Trügerische Küsse

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Hunter Caruthers will nur eins: Den falschen Verdacht gegen sich endlich aus der Welt schaffen. Bei seiner Suche nach Antworten trifft er die hinreißende Ferrin. Sie ist die Tochter seines alten Footballtrainers, der damals ebenfalls in die Geschichte verwickelt war. Ferrin willigt ein, ihm bei seinen Nachforschungen zu helfen, und schon bald knistert es zwischen ihnen gewaltig. Aus der leidenschaftlichen Affäre wird echte Liebe - aber dann macht Hunter in alten Unterlagen ihres Vaters eine schockierende Entdeckung …


  • Erscheinungstag 22.08.2017
  • Bandnummer 1990
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723866
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hallo, Sonnenschein.“

Ferrin Gainer zwang sich zu einem Lächeln für den Mann, der sie früher kaum beachtet hatte.

Sie hatte ihrem Vater nie sehr nahgestanden, der nur für den American Football und die Trophäen zu leben schien, die er stolz in seinem Wohnzimmerschrank zur Schau stellte. Die Geburt seiner Tochter war für ihn eine große Enttäuschung gewesen. Die Tatsache, dass sie jedes Mal zusammenzuckte, wenn ein Football auf sie zugeflogen kam, hatte das Ganze nur noch schlimmer gemacht.

Als Ferrin zehn Jahre alt war, hatten sich ihre Eltern scheiden lassen, und danach war sie ihrem Vater nicht mehr oft begegnet. Sie erinnerte sich vage, dass vor zehn Jahren zwei seiner Spieler, die er beinah wie seine eigenen Söhne ansah, unter Mordverdacht gestanden hatten. Ferrin war zu dem Zeitpunkt fünfzehn gewesen, doch auch in jener Situation hatte ihr Vater keinen engeren Kontakt zu ihr gesucht.

Erst zwei Herzinfarkte und ein schwerer Schlaganfall hatten ihn dazu bewogen, einen Schritt auf sie zuzumachen.

Ferrin war jetzt fünfundzwanzig und hatte eigentlich gehofft, das Bedürfnis nach einer innigen Beziehung zu ihrem Vater überwunden zu haben. Doch – sie wollte ehrlich sein – davon war sie weit entfernt. Sie wusste, dass sich in ihrem Freundeskreis nicht jeder gut mit seiner Familie verstand, doch ihr war es nun einmal wichtig.

Sie und ihre Mutter standen sich sehr nah und telefonierten täglich miteinander. Ihre Mutter war nicht sehr begeistert von Ferrins Idee gewesen, sich ein Jahr Auszeit von ihrem Job an der Universität von Texas zu nehmen und sich in Kalifornien um ihren Vater zu kümmern. Doch ihre Mom konnte die Entscheidung immerhin nachvollziehen.

Als Dozentin für Psychologie hatte Ferrin sich schon einige Male auf die eigene imaginäre Couch gelegt, und das Ergebnis machte sie ziemlich wütend. Eigentlich sollte sie in der Lage sein, gewisse Dinge hinter sich zu lassen, doch sie konnte einfach nicht akzeptieren, dass die Beziehung zu ihrem Vater gestört war.

Sie würde sie schon noch kitten.

„Hey, Trainer. Wir geht es dir heute?“, fragte sie ihren Vater. Als Kind hatte sie noch versucht, ihn Dad zu nennen, doch er hatte bereits vor der Scheidung von ihrer Mutter darauf bestanden, dass Ferrin ihn mit Trainer anredete.

„Ganz ok“, erwiderte er undeutlich.

Der Schlaganfall hatte ihn wirklich sehr mitgenommen. Fast schien es so, als halte ihn irgendetwas davon ab, wieder gesund zu werden. Ferrin fragte sich, ob es ihm zu schaffen machte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben nicht in der Lage war, zu trainieren und sich fit zu halten.

Doch sie hatte keine Ahnung, was ihn wirklich bewegte, denn er sprach kaum mit ihr. Sie war immer wieder versucht gewesen, ihn der Obhut der beiden Krankenschwestern zu überlassen, die im Haus lebten und sich die Pflege teilten. Doch sie wollte keine schlechte Tochter sein.

