Sinnliche Stunden in deinen Armen

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Sie ist die Frau seines Lebens - und Prinz Thierry verbringt mit ihr Stunden voller Leidenschaft. Doch er weiß, dass es mit seiner süßen Angel keine gemeinsame Zukunft geben kann. Während er alle Höhen der Lust erlebt, wartet seine Braut auf ihn: eine Frau, die er erst einmal gesehen hat. Die arrangierte Ehe dient nur dem Zweck, den Frieden in seinem Land zu sichern. Schweren Herzens muss er Angel verlassen - ohne zu ahnen, dass sie nicht vorhat, einfach so aus seinem Leben zu verschwinden …


  • Erscheinungstag 02.05.2017
  • Bandnummer 1974
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723705
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Bist das nicht du?“

Mila streifte sich eine widerspenstige Locke ihres langen schwarzen Haares aus dem Gesicht und löste irritiert den Blick von den Notizen, die sie gerade zu Papier brachte.

„Wo?“, fragte sie ihre Freundin.

„Hier, im Fernsehen!“

Mila sah zu dem Flachbildschirm hinüber, aus dem die aktuellen Entertainment-News flimmerten, denen ihre beste Freundin so gebannt zusah. Milas Magen zog sich zusammen. Dort prangten, für alle Welt sichtbar, die scheußlichen offiziellen Fotos, die bei ihrer Verlobung mit Prinz Thierry von Silvanien vor sieben Jahren aufgenommen worden waren. Übergewichtig, mit Zahnspange und einem Haarschnitt, der an einem Pariser Model so entzückend, aber an einer unbeholfenen achtzehnjährigen Prinzessin weit weniger vorteilhaft gewirkt hatte. Sie zuckte zusammen.

„Ich weiß, das sieht nicht ganz genau nach dir aus, aber du bist es doch, oder? Prinzessin Mila Angelina von Erminien? Ist das wirklich dein Name?“, fragte Sally mit Nachdruck und warf Mila einen durchdringenden Blick zu, während sie mit dem Finger auf den Bildschirm zeigte.

Es zu bestreiten hatte keinen Zweck. Mila unterdrückte ein Schaudern und senkte den Kopf. Sie blickte wieder hinab auf die Notizen für ihre Doktorarbeit, die sie wahrscheinlich nicht würde abschließen dürfen, aber ihre Konzentration war dahin. Wie würde ihre Freundin auf diese Neuigkeit reagieren?

„Du heiratest einen Prinzen?“

Mila konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob Sally so aufgebracht war, weil Mila mit einem Prinzen verlobt war, oder weil sie ihre beste Freundin nie in das Geheimnis ihrer wahren Herkunft eingeweiht hatte. Seufzend legte sie den Stift beiseite. Als eher wenig berühmte Prinzessin eines winzigen europäischen Königreichs war ihr Leben seit ihrer Ankunft in den USA vor sieben Jahren unauffällig verlaufen, doch jetzt war es an der Zeit, sich der Realität zu stellen.

Sie kannte Sally seit ihrem ersten Jahr am Institut für Technologie Massachusetts, und obwohl ihre Freundin manchmal etwas überrascht gewesen war, dass Mila – oder Angel, wie sie hier in Amerika hieß – eine Anstandsdame hatte und draußen auf Schritt und Tritt von einer Gruppe Leibwächter begleitet wurde, hatte Sally diese Umstände ohne zu fragen akzeptiert. War Sally doch ihrerseits Erbin eines IT-Milliardärs, und ihr Leben unterlag ähnlichen Zwängen. Die beiden Mädchen hatten sich sofort zueinander hingezogen gefühlt.

Nun war es an der Zeit, ihrer besten Freundin die Wahrheit zu sagen. Wieder seufzte Mila. „Ja, ich bin Mila Angelina von Erminien, und ja, ich bin mit einem Prinzen verlobt.“

„Und du bist eine Prinzessin?“

„Ich bin eine Prinzessin.“ Mila hielt den Atem an, während sie auf die Reaktion ihrer Freundin wartete. Würde sie verärgert sein? War ihre Freundschaft in Gefahr?

