Gefährliche Sehnsucht nach dem Boss
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Jake brauchte eine Haushälterin.
Aber keine, die bei ihm wohnte. Das Letzte, was er wollte, war jemand, der ständig um ihn war, hinter ihm herräumte, ihm Gespräche aufzwang und seine Privatsphäre verletzte. Jake hatte dieses Haus schließlich vor ein paar Jahren gekauft, um seine Ruhe zu haben.
Nachdem er wochenlang im Krankenhaus gelegen und danach einen Monat in einer Reha-Klinik verbracht hatte, wollte er nur noch allein sein. Darum hatte er alle Angebote von Verwandten, bei ihnen zu wohnen, abgelehnt und dieses Haus in East Balmain gekauft. Als Geschenk an sich selbst zu seinem dreißigsten Geburtstag.
Er hatte geglaubt, es wäre ausreichend, wenn dreimal in der Woche eine Putzfrau käme. Und irgendwie hatte es tatsächlich funktioniert, selbst anfangs, als er selbst nichts hatte tun können, weil sein Bein immer noch nicht ganz verheilt war. Er hatte online eingekauft und die Wäsche in eine Wäscherei gegeben und dies auch beibehalten, nachdem er wieder gesund war und arbeiten konnte.
Doch es war ihm schnell lästig geworden, sich um all die Aufgaben zu kümmern, die anfielen, wenn man ein Haus besaß und es in Ordnung halten wollte. Er hasste es, auf Handwerker warten zu müssen, die nicht immer pünktlich erschienen. Geduld war nicht seine stärkste Seite.
Jake konnte es sich leisten, jemanden zu bezahlen, der all das für ihn übernahm. Schon vor dem Erfolg seiner Fernsehshow war er ein reicher Mann gewesen. Geld hatte nie eine Rolle gespielt. Eher seine Privatsphäre.
Obwohl nicht viel davon übrig geblieben war, seit jeder seiner Schritte in den sozialen Medien und Klatschblättern dokumentiert wurde.
Aber nicht zu Hause. Sein Heim war sein Zufluchtsort. Daher war es zwingend erforderlich, die richtige Haushälterin zu finden. Eine Aufgabe, die sich als schwieriger erwies, als er angenommen hatte, vor allem, weil keine der Frauen ihm gefiel, die sich für diese Stelle beworben hatten.
Was wirklich albern war, da er persönlich nichts mit dieser Frau zu tun haben musste. Seine Kurzanweisung an die verschiedenen Arbeitsagenturen lautete, dass seine Haushälterin nur unter der Woche arbeiten sollte, nicht am Wochenende. Sie sollte an jedem Werktag morgens kommen, wenn er bereits zur Arbeit gegangen war, und verschwunden sein, wenn er zurück nach Hause kam, was oft sehr spät der Fall war. Die Show Australia at Noon zu produzieren und zu moderieren beschäftigte ihn in der Woche von morgens bis zum späten Abend.
Darum war es eigentlich egal, ob er seine Haushälterin mochte oder nicht.
Doch er ertrug den Gedanken nicht, dass jemand in seiner Abwesenheit bei ihm zu Hause war, den er nicht mochte.
Das größte Problem war gewesen, dass alle Frauen, die sich bisher vorgestellt hatten, große Fans seiner Show waren. Das war natürlich kein Verbrechen, aber es war nervig. Alle waren ein bisschen zu überschwänglich gewesen – und zu erwartungsvoll.
Erwartungen machten Jake misstrauisch, besonders im Zusammenhang mit Frauen. Eine Schwäche, die vermutlich alle eingefleischten Junggesellen hatten. Jake stellte sich immer wieder vor, wie sie sich in den sozialen Medien über ihren wundervollen neuen Job und ihren wundervollen neuen Boss auslassen würden.
Was schließlich dazu führte, dass er keine von ihnen eingestellt hatte und daher auf eine weitere Kandidatin wartete, die ihm die neu gegründete Agentur Housewives For Hire schicken wollte, deren Besitzerin zufällig vor ein paar Tagen in einem Beitrag seiner Show aufgetreten war.
Ihre Agentur versprach, genau die Angestellte zu vermitteln, nach der er suchte. Die Frauen in ihrer Kartei waren offensichtlich meist selbst Hausfrauen, die sich etwas dazu verdienen wollten, während ihre Kinder in der Schule waren.