Läge ihre Mutter in diesem Bett, dann wäre sie ganz bestimmt für sie da. Also schuldete Ferrin dem Mann, dem sie die Hälfte ihrer DNA verdankte, zumindest den Versuch, sich um ihn zu kümmern.

„Das freut mich“, sagte sie. „Es ist ein wunderschöner Tag heute, also setzen wir uns nach dem Frühstück ein bisschen in den Garten.“

„Nein.“

Sie ignorierte seine Antwort und trat ans Fenster, um die Gardinen zu öffnen. Ihr Vater hatte es in seinem Zimmer am liebsten dunkel. Anfangs hatte sie vermutet, dass er nach dem Schlaganfall überempfindlich auf das Tageslicht reagierte. Doch die Ärzte hatten sie beruhigt, und daher vermutete sie, dass er sich einfach nur in der Dunkelheit verstecken wollte.

Ferrin schob den Vorhang beiseite. Vom Schlafzimmerfenster ihres Vaters aus konnte man den Pazifik sehen, und die weißen Schaumkronen, die einen starken Kontrast zu dem tiefblauen Meer und den rollenden Wellen bildeten, lockten sie zu einem erholsamen Sprung ins Wasser. Doch von Entspannung und Erholung hatte Ferrin seit ihrer Ankunft an der Westküste noch nichts gespürt.

„Lass die Vorhänge zu“, sagte ihr Vater undeutlich.

Sie konnte es nicht ertragen, ihn so zu hören. Trotz der Entfremdung zwischen ihnen hatte Ferrin die Stärke ihres Vaters immer bewundert, und nun schien er völlig verändert.

„Joy bringt gleich das Frühstück für uns beide nach oben, und du weißt doch, dass ich nicht gerne im Dunkeln sitze.“

Ferrin hatte festgestellt, dass ihr Vater seinen Teller beinah vollständig leer aß, wenn sie ihm Gesellschaft leistete. Vermutlich tat er das nur, damit er sich nicht mit ihr unterhalten musste. Doch das störte sie nicht. Die Ärzte sagten, dass es für seine Genesung sehr wichtig sei, dass er genügend aß und auch regelmäßig das Bett verließ. Und dafür tat sie alles, was notwendig war.

„Na gut“, willigte ihr Vater ein.

Bei seinem mürrischen Tonfall musste Ferrin beinah lächeln. Zumindest ignorierte es sie nicht oder tat so, als würde er schlafen.

„Du hast gestern noch einen Brief von der Universität bekommen. Sie möchten dir zu Ehren …“

„Nein.“

„Nein?“ Sie betätigte den Knopf, der das Kopfteil seines Bettes in die Senkrechte fuhr. Nach seinem Schlaganfall hatte die Universität den Raum mit den modernsten medizinischen Vorrichtungen ausgestattet und Joy, die Haushälterin, sowie die beiden Krankenschwestern eingestellt.

„Ich will das nicht. Sie haben doch nur ein schlechtes Gewissen“, sagte ihr Vater. Seine Aussprache klang bei diesen Worten viel klarer und deutlicher.

Ferrin zog die Decke über seinem Schoß glatt. „Nein, haben sie nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

Sie kannte sich aus mit Schuldgefühlen. „Sie möchten für dich eine Ehrengala veranstalten, weil du dem College eine Menge Auszeichnungen eingebracht hast.“

Und Geld.

Gewinnen bedeutete Geld, und ihr Vater hatte für die Universität mehr Siege als alle anderen Trainer geholt.

„Wo bleibt das Frühstück?“, fragte er und sprach dabei schon wieder undeutlicher.

Ferrin ging hinaus, und auf ein Zeichen von ihr brachte Joy das Frühstück herein und verschwand dann wieder.

„Denk doch noch einmal darüber nach, diese Ehre anzunehmen“, bat Ferrin ihn, während sie ihren Joghurt mit Obst aß.

