Die geraubte Braut

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Irgendwie kommt es Cathy vor, als ob sie in einem Film mitwirkt: Wieso hat dieser tolle Fremde sie entführt? Warum spürt sie eigentlich keinerlei Angst? Nur eins kann Cathy mit Gewissheit sagen: Wenn dieser erotische Mann sie noch einmal so begehrlich ansieht, reißt sie ihm die Kleider vom Leib …


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756260
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Wo um alles in der Welt blieb Bob?

Cathy Seymour umklammerte den Blumenstrauß mit feuchten Fingern. Das elegante beigefarbene Kostüm, das sie extra für diesen Anlass gekauft hatte, klebte an ihrem Körper und war inzwischen ganz verknittert. Sie saß nun schon vierzig Minuten auf diesem Stuhl im Wartezimmer des Standesamtes, doch weit und breit kein Anzeichen von ihrem Verlobten. Von ihrem sehr zuverlässigen Verlobten. Bob Delaney musste etwas zugestoßen sein, wenn er zu seiner eigenen Hochzeit zu spät kam!

Er hatte es für keine gute Idee gehalten, dass sie sich erst im Rathaus treffen sollten – aber nein, Cathy hatte ja ihren Dickkopf durchsetzen müssen. Weil es Unglück bringen soll, wenn der Bräutigam die Braut vor der Trauung sieht. Für Cathy war eine Hochzeit außerhalb aller Traditionen und ohne jeden Schuss Aberglauben keine richtige Hochzeit. Sie konnte nicht verstehen, wie man mal kurz nach Las Vegas jetten und sich in Bluejeans von einer Elviskarikatur trauen lassen konnte – was übrigens genau die Art von Hochzeit war, die ihre Eltern gehabt hatten. Cathy jedenfalls wollte eine „normale“ Trauung, wenn auch nur standesamtlich.

Das war auch der Hauptgrund, weshalb sie sich für Bob Delaney entschieden hatte. Er war so vertrauenerweckend normal, so ganz anders als ihre flippige Familie. Cathy konnte sich keinen anderen Mann vorstellen, mit dem sie lieber eine Familie gründen und in einen Vorort ziehen wollte. Ja, genau – einen schönen, spießigen Vorort mit ordentlichen, weiß gestrichenen Gartenzäunen! Cathy konnte es kaum erwarten. Sie würden gemütliche Barbecues mit den Nachbarn haben und einen Stall voll Kinder bekommen, in den Country-Club eintreten und den grünsten Rasen der ganzen Nachbarschaft haben … Falls Bob überhaupt noch auftauchte.

Cathy wurde heiß und kalt, als ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf schoss: Ließ Bob sie etwa absichtlich sitzen? War das seine Art, ihr den Laufpass zu geben?

Unsinn! Vermutlich hatte ihn eine dringende Angelegenheit in der Bank aufgehalten. Wenn es etwas gab, das Bob Delaney noch mehr liebte als Cathy, dann war es die FIB – die First International Bank, wo sie beide arbeiteten. Cathy hatte einen guten Job in der Kreditabteilung, und Bob arbeitete als Vizepräsident im Bereich internationale Konten. Doch im Augenblick fiel es ihr etwas schwer, Verständnis für ihren Arbeitgeber aufzubringen. Schließlich standen ihre Zukunft und die Hochzeitsreise zu den Kaimaninseln auf dem Spiel.

Ein Paar lange kräftige Beine verdrängten ihre Gedanken an die bevorstehende Hochzeitsreise. Sie gehörten zu einem auffallend attraktiven Mann, der zielsicher auf sie zusteuerte und sich vor ihr aufstellte. Langsam wanderten ihre Augen an seinem athletischen Körper hinauf, von den schlanken Hüften zu den breiten Schultern, über denen sich ein gelbes T-Shirt spannte. Der Mann hatte ein markantes Kinn und eine Nase, die so aussah, als sei sie schon mehrfach gebrochen worden und die ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Schließlich sah sie direkt in die stahlblausten Augen, die sie je gesehen hatte. Verblüfft schnappte Cathy nach Luft. Dieser dunkelhaarige Fremde war nicht nur der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte – er war auch allein – und er sah sie an, als ob er nur sie gesucht und nun gefunden hätte.

