war groß und genau wie das Wohnhaus aus Stein gebaut. Anders als das Haus jedoch war es in einem bemerkenswert guten Zustand. Vielleicht sollten er und Slim sich lieber in einer der Boxen oder in der Sattelkammer einrichten, während der Wohntrakt hergerichtet wurde.

Im selben Moment hörte er Motorengeräusch. Er drehte sich um und sah, wie ein Lastwagen mit dem Logo der Elektrizitätswerke an dem schief stehenden Briefkasten vorbei auf den Hof einbog.

„Es werde Licht“, meinte Zane trocken, aber in Gedanken war er noch bei Brylee Parrish und ihrer unverhohlenen Überzeugung, er werde diese Ranch in eine protzige Angeberbude verwandeln.

Tennisplätze? Schwimmhallen? Medienzimmer?

So etwas hatte er nicht einmal in Hollywood gehabt.

Eine nette Wohnung? Klar. Ein teurer Wagen, der fast alles konnte – außer fliegen? Logo.

Trotzdem hatte er für Hollywood-Verhältnisse bescheiden gelebt und sich nie wirklich mehr gewünscht als einen Platz, an dem er sein Pferd unterstellen konnte. In Kalifornien hatte es ihm sehr gefehlt, auf Blackjack reiten zu können, wann immer ihm danach war. Er hatte regelrecht Heimweh nach dem Tier gehabt. Der Stall – vier massive Mauern, die den Wind abhielten, und ein festes Dach über dem Kopf – war so ziemlich alles an Wohnkomfort, was er im Moment brauchte.

Der Lastwagen hielt in einer mächtigen Staubwolke in der Einfahrt, und ein Mann mit beginnender Glatze, Bauchansatz und einem Klemmbrett in der Hand stieg breit grinsend aus.

Zane lächelte den Mann an und streckte ihm die Hand entgegen, weil man das nun mal so tat hier draußen auf dem Lande. Das Ritual des Händeschüttelns hatte ihm gefehlt.

Der Neuankömmling – der aufgestickte Name auf seinem Arbeitshemd wies ihn als Albie aus – schüttelte ihm begeistert die Hand. „Als ich meiner Frau erzählt habe, dass ich heute den Saft für keinen Geringeren als Zane Sutton andrehen würde, hat sie mir das Versprechen abgenommen, mir ein Autogramm zu holen und Ihnen zu sagen, dass sie alle Ihre Filme toll findet“, erklärte er strahlend.

Zanes Gesichtsausdruck blieb freundlich, wirkte möglicherweise allerdings ein wenig gezwungen. Jeder, der etwas aufmerksamer war als Albie, hätte das vermutlich bemerkt. „Danke“, meinte er und verkniff sich jeden Kommentar.

2. KAPITEL

Allein in ihrer Wohnung – natürlich leistete Snidely ihr Gesellschaft – kümmerte Brylee sich um die Dinge, die sie üblicherweise am Wochenende erledigte. Sie wusch sich die Haare, schnitt und feilte sich Zehen- und Fingernägel und rundete das Ganze mit einer ausgiebigen Gesichtspflege ab. Danach holte sie ein rot-weiß gepunktetes Sommerkleid für den Kirchgang aus dem Schrank, bügelte es schnell und hängte es an die Innenseite der Tür ihres Kleiderschranks. Anschließend suchte sie passende weiße Sandalen und eine rote Handtasche heraus und legte beides auf den mit Kissen gepolsterten Fenstersitz, wo man sie gut sehen konnte.

Wann immer das möglich war, bereitete Brylee sich rechtzeitig vor – und das war es meistens. Ihrer Meinung nach hielt das Leben genug Überraschungen bereit, die sie aus heiterem Himmel überfielen, wenn sie gerade glaubte, alles im Griff zu haben. Deshalb überließ sie nach Möglichkeit nichts dem Zufall.

Wenn sie sich selbst hätte beschreiben sollen, hätte sie wohl behauptet, sie sei gut organisiert. Dabei war ihr natürlich klar, dass manche das auch anders nennen würden, zum Beispiel zwanghaft oder pedantisch.