„Es kommt mir zwar so vor, als würde ich dich kaum kennen, aber mal im Ernst, das ist so cool“, schwärmte Sally.

Vor Erleichterung lachend rollte Mila mit den Augen. Ausgerechnet diese Reaktion hatte sie von Sally mit ihrer unverblümten Art nicht erwartet.

„Ich hatte schon immer das Gefühl, dass es Dinge gibt, von denen du mir nichts erzählst.“ Sally ließ sich neben Mila auf die Couch fallen. „Und, wie ist er so?“

„Wer?“

Nun war es Sally, die mit den Augen rollte. „Der Prinz natürlich. Komm schon, Angel, du kannst es mir ruhig erzählen. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Obwohl ich schon ein bisschen beleidigt bin, dass du mir nichts von ihm erzählt hast oder davon, wer du wirklich bist, in den letzten … warte mal, sieben Jahren!“

Mit einem Lächeln schwächte Sally ihre Vorwürfe ab, trotzdem spürte Mila, dass ihre Freundin ein wenig gekränkt war. Wie sollte Mila ihr auch glaubhaft erklären, dass sie den Mann, mit dem sie verlobt war, bisher kaum kannte? Ein formelles Treffen, bei dem sie so schüchtern gewesen war, dass sie kaum in der Lage gewesen war, dem Mann in die Augen zu sehen, gefolgt von sporadischen und ebenso formellen Briefen über die Diplomatenpost hatten herzlich wenig zur Vertiefung ihrer Beziehung beigetragen.

„Ich … ich weiß nicht genau, wie er ist.“ Mila nahm einen tiefen Atemzug. „Aber ich habe ihn gegoogelt.“

Ihre Freundin brach in lautes Gelächter aus. „Du hast ja keine Ahnung, wie verrückt das jetzt klingt. Du lebst in einer echten Märchenwelt, weiß du? Europäische Prinzessin, im Kindesalter – gut, zumindest im Alter von achtzehn Jahren – ist einem zurückgezogen lebenden Prinzen aus dem Nachbarreich versprochen.“ Sally griff sich in einer dramatischen Geste ans Herz. „Das ist so romantisch! Und alles, was du dazu zu sagen hast, ist, dass du ihn gegoogelt hast?“

„Wer klingt jetzt verrückt, du oder ich? Ich heirate ihn aus Verpflichtung meiner Familie und meinem Land gegenüber. Erminien und Silvanien stehen seit fünfzehn Jahren miteinander auf Kriegsfuß. Durch meine Heirat mit Prinz Thierry soll dieser Zustand beendet und unsere beiden Nationen vereint werden, wenn man überhaupt daran glaubt, dass es so einfach sein kann.“

„Aber willst du denn keine Liebe?“

„Natürlich will ich Liebe.“

Liebe. Das war alles, was Mila je gewollt hatte. Doch Liebe war etwas, das sie nicht erwarten durfte. Seit ihrer Geburt war sie darauf vorbereitet worden, nicht mehr zu sein als ein politischer Joker, der zum größten Vorteil ihres Landes eingesetzt werden konnte. Schnell hatte sie bemerkt, dass Liebe hinter Pflichtgefühl zurückstecken musste. Was ihre Verlobung anbetraf, war Mila nie um ihre Einwilligung gebeten worden. Die Ehe war ihr als Verpflichtung auferlegt worden, und Mila hatte es akzeptiert. Was wäre ihr auch anderes übrig geblieben?