Gestern Abend hatte er die Besitzerin der Agentur angerufen – sie hieß Barbara – und ihr erklärt, welche Art Haushälterin er brauchte. Er hatte sie gebeten, eine passende Angestellte für ihn zu suchen, vorzugsweise eine Frau, die nicht wie besessen seine Show ansah und glaubte, er wäre für Frauen ein Geschenk des Himmels.
Sie hatte versprochen, die Richtige zu finden.
Und jetzt saß er an einem frühen Samstagnachmittag in seinem Arbeitszimmer und wartete darauf, dass die Topempfehlung von Barbara zum Vorstellungsgespräch kam. Allerdings war er überzeugt, dass er wieder nur seine Zeit verschwenden würde.
Denn die Frau, die Barbara ihm schickte, war zu jung. Erst sechsundzwanzig. Und schon Witwe. Wie in aller Welt war das passiert?
Barbara hatte nichts gesagt, und er hatte nicht fragen wollen.
Jake seufzte. Ein Verkehrsunfall, vermutete er. Oder irgendeine Krankheit.
Wenigstens hatte sie keine Kinder. Denn es gab nichts Traurigeres als eine Witwe, die versuchte, ihre Kinder allein großzuziehen.
Die junge Frau, sie hieß Abby Jenkins, suchte offensichtlich Arbeit, war jedoch nur mäßig qualifiziert. Ihr sehr kurzer Lebenslauf verriet, dass sie die Highschool mit siebzehn verlassen hatte, um in einer Fisch-&-Chips-Bude zu arbeiten, bis sie mit zwanzig geheiratet hatte und danach nur noch Hausfrau gewesen war.
Eine seltsame Entscheidung für eine moderne junge Frau. Ziemlich altmodisch nach Jakes Meinung. Was sie ein wenig merkwürdig erscheinen ließ. So jemanden wollte er eigentlich nicht einstellen.
Doch er würde ihr eine Chance geben. Jeder Mensch verdiente eine.
Er hörte, wie draußen ein Wagen vorfuhr. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass es genau zwei Uhr war. Wenigstens war sie pünktlich.
Jake stand auf, verließ das Arbeitszimmer und ging zur Haustür. Nach einem tiefen Durchatmen öffnete er, ohne genau zu wissen, was ihn erwartete.
Beim Anblick der ausgesprochen hübschen Blondine stockte ihm der Atem. Mit ihren schönen grünen Augen sah sie ihn besorgt an. Nein, nicht besorgt. Nervös. Das Mädchen war schrecklich nervös, kaute auf ihrer Unterlippe und umklammerte den Riemen ihrer schwarzen Schultertasche, als wäre er eine Rettungsleine.
Vermutlich war es normal, dass sie nervös war. Barbara hatte erwähnt, dass dies ihr erstes Vorstellungsgespräch war, das die Agentur ihr vermittelt hatte. Wahrscheinlich ihr erstes überhaupt.
Sie trug dunkelblaue Jeans mit einem cremefarbenen, gehäkelten Oberteil, unter dem sich eine sehr gute Figur versteckte. Ihre langen honigblonden Haare waren zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug kein Make-up, nicht einmal Lippenstift. Es gefiel Jake, dass sie sich nicht aufgedonnert hatte.
„Mr. Sanderson?“, fragte sie zögernd.
Jakes Brauen wanderten nach oben, als ihm bewusst wurde, dass sie ihn nicht erkannte. Was bedeutete, dass sie sich seine Show nie angesehen hatte oder eine der Dokumentationen, die er über die Jahre gemacht hatte.
Er wusste nicht, ob er froh oder gekränkt sein sollte – was paradox wäre.
„Ja, der bin ich“, antwortete er und war nun bereit, darüber hinwegzusehen, dass sie nicht nur zu jung, sondern auch zu hübsch war. Sollte er sie einstellen, würde er sie kaum zu Gesicht bekommen und daher nicht Gefahr laufen, in Versuchung geführt zu werden.
„Und Sie müssen Abby sein.“ Er lächelte ein wenig steif.
Sie erwiderte das Lächeln, aber sehr verhalten. Es zeigte schöne weiße Zähne.
„Ja“, antwortete sie und fügte schnell hinzu: „Es ist sehr nett, dass Sie mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen haben.“
„Barbara hat Sie sehr empfohlen“, erwiderte er.