Na schön, sagen wir, ich bin eine Art Kontrollfreak, dachte sie, während sie ihr im Shabby-Chic-Stil und sehr feminin eingerichtetes Schlafzimmer verließ und ins Wohnzimmer hinüberging.

Hier hatte sie sich für schlichte Holzdielen statt Teppichboden entschieden. Der Kamin war ein Traum aus blau-weißen, rot-goldenen und blassgrün-rosa Kacheln. Sie hatte jede einzelne Kachel selbst bemalt und gebrannt, und zwar im Brennofen der Töpferwerkstatt von Three Trees, die ihrer Freundin Doreen gehörte. Allein die Kacheln anzuschauen machte sie glücklich. Einige waren mit kleinen Sternen, Wirbeln und Schachbrettmustern verziert, andere wieder schlicht, jedenfalls in Brylees Augen. Der Gesamteindruck hatte einen quasi marokkanischen Charme.

Auch die großen Teppiche waren handgefertigt. Die meisten waren an langen einsamen Winterabenden entstanden, während im Kamin ein Feuer loderte, und es war ihr gelungen, viele der Farben von den Kaminkacheln in die Teppiche zu übernehmen. Beige Überwürfe mit kaum kontrastierendem Blümchendruck bedeckten im Frühjahr und im Sommer den Drei- und den Zweisitzer sowie die beiden großen Sessel. Wenn es Herbst wurde, tauschte Brylee sie entweder gegen schokoladenbraune oder burgunderfarbene Überwürfe aus Cordsamt aus. Auch fast alles andere in dem Zimmer war dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen: die Bilder an der Wand, die Vasen und die wenigen Figuren, sogar die Bilderrahmen auf dem Kaminsims – auch wenn die Fotos darin immer dieselben blieben: Casey und Walker, die an ihrem Hochzeitstag strahlend in die Kamera lächelten; Clare und Shane, die am See herumtollten; Snidely mit einem Sternenbanner als Halstuch zu Ehren des Unabhängigkeitstages. Inzwischen waren natürlich auch ein paar Aufnahmen von Preston dazugekommen.

Brylee glaubte fest daran, dass Veränderung etwas Gutes war – natürlich nur, solange sie sorgfältig geplant und koordiniert war.

Die Ironie dieses Standpunkts war ihr bewusst, aber ihr florierendes Geschäft basierte auf immer neuen Dekoideen für jede Jahreszeit, die vorherrschende Stimmung oder die gerade in Mode geratene historische Epoche. Hatte nicht schon Marie Antoinette ihr atemberaubendes Schlafgemach in Versailles jedes Vierteljahr zu Ehren von Frühling, Sommer, Herbst und Winter vom Fußboden bis zur Decke neu einrichten lassen?

Schon, aber denk daran, wie sie geendet ist, schoss es Brylee durch den Kopf, und sie verzog betrübt das Gesicht.

Snidely stand in der Küchentür, sah sie erwartungsvoll an und wedelte mit dem Schwanz. In Snidelys Sprache, die sie natürlich bestens beherrschte, drückte er damit den Wunsch aus, einen vollen Futternapf oder ein Leckerli oder – wenn er ganz großes Glück hatte – beides zu bekommen.

Brylee lachte in sich hinein, drückte sich an ihm vorbei und deutete dabei eine Verbeugung an. „Dein Wunsch sei mir Befehl“, sagte die ganz großmütige Königin, da sie in Gedanken eben noch beim französischen Hof gewesen war.

Für eine Wohnung war die Küche sehr groß und hochmodern eingerichtet, mit einer großzügigen Kücheninsel mitten im Raum, Marmorarbeitsflächen und zwei Edelstahlspülen. Die Essgruppe hatte sie billig bei einem Restpostenmarkt für Halbfertigmöbel erstanden, das Holz in dunklem Ahorn lackiert und die Platte des runden Tischs im gleichen Stil mit Kacheln belegt wie den Kamin.