Ihrem Vater fiel das Essen schwer, doch er wollte von ihr keine Hilfe annehmen. Das hatte sie auf die harte Tour gelernt. Langsam hob er die rechte Hand zum Mund und kaute dann mühsam. Die linke Seite seines Gesichts funktionierte immer noch nicht vollständig, doch er versuchte es wenigstens.

„Wenn ich zustimme …“, sagte er, und plötzlich wirkte der Blick aus seinen sonst so trüben Augen überraschend klar, „… dann bedeutet es, dass ich nicht wieder zurückgehe.“

Ferrin erwiderte zunächst nichts. Er würde nie wieder an die Uni zurückkehren, doch vielleicht half ihm der Glaube daran bei der Genesung.

„Das weiß ich nicht, aber wir können später noch darüber reden“, sagte sie schließlich.

Vielleicht sollte sie ein paar seiner Spieler bitten, ihn zu besuchen und sich mit ihm zu unterhalten. Das würde ihn aufheitern. Und vielleicht würde sie ihren Vater besser verstehen, wenn sie die Leute kennenlernte, mit denen er am liebsten seine Zeit verbracht hatte. Denn im Grunde war dieser Mann immer noch ein Fremder für sie.

Als sie gerade gemeinsam mit Joy das Geschirr zusammenräumte, klingelte es an der Tür.

„Ich mache auf“, bot Ferrin an, die für einen Moment der finsteren Atmosphäre des Krankenzimmers entfliehen wollte.

Es war bereits Nachmittag, als Hunter Carruthers vor der Villa in Carmel hielt. Er hatte den ganzen Tag in den staubigen Archiven seiner ehemaligen Universität, der University of Northern California, zugebracht und dort nach Beweisen gesucht, mit denen er seine Unschuld am Tod seiner Collegefreundin belegen wollte. Stacia Krushnik war vor zehn Jahren ermordet worden.

Bei seiner Recherche hatte er jedoch nur herausgefunden, dass er entgegen der Prognose seiner Mutter immer noch an einer Stauballergie litt. Hunter war der jüngste von fünf Söhnen einer alteingesessenen Rancherfamilie in Texas. Seine Eltern liebten Gott, die Viehzucht, die Familie und Football. Da Hunter sich nie so viel aus dem Landleben gemacht hatte wie seine Brüder, hatte er stattdessen Football gespielt.

Für ihn war der Sport so etwas wie seine Religion geworden. Er wollte mit diesem Standpunkt niemanden verärgern, vor allem nicht seine Mutter, doch für ihn funktionierte die Welt nach den gleichen Regeln wie der Football.

Hunter hatte gelernt, dass er, wenn er allein frei stand, durchaus einen Pass fangen konnte, aber dann auch allein mit zwei oder sogar drei gegnerischen Spielern fertigwerden musste. Wenn er schnell genug war, konnte er allerdings allen davonrennen, einen Touchdown erzielen – und so zum Helden des Spiels werden.

Die gleichen Regeln galten auch für das Leben außerhalb des Spielfelds.

Manchmal musste man aus der Deckung kommen, um zu gewinnen. Es gab nur einen Menschen, der ihm immer den Rücken frei gehalten hatte, und das war Kingsley Buchanan. Sein bester Freund hatte ihn noch nie im Stich gelassen und ihm immer beigestanden.

Kingsley und Hunter waren damals wegen eines Mordes verhaftet worden, den sie nicht begangen hatten. Zwar waren sie später wieder freigelassen worden, doch dieses Erlebnis hatte das Band zwischen ihnen noch gefestigt.

Die meisten Männer wollten mit Hunter nur über seine Zeit als erfolgreicher Footballspieler reden. Frauen wollten mit ihm schlafen, weil sie ihn für einen gefährlichen Bad Boy hielten. Doch niemand wollte wirklich etwas mit ihm zu tun haben, weil es immer noch einige offene Fragen gab.

Wer hatte Stacia Krushnik getötet? Was hatten Kingsley und Hunter in jener Nacht getan? Inzwischen wurde es immer schwieriger, Antworten auf diese Fragen zu finden.