Das schien sie zu verwundern. „Wirklich?“
„Ja, das hat sie. Sie sagte, dass sie unerwartet zu Besuch bei Ihnen zu Hause war, bevor sie Sie unter Vertrag genommen hat. Und es sei blitzsauber bei Ihnen gewesen.“
„Ich habe es gern hübsch und sauber.“
„Ganz meinerseits“, entgegnete er fast barsch. „Kommen Sie herein, dann können wir uns weiter unterhalten.“
„Ja, natürlich.“ Doch sie rührte sich nicht.
Vielleicht hatte sein barscher Ton sie verängstigt. Jake konnte sehr charmant sein, wenn er wollte. Doch genauso gut konnte er auch sehr einschüchternd sein.
Sehr charmant war sicher nicht angebracht, aber einschüchternd war auch nicht nett. Am besten blieb er sachlich.
„Vielleicht sollte ich Ihnen zuerst einmal das Haus zeigen“, schlug Jake vor, trat zurück und bedeutete ihr einzutreten. „Damit Sie wissen, was auf Sie zukommt. Falls Sie den Job überhaupt wollen.“
„Ganz sicher, Mr. Sanderson“, entgegnete Abby und ging an ihm vorbei in den Hauseingang. Dann blieb sie stehen und sah hinunter. „Ach, was für ein schöner Boden. Ich liebe glänzende Holzböden.“
„Sie sind schwer sauber zu halten“, warf Jake ein, während er die Haustür hinter ihr schloss.
„Das macht mir nichts aus.“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn an.
Ihm gefiel das lebhafte Leuchten in ihren Augen sehr. Er stellte fest, dass er diese junge Frau mochte.
„Wunderbar“, sagte er und wusste, dass er endlich seine Haushälterin gefunden hatte.
Dass er Abby außerdem sehr begehrenswert fand, würde er schlicht ignorieren und ihr möglichst aus dem Weg gehen.
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Zwölf Monate später …
Abby summte glücklich, als sie ihr kleines Haus abschloss und sich auf den Weg zur Arbeit machte. Sie hatte noch nie unter der Montagskrankheit gelitten. Vielmehr mochte sie ihren Job, und es gefiel ihr, sich um Jake Sandersons ausgesprochen schönes Haus zu kümmern. Und um Jake Sanderson selbst, obwohl sie ihn nicht so sehr mochte. Trotzdem würde Abby ihm immer dankbar sein, weil er sie eingestellt hatte, obwohl sie keine Referenzen vorweisen konnte und schon länger nicht mehr gearbeitet hatte.
Ehrlich gesagt konnte sie ihr Glück immer noch nicht fassen, eine so angenehme Stelle bekommen zu haben. Abgesehen davon, dass die Autofahrt von Seven Hills bis East Balmain nicht lange dauerte, war sie ihr eigener Boss, weil Jake während ihrer Anwesenheit nie da war. Sie konnte tun, was sie wollte, eine Pause einlegen, wenn ihr danach war, und ihr Arbeitstempo selbst bestimmen.
Nicht, dass sie ein Faulpelz war. In Bezug auf den Haushalt war Abby eher eine Perfektionistin. In ihrem eigenen Zuhause konnte man vom Boden essen. Und das Gleiche galt auch für Jakes Heim, wenn sie wieder nach Hause ging.
Wobei montags anfangs oft ein ziemliches Chaos in seinem Haus geherrscht hatte. Abby wusste immer, wann Jake übers Wochenende Besuch gehabt hatte, der zu der Sorte gehörte, die über Nacht blieb, aber keinen Finger krümmte, um schmutzige Weingläser wegzuräumen, die Geschirrspülmaschine einzuräumen oder irgendetwas anderes als das zu tun, was auch immer seine Gespielinnen tun mochten. Dem Mann, der vor einiger Zeit zur beliebtesten Fernsehpersönlichkeit gekürt worden war, wurde nachgesagt, dass es ihm nie an weiblicher Gesellschaft mangelte.
Abbys Schwester Megan, die süchtig nach Twitter und Klatschmagazinen war, hielt Abby immer auf dem Laufenden, mit wem ihr Boss sich gerade traf. Seine neueste Eroberung war eine Nachrichtensprecherin, die beim gleichen Sender arbeitete wie Jake. Sie hieß Olivia und war eine umwerfende Brünette mit großen braunen Augen und einer unwiderstehlichen Figur – und einem unwiderstehlichen Lächeln.
