Der gefangene Stern

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Seit M.J. O' Leary von ihrer besten Freundin einen wertvollen Diamanten bekommen hat, ist sie auf der Flucht - mit Handschellen an den aufregenden Mann gekettet, der ihr gerade das Leben gerettet hat! Aber die temperamentvolle Barbesitzerin denkt gar nicht daran, Jack Dakota dankbar zu sein. Und auch nicht, ihm zu verraten, was sie in ihrer Handtasche versteckt. Schließlich lässt sie sich nicht einfach so kidnappen! Doch Jack scheint nicht nur entschlossen, an ihrer Seite zu bleiben und herauszufinden, wer hinter ihnen her ist, sondern ist mit seinem Charme und seinem gestählten Körper auch eine einzige Provokation. Und einer Herausforderung konnte M.J. noch nie widerstehen.


  • Erscheinungstag 22.05.2019
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783745750980
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Er hätte sein Leben für ein Bier gegeben. Ein großes, eiskaltes Glas Bier würde jetzt besser schmecken als der erste Kuss einer Frau. Ein Bier in einem netten dunklen Pub, ein nettes Baseballspiel im Fernsehen und ein paar Gäste, die sich dafür interessierten.

Solchen Fantasien hing Jack Dakota nach, während er vor der Wohnung der Frau wartete. Er stellte sich die Schaumkrone vor, den Hefegeruch, den ersten herrlich tiefen Schluck und danach den bedächtigen, langsamen Genuss. Es gäbe deutlich weniger Probleme auf der Welt, dachte er, wenn Politiker ihre Konflikte bei einem kühlen Bier in einem Pub regeln würden.

Noch war es etwas früh für ein Bier, gerade mal ein Uhr mittags. Aber die Hitze draußen war fast unerträglich, und Mineralwasser hatte kaum denselben erfrischenden Effekt. Sein uralter Straßenkreuzer, ein Oldsmobile, besaß keine Klimaanlage. Im Grunde besaß der Wagen überhaupt keine Annehmlichkeiten außer der teuren Stereoanlage, die er selbst eingebaut hatte und die doppelt so viel wert war wie das ganze Auto. Aber ein Mann brauchte einfach seine Musik. Wenn Jack durch die Straßen fuhr, liebte er es, die Stones oder die Beatles bis zur Schmerzgrenze aufzudrehen.

Doch da er gerade in einer ruhigen Wohngegend im nordwestlichen Washington D. C. parkte, ließ er die Anlage nur leise laufen. Er summte einen Titel von Bonnie Riatt mit, die einzige Musik nach 1975, die er mochte.

Jack war der Ansicht, in der falschen Zeit zu leben. Er hätte einen prächtigen Ritter abgegeben. Einen schwarzen Ritter. Ihm gefiel die gradlinige Einstellung, die da lautete: Der Stärkere hat recht. Er hätte dem guten alten Arthur sicherlich die Treue gehalten. Auch wenn er Camelot auf seine eigene Weise geführt hätte. Regeln machten das Leben viel zu kompliziert.

Im Wilden Westen wäre er auch gut zurechtgekommen. Er hätte Schurken jagen können, ohne vorher blöden Papierkram auszufüllen, und sie dann tot oder lebendig in den Knast gebracht.

Heutzutage nahmen die sich einfach einen Anwalt – oder bekamen sogar einen vom Staat gestellt! Und am Ende entschuldigte sich der Richter noch bei ihnen. Tut mir furchtbar leid, Sir, Sie haben zwar vergewaltigt, geraubt und gemordet, aber das ist noch lange kein Grund, Ihnen Ihre kostbare Zeit zu stehlen und gegen Ihre Bürgerrechte zu verstoßen.

Dieses Land war wirklich in einem traurigen Zustand.

Das war einer der Gründe, warum Jack kein Polizist geworden war – obwohl er mit Anfang zwanzig durchaus mit dieser Idee gespielt hatte. Gerechtigkeit war ihm wichtig, war es immer gewesen. Doch die Gesetze und Vorschriften der heutigen Zeit erschienen ihm nicht besonders gerecht.

Darum war er ein moderner Kopfgeldjäger geworden.

So konnte er ebenfalls die bösen Jungs jagen, aber auf eigene Faust und Rechnung und ohne sich mit lästiger Bürokratie herumzuschlagen. Natürlich gab es nach wie vor Gesetze, aber ein kluger Mann wusste sie geschickt zu umgehen. Und Jack war ein kluger Mann.

Die Unterlagen über seinen aktuellen Fall steckten in seiner Tasche. Ralph Finkleman hatte ihn um acht Uhr morgens angerufen. Ralph gehörte zu den Menschen, die sich ständig Sorgen machten und zugleich optimistisch waren – diese merkwürdige Mischung war vermutlich Voraussetzung für jemanden, dessen Job es war, Kautionsgelder an Wildfremde zu verleihen. Ralph stellte für Kleinkriminelle, die bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt wurden, die Kaution. Gegen eine anständige Gebühr natürlich. Jack hatte nie verstanden, wie man auf die Idee kam, vollkommen fremden Menschen Geld zu leihen, noch dazu Kriminellen.

Aber so ließ sich natürlich jede Menge Kohle verdienen, und das reichte wohl als Motivation.

