Ein fast ehrenwerter Gentleman

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Gerettet - oder entehrt? Ein attraktiver Fremder beschützt die junge Gouvernante Fiona Chapman vor Straßenräubern. Doch bereits im nächsten Gasthaus macht der Retter Luke Wolfson ihr ein skandalöses Angebot: Sie soll seine Geliebte werden! Fionas Herz schlägt rasend schnell. Aus Angst - oder vor Verlangen?


  • Erscheinungstag 02.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716875
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sie reisen also gern allein, Miss Chapman?“

„Jawohl, Madam“, antwortete die junge Dame mit mühsam unterdrückter Ungeduld. Man hatte ihr gerade vor fünf Minuten dieselbe Frage im gleichen entsetzten Ton gestellt. Und davor hatten sich zwei weitere Damen und ein Gentleman auf andere Weise, doch mit ähnlich schlecht verhohlener Neugier an sie gewandt. Jeder der Fragenden hatte allerdings lediglich Sorge um ihr Wohlergehen bekundet, und nicht etwa ein ungehöriges Interesse an ihren Angelegenheiten. Im beengten Raum der Postkutsche konnten Fiona Chapman die kritischen Blicke der Damen nicht entgehen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie hinter vorgehaltenen Händen über sie tuschelten. Nur der Farmer mittleren Alters war nach seiner anfänglichen Bemerkung nicht mehr auf das Fehlen einer Begleitperson zurückgekommen.

Das triumphierende Horngetöse des Kutschers verkündete das Erreichen der nächsten Poststation. Miss Chapmans Reisegesellschaft rührte sich aufgeregt bei der Aussicht, sich endlich die Beine vertreten und eine Erfrischung zu sich nehmen zu können. Wenige Minuten danach sah Fiona ihnen unter dem Rand ihres Strohhutes dabei zu, wie sie aus der Kutsche kletterten. Der Farmer, der sich und seine Frau als die Jacksons vorgestellt und Fiona gegenübergesessen hatte, hielt ihr jetzt freundlich die Hand hin und half ihr, das Kopfsteinpflaster vor dem Wirtshaus der Poststation namens Fallow Buck zu betreten. Fiona schenkte dem Mann ein recht wehmütiges Lächeln, weil er sie mit seinem grau melierten Haar und dem rundlichen Leibesumfang, der die Knöpfe an seiner Weste fast zum Bersten brachte, an ihren verstorbenen Papa erinnerte. Allerdings war Anthony Chapman wohl älter gewesen als dieser Herr. Fionas Vater war vor wenigen Jahren im Alter von nur zweiundfünfzig Jahren an einem Herzanfall gestorben, und jenes traurige Ereignis war der Grund für Fionas jetzige Reise.

„Achten Sie nicht auf meine Frau, Miss.“ Mr. Jackson tätschelte Fionas Hand, bevor er sie losließ. „Sie macht sich stets Sorgen, und nicht immer um sich selbst. Wir haben zwei Mädchen, verstehen Sie, und wissen also ein wenig, welchen Unsinn junge Damen manchmal anstellen können.“ Er sog erschrocken die Luft ein. „Womit ich nicht sagen will, dass Sie irgendwelchen Unsinn anstellen wollen, liebe Miss Chapman“, fügte er hastig hinzu. „Oh nein … ich wollte nicht sagen … und möchte auch nicht indiskret werden …“

„Ist schon gut.“ Fiona lächelte freundlich. Natürlich glaubte er, dass sie etwas im Schilde führte – genauso wie die Damen der kleinen Reisegesellschaft. Und sie hatten auch ganz recht, misstrauisch zu sein. Wohlerzogene junge Damen reisten in der Regel nicht allein in einem öffentlichen Verkehrsmittel wie der Postkutsche.

„Unsere beiden Mädchen sind inzwischen schon verheiratet, jede mit einem sehr guten Mann.“ Er schenkte Fiona ein ermunterndes Lächeln, vielleicht in der Hoffnung zu hören, auch für sie könne ein solch erstrebenswertes Schicksal erwartet werden, bevor es zu spät war.

Fiona machte sich keine Illusionen. Sie war nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend und musste somit damit rechnen, dass sie eine alte Jungfer werden würde. Ebenso wenig konnte sie Anspruch auf besondere Schönheit erheben, und so erkannte jeder sofort, was sie war: eine unverheiratete Dame von Mitte Zwanzig mit einem eher angenehmen als hübschen Gesicht und Haar von einem enttäuschend matten Blond. Ihre Sprache zeugte von guter Bildung, und sie war adrett gekleidet, was darauf hinwies, dass sie weder arm noch reich war, sondern irgendetwas dazwischen.

Mr. Jackson reichte ihr den Arm, um ihr seine Begleitung in das Wirtshaus anzubieten. Während sie sich unterhalten hatten, waren seine Frau und die Schwestern Beresford bereits vorausgegangen und hatten das Gebäude betreten. „Mrs. Jackson befürchtet, es könnte Ihnen etwas zustoßen, wissen Sie. Und ich muss Ihnen gestehen, ich teile die Befürchtung meiner lieben Frau.“

„Ich bin sicher, ich werde in einem Stück in Dartmouth ankommen“, entgegnete Fiona zuversichtlicher, als ihr wirklich zumute war. Sie hatte London guter Dinge verlassen, obwohl ihre Mutter sie angefleht hatte, nicht so unüberlegt zu handeln. Doch je weiter gen Westen die Reise sie führte, desto mehr begann sie an der Weisheit ihres Entschlusses zu zweifeln, eine einträgliche Anstellung in einer so unvertrauten, abgeschiedenen Gegend anzunehmen.