Das Treffen mit dem Prinzen damals hatte sie in schrecklicher Erinnerung. Sechs Jahre älter als sie, gebildet, charismatisch und vor Selbstbewusstsein strotzend, war er alles, was sie nicht gewesen war. Auch der hastig verborgene Ausdruck der Bestürzung auf seinem Gesicht, als sie einander vorgestellt wurden, war Mila nicht entgangen. Zugegeben, besonders hübsch hatte sie zu der Zeit nicht ausgesehen, aber es hatte sie trotzdem geschmerzt, dass sie offenbar nicht die Braut war, die er sich erhofft hatte. Genau wie sie war auch er nur eine Schachfigur in dem Plan, den ihre jeweiligen Regierungen ausgeheckt hatten, um die Feindschaft zu begraben, die zwischen beiden Nationen schwelte.

Mila rieb sich mit dem Finger zwischen den Augenbrauen, um das quälende Pochen, das sich dort eingestellt hatte, zu lindern.

„Natürlich will ich Liebe“, wiederholte sie, diesmal sanfter.

Sie fühlte Sallys Hand auf ihrer Schulter. „Es tut mir leid. Ich weiß, ich sollte keine Späße darüber machen.“

„Ist schon okay.“ Mila fasste die Hand ihrer Freundin und drückte sie.

„Und wie kam es, dass du hierher zum Studieren gekommen bist? Wenn Frieden das Ziel war, hättet ihr beiden dann nicht so bald wie möglich heiraten sollen?“

Wieder sah Mila vor ihrem geistigen Auge den Blick des Prinzen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Ein Blick, der ihr klargemacht hatte, dass sie hart an sich würde arbeiten müssen, wenn sie wollte, dass er jemals etwas anderes in ihr sah als die Erfüllung seiner Pflichten. Sie musste ihre Ausbildung beenden, um ihm eines Tages eine ebenbürtige und angemessene Partnerin zu sein. Glücklicherweise hatte ihr Bruder, König Rocco, den Blick des Prinzen ebenfalls bemerkt, und als sie ihm später unter Tränen von ihrem Plan berichtet hatte, war er einverstanden gewesen.

„Wir sind übereingekommen, an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zu heiraten.“

„Das ist ja schon am Ende des nächsten Monats.“

„Ich weiß.“

„Aber du hast doch deine Doktorarbeit noch nicht fertig.“

Mila dachte an all die Opfer, die sie in ihrem Leben bisher erbracht hatte. Ihre Doktorarbeit nicht zu Ende zu bringen, würde eines davon sein. Obwohl ihr Bruder darauf bestanden hatte, dass sie wenigstens einige Seminare in Politikwissenschaft besuchte, lag der Schwerpunkt ihres Studiums bei den Umweltwissenschaften, einem Thema, das dem Prinzen sehr am Herzen lag, wie Mila in Erfahrung gebracht hatte. Nach einigen Jahren des Studiums schlug jetzt auch ihr Herz dafür. Ihm ohne ihren Doktortitel in der Hand gegenüberzutreten, war ein schmerzvoller Gedanke, aber das würde sie wegstecken müssen. Gerade wollte Mila eine Antwort formulieren, als ihre Freundin plötzlich abgelenkt wurde.

„Oh, mein Gott, er sieht einfach umwerfend aus!“

Mila prustete vor Lachen. „Ich weiß, wie er aussieht. Ich habe ihn gegoogelt, weiß du noch?“

„Nein, schau doch mal, er ist gerade im Fernsehen. Er ist in New York auf diesem Umweltgipfel, von dem Professor Winslow uns erzählt hat.“

Milas Kopf schnellte in die Höhe. „Prinz Thierry ist hier? In den USA?“

Sie richtete ihren Blick auf den Bildschirm und stellte fest, dass es stimmte. Da war er tatsächlich, älter, als sie ihn in Erinnerung hatte und – wenn das überhaupt möglich war – noch attraktiver als damals. Ihr Herz begann, wie wild zu klopfen, und eine Welle von Gefühlen schnürte ihr die Kehle zu. Angst, Anziehung, Sehnsucht.

