Sterne einer Sommernacht

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Für Cassie ist Devin MacKades Kuss ein verlockendes Versprechen. Keine Sekunde zweifelt sie daran, dass er alles für sie und ihre Kinder tun würde. Aber ist sie wirklich bereit für einen neuen Anfang nach ihrer ersten Ehe mit dem gewalttätigen Joe Dolin? Devin scheint entschlossen, ihr Herz zu gewinnen. Koste es, was es wolle - Zeit, Geduld, Beherrschung. Mit jedem Tag, den sie gemeinsam verbringen, und mit jeder zärtlichen Umarmung kommt er seinem erklärten Ziel etwas näher, bis Cassie erkennt: Sie muss endlich der Liebe vertrauen, wenn sie sich aus dem Teufelskreis der eigenen Angst befreien will. Schließlich ist Devin ganz anders als Joe - der immer noch von dem Gedanken besessen ist, sich an ihr zu rächen ...

"Erneut berührt die meisterhafte Autorin unsere Herzen mit einer bewegenden Liebesgeschichte und lebendig geschilderten Charakteren."

romantictimes


  • Erscheinungstag 09.01.2019
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769758
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Zwanzig war Devin MacKades Meinung nach ein grässliches Alter. Man war zwar alt genug, um für sein Tun verantwortlich gemacht werden zu können oder um eine Frau zu lieben. Und doch war man nach Recht und Gesetz noch nicht vollständig erwachsen.

Noch zwölf Monate, dann hatte er es hinter sich.

Als dritter von vier Brüdern musste er mit ansehen, wie ihm Jared und Rafe ins Erwachsenenalter vorausgeeilt waren. Shane war ein Jahr jünger als er. Nicht dass er es etwa besonders eilig gehabt hätte, erwachsen zu werden, nein, das wirklich nicht. Er hatte seine Kindheit und Jugend genossen, doch langsam wurde er ungeduldig. Methodisch wie er war, begann er Pläne für seine Zukunft zu schmieden.

Die kleine Stadt Antietam, Maryland, würde Augen machen, wenn sich herumsprach, dass er sich dafür entschieden hatte, das Gesetz aufrecht zu halten, statt es zu brechen. Oder zu beugen.

Seine Mutter hatte ihn mit Engelszungen dazu überreden müssen, aufs College zu gehen, doch nachdem diese Hürde erst einmal genommen war, hatte ihm das Lernen viel Spaß gemacht. Die Kurse in Rechtswissenschaft, Kriminologie und Soziologie faszinierten ihn. Wie und warum Regeln für eine Gesellschaft aufgestellt wurden und wie für ihre Einhaltung gesorgt wurde. Manchmal erschien es ihm fast, als hätten all diese Gesetzbücher und Vorschriften, diese Ideale nur darauf gewartet, von ihm entdeckt zu werden.

Deshalb hatte er sich dazu entschlossen, Polizist zu werden.

Eine Entscheidung, die er bis jetzt noch für sich behalten hatte. Seine Brüder würden ihn zweifellos nur damit aufziehen. Selbst Jared, der Rechtsanwalt werden wollte und schon kurz vor dem Examen stand, würde kein Erbarmen kennen. Nicht dass ihm das etwas ausgemacht hätte. Devin wusste sehr gut, dass er es jederzeit mit seinen drei Brüdern aufnehmen konnte, gleich ob mit Worten oder mit den Fäusten. Und dennoch war er der Ansicht, dass es sich bei seiner Berufswahl um eine persönliche Angelegenheit handelte, die im Moment nur ihn allein etwas anging.

Er war sich allerdings auch bewusst, dass man im Leben nicht alles bekam, was man sich wünschte. Der Beweis dafür lag direkt vor seiner Nase – oder besser gesagt, er servierte ihm im Moment hier in Ed’s Café gerade die Spezialität des Hauses und errötete bis unter die Haarwurzeln angesichts Rafes übermütiger Frotzeleien.

Sie war klein und schlank – wahrscheinlich wog sie nicht mal hundert Pfund – und so zart wie eine Rosenknospe. Hellblondes Engelshaar umfloss ein Gesicht, das aus nichts als riesigen grauen Augen zu bestehen schien, wie ein Heiligenschein. Eine kleine Stupsnase. Und ein Mund, der wahrscheinlich der am schönsten geschwungene im ganzen Land war. Feingliedrige Hände, die, wie Devin wusste, fachmännisch mit Tellern, Kaffeekannen und Gläsern jonglieren konnten.

Am Ringfinger der rechten Hand steckte ein schmaler goldener Ring, der mit einem Diamantsplitter besetzt war, der so unscheinbar war, dass man ihn kaum sah.

Ihr Name war Cassandra Connor, und ihm schien, dass er sie schon sein ganzes Leben lang liebte. Auf jeden Fall kannte er sie schon sein ganzes Leben, sie waren zusammen aufgewachsen, und er hatte sie immer als etwas Besonderes betrachtet. Als ihm eines Tages klar wurde, dass er in sie verliebt war, hatte er es nicht gewagt, ihr seine Gefühle zu offenbaren.

Und genau da lag das Problem. Nachdem er sich nämlich endlich dazu durchgerungen hatte, war es zu spät gewesen. Joe Dolin war ihm zuvorgekommen. Im Juni machte sie ihren Highschool-Abschluss, und dann würden die beiden heiraten. Und es gab nichts, was er dagegen unternehmen konnte.

Er musste sich Mühe geben, ihr nicht nachzustarren, als sie nun die Nische verließ und zur Theke zurückging. Seine Brüder hatten scharfe Augen, und der Gedanke, von ihnen wegen einer so intimen und demütigenden Angelegenheit, wie es eine unerwiderte Liebe nun einmal war, gehänselt zu werden, war ihm unerträglich.