Es hatte Zeiten gegeben, da wäre Abby eifersüchtig auf dieses Lächeln gewesen.
Aber jetzt nicht mehr.
Abby fuhr mit der Zungenspitze über ihre oberen Zähne, immer noch erstaunt, wie fantastisch sie sich anfühlten. Genau wie die unteren Zähne.
Natürlich waren Porzellankronen sehr teuer. Sie hatte den Kredit immer noch nicht ganz abbezahlt, den sie dafür aufgenommen hatte. Wobei es in diesem Fall eher eine Notwendigkeit gewesen war als Eitelkeit.
„Du brauchst Selbstvertrauen, wenn du wieder arbeiten willst, Schatz“, hatte ihre Schwester ihr geraten. „Und das heißt, dass du etwas mit deinen Zähnen machen solltest.“
Megan hatte recht gehabt. Unvorstellbar, dass sie sich vor dem Eingriff bei Jake Sanderson vorgestellt hätte. Abby litt an Fluorose, vielleicht dadurch versursacht, dass sie als Kind Fluoridzahncreme gegessen hatte. Sie hatte den Geschmack geliebt. Ihre Fluorose war über die Jahre immer schlimmer geworden, die braunen Flecken hatten sich verdunkelt und die Zähne angegriffen, besonders die oberen. Wayne hatte sie schön gefunden, so wie sie war. Doch Abby hatte ihm nie geglaubt. Als es dann keinen Wayne mehr gab, der Einwand erheben konnte, war sie dem Rat ihrer Schwester gefolgt und zum Zahnarzt gegangen.
Das war das Beste, was sie je gemacht hatte, trotz der Schulden, die damit verbunden waren.
Aber nicht mehr lange. Jede Woche legte Abby etwas von ihrem Lohn zurück und gab keinen Cent für Firlefanz wie Friseur oder Nagelstudio aus, nicht einmal für Kleider. Was sie hatte, musste reichen. Sie ging auch nur selten aus. Sollten keine neuen unerwarteten Ausgaben anfallen, wie zum Beispiel Timmys Mandeloperation, wäre sie Weihnachten schuldenfrei und könnte endlich Geld für ihre Reise zurücklegen.
Abby hatte schon immer die Welt sehen wollen. Ihr Traum, eines Tages ins Ausland zu reisen, hatte sie in ihrer unglücklichen Teenagerzeit über Wasser gehalten. Sicher, ihr Traum hatte einem anderen Traum Platz gemacht, als sie Wayne geheiratet und sich darauf konzentriert hatte, eine glückliche Familie zu gründen, die weder sie noch Wayne gehabt hatten.
Doch ihre Träume hatten sich nicht erfüllt.
Abby schluckte schwer, verdrängte die schrecklichen Erinnerungen und zwang sich, an Träume zu denken, die erfüllbar waren. Die Zeit heilt alle Wunden, so hieß es doch. Zeit – und hoffentlich eine Reise.
Ihr Traumurlaub würde mindestens sechs Monate dauern. Sie würde sich Europa, Asien und Amerika ansehen.
Das hieße natürlich, dass sie ihren Job als Jakes Haushälterin eines Tages aufgeben müsste.
Megan fand es verrückt, diese Stelle sausen zu lassen, nur um in der Welt herumzureisen.
Doch Abby war anderer Meinung. Sie brauchte einen Traum, der in die Zukunft wies, nicht zurück. Und zur Hölle mit ihrem Job als Jakes Haushälterin. Er würde ohne sie klarkommen und sie ganz sicher ohne ihn.
Um kurz vor halb zehn bog Abby in die Straße ein, in der Jakes Haus lag. Sie führte am Wasser und dem Fährhafen entlang. Die meisten Häuser waren zweistöckig und im frühen zwanzigsten Jahrhundert gebaut worden. Alle waren im Lauf der Zeit renoviert worden. Balmain war inzwischen eine sehr begehrte Adresse. Nichts verriet mehr, dass hier früher die Arbeiterklasse gewohnt hatte.
Jakes Haus verfügte über einen Hinterhof, einen langen Pool und ein zusätzliches Gästeschlafzimmer im Erdgeschoss.