„Du wusstest nicht, dass er kommt?“

Mila riss ihren Blick vom Bildschirm los und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. „Nein, wusste ich nicht. Aber das ist in Ordnung.“

„In Ordnung? Du denkst, es ist in Ordnung?“, fragte Sally mit schriller Stimme. „Der Mann reist Tausende von Kilometern in das Land, in dem du seit Jahren lebst, und schafft es nicht, deine Telefonnummer zu wählen?“

„Er ist offenbar nur für eine kurze Weile in New York, und ich bin sicher, dass seine Agenda voll ist. Außerdem liegt Boston nicht gerade um die Ecke für ihn.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist auch nicht so wichtig. In etwas mehr als vier Wochen werden wir ohnehin heiraten.“

Obwohl sie nach außen hin die Gleichgültige mimte, war es tief in ihrem Inneren doch ein Schock gewesen, ihn auf einmal im Fernsehen zu sehen. So schwer wäre es wirklich nicht gewesen, sie über seinen Besuch in Amerika zu informieren.

„Hmm. Ich fasse es nicht, dass ihr euch nicht seht, während er hier ist.“ Sally war offensichtlich noch nicht bereit, das Thema fallen zu lassen. „Willst du ihn denn nicht sehen?“

„Er hat sicher keine Zeit.“ Mila wollte keine Diskussion über Prinz Thierry beginnen. Ihre Gefühle zu dem Thema waren zu verwirrend, sogar für sie selbst. Sie hatte sich viele Male selbst einreden wollen, dass Liebe auf den ersten Blick eine Erfindung von Filmemachern und Autoren von Liebesromanen war, aber seit dem Tag ihrer Verlobung hatte sich ihrer eine Sehnsucht bemächtigt, die sie bis in die Tiefen ihres Seins durchdrang. War das Liebe? Sie wusste es nicht. Schließlich hatte sie in ihrer Kindheit nicht gerade glänzende Beispiele für wahre Liebe erlebt.

„Na gut, selbst wenn er mir nichts von seinem Besuch erzählt hätte, ich würde mir auf jeden Fall die Zeit für ein Treffen nehmen, wenn er zu mir gehören würde.“

Mila zwang sich zu einem Lächeln und machte die Art von Kommentar, die Sally von ihr erwarten würde. „Tja, er gehört aber nicht zu dir, sondern zu mir, und ich teile nicht gern.“

Wie erwartet ließ Sally sich von Milas Fröhlichkeit anstecken. Milas Blick klebte für den Rest des Berichts über Prinz Thierry am Bildschirm. Den Teil über sie selbst versuchte sie zu ignorieren. Die Reporter spekulierten über ihren möglichen Aufenthaltsort, der während der letzten sieben Jahre streng geheim gehalten worden war. Mila war jedoch klar, dass es anderen Leuten ähnlich wie Sally gehen konnte.

Sie setzte all ihre Hoffnung darin, dass niemand das hässliche Entlein auf ihrem Verlobungsfoto mit der Frau in Verbindung bringen würde, die sie jetzt war. Sie war nicht länger die schüchterne junge Frau mit einem für ihr Gesicht viel zu großen Mund, pausbäckig und mit strammen Oberschenkeln. Irgendwann zwischen ihrem neunzehnten und zwanzigsten Geburtstag hatte ihr Körper eine wundersame späte Verwandlung durchlaufen. Die überflüssigen fünfzehn Kilo Babyspeck waren längst dahingeschmolzen – sie hatte immer noch Kurven, war aber nicht mehr übergewichtig. Und ihr Haar war zum Glück wieder gewachsen, lang und glatt und voll. Die furchtbare Frisur mit der Dauerwelle war nichts als eine demütigende Erinnerung.

Würde ihr zukünftiger Ehemann sie jetzt attraktiv finden? Sie hasste den Gedanken, sie könnte abschreckend auf ihn wirken, besonders, da sie sich so unglaublich zu ihm hingezogen fühlte.