Nach zehn Jahren konnten sich die Leute nicht mehr genau an die Ereignisse erinnern, und von den wenigen Beweisen waren etliche inzwischen verschwunden.

Daher hatte er nun seinen Bugatti in der Auffahrt des Mannes geparkt, der ihm womöglich ein paar Antworten geben konnte.

Hunter klingelte, und als sich die Haustür öffnete, traf ihn ein Schwall kühler Luft von der Klimaanlage. Hunter setzte ein freundliches Lächeln auf.

„Hallo“, begrüßte er die Frau, die nun vor ihm stand. Sie war groß – über eins siebzig – und hatte lange, schwarze Locken, die ihr herzförmiges Gesicht umrahmten. Ihre strahlendblauen Augen erinnerten ihn an die Farbe der Wellen, auf denen er noch am Morgen gesurft war. Ein zurückhaltendes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Ihr leichter V-Pulli entblößte einen langen, schlanken Hals, und die kakifarbenen Shorts reichten ihr bis zur Mitte der Oberschenkel.

Ihre Beine … Plötzlich hatte Hunter ein Bild vor Augen, wie sie ihre Beine um seine Hüften schlang. Er schüttelte den Kopf und streckte ihr die Hand entgegen.

Er war hier, weil er Antworten suchte, keine Frau.

„Hunter Carruthers“, stellte er sich vor. „Ich habe Football für Coach Gainer gespielt und würde mich gerne mit ihm unterhalten.“

„Ich bin Ferrin, die Tochter des Trainers“, erwiderte sie. „Kommen Sie doch herein, dann können wir reden.“

„Der Trainer hat eine Tochter?“

„Ja, aber ich muss Sie warnen. Ich bin ganz anders als er. Ich kann weder fangen noch werfen, und es geht das Gerücht, dass ich allergisch gegen sämtliche Sportarten bin.“ Mit diesen Worten führte sie ihn in den hinteren Teil des Hauses.

„Alle Sportarten?“

„Soweit ich weiß, ja“, erwiderte sie.

Die Art, wie sie sprach, kam ihm irgendwie bekannt vor.

Auf dem Weg bemerkte er einen Trophäenschrank und eine Wand voller Fotos, auf denen Coach Gainer mit Berühmtheiten, Politikern und bekannten Ehemaligen der Universität abgelichtet war. Ein Bild von ihm und Kingsley fehlte.

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, fragte sie, als sie die sonnendurchflutete Küche betraten, und wies auf den groben Holztisch in der Frühstücksecke.

„Ich möchte eigentlich nur mit dem Trainer reden.“

So hübsch sie auch aussah, so war Hunter doch aus einem ganz bestimmten Grund hier. Mit der Tochter des Trainers zu flirten, war da eine ganz blöde Idee.

„Wir sollten uns zuerst unterhalten“, sagte sie.

Er sah ihr zu, wie sie zwei Gläser mit Limonade füllte, von denen sie ihm eines reichte. Dann setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch.

„Der Trainer hatte Anfang des Jahres einen Schlaganfall, und ich bin nicht sicher, ob er einer Unterhaltung mit Ihnen gewachsen ist.“

Ein Schlaganfall?

„Geht es ihm gut?“

„Die Ärzte sagen, dass er wieder gesund wird. Ich bin hier, um ihn bei der Genesung zu unterstützen, doch er ist kein einfacher Patient. Er hat gute, aber auch schlechte Tage. Ich weiß einfach nicht, ob er mit Ihnen reden wird oder nicht.“

Verdammt. Manchmal zweifelte Hunter daran, dass er jemals Frieden in der Angelegenheit mit Stacia finden würde. Vielleicht war das aber auch nur fair. Vielleicht schaffte das Universum so einen gerechten Ausgleich, weil er nicht in der Lage gewesen war, sie zu beschützen.

„Kann ich es wenigstens versuchen?“, fragte er Ferrin.

„Ja, natürlich.“

Als er seine Limonade austrank, fiel ihm auf, dass sie ihre gar nicht angerührt hatte und ihn nur anstarrte.

Hatte sie ihn etwa erkannt?

