Baccara Spezial Band 12

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OPERATION HERZSCHUSS von ELIZABETH HEITER
„Ich bin unschuldig!“, beteuert Leila, denn FBI-Agent Davis Rogers glaubt ihr nicht: In ihrer Firma wurden Schusswesten fürs Militär sabotiert. Um herauszufinden, wer dahintersteckt, muss Leila sehr eng mit dem attraktiven, aber misstrauischen Davis zusammenarbeiten …

DER VERGESSENE CODE von CASSIE MILES
Sie erinnert sich nicht an ihn? Agent Spence Malone ist alarmiert. Angelica wurde von Verbrechern entführt, und nach vierzehn Stunden in deren Gewalt, unter Drogen gesetzt, hat sie alles vergessen. Den geheimen Code, den sie beide für ihren Auftrag brauchen – und ihre Liebe!

KEINE NACHT OHNE BODYGUARD von ELLE JAMES
Schüsse auf Emily! Seit die hübsche Übersetzerin in der russischen Botschaft Zeugin eines merkwürdigen Vorfalls wurde, trachtet ihr jemand nach dem Leben. Wer? Das muss Ex-Marine „Mustang“ Ford herausfinden, ihr Retter in höchster Not – und bald ihr Lover in finsterer Nacht …


  • Erscheinungstag 04.06.2021
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500791
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Elizabeth Heiter, Cassie Miles, Elle James

BACCARA SPEZIAL BAND 12

ELIZABETH HEITER

Operation Herzschuss

Die Kugel hätte die Soldatin nicht töten dürfen! Dann wird klar: Ihre Schussweste war fehlerhaft. Sabotage? FBI-Agent Davis Rogers wird undercover in die Manufaktur in Tennessee eingeschleust, als neuer Assistent der Besitzerin Leila Petrov. So schön ist die junge Unternehmerin, so verführerisch – so mörderisch schuldig?

CASSIE MILES

Der vergessene Code

Eine riskante Mission: Zusammen mit ihrem Partner, Agent Spence Malone, soll die junge Cybercrime-Expertin Angelica einen Hacker-Angriff untersuchen. Doch das geht schrecklich schief. Sie wird entführt und unter Drogen gesetzt. Als sie wieder zu sich kommt, weiß sie nicht mehr, wer sie ist. Und wer der Mann ist, der sie in den Armen hält …

ELLE JAMES

Keine Nacht ohne Bodyguard

Sie nennen sich Declan’s Defenders, und sie retten Menschen aus höchster Gefahr. Jetzt erreicht Frank „Mustang“ Ford ein alarmierender Anruf: Die Russisch-Übersetzerin Emily Chastain wird bedroht. Als ihr Bodyguard muss Mustang die charmante Schönheit Tag und Nacht bewachen – und wird dabei knallhart überwältigt von seinem eigenen Verlangen …

PROLOG

Zuerst kam der Sandsturm. Dann kamen die Schüsse.

Das Training war gut gelaufen. Die Einheimischen wollten den Kampf in ihrem Land selbst in die Hand nehmen, und US Army Captain Jessica Carpenter war das mehr als recht. Sie würde die Hitze nicht vermissen – über dreißig Grad, die sich noch tausendmal heißer anfühlten, wenn sie ihre gut zwanzig Kilo schwere Ausrüstung angelegt hatte. Oder den Sand, der wie aus dem Nichts aufwirbelte und sich in Augen, Nase und Mund festsetzte. Sich Kilometer um Kilometer an Berghängen hinaufschleppen, wo ein einziger Fehltritt einen schlitternden Abgang über nichts als scharfkantiges Schiefergestein und todbringende Felsen bedeutete.

Nach Hause, die Kinder wiedersehen. Ihr Ältester kam dieses Jahr auf die Highschool. Er interessierte sich allmählich für Computerspiele und Skateboarden und hatte keine Lust mehr auf Telefongespräche mit seiner Mutter, wenn seine Freunde draußen auf ihn warteten. Die Jüngste kam bald in den Kindergarten. Ihr Baby. Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt und weinte jedes Mal, wenn ihre Mama zu einer neuen Tour aufbrach. Es war irgendwie ironisch, dass Jessica, die sich regelmäßig ins Gefecht stürzte, noch hier war, und ihr Mann, ein Ingenieur, von ihnen gehen musste, weil er in einem Sturm falsch abgebogen und mit einem Strommast kollidiert war.