Sie hatte in Büchern über Devon und Cornwall gelesen und die Bilder vom wild tosenden Meer betrachtet, das gegen eine schroffe Küste peitschte. Die Bewohner jenes rauen Landstrichs trugen schlichte, derbe Kleidung und harte Holzschuhe an den Füßen. All das gehörte zu einer ganz anderen Welt als die kultivierte, elegante Hauptstadt, in der sie aufgezogen worden war. Andererseits hatte Fiona auch nie viel mit jener Eleganz zu tun gehabt, da sie es meist vorgezogen hatte, zu lesen oder zu malen, statt mit ihrer Mutter und Schwester an den Veranstaltungen der guten Gesellschaft teilzunehmen. Sie war bereit gewesen für einen Neuanfang – selbst bevor ihr dieser Wechsel durch Papas Ableben und die Ankunft von Cecil Ratcliff aufgezwungen worden war.

„Sie sind eine Unschuld, meine Liebe, und wissen nicht, wie es auf dem Lande zugeht, versichere ich Ihnen“, riss Peter Jackson sie aus ihren Gedanken. „Es gibt sehr ungehobelte Burschen in diesen Gegenden hier, die eine Dame berauben würden … oder Schlimmeres …“, meinte er grummelnd. „Passen Sie also jeden Augenblick auf sich auf. Bevor wir uns trennen, geben wir Ihnen noch unsere Adresse mit, falls Sie Hilfe brauchen sollten. Falls Ihre Angelegenheiten nicht so verlaufen, wie Sie erhoffen, könnten Sie Freunde gebrauchen.“

Fiona war klar, dass er gern mehr über ihre Angelegenheiten erfahren würde, hatte aber nicht die Absicht, näher darauf einzugehen. Man hatte sie dazu erzogen, ihre Zunge zu hüten, um niemandem Anlass zum Klatsch zu geben. Dass ihr Ziel das Haus eines Witwers war, würde gewiss für Gerede sorgen. Sie hatte auch wirklich lange darüber nachgedacht, bevor sie die Stellung der Gouvernante für zwei mutterlose Kinder in Herbert Lodge angenommen hatte.

„Vielen Dank für Ihren fürsorglichen Rat, Sir. Ich werde daran denken“, versprach sie und hielt ihren Hut fest, als eine plötzliche heftige Brise ihn ihr vom Kopf zu wehen drohte.

Mr. Jackson hatte sich und seine Frau vorgestellt, als sie in Dawlish gemeinsam in die Postkutsche gestiegen waren. Sie befanden sich auf der Heimreise nach der Hochzeit einer Nichte. Miss Beresford und ihre Schwester Ruth waren ebenfalls in Dawlish zu ihnen gestoßen, würden aber als Erste ihr Ziel erreichen. Fiona und die Jacksons wollten ihre Reise durch Devon fortsetzen.

Als sie das Gasthaus betraten, entdeckten Fiona und Mr. Jackson die drei Damen vor dem prasselnden Kaminfeuer, wo sie es sich bereits in weichen Sesseln bequem gemacht hatten, während der Wirt sich um sie kümmerte.

„Kommen Sie, setzen Sie sich dicht ans Feuer, Miss Chapman“, rief Mrs. Jackson und winkte ihr zu.

„Der Kaffee hier ist sehr gut, oder darf ich Ihnen einen heißen Grog empfehlen, der Sie bestimmt aufwärmen wird?“ Peter Jackson schob ihr aufmerksam einen Sessel zurecht. „Wir kommen hier recht oft vorbei – nicht wahr, Betty? – und finden die Küche ganz annehmbar. Das letzte Mal hatte ich eine Rindfleischpastete, die wirklich vorzüglich war.“

Mrs. Jackson nickte eifrig. „Ich würde den Rum probieren, Miss Chapman“, riet sie Fiona. „Ich werde mir auch ein Schlückchen genehmigen. So wie der Wind jetzt durch den Kamin heult, wird der Nachmittag gewiss noch recht kühl werden.“

Die jüngere Miss Beresford rutschte auf ihrem Sessel nach vorn und flüsterte Fiona zu: „Verzeihen Sie, aber sind Sie heimlich davongelaufen, um mit Ihrem Liebsten durchzubrennen?“

„Nein! In der Tat, nein!“ Fiona lachte, halb amüsiert, halb verärgert, und sah sich um, falls irgendjemand es gehört hatte. Nur ein Schankmädchen war hinter ihnen gerade dabei, leere Gläser von den Tischen zu räumen. Und es schien eher damit beschäftigt zu sein, aus dem Fenster zu starren und mit dem Stalljungen im Hof zu flirten. „Sehe ich etwa wie eine verliebte Ausreißerin aus?“, antwortete Fiona leise.

„Ich dachte nur, wie aufregend es doch wäre, wenn Sie es wären. Was für ein Abenteuer!“ Ruth Beresford kicherte auf eine Weise, die nicht zu einer Frau passen wollte, die mindestens dreißig Jahre alt sein musste.

„Die Tochter des Duke of Thornley heiratet bald“, warf Mrs. Jackson ein. „Es heißt, Seine Gnaden sei sehr großzügig. Zweifellos wird er die Arbeiter auf seinem Gut zur Feier zu einem prächtigen Festmahl einladen.“

„Wollen wir also hoffen, dass er ihnen Fasan servieren wird“, meinte Mr. Jackson trocken. „Auf seinem Anwesen wimmelt es nur so von diesen Viechern. Sie sind eine wahre Plage, krächzen ständig ohrenbetäubend und treiben sich auf den Wegen herum“, fügte er hinzu, als er Fionas fragenden Blick bemerkte.

„Eine adlige Hochzeit!“ Ruth Beresford seufzte und zwinkerte Fiona zu, als würden sie ein Geheimnis teilen.

„Ich sehe mal, ob unser Wirt heute eine Pastete anbieten kann“, wechselte Mr. Jackson das Thema. „Möchtest du etwas essen?“, fragte er seine Frau, während er schon auf den Schanktisch zuging.

„Oh ja, sehr gern“, antwortete sie.

„Ich hätte Appetit auf ein Rindfleisch-Sandwich, falls der Wirt uns so etwas machen kann“, wandte Ruth sich an ihre ältere Schwester. „Kann ich meine Münzen haben?“ Valerie Beresford zog einen kleinen Beutel aus einer Tasche.