Ein Strauß wunderschöner rosa Pfingstrosen aus dem längst verwilderten Garten, den ihre Urgroßmutter vor vielen Jahren angelegt hatte, stand in einem alten grünen Einmachglas als hübscher Blickfang mitten auf dem Tisch. Brylee blieb kurz stehen, beugte sich über die Blumen und atmete den herrlichen, leicht pfeffrigen Duft ein. Schon bald würden die Blüten, die sie so sehr liebte, verwelkt sein. Darum wollte sie sich an ihnen erfreuen, solange es ging. Der lila und weiße Flieder, der überall auf dem großen Hof der Ranch wucherte, hatte seine verschwenderisch duftende Blüte bereits hinter sich, genau wie die Narzissen und Tulpen des zeitigen Frühjahrs. An ihre Stelle waren üppig blühende Rosen getreten, farbenfrohe Zinnien und Gerbera, aber Brylee tat es dennoch um die Blumen leid, die schon verblüht waren, obwohl sie sich über jeden neuen Farbtupfer in den Beeten freute.

Sie brauchte Blumen wie Luft und Wasser. Sie waren ihr heilig, und sie betrachtete sie als eine sichtbare Form des Gebets.

Es klopfte an der Hintertür, als sie Snidelys mit Trockenfutter gefüllten Napf auf den Boden stellte. Beim Aufsehen entdeckte sie hinter dem ovalen Fenster ihre Nichte Clare.

„Komm rein!“, rief Brylee lächelnd.

Die sechzehnjährige Clare, eine jüngere Ausgabe ihrer Mutter Casey, hatte kupferrote Haare, die in gewollt lässigen Locken auf ihre Schultern fielen, leuchtend grüne Augen, einen scharfen Verstand und ein freundliches Wesen mit leichtem Hang zu Schalkhaftigkeit. Wenn sie genau genug hinschaute, entdeckte Brylee auch Züge von Walker in dem Mädchen und sogar ein paar Ähnlichkeiten mit sich selbst.

Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie es Walker und Casey gelungen war, ihr Geheimnis – nämlich, dass Walker Clares und Shanes Vater war – so lange für sich zu behalten.

„Ich glaube, ich habe eine Verabredung“, vertraute Clare ihr verschwörerisch flüsternd an, wobei sie einen misstrauischen Blick zur inneren Eingangstür hinüberwarf, die in den Hauptteil des Ranchhauses führte. Möglicherweise vermutete sie Casey hinter der Tür, ein Glas ans Ohr gepresst und heimlich lauschend.

Wenn jemand heimlich lauschte, dachte Brylee, dann wohl eher Clares Bruder, der dreizehnjährige Shane, mit dem das Mädchen ein stacheliges Zweckbündnis eingegangen war – mit Betonung auf „stachelig“. Sie und Walker waren früher genauso gewesen. Allerdings konnten sie sich im Ernstfall immer aufeinander verlassen.

Brylee zog die Augenbrauen hoch, und ihre Lippen kräuselten sich leicht in der wortlosen Aufforderung: „Red weiter, ich hör dir zu.“ Sie öffnete den Kühlschrank und holte Cola für sie beide heraus. Soweit sie wusste, durfte Clare sich nicht mit einem Jungen allein zu einer Spritztour verabreden oder öfter als dreimal mit demselben Jungen ausgehen. Außerdem überprüften ihre Eltern den Hintergrund von praktisch jedem, der neu zu ihrem Freundeskreis stieß. Jetzt jedoch verriet ihre Heimlichtuerei, dass etwas im Busch war, und schloss zugleich die Möglichkeit aus, dass die elterlichen Regeln sich gelockert haben könnten.

Clare trug Jeans, Stiefel und ein langärmeliges gelbes Shirt, das ihre rote Lockenmähne wunderschön zum Leuchten brachte und ihr Gesicht erstrahlen ließ wie das eines Engels. Doch davon durfte man sich nicht täuschen lassen. Ein Engel war sie gewiss nicht. Sie zog einen Stuhl vom Tisch zurück, setzte sich und bedankte sich leise, als Brylee ihr eine Coladose und ein mit Eiswürfeln gefülltes Glas hinstellte.

Nachdem Brylee sich ihr gegenüber hingesetzt hatte, goss sie sich selbst eine Cola ein und wartete schweigend.

„Eigentlich ist es gar keine richtige Verabredung“, gestand Clare errötend ein und schaute lächelnd zu Snidely, der sich begeistert auf sein Trockenfutter gestürzt hatte.