„Was war das?“ Der junge Soldat an ihrer Seite fuhr zusammen und sah sich mit erhobener Waffe um, obwohl er unmöglich etwas erkennen konnte.

Jessica drückte seine Waffe energisch nach unten. „Niemals schießen, wenn du dein Ziel nicht erkennen kannst.“

Dieser Einsatz gefiel ihr überhaupt nicht. Sie versuchte, das heftige Pochen ihres Herzens zu ignorieren. Irgendetwas stimmte nicht. Die Sandstürme hier kamen plötzlich und waren so heftig, dass sie einem die oberste Hautschicht abschleifen konnten. Sie nahmen einem fast vollständig die Sicht, und durch den tosenden Lärm konnte sie kaum hören, was der Soldat an ihrer Seite ihr zurief.

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen, und strengte sich an, etwas über den Wind hinweg zu hören. Hatte sie sich die Schüsse eingebildet? Möglich, dass es einer der Einheimischen war, den die Heftigkeit des Sandsturms überrascht hatte. Aber wahrscheinlich war es ein neueres Mitglied ihres Teams, das die heftigen Stürme noch nicht kannte.

Der Sand peitschte vom Boden um sie her auf und stach auf jedes Fleckchen bloßer Haut ein wie tausend feine Nadeln. In solchen Momenten war sie dankbar für die Uniform, die in der Hitze an ihrer Haut klebte, und die Ganzkörper-Schutzanzüge, die sie und ihr Team trugen. Es war zwar nur ein Trainingseinsatz, aber sie hatten einen gefährlichen Gebirgspass ausgewählt, um mit den Einheimischen taktische Annäherungen zu üben. Hier draußen musste man immer mit einem Angriff aus dem Hinterhalt rechnen.

Jessica zog sich ihre Schutzbrille über die Augen und blinzelte immer und immer wieder. Aber wie sehr ihre Augen auch tränten, sie wurde den Sand nicht los. Ihre Sicht war immer noch eingeschränkt. Sie zog die Schultern hoch, um ihr unbedecktes Gesicht zu schützen, aber es war ohnehin vergeblich. Wenn der Sturm anhielt, wäre ihre Haut bald wundgerieben.

Es war Zeit zum Rückzug. Sie hob ihr Funkgerät an – ihre beste Chance, durch den Sturm gehört zu werden –, um ihr Team anzuweisen, dass sie zurück zu den Fahrzeugen gehen sollten, als sie wieder einen Schuss hörte.

Sie ging instinktiv in Deckung und zog den Soldaten mit sich zu Boden. Ohne nachzudenken hatte sie ihr MP4-Karabiner-Sturmgewehr gehoben, konnte aber absolut nichts erkennen. Gab es eine echte Bedrohung? Oder war nur jemand im Sturm in Panik geraten?

„Bitte melden!“, schrie Jessica, aber ihre Stimme ging im Wind unter.

Auch wenn sie so ein leichteres Ziel war, stellte Jessica ihre Helmlampe an. Dabei streifte ihre Hand die Kamera, die an dem Helm befestigt war, und ihr fiel ein, dass sie das Training aufzeichnete. Das half ihnen jetzt aber auch nicht weiter, selbst wenn die Kamera noch funktionierte.

Sie war nicht davon ausgegangen, dass die Lampe einen Unterschied machen würde, aber sie half tatsächlich. Das dachte sie zumindest, bis ihr klar wurde, dass sich nur der Sturm gelegt hatte, so schnell, wie er aufgezogen war. Einen kurzen Moment war sie erleichtert, bis sie eine Bewegung ausmachte. Ein Rebell, der mit blitzender Gewehrmündung hinter einer Felszunge hervorstürzte.

„In Deckung“, schrie Jessica, während sie ihn ins Visier nahm.

Der Rebell duckte sich hinter eine Felsspalte, aber als sich der heulende Wind legte, ertönte das schwere Bumm-Bumm-Bumm von Maschinengewehren. Er war nicht allein.

