Baccara Collection Band 463

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

NUR EINE NACHT OHNE TABUS von ZURI DAY
Eine Nacht ohne Tabus will Diplomatentochter Sasha erleben. Auf einem verruchten Maskenball lässt sie sich zu einem One-Night-Stand hinreißen. Erst am nächsten Morgen erkennt sie: Der Mann, mit dem sie die sündigsten Stunden ihres Lebens verbracht hat, ist Jake Eddington, der beste Freund ihres Bruders – und damit tabu!

FALSCHE AFFÄRE – ECHTE GEFÜHLE? von REESE RYAN
Dr. Julian Brandon ist attraktiv, sexy – und jünger als Chandra. Eine Affäre mit dem charmanten Arzt ist undenkbar! Doch als Julian sie bittet, sich als seine Freundin auszugeben, wird aus der Scharade echte Anziehung. Plötzlich steht Chandra vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens!

MIT DIR WILL ICH ALLES! von JULES BENNETT
Firmenboss Zane Westbrook weiß, was er nicht will: eine Familie. Nun ist seine Assistentin Nora nach einer Nacht der Ekstase schwanger von ihm. Er will sich von ihr fernhalten – aber als ihr Apartment renoviert wird, zieht Nora bei ihm ein. Bald kann Zane nur noch an eines denken: diese sinnliche Frau wieder in seinen Armen zu halten …


  • Erscheinungstag 07.10.2023
  • Bandnummer 463
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516396
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Zuri Day, Reese Ryan, Jules Bennett

BACCARA COLLECTION BAND 463

1. KAPITEL

„Lone Ranger oder Zorro?“

Der berauschende Duft und die laszive Frauenstimme waren so nah, dass ihr feuchter Atem sein Ohrläppchen kitzelte. Jake Eddingtons Körper, ganz in Schwarz gekleidet, kribbelte vor Erregung. Jake liebte den Klang von Frauenstimmen. Ebenso sehr wie all ihre warmen, feuchten Stellen. Er war ein Connaisseur, wenn es um Frauen ging, vor allem für Stimmen. Und für natürliche Brüste, Hintern und schöne Augen, wie die, die ihn gerade ansahen und in ihren Bann zogen, als er sich umdrehte. Braune Augen, die mit goldenen Tupfern gesprenkelt waren und zu ihrem Tigerkostüm passten. Das kurze, eng anliegende Kleid und die darauf abgestimmten Stiefel bis über die Knie betonten ihre zarten Kurven. Tigerohren, ein Schwanz und eine lange, rotgoldene Mähne rundeten das Outfit ab.

Und natürlich eine Maske.

„Was denkst du?“ Während er die Frage stellte, versuchte er bereits, das Gesicht hinter der Maske zu erkennen, die kaum mehr als ihre Augen und ihren Mund zeigte. Jake war im nahe gelegenen Point du Sable aufgewachsen, einer ausgesprochen gehobenen Gemeinde, in der die meisten Partygäste lebten oder aufgewachsen waren. Er war ein bekanntes Gesicht in der elitären Partyszene Chicagos. Mit anderen Worten – er kannte fast jede und jeden. Doch das, was er von dieser Femme fatale sehen konnte, kam ihm überhaupt nicht bekannt vor.

Jake nahm sich sofort vor, das zu ändern.

Sie warf ihre Locken zur Seite und schaute ihn nachdenklich an. „Eindeutig Zorro“, stellte sie fest. „Du kommst mir nicht wie jemand vor, der lange alleine ist.“

Ein paar Schritte genügten, um der Tigerin noch näher zu kommen. Jake zögerte nicht.

„Und du bist …?“

Er war ihr nahe genug, um einen weiteren Hauch ihres Parfüms zu erhaschen, ein würziger, blumiger Duft, der ihn noch näher heranlockte. Noch ein Schritt, und sein Mund berührte beinahe ihr Ohr.

„Abgesehen von der verführerischsten Raubkatze, die mir je begegnet ist.“

Sie beugte sich vor, drückte seinen Arm und antwortete ihm mit einem langgezogenen Schurren.

Jakes Mund verzog sich zu einem Lächeln. Gleichzeitig spürte er, wie sich seine Männlichkeit regte. Er erkannte weder ihre Stimme noch die Teile ihres Gesichts, die nicht von der Maske verdeckt wurden. Aber bis jetzt gefiel sie ihm. Und zwar sehr.

Er versuchte noch einmal, mehr über sie herauszufinden. „Wie heißt du?“

„Wir sind auf einer Maskenparty – wieso fragst du mich das?“

„Weil es unangemessen wäre, eine Wildfremde zu küssen.“

„Genauso unangemessen, wie einem Fremden eine Ohrfeige zu verpassen. Aber genau das würde dich so ein Überfall kosten.“

Feurig. Das gefällt mir. Er beschloss, dass diese köstlich aussehenden Lippen eine Ohrfeige wert waren. Das behielt er aber besser für sich.

Jake legte seine großen, kräftigen Hände auf sein Herz und tat so, als hätte sie seinen Stolz verletzt. „Ach, komm schon. Wir tragen bei solchen Partys genau deswegen eine Maske, um uns ganz frei … ausleben zu können. Wenn du schon einmal auf so einer Veranstaltung gewesen wärst, wüsstest du das, also ist das wohl dein erstes Mal.“

Das war eindeutig ein Versuch, mehr über sie herauszufinden. Sie biss aber nicht an. Und faszinierte Jake immer mehr. Er würde sich selbst nicht unbedingt als promiskuitiv bezeichnen, aber wenn er in keiner festen Beziehung war, nutzte er die Gelegenheiten, die sich ihm boten. In den letzten Jahren war es bei diesen Halloween-Partys ziemlich wild zugegangen. Je später es wurde und je mehr Alkohol floss, desto häufiger erlebte man, wie mehr oder weniger entblößte Partygäste mitten auf der Tanzfläche auf Tuchfühlung gingen. Mehr als einmal hatte er die Tür eines der zehn Schlafzimmer der Villa geöffnet und festgestellt, dass ihm jemand zuvorgekommen war. Ihm selbst war das allein deswegen noch nie passiert, weil er die Regel kannte: Vergiss nicht, zuzuschließen. Aufgrund der jüngsten Ereignisse hatte die ehemals unbeschwerte Partyszene einen Dämpfer erhalten, aber er war auf genügend Privatpartys seiner Klienten aus der Profisportlerszene gewesen, um zu wissen, dass Erwachsene immer noch das taten, was Erwachsene eben gerne taten. Jake war zurückhaltend, aber nicht enthaltsam. Und blind war er auch nicht. Er war noch nicht einmal zehn Minuten auf der Party, war noch keine zehn Schritte gegangen und wusste bereits, dass er mit einer der schönsten Frauen des Abends sprach.

„Wenn dein Name tabu ist, was darf ich dann über dich wissen?“ Jake ließ seinen Blick über ihr Kostüm schweifen und nahm dabei ihre natürlich geformten Brüste, ihren flachen Bauch und die schmale Taille wahr. „Allein dein Outfit sagt mir, dass du gefährlich bist. Oder zumindest Lust auf ein Abenteuer hast.“

„Vielleicht.“

„Und wie kann ich dich überzeugen? Ein paar Runden auf der Tanzfläche? Wollen wir uns einen Vorspeisenteller teilen? Im dritten Stock gibt es ein großartiges Spielzimmer. Spielst du gern?“

„Du stellst eine Menge Fragen.“

Sie hatte recht. Jake stellte wirklich viele Fragen. Das war ganz und gar nicht seine Art. In der exklusiven Gesellschaftsschicht, in der Jake verkehrte, waren es häufig die Frauen, die auf Beutefang gingen. Andererseits kam es auch nicht alle Tage vor, dass er mit einer schönen Tigerfrau plauderte. Er beschloss, nicht so streng mit sich zu sein und seine Aufmerksamkeit auf den feinen Leckerbissen vor ihm zu lenken, den er – wenn er seine Karten richtig ausspielte – vielleicht noch vor Ende des Abends vernaschen würde.

„Ich habe das Gefühl, dass das deine erste HalloMask-Party ist. Ich führe dich gern herum.“

„Danke, aber ich bin ein großes Mädchen und kann auf mich selbst aufpassen.“

„Wenn das so ist, verzichte ich auf die Höflichkeitsfloskeln und komme gleich zur Sache, anstatt dir zu erzählen, wie wunderschön du bist und wie sehr ich mein ganzes Leben lang auf eine Frau wie dich gewartet habe. Ich würde nichts lieber tun, als dir dieses Kostüm langsam auszuziehen und zu sehen, ob das, was darunterliegt, so süß schmeckt, wie es von außen aussieht.“

„Ach, so ist das also, ja?“

Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert und zeigte weder Verlangen noch Verachtung. Dennoch hätte Jake schwören können, dass die Luft um zehn Grad wärmer geworden war. „Genauso ist es.“

Eine Sekunde verging. Noch eine.

„Nicht so voreilig, Zorro.“ Sie schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln und zeigte ihre strahlend weißen Zähne.