Jack war gerade erst aus North Carolina zurückgekommen, wo er für Ralph einen hirnlosen Ladendieb aufgestöbert und zurück ins Gefängnis gebracht hatte. Ralph hatte die Kaution hinterlegt und ernsthaft geglaubt, dass der Kerl zu dumm wäre, um abzuhauen.

Jack hätte ihm sagen können, dass der Kerl zu dumm war, um nicht abzuhauen. Aber er wurde schließlich nicht dafür bezahlt, kluge Ratschläge zu geben.

Eigentlich hatte er sich nach dem letzten Auftrag ein wenig erholen wollen. Er hatte überlegt, sich ein paar Baseballspiele anzuschauen oder eine seiner weiblichen Bekanntschaften anzurufen, damit sie ihm dabei half, sein Honorar unter die Leute zu bringen. Doch Ralph hatte ihn dermaßen angefleht, den Fall zu übernehmen, dass er ein Nein einfach nicht übers Herz brachte.

Also war er zu First Stop Bail Bonds gefahren und hatte die Unterlagen über eine gewisse M.J. O’Leary abgeholt. Besagte Lady war offenbar nicht zum vereinbarten Termin vor Gericht erschienen, um zu erklären, warum sie ihren verheirateten Liebhaber angeschossen hatte.

Jack ging davon aus, dass die Frau dumm wie Bohnenstroh war. Eine attraktive Frau – und das war sie dem Foto nach zu urteilen – brauchte doch nur ein Minimum an Grips, um den Richter und die Geschworenen davon zu überzeugen, dass es nicht weiter schlimm war, einem ehebrecherischen Buchhalter ein bisschen Angst einzujagen.

Schließlich hatte sie den armseligen Bastard ja nicht getötet.

Der Job war ein Kinderspiel, und Jack konnte nicht begreifen, warum Ralph so nervös geklungen hatte. Jedenfalls wollte er die Sache nun so schnell wie möglich hinter sich bringen, um endlich sein kühles Bierchen zischen und das Honorar verprassen zu können.

Mit dem Extrageld dieses Jobs könnte er die Erstausgabe von Don Quixote kaufen, auf die er schon so lange scharf war. Dafür war er durchaus bereit, noch ein paar Stunden länger im Auto zu schwitzen.

Er sah nicht gerade aus wie ein Mann, der seltene Bücher sammelte oder mit Vergnügen philosophische Debatten über die Natur des Menschen führte. Jack trug sein sonnengesträhntes braunes Haar zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden – kein modisches Statement, sondern eher Ausdruck einer angeborenen Skepsis gegenüber Friseuren. Allerdings unterstrich die Frisur sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den vollen, festen Lippen und der tiefen Kerbe am Kinn. Seine Augen waren grau wie blitzender Stahl, der dahinschmelzen konnte beim Anblick der vergilbten Seiten einer Dante-Erstausgabe oder aber rauchdunkel wurde, wenn eine hübsche Frau im Sommerkleid des Weges kam.

Gelangweilt streckte Jack die langen Beine aus, rollte die verspannten Schultern und überlegte, ob er sich noch ein Mineralwasser genehmigen sollte, solange er wartete.

Als der MG an ihm vorbeifuhr, mit geöffnetem Dach und dröhnend lauter Musik, schüttelte er nur den Kopf. Dumm wie Bohnenstroh, tatsächlich – obwohl sie zumindest einen guten Musikgeschmack hatte. Das Auto passte zu der Beschreibung in seinen Unterlagen, und der flüchtige Blick, den er auf die Fahrerin hatte werfen können, bestätigte seine Vermutung. Das kurze, vom Wind zerzauste rote Haar war ein untrügliches Signal.

Erschreckend, dass eine so attraktive Frau so furchtbar dumm sein kann, dachte er, während er beobachtete, wie sie einparkte und aus dem Wagen stieg.

Man konnte sie nicht im klassischen Sinne als schön bezeichnen. Sie war groß – und Jack hatte eine Schwäche für langbeinige, gefährlich große Frauen. Ihre schmalen, knabenhaften Hüften steckten in einem Paar ausgewaschener und an den Knien zerrissener Jeans. Dazu trug sie ein schlichtes weißes T-Shirt, unter dessen Stoff sich ihre kleinen Brüste abzeichneten.

Als sie eine Tasche vom Rücksitz hievte, gewährte sie ihm einen aufschlussreichen Blick auf ihren festen Hintern. Kein Wunder, dass irgendein Schwachkopf mit ihr seine Frau betrogen hatte.

Ihr Gesicht war so kantig wie ihr Körper, und obwohl es mädchenhaft blass war – perfekt zu dem flammend roten Haar –, hatte sie überhaupt nichts Mädchenhaftes an sich. Aufregend ausgeprägte Wangenknochen und ein üppiger, sinnlicher Mund rundeten das Bild ab.

Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, doch er wusste aus seinen Unterlagen, dass sie grüne Augen hatte. Blieb die Frage, ob es sich eher um Moosgrün oder um Smaragdgrün handelte.

Mit einer riesigen Tasche über der Schulter und einer Einkaufstüte unter dem Arm steuerte sie auf ihn und das Apartmenthaus zu. Er gestattete sich einen letzten Seufzer angesichts des lässigen und zugleich aufreizenden Gangs – lange Frauenbeine waren wirklich sein Ding – und stieg dann ebenfalls aus, um ihr zu folgen. Vermutlich würde sie ihm keine großen Schwierigkeiten machen. Vielleicht würde sie ein bisschen beißen und kratzen, aber zumindest sah sie nicht so aus, als würde sie in Tränen ausbrechen.