„Ich kenne nicht viele Spieler meines Vaters“, sagte sie da. „Wann haben Sie für ihn gespielt?“

„Vor zehn Jahren.“ Er wollte Stacia nicht erwähnen, bevor er nicht die Chance hatte, mit dem Trainer zu sprechen.

„Waren Sie einer von seinen berühmten Spielern?“

„Irgendwie schon.“

„Sie waren in der NFL, richtig? Als Quarterback?“

„Nein, das war mein Freund Kingsley. Ich habe als Wide Receiver gespielt.“ Offensichtlich hatte sie ihn doch nicht als den Verdächtigen im Campus-Mordfall erkannt.

„Dad wird sich freuen, Sie zu sehen. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm“, sagte Ferrin und führte ihn aus der Küche. Er versuchte, sich auf die gerahmten Teamfotos zu konzentrieren, die im Treppenhaus hingen, doch sein Blick wanderte immer wieder zu ihren Hüften hinunter. Sie trug nicht gerade aufreizende Kleidung, doch die Art, wie sie sich bewegte, übte eine magische Anziehungskraft auf ihn aus.

Ferrin blieb am oberen Ende der Treppe stehen. „Das ist Ihr Team, oder?“

Er sprang die letzten beiden Stufen hinauf und blieb neben ihr stehen. Ja, das waren sie. Das Bild war einige Zeit vor dem Mord aufgenommen worden, und Hunter stand darauf neben Clive und Kingsley.

Mein Gott, sehe ich jung aus.

Und etwas dümmlich. Wer grinste schon so breit für ein Gruppenbild?

Ein Typ, der glaubte, er würde ein großer NFL-Star werden, und die Welt sei sein privater Spielplatz.

„Das ist schon sehr lange her.“

Ohne zu antworten, ging Ferrin den Flur entlang, öffnete die letzte Tür auf der linken Seite und machte ihm ein Zeichen, erst einmal vor dem Raum zu warten.

„Trainer?“, rief sie, während sie langsam die Tür aufschob. „Du hast Besuch.“

„Wer ist es denn, mein Sonnenschein?“ Die Worte klangen undeutlich, und als Hunter an Ferrin vorbeiblickte, bemerkte er, dass der Trainer von damals nur noch ein Schatten seiner selbst war.

Sonnenschein? Er hätte nie geglaubt, dass Coach Gainer jemals Kosenamen benutzen würde. Doch nun entdeckte er eine ganz neue Seite an ihm.

„Hunter. Er hat früher für dich gespielt“, erklärte Ferrin.

„Hunter Carruthers?“

„Ja, Sir. Er möchte mit dir reden. Ist das in Ordnung.“

„Ja, schick ihn rein.“

Ferrin ging nach unten ins Wohnzimmer, um während Hunters Besuch an einem Artikel zu arbeiten, den sie für eine kleine Zeitschrift verfasste. Doch ihr Blick wanderte immer wieder zum Fenster, zum Meer hin. Sie dachte über den Mann nach, der gerade oben bei ihrem Vater war. Sie erinnerte sich jetzt, dass er für ihren Vater gespielt hatte, aber abgesehen davon wusste sie nicht viel über ihn. Trotzdem sah sie immer wieder sein Gesicht mit den eindringlichen grauen Augen vor sich.

Verzweifelt versuchte sie, sich auf ihren Text zu konzentrieren. Doch sie war versucht, Hunter zu googeln.

Sie wusste allerdings schon im Voraus, was sie dort finden würde. Er war schließlich ein berühmter NFL-Spieler und besaß vermutlich ein riesiges Ego. Sie selbst war nach Kalifornien gekommen, um ihre letzte Trennung zu vergessen und die Beziehung zu ihrem Vater zu verbessern.

Ihre Mutter hatte einmal eine beiläufige Bemerkung gemacht, dass Ferrin wegen ihrer ungelösten Probleme mit ihrem Vater immer wieder mit Männern ausging, die emotional nicht verfügbar waren. Und damit hatte ihre Mutter vermutlich recht.

Hunter … Er faszinierte Ferrin.

Doch warum nur?