Jessica schaltete ihr Funkgerät um und meldete ihrem Stützpunkt: „Wir sind unter Beschuss. Sandsturm zieht vorüber. Rebellen …“ Sie hielt inne und sah sich um, um ihre Zahl einzuschätzen. Ein unheilvolles Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus, als sie ihre Soldaten in Deckung rennen sah. „Mindestens zwanzig, vielleicht mehr. Schickt …“

Das Funkgerät flog ihr aus der Hand und Jessica hob die Waffe, ohne den brennenden Schmerz in ihrer anderen Hand zu beachten. Sie wagte es nicht, hinzusehen. Zuerst musste sie sich um ihr Team kümmern. Wenigstens hatte sie dafür gesorgt, dass sie ihre Schutzanzüge trugen – brandneu und das Beste, was die Army zu bieten hatte. Sie waren leicht, aber extrem stabil und konnten alles unter .50-Kaliber-Patronen abhalten. Ihre Soldaten hatten die Ganzkörper-Ausrüstung mit Körperschutzplatten angelegt. Vor einem Schuss ins Gesicht oder einem ungünstigen Treffer zwischen die Platten konnte sie sie nicht schützen, aber sie hatte Vertrauen in ihr Training und ihre Ausrüstung.

Dann stieß der Soldat neben ihr – ein neuer Rekrut, der erst seit einer knappen Woche in ihrem Team war – einen Schrei aus, der ihr den Magen umdrehte. Er ging schwer zu Boden, den Kopf unnatürlich nach hinten verrenkt.

Jessica ließ sich neben ihm auf die Knie sinken und fühlte unter dem Nackenschutz nach einem Puls. Da sah sie die Einschusslöcher – direkt durch die Brust, fünf Löcher in einer gewölbten Linie. Sie schlug mit der Hand darauf, voller Wut, dass er ihrem Befehl nicht gehorcht hatte, und ein Schmerz fuhr ihr durch den Arm. Nicht nur von der Kugel, die sie am Daumen erwischt hatte, sondern von den harten Schutzplatten, die ihn eigentlich hätten schützen müssen.

Ihre Angst wurde noch größer – eine Panik, wie sie sie in zehn Jahren gefährlicher Army-Einsätze noch nie gekannt hatte. Ihr Kopf schnellte hoch, und sie prüfte die Lage. Einheimische, die sich Deckung suchten oder schon reglos am Boden lagen. Ihre Soldaten, die Schüsse abbekamen, die sie zwar aus der Bahn werfen, aber eigentlich nicht außer Gefecht setzen durften, und die im Feuerstoß der Rebellen zu Boden gingen.

Zu viele von ihnen.

Die Panik wurde noch schlimmer, verkrampfte ihre Muskeln und trübte ihre Sicht, ein Tunnel inmitten von Sandflecken. Sie wollte nicht zehntausend Kilometer von zu Hause sterben. Wollte ihr Team nicht im Stich lassen. Nicht die Kinder, die ihr alles bedeuteten, allein zurücklassen. Die Kinder, für die sie diesen Job überhaupt erst angenommen hatte, als ihr Mann noch studierte. Diesen Job, den sie so sehr zu lieben gelernt hatte, dass sie ihn auch dann nicht aufgab, als er nicht mehr da war.

Aber sterben wollte sie dafür nicht.

Ein stechendes Brennen fuhr in Jessicas Arm und die Wucht des Schusses ließ sie zurücktaumeln. Sie war getroffen worden. Sie nahm ihre MP4 in die andere Hand und schoss zurück, wobei ihr blutiger Daumen den Abzugsbügel verschmierte. Der nächste Schuss warf sie zurück. Sie traf hart auf dem Boden auf und rang nach Luft. Das war normal, wenn man in Schutzweste von einem Geschoss getroffen wurde. Es presste einem die Luft aus den Lungen und hinterließ einen üblen Bluterguss.

Aber diesmal ließ der Druck nicht nach. Er wurde nur noch schlimmer. Jessica schnappte nach Luft und versuchte, ihre MP4 anzuheben, als sie sah, wie ein weiterer Rebell auf sie zielte. Doch es gelang ihr nicht, also griff sie nach der Pistole an ihrer Seite, die viel leichter war als das Sturmgewehr.

Ihre Finger umschlossen sie, während ihr Blick allmählich verschwamm. Dann verschwand die Welt um sie herum in Dunkelheit.

1. KAPITEL

„Ich nehme an, ihr habt alle den Bericht in den Nachrichten gesehen.“ Jill Pembrook, Direktorin der Tactical Crime Division des FBI, wartete nicht erst ab, bis ihr Team im Konferenzraum Platz genommen hatte. Sie stand vor einem langen Tisch, die Arme über ihrem maßgeschneiderten blauen Kostüm verschränkt. Auf einem großen Display hinter ihr war das Standbild eines Videos zu sehen – das von Entsetzen gepackte Gesicht eines Soldaten.