Auch Fiona hatte ein wenig Hunger. Sie legte sich ihr Retikül auf den Schoß und öffnete die Schnüre, um an ihr Geld zu kommen. Bei dem Gedanken an ein Rindfleisch-Sandwich mit Meerrettich lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie bestellte gemeinsam mit ihren Reisegefährten und folgte Mrs. Jacksons Rat, sich mit einem schönen Glas Rum-Grog die Kälte vom Leib zu halten. Wie sie sich jetzt so gemütlich mit den übrigen Reisenden vor dem Kaminfeuer entspannte, ließen ihre Bedenken über ihr neues Leben allmählich nach. Alles würde gut werden, wenn sie nur ihren Mut nicht sinken ließ.

„Was zum Teufel tust du hier?“ Die barsche Frage des Gentlemans deutete eigentlich auf einen unmittelbar bevorstehenden Wutausbruch hin, doch er fläzte dennoch weiterhin lässig in seinem Sessel. Nur dass sein attraktives Gesicht sich kaum merklich verfinsterte, zeigte seinen Ärger.

Becky Peake wusste allerdings genau, dass er sehr zornig auf sie war. Er hatte sie nicht angeschrien, obwohl sie es gewiss verdient hätte. Aber seine Stimme war kalt, ebenso wie seine bemerkenswerten dunklen Augen.

„Sei nicht böse auf mich, Luke“, flehte sie ihn an. Der Wirt des Gasthauses hatte sie zu diesem Hinterzimmer geführt, und jetzt trat Becky leichtfüßig über die Schwelle und zog die Tür hinter sich ins Schloss. „Ich will nicht allein in der Stadt bleiben, wenn du so weit fort bist.“ Sie kam auf ihn zu und ließ dabei herausfordernd die Hüften schwingen.

Aber er erhob sich abrupt, einen leisen Fluch ausstoßend, und ging von ihr fort.

Praktisch wie immer, warf Becky einen Blick auf den Teller voll appetitlicher Happen. „Ich sterbe vor Hunger … darf ich mich bedienen, wenn du schon fertig bist?“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nur zu.“

Schnell entledigte Becky sich ihres Huts, sodass ihre dunklen Locken ihr auf die Schultern fielen. Sie löste den Knoten am Hals ihres Umhangs und machte sich daran, sich an den kalten Fleischstücken, dem frisch duftenden Brot und dem Käse gütlich zu tun. Als ihr plötzlich bewusst wurde, dass ihr Liebhaber sie nachdenklich betrachtete, wischte sie sich mit der schneeweißen Serviette über die vollen Lippen. „Was ist?“ Sie lächelte kokett und ließ ihre hübschen Grübchen sehen. „Vergibst du mir? Du wirkst, als würdest du es tun …“

„Nun, das kommt darauf an“, meinte er mit einem kaum merklichen Lächeln.

„Du verzeihst mir immer meine kleinen Sünden, wenn ich dir ganz besondere Gefälligkeiten erweise“, sagte sie selbstbewusst, stand auf, ging tänzelnd auf ihn zu und legte ihm die Arme um den Nacken.

„Deine Dreistigkeit ist keine kleine Sünde, und ich werde sie nicht vergessen, meine Süße. Aber da du schon einmal da bist, gibt es vielleicht einen Weg, wie du es wiedergutmachen könntest.“

Becky legte den Umhang ganz ab. Darunter trug sie ein hauchdünnes zitronengelbes Kleid, das sich eng an ihre üppigen Rundungen schmiegte. „Ich tu alles, was du verlangst“, gurrte sie anzüglich und schlang wieder die Arme um ihn.

„Gut“, knurrte er und befreite sich aus ihrer Umarmung. „Ich habe einen Vorschlag für dich …“

2. KAPITEL

Ich bin nicht gegen Ihren Plan, Euer Gnaden. Ich bin lediglich der Meinung, dass es verfrüht wäre, ihn in die Tat umzusetzen.“

„Und warum, wenn ich fragen darf?“ Alfred Morland, der Duke of Thornley, war Widerspruch nicht gewohnt, ganz besonders nicht von Personen weit geringeren Ranges. Allerdings handelte es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Mann. Major Wolfson war Veteran der Napoleonischen Kriege und besaß eine ganze Liste von Empfehlungen, die von seinem militärischen Können und seiner unbestrittenen Tapferkeit zeugten. Der Duke of Wellington, ein gemeinsamer Bekannter, hatte die Dienste des Majors empfohlen, als Thornley ihm von seiner misslichen Lage erzählt hatte. Da Seine Gnaden dringend die Hilfe eines Mannes von Wolfsons Qualitäten brauchte, unterdrückte er seine Wut, so gut er konnte, heftete den Blick aber finster auf die hochgewachsene Gestalt des Mannes, der vor ihm stand. Widerwillig musste er zugeben, dass Wolfson sehr stattlich war, und glaubte unbesehen Wellingtons prahlerischen Worten, dass kein vernünftiger Mensch es je wagen würde, seinen ehemaligen Adjutanten zu verärgern. Doch nachdem er so viel Zeit und Überlegung in diesen Plan investiert hatte, wollte der Duke of Thornley so bald wie möglich Taten sehen.

Seit Napoleon endgültig besiegt worden war, ließ Major Wolfson sich und seine Talente anderweitig engagieren. Nicht, dass er das Geld benötigte. Wie Wellington angedeutet hatte, besaß er ein von seinem Großvater geerbtes Vermögen, um das ihn selbst Krösus beneidet hätte. Offenbar gefiel Luke Wolfson das Soldatenleben, und ihm schien der Sinn nicht nach einer ruhigen Existenz als Landadliger in Essex zu stehen. Ein abenteuerlustiger Mann also, wie er ihn für seine Mission brauchte, aber Thornley sah deutlich, dass Wolfson alles andere als beeindruckt zu sein schien von seinem Plan, einen hiesigen Schurken zur Strecke zu bringen.