Ihr Herz machte ein paar Sprünge, bis sie sich wieder im Griff hatte. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Du wirst gleich heiraten, und er hat vermutlich genau dasselbe vor.

Sie begann, nach einem Makel bei diesem unglaublich attraktiven Mann zu suchen – wie ein Schnäppchenjäger, der vor einer unerschwinglichen Designerhandtasche steht. Eine ganze Weile musste sie suchen, bis sie … seine Krawatte! Wie hatte sie die nur übersehen können? Sie war ein scheußliches Exemplar, gestreift und in schreienden Farben – ein Exemplar der 70er Jahre.

Mr. Streifenkrawatte nickte kurz und setzte sich auf den freien Stuhl neben sie. Irgendwie bekam Cathy Panik. Wenn sie jetzt den Platz neben sich aufgab – der ja irgendwie für Bob stand – war es nicht genauso, als würde sie ihre Hochzeit aufgeben?

Was für ein Unsinn. Cathy war, im Gegensatz zum Rest ihrer Familie, absolut vernünftig und würde nie etwas so Unberechenbares tun.

Ihre Schwester Joan sah das allerdings anders. Sie war Psychotherapeutin, und obwohl sie sich in ihrer Praxis in New York nicht über einen Mangel an Patienten beklagen konnte, war Cathy ihr Lieblingstestobjekt. „Eines Tages“, so warnte ihre Schwester sie regelmäßig und hob dabei ihren giftgrün lackierten Zeigefinger, „eines Tages wird dein Freiheitsdrang durchbrechen, vor dem du all die Jahre davongelaufen bist, und dann wird dein ach so kontrolliertes Leben wie ein Kartenhaus zusammenfallen.“

Cathy lief es schon allein bei dem Gedanken daran kalt den Rücken herunter. Zwar war sie auf den höchst peinlichen Namen Blossom Drop getauft, was soviel wie Blütentropfen heißt, und in einer Kommune großgezogen worden. Doch all das gehörte der Vergangenheit an. Sobald sie alt genug gewesen war, um sich ein Busticket zu kaufen und aus Santa Fe wegzugehen, wo sich ihre Eltern gerade mit der Heilkraft von Kristallen beschäftigten, hatte sie ihren Namen geändert und ein bürgerliches Leben begonnen. Und war nie von ihrem Weg abgewichen.

Nun ja – wenn man einmal von dem klitzekleinen Fehltritt mit Skippy Dewhurst gleich nach dem College absah. Jedenfalls hatte sie seitdem nie wieder vorschnell gehandelt und sich einen ganz normalen, gutbürgerlichen Mann wie Bob gesucht.

Verstohlen blickte Cathy auf ihre schmale goldene Armbanduhr. Bob war nun schon eine Dreiviertelstunde überfällig. Ihre Wangen brannten vor Scham. Könnte es sein, dass er sie wirklich sitzen ließ? Der brave, zuverlässige Bob?

„Catherine Seymour und Robert J. Delaney!“

Die dienstliche Stimme des Standesbeamten schallte durch den Raum. Cathys Herz begann zu rasen. Was sollte sie denn jetzt nur tun? Sollte sie den Termin platzen lassen?

„Catherine Seymour und Robert J. Delaney!“, rief der Beamte erneut und sah sich suchend im Saal um. „Sind Catherine Seymour und Robert J. Delaney hier?“

Die anderen Paare begannen zu flüstern und sahen sich neugierig um. Cathy wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.

Der Beamte begann zu grinsen. „Catherine Seymour und Robert J. Delaney zum Ersten … zum Zweiten …“

Cathy schluckte hart und wollte gerade aufstehen, als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte. „Cathy?“

Verblüfft starrte sie in die tiefblauen Augen des Mannes, der neben ihr saß – der mit der scheußlichen Krawatte. Er hielt ihren Arm umfasst und sah sie mitfühlend an.

„Es tut mir leid, Cathy. Ich kann das nicht durchziehen“, sagte er, für alle vernehmbar.

Im Saal wurde es mucksmäuschenstill. Alle starrten sie an. Cathy fühlte, wie ihr das Blut in den Ohren rauschte. War der Kerl neben ihr übergeschnappt? Sie versuchte, sich von ihm loszumachen, doch er hielt sie fest.