Pembrook war so klein, dass sie auch dann keinen Überblick über die Anwesenden hatte, als sich die meisten gesetzt hatten und sie immer noch stand. Aber das brauchte sie auch nicht. Pembrook war seit fast vierzig Jahren beim FBI, man hatte sie also über das vorschriftsmäßige Rentenalter hinaus dabei behalten. Mit ihrem blassen, faltigen Gesicht und ihrem adrett frisierten Haar mochte man sie für eine süße, aber schicke Großmutter halten, bis man ihr in die Augen sah. Dann wusste man sofort, warum das FBI sie zur Leiterin der TCD auserwählt hatte – einem Schnelleinsatzteam, das umgehend aktiviert werden konnte und auf praktisch jede Gefahrensituation eingestellt war.

Davis Rogers konnte immer noch kaum glauben, dass er es ins Team geschafft hatte. Er sah sich um zu den anderen Agenten, die zum Teil wie er vom Militär kamen; andere waren Geiselverhandlungsführer, Profiler oder Hacker. Er war erst seit ein paar Monaten hier. Aber man hatte ihn schnell in die Gruppe aufgenommen, mit einer Selbstverständlichkeit, die er sonst nur im Kreis seiner Familie erlebt hatte.

Normalerweise würde er sich ruhig verhalten und jedweden Auftrag annehmen, den die Direktorin ihm zuteilte. Würde geduldig eine Gelegenheit abwarten, um sich zu beweisen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, wie so einige Army Ranger. Aber nicht heute. Nicht in diesem Fall.

Er biss die Zähne zusammen, als Hendrick Maynard auf Pembrook zutrat. Hendrick war das Computergenie in ihrem Team. Mit seiner großen, schlaksigen Statur und einem Gesicht, das immer noch mit Akne kämpfte, sah er aus, als wäre er noch auf der Highschool, aber hinter dieser Fassade lagen ein schneller Verstand und eine reife Persönlichkeit.

Mit ungewöhnlich ernster Miene drückte Hendrick auf die Fernbedienung und spielte das Video auf dem Display hinter der Direktorin ab. Davis hatte den Clip bereits gestern Abend in den Nachrichten und dann heute Morgen in der etwas ausführlicheren Version auf YouTube gesehen.

Es setzte mitten in einem Feuergefecht ein, aus dem Hintergrund waren Schüsse zu hören, überall flog Sand, und die Geräuschkulisse war selbst im Video überwältigend. Der Soldat, der auf dem Standbild des Displays zu sehen war, fiel zu Boden und stand nicht wieder auf. Ein kurzer Kameraschwenk zeigte, dass es anderen Soldaten und afghanische Einheimischen ebenso erging, kaum erkennbar durch den Sand, der wie ein Tornado vom Boden aufgewirbelt wurde. Dann wurde die Sicht auf einmal klar, die Perspektive änderte sich und zeigte einen jungen Soldaten in Nahaufnahme, Augen und Mund im Moment des Todes geöffnet. Die Kamera schwenkte hinab, eine Hand schlug auf seine Brust, als die Einschusslöcher ins Blickfeld kamen.

Ein normaler Durchschnittsbürger hätte in der kurzen Aufnahme wohl kaum erkannt, dass der Soldat eine kugelsichere Weste trug. Aber irgendwie hatte der Nachrichtensender es gewusst. Und sie hatten auch gewusst, von wem die Aufnahme stammte: US Army Captain Jessica Carpenter. Witwe, Mutter von drei Kindern, und seit 6:52 Uhr Tennessee-Zeit ein bestätigtes Todesopfer.

Davis dachte daran, wie er sie vor zehn Jahren kennengelernt hatte. Sie war fast so groß gewesen wie er, mit wunderschöner dunkler Haut und am Kopf zurückgeflochtenem Haar, und um die Selbstsicherheit, mit der sie ihre Army-Uniform trug, hatte er sie beneidet. Sie war fünf Jahre älter gewesen, und mit zwei Monaten mehr Militärerfahrung als er, war ihm das sehr viel mehr vorgekommen. Wenn sie nicht glücklich verheiratet gewesen war, hätte er sein Glück bei ihr versucht.