Luke nahm einen herzhaften Schluck von dem Branntwein, den der Duke ihm eingeschenkt hatte, als er noch in leutseliger Stimmung gewesen war, und stellte das Glas dann auf den Kaminsims. „Wenn das Leben einer jungen Frau in Gefahr geraten könnte, sind gründliche Überprüfungen doch wohl zwingend erforderlich, bevor es zu spät ist.“

„Ich habe Sie in der Hoffnung kommen lassen, Sir, dass Sie mit jedweder Gefahr fertigwerden. Falls Ihnen die Aufgabe zu mühsam erscheint oder Sie sich ihr nicht gewachsen fühlen, müssen Sie es nur sagen, und ich rufe einen anderen Söldner.“

„Auch in dem Fall wird Ihr Plan warten müssen, bis Sie jemanden finden, der bereit ist, den Auftrag anzunehmen und die Collins-Bande zu unterwandern.“ Luke verzog den Mund zu einem kaum merklichen Lächeln, während der Duke, eindeutig verärgert, über diesen Einwand nachgrübelte.

„Die Frau wird großzügig für ihren Einsatz bezahlt – genau wie Sie“, erinnerte er Luke säuerlich.

„In der Tat, und ich habe Miss Peake versprochen, dass sie nächste Woche wieder in London sein wird, um ihren Lohn ausgeben zu können. Es wäre mir sehr unlieb, stattdessen ihre Beerdigung veranlassen zu müssen.“

„Nun, dann geben Sie ihr eben einen Bonus, wenn sie einwilligt, die Sache zügig anzugehen.“ Thornley bedachte den Major mit einem mürrischen Blick. „Zweifellos rechnen Sie mit einem ähnlichen Lohn, obwohl Sie für sich bereits eine fürstliche Bezahlung ausgehandelt haben.“

Luke zuckte ungerührt die Achseln. „Wenn Sie einen Anreiz bieten, um die Sache zu beschleunigen, habe ich natürlich nichts dagegen. Aber das Risiko bleibt das Gleiche, und ich rate Ihnen dringend, gründlich nachzudenken, bevor Sie etwas unternehmen. Sollte Collins Verdacht schöpfen, hätten Sie nichts gewonnen und würden die Bande womöglich dazu bringen, sich an Ihnen und Ihrer Tochter zu rächen. Ihr Wohlergehen ist Ihnen doch wohl wichtig, oder?“

„Selbstverständlich!“ Wolfsons letzte Bemerkung hatte einen wunden Punkt getroffen. Der Duke of Thornley vergötterte seine Tochter. Er wusste, wie sehr sie sich in Devon langweilte, weil er sie nicht oft aus dem Haus gehen ließ, nicht einmal in Begleitung ihrer Zofe. Schuld daran war die Bande von Gewalttätern, die die Gegend unsicher machte. „Falls der Schurke Verdacht schöpfen sollte, dann lediglich, weil Wellington mir zu viel versprochen hat, was Ihre Fähigkeiten angeht. Ich bezahle Sie dafür, dass Collins nichts ahnt.“ Seine Gnaden stellte sein Glas mit einem heftigen Ruck auf den Schreibtisch und erhob sich. „Sie vergessen sich, Sir, wenn Sie es wagen, mich zu schulmeistern!“

„Ich glaubte, Sie würden meinen Rat willkommen heißen“, sagte Luke ruhig. „Tatsächlich hatte ich den Eindruck, Sie hätten mich aus ebendiesem Grund hierher beordert.“ Ihre Blicke trafen sich, aber Luke konnte sehen, dass der Duke nicht bereit war, seinen Fehler einzugestehen. „Vor ungefähr sechs Monaten kidnappte Jeremiah Collins einen jungen Mann und ließ ihn dann zu seiner Familie zurückkehren, nachdem man ihm ein beträchtliches Lösegeld gezahlt hatte.“ Luke sah, wie dem Duke heftige Röte in die Wangen stieg. „Sie wussten davon. Und haben sich wohl auch davon inspirieren lassen, wie ich annehme.“

„Natürlich weiß ich davon“, brauste Seine Gnaden auf, offenbar gereizt, dass man ihm vorwarf, seine Idee ausgerechnet von der Person gestohlen zu haben, die er aufgeknüpft sehen wollte. „Mein Freund Squire Smalley ist Friedensrichter in Devizes. Die Angelegenheit ist vertuscht worden, um die Leute nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber offensichtlich ja nicht gut genug, wenn Sie davon Kenntnis haben.“

Luke lächelte. „Wie Sie, Euer Gnaden, habe auch ich Freunde mit Einfluss“, sagte er leise.

„In dieser Gegend – und in London übrigens auch – bin ich derjenige mit dem größten Einfluss.“ Die arroganten Worte taten dem Duke schon leid, kaum dass er sie ausgesprochen hatte, aber Wolfson war entschieden zu vorlaut und musste ein wenig zurechtgestutzt werden. „Sie sind entweder auf meiner Seite, Major, oder nicht. Lassen Sie mich wissen, was von beidem der Fall ist.“

„Verzeihen Sie, aber so wie es aussieht, können wir uns in dieser Sache nicht einigen. Ich kann unmöglich guten Gewissens weitermachen, wenn ich kein Vertrauen in den Plan habe, wie er im Augenblick aussieht. Außerdem besitze ich noch nicht genügend Fakten, um Miss Peakes Sicherheit zu garantieren. Um die Wahrheit zu sagen, würde ich auch lieber keine Frau in solche Gefahr bringen.“ Luke verbeugte sich knapp. „Ich werde meinen Anwalt veranlassen, Ihnen die Anzahlung zurückzuschicken. Somit ist unser Vertrag ungültig. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.“

Luke unterdrückte einen Fluch, während er zur Tür ging. Die Sache hatte ihm von Anfang an nicht gefallen und er war nur bereit gewesen, nach Devon zu reisen und mit Thornley zu sprechen, um Wellington einen Gefallen zu tun.