Also schaute er aus dem Fenster hinaus auf die Hauptstraße. Das war unverfänglich, und der Anblick stimmte ihn tröstlich. Eines Tages würde er dieser Stadt, die eine so komplizierte und wichtige Rolle in seinem Leben spielte, dienen und die Menschen, die in ihr lebten, beschützen.

Das war es, wozu er sich berufen fühlte.

Er hatte eine sehr enge Beziehung zu seiner Heimatstadt. Manchmal, wenn er alte Bilder aus dem Bürgerkrieg betrachtete, sah er sie ganz deutlich vor sich, wie sie damals gewesen war. Dann glaubte er, die alten Backsteinhäuser, die Kirchen, die Pferde und die Kutschen fast mit Händen greifen zu können. Es kam sogar vor, dass er hörte, wie sich die Männer an den Straßenecken oder beim Frisör die Köpfe heiß redeten über den Krieg, der die Vereinigten Staaten zutiefst gespalten hatte und in zwei sich bis aufs Messer bekämpfende Lager zerriss.

Obwohl er ein kühler Verstandesmensch war, war Devin doch felsenfest davon überzeugt, dass es in der näheren Umgebung Orte gab, an denen es spukte. In dem alten Barlow-Haus draußen auf dem Hügel vor der Stadt ebenso wie in den Wäldern darum herum. Auch auf der Farm, auf der er aufgewachsen war, und in den Feldern, die er zusammen mit seinen Brüdern jedes Frühjahr ackerte und pflügte, hausten Gespenster. Wenn es ganz still war, konnte man ein leises Raunen vernehmen, das von Leben und Tod erzählte, von Angst und Hoffnung, von Leid und Freude.

Man musste nur genau hinhören.

„Fast so gut wie der von Mom.“ Shane schaufelte sich eine Riesenportion Kartoffelbrei in den Mund und zeigte beim Grinsen die typischen MacKade-Grübchen. „Fast. Was, glaubt ihr, machen Frauen nach Feierabend?“

„Klatschen.“ Rafe, der seinen Teller bereits leer geputzt hatte, lehnte sich nun gesättigt zurück, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte genüsslich. „Sonst noch was?“

„Das ist Moms gutes Recht“, verteidigte Jared, der zukünftige Anwalt, ihre Mutter.

„Hab ich vielleicht das Gegenteil behauptet? Das Problem ist leider nur, dass ihr Old Lady Metz wahrscheinlich jetzt gerade wieder das Ohr abschwätzt, was wir alles angestellt haben.“ Sowohl dieser Gedanke als auch das Wissen, dass seine Mutter sogar die Furcht erregende Mrs. Metz mit Leichtigkeit in die Tasche steckte, entlockten Rafe ein verwegenes Grinsen.

Devin nahm den Blick von der Straße und schaute seine Brüder nachdenklich an. „Hatten wir denn jüngst irgendwelchen Ärger?“

Die vier dachten nach. Nicht dass ihr Erinnerungsvermögen so schlecht gewesen wäre, aber es war leider so, dass sie oft schneller in Schwierigkeiten kamen, als sie schauen konnten.

Jeder, der an dem großen Fenster von Ed’s Café vorbeikam, konnte die vier MacKades sehen, schwarzhaarige Teufel mit grünen Augen, schön genug, um den Pulsschlag einer jeden Frau zu beschleunigen, sei sie nun acht oder achtzig, und verwegen genug, um es mit jedem Mann aufzunehmen.

Sie stritten eine Weile herum, wer von ihnen in der letzten Zeit die meisten Lorbeeren eingeheimst hätte, und die Debatte wurde immer hitziger, bis sie sich schließlich darauf einigten, dass Rafe mit dem Autorennen auf der Route 34 gegen Joe Dolin den Vogel abgeschossen hatte.

Rafe war Sieger geworden, und das Großmaul Joe Dolin hatte sich, irgendetwas von Revanche in sich hineinmurmelnd, wie ein geprügelter Hund getrollt.

„Der Typ ist ein Schwachkopf.“ Rafe stieß eine dünne Rauchfahne aus. Keiner widersprach, und Rafe ließ seinen Blick über Cassie wandern, die am Tisch nebenan Gäste bewirtete. „Was findet so ein süßes Mädel wie Cassie nur an ihm?“

„Wenn du mich fragst, will sie einfach nur von zu Hause weg.“ Jared schob mit dem Ellbogen seinen Teller beiseite. „Wenn ich so eine Mutter hätte wie sie, würde ich das auch wollen. Die Frau ist total fanatisch, kein Wunder, dass Cassie es nicht aushält.“

„Vielleicht liebt sie ihn ja“, warf Devin bedächtig ein.

Was Rafe eine Erwiderung abnötigte, die alles andere als druckreif war. „Die Kleine ist noch nicht mal siebzehn“, schob er nach. „Sie wird sich noch x-mal verlieben.“

„Nicht jeder hat ein so flexibles Herz wie du.“

„Ein flexibles Herz!“ Shane schüttete sich aus vor Lachen. „Rafes Herz ist nicht flexibel, Dev, es ist ...“

„Schnauze, du Hohlkopf“, gab Rafe zurück und versetzte seinem Bruder einen warnenden Rippenstoß. „Zeit für ein Bier, Jared, was meinst du?“

„Du sagst es.“

Rafe feixte schadenfroh. „Zu schade, dass ihr beiden Milchbärte bei Sprudelwasser bleiben müsst. Na, ich wette, bei Duff gibt’s ausreichend Nachschub für euch.“

Shane fühlte sich prompt in seinem Mannesstolz zutiefst verwundet. Was auch der Zweck der Bemerkung gewesen war. Sofort war ein so heftiges Gerangel im Gange, dass sich Edwina Crump hinter der Theke bemüßigt fühlte, die drei Unruhestifter postwendend an die Luft zu setzen.