Als er es gekauft hatte, litt er offenbar an einer schweren Beinverletzung, die er sich bei seiner Arbeit im Ausland zugezogen hatte. Deshalb war er eine Weile nicht in der Lage gewesen, Treppen zu steigen. All das hatte er ihr erzählt, als er sie eingestellt hatte, während er ihr das Haus gezeigt und ihr erklärt hatte, was er von ihr erwartete. An diesem Tag hatte er mehr mit ihr geredet als in den kommenden zwölf Monaten.
Megan stellte ihr immer Fragen über ihren so berühmten und attraktiven Boss. Sie konnte kaum glauben, dass Abby so gut wie nichts über ihn wusste, außer dass er einmal ein bekannter Dokumentarfilmer gewesen war und heute ein genauso bekannter Fernsehmoderator. Kürzlich hatte sie erfahren, dass er einen Lieblingsonkel namens Craig hatte, der ein bekannter Auslandskorrespondent war. Doch das wusste Abby auch nur, weil dieser Onkel nach einem Skiunfall eine Zeit lang bei Jake gewohnt hatte.
Megan wusste wahrscheinlich viel mehr über Abbys Boss, weil sie sich jeden Tag seine Show ansah, in der Berühmtheiten interviewt wurden und über aktuelle Affären gesprochen wurde.
Ab und zu sah Abby sich die Show während ihrer Mittagspause an. Doch sie war nicht so begeistert wie ihre Schwester, auch nicht von dem charmanten Moderator. Es fiel ihr schwer, ihn mit dem Mann in Einklang zu bringen, der kaum mehr als zwei Worte zu ihr sagte, sollten sie sich einmal über den Weg laufen, was selten der Fall war.
Nicht, dass es ihr etwas ausmachte, solange sie bei ihm arbeiten konnte und sie ihr Geld bekam, bis sie genug für ihre Reise zusammengespart hatte.
Genau daran musste sie denken, als sie den Hauswirtschaftsraum betrat und sah, was dort auf der Tafel stand, auf die Jake immer das schrieb, was sie tun sollte.
Werde gegen drei zu Hause sein.
Muss mit Ihnen über etwas reden.
Jake
Abbys Magen hob sich, denn ihr erster Gedanke war, dass sie etwas falsch gemacht hatte und er sie feuern würde. Doch dann sagte sie sich, dass es nichts Wichtiges sein konnte. Wahrscheinlich wollte er ihr nur etwas zeigen, was sie erledigen sollte.
Also keine Panik.
Trotzdem war sie den ganzen Tag unruhig und arbeitete wie besessen, sodass das ganze Haus um kurz vor drei blinkte und blitzte. Die Wäsche war gemacht, das Bett im Schlafzimmer frisch bezogen, und im Bad hingen neue Handtücher. Selbst den Innenhof hatte sie gefegt.
Um zehn vor drei zog Abby ihre Haushaltshandschuhe aus, bürstete ihre Haare und band sie zu einem Pferdeschwanz. Bei der Arbeit trug sie immer Jeans und Turnschuhe, dazu ein T-Shirt an warmen Tagen und einen Pulli, wenn es kalt war. Heute trug sie eine ausgewaschene, etwas zu große Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das auch ein wenig zu groß war. Sie hatte in letzter Zeit abgenommen, weil sie auf Schokolade und Eiscreme verzichtete.
Seufzend betrachtete Abby sich im Spiegel, der im Waschraum hing. Hätte sie gewusst, dass sie heute ihren Boss treffen würde, hätte sie sich etwas mehr Mühe mit ihrem Aussehen gegeben. Aber wie hätte ich das wissen sollen? Ich habe ihn schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Trotzdem, ich sollte mir ein paar neue Sachen kaufen.
Es wurde drei, doch von Jake war nichts zu sehen. Zehn Minuten später überlegte sie, ob sie ihm eine Textnachricht schicken sollte. Doch er hatte ihr ausdrücklich gesagt, dass sie seine Handynummer nur im Notfall benutzen durfte.
Dass er sich verspätete, war wohl kaum ein Notfall. Wenn er allerdings um halb vier immer noch nicht da wäre, würde sie ihm eine SMS schreiben. In der Zwischenzeit wollte sie in die Küche gehen und Kaffee aufsetzen.