Eine Mission, bei der einem unversehens ein Messer in die Brust gestoßen werden konnte, war nichts Ungewöhnliches bei den Aufträgen, die Luke übernahm, aber Becky hatte in ihrem Leben nie Gefährlicheres erlebt als einen Bewunderer, der ihr auf einem unbeleuchteten Weg in Vauxhall Gardens auflauerte. In jedem Fall zog Luke es vor, allein zu arbeiten, und erst hier in Devon hatte er erfahren, dass er eine Komplizin brauchen würde.

Trotz seiner Ergebenheit für Wellington hatte er schon nach der ersten Begegnung mit Thornley in Erwägung gezogen, sein Bedauern auszudrücken und den Auftrag abzulehnen. Und dann war unerwartet seine Geliebte aufgetaucht. Luke wusste, dass er keine bessere Kandidatin für die Rolle der Komplizin würde finden können.

Becky war eine sehr tüchtige Schauspielerin. Wäre sie in London geblieben, statt ihm zu folgen, würde sie jetzt auf der Bühne in Haymarket stehen und die Desdemona geben. Aber bei näherer Überlegung wurde ihm klar, dass er das Risiko nicht eingehen wollte. Wahrscheinlich würde Becky enttäuscht sein, früher als erwartet von ihm nach London zurückgeschickt zu werden. Dennoch würde er genau das tun, denn ihr Erscheinen hier hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.

Während Luke schnell auf die riesige Eichenholztür am Ende einer stillen Marmorhalle zuschritt, trat der Butler auf ihn zu und überreichte ihm den Mantel. Bevor er allerdings das Haus verlassen konnte, rief eine junge Frau seinen Namen, und er drehte sich verblüfft um.

Lady Joan Morland eilte die letzten Stufen herunter und brachte den alten Diener dazu, missbilligend die Augenbrauen zu heben über die älteste Tochter seines Herrn.

„Hat Papa Sie dazu überredet, unseren Plan schnell umzusetzen?“, flüsterte sie, als sie Luke erreichte.

„Nein“, antwortete er nach kurzer Überlegung. „Es ist uns nicht gelungen, uns zu einigen, also wird ein anderer meine Rolle übernehmen müssen, falls Ihr Vater bei seinem Plan bleiben will.“ Er verbeugte sich und ging weiter.

Joan schien sehr bedrückt über die Neuigkeit zu sein. Schnell folgte sie Luke. „Das ist sehr schade. Dieser fürchterliche Mann ist eine entsetzliche Plage. Er hat zwei unserer Arbeiter zusammenschlagen lassen, weil sie verraten haben, dass er Branntwein verkauft, der schon einige Menschen das Leben gekostet hat. Und jetzt hat jeder im Dorf zu große Angst, um auch nur seinen Namen zu erwähnen. Aber Papa und ich nicht! Er wird uns nicht dazu bringen, seine Verbrechen zu dulden.“

„Hat Collins Sie je zu Gesicht bekommen?“, fragte Luke.

Joan schüttelte den Kopf. „Soweit ich weiß, nein. Ich gehe nicht viel aus dem Haus – Papa möchte es nicht. Aber ich habe keine Angst vor Collins! Und ich habe Papa schon gesagt, dass er mich nicht für ewig einsperren kann.“ Sie seufzte. „Am liebsten würde ich wieder nach London zurückkehren, wo es lustig ist und ich viel unternehmen kann.“

Luke unterdrückte ein Lächeln. Sie mochte noch jung sein, noch nicht einmal mündig, wie ihr Vater ihm verraten hatte, aber sie hatte Mut.

„Collins’ Glückssträhne wird irgendwann zu Ende gehen. Ich stelle mir vor, dass die Behörden ihm bereits auf der Spur sind und ihn bald festnehmen werden.“

„Das sagen die Leute in der Gegend schon seit über einem Jahr, und trotzdem tut er noch immer, was er will“, meinte Joan finster. „Ein Lieutenant Brown von der Küstenwache wurde neulich halb totgeschlagen aufgefunden. Wir wissen ja wohl alle, wer das getan hat! Und letzte Woche sind noch mehr Branntweinfässer an die Küste geschwemmt worden, wie ich von meiner Zofe hörte …“

Luke nickte bedauernd, um ihr zu zeigen, dass ihn die Nachricht nicht erfreute, aber auch nicht überraschte. „Ich muss jetzt gehen.“ Er verneigte sich höflich.

Natürlich versuchte sie, an sein Gewissen zu appellieren, damit er doch noch den verrückten Plan ihres Vaters ausführte und Collins in die Falle lockte. Doch Luke war sicher, dass der Duke in seiner Arroganz die gerissene Intelligenz seines Gegners unterschätzte. Außerdem wusste Luke, dass ihm der Duke nicht die Freiheit der Entscheidung geben, aber die gesamte Verantwortung auf seine Schultern laden würde. Unter diesen Bedingungen war Luke nicht bereit, sich einzusetzen. Außerdem erwartete ihn woanders ein dringendes Anliegen.

Er freute sich keineswegs auf sein Treffen mit Drew Rockleigh. Doch er musste sich um die Angelegenheit kümmern, die ihre Freundschaft gefährdete, bevor er nach London zurückreiste.

3. KAPITEL

Reisen wir schon heute nach London zurück?“

„Nicht wir … du“, sagte Luke lächelnd. Er stand vor dem Kamin im Privatsalon des Wirtshauses und blickte in den Spiegel, während er geschickt sein Krawattentuch band und kurz Beckys Blick begegnete.

„Es ist wirklich zu gemein vom Duke, unser kleines Abenteuer abzusagen.“ Becky biss schmollend in ihren Toast. „Er sollte mir wenigstens meinen Lohn zahlen. Ich brauche einen neuen Hut.“ Sie sah Luke dabei zu, wie er in seine Jacke schlüpfte.