Devin blieb sitzen.

Draußen vor dem Fenster tobte mittlerweile ein erbitterter Boxkampf. Devin ignorierte seine drei Brüder und lächelte Cassie, die zum Abkassieren gekommen war, an.

„Müssen nur wieder ein bisschen Dampf ablassen“, erklärte er.

„Der Sheriff kommt manchmal um diese Zeit vorbei“, warnte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Und sie klang so süß in Devins Ohren, dass er fast laut aufgeseufzt hätte.

„Ich werd mal sehen, ob ich sie nicht zur Vernunft bringen kann.“

Er erhob sich und schob sich aus der Nische, wobei ihm durch den Kopf ging, dass seine Mutter wahrscheinlich sehr genau wusste, was mit ihm los war. Ihr irgendetwas zu verheimlichen war so gut wie unmöglich. Gott war sein Zeuge, dass sie es alle vier versucht hatten – erfolglos. Er glaubte allerdings zu wissen, auch ohne mit ihr über sein Problem gesprochen zu haben, wie sie sich dazu äußern würde.

Dass er noch jung sei und dass da andere Mädchen, andere Frauen, andere Lieben kommen würden. Um ihn zu trösten und weil sie es gut mit ihm meinte.

Aber Devin wusste, dass er, auch wenn er noch nicht vollständig erwachsen war, doch schon das Herz eines erwachsenen Mannes besaß. Und das hatte er bereits verschenkt.

Ein Umstand, den er im Moment jedoch sorgfältig zu verbergen trachtete, denn Cassies Mitleid zu erregen wäre für ihn schlimmer gewesen als alles andere. Also schlenderte er so lässig wie möglich aus dem Lokal.

1. KAPITEL

Das Städtchen Antietam bot im Spätfrühling einen hübschen Anblick. Sheriff MacKade machte es Spaß, bei Sonnenschein durch die Straßen zu schlendern, ab und an stehen zu bleiben, um mit einem Bekannten ein Schwätzchen zu halten und die kleinen Veränderungen in Augenschein zu nehmen, die sich hier und da ergeben hatten.

Er liebte die Verantwortung, die man ihm übertragen hatte, und füllte sie voll aus.

Vor der Bank standen pinkfarbene Begonien in hoher Blüte, und die drei Autos am Drive-in-Schalter bedeuteten bereits fast einen Verkehrsstau.

Memorial Day stand kurz bevor, die Flaggen wehten bereits von den öffentlichen Gebäuden, und überall waren Leute dabei, geschäftig ihre Veranden zu schrubben oder neu anzustreichen in Erwartung des festlichen Ereignisses.

Auch Devin freute sich jedes Jahr auf den Memorial Day, selbst wenn dieser Tag für ihn jedes Mal einige logistische Probleme bezüglich der Verkehrsführung mit sich brachte. Schon jetzt sah er das Bild vor sich, das die Einwohner von Antietam bieten würden, ängstlich darum bemüht, einen guten Platz zu ergattern, schon Stunden vor Beginn der Parade, geduldig auf ihren mitgebrachten Klappstühlen am Straßenrand ausharrend, die Kühlboxen neben sich.

Doch was ihn am meisten erfreute, war die Begeisterung, mit der sich die Bürger der Stadt in die Vorbereitungen für dieses Wochenende warfen, wie viel Arbeit sie sich machten, um diesen festlichen Tag auch wirklich gebührend zu feiern.

Sein Vater hatte ihm von dem alten Mann erzählt, der, als er selbst noch ein kleiner Junge gewesen war, jedes Jahr am Memorial Day mit knarrenden Stiefeln in der Uniform der Konföderierten die Main Street hinuntermarschiert war – einer der letzten lebenden Augenzeugen des Bürgerkriegs.

Jetzt waren sie alle tot. Devins Blick wanderte hinüber zu dem Mahnmal auf dem großen Platz vor dem Rathaus. Tot, aber unvergessen. Zumindest in Kleinstädten wie dieser hier, an deren Mauern sich einst das Echo des Artilleriefeuers und der entsetzlichen Schreie der Verwundeten und Sterbenden gebrochen hatte.

Devin wandte sich ab, sah die Straße hinunter und seufzte. Mrs. Metz’ Buick parkte wie üblich wieder einmal im Halteverbot. Verpasst du ihr einen Strafzettel? überlegte er, nahm dann jedoch wieder davon Abstand, weil er schon im Voraus wusste, wie die Sache ausgehen würde. Die streitbare Lady würde das Geld natürlich nicht wie jedermann überweisen, sondern es sich nicht nehmen lassen, es ihm höchstpersönlich zu überbringen, nur um ihm drohen zu können, ihm bei nächster Gelegenheit eine Lektion zu erteilen. Devin schnaubte ungehalten und schaute auf die Tür zur Bibliothek. Zweifellos war Mrs. Metz dort, um mit Sarah Jane Poffenberger den allerneuesten Tratsch durchzuhecheln.

Devin straffte die Schultern und ging mit elastischen Schritten die ausgetretenen Steinstufen nach oben.

Er fand sie in ein eingehendes Gespräch mit der Bibliothekarin vertieft. Neben ihrem speckigen Ellbogen türmte sich ein Bücherberg, und Devin zerbrach sich den Kopf, warum um Himmels willen eine Frau ihres Umfangs darauf bestand, schreiend bunte, groß geblümte Kleider zu tragen.