Sally hatte vollkommen recht gehabt, als sie sagte, Prinz Thierry sehe umwerfend aus. Während des gesamten Fernsehberichts war Mila Zeugin dieses ganz besonderen Charismas geworden, das er unbewusst ausstrahlte. Sie hatte beobachtet, wie die Leute im Hintergrund innehielten und den Prinzen anstarrten, von ihm angezogen wurden, als wäre er ein starker Magnet. Sie kannte dieses Gefühl. Sie hatte das Gleiche am Tag ihrer Verlobung erlebt – und seitdem unzählige Male, wenn sie ihn bei einem Heimaturlaub in Erminien in den Fernsehnachrichten gesehen hatte.

In wenigen Wochen würde sie zurückkehren. Es war an der Zeit, die Verantwortung, die sie vorübergehend abgeschüttelt hatte, wieder aufzunehmen und ihre vorherbestimmte Position auszufüllen.

Eigentlich sollte sie sich darauf freuen. Nicht nur, weil sie sich zu dem Prinzen so hingezogen fühlte, sondern weil ihre Heirat für ihre beiden Länder von großer Bedeutung war. Der noch instabile Frieden zwischen ihrem Heimatland Erminien und Silvanien war vor vielen Jahren erschüttert worden, als Prinz Thierrys Mutter in flagranti mit einem erminischen Diplomaten erwischt worden war. Als sie und ihr Liebhaber später bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben kamen, hatten sich beide Regierungen gegenseitig die Schuld zugeschoben. Mila verstand, dass ihre Heirat mit Prinz Thierry all diesen Aufruhr hoffentlich beenden würde, und doch wollte sie mehr als eine Vernunftsehe. War es zu viel, zu hoffen, dass sie den Prinzen dazu bringen konnte, sie auch zu lieben?

Mila griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton aus, um die Aufmerksamkeit wieder auf ihre Arbeit zu richten, aber Sally war mit dem Thema noch nicht fertig.

„Du solltest nach New York fliegen und ihn treffen. Geh einfach zu seinem Hotelzimmer und stell dich ihm vor.“

Mila lachte, doch es klang nicht heiter. „Selbst, wenn ich es schaffe, ohne meine Anstandsdame aus Boston herauszukommen, würde ich nicht an seinen Sicherheitsleuten vorbeikommen. Er ist der Kronprinz von Silvanien, der einzige Anwärter auf den Thron.“

Sally rollte mit den Augen. „Du bist auch wichtig, immerhin bist du seine Verlobte. Sicher nimmt er sich Zeit für dich. Und was Bernadette und die Kraftmeier angeht“, Sally meinte damit Milas Anstandsdame und ihre Leibwächter, „ich hätte da einen Plan, wie man die loswerden könnte. Natürlich nur, wenn du mitmachst.“

„Das kann ich nicht. Außerdem, was ist, wenn mein Bruder davon Wind bekommt?“

Sally wusste nicht, dass Milas Bruder auch der herrschende König von Erminien war, sie hatte jedoch mitbekommen, dass er, seit sie ihre Eltern vor vielen Jahren verloren hatten, ihr Vormund und Beschützer geworden war.

„Was soll er schon machen? Dich in Ketten legen? Komm schon, du bist fast fünfundzwanzig Jahre alt und hast die letzten sieben Jahre in einem fremden Land damit zugebracht, dir wertvolle Qualifikationen zu erarbeiten, die du wahrscheinlich nie wirst benutzen dürfen. Du hast noch dein ganzes Leben Zeit, an öden Staatsempfängen teilzunehmen. Du darfst dir ruhig ein bisschen Spaß gönnen, meinst du nicht?“

„Gutes Argument“, antwortete Mila mit einem schiefen Lächeln. Auch wenn Sallys Worte ihr einen Stich versetzten, ihre Freundin hatte recht. „Was schlägst du vor?“

„Es ist ganz einfach. Professor Winslow hat gesagt, er könne uns Eintrittskarten für den Vortrag über Nachhaltigkeit während des Gipfels besorgen. Wir könnten ihn beim Wort nehmen. Der Gipfel beginnt morgen, und es gibt einen Vortrag, an dem wir ‚teilnehmen‘ könnten.“ Bei den letzten Worten machte sie mit ihren Fingern Anführungszeichen in der Luft.