Weil es einfacher war, sich für einen ehemaligen Spieler zu interessieren, als die Probleme mit ihrem Vater zu lösen. Das war keine bahnbrechende Erkenntnis. Ein Vaterkomplex kam schließlich nicht selten vor.

Außerdem langweilte sie sich im Haus ihres Vaters, der neben den Mahlzeiten keine Zeit mit ihr verbringen wollte.

Als Ferrin Schritte auf der Treppe hörte, speicherte sie schnell ihren Artikel ab und sah nach.

Es war Hunter. Er wirkte wütend.

„Alles okay?“, fragte sie.

„Ja.“

„Sie sehen aufgebracht aus.“

Aufgebracht? Sie verbringen wohl nicht viel Zeit mit Männern, oder?“

„Doch, auch wenn Sie das nichts angeht. Wie kommen Sie darauf?“

„Tut mir leid, Ferrin. Ich bin stinksauer, nicht aufgebracht. Doch vermutlich haben die Männer, mit denen Sie Ihre Zeit verbringen, mehr Stil als ich.“

Ferrin hatte da so ihre Zweifel. Die Männer in ihrem Bekanntenkreis verbreiteten sicherlich mehr Langeweile als Hunter, aber besaßen sie auch mehr Stil? Nicht gerade eine Beschreibung, die auf die Kollegen am Psychologischen Institut ihrer Universität zutraf.

„Wieso sind Sie denn stinksauer? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass mein Vater noch nicht wieder ganz gesund ist.“

„Ich weiß“, räumte Hunter ein und warf ihr dann einen Blick zu, den man nur als berechnend bezeichnen konnte. „Der Trainer hat gesagt, das College hätte all die Sachen aus seinem Büro hergeschickt. Ich habe mich gefragt, ob ich … ob ich vielleicht einen Blick darauf werfen kann.“

„Warum?“

„Ich brauche Informationen, von denen ich dachte, dass der Trainer sie mir geben könnte. Er erinnert sich aber leider nicht mehr an bestimmte Einzelheiten, und ich glaube, seine Sachen könnten mir weiterhelfen.“

„Was suchen Sie genau?“, fragte Ferrin.

„Seine Videoaufzeichnungen aus dem Fitnessraum und von den Trainingseinheiten auf dem Spielfeld“, antwortete Hunter. „Dürfte ich sie mir vielleicht ansehen?“

„Was hat denn der Trainer gesagt?“

„Er hat mir keine Antwort gegeben. Er hat überhaupt nicht viel gesagt, als ich bei ihm war“, erklärte Hunter.

Das fand Ferrin etwas seltsam. „Ich frage mich, warum. Er liebt es, über die guten alten Zeiten zu reden.“

„Ich suche nach Informationen zu ein paar Vorfällen damals am College. Ich hatte wirklich gehofft, der Trainer könnte mir helfen.“

Die Aufrichtigkeit in Hunters Stimme und seine angespannte Haltung verrieten Ferrin, wie wichtig ihm die Sache war. Sie dachte einen Augenblick über seine Bitte nach. Sie hatte nichts zu tun, da ihr Vater sie die meiste Zeit ignorierte.

„Ich schaue mal, was ich in Erfahrung bringen kann“, versprach Ferrin. Sie wollte erst mit dem Trainer abklären, ob er einverstanden war, dass Hunter seine Sachen durchsah. „Warum kommen Sie nicht morgen noch einmal wieder.“

Hunter trat einen Schritt auf sie zu. Er war zweifellos extrem attraktiv mit seinen blonden Haaren, den klassischen Gesichtszügen und dem gepflegten Dreitagebart. Im Grunde war er mit seinem markanten Kinn, der geraden Nase und den dichten Augenbrauen sogar einer der attraktivsten Männer, die sie je gesehen hatte.