Das konnte er wirklich nicht leiden.

Sein Plan war einfach. Natürlich hätte er sie sich hier draußen schnappen können, aber er hasste Szenen in der Öffentlichkeit, wenn sie sich vermeiden ließen. Also wollte er die Sache lieber in ihrer Wohnung klären und sie dann mitnehmen.

Als Jack hinter ihr das Gebäude betrat, ging ihm durch den Kopf, dass sie wirkte, als ob sie sich über nichts auf der Welt Sorgen machte. Dachte sie denn nicht daran, dass die Cops die Wohnung ihrer Freunde observieren würden? Und dann fuhr sie auch noch mit dem eigenen Wagen zum Einkaufen! Erstaunlich, dass sie nicht schon längst geschnappt worden war.

Andererseits hatte die Polizei Besseres zu tun, als einer Frau hinterherzujagen, die sich ein bisschen mit ihrem Liebhaber gestritten hatte.

Hoffentlich war der Freund, dem die Wohnung gehörte, nicht zu Hause. Doch Jack hatte fast eine Stunde lang die Fenster beobachtet und keine einzige Bewegung dahinter ausmachen können, und er hatte auch nichts gehört, als er dicht darunter vorbeigelaufen war.

Aber man konnte nie ganz sicher sein.

Weil sie am Fahrstuhl vorbei zur Treppe ging, tat er dasselbe. Sie warf keinen Blick zurück, also fühlte sie sich entweder extrem sicher oder hatte einfach nur den Kopf voll.

Mit zwei langen Schritten war Jack neben ihr, schenkte ihr ein Lächeln und fragte: „Kann ich Ihnen was abnehmen?“

Sie drehte sich zu ihm um, sah ihn durch die dunkle Brille an, ihre Lippen lächelten kein bisschen. „Nein. Geht schon.“

„Aber ich komme trotzdem mit Ihnen nach oben. Ich will zu meiner Tante. Ich habe sie schon seit … verdammt, seit zwei Jahren nicht mehr besucht. Ich bin erst heute Morgen in die Stadt gekommen. Hatte ganz vergessen, wie heiß es in Washington werden kann.“

Sie wandte sich wieder ab. „Die Hitze ist nicht so schlimm“, bemerkte sie mit einer Stimme trocken wie Staub, „sondern die Luftfeuchtigkeit.“

Jack lachte. „Ja, das sagt man so. Ich war in den letzten Jahren in Wisconsin. Aber hier bin ich aufgewachsen und … kommen Sie, ich helfe Ihnen.“

Mit einer schnellen Bewegung steckte sie den Schlüssel ins Schloss, ebenso schnell drückte sie mit der Schulter die Tür zu ihrer Wohnung auf. „Geht schon“, wiederholte sie und wollte ihm die Tür vor der Nase zuknallen.

Doch er schlüpfte wie eine Schlange hindurch und packte sie fest am Arm. „Ms. O’Leary …“ Mehr konnte er nicht sagen, bevor ihr Ellbogen in seinen Kiefer krachte. Gerade noch rechtzeitig wich er einem Tritt in seinen Unterleib aus.

Erklärungen mussten also vorerst warten.

Er ergriff sie, sie drehte sich in seinen Armen und trat so fest auf seinen Fuß, dass er Sternchen sah. Und zwar bevor sie ihm einen Faustschlag ins Gesicht verpasste.

Die Einkaufstüte war längst zu Boden gefallen, sie hieb weiter auf ihn ein. Bei jedem Schlag atmete sie hörbar aus. Anfangs wehrte er ihre Schläge ab, aber das war nicht ganz leicht. Offenbar war sie Kampfsportlerin – ein Detail, das Ralph ihm verschwiegen hatte.

Als sie eine gebeugte, kampfbereite Stellung einnahm, folgte Jack ihrem Beispiel.

„Das hilft Ihnen auch nicht weiter.“ Er fand die Vorstellung grässlich, sie schlagen zu müssen. „Ich werde Sie so oder so zur Polizei bringen, am liebsten unverletzt.“

Ihre Antwort bestand in einem gezielten Fußtritt in seinen Unterbauch, den er nur zu gern bewundert hätte. Doch leider war er zu beschäftigt damit, in einen Tisch zu krachen.

Verdammt, sie war wirklich gut.

Er vermutete, dass sie zur Tür rennen würde, und sprang so schnell wie möglich wieder auf die Beine, um ihr den Weg zu versperren. Doch sie umkreiste ihn nur, die Augen nach wie vor hinter den dunklen Gläsern verborgen, den Mund zu einer wütenden Grimasse verzogen.

„Na los“, forderte sie ihn heraus. „Keiner überfällt mich in meiner eigenen Wohnung und spaziert dann einfach davon!“

„Ich bin kein Einbrecher.“ Er kickte drei Pfirsiche aus dem Weg, die aus der Einkaufstüte gerollt waren. „Ich bin Kopfgeldjäger, und Sie sind aufgeflogen.“ Er hob eine Hand, um Frieden zu signalisieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie den Blick hob. Schnell stellte er ihr ein Bein und warf sie zu Boden.