„So kurzfristig bekommen wir sicher keine Unterkunft.“

„Meine Familie hat ganz in der Nähe des Hotels, in dem der Prinz wohnt, ein Apartment. Wir könnten morgen nach New York fliegen. Daddy lässt mich sicher seinen Privatjet benutzen, vor allem, wenn ich ihm sage, dass es für mein Studium ist. Wenn wir dann im Apartment ankommen, könntest du ganz plötzlich krank werden. Bernie und ihre Jungs müssen ja nicht unbedingt dabei sein, wenn du mit Migräne im Bett liegst, oder? Wir besorgen uns eine blonde Perücke, damit du aussiehst wie ich. Dann tauschen wir die Kleider, und du gehst dann an meiner Stelle aus. Was meinst du?“

„Auf den Trick fallen die nie herein.“

„Aber wir könnten es doch wenigstens versuchen, oder? Das ist deine einzige Chance, den Prinzen vor der Hochzeit zu sehen. Komm schon, was könnte im schlimmsten Fall schon passieren?“

Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Sie könnten erwischt werden. Und dann? Unzählige Ermahnungen über ihre Position und ihre Pflicht gegenüber ihrem Heimatland würden folgen. Während ihrer Kinder- und Jugendzeit in Erminien hatte sie diese und ähnliche Belehrungen bis zum Überdruss gehört.

Sie ließ die Idee in ihrem Kopf Form annehmen. Sallys Plan war so simpel und unkompliziert, vielleicht würde er ja wirklich funktionieren. Mila hatte noch die E-Mail, in der ihr Professor den Vortrag als überaus lehrreich angepriesen hatte. Mila wusste, dass sie Bernadette, die über die Zeit eher eine Art Mutterrolle eingenommen hatte, mit ein wenig emotionalem Druck würde überreden können.

„Und, was sagst du?“ Sally warf ihr einen auffordernden Blick zu.

Mila fällte die Entscheidung. „Ich mach es.“

Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie das gerade gesagt hatte, aber gleichzeitig wurde jede Zelle ihres Körpers von einem Gefühl der Vorfreude durchflutet. Sie würde Prinz Thierry treffen. Oder es zumindest versuchen.

„Großartig.“ Sally rieb mit einem verschwörerischen Blick die Hände aneinander. „Das wird ein Mordsspaß.“

2. KAPITEL

Tot.

Der König war tot. Lang lebe der König.

Ohne auf den herrlichen Ausblick auf New York zu achten, der sich ihm im Licht der Dämmerung bot, lief Thierry vor den Panoramafenstern seiner Hotelsuite auf und ab. Er konnte es nicht glauben.

Er war nun König von Silvanien. In dem Moment, als sein Vater seinen letzten Atemzug getan hatte, war die Krone automatisch auf Thierry übergegangen.

Ein Anflug von Ärger überkam ihn. Ärger darüber, dass sich sein Vater ausgerechnet jetzt davongestohlen hatte, wo Thierry nicht im Land war. Die Dinge für seinen Sohn zu verkomplizieren, war schon immer typisch für seinen Vater gewesen. Obwohl er wusste, dass er sterben würde, hatte er Thierry doch auf diese Reise geschickt und damit in Kauf genommen, dass sein einziger Sohn nicht vor seinem Ableben zurück sein würde. Gefühlsduselei war ihm schon immer zuwider gewesen.