Wer war diese Frau? Nach all den Drama-Queens, Goldgräberinnen und Debütantinnen war ihre unbekümmerte Art eine wohltuende Abwechslung. Sie kam definitiv nicht aus Chicago. Die Frauen aus dieser Stadt, die bekannt für ihren bitterkalten Wind war, verströmten nicht diese Art von Leichtigkeit. Jake war nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung, nicht einmal nach etwas Regelmäßigem. Er war allerdings offen für einen One-Night-Stand. Wenn der Sex gut genug war, dann auch für ein ganzes Wochenende. Vor allem, da seine Freiheit nach diesem Wochenende dank Lincoln Trotter sowieso eingeschränkt sein würde. Lincoln, der nicht nur auf dem besten Weg war, einer der reichsten Unternehmer in Washington zu werden, sondern auch als politischer Berater für die Wahlen im nächsten Jahr tätig war, hatte Jake gebeten, auf seine Verlobte Sasha McDowell aufzupassen. Die Tochter der bekannten und einflussreichen McDowell-Familie aus Washington würde nach Chicago kommen, um mit ihrer Patentante eine Benefizveranstaltung zu organisieren. Lincoln hatte seinen Freund und potenziellen Geschäftspartner damit betraut, die gierigen Alphawölfe aus Chicago in Schach zu halten, die Sasha mit Sicherheit früher oder später nachstellen würden. Keine unbedeutende Aufgabe und nicht die Art von Verantwortung, die Jake normalerweise auf sich nehmen würde. Dennoch hatte Jake widerwillig zugestimmt. Wenn dies sein letztes Wochenende als freier Mann bis zum Jahresende sein würde, dann wäre eine Nacht voll wildem, unverfänglichem Sex genau richtig. Aber nicht mehr als das. Keine tiefen Gefühle. Keine Verpflichtungen. Zwanglose Verabredungen waren Jakes Modus Operandi. Sein bester Freund und seine älteren Geschwister waren bereits alle verheiratet. Doch der Gang zum Altar kam für ihn vorerst nicht infrage. Dessen war sich Jake sicher.

Die Tigerfrau wandte sich zum Gehen. Jake wollte nicht, dass sie ging. In diesem Moment ertönte ein bekannter R’n’B-Hit.

„Hast du Lust zu tanzen?“

„Später vielleicht“, rief sie ihm über ihre Schulter zu.

Als sie anmutig davonging, konnte Jake ungehindert ihren reizvollen Hintern bewundern, eindeutig eine ihrer Schokoladenseiten. Ihr Tigerschwanz schwang langsam hin und her. Wie gebannt stand er da, fast wie hypnotisiert, so als ob ein Therapeut ihm einen Zauberstab vorgehalten und dabei von zehn bis eins runtergezählt hätte. Er war schon vor der Party hungrig gewesen und hatte eigentlich geplant, sich direkt auf das wie immer üppige Buffet zu stürzen. Aber eine gewisse Raubkatze hatte in ihm eine andere Art von Appetit geweckt, den er nun unbedingt stillen wollte.

„Wie ich sehe, hast du dich endlich mal an den Dresscode gehalten.“

Jake drehte sich um und entdeckte Claude, einen ehemaligen Klassenkameraden aus der Highschool, der ebenfalls in Point du Sable groß geworden war und heute mit der Langhaarperücke, der dunklen Sonnenbrille und den ausgefallenen Rockerklamotten an Rick James erinnerte.

„Ein bisschen.“

Jake rückte die etwas unbequeme Maske zurecht. Das war einer der Gründe, warum er sich bei den letzten HalloMask-Partys nie die Mühe gemacht hatte, sich zu verkleiden. Bislang war er normalerweise direkt nach der Arbeit auf die Party gegangen. Heute Abend hatte er ein paar Stunden Zeit gehabt, sich zu entspannen, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte. Er trug noch immer das legere Business-Outfit ohne Sakko, doch seitdem er die einfache schwarze Maske aufgesetzt hatte, bewegte Jake sich plötzlich ganz anders durch den Raum. Und beim Gespräch mit der Tigerin hatte ihm die Maske definitiv eine Extraportion Selbstvertrauen verliehen, was ihn zu der Überzeugung brachte, dass die Masken vielleicht doch nicht so schlecht waren.

„Die Verkleidungen machen das Ganze interessanter, als ich dachte. Obwohl man bei den meisten Gästen trotzdem erahnen kann, wer sich dahinter verbirgt.“ Er blickte in die Richtung, in die die geheimnisvolle Verführerin gegangen war. „Bis auf eine gewisse Raubkatze, deren Identität mir noch immer ein Rätsel ist.“

„Wenn es nach mir geht, werden wir uns bald näher kennenlernen.“

Claudes Kommentar ärgerte ihn. Eine irrationale Reaktion, aber das ließ sich nicht ändern. Diese Frau hatte etwas an sich, das über die normale Anziehungskraft hinausging, die schöne Frauen auf Jake ausübten. Sie war ihm beinahe vertraut, auch wenn das keinen Sinn ergab. Der Gedanke daran, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war, gefiel ihm ganz und gar nicht. Genauso wenig wie die Vorstellung, dass sie sich nicht mit ihm vergnügen wollen würde.

„Wo ist das Buffet?“, fragte er, um vom Thema abzulenken. „Wie immer auf der ersten Etage?“

Claude schüttelte den Kopf. „Das Essen ist heute Abend auf der zweiten Etage. Der Ablauf wurde wohl wegen des neuen Spiels geändert.“

Jake zog fragend eine Augenbraue hoch. Er war die letzten vier Jahre auf dieser Party gewesen und hatte der Einladung abgesehen von Datum und Uhrzeit wenig Beachtung geschenkt.

„Schnitzeljagd um Mitternacht.“

„Mal was anderes. Hört sich gut an.“ Jakes machte sich auf den Weg zur Treppe, um seinen wieder entfachten Heißhunger zu stillen. Als er die Treppe hinaufging, schmiedete er bereits einen Plan. Er würde zweifellos auf die Jagd gehen und dabei die mysteriöse Tigerfrau ins Visier nehmen.

So ruhig und natürlich, wie es ihre plötzlich puddingweichen Beine und ihr hämmerndes Herz zuließen, bahnte sich Sasha ihren Weg durch das Gedränge. Sie durchquerte ein schick eingerichtetes Wohnzimmer, in dem ein sechs Meter hoher Weihnachtsbaum stand, ging einen mit Kunstwerken gesäumten Flur entlang und betrat eines der vierzehn Badezimmer der prunkvollen Villa. Erst dann ließ sie die Luft entweichen, die sie bis jetzt angehalten hatte, und plumpste auf den mit Fell bezogenen Hocker neben ihr. Keine zehn Minuten auf der Party, und sie hatte bereits ihr Ziel gefunden. Der Mann, der ihr bei der Umsetzung ihres gewagten, etwas lüsternen und völlig untypischen Plans helfen würde, der vor wenigen Tagen Form angenommen hatte. Sasha wollte wissen, wie es sich anfühlte, frei zu sein. Inkognito. Wie es war, in einer Stadt zu wohnen, in der niemand ihren Namen oder ihre Familie kannte. Hier kannte niemand ihren Vater. Niemand wusste von der Last, die auf den Schultern eines jeden Kindes der McDowell-Familie lastete. Nachdem sie einen Monat vor ihrer Abreise aus Washington heimlich ihre Verlobung aufgelöst hatte, wollte Sasha ihre persönliche Fantasie ausleben und eine hemmungslose, unverbindliche Nacht mit einem Mann verbringen, zu dem sie sich ausschließlich körperlich hingezogen fühlte.

Diese Art der Intimität hatte sie nicht mehr erlebt, seit sie mit Lincoln zusammengekommen war. Der Sex mit ihm war durchschnittlich, vorhersehbar und meist unbefriedigend für Sasha. Lincolns Künste im Bett waren ungefähr so konservativ wie seine politischen Überzeugungen. Das eine Mal, als sie Oralsex vorgeschlagen hatte, war er so entsetzt gewesen, dass man hätte meinen können, sie hätte gefragt, ob sie seinen Penis abbeißen dürfe. Der Doggy-Style war das Unanständigste, was er sich vorstellen konnte. Wie wäre es, eine der Frauen aus den Liebesromanen zu sein, die sie und ihre Freundinnen in der Schule verschlungen hatten? Bis zum Orgasmus getrieben zu werden, danach zitternd und ausgelaugt vom Rausch der Lust zu sein? Gab es so etwas wirklich nur in Büchern und Filmen?

Sasha wollte es wissen und hatte das Gefühl, dass eine Party wie diese ihre Chance war, es herauszufinden. Reign, die Schwester von Lincolns gutem Freund Jake Eddington, hatte ihr kürzlich bei einem Telefonat von der HalloMask-Party erzählt. Sie hatte verschwörerisch gelacht, als sie Sasha einige der wilden Geschichten auftischte, die sich dort ereignet hatten. Sobald sie aufgelegt hatte, schmiedete Sasha einen Plan und begann, ihn so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, bevor die Vernunft siegte und sie es sich anders überlegte. Der Plan ging auf. Jetzt war sie hier, mit weichen Knien und einer feuchten Yoni, und fantasierte davon, wie sie Zorro in ihr Bett locken konnte.