Traurig schüttelte er den Kopf. „Es ist ja nicht so, dass ich nichts für dich empfinde.“

„Sie sind ja verrückt!“, stieß Cathy hervor.

Der Mann runzelte die Stirn. „Cathy, bitte mach doch jetzt keine Szene.“

Es war ein Albtraum. Ja, das war die einzige Erklärung. Vermutlich schlief sie fest und träumte das alles nur. Sie machte die Augen zu und zählte bis drei. Gleich würde sie aufwachen und …

„Liebling, ist dir schlecht?“ Der Mann stand auf und zog sie hoch. „Wir müssen erst mal hier raus und irgendwo in Ruhe über alles reden.“

Cathy stemmte die Hände in die Hüften und rief: „Es gibt nichts zu reden!“

„Darling“, beschwor sie der Verrückte, „du blamierst dich nur.“

Damit hatte er recht. Alle schauten sie mit einer Mischung aus Schock und Mitleid an.

„Verdammt, was soll das Ganze?“, rief Cathy hysterisch. „Sie sind gar nicht mein Verlobter!“

„Jetzt wohl nicht mehr“, warf jemand trocken ein.

Hilfe suchend wandte sie sich an den Beamten. „Wirklich! Ich habe diesen Mann noch nie zuvor gesehen!“

Der Beamte schüttelte den Kopf. „Dann kann ich Ihnen nur soviel sagen, Lady: Wenn Sie den Mann nicht kennen, hätten Sie ihn nicht hierher schleppen sollen, um ihn zu heiraten.“

„Aber das habe ich doch gar nicht!“, protestierte Cathy, inzwischen am Rande der Verzweiflung.

Alle im Saal sahen sie mitleidig an, und Cathy sank der Mut.

„Honey …“ Der Mann zog sie an sich und flüsterte ihr leise ins Ohr: „Ich habe eine Waffe, Lady. Los, zur Tür, pronto!“

Vor Schreck stockte ihr der Atem. Sie starrte in seine strahlend blauen Augen, als er ihre rechte Hand an eine Stelle seiner Jacke führte, wo sie einen harten Gegenstand spüren konnte. Einen harten Gegenstand, der sich wie eine Waffe anfühlte!

Panisch zog sie ihre Hand zurück. Der Mann lächelte. „Gehen wir?“

Cathy nickte wie betäubt. Ihr blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Hier glaubte ihr sowieso niemand. Langsam steuerten sie auf den Ausgang zu. Die anderen Paare im Saal tuschelten und schauten ihnen nach.

Ihre Schritte hallten in der Vorhalle von den Wänden wider. Cathy schöpfte Hoffnung, als sie die Drehtür sah. Sie bereitete sich schon darauf vor, die Gelegenheit zu nutzen und zu fliehen, wenn ihr Kidnapper sie kurz loslassen musste. Doch er lockerte seinen Griff keine Sekunde und presste sie fest an seine Brust. Gemeinsam tippelten sie durch die Drehtür.

Sobald sie draußen waren, konnte sich Cathy losreißen und rannte, so schnell sie konnte, auf die Treppen zur nächsten U-Bahn-Station zu. Fußgänger drehten sich erstaunt nach ihr um, und Mr. Streifenkrawatte folgte ihr auf den Fersen. Sie konnte seine schweren Schritte dicht hinter sich hören. Verflixt! Wenn sie das nächste Mal heiratete, dann nur in Turnschuhen!

Kurz vor der Treppe packte er Cathy am Ellbogen und wirbelte sie zu sich herum. Durch den Schwung landete sie direkt an seiner Brust.

„Lassen Sie mich los!“, schrie Cathy und verpasste der scheußlichen Krawatte ein paar Schläge mit der Handtasche.

Mr. Streifenkrawatte schienen ihre Schläge jedoch nicht mehr zu stören als ein paar lästige Mückenstiche.