Nicht, dass Thierry sich übermäßig grämte. Er und der König hatten keine enge Beziehung zueinander gehabt. Ihr Zusammensein war von ständigen Maßregelungen und Ermahnungen über Thierrys Pflichten geprägt gewesen. Dennoch stieg nun Trauer in ihm hoch. Vielleicht eher um die Beziehung zu seinem Vater, die er sich gewünscht, aber nie gehabt hatte.

„Majestät?“

Die Anrede traf ihn wie ein Schlag. Majestät, nicht Hoheit oder Sir.

Sein persönlicher Assistent fuhr fort: „Gibt es irgendetwas, das …?“

„Nein.“ Thierry unterbrach ihn, bevor er erneut fragen konnte.

Seit die Nachricht sie erreicht hatte, waren seine Angestellten noch fürsorglicher geworden. Schließlich waren sie nun nicht länger verantwortlich für den Kronprinzen, sondern für den König von Silvanien. Er spürte, wie das Zimmer ihn einzuengen begann. Er musste raus hier. An die frische Luft. Er brauchte etwas Raum für sich, bevor die Neuigkeit in wenigen Stunden weltweit Schlagzeilen machen würde.

Thierry wandte sich seinem Assistenten zu. „Ich bitte um Verzeihung für meine Unhöflichkeit. Die Nachricht … obwohl sie nicht unerwartet kam …“

„Ja, Majestät, es ist für uns alle ein Schock. Wir hatten so gehofft, dass er sich wieder erholt.“

Thierry nickte kurz. „Ich gehe nach draußen.“

Auf dem Gesicht seines Gegenübers war ein jäher Anflug von Panik abzulesen. „Aber Majestät!“

„Pasquale, ich brauche diesen einen Abend. Bevor nichts mehr so ist, wie es einmal war.“

Die Aussicht auf sein neues Leben war erdrückend. Von Geburt an war er darauf vorbereit worden, und doch fühlte er sich plötzlich wie Atlas, der das Gewicht des Erdenballs auf seinen Schultern tragen musste.

„Ihr Sicherheitsteam wird Sie begleiten.“

Thierry nickte, mit dem Wissen, dass er um die Bodyguards nicht herumkam, aber dass sie zumindest diskret sein würden.

Thierry ging ins Schlafzimmer und riss sich den Schlips vom Hals. Sein ältlicher Kammerdiener Nico trat hastig auf ihn zu.

„Nico, ein Paar Jeans und ein frisches Shirt, bitte.“

„Sehr gern, Majestät.“

Da war es wieder. Dieses Wort. Als Zeichen für die Kluft, die zwischen ihm und seinem Personal entstanden war. Das Gleiche galt, da war er sicher, für den Rest der Welt. Für einen winzigen Augenblick hätte Thierry seiner Wut über das Leben, das ihm auferlegt war, gern Luft gemacht, aber wie immer kämpfte er die Gefühle nieder. Wenn er etwas gut beherrschte, dann war es Selbstkontrolle.

Nach einer kurzen Dusche saß Thierry einige Minuten später im Vorraum seiner Hotelsuite und wartete auf sein Sicherheitsteam.

„Es ist kühl heute Abend, Majestät“, sagte Nico.

Seine Hände zitterten, als er Thierry in eine fein gewebte, legere Jacke half und ihm eine dünne Mütze und eine Sonnenbrille reichte. Als er den offensichtlichen Kummer seines Kammerdieners bemerkte, drehte er sich um und richtete sich an Pasquale und Nico.

„Gentlemen, meinen aufrichtigen Dank für all Ihre Unterstützung. Ich weiß, dass Sie mit dem Tod meines Vaters ebenfalls einen großen Verlust erlitten haben. Sie stehen länger im Dienst meiner Familie, als ich mich erinnern kann, und dafür bin ich sehr dankbar. Sollten Sie eine Auszeit zum Trauern benötigen, sollen Sie wissen, dass Ihnen diese gewährt wird, sobald wir zurückkehren.“

Beide Männer stammelten Worte des Protests und versicherten ihm, dass sie keine Auszeit benötigten. Thierry hatte eine ähnliche Reaktion vorausgesehen, das bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht trauerten, da war er sicher.