Es gab einen Mann, um den sie einen Bogen machen musste – Jake, der während ihres Aufenthalts in Point du Sable zweifelsohne Lincolns Auge und Ohr sein würde. Nicht, dass sie ihn nicht sehen wollte. Ganz im Gegenteil. Wenn sie sich ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen könnte, dann wäre er Teil ihrer Sex-Eskapade. Aber um die Gründe aufzuzählen, warum Jake tabu war, bräuchte sie mehr als nur zwei Hände. Trotzdem hatte sie seit der Einladung ihrer Patentante, sie in Chicago zu besuchen, darüber nachgedacht, wie sie Jake näherkommen könnte. Das war keine leichte Aufgabe angesichts seiner Beziehung zu Lincoln und schien beinahe unmöglich, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Ex-Verlobter ausgerechnet den Mann gebeten hatte, ihr Beschützer zu sein und potenzielle Verehrer fernzuhalten, den sie sexuell begehrte. Dass sie sich heimlich getrennt hatten, spielte keine Rolle. Sasha wusste, warum Lincoln ihre Entscheidung so gelassen aufgenommen hatte. Er dachte, dass es dieses Mal so sein würde wie immer. Dass sie es sich nach ein oder zwei Monaten anders überlegen würde. Da irrte er sich, denn das würde dieses Mal nicht passieren. Sobald die Feiertage vorbei waren, würde sie die Trennung bekannt geben. Dann würde es auch ihr Ex-Verlobter begreifen.

Ihr Verlangen nach Jake spielte keine Rolle, besonders heute Abend nicht. Laut Reign war die Wahrscheinlichkeit, dass er hier sein würde, sehr gering. Die Party fand am selben Abend statt wie ein Footballspiel, das er sich so gut wie nie entgehen ließ – die Bears, eine Mannschaft, in der mehrere von Jakes Klienten spielten, traten gegen ein bekanntes, rivalisierendes Team an. „Und wenn er doch auftaucht“, hatte Reign gesagt, „wird er definitiv keine Maske tragen.“

„Warum nicht?“

„Ich vermute, weil mein eingebildeter Bruder nicht will, dass sein ach-so-gut-aussehendes Gesicht verdeckt wird. Er verkleidet sich normalerweise nicht.“

Sasha hatte gleich zu Beginn einen schnellen Rundgang durch alle drei Etagen gemacht. Es gab mehrere Männer ohne Maske. Jake war nicht dabei. Seine Abwesenheit war zumindest in diesem Moment eine große Erleichterung für Sasha und gab ihr die notwendige Freiheit, diese neue, abenteuerlustige Version ihrer selbst zu sein. Nur so konnte sie auf einen Fremden zugehen und schamlos mit ihm flirten, ohne fürchten zu müssen, dass sie jemand sah und Lincoln davon erzählte. Oder ihren Brüdern. Oder ihren Eltern.

Sasha verscheuchte die Gedanken an ihren Ex, ihre Familie und Washington und konzentrierte sich darauf, was jetzt zu tun war. Du hast ihn gefunden, deinen Lover für die Nacht. Was jetzt?

Gute Frage. Zum ersten Mal, seit sie diesen verrückten Einfall hatte, nahm sie sich die Zeit, um darüber nachzudenken, was sie hier eigentlich machte. Und wie vernünftig es war, heimlich einen völlig Fremden zu verführen und eine Gelegenheit zu nutzen, die sich so vielleicht nie wieder ergeben würde.

Damals hatte sich die Idee gut angehört. In ihrem Kopf. In ihrem sicheren, gemütlichen Schlafzimmer in einem Vorort von Washington, D. C. Reign hatte Sasha angerufen, um ihr zu sagen, dass sie nicht da sein würde, um Sasha in Empfang zu nehmen, wenn sie am Sonntagmorgen landete. Reign musste wegen der kurzfristigen Absage eines Models spontan an die Westküste fliegen und einer befreundeten Modedesignerin aus der Patsche helfen. Im Gespräch erwähnte Reign beiläufig etwas anderes, das ihr entgehen würde: die HalloMask-Party, eine Pflichtveranstaltung für die Chicagoer Elite. Aufwendige Kostüme wären ein absolutes Muss, hatte Reign erklärt, um die eigene Identität in einem Raum voller Menschen geheim zu halten, sie sich sehr gut kannten. Das war Teil der Herausforderung des Abends, um zu sehen, wer am längsten unerkannt blieb, obwohl Reign zugegeben hatte, dass die meisten Identitäten noch vor Ende des Abends aufgedeckt wurden.

Es war eine sehr private Angelegenheit. Dennoch war es einfach, die nötigen Details zu erfragen. Angetan von ihrer Idee hatte Reign ihr alles über die protzige Villa, die detaillierte Einladung und den vierstelligen Zugangscode erzählt, den nur die Gäste kannten. Sie kannte die Eddington-Familie gut und würde offiziell erst Sonntag in Chicago landen. Was konnte es schon schaden? Und schon nahm ihr Plan Gestalt an. Sie würde etwas Kühnes, etwas Untypisches tun und die Rolle ablegen, an die sie als die Tochter eines Botschafters und prominenten Insiders im US-Kongress gefesselt war. Sie stand unter ständiger Beobachtung. Soweit sie sich erinnern konnte, wurde jeder ihrer Schritte überwacht. Ihr Leben wurde sorgfältig für sie geplant, um mögliche Skandale zu vermeiden. Ihre Kleidung, Schulbildung, bis hin zu ihrem Liebesleben. Sogar ihren Verlobten hatten ihre Eltern ausgesucht und abgesegnet, weswegen die Trennung auch nach einem Monat noch streng geheim war. Lincoln hatte sie gebeten, diese Neuigkeit geheim zu halten. „Bis du aus Chicago zurückkommst“, hatte er hinzugefügt, sicherlich im Glauben, dass sie es sich anders überlegen würde. Schließlich war es immer so gewesen, wenn sie versucht hatte, die Beziehung, die sich für sie nie wirklich richtig angefühlt hatte, zu beenden. Dieses Mal war es anders, denn Sasha hatte sich verändert. Dennoch willigte sie ein, mit der Bekanntgabe der Neuigkeiten zu warten. Einerseits, weil er sie darum gebeten hatte, aber auch, weil sie nicht gerade scharf darauf war, einen Familienstreit auszulösen und allen die Feiertage zu verderben.

Weniger als eine Stunde nach ihrem Telefonat mit Reign hatte Sasha bereits ihre Flüge umgebucht, einen Fahrdienst bestellt und ein Zimmer in einem gehobenen Hotel in Chicago reserviert. Dann rief sie ihre Patentante an, um ihr zu sagen, dass sie nicht vom Flughafen abgeholt werden müsse und sie sich beim geplanten Brunch mit der Eddington-Familie sehen würden. Ihr Ex-Verlobter hatte die Planänderung nicht hinterfragt, und ihre Eltern wussten nichts davon. Sie liebten und vertrauten Lincoln und gingen davon aus, dass Sasha die Nacht vor ihrem Abflug bei ihm verbringen würde. Dass dem nicht so sein könnte, würde ihren Eltern nicht im Traum einfallen. Für sie war Sasha immer noch die schüchterne, behütete Internatsschülerin, die sich an die Regeln hielt, und nicht die selbstbewusste, wagemutige vierundzwanzigjährige Frau, die einst ihren damaligen Freund in die Mädchenschule in der Schweiz geschmuggelt hatte oder allein durch Europa gereist war, um eine Wette zu gewinnen.

Es verlief alles nach Plan. Sie war in Chicago angekommen, hatte im Hotel eingecheckt und sich umgezogen. Danach hatte sie sich in das schicke Viertel chauffieren lassen, in dem die Party stattfand. Lediglich beim Eintippen des Codes verspürte sie einen kleinen Anflug von Panik. Doch als hinter der Tür die Menschenmenge zu sehen war und die Musik, das Gelächter und der Geruch von fabelhaftem Essen auf sie einströmten, war Sasha in ihrem Element. Sie hatte sich zunächst mit der Location vertraut gemacht und ihn dann entdeckt. Zorro. Die pure Verkörperung einer jeden Frauenfantasie. Sofort verspürte sie das Kribbeln einer ganzen Schar von Schmetterlingen in ihrem Bauch. In diesem Moment wusste sie, dass er der Richtige war. Es war ausgeschlossen, dass ein Mann, der sie binnen Sekunden zum Dahinschmelzen brachte, ohne sie auch nur berührt zu haben, nicht auch verdammt gut im Bett war.

Es gab nur eine Sache, die noch beängstigender war, als solch einen verrückten Plan zu schmieden: ihn in die Tat umzusetzen.

Jemand rüttelte an der Türklinke und riss Sasha aus ihren Gedanken. „Eine Sekunde!“

Sie stand vom Hocker auf, befeuchtete eines der zusammengerollten Handtücher mit kaltem Wasser und tupfte vorsichtig ihr gerötetes Gesicht ab. Dann holte sie Lippenstift und Puder aus der kleinen Pelztasche, die sie passend zu ihrem Outfit gekauft hatte. Nachdem sie ihr Make-up aufgefrischt und das hüftlange, goldene Haar ihrer Perücke ausgeschüttelt hatte, holte Sasha tief Luft und öffnete die Tür. Auf der anderen Seite erwartete sie ein vollständig maskierter Black Panther.

„Sorry“, murmelte Sasha, als sie sich rechts an ihm vorbeischieben wollte.