„Jetzt beruhigen Sie sich erst mal, Lady“, sagte er dicht an ihrem Ohr. Er war nicht im Mindesten außer Puste, was Cathy noch mehr ärgerte. „Ich will doch nur mit Ihnen reden.“

„Aber ja doch, klar! Sie wollen nur eine Tasse Kaffee mit mir trinken.“ Cathy blickte sich verzweifelt um, als er sie auf dem Bürgersteig vor sich herschob und auf eine glänzende Limousine zusteuerte.

„Steigen Sie ein, Lady, und ich verspreche, Ihnen wird nichts passieren.“

Cathy sah die gepolsterten Rücksitze an, dann entdeckte sie auf der anderen Straßenseite einen Polizisten. In dem Augenblick kam ihr die Idee. Wenn sie den richtigen Zeitpunkt nicht verpasste, könnte sie …

„Na gut.“ Sie zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. Ihr Entführer sah sie an und verzog sein Gesicht zu einem Lächeln. Ein Grübchen erschien auf seiner rechten Wange und ließ ihn einfach unwiderstehlich aussehen. Das war mal wieder typisch für ihr sprichwörtliches Glück! Wenn sie schon einmal in ihrem Leben einen solch umwerfenden Typen traf, musste der ausgerechnet eine Waffe auf sie richten!

Cathys Muskeln spannten sich wie bei einer Katze, die auf dem Sprung ist. Mr. Streifenkrawatte ließ ihren Arm für einen Moment los, als er selbst einsteigen wollte – und genau darauf hatte sie gewartet. Blitzschnell öffnete sie die Tür zur Straßenseite und sprang nach draußen. Ohne auf den Verkehr zu achten, rannte sie über die Straße auf den Polizisten zu. Ein Taxifahrer trat hart auf die Bremse und hupte empört, als sie nur wenige Zentimeter vor seiner Motorhaube vorbeisprintete.

„Officer! Hilfe!“, schrie sie. „Helfen Sie mir doch!“

Der Polizist drehte sich überrascht um und verzog das Gesicht zu einem freundlichen Grinsen. „Hallo, Captain!“, grüßte er und tippte an seine Mütze.

Captain?

Verblüfft wirbelte Cathy herum. Mr. Streifenkrawatte stand direkt hinter ihr, ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Das Grübchen vertiefte sich, und seine blauen Augen blitzten. „Hallo, O’Donnell. Viel los heute?“

„Geht so“, meinte der Streifenpolizist. „Und Sie machen Jagd auf hübsche Frauen, wie ich sehe?“

Cathy blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen. Dieser Mann – dieser Gangster mit der scheußlichen Krawatte – war ein Polizist? „Eigentlich heißt das Entführung“, entgegnete sie matt.

Beide Männer lachten, als hätte sie gerade etwas sehr Komisches gesagt. „Kommen Sie schon, Cathy“, sagte Mr. Streifenkrawatte und nahm wieder ihren Arm.

O’Donnell zwinkerte ihr zu. „Na, na, Lady. Er ist nicht so schlimm, wie er aussieht.“

Cathy funkelte ihn wütend an. Kein Wunder, dass die Verbrechensrate in dieser Stadt so hoch war, wenn man am helllichten Tag Frauen auf belebten Straßen entführen konnte – direkt vor der Nase eines Polizisten und, das war der Gipfel, von einem Polizisten!

Plötzlich blieb sie abrupt stehen. „Es geht um meine Strafzettel, nicht wahr? Tut mir leid, dass ich sie noch nicht bezahlt habe, aber …“

Ihr Entführer sah sie verständnislos an. „Strafzettel?“

„Eigentlich sind es auch gar nicht meine, sondern Bobs.“

„Würden Sie jetzt bitte den Mund halten?“ Ungeduldig zog er sie über die Straße zu seinem Wagen. „Hier geht es wirklich nicht um falsches Parken.“

Cathy wurde blass, als ihr ein anderer Gedanke kam. „Sie … Sie sind doch nicht etwa vom F.B.I.?“

Er legte seinen Kopf schräg und sah sie neugierig an. „Warum?“

Ihr blieb fast das Herz stehen. Natürlich! Wahrscheinlich waren es ihre verrückten Eltern. Die Hochzeitsvorbereitungen hatten Cathy ganz davon abgehalten, die Nachrichten aufmerksam zu verfolgen. Womöglich hatte es in Südamerika einen Staatsstreich gegeben, und ihre Eltern waren irgendwie darin verwickelt. Oder noch schlimmer … vielleicht waren sie wieder in den USA und saßen irgendwo im Gefängnis!