„Nicht er hat es abgesagt, sondern ich. Und ich werde dir genug für einen Hut geben, meine Süße, keine Sorge.“ Er war offenbar nicht der einzige Söldner in diesem Raum. Er unterdrückte ein amüsiertes Lachen. Aber er zog es vor, wenn seine Geliebten sich mit sinnlicher Befriedigung und einem großzügigen Taschengeld zufriedengaben und weder seine Zeit noch seine Freiheit zu sehr in Anspruch nahmen. Leider überschritt Becky immer öfter die Grenzen und legte eine Eifersucht an den Tag, die Luke ermüdend fand. Es wurde Zeit, ihre Beziehung zu beenden, und er würde es tun, sobald er wieder in London war. In gewisser Hinsicht war es allerdings seine eigene Schuld, dass sie ihm bis hierher gefolgt war, da er ihr gesagt hatte, wohin er fahren wollte. Dennoch hätte er nie gedacht, dass sie die Frechheit besitzen würde, sich an seine Fersen zu heften.

„Kommst du bald zum Eaton Square?“, fragte sie mit angemessener Demut.

Sie hatte nie den Fuß in Lukes Stadthaus in Mayfair gesetzt und hätte es natürlich nie gewagt, ihn vor seiner Familie in Verlegenheit zu bringen. Andererseits wusste sie, dass er gar nicht mehr so viele Verwandte besaß, die sie durch ihre Existenz hätte erschüttern können. Er war ein Einzelkind gewesen, und sein Großvater väterlicherseits hatte beide seiner Eltern überlebt. Mehr als das wusste Becky nicht über ihren Liebhaber. Und sie war viel zu klug, um ihn zu drängen, ihr mehr zu verraten.

Seit fünf Monaten war sie die Geliebte des „Glücksritters“, wie er heimlich genannt wurde, und sie wollte es auch bleiben. Luke Wolfsons Ruf als Herzensbrecher und sein hinreißendes, fast fremdländisch dunkles Aussehen machten ihn in Beckys Augen unwiderstehlich. Als erfahrene Kurtisane hatte sie jedoch erkannt, dass Lukes Interesse an ihr nachzulassen begann.

„Die Londoner Saison wird bald anfangen“, sagte sie in einem neuen Versuch, ihn zum Sprechen zu bewegen.

„Und?“ Er wandte sich vom Spiegel und zu ihr um.

„Wirst du während der Saison ständig in der Stadt bleiben?“

Luke besaß ein riesiges Gut in Essex, und Becky vermutete, dass er auf dem Land eine chère amie haben musste, die ihm Gesellschaft leistete in der langen Zeit, die er von ihr fort war. Aber ein Milchmädchen mit dicken Waden beunruhigte sie nicht besonders.

„Vielleicht. Warum fragst du?“

„Harriet Ponting ist mit ihrer Mutter in der Stadt angekommen.“

„Und?“ Lukes Miene blieb ausdruckslos, während er seine Manschetten zurechtrückte.

„Oh, du weißt doch, was man von dir erwartet!“, rief Becky aufgebracht und bedeckte ihr hübsches Gesicht mit den Händen. „Ihre Mama bringt schon eine Ewigkeit Gerüchte in Umlauf, dass du kurz davor bist, ihrer ältesten Tochter wieder den Hof zu machen.“

„Ist dem so?“, murmelte Luke abweisend, und der Ausdruck, den er aufgesetzt hatte, war Becky, die zwischen den Fingern hindurchlugte, nur allzu bekannt. Er ließ sie wissen, dass seine Heiratspläne sie nicht das Geringste angingen und er sehr ungehalten darüber war, sie das Thema überhaupt anschneiden zu hören.

„Ich bezahle die Rechnung. Pack deine Sachen, meine Süße. Wir gehen.“

Becky sah ihm wütend nach. Ihrer Meinung nach ging es sie sehr wohl etwas an. Sie mochte ja nicht von Adel sein wie Harriet, aber sie hätte einem Gentleman als seine Gattin sehr viel zu bieten. Becky wollte es anderen ehrgeizigen Kurtisanen nachtun, die es geschafft hatten, reiche, einflussreiche Männer zu heiraten und ihnen legitime Erben zu schenken. Harriet Ponting hatte Luke bereits ein Mal abgewiesen und verdiente keine zweite Chance. Das war Beckys feste Überzeugung.

„Oh, es ist einfach unerträglich!“

„Na, na, beruhige dich, meine Liebe“, beschwichtigte Peter Jackson seine Frau. Er drückte sie fester an sich und unter den Baum, unter dem sie Schutz vor dem peitschenden Regen suchten.

Fiona hatte sich mit den Schwestern Beresford unter einer kargen Eiche zusammengedrängt. Doch ein lauter Donnerschlag ließ sie durch die knarrenden Äste über sich nach oben blicken.

„Vielleicht wären wir im Freien sicherer“, sagte sie und zog die Kapuze ihres Umhangs weiter vor, um ihr Gesicht zu schützen.

„Aber dann werden wir doch patschnass“, beschwerte sich Ruth Beresford und rückte mit ihrer Schwester dichter an den Baumstamm.

„Besser das, als vom Blitz getroffen zu werden“, gab Fiona zu bedenken.

Kurz entschlossen lief sie zur Kutsche zurück, die sich bedenklich zu einer Seite neigte. Der Kutscher und der Pferdeknecht versuchten mit allen Kräften, die vordere gebrochene Achse zu reparieren, nicht wenig behindert davon, dass sie gleichzeitig den stürmischen Elementen trotzen mussten. Das Gewitter war wie aus dem Nichts gekommen, als sie sich auf einer besonders abgelegenen Strecke befanden. Toby Williams legte den Hammer hin, als Fiona neben ihm stehen blieb. Erschöpft erhob er sich, klopfte dem nächsten Pferd auf die Flanke und redete beruhigend auf das arme Tier ein. Das Gespann hatte die Köpfe gesenkt vor dem wilden Angriff der Natur. In Strömen lief das Wasser an ihren Flanken und Mähnen herab.