Black Panther versperrte ihr den Weg. „Hey, nicht so schnell, kleines Kätzchen. Was hältst du davon, wenn wir uns ein bisschen beschnuppern, von Katze zu Katze?“

Sie nahm die bekannte Pose des Superhelden ein, indem sie die Arme vor der Brust kreuzte, und rief „Lang lebe Wakanda!“, bevor sie sich von ihm abwendete.

„Hey, warte!“

Sasha eilte den Flur entlang und die Treppe hinauf in ein Zimmer, an dessen Ende eine voll ausgestattete Bar stand. Hier oben waren weniger Leute und keine Spur von Zorro. Sie atmete tief durch, verlangsamte ihr Tempo und ging hinüber zur Bar, wo ihr ein freundlicher Barkeeper ein Glas Wein einschenkte. Sie nahm auf einem Polstersessel Platz, der teilweise von einem weiteren großen Weihnachtsbaum verdeckt wurde. Ideal, um die Menge zu beobachten und ihren nächsten Schritt zu planen. Während der nächsten halben Stunde genoss Sasha ihre Rolle der Beobachterin, nippte an ihrem zweiten Glas exklusiven Wein und verschlang einen kleinen Teller mit leckerem Fingerfood. Sie konnte Reign nur zustimmen – die Kostüme waren ebenso geheimnisvoll wie ausgefallen. Es gab viele Perücken, Sonnenbrillen und Superheldenmasken, die das gesamte Gesicht verdeckten, sowie Promi- und Filmstarverkleidungen. Die meisten verbargen tatsächlich ihre Identität. Im Vergleich dazu gab Zorros Outfit, das lediglich aus einer einfachen Maske bestand, deutlich mehr preis.

Sie war noch in ihre Gedanken vertieft, als Zorro am oberen Ende der Treppe erschien. Er war nicht allein. Neben ihm stand Cardi B. – oder vielleicht eine langhaarige Rihanna. Wen auch immer die Frau mit ihrem Kostüm darstellte, sie sah umwerfend aus in ihrem hautengen Paillettenkleid. Sie trug eine übergroße Sonnenbrille, eine lange Schwarzhaarperücke und zwölf Zentimeter hohe High Heels von Louboutin. Sie umklammerte Zorros Arm und hing allem Anschein nach an seinen Lippen. Sasha überkam ungewollt ein Gefühl der Eifersucht. Erleichtert sah sie, wie die Frau über etwas lachte, das Jake gesagt hatte, seinen Arm drückte und zum Buffet hinüberging. Sasha wusste, dass es jetzt an ihr lag, ihm zu zeigen, dass sie interessiert war, bevor ihr jemand anderes zuvorkam. Mit seinem Kostüm sah er vielleicht aus wie Zorro oder der Lone Ranger. Aber wenn diese Party auch nur annähernd so war wie die Partys, die sie kannte, würde er nicht mehr lange allein sein.

2. KAPITEL

Jake runzelte leicht die Stirn. Er hatte fast eine Stunde damit verbracht, unauffällig nach der Unbekannten Ausschau zu halten, die ihn mit ihrem Lächeln bereits während ihres kurzen Wortwechsels komplett in ihren Bann gezogen hatte. Genau in diesem Moment hätte er schwören können, dass er ihren unverwechselbaren Duft wahrnahm. Gerade als er den Entschluss fassen wollte, endgültig mit der Suche aufzugeben, schaute er auf und sah, wie das Objekt seiner Begierde auf ihn zukam. Sie sah auf ihr Smartphone und schrieb eine Nachricht, während sie sich zwischen den Gästen auf dem Weg zur Treppe hindurchschlängelte. Er würde sie nicht noch einmal in der Menge verlieren.

„Da bist du ja“, sagte er, als er ihr sanft mit seiner Hand Einhalt gebot. Obwohl sein Herz schneller schlug, blieb seine Stimme entspannt.

Sie sah auf. „Oh, hi.“

„Wie findest du die Party?“

„Ganz okay.“

Als Reaktion auf ihre Bemerkung zog Jake eine Augenbraue hoch. Es gab Leute, die schon seit Jahren versuchten, sich auf die HalloMask-Party zu schmuggeln.

„Ganz okay? Amüsierst du dich nicht?“

Sashas Lächeln erhellte den Raum und ließ die niedlichen Schnurrhaare ihrer Halbmaske auf und ab wippen. Sie hatte gleichmäßige Gesichtszüge, glatte Haut und etwas, das im helleren Licht des Obergeschosses wie ein Grübchen aussah, das unter ihrer Fellmaske hervorblitzte.

„Ich war schon auf besseren Partys. Aber diese Villa“, Sasha hielt inne und sah sich anerkennend um, „ist eine der beeindruckendsten, die ich je gesehen habe. Das Essen ist köstlich. Ich schätze, alles, was diesem Abend fehlt, ist der Tanz, den du mir vorhin angeboten hattest.“

Ein Lächeln breitete sich auf Jakes Gesicht aus. „Das hört sich schon besser an. Lass uns tanzen!“

Als er seine Hand auf ihren Arm legte, spürte er, wie ihn jemand anstupste. „Halt mal bitte.“

Elaine. So schnell hatte die Tigerfrau ihn vergessen lassen, dass er nicht allein nach oben gekommen war.

Elaine hielt ihm einen kleinen Teller voller Köstlichkeiten hin. „Ich weiß, du hast gesagt, dass du keinen Hunger hast, aber diese Käsemakkaroni mit Trüffelaroma sind einfach exquisit. Die musst du unbedingt probieren. Und die Mini-Hotdogs mit BBQ-Bourbon-Dip. Ein Traum!“

„Tut mir leid“, flüsterte Jake, als er seine Hand von Sashas Arm löste und nach dem Teller griff, den Elaine ihm hinhielt. Erst jetzt schien seine alte Freundin und gelegentliche Affäre zu bemerken, dass sie ihn bei etwas unterbrochen hatte.

„Entschuldige, Süße“, sagte Elaine, warf dabei ihre Haare zurück und ahmte gekonnt den Sprachstil der Rapperin nach. „Aber der gehört mir!“

Jake war erleichtert, dass die Tigerin ein Lächeln zustande brachte.

„Ah, du bist also doch Cardi B. Ich hatte mich schon gefragt, ob du Rihanna oder Cardi B. bist.“

„Nun, jetzt weißt du Bescheid. Alles klaaar?“

Das Lachen der Tigerfrau klang angenehm und melodisch. Auch Jake musste lachen. Elaines Imitation der berühmten Rapperin war einfach zu gut.

Sasha lächelte Elaine an und zwinkerte Jake zu. „Viel Spaß euch.“

Noch ehe Jake etwas erwidern oder sie aufhalten konnte, drehte sie sich um und ging die Treppe hinauf in die dritte Etage.

„Verdammt, Elaine“, sagte er sichtlich genervt. „Was sollte das?“

„Ich spiele nur meine Rolle.“ Sie schob ihre Retro-Sonnenbrille hoch und sah Jake an. „Du bist doch nicht sauer auf mich, oder?“

Zum zweiten Mal an diesem Abend war Jake verärgerter, als er zugeben wollte, aber das ließ er sich nicht anmerken. Mit einem leichten Kopfschütteln schnappte er sich einen Happen Käsemakkaroni.

„Nein, alles gut“, sagte er, nachdem er den Leckerbissen verschlungen hatte.

„Wer war das überhaupt?“

„Die Tigerfrau?“ Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Es kommt nur selten vor, dass ich jemanden nicht zuordnen kann, Maske hin oder her. Aber sie kommt mir nicht bekannt vor.“

„Du weißt doch, dass die Organisatoren ab und zu mal einen Prominenten einladen, um das Ganze etwas interessanter zu machen.“

Elaine starrte in die Richtung, in die Sasha gegangen war. „Glaubst du, dass sie berühmt ist?“

„Gut möglich.“ Jake aß die restlichen Häppchen auf und stellte seinen Teller auf einem Tisch ab. „Du hast recht. Das Essen ist wirklich gut. Danke, dass du mir etwas mitgebracht hast. Ich denke, ich gehe rüber zur Bar und hole mir einen Drink.“

„Ich begleite dich.“

Mist. Elaine abzuschütteln würde schwieriger sein, als Jake gedacht hatte.

Er bestellte ein Bier, Elaine einen Dirty Martini.

„Wollen wir irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind, ich in Ruhe aufessen kann, wir unsere Drinks genießen und dann …“, Elaine zog ihre Augenbrauen anzüglich nach oben, „eine kleine Privatparty feiern?“

„Klingt verlockend“, brachte Jake hervor, obwohl er keine große Lust verspürte. „Aber heute Abend werde ich ganz anständig sein.“

„Daran zweifle ich nicht, und deshalb will ich dich ganz für mich allein haben.“

Jake beugte sich vor und gab Elaine einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Ein andermal, meine Liebe. Vielen Dank für die Stärkung. Wenn du mich entschuldigst, ich werde mich unter die Leute mischen.“

Obwohl es ihn innerlich in den dritten Stock zur Tigerin zog, schlenderte Jake lässig die Treppe hinunter und durch die riesigen Räume des Anwesens. Dabei begegnete er Superhelden, Film- und Fernsehcharakteren, Prominenten und einem Elvis-Double mit zurückgegelten Haaren und einem goldenen Lamé-Anzug, der gerade ein paar sehr überzeugende Tanzeinlagen des King of Rock’n’Roll zum Besten gab. Jake unterhielt sich mit ein paar Freunden, die er hinter der Verkleidung erkannte. Er hörte sich geduldig den Vortrag eines aufstrebenden Boxers an, der einen Agenten suchte, obwohl er ihm erklärt hatte, dass er bei ihm an der falschen Adresse war. Dann ging er wieder die Treppe hinauf in den dritten Stock, in der Hoffnung, sie nicht verpasst zu haben.