„Ich glaube, ich kann bestimmt ein paar Missverständnisse aufklären“, sagte Cathy eilig. „Wissen Sie, die haben den Hanf in erster Linie angebaut, um gegen die Abholzung der Wälder zu protestieren. Nicht, dass ich mit ihren Methoden einverstanden wäre, aber …“

„Was?!“

„Wissen Sie, man muss das nicht unbedingt rauchen. Man kann Papier und alles Mögliche daraus herstellen …“

„Hanf?“ Der Mann sah verwirrt aus. „Wovon um alles in der Welt sprechen Sie eigentlich?“

„Von meinen Eltern“, sagte sie, als wäre er begriffsstutzig.

„Hier geht es weder um Ihre Eltern noch um Hanf und auch nicht um unbezahlte Strafzettel. Es geht um Ihren Verlobten.“

Cathy wich alle Farbe aus dem Gesicht. „Bob? Was ist mit ihm?“

Der Mann wies auf den Rücksitz des Autos. „Steigen Sie ein. Ich werde Ihnen alles erklären.“

„Nein! Ich will Bob sehen!“

„Das werden Sie, wenn Sie jetzt einsteigen“, beharrte er.

Cathy sah in seine tiefblauen Augen und holte überrascht Luft. Irgendetwas an diesem Mann kam ihr sehr bekannt und vertraut vor … hatte sie ihn vielleicht vorher schon einmal gesehen?

Mr. Streifenkrawatte schob sie in den Wagen, setzte sich neben sie und verriegelte die Türen.

„Nach Brooklyn“, sagte er zum Fahrer.

„Wieso Brooklyn?“, protestierte Cathy, und Panik stieg in ihr auf. „Sie haben mir doch versprochen, dass ich Bob sehen würde!“

„Drehen Sie sich um.“

Einen Moment lang fuhr das Auto etwas langsamer, und Cathy konnte einen Blick in eine schwarze Limousine werfen, die an der Ecke parkte. Auf dem Rücksitz saß – Bob. Erstaunt blickte er durch seine goldgeränderte Brille, als er sie erblickte.

„Bob!“, schrie Cathy und trommelte gegen die Heckscheibe.

Ihr Verlobter hob die Hände, und durch das leicht getönte Glas der Limousine konnte sie die Handschellen um seine Handgelenke erkennen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Bob hatte sich also nicht verspätet, sondern war entführt worden. Seine Lippen formten ihren Namen.

„Tun Sie doch etwas!“, schrie sie den Mann neben ihr an. „Die bringen Bob weg!“

„Er wird an einen sicheren Ort gebracht, keine Sorge.“

Cathy presste das Gesicht fest an die Scheibe und sah ihrem Verlobten nach, bis er nur noch ein winzig kleiner Punkt war. Tränen flossen ihr über die Wangen. Das war’s also gewesen. Keine Hochzeit. All ihre Träume von einem normalen, beschaulichen Leben – geplatzt. Sie hatte sich noch nie so sehr nach Bob gesehnt wie jetzt, als er in einem fremden Auto aus ihrem Blickfeld entschwand.

2. KAPITEL

„Schnapp dir die Braut.“ Das war seine Anweisung gewesen.

Nun gut, vielleicht hatte er ja den Auftrag vermasselt. Hale Delaney hatte eben keine Routine im Entführen von Bräuten, zumindest nicht aus dem Standesamt. Ihm war aber keine bessere Lösung eingefallen. Jetzt musste er zugeben, dass er sich gründlich verschätzt hatte. Zunächst einmal hatte er sich Bobs Braut ganz anders vorgestellt. Viel gefügiger und … langweiliger, so wie Bob eben. Doch Cathy Seymour war starrköpfig, bildhübsch und sehr viel peppiger, als Hale vermutet hatte.