Jake trat auf das Deck der Fähre und atmete ein paar Mal tief durch. Sein Magen krampfte sich immer noch zusammen. Er hatte sein Bestes bei der Show heute gegeben, doch in Gedanken war er nicht bei seinem Job gewesen. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Denn ehrlich gesagt war es ihm egal, ob er noch eine weitere Show moderieren würde. Andrew war letzten Freitag für ihn eingesprungen und hatte gute Einschaltquoten gehabt. Niemand im Unterhaltungsbetrieb war unersetzlich.
Jake überlegte, Andrew für ein oder zwei Wochen die Show zu überlassen, damit er eine Pause machen konnte, die er dringend brauchte. Eine andere Möglichkeit war, die Show abzusetzen und etwas anderes mit seinem Leben anzufangen. Harvest Productions hatten es schon seit Jahren auf ihn abgesehen. Wenn er Sebastian dazu bringen könnte, ihm ein halbwegs anständiges Angebot zu machen, würde er vielleicht darauf zurückkommen.
Oder vielleicht auch nicht …
Frustriert fuhr Jake sich mit den Fingern durchs Haar. Verdammt. Seit Jahren war er nicht mehr so unentschlossen gewesen. Natürlich kannte er den Grund. Nur dass er sich ihm nicht stellen wollte. Seufzend ging er zur Reling und starrte aufs Wasser.
An einem klaren, ruhigen Tag im Frühjahr war Sydney Harbour ein unvergesslicher Anblick. Doch Jake war nicht in der Stimmung, die Umgebung zu bewundern. Oder sie überhaupt zu bemerken.
Er schloss die Augen und gab sich der Trauer hin, der er während der Show keinen Raum gegeben hatte.
Noch immer konnte er nicht glauben, dass sein Onkel wirklich tot war. Nicht einmal die Beerdigung am letzten Freitag hatte ihn davon überzeugt. Er hatte sich Craig in diesem Sarg nicht vorstellen können. Und er wollte auch nicht begreifen, dass er ihn nie wiedersehen würde. Nicht mehr mit ihm sprechen könnte oder all das tun, was sie zusammen gemacht hatten.
Craig war für Jake viel mehr als ein Onkel gewesen. Er war sein Mentor, sein Freund. Und sein Idol. Schon als Junge hatte er den Onkel für seinen Lebensstil bewundert.
Craig hatte sich nicht für den üblichen Weg entschieden. Einen Ganztagsjob, heiraten und Kinder bekommen. Stattdessen war er Auslandskorrespondent geworden, war in der Welt herumgereist und hatte exotische Orte oder manchmal auch gefährliche gesehen, die Jakes Fantasie beflügelt hatten. Er war Single geblieben. Denn es wäre herzlos von ihm zu heiraten, wie er Jake als Teenager einmal erklärt hatte. Weil er einer Frau und Kindern ein Leben mit ihm nicht zuzumuten könnte, da er sie immer hintanstellen würde.
Natürlich hatte es Frauen gegeben. Schöne, aufregende Frauen, die mit dem sehr attraktiven Craig ins Bett gegangen waren, jedoch wussten, dass sie nicht mehr von ihm erwarten durften.
Schon lange, bevor er seinen Abschluss in Kommunikationswissenschaften absolviert hatte, war Jake klar gewesen, dass er genauso leben wollte. Er würde auf keinen Fall den Weg seines Vaters einschlagen. Craigs einziger Bruder hatte geheiratet, bevor er zwanzig war, weil seine noch jüngere Freundin schwanger gewesen war. Danach hatte er sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode geschuftet, um seine ständig größer werdende Familie zu ernähren.
Jake konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater – als er noch gelebt hatte – je Zeit für sich gehabt hätte. Alles, was er getan hatte, galt immer nur seiner Familie.
Als sein Vater mit siebenundvierzig an einem Herzinfarkt starb, war Jake untröstlich gewesen, aber auch umso entschlossener, Junggeselle zu bleiben und sich einen Job zu suchen, der ihm Spaß machte und nicht nur dazu diente, Rechnungen und Essen bezahlen zu können.
Und er hatte an seiner Entscheidung festgehalten. In seinen Zwanzigerjahren hatte er in weit entfernten Winkeln der Erde Dokumentarfilme gedreht und dabei ein kleines Vermögen verdient. Er wäre immer noch im Ausland tätig, hätte eine Auseinandersetzung mit Rebellen in dem vom Krieg erschütterten Afrika ihn nicht gezwungen, seinem Leben eine andere Richtung zu geben.