Dann stürzte er sich auf sie und hätte sich vielleicht an ihrem schönen Körper unter seinem erfreut, hätte sie nicht zielsicher mit einem Knie nach oben gestoßen. Jack verdrehte die Augen und sog zischend die Luft ein, während ein Schmerz, wie nur Männer ihn kannten, ihn überwältigte. Trotzdem ließ er nicht von ihr ab.

Jetzt war er im Vorteil, und das wusste sie. Im Stehen war sie wendig und ihre Reichweite fast so groß wie seine. Doch hier auf dem Boden hatte sie kaum eine Chance, so schwer und muskulös, wie er war. Das machte sie so wütend, dass sie mit schmutzigen Tricks zu arbeiten begann. Sie grub die Zähne in seine Schulter und spürte Adrenalin und so etwas wie Triumph durch ihre Adern rauschen, als er aufjaulte.

Arme und Beine ineinander verknäuelt, rollten sie über den Boden und prallten gegen einen Beistelltisch. Eine blaue Schale mit Schokoladenbonbons zersprang auf dem Boden. Eine Scherbe drang in Jacks unverletzte Schulter, er fluchte erneut. Sie landete einen Schlag in sein Gesicht und einen zweiten in seine Nieren.

Gerade hatte sie das Gefühl, dass sie ihn überwältigen konnte, als er sie herumwarf. Noch bevor sie Luft holen konnte, saß er bereits auf ihrem Rücken und verdrehte ihr die Arme.

Nun bekam sie es zum ersten Mal wirklich mit der Angst zu tun.

„Verdammt, ich kapier nicht, warum Sie den Kerl angeschossen haben, wenn Sie ihn genauso gut grün und blau hätten prügeln können“, murrte Jack. Er griff in seine Tasche auf der Suche nach den Handschellen und schimpfte leise, als er keine fand. Er hatte sie während des Kampfes verloren.

Sie versuchte, sich aufzubäumen. Seit Big Betsy hatte er keinen solchen Kampf mit einer Frau mehr ausgetragen. Und die war ein einziger Muskelberg von einhundert Kilo gewesen.

„Hören Sie, Sie machen doch alles nur schlimmer. Warum gehen Sie nicht einfach brav mit mir, bevor wir die Wohnung Ihres Freundes noch weiter verwüsten?“

„Sie brechen mir das Kreuz, Sie Idiot“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. „Und außerdem ist das meine Wohnung. Wenn Sie versuchen, mich zu vergewaltigen, reiße ich Ihnen die Eier ab. Von Ihnen wird nichts übrig bleiben, was die Polizei aufsammeln könnte!“

„Es ist nicht mein Stil, Frauen zu zwingen, Herzchen. Nur weil irgendein Buchhalter die Finger nicht von Ihnen lassen konnte, muss das nicht auch für mich gelten. Und die Polizei interessiert sich nicht für mich, sondern für Sie.“

Sie versuchte, tief durchzuatmen, doch er drückte ihr die Luft ab. „Ich habe keine Ahnung, wovon zum Teufel Sie sprechen!“, fauchte sie.

Er zog die Unterlagen aus seiner Tasche und schob sie ihr vors Gesicht. „M.J. O’Leary, gesucht wegen Körperverletzung und blablabla. Ralph ist wirklich enttäuscht von Ihnen, Süße. Er hat die Kaution für Sie gestellt, damit Sie erst mal nicht in den Knast müssen. Er konnte wirklich nicht ahnen, dass eine nette Frau wie Sie ihn so hängen lässt.“

„Das ist doch Schwachsinn. Sie haben die Falsche erwischt. Für mich muss niemand eine Kaution stellen, ich bin noch nie wegen irgendetwas verhaftet worden. Und das hier ist meine Wohnung. Idiotische Bullen“, murrte sie und versuchte erneut, ihn abzuwerfen. „Rufen Sie doch ihren Sergeant an oder wen auch immer. Klären Sie das. Ich werde Sie in jedem Fall verklagen.“

„Netter Versuch. Und natürlich haben Sie noch nie von einem George MacDonald gehört.“

„Nein, habe ich nicht.“

„Dann war es außerordentlich unhöflich von Ihnen, den Mann anzuschießen.“ Er ließ den Druck so weit nach, dass er ihr Gesicht nach oben drehen konnte. Sie hatte ihre Sonnenbrille verloren, und ihre Augen waren weder moosgrün noch smaragdgrün, sondern grün wie ein schattiger Fluss – und jetzt glühten sie geradezu vor Zorn.

„Wissen Sie, Schwester, wenn Sie ‘ne heiße Affäre mit Ihrem Buchhalter haben, juckt mich das nicht. Wenn Sie ihn mit ‘ner Waffe bedrohen, ist mir das auch egal. Aber abhauen und andere Leute um ihr Geld bringen, so was geht mir wirklich auf den Zeiger!“

Sie konnte jetzt etwas besser atmen, aber seine Hände schlossen sich noch immer wie Stahlbänder um ihre Handgelenke. „Ich habe eine Buchhalterin namens Holly Bergman und auf keinen Fall eine heiße Affäre mit ihr. Außerdem habe ich niemanden angeschossen und auch niemanden um sein Geld gebracht. Es gibt keine Kaution, weil gar keine Kaution verhängt wurde. Ich will jetzt sofort Ihren Ausweis sehen, Sie Schlaumeier.“

Die hatte vielleicht Nerven, in ihrer Lage noch Forderungen zu stellen! „Mein Name ist Dakota, Jack Dakota. Ich sorge dafür, dass Leute wie Sie ihre Schulden zurückzahlen, wenn sie es nicht freiwillig tun.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie sein Gesicht. Er sah aus wie direkt aus einem schlechten Western entstiegen. Ein Großmaul und Revolverheld.