„Was verstehst du unter keiner ‚richtigen‘ Verabredung?“, fragte Brylee, nachdem sie ein paarmal von ihrer Cola genippt hatte.

Ihre Nichte wand sich ein wenig. Sie war praktisch auf der Straße aufgewachsen, ständig unterwegs auf Konzertreisen mit ihrer berühmten Mutter und deren riesigem Gefolge. Obwohl sie eine behütete Kindheit gehabt hatte – nach Walkers Meinung zu behütet – war sie dadurch natürlich ein bisschen reifer als andere Jugendliche ihres Alters. Sie hatte schließlich schon die ganze Welt gesehen, hatte Könige, Königinnen, Präsidenten und Potentaten kennengelernt. Man konnte getrost davon ausgehen, dass sie in Parable County – das durchaus auch mit schwierigen Jugendlichen aufwarten konnte – ausgebuffter war als die meisten ihrer Altersgenossen.

„Ich schätze, eine Verabredung während einer Exkursion der Jugendgruppe ist keine richtige Verabredung“, erklärte das Mädchen mit einem zuckersüßen Lächeln, das ihre Grübchen zur Geltung brachte. „Mrs Beaumont – Opal – und der Reverend haben einen Bus gechartert und fahren mit der ganzen Gruppe nach Helena. Wir werden die Regierungsgebäude besichtigen und über Nacht bleiben.“

Brylee lächelte. Sie kannte Opal und ihren Mann, den Reverend Walter Beaumont, sehr gut, obwohl sie die Kirche in Parable betreuten und Brylee eine Kirche in Three Trees besuchte. Sie waren mehr als verantwortungsbewusst und kümmerten sich hingebungsvoll um die Jugend in ihrer und in anderen Kirchengemeinden.

„Verstehe. Und diese Nichtverabredung ist trotzdem eine Verabredung. Wie soll das aussehen?“

Plötzlich wirkte Clare verlegen, ihre hübschen Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an.

Oh-oh. Bis zu diesem Moment war Brylee noch bereit gewesen, das nagende Gefühl, dass irgendwas nicht in Ordnung war, zu ignorieren. Jetzt aber kam sie zu dem Schluss, dass sie sich wohl doch ein paar Sorgen machen sollte.

„Luke und ich wollen im Bus nebeneinandersitzen. Das ist alles. Und, na ja, gemeinsam abhängen, solange wir in Helena sind. Du weißt schon, Händchen halten und so, wenn keiner guckt. Ein bisschen miteinander allein sein, wenn wir dazu Gelegenheit haben.“

„Du kennst Opal Beaumont schlecht, wenn du glaubst, dass sie nicht jeden Einzelnen von euch ständig genau im Auge behält“, meinte Brylee lächelnd. Sie hatte sich selbst schon einige Standpauken von Opal anhören dürfen – zumeist ging es darum, dass sie sich einen anständigen Mann suchen und eine Familie gründen sollte –, und sie wusste, dass dieser Frau so gut wie nichts entging. Opal war eine extrem erfolgreiche Ehestifterin. Jeder in der Gegend wusste, dass mindestens vier Beziehungen, die allesamt in den Hafen der Ehe geführt hatten, von ihr geknüpft oder doch wenigstens indirekt angeregt worden waren.

Andererseits hatte Opal sehr strikte moralische Vorstellungen, und sie würde mit Argusaugen über ihre Schützlinge, Mädchen wie Jungen, wachen.

Clare zuckte mit den Schultern. „Mom und Dad haben mir schon erlaubt mitzufahren“, erklärte sie mit geröteten Wangen.

„Und sie wissen, dass ihr über Nacht fortbleibt?“, hakte Brylee sanft nach.

Ihre Nichte nickte. „Nur dass wir zusammensitzen, Händchen halten und miteinander allein sein wollen, habe ich ihnen nicht erzählt“, fügte sie schuldbewusst hinzu.