„Ich meine es ernst“, bekräftigte er sein Angebot. „Nico, könnten Sie bitte das Packen der Koffer veranlassen? Unser Flugzeug ist morgen früh um acht Uhr startbereit.“

Der Chef seines Sicherheitsteams, Arnaud, betrat in Begleitung dreier seiner Leute den Raum. „Majestät, wir sind bereit.“

Thierry nickte Pasquale und Nico noch einmal zu und ging zur Tür. Drei Bodyguards brachten sich um ihn herum in Position, während ein weiterer voraneilte, um den privaten Fahrstuhl zu rufen, der ausschließlich diese Etage bediente.

„Wir benutzen den Hinterausgang, Majestät. So meiden wir die Lobby. Der Sicherheitsdienst des Hotels hat bereits sichergestellt, dass keine Paparazzi dort sind.“

„Danke, das ist in Ordnung.“

Als sie aus dem Fahrstuhl traten, fühlte er sich wie ein Schaf, das von Schäferhunden umringt ist. „Ein wenig mehr Raum bitte, Gentlemen“, sagte Thierry mit fester Stimme und ließ mit einigen raschen Schritten seine Bodyguards hinter sich.

Er spürte, dass ihnen das nicht gefiel, doch er vertraute darauf, dass er, solange er nicht von Sicherheitsleuten umringt war, in einer Großstadt wie New York nicht weiter auffallen würde.

Thierry bog um die Ecke und steuerte auf den Ausgang zu. Gleich würde er atmen können, das erste Mal wirklich atmen, seit er vom Tod seines Vaters erfahren hatte.

„Spaß, hat sie gesagt“, murmelte Mila vor sich hin, als sie zum sechsten Mal den Häuserblock des Hotels umrundete.

Nachdem sie sich aus der Hotelsuite von Sallys Familie geschlichen hatte, war auf ihrem Weg hierher die Vorfreude stetig in ihr gewachsen. Den Spaß, den Sally ihr angekündigt hatte, vermisste sie jedoch bisher. Aus der Suite zu entkommen war nervenaufreibend gewesen, aber es hatte funktioniert.

Der Fußweg hierher war ohne Zwischenfälle verlaufen, aber sie hatte eindeutig zu viel Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was um alles in der Welt sie hier tat. Jeden Moment würde sie verhaftet werden, das war sicher. Einige Leute hatten ihr schon merkwürdige Blicke zugeworfen.

Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee, den sie sich gekauft hatte, um ihre Nerven zu beruhigen, und schlüpfte in eine kleine Seitenstraße neben dem Hotel, als plötzlich ein Regenschauer einsetzte. Großartig, dachte sie, als sie beobachtete, wie der Regen die Straßen dunkel und rutschig werden ließ. Sie fühlte sich einsam, obwohl sie von Tausenden von Menschen umgeben war, die geschäftig von hier nach dort eilten. Einer dieser Menschen rempelte sie plötzlich von hinten an, sodass sie ins Schlingern geriet und ihr Kaffeebecher in hohem Bogen durch die Luft flog. Sie schrie auf, als ihr die heiße Flüssigkeit die Hand verbrühte.

„Passen Sie doch auf.“ Sie schüttelte die Überreste des Kaffees ab und wischte sich die Hand an ihrer, nein, Sallys Jacke ab.

Einen tollen Eindruck werde ich machen, dachte sie. Nass, mit Perücke und nun auch noch mit Kaffee befleckt. Am besten, sie machte sich direkt auf den Rückweg.

Autor

Yvonne Lindsay

Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...

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