„Könnten Sie ihn nicht jetzt schon fragen?“, erwiderte er und grinste schief. „Dann könnten wir sofort die Kisten durchsehen, und ich lade Sie anschließend zum Abendessen ein.“

„Hm … Abendessen?“

„Ja, ich würde Sie gerne besser kennenlernen, Ferrin. Ich habe schon lange keinen netten Abend mehr verbracht. Außerdem schulde ich Ihnen etwas, nachdem ich eben so unhöflich zu Ihnen war.“

Ein netter Abend? Ganz offensichtlich war er der Meinung, dass man mit ihr einen netten Abend verbringen konnte. Ferrin seufzte. „Ich werde den Trainer heute Abend wegen der Sachen vom College fragen. Er hat jetzt Physiotherapie und macht danach ein Schläfchen.“

„Na gut. Ich hätte nicht so aufdringlich sein sollen“, sagte Hunter und rieb sich mit der Hand über die Brust.

Die Geste lenkte ihren Blick auf seinen muskulösen Oberkörper, der sich unter seinem engsitzenden T-Shirt abzeichnete.

„Aber wir sollten trotzdem essen gehen. Ich hole Sie um sechs Uhr ab.“

„Ach ja? Wollen Sie mich nicht zuerst fragen?“ Ferrin war nicht sicher, was Hunter im Schilde führte. Nachdem sie seinen Wunsch abgelehnt hatte, verfolgte er nun ganz offensichtlich eine andere Taktik. Doch obwohl sie wusste, dass er irgendetwas von ihr wollte, brachte sie es trotzdem nicht fertig, Nein zu sagen.

Die Trennung von Roger lag nun schon lange zurück, und seitdem war sie nicht mehr mit einem Mann ausgegangen. Außerdem würde ein Abend mit Hunter sie aus der trüben Stimmung herausreißen, die sie im Haus ihres Vaters befallen hatte.

„Entschuldigung“, sagte er. „Würden Sie heute Abend mit mir essen gehen?“

Sie legte den Kopf schief und tat so, als würde sie darüber nachdenken. „Ich denke schon.“

„Sie denken schon?“

„Sie haben es eben selbst gesagt: Ich bin an Männer mit Stil gewöhnt.“ Das stimmte zwar nicht, doch sie wollte es ihm nicht zu leicht machen. Mit seinem attraktiven Gesicht und dem muskulösen Körper hatte er vermutlich noch nie um ein Date kämpfen müssen.

„Ich werde Ihnen zeigen, was Stil ist“, sagte er. „Sie werden schon sehen. Ich bin um sechs wieder hier.“

„Dann bin ich um halb sieben fertig“, entgegnete sie.

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. „Na, Sie sind mir ja ein Früchtchen.“

Daran hatte Ferrin so ihre Zweifel, doch sie langweilte sich, und Hunter versprach Abwechslung.

„Halb sieben also. Ziehen Sie sich etwas Schickes an. Mit Stil.“

„Was sonst“, erwiderte sie und führte ihn zur Tür. Auf dem Weg nach draußen blieb er jedoch dicht vor ihr stehen, nahm kurz ihre Hand und sah ihr tief in die Augen. Ernst und ohne zu lächeln. Dann ging er hinaus und zu seinem Wagen.

Plötzlich sah Ferrin in dem Abendessen mehr als nur eine Abwechslung von der täglichen Routine. Vermutlich wollte Hunter etwas ganz Bestimmtes von ihr, doch damit konnte sie leben. Schließlich wollte sie auch etwas von ihm, und zwar die Gelegenheit, sich wieder einmal jung und ungebunden zu fühlen.

Und vielleicht schenkte er ihr eine Erinnerung an Kalifornien, die nicht von Schuld und Enttäuschung geprägt war.

2. KAPITEL

Das Rocky Point Restaurant in Carmel-by-the-Sea war für seine beeindruckende Aussicht auf die Küste von Big Sur bekannt. Da Ferrin erwähnt hatte, dass sie seit ihrer Ankunft in Kalifornien nicht sehr oft aus dem Haus gekommen war, wollte Hunter ihr die Gelegenheit geben, unter Leute zu kommen. Außerdem war er nicht sicher, ob er gefahrlos mit ihr allein bleiben konnte.