Hier oben war es weniger laut. Gedimmtes, indirektes Licht sorgte für eine entspannte Atmosphäre. Er erreichte den großen, runden Treppenabsatz. Jake sah sich um und bemerkte, dass mehrere Türen geschlossen waren und aus der offenen Badezimmertür der Schein eines Nachtlichts drang. Er ging in Richtung Badezimmer. Am Ende des Flurs lag das Spielzimmer, aus dem das Gemurmel einer Unterhaltung zu hören war. Vielleicht die Tigerfrau? Sein Herz schlug schneller. Ein kurzer Blick in das Zimmer ließ seine Hoffnung schwinden. Mehrere Leute unterhielten sich, ein paar Gäste spielten Videospiele der 70er und 80er an alten Arcade-Automaten, und andere saßen auf Barhockern, flirteten oder beobachteten eine lebhafte Partie Shuffleboard. Jake verließ den Raum und ging in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Er war fast am Treppenabsatz angelangt, als sich eine Tür öffnete und er ein leises Pssst hörte. Er drehte sich um und sah, dass die Tür gerade weit genug geöffnet war, um den Blick auf einen hin und her wippenden Tigerschwanz freizugeben, der alsbald im dunklen Zimmer verschwand. Jake zögerte nicht und kam der Aufforderung sofort nach. Nachdem er sich kurz umgeschaut hatte, umschloss er den Türknauf und öffnete die Tür weit genug, um einzutreten.

Er konnte sie riechen. Dieser unbekannte Geruch, der ihn den ganzen Abend verfolgt hatte, kitzelte ihn erneut in der Nase.

„Was für ein Parfüm ist das?“

Sie kicherte. „Bist du deswegen hier? Um über Parfüm zu sprechen?“

„Ich will dich sehen.“

„Nein!“ Dann fügte sie etwas sanfter hinzu: „Das Licht bleibt aus. Zieh dich aus, aber behalt deine Maske auf.“

„Was?“ Die Anweisung gefiel ihm, aber überraschte ihn dennoch.

„Es sei denn, du willst beim Sex lieber deine Sachen anbehalten?“

Ihre Direktheit war wie ein Adrenalinkick, der ihn direkt im Schritt traf. Blut strömte in seinen Penis und ließ ihn steif werden. Jake verschloss die Tür. Er öffnete seine Gürtelschnalle. Das metallene Geräusch war seine Antwort auf ihren Befehl. Als er das Rascheln der Bettdecke hörte, stellte er sich vor, wie seine persönliche Miezekatze es sich im Bett bequem machte. Er beeilte sich. Ein Hauch von Mondschein drang durch die nicht vollständig verschlossene Jalousie in das Zimmer und half ihm, das Bett zu finden. Er schlüpfte aus seinen sportlichen Slippers und spürte, wie sie mit ihren Fingernägeln über seinen Rücken strich. Er stand auf, holte ein Kondom aus seiner Brieftasche und steckte sie wieder in die Hose, die er dann samt Boxershorts auszog.

Inzwischen hatte sich ein weiterer Duft zu dem würzigen, blumigen Parfüm seiner Verführerin gesellt. Ihr eigener Duft. Ihr leises Stöhnen bewies, dass sie sich bereits ihrer Lust hingegeben und die Dinge buchstäblich in die eigene Hand genommen hatte. Der Gedanke daran war so sexy, dass er sich nicht weiter auszog, sondern sich sofort zu ihr gesellte. Er ertastete ihren weichen, nackten Oberschenkel. Ihre Hand berührte sein Gesicht, noch feucht von ihren Tiefen. Sie roch süß, berauschend, nach einem Hauch von Vanille und Zimt, wie eine zuckrige Zimtschnecke. Jake küsste ihren Oberschenkel, ließ seine Zunge über ihren nackten Körper wandern. Als er seine Hand nach oben gleiten ließ, stellte er fest, dass der Minirock bis zur Taille gezogen war. Sie trug noch immer ihre oberschenkelhohen High Heels und die Maske.

Wow!

Sie bewegte sich hin und her, bis ihr Paradies direkt vor seinem Gesicht lag. Ihre kreisenden Hüften verrieten ihm eindeutig ihren Wunsch. Wie konnte er da widersprechen oder sie warten lassen? Er küsste sie durch ihren Spitzentanga hindurch. Sie legte ihre Hand auf seinen Kopf und bedeutete ihm, tiefer zu gehen. Er gehorchte, schob mit einem Finger den feinen Stoff beiseite und glitt mit seiner Zunge in den nassen Spalt ihrer Vulva. Sie schmeckte wie Ambrosia. Er fühlte sich wie im Himmel. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er schwören können, Musik zu hören. Stattdessen vernahm er, wie seine Katze vor Befriedigung leise stöhnte und murmelnd ihre Glückseligkeit kundtat, als er ihre Lippen mit der Zunge umkreiste und ihre Perle neckte. „Mhm, so gut …“ Sie kreiste weiter mit den Hüften, langsam, rhythmisch, und drückte sich gegen seinen Mund. „So gut. So gut. Ah, ahhh!“

Er war gut, das wusste er. Jake war nicht eingebildet, aber die Künste, die er mit seinem Mund vollbrachte, waren bei den Frauen legendär. Er kannte mehr als eine Frau, die geschworen hätte, dass seine Zunge magische Kräfte besaß. Andere hatten darauf bestanden, dass sie eine gefährliche Waffe wäre, für die er einen Waffenschein bräuchte.

Jake spreizte ihre Lippen mit seinen Fingern und drang dann mit einem langen Finger in ihre glühende Tiefe ein. Sasha löste sich mit ihrer Hüfte vom Bett. Ihre Beine fingen an, leicht zu zittern. Er leckte, saugte, neckte und küsste sie so lange, bis sie die Kontrolle über sich verlor. Er spürte, wie sie sich hin- und herwarf, hörte den erstickten Schrei der Ekstase unter dem Kopfkissen. Sein bestes Stück, das bereits vor Erregung pulsierte, war nun hart wie Stein. Jake zog das Kondom über und beobachtete, wie seine Angebetete sich nun auf allen vieren vor ihm positionierte und ihm ihren Hintern präsentierte. Ehrfürchtig vergrub er seine Hände in ihren üppigen Kurven und massierte sie, während er seine Erektion an ihrer Spalte rieb.

Seine Gedanken kreisten um eine einzige Frage: Wer war diese Göttin? Der Sex war noch nicht einmal vorbei, da wusste er bereits, dass er sie wieder wollte. Er beugte sich nach vorn, um die Grübchen zu küssen, die ihn im sanften Licht des Mondes anblitzten. Erst dann bemerkte er ihr Libellentattoo. Jake durchkämmte sein Gedächtnis. Nichts. Er war ein aufmerksamer Mann. Er stand auf Tattoos und würde sich an so ein farbenfrohes und ungewöhnliches Tattoo wie jenes, das er jetzt leckte, erinnern. Doch so, wie sein ganzer Körper nun bebte, hatte er keine Zeit mehr, länger darüber nachzudenken. Alles, was er wollte, war, seine Männlichkeit in ihr zu vergraben. Jake brachte sich vor ihr in Stellung und tat genau das, in einem tiefen, genüsslichen Stoß.

Sie fühlte sich unglaublich an. Jeder einzelne Nerv kribbelte bei dem Gefühl ihrer Enge. Sie drängte sich ihm entgegen und brachte ihn damit noch mehr in Fahrt. Jake legte seine Hände an ihre Hüften, schloss die Augen und gab sich dem Rausch hin. Rein, raus, erst leichte, dann festere Stöße. Wieder und wieder vereinigten sie sich. Er drehte sie sanft auf den Rücken, sodass sie sich überall berührten. Er küsste sie und explodierte beinahe. Ihre Lippen waren so unglaublich weich. Ihre Zunge so frech und verlockend. Ihr Körper passte perfekt zu seinem. Jake hob ihr Bein an und drang erneut in ihre Tiefe ein, die er sich bereits zu eigen gemacht hatte. Sasha stand ihm in nichts nach. Sie bewegte ihre Hüften, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, und strich mit ihren Fingernägeln über seinen Rücken. Sie bewegten sich in einem langsamen Rhythmus, als wäre es nicht das erste Mal, dass sie miteinander schliefen. Er wollte noch stundenlang weitermachen, aber er war kurz davor zu explodieren. Sie spürte es auch. Sie schlang ihre Beine um seine Hüfte und genoss seine nun kräftigen Stöße. Sasha zischte und vergrub ihre Nägel in seinen Rücken, als sich ihr zweiter Orgasmus mit seinem vereinigte. Nebeneinanderliegend rangen beide nach Luft. Eigentlich war Jake kein Kuscheltyp, aber jetzt wollte er die Frau, deren Namen er immer noch nicht kannte, in seine Arme ziehen. Sie wich ihm aus und verließ stattdessen das Bett.