Hale sah, wie verzweifelt sie ihren Brautstrauß umklammerte. Er konnte ihr wirklich keinen Vorwurf daraus machen, dass sie so auf Gegenkurs ging. Wenn sie jetzt bloß keinen weiteren Fluchtversuch startete! Sie hatte ihm vorhin einen ganz schönen Schreck eingejagt. „Sie sollten nicht so einfach auf die Straße laufen.“

„Vielen Dank für den Tipp.“ Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Wenn ich das nächste Mal entführt werde, werde ich das beherzigen.“

Die ganze Situation ging Hale gewaltig gegen den Strich und machte ihn nervös. Dabei war er normalerweise eher lässig. Zu lässig, würde jetzt sein Dad sagen. Kevin Delaney, ein irischer Einwanderer, erwartete von seinen Söhnen, dass sie den typischen amerikanischen Traum lebten, den er selbst für seine Familie verwirklicht hatte – eine erfolgreiche berufliche Karriere, ein eigenes Haus und Kinder. Seine beiden Söhne hatten ihn, jeder auf seine Weise, bitter enttäuscht. Hale konnte nicht für seinen Bruder sprechen, doch er selbst hatte sich von der Lebensphilosophie seines Vaters verabschiedet, als ihm klar wurde, dass weder sein Beruf noch das Haus noch die Kinder seinen Vater glücklich machten. Nur die Ehe mit seiner Mutter hatte ihm das beschert – und als diese jung starb, ließ sie einen gebrochenen Mann zurück, der sich auch noch von seinen Kindern innerlich entfernte. Seitdem versuchte Hale mit aller Kraft, sich aus familiären Angelegenheiten herauszuhalten.

Wie um alles in der Welt hatte er sich nur auf diese Geschichte einlassen können? Vielleicht aus reinem Mitleid. Sein Vater hatte ihn um Hilfe gebeten, nachdem er zehn Jahre lang kaum ein Wort mit seinem Sohn gewechselt hatte. Hale hatte nur bemerkt, wie alt sein Vater aussah, und er wusste, wie viel Überwindung es ihn gekostet haben musste, seinen Sohn um Hilfe zu bitten. Der hatte nun mal eine Schwäche für Menschen in Not. Das war eine Grundvoraussetzung für seinen Beruf. Ständig teilte er Taschentücher und heißen Kaffee an Leute aus, die ihm schluchzend herzzerreißende Geschichten erzählten. Vermutlich hatte er deshalb dem abenteuerlichen Plan seines Vaters zugestimmt, obwohl er nichts gegen Bob hatte und es bestimmt einfachere Wege gegeben hätte, um herauszufinden, ob Bob ein krummes Ding drehte. Als Kevin Delaney ihn darum bat, sich Bobs Verlobter anzunehmen, hatte er ja gesagt.

Er warf der besagten Verlobten einen verstohlenen Blick zu. Sie war wirklich sehr hübsch. Diese Tatsache war schon verblüffend, wenn man bedachte, dass Bob selbst in der High School noch als langweiliger Streber galt. Vielleicht hatte sein alter Herr doch recht: Geld ist der Schlüssel zu allem Begehrenswerten. Bobs Arbeit bei der Bank versprach viel Geld – und wenn sein Vater mit seiner Vermutung richtig lag, mehr, als Bob eigentlich zustand. Und Cathy mit dem kastanienbraunen Haar, der schlanken Figur und den dunkelbraunen Augen war eindeutig begehrenswert.

Hale schüttelte den Kopf. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er eines Tages auf seinen Bruder eifersüchtig sein könnte. Doch er konnte es nicht lassen, Cathy anzuschauen. Und er fühlte sich schuldig dabei.

Heute war eindeutig nicht sein Tag. Er hatte einer Frau Gewalt angedroht, sie gekidnappt, einen Kollegen ausgetrickst – und jetzt begehrte er auch noch die Beinahfrau seines Bruders! Dabei war es noch nicht einmal Mittag.

Cathy kämpfte derweil mühsam mit den Tränen. „Was haben Sie eigentlich gegen Hochzeiten?“

Die Frage riss Hale aus seinen Gedanken. „Wie bitte? Das hat überhaupt nichts mit meiner Einstellung zu Hochzeiten zu tun.“

„Trotzdem können Sie nicht viel dafür übrig haben“, beharrte Cathy und begann zu schluchzen.