Stattdessen waren sie Freunde geworden. Sie hatte ihn ganz zu Anfang sogar ausgebildet, bevor sie zum Captain befördert worden und er zur Spezialeinheit gewechselt war. Wenn er nicht gerade in diesem Konferenzraum sitzen und sich die Chance erhoffen würde, die Verantwortlichen für ihren Tod ausfindig zu machen, wäre er unterwegs nach Mississippi zu ihrer Beerdigung.

Davis presste die Hände unter den Tisch, um nicht mit der Faust daraufzuschlagen. Als er wieder aufsah, hatte Hendrick das Display ausgeschaltet und wieder Platz genommen. Die anderen Agenten nickten nachdenklich, gefasst. Nur in Jace Cantrells Gesicht – der im Team nur JC genannt wurde – lag eine Spur von Ärger. Aber JC war ebenfalls beim Militär gewesen. Einmal Soldat, immer Soldat.

Bei einem Einsatz zu sterben war, wie auch beim FBI, ein Risiko, das man akzeptierte. Man tat sein Bestes, es zu verhindern, aber im Fall des Falles hatte man die Gewissheit, für etwas zu sterben, woran man glaubte. Aber nicht so. Nicht so wie Jessica gegangen war, voller Vertrauen in das Militär, in ihr Training, in ihre Ausrüstung.

„Ich will den Fall übernehmen“, platzte Davis heraus.

Die Blicke der anderen wanderten zu ihm: Dr. Melinda Larsen, die Profilerin, musterte ihn skeptisch, als wüsste sie von seiner Verbindung zu einem der Opfer. Laura Smith war wie immer still und verschlossen, aber ihr scharfer Verstand, geprägt durch die Eliteuni, die sie besucht hatte, hatte wahrscheinlich jede Nuance seiner Worte erfasst. JC sah ihn mitfühlend an, obwohl er wahrscheinlich nicht wusste, dass er Jessica gekannt hatte. Keiner im Team wusste das.

„Ist Ihnen der persönliche Bezug zu dem Fall eine Hürde oder eine Hilfe?“, fragte Pembrook mit fester Stimme und eisernem Blick.

Davis’ Rückgrat verkrampfte sich. Sie meinte sicher seine Zeit bei der Army. Oder wusste sie mehr? Aber wenn sie glaubte, er würde jetzt nervös werden, unterschätzte sie die harte Ausbildung, die er als Army Ranger absolviert hatte.

„Eine Hilfe. Ich bin mit den Abläufen in der Army vertraut. Und ich kenne das Produkt. Ich habe selbst schon Schutzwesten von Petrov Armor getragen.“

Petrov Armor war der Hersteller der Schutzkleidung, die Jessica und ihr Team während des Angriffs getragen hatten. Die Ausrüstung – angeblich auf dem neuesten und besten Stand der Technik – hatte auf ganzer Linie versagt, nur drei Soldaten und einer der Einheimischen hatten überlebt. Für Davis waren es nicht die Rebellen, die Jessica und ihr Team umgebracht hatten. Es war Petrov Armor.

„Ich rede nicht von den Schutzwesten“, antwortete Pembrook mit immer noch scharf auf ihn fixiertem Blick, selbst als Kane Bradshaw mit Verspätung zum Meeting dazukam und sich in den Türrahmen lehnte. „Ich rede von Jessica Carpenter.“ Ihre Stimme wurde sanfter. „Mein herzliches Beileid.“

Noch mehr Blicke schienen sich auf ihn zu richten, doch Davis hielt Pembrooks Blick stand.

„Danke. Und nein, es wird sich nicht auf mein Urteilsvermögen in dem Fall auswirken.“

Pembrook nickte, wandte sich wieder der Gruppe zu und fuhr mit dem Briefing fort. Aber er war nicht sicher, ob sie ihm glaubte. „Petrov Armor hat sich vor fünf Jahren einen Großauftrag für das Militär gesichert. Die Schutzkleidung, die das Team getragen hat, war ihr neuestes und bestes Modell. Es ist noch nicht sehr verbreitet, aber die Vorgängerversion ist überall im Einsatz. Bisher gab es nie Probleme mit Petrov Armor.

Das Militär hat uns mit den Ermittlungen vor Ort beauftragt. Bei der Berichterstattung hatten wir noch Glück – wir wissen immer noch nicht, wie sie darangekommen sind, aber es liegt ihnen nicht alles vor. Oder vielleicht hat der Sender nicht alles abgespielt. Und sie sind nicht an den Namen des Herstellers gekommen. Noch nicht“, fügte sie hinzu.