„Guten Tag, Mrs. Metz.“ In Erinnerung daran, dass er als Jugendlicher unzählige Male von Miss Sarah Jane auf die Straße gesetzt worden war, bemühte er sich, leise zu sprechen.

„Oh, welch eine Ehre! Unser Sheriff!“ Mit einem strahlenden Lächeln drehte sich Mrs. Metz zu ihm um, wobei sie mit ihrem Ellbogen den Bücherstapel umgestoßen hätte, wenn ihn nicht Sarah Janes Geistesgegenwart vor dem Umkippen bewahrt hätte. „Wie geht es Ihnen denn an diesem herrlichen Nachmittag?“

„Danke gut, Mrs. Metz. Tag, Miss Sarah Jane.“

„Hallo, Devin.“ Sarah Jane, das eisengraue Haar streng nach hinten frisiert, die gestärkte Bluse bis unters Kinn geschlossen, nickte ihm hoheitsvoll zu. „Sind Sie gekommen, um ,The Red Badge of Courage‘ zurückzubringen?“

„Nein, Ma’am.“ Fast wäre er rot geworden. Er hatte dieses verdammte Buch vor zwanzig Jahren verschlampt, und nicht genug damit, dass er es hatte bezahlen müssen, war ihm zur Strafe für seine Nachlässigkeit auch noch einen Monat lang verboten worden, die Bibliothek zu betreten. Selbst jetzt noch – obwohl er längst erwachsen war und den Sheriffstern trug – wäre er vor Miss Sarah Janes strafendem Blick am liebsten sofort in den Boden versunken.

„Ein Buch ist ein Schatz“, belehrte sie ihn wie stets.

„Ja, Ma’am. Äh, Mrs. Metz ...“ Jetzt, mehr um von sich selbst abzulenken als um der Aufrechterhaltung der Straßenverkehrsordnung willen, wandte er sich Mrs. Metz zu. „Ihr Wagen steht im Halteverbot. Schon wieder einmal.“

„Ach tatsächlich?“ fragte Mrs. Metz unschuldig. „Wirklich, Devin, das ist mir völlig schleierhaft, wie das wieder passieren konnte“, flötete sie. „Ich hätte geschworen, dass ich diesmal ganz legal geparkt habe. Ich wollte mir nur rasch ein paar Bücher ausleihen. Bücher sind doch wirklich eine Gabe Gottes, habe ich nicht Recht, Sarah Jane?“

„Voll und ganz.“ Obwohl ihr Mund ernst blieb, funkelten Sarah Janes dunkle Augen amüsiert. Devin hatte Mühe, vor Ungeduld nicht aus der Haut zu fahren.

„Es ist aber nun mal so, Mrs. Metz, Sie wissen, Sie stehen im Halteverbot.“

„Oh, mein Lieber, Sie werden mir doch jetzt nicht womöglich einen Strafzettel verpassen wollen?“

„Diesmal noch nicht“, brummte Devin.

„Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen. Mr. Metz wird nämlich immer sehr böse, wenn ich einen Strafzettel bekomme. Und ich bin ja auch erst ein oder zwei Minuten hier, stimmt’s, Sarah Jane?“

„Keinesfalls länger als ein oder zwei Minuten“, bestätigte Sarah Jane und blinzelte Devin zu.

„Wenn Sie Ihren Wagen dann jetzt vielleicht freundlicherweise wegfahren ...“

„Aber natürlich, mein Lieber. Ich eile. Sobald Sarah Jane diese Bücher hier auf meiner Karteikarte ausgetragen hat. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne meine Bücher machen sollte, wo Mr. Metz doch Tag und Nacht vor der Glotze sitzt. Trag sie aus, Sarah Jane, unterdessen kann uns Devin erzählen, was es bei seiner Familie Neues gibt.“

Er wusste genau, wann man ihn aushorchen wollte, er war nicht umsonst Polizist. „Danke, gut.“

„Also nein, wirklich, diese süßen Kleinen von Ihren beiden Brüdern. Ich muss sie mir unbedingt wieder einmal ansehen.“

„Den Babys geht es auch sehr gut.“ Bei dem Gedanken wurde ihm warm ums Herz. „Sie wachsen und gedeihen.“

„Oh ja, das haben Babys so an sich, stimmt’s, Sarah Jane? Wachsen wie Unkraut, ohne dass man was dagegen machen kann. Jetzt haben Sie schon einen Neffen und eine Nichte.“

„Zwei Neffen und eine Nichte“, korrigierte Devin in Anbetracht der Tatsache, dass Savannah, Jareds Frau, einen Sohn, Bryan, mit in die Ehe gebracht hatte.

„Ja, in der Tat. Und Sie? Haben Sie schon eine Vorstellung davon, wann Sie sich daranmachen wollen, auch eine Familie zu gründen?“ Ihre Augen funkelten wissbegierig.

Devin blieb unerschütterlich. „Mir reicht es im Moment, Onkel zu sein.“

Doch dann beschloss er, dem Verhör ein Ende zu machen. Bedenkenlos warf er seine Schwägerin den Wölfen zum Fraß vor. „Regan hat den kleinen Nate heute im Laden dabei. Ich habe vorhin kurz bei ihr reingeschaut.“

„Ach wirklich?“

„Sie sagte etwas davon, dass Savannah mit Layla auch noch vorbeischauen will.“

„Oh, mein Gott! Nun, dann ...“ Die Aussicht, gleich beide MacKade-Frauen samt ihren Babys auf einen Schlag zu Gesicht zu bekommen, schien Mrs. Metz regelrecht zu elektrisieren. „Beeil dich, Sarah Jane. Ich habe noch eine Menge Besorgungen zu machen.“