„Kopfgeldjäger also. Nun, hier gibt’s kein Kopfgeld, Sie Trottel.“ Es war also kein Überfall – die Angst, die ihr Herz umklammert hatte, verwandelte sich in blinde Wut. „Sie Mistkerl. Sie brechen hier ein, zerreißen mir die Klamotten, ruinieren meinen Zwanzig-Dollar-Einkauf, und das alles nur, weil Sie nicht in der Lage sind, die richtige Spur zu verfolgen? Sie sitzen ganz schön in der Klemme, das kann ich Ihnen verraten. Wenn ich mit Ihnen fertig bin, wissen Sie nicht mal mehr, wie Sie heißen. Sie werden …“ Sie brach ab, als er ihr ein Foto unter die Nase hielt.

Es handelte sich eindeutig um ihr Gesicht, und das Foto sah aus, als wäre es erst gestern aufgenommen worden.

„Haben Sie vielleicht eine Zwillingsschwester, O’Leary? Eine, die einen 58er MG mit dem Kennzeichen SLAINTE fährt und momentan bei einem Typen namens Bailey James wohnt?“

„Bailey ist eine Frau“, murmelte sie, während sie weiterhin ihr Foto anstarrte. Ging es hier um Bailey oder, besser gesagt, darum, was Bailey ihr geschickt hatte? In welchen Schwierigkeiten steckte ihre Freundin? „Und das hier ist nicht Baileys Wohnung, sondern meine. Ich habe keine Zwillingsschwester.“ Sie blickte ihm in die Augen. „Was geht hier vor? Ist Bailey in Ordnung? Wo ist sie?“

Jack spürte, wie sich unter seinen Händen ihr Puls beschleunigte. Wieder begann sie sich zu wehren, mit einer frischen, teuflischen Energie, die nur von großer Angst erzeugt werden konnte. Und er ahnte, dass sie nicht länger Angst um sich hatte.

„Ich weiß nichts über diese Bailey, sondern nur, dass in meinen Unterlagen diese Adresse unter ihrem Namen steht.“

So langsam stieg ein Verdacht in Jack auf, und das passte ihm überhaupt nicht. Er glaubte nicht mehr, dass M.J. O’Leary dumm wie Bohnenstroh war. Keine Frau, die auf der Flucht war, hätte jemals so viele offensichtliche Spuren hinterlassen. Er dachte nach. Warum war Ralph heute Morgen so nervös gewesen?

„Falls Sie die Wahrheit sagen, finden wir das ganz schnell heraus. Vielleicht liegt hier wirklich eine Verwechslung vor.“ Doch das glaubte er nicht. Überhaupt nicht. „Hören Sie“, setzte er an, genau in dem Moment, als die Wohnungstür aufsprang und ein Riese hereinstürmte.

„Sie sollten Sie rausbringen!“, blaffte der Riese, während er mit einer beeindruckenden .357 Magnum durch die Luft wedelte. „Sie reden zu viel! Er wartet.“

Jack hatte keine Zeit, lange nachzudenken. Zwar kannte er diesen Hünen nicht, aber er kannte diesen Art von Typen: jede Menge Kraft und null Hirn. Ein riesiger kahler Schädel, kleine Augen und breite Schultern. Der Revolver sah in seiner mächtigen Hand wie ein Spielzeug aus.

„Tut mir leid.“ Er drückte kurz das Handgelenk der Frau, in der Hoffnung, dass sie begriff und still liegen blieb. „Ich hatte hier ein paar Probleme.“

„Ist doch nur ‘ne Frau. Sie sollten Sie einfach nur rausbringen!“

„Ja, ich war gerade dabei.“ Jack versuchte es mit einem freundlichen Lächeln. „Hat Ralph Sie zur Verstärkung geschickt?“

„Los, aufstehen! Wir gehen.“

„Kein Problem. Sie brauchen den Revolver nicht. Ich habe sie unter Kontrolle.“ Doch nach wie vor war die Waffe direkt auf ihn gerichtet, der Lauf erschien ihm mindestens so groß wie ganz Montana.

„Nur die Lady.“ Der Riese grinste und bleckte die Zähne. „Sie brauchen wir nicht mehr.“

„Schön. Ich schätze, Sie wollen auch die Unterlagen?“ Weil ihm nichts Besseres einfiel, schnappte sich Jack eine Dose Tomaten aus der Einkaufstüte und hieb damit auf die Nase des Mannes ein. Befriedigt vernahm er ein krachendes Geräusch. Er duckte sich und stürzte wie ein Rammbock nach vorn. Er hatte das Gefühl, mit dem Kopf gegen eine Betonmauer zu rennen, doch zumindest sorgte die Stoßkraft dafür, dass sie gemeinsam über einen Ledersessel stürzten.

Ein Schuss löste sich, schlug ein faustgroßes Loch in die Decke, dann flog der Revolver durchs Zimmer.