Beim Fernsehen zu arbeiten war im Vergleich dazu ein friedlicher Job, wenn auch nicht immer, aber Jake konnte sich eigentlich nicht beschweren.
Seit er nicht mehr von Land zu Land und von einer Stadt zur nächsten reiste, hatte er keine flüchtigen Affären mehr, sondern längerfristige Beziehungen. Falls man ein paar Monate als lang bezeichnen konnte. Seine derzeitige Freundin war eine karriereorientierte und sehr unabhängige Frau, mit der er sehr gern zusammen war. Sie drängte ihn weder zur Heirat, noch wollte sie ein Kind, wie seine Freundin davor. Jake wollte für nichts anderes Verantwortung übernehmen als für sein eigenes Leben.
So war es all die Zeit gewesen … bis der Rechtsanwalt, der sich um Craigs Nachlass kümmerte, eine Bombe hatte platzen lassen.
Jake wusste, dass er den Großteil des Vermögens seines Onkels erben würde, da Craig ihm eine Kopie seines Letzten Willens zur Verwahrung gegeben hatte. Was er jedoch nicht gewusst hatte, war, dass Craig seinen Anwalt kurz vor seinem Tod noch einmal zu sich gerufen und ihm einen Brief für Jake ausgehändigt hatte, den er ihm nach seinem Begräbnis übergeben sollte.
Zum x-ten Mal zog er den Brief nun aus seiner Tasche, faltete ihn auseinander und las ihn.
Lieber Jake,
ich hoffe, du bist nicht wütend, weil ich dir nichts von meiner Krankheit gesagt habe. Aber niemand hätte etwas tun können, und ich hasse Mitleid. Ich hatte ein gutes Leben und bedaure nur, dass ich keinen stilvolleren Abgang habe. Eine Kugel oder eine Bombe hätten weit besser zu mir gepasst.
Aber jetzt zum Grund meines Schreibens. Ich möchte, dass du etwas für mich tust, Jake. Als ich letztes Jahr im Juli wegen meiner Knieverletzung bei dir gewohnt habe, habe ich deine ausgesprochen nette Haushälterin ganz gut kennengelernt. Abby war sehr freundlich zu mir und hat weit über ihre Pflichten dafür gesorgt, dass ich einen angenehmen und erfreulichen Aufenthalt hatte. Und nein, es ist nichts Ungebührliches zwischen uns vorgefallen. So ein Mädchen ist sie nicht.
Nun zu meiner Bitte. Ich wollte meinem Testament nicht noch einen Nachtrag hinzufügen, weil mir das jetzt zu beschwerlich ist. Aber ich möchte, dass du Abby ein neues Auto kaufst, das sie gegen diese schreckliche Klapperkiste umtauschen kann. Irgendetwas Kleines, Schnittiges, aber mit einer langen Garantie.
Ich möchte außerdem, dass du ihr von deinem beachtlichen Erbe fünfundzwanzigtausend Dollar für ihre Reisekasse gibst. Bitte besteh darauf, dass sie es nicht für einen anderen Zweck verwendet oder es einem ihrer schmarotzenden Verwandten überlässt.
Ich vertraue fest darauf, dass du das für mich tust. Du bist ein guter Mensch. Kein habgieriger. Grüß Abby von mir, und sag ihr, dass sie nicht zu lange damit warten soll, sich die Welt anzusehen. Das Leben ist dazu da, gelebt zu werden.
Das Gleiche gilt für dich, mein Junge. Ich werde dich von oben aus beobachten.
Dein Onkel Craig
Jake schloss die Augen, während er den Brief zusammenfaltete.
„Verdammt, Craig“, stieß er heiser aus, und sein Herz krampfte sich vor Trauer zusammen. „Du hättest mir sagen sollen, dass du krank bist. Ich hätte für dich da sein können, so wie du für mich da warst. Du hättest nicht allein sterben sollen.“
Und du hättest diese Bitte nicht an mich richten sollen, dachte er und gab damit endlich seiner Verärgerung Raum. Obwohl er wusste, dass er Craig diesen Wunsch unmöglich abschlagen könnte.
Es ging nicht um das Geld. Davon hatte er genügend. Nein, es ging darum, dass er auf diese Weise gezwungen war, die Distanz zu Abby aufzugeben.
Sei doch ehrlich zu dir, sie gefällt dir mehr als je zuvor.
Einen Ausweg sah er nicht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zusammenzureißen und es hinter sich zu bringen.