„Du kannst sofort los. Hier.“ Sarah Jane überreichte Mrs. Metz einen Leinenbeutel, der prallvoll war mit Büchern. Kaum hatte sich die Tür hinter der wissensdurstigen Mrs. Metz geschlossen, warf Sarah Jane Devin ein verschwörerisches Lächeln zu. „Schlau eingefädelt, Devin, wirklich. Wie immer.“

„Wenn Regan herausfindet, dass ich sie ihr auf den Hals gehetzt habe, zieht sie mir das Fell über die Ohren.“ Er grinste. „Aber man tut, was man kann. War nett, Sie wieder mal gesehen zu haben, Miss Sarah Jane.“

„Und wenn Sie die Ausgabe von ,The Red Badge of Courage‘ vielleicht doch noch finden sollten, bringen Sie sie vorbei, Devin MacKade. Bücher sind nicht zum Verschlampen da.“

Er zuckte zusammen, dann öffnete er schnell die Tür. „Ja, Ma’am.“

Trotz ihrer Leibesfülle war Mrs. Metz offensichtlich noch immer recht wendig. Als Devin auf die Straße trat, hatte sie ihren Wagen bereits aus der Parklücke hinausmanövriert und fädelte sich gerade in den dünnen Verkehrsstrom ein. Nachdem er sich beglückwünscht hatte, seine Sache gut gemacht zu haben, beschloss er, auf einen Sprung im MacKade-Inn vorbeizuschauen.

Einfach nur, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist, sagte er sich, während er in Richtung Büro trabte, um seinen Wagen zu holen. Schließlich gehörte das Hotel seinem Bruder Rafe, und es war seine, Devins, Pflicht, ein Auge darauf zu haben.

Die Tatsache, dass Cassie das Bed-and-Breakfast-Hotel führte und in der Wohnung im zweiten Stock mit ihren beiden Kindern lebte, hatte damit nicht das Geringste zu tun.

Er machte nur seinen Job.

Was natürlich nichts weiter als eine fromme Lüge war. Devin kam nicht umhin, sich das einzugestehen, während er hinter das Steuer seines Wagens kletterte.

Er hatte jetzt eben Lust, sie zu sehen. Einmal am Tag musste es sein, selbst wenn es noch so sehr schmerzte und er gezwungen war, größte Vorsicht dabei walten zu lassen. Ja, Vorsicht. Er begegnete ihr tatsächlich jetzt, nachdem sie endlich von ihrem Mann, diesem Dreckskerl, der sie über Jahre hinweg misshandelt hatte, geschieden war, noch viel behutsamer als früher.

Joe Dolin hat endlich bekommen, was er verdient hat, dachte Devin mit grimmiger Zufriedenheit, während er dem Ortsausgang entgegenfuhr. Joe saß hinter Gittern, und dort würde er zum Glück auch noch einige Zeit bleiben müssen.

Als Sheriff und Freund, als der Mann, der sie schon fast sein ganzes Leben lang liebte, hatte Devin die Pflicht nachzusehen, ob es Cassie und ihren Kindern auch wirklich gut ging.

Und heute würde er sie vielleicht zum Lächeln bringen, möglicherweise sogar zu einem Lächeln, das ihre großen grauen Augen auch wirklich erreichte.

Das Barlow-Haus lag auf einer kleinen Anhöhe vor der Stadt. Es hatte einst einem reichen Mann gehört. Während des Bürgerkriegs tobte auf den Feldern und in den Wäldern darum herum eine blutige Schlacht, und auf der Treppe im Foyer des Hauses war ein junger Soldat verblutet, niedergestreckt von der Hand des grausamen Hausherrn. Seine Ehefrau, so erzählte man sich, hatte sich anschließend über die ruchlose Tat ihres Mannes zu Tode gegrämt.

Nachdem seine einstigen Bewohner tot waren, verfiel das Haus nach und nach. Viele Jahrzehnte lang stand es leer, bis auf die Geister der Verstorbenen, die nicht zur Ruhe kommen wollten.

Bis Rafe MacKade nach Antietam zurückgekehrt war und sich darum gekümmert hatte.

Es war das Haus, das Rafe und Regan zusammengebracht hatte. Voller Hingabe hatten sich die beiden vor zwei Jahren in die Renovierung gestürzt, und das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Wo einst Unkraut und Dornengestrüpp wucherten, befand sich jetzt ein saftig grüner Rasen mit bunt blühenden Blumenbeeten. Auch Devin hatte beim Anlegen des Gartens geholfen; wenn es darum ging, Träume zu verwirklichen, hielten die MacKade-Brüder immer eisern zusammen.

Hinter dem Haus lagen die verwunschenen Wälder und daran angrenzend die MacKade-Farm sowie das Land, auf dem Jared für sich und seine Familie ein großes Blockhaus errichtet hatte.

Ohne sich bemerkbar zu machen, betrat Devin das Haus. In der Auffahrt stand nur Cassies Wagen, was bedeutete, dass die Übernachtungsgäste bereits abgereist und neue noch nicht eingetroffen waren.

Er blieb einen Moment in dem weitläufigen Foyer mit seinem spiegelblanken Parkettboden, den schönen alten Teppichen und der Treppe, auf der es spukte, stehen. Auf den antiken Tischen und Kommoden standen Vasen mit frischen Blumen – das war etwas, worauf Cassie stets mit größter Sorgfalt achtete.

Devin war sich nicht sicher, wo er sie finden würde – entweder war sie im Garten, in der Küche oder in ihrer Wohnung im zweiten Stock. Also machte er sich auf die Suche.