M.J. dachte kurz daran, zu fliehen. Sie hätte die Tür erreichen können, bevor einer der Männer wieder auf den Beinen war. Aber dann fiel ihr Bailey ein und das, was sich in ihrer Handtasche befand. Sie dachte an die Probleme, in die sie irgendwie gestolpert war. Und außerdem war sie zu wütend, um wegzurennen. Also schnappte sie sich die Waffe, stürzte jedoch gleich wieder zu Boden, als Jack auf sie flog. Sie dämpfte seinen Sturz, er rappelte sich schnell wieder auf, sprang hoch und landete einen Tritt mit beiden Füßen in den Unterbauch des Riesen.

Ganz gut in Form, dachte M.J. und richtete sich ebenfalls auf. Sie ergriff ihre Handtasche, wirbelte sie über ihrem Kopf und hieb sie mit aller Gewalt auf den kahlrasierten Kopf. Der Mann plumpste schwer aufs Sofa, die Sprungfedern ächzten.

„Sie verwüsten meine Wohnung!“, schrie sie und boxte Jack in die Seite.

„Verklagen Sie mich doch!“

Er versuchte, der Faust von der Größe eines Dampfschiffs auszuweichen, und schrie vor Schmerz auf, als sein Widersacher ihn gegen die Wand schleuderte. Bilder fielen herab und zerschellten auf dem Boden. Verschwommen sah er, dass sich die Frau wie ein roter Feuerball auf den Rücken des Riesen stürzte und mit den Fäusten sein Gesicht bearbeitete, während dieser wild um sich schlug und versuchte, sie abzuwerfen.

„Halten Sie ihn fest!“, schrie Jack. „Verdammt, halten Sie ihn nur einen Moment lang fest!“

Er schnappte sich ein abgebrochenes Tischbein, starrte dann das Duo an, das wie ein verrücktes zweiköpfiges Ungeheuer durch den Raum wirbelte. Wenn er jetzt zuschlug, konnte es passieren, dass er womöglich M.J. traf.

„Ich sagte, Sie sollen ihn festhalten!“

„Soll ich ihm in der Zwischenzeit auch in aller Ruhe ein Fadenkreuz auf die Stirn malen?“ Mit einem kehligen Laut verhakte sie die Arme um den Hals des Riesen, umspannte mit den Schenkeln den breiten Brustkorb und brüllte: „Schlagen Sie endlich zu, Himmel noch mal! Hören Sie auf, hier herumzutänzeln, und schlagen Sie zu!“

Jack holte voll aus. Das Tischbein zersplitterte, Blut spritzte, und M.J. konnte gerade noch rechtzeitig abspringen, bevor der Mann zu Boden krachte wie ein gefällter Baum.

Sie verharrte ein paar Sekunden auf allen vieren und rang nach Atem. „Was ist hier los? Was zur Hölle ist hier eigentlich los?“

„Keine Zeit, darüber nachzudenken.“ Jack nahm sie bei der Hand und zog sie auf die Füße. „Solche Typen sind selten allein unterwegs. Verschwinden wir.“

„Verschwinden?“ Sie schnappte sich die Handtasche, während er sie zur Tür zog. „Wohin?“

„Weg. Er dürfte ziemlich sauer sein, wenn er wieder aufwacht, und falls ein Freund von ihm in der Nähe ist, werden wir beim nächsten Mal wohl nicht so viel Glück haben.“

„Glück? Von wegen. Sie schlagen mich nieder, verwüsten meine Wohnung, und dann werde ich beinahe erschossen!“

„Ich habe Ihnen den Hintern gerettet.“

„Ich habe Ihnen den Hintern gerettet!“, schrie sie und stürmte laut fluchend das Treppenhaus hinunter. „Sobald ich eine Minute Zeit habe, um Luft zu holen, werde ich Sie auseinandernehmen, Mister.“

Sie bogen um die Ecke und hätten beinahe eine Nachbarin über den Haufen gerannt. Die Frau mit wild toupiertem Haar und Plüschpantoffeln an den Füßen zog den Kopf ein, drückte sich gegen die Wand und schlug die Hände an die rot geschminkten Wangen.

„M.J., was in aller Welt … waren das Schüsse? Pistolenschüsse?“

„Mrs. Weathers …“

„Keine Zeit.“ Jack stieß sie das nächste Stockwerk hinunter.

„Schreien Sie mich nicht an, Sie Vollidiot! Sie werden mir jede einzelne Traube bezahlen, die zerquetscht worden ist, jede Lampe, jeden …“

„Jajaja, ich hab’s kapiert. Wo ist die Hintertür?“ Als M.J. auf eine Tür deutete, nickte er, dann schlüpften sie auf die Straße und bogen um die Ecke. Von einigen Büschen verdeckt, spähte Jack auf die Straße und entdeckte einen fensterlosen Lieferwagen, neben dem ein kleiner hühnergesichtiger Mann wartete. „Bleiben Sie unten“, befahl Jack, froh, dass er direkt vor der Tür geparkt hatte. Mit eingezogenen Köpfen rannten sie über den Gehsteig und hechteten in seinen Wagen.

„Mein Gott, was ist das?“ Sie schubste eine Dose, auf die sie sich beinahe gesetzt hätte, zur Seite und kickte die leeren Verpackungen weg, als Jack mit einer Hand ihren Kopf nach unten drückte.