„Ich gehe schnell duschen“, sagte sie. „Wenn ich fertig bin, bist du bitte nicht mehr hier.“

Niedergeschlagen rollte Jake sich auf die Seite. „Wie heißt du?“

„Das bleibt besser ein Geheimnis.“

Jake sah das anders.

„Du warst unglaublich“, rief sie ihm noch zu, bevor sie das En-Suite-Bad betrat. „Pass gut auf dich auf, Zorro.“

Sie schloss die Tür. Jake hörte, wie sie den Schlüssel umdrehte und die Dusche aufdrehte. Völlig verwirrt und erschöpft ließ er sich auf das Bett fallen. Zu seinem ohnehin schon vollen Terminkalender kam nun noch eine weitere Aufgabe hinzu – er würde herausfinden, wer diese sexy Tigerfrau war. Koste es, was es wolle. Jake schwor sich, dieses Rätsel zu lösen.

3. KAPITEL

Die fröhlichen Klänge eines aktuellen Pop-Hits rissen Sasha aus einem tiefen, friedlichen Schlaf. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach ihrem Smartphone, öffnete widerwillig ein Auge und schaltete den Wecker aus. Sie reckte und streckte sich. Dann schlug sie ihre Augen auf und setzte sich kerzengerade hin. Ein leichtes Ziehen zwischen ihren Beinen erinnerte sie an die unanständigen Spielereien der letzten Nacht. Sie hatte es getan! Sie hatte ihren verrückten Plan in die Tat umgesetzt und tatsächlich mit einem Traummann geschlafen. Einem völlig Fremden. Sie hatte sich einen One-Night-Stand gegönnt und fühlte sich verdammt gut damit. Die Nacht mit Zorro war besser als alles, was sie sich vorgestellt hatte, aber … was zum Teufel hatte sie sich dabei gedacht?!

Sasha schnappte sich ein Kissen, drückte es an ihre Brust und ließ sich zurück auf das Bett fallen, um noch einmal jede köstliche Sekunde ihres sinnlichen Austauschs Revue passieren zu lassen. Zorros Körper, durchtrainiert und stark. Seine Lippen, weich und verführerisch. Seine Zunge, geschickt und zielstrebig. Sein … Sasha schlug die Decke zurück und stand auf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gedanken. Nicht, wenn sie in etwas mehr als einer Stunde ihre Patentante treffen würde und kurz danach vermutlich auch ihren inoffiziellen Aufpasser Jake, seine Eltern Derrick und Mona und die restliche Eddington-Familie. Nicht, wenn sie die Femme fatale von letzter Nacht wegschließen und die schüchterne, stille Politikertochter spielen musste, die man in Point du Sable erwartete. Sasha hielt sich nicht für eine gute Schauspielerin. Abgesehen von gestern Abend war sie seit einem Theaterstück in der Highschool nicht mehr in eine andere Rolle geschlüpft. Heute musste sie allerdings eine preisverdächtige Darbietung hinlegen, wenn sie ihr Geheimnis für sich behalten wollte. Nach einer solch prägenden sexuellen Begegnung so zu tun, als wäre sie noch immer dieselbe Person wie vor dem denkwürdigen Tête-à-Tête, würde ihr einiges abverlangen.

Selbst jetzt, Stunden später, war ihr Körper noch wie elektrisiert. Sasha rieb ihre Hände aneinander und dachte an den straffen Hintern ihres Liebhabers, spürte noch einmal seine Fingerspitzen auf ihrer nackten Haut. Der Gedanke war einfach verrückt, aber sie hatte beinahe das Gefühl, sich verliebt zu haben. So vertraut waren die beiden gewesen. Würde sie es schaffen, die Gedanken zu verbergen, die ihr sicher jeder an der Nasenspitze ansehen würde? In einem Raum voller Menschen, die sie kannten? Sasha unterdrückte die aufkommende Panik. Entweder sie zog es durch, oder sie riskierte etwas, das ihre Familie verabscheute – einen Skandal. Das würde sie nicht zulassen. Allerdings konnte sie die Geschehnisse der letzten Nacht auch nicht ungeschehen machen. Es würde das Beste sein, wenn sie ihre besten Manieren herausholte und gelassen blieb. Zeit, sich für die Show fertig zu machen.

Nachdem Sasha aus dem Hotel ausgecheckt und sich mit ihrem Fahrer unterhalten hatte, war die kühne Tigerfrau vom Vorabend gezähmt und vergessen. Die Perücke war wie das restliche Kostüm in einem der Müllcontainer des Hotels verschwunden. Stattdessen trug sie einen marineblauen Hosenanzug, darauf abgestimmte, zehn Zentimeter hohe Pumps und eine dreireihige Perlenkette. Der Wollmantel, den ein Nachwuchsdesigner aus Washington entworfen hatte, lag auf dem Rücksitz. Sashas dickes, schulterlanges Haar war im Hotelsalon perfekt geglättet und an den Spitzen nach außen geföhnt worden. Der Fransenpony rundete den braven Look ab und betonte gleichzeitig eines ihrer hervorstechendsten Merkmale – ihre braunen Rehaugen. Anstelle des dick aufgetragenen Make-ups, mit dem sie gestern ihre Identität überschminkt hatte, trug sie heute einen Hauch von Puder, etwas Wimperntusche und durchsichtiges Lipgloss. Trotz ihrer vierundzwanzig Jahre hätte sie so auch locker als Teenager durchgehen können.

Abgesehen von einer Nachricht von ihrem Ex-Verlobten Lincoln, die sie ignorierte, war die kurze Fahrt von Chicago nach Point du Sable ereignislos. Sasha versuchte, nicht an Lincoln und die Probleme zu denken, die sie zu Hause erwarteten, als sie die Architektur und die gepflegten Anlagen der Kleinstadt bewunderte. Sie war ehrlich zu Lincoln gewesen und froh, dass sie ihre Beziehung beendet hatte. Dennoch konnte sie die Schuldgefühle ihm gegenüber nicht abschütteln, genauso wenig wie das Gefühl von Zorros Händen auf ihrer Haut. Wenn es ihr nachher ebenso schwerfallen würde, solch unerlaubte Gedanken zu verdrängen, stand ihr ein interessanter Nachmittag bevor.

Nach wenigen Minuten bogen sie in eine Straße ein, die von mittelgroßen Häusern und weitläufigen Vorgärten gesäumt war. Das Haus ihrer Patentante befand sich auf halber Höhe der Sackgasse. Herausragend und beeindruckend – genau wie die Frau, die an der großen Haustür in Rundbogenform stand und ihr zuwinkte.

„Val!“

„Sasha!“

Die beiden Frauen umarmten sich überschwänglich, küssten sich auf die Wange und umarmten sich erneut.

„Meine Güte, was sehen meine müden, alten Augen? Du siehst bezaubernd aus!“

„Ach hör bloß auf damit! Du siehst überhaupt nicht müde aus, und alt bist du auch nicht.“

„Erstaunlich, welche Wunder professionelles Make-up bewirken kann“, winkte Val schmunzelnd ab.

Sie wartete, bis der Fahrer den letzten Teil von Sashas Gepäck abgestellt hatte, griff dann nach dem nächstbesten Rollkoffer und zerrte ihn hinter sich her. Sasha schnappte sich die beiden anderen Gepäckstücke und folgte ihr ins Haus. Sie gingen durch das Foyer und einen langen, schmalen Korridor entlang, bis sie ein geräumiges, lichtdurchflutetes Gästezimmer erreichten, das in verschiedenen Grüntönen gehalten war.

„Warum hast du einen Fahrer engagiert, Darling? Es wäre wirklich kein Problem gewesen, dich vom Flughafen abzuholen.“

„Mach dir keine Gedanken, Val, wirklich. Der Grund war eher eine kurzfristige Planänderung.“ Sasha erzählte ihr von Reigns spontaner Reise nach Kalifornien und dass sie deswegen nicht beim Brunch dabei sein würde. Das war zwar nicht der wahre Grund, aber auch nicht komplett gelogen.