Es war wirklich schwer vorstellbar, dass dieses Haus noch vor weniger als zwei Jahren voller Staub und Spinnweben gewesen sein sollte und der Verputz von den Wänden bröckelte. Jetzt erstrahlten die Holzböden in hellem Glanz, die Wände waren sauber und ordentlich tapeziert, und in dem blank polierten, mit kunstvollen Holzschnitzereien versehenen Treppengeländer konnte man sich fast spiegeln.

Rafe und Regan hatten ihre ganze Kraft und Fantasie in das Haus gesteckt, und nachdem es fertig war, hatten sie mit der Renovierung eines eigenen außerhalb der Stadt begonnen, in dem sie mittlerweile lebten.

Ein wenig beneidete Devin seinen Bruder. Rafe hatte eine Frau, die er liebte und mit der ihn eine gleichberechtigte Partnerschaft verband, ein Haus, seit kurzem auch noch ein Baby und das Inn.

Shane hatte die Farm. Rein formal betrachtet gehörte sie allen vier Brüdern, aber Shane bewirtschaftete sie und hing mit Leib und Seele an ihr.

Jared hatte Savannah, die Kinder und ebenfalls ein Haus.

Und er selbst? Nun, wenn man so wollte, hatte er die Stadt. Und außerdem ein Feldbett im Hinterzimmer des Sheriffbüros.

Die Küche war leer. An den blau gekachelten Wänden hingen blitzende Küchengeräte und Pfannen, auf dem Tisch stand eine Schale mit frischen, selbst gebackenen Keksen sowie eine große Schüssel aus Steingut, aus der ihn frisches Obst anlachte.

Und dann sah er sie. Sie war draußen im Garten hinter dem Haus, bekleidet mit einer weißen Bluse, die sie in ihre marineblauen Slacks gesteckt hatte, und nahm blütenweiße Laken von der Wäscheleine.

Bei ihrem Anblick ging ihm fast das Herz über. Sie sieht glücklich aus, dachte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. Ihre Mundwinkel waren ein wenig nach oben gebogen, und ihre großen grauen Augen wirkten verträumt. Der leichte Frühlingswind spielte mit ihren blonden Locken.

Sie war hübsch und strahlte Wärme, Tüchtigkeit und Effizienz aus. Erst vor kurzem hatte sie wieder angefangen, Schmuck zu tragen. Allerdings keine Ringe. Vor einem Jahr war ihre Scheidung rechtskräftig geworden, und Devin wusste auf den Tag genau, wann sie ihren Ehering abgelegt hatte.

Aber sie trug kleine goldene Kreolen in den Ohren und einen Hauch von Lippenstift. Kurz nach ihrer Heirat hatte sie aufgehört, sich zu schminken, auch daran erinnerte sich Devin nur allzu gut.

Ebenso lebhaft war ihm das Bild im Gedächtnis geblieben, das sie bot, als er zum ersten Mal über die Schwelle des Hauses trat, das sie mit Joe zusammen bewohnte. Nachbarn hatten sich über den Lärm beschwert und ihn gebeten, für Ruhe zu sorgen. Mit Entsetzen sah er die Blutergüsse in ihrem Gesicht und die panische Angst, die in ihren Augen stand. Doch ihm waren die Hände gebunden, da sie ihm immer wieder mit bebender Stimme und totenbleichem Gesicht versicherte, dass alles in Ordnung sei.

Oh ja, er erinnerte sich noch sehr genau. Und es war nicht bei diesem einen Mal geblieben. Die Nachbarn beschwerten sich immer wieder, er fuhr hin und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Wenn er daran zurückdachte, spürte er noch heute die ohnmächtige Wut in sich aufsteigen, die ihn damals fast um den Verstand gebracht hatte. Er war gezwungen gewesen, tatenlos zuzusehen, wie dieser Dreckskerl von Joe der Frau, die er, Devin, liebte, das Leben zur Hölle machte. Und jedes Mal, wenn er Cassie darauf ansprach, schüttelte sie nur stumm den Kopf und behauptete, dass alles in Ordnung wäre. Immer wieder versuchte er an sie heranzukommen, ihr Alternativen zu ihrem augenblicklichen Leben und einen Ausweg aus ihrer Misere aufzuzeigen, doch sie hielt ihrem Ehemann unverbrüchlich die Treue.

Bis sie sich eines Tages in sein Büro schleppte – zu Tode verängstigt und völlig am Ende, übersät mit Blutergüssen und mit Würgemalen am Hals –, um Anzeige gegen ihren Ehemann zu erstatten.

Er tat das, was er als Sheriff für sie tun konnte, doch das war in seinen Augen viel zu wenig, und so bot er ihr wenigstens seine Freundschaft an.

Als er jetzt durch die Hintertür in den Garten trat, lag ein ungezwungenes Lächeln auf seinem Gesicht. „Hi, Cass, wie geht es dir?“

Sie wirbelte herum, die schönen grauen Augen vor Beunruhigung verdunkelt. Er hatte sich mittlerweile an ihre Reaktion gewöhnt, obwohl es ihn ungeheuer schmerzte, dass sie in ihm zuerst den Sheriff sah – eine Autoritätsperson –, bevor ihr klar wurde, dass es sich bei ihm auch um einen alten Freund handelte. Immerhin dauerte es nicht mehr ganz so lange wie früher, bis sich ein Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht ausbreitete und die Anspannung wegwischte.

„Hallo, Devin.“ Ruhig, weil sie sich zur Ruhe gemahnte, befestigte sie eine Wäscheklammer an der Leine und begann ein Laken zusammenzulegen.

„Kann ich dir helfen?“

Noch ehe sie ablehnen konnte, fing er an, die Klammern von der Leine zu pflücken. Würde es ihr wohl jemals gelingen, sich daran zu gewöhnen, dass ein Mann solche Arbeiten verrichtete? Vor allem so ein Mann. Er war so ... beeindruckend. Breite Schultern, große Hände, lange Beine. Und sah umwerfend aus, natürlich. Wie alle MacKades.