„Was ist unsere erste Annahme?“, fragte JC. „Hat Petrov Armor einfach minderwertige Produkte geliefert oder geht es hier um Sabotage?“

„Das können wir im Augenblick noch nicht sagen. Die Army hatte noch keine Gelegenheit, die Westen zu prüfen. Sie sind derzeit mit der Übermittlung der Todesnachrichten und den Rücktransporten beschäftigt.“

Das beklommene Gefühl, das seit der schlimmen Nachricht auf Davis lastete, schnürte ihm die Brust zu. Jessicas Mann war vor ein paar Jahren gestorben. Davis hatte ihn einmal getroffen, als er und Jessica gleichzeitig zum Urlaub nach Hause gekommen waren. Ihre Kinder hatte er nie persönlich kennengelernt, aber sich einmal per Videochat mit ihnen unterhalten. Sie waren so süß gewesen, hatten um den besten Platz vor der Kamera gerangelt und dann alle auf einmal losgeredet. Jetzt waren sie Waisen.

Davis atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren, als Pembrook fortfuhr. „Bei Petrov Armor gab es in letzter Zeit einige große Veränderungen. Vor etwa einem Jahr ist der Gründer und CEO Neal Petrov in den Ruhestand gegangen. Er hat das Amt an seine Tochter übergeben, Leila Petrov, die bis dahin den Kundendienst des Unternehmens geleitet hat. Sie hat den Geschäftszweig der Waffenproduktion komplett eingestellt und sich ganz auf die Herstellung von Schutzausrüstung spezialisiert. Neal Petrov war weiterhin in das Unternehmen eingebunden, bis er vor drei Wochen bei einem Raubüberfall ums Leben kam.“

„Glauben Sie, sie versucht Ausgaben zu kürzen, da Daddy nicht mehr aufpassen kann?“, fragte Kane, ohne sich von seinem Platz bei der Tür wegzubewegen.

„Möglich“, gab Pembrook zurück. Sie sah zu JC. „Ich hätte gern, dass Sie sie hierherbringen. Sie können Smitty mitnehmen.“

Laura Smith nickte und strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr, als Davis gerade den Mund aufmachen wollte, um zu widersprechen.

Aber bevor er zu Wort kommen konnte, schaltete sich Melinda ein, wie immer ganz die Profilerin. „Macht ihr eine Szene. Führt sie direkt vor ihren Mitarbeitern ab. Wir haben noch nicht genug, um sie festzunehmen, aber Leila Petrov ist gerade mal dreißig, ziemlich jung für eine Geschäftsführerin. Wenn wir sie gleich zu Beginn genug einschüchtern, wird sie eher kooperieren, bevor sie einen Anwalt einschaltet.“

Pembrook nickte und sah auf ihre Uhr. „Gebt ihr noch eine Stunde, dann sollten ihre Mitarbeiter da sein, wenn ihr sie abführt.“

Davis presste die Hände unter dem Tisch noch fester zusammen. Er spürte, wie die Venen in seinen Armen durch den Druck pulsierten, aber er konnte sich nicht mehr beherrschen und platzte wütend heraus, „Direktorin …“

Mehr brachte er nicht hervor, bevor sie ihm ins Wort fiel. „Davis, Ihre Erfahrung beim Militär wird auch von Vorteil sein. Ich übergebe den Fall an Sie.“

Der Schock verschlug ihm die Sprache, aber seine Hände entspannten sich und der Schmerz in seiner Brust ließ nach. „Vielen …“

„Das wäre dann alles. An die Arbeit, Leute.“ Pembrook drehte sich zu ihm um. „Kommen Sie mit, Davis. Wir müssen uns unterhalten.“ Bevor er antworten konnte, war sie aus der Tür.

Davis brauchte eine Weile, bis er auf die Beine kam. Als er bei der Tür an Kane vorbeiging, musterte ihn der andere Agent mit hochgezogener Augenbraue und einem hämischen Grinsen, aber Davis kümmerte sich nicht darum. Ihm war egal, was Kane dachte oder welche Warnungen er sich gleich von Pembrook anhören müsste.

Er durfte den Fall übernehmen. Egal, ob es Leila Petrov war oder jemand anderes, er würde nicht ruhen, bis er den Verantwortlichen gefunden hatte.