Oh nein, nur das nicht. Hale konnte keine Frau weinen sehen. Eigentlich konnte er überhaupt niemanden weinen sehen, besonders, wenn er zu hundert Prozent dafür verantwortlich war. Instinktiv griff er nach einem Taschentuch und reichte es Cathy.

Sie schüttelte den Kopf und nahm es nicht. Unbehaglich rutsche Hale auf seinem Sitz herum. Vielleicht hat sie ja recht, dachte er schuldbewusst. Möglicherweise hätte ich dem verrückten Plan meines Vaters, ausgerechnet den Hochzeitstag zu sabotieren, nicht zugestimmt, wenn ich keine Abneigung gegen ein verlogenes Familienleben hätte.

„Also gut“, gab er zu. Sie sah ihn aus rot geränderten Augen an. Wimperntusche rann ihr in schwarzen Streifen über die Wangen. „Vielleicht bin ich nicht gerade ein Fan von der Ehe. Lebenslang mit einem Menschen zusammenbleiben, das scheint mir doch einfach nicht machbar. In meinem Job hat man täglich mit Ehestreitigkeiten zu tun.“

Cathy rief hitzig: „Bob und ich streiten uns nie! Wir sind beide sehr sanftmütig!“

„Das finde ich prima“, meinte Hale besänftigend. „Ehrlich, ich hoffe, dass es bei Ihnen sehr gut funktionieren wird. Und jetzt putzen Sie sich bitte die Nase.“

Er hatte mit allem gerechnet – dass sie noch heftiger weinen oder wütend aus dem Fenster schauen oder ihn beschimpfen würde. Doch war er absolut nicht darauf vorbereitet, dass sie ihn mit der Faust auf die Nase schlagen würde.

„Kümmern Sie sich um ihre eigene Nase“, stieß sie hervor. „Die blutet nämlich.“

Sofort presste er das Taschentuch an seine Nase. Verflixt, sie blutete tatsächlich! Vermutlich hatte der Diamant des Verlobungsringes einen Kratzer hinterlassen.

„Sie haben wirklich ein sanftes Gemüt“, bemerkte Hale sarkastisch und warf einen abschätzigen Blick auf die zufrieden wirkende Cathy.

„Sie haben sich das ehrlich verdient“, gab sie mit einem boshaften Lächeln zurück.

Das war ja das Problem. Sie hatte vollkommen recht.

„Endlich zu Hause“, sagte Mr. Streifenkrawatte sarkastisch, als das Auto in einer belebten Straße des italienischen Viertels hielt. Eine Pizzeria löste die andere ab, gelegentlich von einem Eiscafé unterbrochen.

Cathy wurde blass. Italiener! Hatte sich Bob mit der Mafia eingelassen?

„Danke, Tony. Sie können jetzt nach Hause fahren. Wollen Sie nicht aussteigen, Cathy?“

Sie blieb stur sitzen.

„Kommen Sie schon, Lady, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, drängte er. Als Cathy nicht reagierte, lehnte er sich ins Auto, fasste sie mit geübtem Griff unter den Achselhöhlen und zog sie einfach heraus.

„Hey!“, schrie sie. Ihr Kidnapper war ein sehr starker Mann. Entweder übte er regelmäßig Gewichtheben, oder er zog ständig Frauen aus dem Auto. Wie gut, dass sie ihm eins auf die Nase gehauen hatte, als noch Gelegenheit dafür war!

Er stellte sie einfach auf den Bürgersteig und schloss die Tür. Während sie dem Auto nachsahen, das sich langsam entfernte, hatte Cathy das Gefühl, als würde ihr altes Leben mit der Limousine um die nächste Ecke verschwinden.

„Gehen wir“, sagte Mr. Streifenkrawatte.

„Und wohin, bitteschön?“, fragte Cathy und versuchte, sich aus seinem eisernen Griff herauszuwinden.

„Ich wohne hier“, antwortete er und wies auf ein Gebäude. Eine grünweiß gestreifte Markise warf Schatten auf den Bürgersteig. In den Schaufenstern darunter waren Kuchen, Gebäck und Brot zu sehen.

„Sie wohnen in einer Bäckerei?“, fragte Cathy.

Über einer Bäckerei. Carlo, der Besitzer, ist mein Vermieter.“

Autor

Liz Ireland
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