Devin strahlte eine ungeheure Männlichkeit aus, doch was diese Männlichkeit letztendlich ausmachte, vermochte sie nicht zu sagen. Selbst jetzt, als er fachmännisch ein Laken zusammenfaltete und in den Wäschekorb legte, war er ein ganzer Mann. Anders als seine Deputys trug er keine khakigelbe Uniform, sondern einfach nur Jeans und ein verwaschenes blassblaues Hemd, dessen Ärmel er lässig bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Seine Unterarme waren muskulös, und sie hatte allen Grund, die Körperkraft eines Mannes zu fürchten. Doch trotz seiner großen Hände und seiner breiten Schultern war er ihr niemals anders als sanft begegnet.

Er lächelte sie freundlich an, während sie verzweifelt nach einem Gesprächsstoff suchte. Eine Unterhaltung mit ihm würde ihr sicher leichter fallen, wenn er nicht so ein ... bestimmtes Auftreten hätte. Wenn er weniger lebendig wäre. Sein Haar war schwarz wie die Nacht und kringelte sich um seinen Hemdkragen. Seine Augen waren moosgrün. Sein Gesicht war so gut geschnitten, dass man diese Tatsache unmöglich übersehen konnte, sein Mund energisch, und die kleinen Grübchen in den Wangen, die sich nicht nur beim Lachen, sondern selbst beim Sprechen bildeten, zogen konstante Aufmerksamkeit auf sich.

Und auch der Duft, den er ausströmte, war überaus männlich. Nach unparfümierter Seife und Moschus. Devin hatte sich ihr gegenüber stets freundlich und aufmerksam verhalten, doch immer, wenn sie mit ihm allein war, wurde sie nervös wie eine Katze, die sich einer Bulldogge gegenübersieht.

„Wäre schade, die Sachen an einem so schönen Tag wie heute in den Trockner zu werfen.“

„Was?“ Sie blinzelte und verwünschte ihre Unsicherheit. „Oh ja, natürlich. Wenn das Wetter danach ist, hänge ich die Wäsche immer raus, sie duftet dann so herrlich. In den nächsten Tagen wird es hoch hergehen hier. Fürs Memorial-Day-Wochenende sind wir so gut wie ausgebucht.“

„Du wirst alle Hände voll zu tun haben.“

„Ja, sieht so aus. Aber es kommt mir trotzdem immer gar nicht so richtig wie Arbeit vor.“

Er sah ihr zu, wie sie ein Laken in den Wäschekorb legte und glatt strich. „Es ist wahrscheinlich weniger anstrengend, als bei Ed Tabletts zu schleppen.“

„Stimmt.“ Sie lächelte ein bisschen, dann plagten sie Schuldgefühle. „Aber Ed war immer sehr gut zu mir. Ich habe sehr gern für sie gearbeitet.“

„Sie ist noch immer stocksauer auf Rafe, weil er dich abgeworben hat.“ Als Devin das angespannte Aufflackern in ihren Augen sah, grinste er und schüttelte den Kopf. „Krieg nicht gleich einen Schreck, Cassie, ich hab doch nur Spaß gemacht. Natürlich ist sie nicht sauer auf Rafe, im Gegenteil, sie freut sich mächtig für dich, dass du’s so gut getroffen hast. Wie geht’s den Kindern?“

„Prima, danke.“ Als sie den Korb hochheben wollte, kam ihr Devin zuvor und klemmte ihn sich unter den Arm. „Sie müssen jeden Moment von der Schule nach Hause kommen.“

„Kein Training heute Nachmittag?“

„Nein.“ Sie ging ihm voran in die Küche. „Connor platzt fast vor Stolz, weil er die Mannschaft zusammenstellen darf.“

„Er ist der viel versprechendste Baseballer, den wir zurzeit haben.“

„Das höre ich immer wieder.“ Sie ging zur Kaffeemaschine. „Es ist schon seltsam. Manchmal kann ich es kaum glauben. Er hat sich früher nie für Sport interessiert, bevor ... nun, vorher halt“, beendete sie ihren Satz lahm. „Bryan hat einen guten Einfluss auf ihn.“

„Mein Neffe ist ein Teufelskerl.“

In Devins Worten lag ein so schlichter und aufrichtiger Stolz, dass Cassie sich überrascht nach ihm umdrehte und ihn anschaute. „Du hängst sehr an ihm, stimmt’s? Ich meine, obwohl ihr ja gar nicht richtig miteinander verwandt seid?“

„Das, was eine Familie zusammenhält, sind nicht notwendigerweise immer nur Blutsbande.“

„Da bin ich ganz deiner Meinung. Und manchmal bringt die Blutsverwandtschaft sogar eine Menge Probleme mit sich.“

„Macht deine Mutter dir wieder zu schaffen?“

Cassie zuckte nur leicht mit der Schulter und wandte sich wieder der Kaffeemaschine zu. „Sie kann halt auch nicht raus aus ihrer Haut.“ Sie öffnete den Küchenschrank und nahm eine Tasse und einen kleinen Teller heraus. Als Devin ihr von hinten eine Hand auf die Schulter legte, fuhr sie herum und ließ vor Schreck beinahe das Geschirr fallen.