„Runter!“, schrie er und raste mit quietschenden Reifen die Straße hinunter. Ein schwaches Pfeifen sagte ihm, dass der Mann mit dem Hühnergesicht einen Schalldämpfer benutzte. M.J. stieß sich den Kopf am Handschuhfach und kämpfte fluchend um ihr Gleichgewicht, während Jack den großen Wagen durch die Straßen manövrierte.

„Was tun Sie da, verdammt?“

„Ich rette schon wieder Ihren Hintern, Herzchen.“ Er schaute kurz in den Rückspiegel, bevor er eine scharfe Kurve nahm. Ein paar Kinder auf Fahrrädern ballten die Fäuste und feuerten ihn an. Jack musste grinsen.

„Halten Sie diese Müllhalde sofort an!“ M.J. hielt sich am Schalthebel fest, während sie zurück auf den Sitz krabbelte. „Und lassen Sie mich aussteigen, bevor Sie noch jemanden überfahren.“

„Ich werde überhaupt niemanden überfahren, und Sie bleiben, wo Sie sind.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten, der Typ mit dem Lieferwagen hat auf uns geschossen. Und sobald ich sicher bin, dass wir ihn abgehängt haben, werden Sie mir erzählen, was zum Teufel hier los ist.“

„Ich weiß nicht, was hier los ist.“

„So ein Blödsinn.“

Und weil er tatsächlich glaubte, dass sie Blödsinn erzählte, griff er unter seinen Sitz und förderte Handschellen zutage. Bevor sie auch nur mit der Wimper zucken konnte, hatte er sie bereits mit einem Handgelenk am Türgriff gefesselt. Wenigstens würde sie ihm nicht davonlaufen, bevor er nicht wusste, warum er gerade von einem Dreihundert-Pfund-Gorilla durch die Luft geschleudert worden war.

Um ihr Geschrei und ihre immer bildhafteren Beschimpfungen zu übertönen, drehte Jack die Stereoanlage voll auf.

2. KAPITEL

Bei der erstbesten Gelegenheit würde sie ihn umbringen. Und zwar grausam, beschloss M.J. Ohne Gnade. Noch vor zwei Stunden war sie eine glückliche und freie Frau gewesen. Okay, sie war fast umgekommen vor Neugier wegen des Klunkers, den sie in ihrer Tasche mit sich herumtrug. Aber sicher hatte Bailey einen guten Grund und eine logische Erklärung, warum sie ihr den Diamanten geschickt hatte.

Bailey James hatte für alles eine logische Erklärung. Nicht zuletzt deshalb mochte M.J. sie so sehr.

Aber jetzt machte sie sich Sorgen – Sorgen darüber, dass das Päckchen, das ihr gestern per Kurier geliefert worden war, der Grund für diesen ganzen Schlamassel war.

Vorerst zog sie es allerdings vor, Jack Dakota die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Er hatte sich Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft und sie angegriffen. Gut, womöglich hatte sie ihn zuerst angegriffen, aber das war schließlich eine vollkommen verständliche Reaktion. Sie glaubte fest an die Methode: Erst zuschlagen, dann Fragen stellen.

Es war beschämend, dass er sie zu Boden geworfen hatte. Sie besaß den schwarzen Gürtel 5. Grades und ertrug es nur schwer, einen Kampf zu verlieren.

Bisher wusste sie nur, dass Jack Dakota schuld war an ihrer zertrümmerten Wohnung und daran, dass sie einfach davongerannt waren, ohne die Wohnungstür zu schließen. Zwar hing sie nicht sonderlich an materiellen Dingen, aber darum ging es nicht. Es waren ihre Dinge, und nun musste sie ihre kostbare Zeit damit verschwenden, sie zu ersetzen.

Was sie mindestens genauso nervte war die Tatsache, dass ein bewaffneter Schwachkopf einfach so ihre Tür eingetreten hatte. Und am allerschlimmsten fand sie es, dass sie mit Handschellen an den Türgriff eines Oldsmobile gefesselt war.

Dafür würde Jack Dakota bezahlen.

Wer zum Henker war er überhaupt? Kopfgeldjäger, exzellenter Kampfsportler und Vollidiot, wie sie im Geiste aufzählte, während sie den Plastikmüll von aufgerissenen Schokoriegeln und leeren Pappbechern mit den Füßen hin und her schob. Außerdem fuhr er Auto wie ein Verrückter. Unter anderen Umständen hätte es sie beeindruckt, wie er mit dem Wagen umging, in Kurven preschte, um Ecken jagte und auf die Washington Beltway schoss wie ein Formel-1-Fahrer.

Wenn er in ihren Pub gekommen wäre, hätte sie durchaus zweimal hingeschaut, das musste sie mürrisch zugeben. In einer Großstadt einen Pub zu führen, bedeutete mehr, als einfach nur Drinks zu servieren. Es bedeutete vor allem, in der Lage zu sein, Menschen schnell einzuschätzen, Unruhestifter von einsamen Herzen zu unterscheiden. Und zu wissen, wie man mit beiden Typen umging.

Sie hätte ihn als eher schwierigen Gast eingeschätzt. Das verriet schon der Ausdruck auf seinem Gesicht. Insgesamt ein verdammt attraktives Gesicht, hart und anziehend. Mist, jetzt hatte sie tatsächlich zweimal hingeschaut. M.J. biss die Zähne zusammen und starrte aus dem Fenster. Hübsche Jungs interessierten sie nicht besonders. Sie zog Männer vor, die aussahen, als hätten sie bereits ein Leben hinter sich. Als hätten sie die eine oder andere Grenze überschritten und würden dies auch künftig tun.