„Es nützt nichts, Miss. Ich muss zum Fallow Buck zurück und um Hilfe bitten. Allein schaff ich es nicht, dieses verflixte Ding wieder fahrbar zu machen.“ Der Kutscher wies auf seinen jungen Pferdeknecht. „Bert bleibt bei Ihnen. Er kann meine Donnerbüchse zu Ihrem Schutz benutzen. Ich denke, in der Kutsche sind Sie sicher. Sie steckt im Schlamm fest und wird nicht umkippen. Und Sie können nicht im Freien bleiben, sonst holen Sie sich noch den Tod.“

„Glauben Sie denn, Bert könnte die Donnerbüchse brauchen?“, fragte Fiona beunruhigt. Der Junge sah nicht besonders begeistert darüber aus, allein gelassen zu werden und noch dazu die Verantwortung für die Sicherheit der durchnässten, verärgerten Fahrgäste übernehmen zu müssen.

„Nun, man kann nie wissen. Besser auf Nummer sicher gehen“, meinte Toby Williams ausweichend. Er dachte an die Collins-Bande, die die Gegend von Kent bis Cornwall entlang der Küste unsicher machte. Jene Plünderer würden ihr Glück nicht fassen können, sollten sie zufällig auf eine Gruppe wehrloser Reisender treffen. Jeremiah würde ihnen alle Wertsachen rauben und den Damen die Tugend, wenn stimmte, was Toby über den Schurken gehört hatte. Vor allem fürchtete er jedoch, Bert könnte sein Leben verlieren. Der Junge war erst achtzehn Jahre alt, doch schon hingen eine Frau und ein Kind von ihm ab. Man hatte Collins in Verdacht, einen Steuereintreiber aus Rye ermordet zu haben, doch über ein Jahr war vergangen, und dem gefährlichen Mann gelang es immer noch, sich dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen.

Man erzählte sich, Jem Collins habe keine Skrupel mehr. Er wusste, dass ihn der Strick erwartete, und so war es ihm gleichgültig, wie viel Angst er überall verbreitete, um so viel Profit zu scheffeln, wie er nur konnte, bevor er gefasst wurde – irgendwann würde das jedoch mit Gewissheit geschehen.

„Ich bringe die anderen zur Kutsche zurück“, brachte Fiona hervor, während der eiskalte Regen ihr ins Gesicht schlug.

„Wollen wir uns ein wenig mit einem Spiel aufheitern? Wir könnten ein Lied singen“, schlug Fiona verzweifelt vor, als der Regen draußen unvermindert auf sie einprasselte und der Wind die Kutsche erschütterte. Trotz des Regens, der auf das Dach trommelte, konnte Fiona Valerie Beresford in einer Ecke des Wagens weinen hören. In der anderen gab Mrs. Jackson sich noch lauter ihrer Verzweiflung hin, während ihr Mann ihr beschwichtigend die Hände tätschelte.

„Was für ein Abenteuer“, sagte Ruth Beresford mit einem unsicheren Lächeln.

„In der Tat, und eins, das ich lieber nicht erlebt hätte.“ Fiona seufzte. Aber sie war entschlossen, heiter zu bleiben. Schließlich war sie die jüngste Frau in ihrer kleinen Reisegesellschaft und sollte Stärke und Mut an den Tag legen. Sie hob das Lederrollo ein wenig an und sah zum armen Bert hinaus, der einsam auf und ab ging, Donnerbüchse in der Hand. Es wurde allmählich dunkel, und Fiona fürchtete, dass es Nacht sein würde, bevor die Rettung nahte.

„Wie viel länger wird der elende Mann noch brauchen?“, heulte Mrs. Jackson. „Ich bin völlig steifgefroren und werde sicher ernsthaft krank.“

„Ruhig, meine Liebe. Ich bin sicher, Toby tut sein Bestes. Er wird da sein, bevor du es dich versiehst.“ Doch man sah ihm die tiefe Sorge um seine Frau an, denn sie war sehr anfällig gegen die Kälte. Darüber hinaus beunruhigte ihn die ganze Situation zutiefst. Insgeheim machte er sich Vorwürfe, weil er keine Waffe dabei hatte. Doch er hatte diese Strecke oft hinter sich gebracht und wusste, dass Toby Williams stets bewaffnet war, um seine Passagiere zu beschützen. Vor über einer Stunde hatte er aber das kräftigste Pferd abgespannt und seine Pistole mitgenommen, um sich auf dem Ritt zurück zum Wirtshaus verteidigen zu können, falls nötig. Was bedeutete, dass sie jetzt nur von einem grünen jungen Mann und einer einzigen Waffe beschützt wurden.

„Ein Reiter!“ Bert riss die Kutschtür auf, um die Neuigkeit ins Innere zu schreien.

„Schließ die Tür, bevor wir alle vom Regen weggeschwemmt werden, du dummer Junge“, kreischte Mrs. Jackson und hielt sich abwehrend die Hände vor das Gesicht.

Mr. Jackson war blass geworden bei Berts Worten, sagte jedoch mannhaft: „Lass mich an der Tür sitzen.“ Er erhob sich und schob seine Frau weiter ins Innere der Kutsche. „Halten Sie das Gewehr hoch, junger Mann“, befahl er Bert. „Ich nehme an, Sie wissen, wie man die Büchse benutzt und neu lädt, sollte es nötig sein.“

Bert nickte ruckartig, den Blick entsetzt auf Mr. Jackson gerichtet. Dieser überlegte, ob es gar schon Toby Williams war, aber so schnell hätte der Kutscher unmöglich das Fallow Buck erreichen und wieder zu ihnen zurückkehren können.