Er machte Anstalten, einen Schritt zurückzutreten, doch dann entschied er sich anders und drehte sie sanft, die Hand noch immer auf ihrer Schulter, zu sich herum. „Sie macht dir ständig die Hölle heiß wegen Joe, hab ich Recht, Cassie?“

Sie musste schlucken, doch ihre Muskeln weigerten sich, dem Befehl Folge zu leisten. Seine Hand lag schwer auf ihrer Schulter, aber sie tat ihr nicht weh. In seinen Augen stand Ärger, jedoch ohne den geringsten Anflug von Gemeinheit. Sie befahl sich, ruhig zu bleiben und seinem Blick standzuhalten.

„Sie ist eben gegen Scheidung.“

„Und dafür, dass ein Mann seine Frau verprügelt?“

Jetzt zuckte sie zusammen und senkte den Blick. Devin verfluchte sich selbst und nahm die Hand weg. „Tut mir Leid.“

„Schon gut. Ich habe nicht erwartet, dass du es verstehst. Ich kann es ja selbst nicht mehr verstehen.“ Erleichtert darüber, dass er sie losgelassen hatte, wandte sie sich ab und machte sich an dem Glas mit den Keksen, die sie am Morgen gebacken hatte, zu schaffen. Sie legte einige davon auf den Teller, den sie anschließend auf den Tisch stellte. „Es scheint sie nicht zu berühren, dass es mir jetzt tausendmal besser geht als vorher und dass die Kinder glücklich sind. Ebenso wenig spielt es für sie eine Rolle, dass Joe für das, was er mir angetan hat, rechtmäßig verurteilt wurde. Das Einzige, was für sie zählt, ist, dass ich durch die Scheidung mein Ehegelöbnis gebrochen habe.“

„Bist du eigentlich glücklich, Cassie?“

„Weißt du, ich hatte die Hoffnung, glücklich zu werden, schon längst aufgegeben.“ Sie ging zur Kaffeemaschine, um ihm Kaffee einzuschenken. „Und jetzt hat sich alles zum Guten gewendet. Ja, Devin, ich bin glücklich.“

„Hast du den Kaffee nur für mich gemacht?“

Sie starrte ihn entgeistert an. Die Vorstellung, dass sie sich mitten am Tag zu einer Tasse Kaffee an den Tisch setzen könnte, erschien ihr undenkbar. Devin holte eine zweite Tasse aus dem Schrank.

„Erzähl doch mal“, forderte er sie auf, während er ihr Kaffee einschenkte, „wie fühlen sich denn die Touristen, wenn sie die Nacht in einem Spukhaus verbringen?“

„Manche von ihnen sind tatsächlich ganz enttäuscht, wenn sie nichts hören.“ Cassie ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Devin für sie unter dem Tisch hervorgezogen hatte, wobei sie sich bemühte, die aufsteigenden Schuldgefühle, dass sie ihre Zeit mit Nichtstun vertrödelte, zu unterdrücken. „Es war wirklich eine sehr geschäftsfördernde Idee, in die Werbeprospekte reinzuschreiben, dass es hier spukt.“

„Rafe war schon immer ziemlich clever.“

„Ja, das stimmt. Manche Leute sind morgens, wenn sie zum Frühstück runterkommen, ein bisschen nervös. Wahrscheinlich haben sie das Türenschlagen gehört oder vielleicht auch Stimmen und das Weinen.“

„Abigail Barlows Weinen. Das Weinen der bedauernswerten Südstaatenschönheit, die das Pech hatte, mit einem Ungeheuer verheiratet zu sein.“

„Ja. Viele hören es und möchten es auch hören, es ist schließlich der Grund dafür, dass sie hier übernachten. Bisher hatten wir nur ein Paar, das darauf bestand, mitten in der Nacht abzureisen.“ Das Lächeln, das sich jetzt auf Cassies Gesicht ausbreitete, war verschmitzt, fast schon ein klein wenig boshaft. „Sie hatten Angst.“

„Aber du hast doch hoffentlich keine Angst? Oder macht es dir etwas aus, dass hier nachts Gespenster ihr Unwesen treiben?“

„Kein bisschen.“

Er hob den Kopf. „Und? Hast du sie schon mal gehört? Abigail, meine ich.“

„Oh ja, schon oft. Und nicht nur bei Nacht. Manchmal, wenn ich allein hier bin und aufräume, höre ich sie auch tagsüber. Oder ich kann spüren, dass sie gerade neben mir steht.“

„Und das erschreckt dich nicht?“

„Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich ...“ Sie wollte sagen „ihr verbunden“, aber das erschien ihr dann doch zu töricht. „Ich habe Mitleid mit ihr. Sie saß in der Falle und war sehr unglücklich, verheiratet mit einem Mann, der sie verachtet hat, während ihre Liebe einem anderen gehörte ...“

„Sie hat einen anderen geliebt?“ fragte Devin überrascht nach. „Das höre ich zum ersten Mal.“

Verdutzt stellte Cassie ihre Tasse mit einem leisen Klirren auf der Untertasse ab. „Ja, du hast Recht, ich weiß eigentlich gar nicht, wie ich darauf komme. Es ist nur so, dass ... ich es weiß“, erkannte sie plötzlich. „Das hab ich mir vermutlich nur ausgedacht. Es ist einfach romantischer. Emma nennt sie immer ,die Lady‘.“

„Und Connor?“

„Ach, für ihn ist das alles ein großes Abenteuer. Die Kinder lieben dieses Haus. Wenn Bryan hier übernachtet, gehen die beiden Jungs jedes Mal auf Geisterjagd.“

Autor

Nora Roberts

„Stell dich dem Glück in den Weg“, das ist das Motto von Bestsellerautorin Nora Roberts. Eleanor Marie Robertson kam als jüngstes von fünf Kindern in Maryland zur Welt. Ihre Familie, die ursprünglich aus Irland stammte, hatte sich das neue Leben in den USA hart erkämpfen müssen. Trotzdem blieb immer Zeit...

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