Jack Dakota passte genau in dieses Schema. Sie hatte einen gründlichen Blick in seine Augen riskiert – granitgrau – und wusste, dass er sich nicht von irgendwelchen Regeln aufhalten lassen würde.

Was würde ein Mann wie er tun, wenn er erfuhr, dass sie ein Vermögen in ihrer ramponierten Ledertasche mit sich herumschleppte?

Verdammt, Bailey, dachte sie. Verdammt. Sie ballte ihre freie Hand zur Faust. Warum hast du mir diesen Diamanten geschickt, und wo sind die anderen beiden?

Warum hatte sie nicht bei Bailey geklingelt, als sie letzte Nacht von der Arbeit nach Hause gekommen war? Sie war so müde gewesen und hatte gedacht, dass ihre Freundin längst tief und fest schlief. Und weil Bailey der praktischste und vernünftigste Mensch auf der Welt war, hatte M.J. beschlossen, bis zum nächsten Tag zu warten. Schließlich gab es für alles, was Bailey tat, einen vernünftigen Grund.

Wie dumm. Wie kam sie nur auf die Idee, dass Bailey ihr den Stein einzig und allein deshalb geschickt hatte, weil sie wusste, dass M.J. tagsüber zu Hause war und das Päckchen entgegennehmen konnte? Warum hatte sie den Stein für eine billige Kopie gehalten, obwohl in dem Päckchen eine Notiz mit der Bitte lag, ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen?

Weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass Bailey einen blauen Diamanten, der ein halbes Vermögen wert war, einfach so ohne Erklärung verschickte. Bailey war mit Leib und Seele Gemmologin und äußerst geduldig. Wie sonst hätte sie es ertragen können, jahrelang für diese Widerlinge zu arbeiten?

Bei dem Gedanken an Baileys Stiefbrüder verzog M.J. den Mund. Die Salvini-Zwillinge behandelten Bailey, als wäre sie ihnen lästig und als würden sie sie nur erdulden, weil ihr Vater ihr zwanzig Prozent an der Juwelier-Firma hinterlassen hatte. Aber da Bailey ihrer Familie gegenüber geradezu blind loyal war, hatte sie immer Entschuldigungen für diese Idioten gefunden.

Jetzt fragte sich M.J., ob die beiden hinter dieser Geschichte steckten. Versuchten sie, ein krummes Ding zu drehen? Zuzutrauen wäre es ihnen. Allerdings konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass Timothy und Thomas Salvini dumm genug waren, sich dafür ausgerechnet die drei Sterne von Mithra auszusuchen.

So hatte Bailey die Diamanten mit einem verträumten Ausdruck in den Augen genannt. Drei unbezahlbare blaue Diamanten, die einmal in den geöffneten Händen einer Statue der Gottheit Mithra gelegen hatten und jetzt dem Smithosonian Museum gehörten. Die Salvinis, besser gesagt: Bailey hatte die Echtheit der Steine bestätigen und ihren Wert schätzen sollen.

Waren diese beiden Vollidioten etwa auf die Idee gekommen, die Steine zu behalten?

Nein, das war zu verrückt. Wahrscheinlich handelte es sich nur um ein großes Missverständnis. Viel sinnvoller war es, sich zu überlegen, wie sie es Jack Dakota heimzahlen konnte.

„Sie sind ein toter Mann.“ Das sagte sie sehr ruhig, so als koste sie jedes einzelne Wort aus.

„Ja, nun, früher oder später sterben wir alle.“ Er fuhr Richtung Süden und war erleichtert, dass sie inzwischen nicht mehr fluchte und er in Ruhe nachdenken konnte.

„In Ihrem Fall eher früher, Jack. Viel früher.“ Auf den Straßen war zwar viel los, Feiertagsverkehr, schließlich lag das lange Wochenende des Vierten Juli vor ihnen, aber dennoch kamen sie zügig voran.

Wie erniedrigend wäre es wohl, wenn sie den Kopf aus dem Fenster stecken und um Hilfe schreien würde? Schrecklich peinlich, entschied sie, doch vermutlich hätte sie es trotzdem versucht. Aber so schnell, wie sie fuhren, war das völlig sinnlos. Sie musste warten, bis der Verkehr irgendwo ins Stocken geriet.

Wo zum Teufel waren eigentlich die Straßenarbeiter und die Gaffer, wenn man sie mal brauchte?

Zunächst musste sie also mit Jack, „dem Idioten“, Dakota allein zurechtkommen. „Wenn Sie den nächsten Sonnenaufgang noch erleben wollen, fahren Sie jetzt mit Ihrem armseligen Auto auf die Seite und lassen Sie mich gehen.“

Autor

Nora Roberts

„Stell dich dem Glück in den Weg“, das ist das Motto von Bestsellerautorin Nora Roberts. Eleanor Marie Robertson kam als jüngstes von fünf Kindern in Maryland zur Welt. Ihre Familie, die ursprünglich aus Irland stammte, hatte sich das neue Leben in den USA hart erkämpfen müssen. Trotzdem blieb immer Zeit...

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