„Mir schwant übles“, sagte Brylee, immer noch lächelnd. „Wenn du in dieser Angelegenheit ein reines Gewissen hättest, würdest du es nicht für nötig halten, deinen Eltern etwas zu verheimlichen. Da gibt es irgendwas, was du mir nicht erzählst.“

Clare senkte die Lider und schaute sie unter langen dichten Wimpern hervor an. Wimpern, wie ihre Mutter sie hatte. Und ihr Vater. „Ganz ehrlich, Tante Brylee, Luke und ich haben nicht die Absicht, irgendwas zu tun.“

„Warum dann die Heimlichtuerei?“, hakte Brylee vorsichtig nach. Sie war selbst einmal in Clares Alter gewesen und wusste genau, dass zu intensives Bohren die Sache nur komplizierter machen würde.

„Wirst du es Mom und Dad erzählen?“

Bis vor Kurzem und damit bis etliche Monate nach der längst überfälligen Heirat ihrer Eltern hatte Clare hartnäckig daran festgehalten, Walker mit seinem Vornamen anzureden. Sie nahm es ihm und Casey übel, dass die beiden ihr und ihrem Bruder – und nebenbei auch jedem anderen – verschwiegen hatten, wer ihr Vater war. Shane, der Walker schon lange bewunderte und ihn immer für einen engen Freund der Familie gehalten hatte, aber gern zum Vater gehabt hätte, war begeistert gewesen, als er die Wahrheit erfahren hatte – im Gegensatz zu seiner Schwester.

„Nein“, meinte Brylee nach gründlicher Überlegung. „Ich werde deinen Eltern nichts sagen. Du wirst das tun.“

„Sie machen nur ein großes Tamtam deswegen – vielleicht verbieten sie mir sogar, die Jugendfahrt mitzumachen“, protestierte Clare aufgebracht. „Vor allem, wenn sie dahinterkommen, dass Luke ein bisschen älter ist als ich.“

„Wie viel älter?“ Clare war von Natur aus abenteuerlustig und impulsiv. Außerdem hatte sie wegen eines Ladendiebstahls schon einmal Ärger mit der Polizei gehabt. Wenn Walker und Casey sie genauer im Auge behielten, als sie das unter anderen Umständen getan hätten, konnte Brylee ihnen daraus keinen Vorwurf machen.

„Neunzehn“, antwortete Clare ziemlich kleinlaut.

Ach du liebes bisschen, schoss es Brylee durch den Kopf, aber sie riss sich zusammen. Jetzt bloß nicht überreagieren. Schließlich wollte sie verhindern, dass Clare sich mit solchen Dingen künftig nicht mehr vertrauensvoll an ihre ältere und mutmaßlich verständigere Tante wandte.

„Du magst diesen Jungen wohl sehr?“, fragte sie vorsichtig.

„Er ist einfach toll“, seufzte Clare hingebungsvoll.

„Und du hast ihn in der Jugendgruppe kennengelernt?“ Vorsichtig, Tante Brylee, du bewegst dich durch ein Minenfeld.

„Ich habe ihn letztes Jahr bei einem Basketballspiel kennengelernt. Er ging damals in die Oberstufe. Inzwischen hat er einen Job in der Papiermühle. Letzte Woche hat er sich der Jugendgruppe angeschlossen.“

„Ist er mit neunzehn nicht ein bisschen zu alt für die Jugendgruppe?“

„Sie haben ihn schließlich aufgenommen, oder nicht?“, erwiderte Clare mit leichter Schärfe. „Er ist schließlich kein Perverser oder so.“

Schweigend zählte Brylee bis zehn. Dann fragte sie: „Und wie ist er so? Wer sind die Eltern?“

Unruhig und nervös rutschte Clare auf ihrem Stuhl hin und her. Das Glas Cola stand vergessen vor ihr auf dem Tisch. „Jetzt redest du schon genauso wie sie“, beklagte sie sich. „Wir wollen schließlich nicht mit seinem Wagen ins Autokino oder so was.“

„Luke geht nicht mehr zur Schule, und er ist zu alt für dich“, zählte Brylee vernünftig die Fakten auf. „Er hat einen Wagen?“, fügte sie dann hinzu.

„Er hat einen Führerschein“, erwiderte Clare, offenbar in die Defensive gedrängt.

Brylee seufzte müde. Neunzehn, ein Job in der Papiermühle und ein Führerschein, aber offensichtlich kein Auto. Und was zum Teufel hatte dieser Luke in der Jugendgruppe zu suchen? Wenn es ihm nur darum ging, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen, hatte er schließlich andere Möglichkeiten.

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