Hufgeklapper wurde lauter, und Bert wirbelte erschrocken herum. Er hatte gespürt, dass der Farmer seine Angst teilte. Mit einem Pfiff könnte der sich nähernde Fremde den Rest seiner Bande herbeiholen, sobald er erkannt hatte, wie schutzlos die kleine Gesellschaft war. Oder es handelte sich um einen einsamen Wegelagerer, der zufällig ihren Weg kreuzte …

Luke verlangsamte das Tempo seines Pferdes und fluchte leise, als er die schief am Wegesrand stehende Kutsche entdeckte. Es trennte ihn nur eine kurze Strecke von seinem Ziel, und einen Moment lang war er versucht weiterzureiten. Er fror, war nass und hungrig, aber er wusste, dass er die armen Leute nicht einfach ihrem Schicksal überlassen konnte. Zumindest würde er ihnen anbieten, Hilfe zu holen, und gleichzeitig hoffen, dass die schon unterwegs war. Ein Pferd fehlte vom Gespann, also musste einer der Kutscher sich bereits auf den Weg gemacht haben. Der junge Bursche mit der Donnerbüchse sah aus, als könnte er sie jeden Moment benutzen, also gab er sich besser schnell als Freund zu erkennen. Andererseits verstand Luke ihre Angst in einer Gegend, in der die Collins-Bande sich herumtrieb.

Er stieg vom Pferd und salutierte freundlich, band seinen Hengst an einen tief hängenden Ast und watete durch den Schlamm zum hinteren Ende der schief stehenden Kutsche, um den Schaden zu begutachten.

Als es angefangen hatte zu regnen, hatte er seinen Entschluss zu reisen bedauert, aber am Nachmittag war das Wetter noch gut gewesen, und er hatte es eilig gehabt, Drew Rockleigh auf dessen Jagdsitz zu besuchen. Wenn ein Streit mit ihm unvermeidbar war, wollte Luke ihn so bald wie möglich hinter sich bringen.

Jetzt ging er in die Hocke, stellte fest, dass die Achse entzweigebrochen war, und erhob sich fast augenblicklich wieder. Es würde schneller und einfacher sein, eine andere Kutsche zu schicken, um diese armen Leute zu retten, als zu versuchen, dieses jämmerliche Gefährt zu reparieren. Plötzlich spürte er, dass er beobachtet wurde, und durch den dichten Regenvorhang sah er undeutlich das Gesicht einer Frau.

„Wohin waren Sie unterwegs?“ Er wischte sich den Regen, so gut es ging, vom Gesicht, trat dichter an die Kutsche heran und konnte die Frau, an die er die Frage gerichtet hatte, jetzt besser sehen. Sie war um einige Jahre jünger als er, wenn auch nicht so jung wie Becky, und ihr ernster Gesichtsausdruck ließ sie unscheinbarer wirken, als sie wahrscheinlich war.

„Dartmouth.“ Fiona wollte nicht zu viel verraten. Sie wussten schließlich nichts über diesen Burschen, um ihm vertrauen zu können. Mr. Jacksons Unruhe, als er von dem Reiter gehört hatte, ließ Fiona vermuten, dass es in dieser Gegend von Verbrechern nur so wimmeln musste. „Und Sie?“, entgegnete sie und blinzelte, um ihn durch den Regen besser ausmachen zu können. Ihr stockte der Atem. Er war der umwerfendste, attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.

„Lowerton, ein Dorf nur einige Meilen von hier entfernt“, erklärte Luke und hoffte, sie beruhigt zu haben. Ihm war ihr Unwohlsein aufgefallen. „Ist bereits jemand unterwegs, um Hilfe zu holen?“ Er neigte den Kopf, um auch die übrigen Passagiere der Kutsche ins Gespräch einzuschließen.

„Unser Kutscher ist losgeritten. Wir erwarten ihn jeden Moment zurück. Möchten Sie sich bitte vorstellen, Sir?“, forderte Mr. Jackson ihn auf.

„Oh, verzeihen Sie. Luke Wolfson, zu Ihren Diensten.“

„Mein Name ist Peter Jackson, und das ist meine Frau. Diese beiden Damen sind die Misses Beresford, und die Dame Ihnen am nächsten ist …“

„Miss Fiona Chapman“, stellte Fiona sich leise vor, da Mrs. Jacksons Husten die Stimme ihres Mannes übertönt hatte.

Fiona fühlte sich ein wenig entspannter. Zwar hatte Mr. Wolfson nur wenige Sätze gesagt, und doch ging etwas von dieser hochgewachsenen, imposanten Gestalt aus, dass der Mann ihr jetzt eher beruhigend als bedrohlich vorkam. Er sprach gelassen, war offensichtlich gebildet und trug kostspielige Kleidung – entsprach also in der Tat nicht dem Bild eines herkömmlichen Wegelagerers.

Auch ihre Reisegefährten schienen froh über Mr. Wolfsons unerwartetes Erscheinen zu sein. Ein weiterer Mann – besonders einer von Luke Wolfsons Alter und muskulöser Statur – stellte eine große Hilfe dar, wenn er denn bleiben wollte. Fiona fragte sich, ob er sich vielleicht schon bald wieder verabschieden würde, jetzt da er wusste, dass Hilfe unterwegs war.

„Ist Ihnen kalt?“ Luke hatte bemerkt, wie Fiona erschaudernd ihren Umhang enger um sich gezogen hatte.

„Sehr, Sir. Wir alle sind vorhin ausgestiegen, damit der Kutscher sich daranmachen konnte, die Achse zu reparieren. Leider vergeblich.“ Sie zuckte die Achseln. „Toby Williams ist also auf dem Weg, besseres Werkzeug und Hilfe zu besorgen. Die Bäume haben uns nicht vor dem Sturm schützen können. Wir sind alle völlig durchnässt.“

Autor

Mary Brendan
Mary Brendan wurde in Norden Londons als drittes Kind von sechs Kindern geboren. Ihr Vater hatte eine Klempnerfirma, und ihre Mutter, die sie zum Lesen und lernen anregte, arbeitete als Schulsekretärin.
Mary Brendan heiratete mit 19 Jahren und arbeitete in einer internationalen Ölfirma als Büroangestellte und später dann als Sekretärin in...
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