„Wie auch immer, ich bin sehr froh, dass du hier bist.“ Val ging durch das Zimmer und öffnete die Tür zu einem begehbaren Kleiderschrank. „Deine Sachen kannst du hier unterbringen. Die Kommode ist auch leer. Fühl dich hier wie zu Hause.“

„Danke, Val. Ich packe später aus.“

„Gute Idee.“ Sie verließ das Zimmer und ging mit Sasha zurück durch den Flur in den Wohnbereich. „Ich soll dich von Valencia grüßen und dir sagen, wie dankbar sie dir ist, dass du sie vertrittst. Sie will sich nächste Woche bei dir melden.“

„Wie geht es deiner Tochter? Rettet Valencia noch immer die Welt?“

„So ist es. Sie hat sich für einen weiteren Einsatz verpflichtet, obwohl ich versucht habe, es ihr auszureden. Ich bin zwar unglaublich stolz, dass sie sich bei Ärzte ohne Grenzen engagiert, aber ich vermisse sie schrecklich. Außerdem habe ich sie daran erinnert, dass sie mich eigentlich dieses Jahr unterstützen wollte.“

„Offensichtlich hat sie das nicht von ihren Plänen abgehalten.“

„Nein. Sie ist jetzt nicht mehr in Malaysia, sondern in Äthiopien, ihrer neuen Heimat für die nächsten sechs Monate. Sie möchte, dass ich sie im Frühjahr besuche.“

„Das solltest du unbedingt tun.“

„Warst du schon einmal dort?“

„Nein, aber alle Länder Afrikas, die ich bisher bereist habe, waren auf ihre ganz eigene Weise einzigartig und wunderschön.“

„Ich überlege es mir. Im Augenblick konzentriere ich mich aber lieber auf deinen Aufenthalt hier und die bevorstehende Spendenaktion. Ein Brunch bei den Eddingtons ist der perfekte Auftakt dafür.“ Val ging hinüber zum Flurschrank und zog einen Mantel aus Kunstpelz hervor. „Willst du dich noch einmal frisch machen, Liebes, oder können wir starten? Ich bin am Verhungern.“

„Ich auch. Ich bin bereit und gespannt auf den berühmten Brunch, von dem ich schon so viel gehört habe.“

„Mona ist die beste Gastgeberin, die ich kenne. Dich erwartet etwas ganz Besonderes.“

Daran hatte Sasha keinen Zweifel. Allerdings nicht aus den Gründen, die Val vorschwebten. Wieder und wieder hatte sie die Begegnung der letzten Nacht im Kopf durchgespielt. Aber heute würde sie einem anderen Mann begegnen, der sie ebenso in Versuchung bringen könnte, dessen Identität sie allerdings sehr wohl kannte. Schon immer hatte sie den Freund ihres Ex-Verlobten und ihres Bruders TJ aus der Ferne bewundert. Jake wiederzusehen, den sie bislang nur ein- oder zweimal flüchtig getroffen hatte, erfüllte Sasha mit einer Mischung aus Vorfreude und Angst. Sie bekam Herzklopfen, wenn sie daran dachte, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Gleichzeitig fürchtete sie, sich noch stärker zu ihm hingezogen zu fühlen als zu Zorro, mit dem Unterschied, dass sie dieses Mal rein gar nichts dagegen tun konnte.

Die Partyvilla von gestern Abend war gigantisch gewesen. Als Sasha das Anwesen der Eddingtons betrat, musste sie feststellen, dass es nicht minder beeindruckend war. Je näher sie dem auf einem kleinen Hügel gelegenen Hauptgebäude kamen, desto aufgeregter wurde Sasha. Auch etwas Angst machte sich breit, aber Sasha versuchte, dieses lästige Gefühl, so gut es ging, zu ignorieren. Das unaufhörliche Geplapper ihrer Patentante und die malerische Landschaft lenkten sie von der Vorstellung ab, bald auf den Mann zu treffen, der mindestens genauso sexy war wie ihre gestrige Affäre.

Val fuhr zur Rückseite des Hauses, wo sich ein fast vollständig verglaster Wintergarten befand. Sasha liebte die Natur und fand sofort, dass dies eine der schönsten Ecken des Anwesens war. Das Treiben im Inneren des Hauses wurde von den großen Blättern der Pflanzen verdeckt, aber Sasha sah, dass ein kleiner Bach vom Wintergarten ins Freie führte. Sie entdeckte sogar ein paar Kois, die ruhig im überdachten, beheizten Teich schwammen. Obwohl ihr Reichtum nicht fremd war, wusste Sasha, noch ehe sie das Haus betreten hatte, dass sie hier in sehr gehobener Gesellschaft war.

„Gott Gütiger, das ist aber ein gut aussehender Mann.“

Sasha drehte sich um und sah, wie ein hochgewachsener Mann, den man einfach als schön bezeichnen musste, aus einem zweifarbig lackierten Bugatti ausstieg und zur Beifahrertür schlenderte.

„Wer ist das?“

Bevor Val antworten konnte, war der Gentleman bereits in Hörweite und nickte ihnen grüßend zu, während er die Beifahrertür öffnete. Die Frau, die aus dem tiefergelegten Sportwagen ausstieg, war mindestens so umwerfend wie der Mann gut aussehend. Sie strahlte Sasha an. Sasha erkannte sie sofort – es war Jakes ältere Schwester Maeve. Von den Hochzeitsfotos, die im Fernsehen und den sozialen Medien zu sehen waren, wusste Sasha, dass der Mann an ihrer Seite ihr Ehemann Victor Cortez war, der wie sie Anwalt war.

Das Paar wandte sich der vergleichsweise bescheidenen Cadillac-Limousine zu, in der Val und Sasha saßen. Victor öffnete Vals Tür. Sie stieg aus. Während Maeve Val zur Begrüßung umarmte, stieg Sasha aus und gesellte sich zu ihnen.

„Mrs. Baldwin, Sie sehen reizend aus. Es ist schön, Sie wiederzusehen.“ Maeve wandte sich dem Mann neben ihr zu. „Meinen Mann Victor haben Sie ja bereits kennengelernt.“

„Natürlich“, erwiderte Val. Die beiden gaben sich die Hand und wechselten ein paar Worte. „Und das ist Sasha McDowell“, ergänzte sie. „Da Valencia nicht hier sein kann, war sie so nett und hat sich bereit erklärt, mich bei der diesjährigen Weihnachtsspendenaktion zu unterstützen.“

„Ihre Initiative leistet wirklich großartige Arbeit bei der Sammlung von Kleidung, Lebensmitteln, Spielzeugen und anderen Bedarfsgegenständen während der Weihnachtszeit. Ich bin gespannt, was Sie zu erzählen haben. Gehen wir doch hinein.“

Sasha atmete tief durch und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Gemeinsam betraten sie den Wintergarten, in dem sich die Elemente der Natur mit denen des Raumes vermischten. Kois schwammen in einem kleinen Bach, und es war der Gesang der Vögel zu hören, die in den Bäumen saßen. Mehr als ein Dutzend Menschen wuselten umher, darunter Kellner, die mit behandschuhten Händen Tabletts mit Mimosa-Cocktails und einer Art Blätterteighäppchen trugen. Sasha dachte, dass die Jazzmusik aus versteckten Lautsprechern kam, bis sie sich umsah und den Musiker bemerkte, der an einem elektronischen Keyboard saß. Sein Können beeindruckte sie. Es klang, als ob mehrere Musiker gleichzeitig spielten.

Eine ältere Dame löste sich aus einer Gruppe und kam zu ihnen herüber, um sie zu begrüßen. Auch wenn Sasha sich nicht daran erinnerte, wie Mona aussah, wusste sie, dass sie vor ihr stand, noch ehe Val sie begrüßte und Maeve die beiden miteinander bekannt machte. Sie war offensichtlich die Herrin des Hauses, was sich auch in der Leichtigkeit widerspiegelte, mit der sie den Raum einnahm. Sasha lernte Monas Schwiegertöchter kennen und hatte gerade begonnen, sich mit einem köstlichen Mimosa in der Hand etwas zu entspannen, als Jake den Raum betrat.

Ihre Blicke trafen sich. Der Raum knisterte wie geladen von der Energie zwischen den beiden. Sasha war überrascht, wie stark ihr Körper auf sein Erscheinen reagierte. Jake sah entspannt aus und fühlte sich … vertraut an. Sein Aussehen ließ ihr noch mehr das Wasser im Mund zusammenlaufen als die Aromen des köstlichen Essens, denn er war noch viel attraktiver als im Fernsehen oder Internet. Der elfenbeinfarbene Pullover passte perfekt zu seiner bronzefarbenen Haut. Seine hellbraune Hose betonte seine muskulösen Beine und seinen knackigen Hintern, der sofort Erinnerungen an die letzte Nacht hervorrief. Die Timberlands verliehen dem schicken Outfit einen lässigen Hip-Hop-Look, der ihm ausgezeichnet stand. Sein Gesicht sah frisch rasiert aus. Ein winziger Diamantenstecker funkelte an seinem linken Ohrläppchen. Sasha nahm all das innerhalb weniger Sekunden wahr, während Jake den Raum durchquerte und seine Mutter mit einem Kuss auf die Wange begrüßte.

„Jake, Darling, du erinnerst dich sicher noch an die Tochter von Botschafter McDowell, Sasha McDowell.“

„Ich erinnere mich an eine Sasha“, sagte er und nahm langsam ihre Hand in seine. „Ein Mädchen mit Zahnspange und Pferdeschwanz. Aber an diese exquisite junge Dame erinnere ich mich nicht.“ Seine Lippen berührten sanft ihren Handrücken.

„Es freut mich, dich wiederzusehen“, brachte Sasha trotz des Kloßes hervor, der ihr plötzlich im Hals steckte.

„Glaub mir, die Freude ist ganz meinerseits.“

Mona räusperte sich. „Wie ich höre, können wir dir gratulieren“, bemerkte sie sanft, obwohl sie Jake dabei mit zusammengekniffenen Augen ansah.

Sasha, die noch immer in Jakes Bann stand, stand für einen Moment auf dem Schlauch. „Mhm?“

„Deine Verlobung? Eure Heirat?“

„Oh, ja, natürlich.“ Sasha versuchte, die Fassung wiederzuerlangen, die ihr offensichtlich entglitten war, und konzentrierte sich. Sie setzte ein, wie sie hoffte, glaubhaftes Lächeln auf. Vals fragender Blick bewies, dass sie damit nur teilweise erfolgreich war.