Er war zum Haus von Coach Gainer gefahren, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen, doch nun war er hin- und hergerissen. An diesem Abend wollte er Ferrin einfach nur wiedersehen, und es war ihm sogar ein bisschen egal, ob sie ihm nun gestatten würde, die Sachen ihres Vaters durchzusehen oder nicht.

Sie trug das dichte schwarze Haar offen, sodass ihr die Locken auf die nackten Schultern fielen. Ihr korallenfarbenes Oberteil im Boho-Look passte perfekt zu den eng sitzenden weißen Jeans, in denen ihre Beine noch länger wirkten als in den Shorts vom Nachmittag. In ihren High Heels war Ferrin nur wenige Zentimeter kleiner als er, und er war immerhin eins neunzig groß.

Als sie vom Parkplatz zum Restaurant gingen, bemerkte Hunter, dass die Leute sie musterten. Einen Augenblick verdrängte er die dunkle Ahnung, dass sie in ihm den Hauptverdächtigen im Campus-Mordfall erkannten, und er tat so, als würden die Leute einfach nur ein gutaussehendes Paar betrachten.

Doch sobald Ferrin und er näherkamen, wandten sich die Menschen ab und schlugen einen großen Bogen um sie.

Hunter fluchte leise vor sich hin.

„Was hast du denn?“, fragte Ferrin. Er hatte ihr während der Fahrt vorgeschlagen, dass sie sich duzten.

„Nichts. Ich dachte, wir könnten einfach einen netten Abend miteinander verbringen und uns ein bisschen besser kennenlernen. Doch vielleicht habe ich das hier falsch eingeschätzt. Jeder scheint mich zu kennen.“

Ferrin legte sanft eine Hand auf seinen Arm. „Das macht doch nichts. Sie kennen nicht dein wahres Ich.“

„Du aber auch nicht“, erwiderte er und zog sie sanft zur Seite, bevor sie das Restaurant betreten konnten. „Wenn du möchtest, dass ich dich zurück nach Hause bringe, könnte ich dir das nicht verübeln.“

„Dann kennst du mich aber genauso wenig. Ich bin keine Frau, die vor einem Date davonläuft, bevor es überhaupt angefangen hat“, sagte sie. „Ich werde mit ein paar Gerüchten schon fertig. Bist du einer von diesen berühmt-berüchtigten NFL-Spielern?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich gehe natürlich mit hübschen Frauen aus und habe ein paar Rekorde aufgestellt, aber ich habe eigentlich kein Bad-Boy-Image.“ Hunter fragte sich, ob sie ihn schon gegoogelt hatte und von dem Skandal wusste, der ihn wie eine schwarze Wolke verfolgte und alles Positive aus seinem Leben verdrängte.

„Wer bezeichnet sich selbst schon als Bad Boy“, fragte Ferrin augenzwinkernd. „Doch du solltest wissen, dass ich nicht mit mir spielen lasse, egal, was noch zwischen uns passiert.“

Hunter öffnete ihr die Tür, sie betrat das Restaurant und ging auf die Kellnerin zu. Da sah er in Ferrin die innere Stärke des Trainers. Allerdings schien sie noch nicht zu wissen, wer er war.

Einerseits war er erleichtert, andererseits wusste er, dass er es ihr irgendwann sagen musste. Das hatte er schon lange nicht mehr tun müssen. Beinah jeder, den er kennenlernte, kannte die Geschichte, wenn auch nicht die Fakten. Nun musste er Ferrin gegenüber die Karten auf den Tisch legen. Leider wusste er aus schmerzlicher Erfahrung, dass sie sofort auf Distanz gehen würde, sobald sie von seiner Verbindung zum Campus-Mord erfuhr.

„Ein Tisch für zwei?“

Autor

Katherine Garbera

Katherine kann sich nichts Schöneres vorstellen, als zu schreiben. Jedes Buch gibt ihr die Gelegenheit, die unterschiedlichen Verhaltensmuster der Menschen hervorzuheben. Leidenschaftliche Liebesromane zu verfassen, bedeutet für sie die Verwirklichung eines Traumes.

Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann, den sie in "Fantasyland" kennenlernte, und den beiden gemeinsamen Kindern in Florida.

...
Mehr erfahren