„Danke schön.“

„Wann findet die Hochzeit statt?“, fragte Val.

„Wir, äh, haben noch kein Datum festgelegt.“

„Was macht TJ so, Sasha?“, fragte Jake. „Wir haben ein paar Mal hin- und hergeschrieben, aber abgesehen von unserem kurzen Gespräch letzte Woche haben wir eine Weile nicht mehr miteinander gesprochen.“

Sie hätte ihn küssen können, und das nicht nur, weil er das Thema gewechselt hatte. „Das Übliche, er ist ein nerviger großer Bruder.“

Ihre Antwort lockerte wie erhofft die Stimmung auf.

„Er hat mich letzte Woche angerufen“, fuhr Jake fort. „Genau wie dein Verlobter. Aber das weißt du ja schon.“

Sasha schaffte es mit Mühe, nicht mit den Augen zu rollen. „Ja, das hat er mir erzählt.“

„Was genau hat er dir erzählt?“

„Die Antwort“, unterbrach Mona sie, „muss bis nachher warten, da ich den Brunch bald offiziell eröffnen möchte. Sasha, Val, ihr sitzt an meinem Tisch.“

Mona begrüßte kurz die Gäste. Nachdem alle Platz genommen hatten, stellte sie Sasha den Gästen an ihrem Tisch vor, zu denen auch ihre Schwiegertochter Avery, die Sasha bereits kennengelernt hatte, Caydens Mutter Tami und Willow zählten, die bei Averys florierender Eventagentur On Point arbeitete. Eine lockere Unterhaltung entstand, sicherlich auch dank der köstlichen Mimosas. Sasha war dankbar, dass sie größtenteils nur zuhören musste. Sie war damit beschäftigt, den ersten Gang – eine seidige Butternusskürbissuppe und einen Rucola-Salat – zu verspeisen. Sie war sich sicher, dass der Hauptgang, Schnapperfisch an Cajun-Reis und gebratenem Spargel, genauso schmackhaft war wie die vorherigen Gänge. Schade, denn Sasha schmeckte nichts. Ihr Appetit hatte sich in Luft aufgelöst. Ihre Gedanken kreisten allein um den Mann, den sie aus den Augenwinkeln an einem anderen Tisch sitzen sah. Sie hätte schwören können, dass sie seinen Blick spürte. Für den Bruchteil einer Sekunde war es nicht Jake, der sie anstarrte, sondern Zorro, der wie sie daran dachte, was letzte Nacht geschehen war. Doch das war nicht möglich. Jake war nicht auf der Party gewesen. Er wusste nichts von ihrem Abenteuer mit dem superheißen Fremden, dessen Finger über ihren Körper gehuscht waren wie die eines Klavierspielers über die Tastatur. Sasha konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, sich einfach umzudrehen und ihn anzustarren. Oder alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und Jake zu gestehen, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte, um dann ihre neu gewonnene sexuelle Freiheit auszuleben. Als der Nachtisch serviert wurde, zwang sie sich, an der Unterhaltung teilzunehmen und die Sozialkompetenzen zu nutzen, die sie ihrer Zeit im Internat verdankte, das ihre Eltern ein halbes Vermögen gekostet hatte.

Das war nicht allzu schwierig. Sie hatte mit Willow, die mit Avery bei On Point arbeitete, viel gemeinsam. Sie waren in etwa gleich alt, waren beide in der Schweiz gewesen und sprachen fließend Französisch. Sie unterhielten sich ein bisschen in dieser Sprache, während sie die Auswahl für den letzten Gang trafen. Sasha, die endlich wieder Appetit verspürte, entschied sich für einen Karamellriegel mit Pekannüssen an hausgemachtem Vanilleeis und dunkler Schokoladensauce. Der erste Löffel versetzte sie zurück in ihre Zeit in den Alpen: Das klebrige Karamell, die knackigen Nüsse, das cremige Eis und die heiße Zartbitterschokolade harmonierten einfach perfekt miteinander.

„Und, wie schmeckt es?“, fragte Willow, die gerade ein Stück des gedeckten Apfelkuchens mit einer Kugel Vanilleeis vertilgt hatte.

„Mhm, so gut“, antwortete Sasha und nahm einen weiteren Bissen. „Sooo gut!“

Ein bisschen wie ihre Nacht mit Zorro, dachte sie, und ihre Yonimuskeln zogen sich beim bloßen Gedanken daran zusammen. Das fabelhafte Dessert, das sie gerade genoss, war wirklich fast so gut. Aber eben nur fast.

4. KAPITEL

„Mhm, das schmeckt … sooo gut!“

Jake war gerade an Sashas Tisch vorbeigelaufen und noch in Hörweite, als sie die Worte aussprach, die sich seit dem Rendezvous letzte Nacht in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Beinahe wäre er über seine Timberlands gestolpert und schaffte es gerade so, normal weiterzugehen. Gar nicht so einfach, wenn einem der Kopf drohte zu explodieren.

Sasha war die Tigerin? TJs Schwester? Lincolns Verlobte war die geheimnisvolle Fremde, die ihn gestern Nacht mit ihrem scharfen Körper um den Verstand gebracht hatte?

Das konnte nicht wahr sein.

Er ging an der Bar vorbei, die er eigentlich angesteuert hatte, und weiter Richtung Toilette, wo er versuchte, Ordnung in seine wirren Gedanken zu bringen. Er nahm sich extra viel Zeit beim Händewaschen und rief sich die wilde Liebesnacht noch einmal in Erinnerung. Jake versuchte, sich die Gesichtszüge vorzustellen, die nicht von der Maske verdeckt gewesen waren, sowie alle anderen körperlichen Merkmale der Frau, die ihm einfielen. Er betrachtete sein Spiegelbild, das ihn völlig perplex anstarrte, und seufzte hörbar. Der Traum von letzter Nacht konnte sich unmöglich als Albtraum entpuppen. Sasha konnte nicht die Tigerfrau sein. Das würde alles durcheinanderbringen.

Er betrat den Speisesaal mit der Absicht, herauszufinden, ob das Unmögliche tatsächlich stimmte. Glücklicherweise waren nach dem letzten Gang viele Gäste aufgestanden, um sich mit den Gästen an den anderen Tischen zu unterhalten. Sasha stand in der Nähe ihres Tisches und unterhielt sich mit Avery und deren Mann Cayden – Jakes bestem Freund. Die perfekte Gelegenheit. Er schob seine Nervosität beiseite und gesellte sich zu ihnen.

„Wie ich sehe, hast du Sasha schon kennengelernt“, sagte Jake an Cayden gewandt.

„Das habe ich. Avery ist ganz von ihr angetan“, gab dieser zurück und drehte sich zu Sasha, „und das soll was heißen.“

„Avery will unbedingt ihre Hochzeit ausrichten und sie davon überzeugen, nach ihren Flitterwochen nach Point du Sable zu ziehen und bei On Point einzusteigen,“ erklärte er Jake.

„Wow, du hast ihr ganzes Leben an nur einem Nachmittag umgeplant.“ Jake sah Avery mit einem Ausdruck gespielter Bewunderung an. Gleichzeitig versuchte er, das ungute Gefühl zu verdrängen, das ihn bei dem Gedanken daran überkam, dass Sasha die mysteriöse Tigerin war, die allerdings so gut wie verheiratet und für immer tabu war. „Ich glaube, das ist ein neuer Rekord, meine Liebe.“

Avery gab Jake einen Stups und Cayden einen kleinen Klaps. „Beachte diese beiden Unruhestifter nicht weiter. Meine Arbeit und mein Lebenslauf sprechen für sich. Deshalb hat Val mich schon zweimal für ihre Veranstaltung engagiert. Ich weiß, dass Washington seine eigene gesellschaftliche Landschaft hat, und bin sicher, dass es dort auch Hochzeitsplanerinnen gibt, die Gold wert sind. Aber bei On Point schaffen wir es, den individuellen Charakter der Personen einzufangen, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir setzen einzigartige Akzente, die unsere Events unvergesslich machen. Wie gesagt, schau dir die Bewertungen und die Hochzeitsgalerie auf unserer Internetseite an. Ich bin sehr stolz auf das, was wir bisher geleistet haben, und denke, dass wir uns vor niemandem verstecken müssen.“

„Honey, ich denke, für einen Sonntag haben wir genug über die Arbeit geredet“, unterbrach Cayden sie augenzwinkernd. „Hast du eigentlich schon mit Bob gesprochen?“

Avery sah hinüber zu Tami und ihrem Freund Bob, die sich mit Mona und Derrick Eddington unterhielten. „Nein, und mit Derrick habe ich auch noch nicht gesprochen.“ Sie wandte sich Sasha zu. „Ich freue ...

Autor

Zuri Day
Mehr erfahren
Reese Ryan

Reese Ryan schreibt Liebesgeschichten, die nicht nur sexy und gefühlvoll sind, sondern in denen sie auch von kleineren Familiendramen erzählt. Reese ist im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen, ihre Familie hat aber auch Wurzeln in Tennessee.

Mehr erfahren
Jules Bennett
Mehr erfahren