Als er über die Schwelle zum Büro der Direktorin trat, richtete er den Blick gen Himmel und verabschiedete sich im Stillen von seiner alten Freundin. Und schwor sich, ihren Tod zu rächen.

„Der Soldat im Bild starb noch am Schauplatz des Geschehens. Auch Army Captain Jessica Carpenter, die dieses Video aufgenommen hat, starb an einem Schuss durch ihre kugelsichere Weste. Die genauen Umstände werden derzeit von der Army ermittelt. Mehr dazu erfahren Sie gleich hier bei uns …“

Eric Ross schaltete den Fernseher aus und Leila Petrov drehte sich widerwillig auf ihrem Stuhl zu ihm um. Sie versuchte, sich ihr Entsetzen und ihre Ungläubigkeit nicht ansehen zu lassen, aber Eric hatte sie schon als einsame Dreizehnjährige gekannt. Zwei Jahre später war er der Erste gewesen, der sie geküsst hatte. Drei Jahre später hatte er ihr das Herz gebrochen.

Er durchschaute sie so mühelos wie eh und je. „Vielleicht waren es nicht unsere Westen.“

„Vielleicht doch.“ Petrov Armor hatte das Militär in den letzten dreißig Jahren mit Schusswaffen und Schutzkleidung im Wert von mehreren Millionen Dollar beliefert. Das Geschäft war zuerst schleppend angelaufen, ihr Vater hatte in den ersten Jahren kaum Profit gemacht. Mittlerweile waren sie dank der Army nicht nur gut im Geschäft, der hohe Absatz erlaubte es ihr auch, rund zweihundert Mitarbeiter zu beschäftigen. Es war das Vermächtnis ihres Vaters. Aber jetzt lag die Verantwortung bei ihr.

Den Zahlen nach zu urteilen, war es sehr wahrscheinlich, dass diese Soldaten irgendeine Version von Petrov Armor getragen hatten. Aber logisch betrachtet konnte es nicht sein. Qualitätsprüfung wurde bei Petrov Armor großgeschrieben. Jede noch so kleine Nachbesserung wurde auf jede Art Geschoss und Klinge in ihrer Testanlage geprüft. Jedes einzelne Teil wurde einer Qualitätsprüfung unterzogen, bevor es die Anlage verließ. Beschädigte Teile wurden verschrottet. Den Verlust konnte sich das Unternehmen leisten, eine Panne dagegen nicht.

Leila atmete ein paar Mal tief ein und aus und hoffte, dass sie sich nicht übergeben musste. Aber sie hatte ohnehin kaum etwas im Magen. Sie aß kaum noch etwas, seit ihr Vater es mit diesem Straßenräuber aufgenommen hatte, statt ihm einfach sein Portemonnaie zu geben. In einem einzigen kurzen, sinnlosen Augenblick hatte sie eines der zwei engen Familienmitglieder verloren, die ihr noch geblieben waren. Tränen traten ihr in die Augen und sie blinzelte sie weg, Eric sollte sie nicht sehen.

Er mochte einmal ihre erste Vertrauensperson, ihr bester Freund und ihr Geliebter gewesen sein, aber inzwischen war er nur noch ihr Angestellter. Das Letzte, was sie brauchte, war, dass jemand ihre Führungsstärke infrage stellte.

Sie hatte ein Jahr lang hart darum gekämpft, dass ihre Angestellten sie als Geschäftsführerin ernst nahmen. Sie hatte gedacht, dass es funktionierte, bis ihr Dad gestorben war. Da erst war ihr klargeworden, wie viel Missgunst die Wahl auf sie als seine Nachfolgerin noch immer hervorrief. Sie war seitdem jeden Tag ins Büro gekommen, hatte sich keine Zeit zum Trauern genommen. Zum einen, weil sie wusste, dass ihr Vater gewollt hätte, dass sie sich auf die Arbeit konzentrierte; zum anderen, weil die Arbeit das Einzige war, was sie von dem entsetzlichen Verlust ablenkte. Vor allem aber, weil sie den Mitarbeitern gegenüber beweisen wollte, dass sie sich ihre Position verdient hatte. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, die Fassung zu verlieren, nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand.

Leila atmete tief durch und reckte das Kinn vor. „Wir müssen jetzt schnell handeln. Bring in Erfahrung, ob die Ausrüstung von uns war, damit wir herausfinden können, was passiert ist. Und am besten wäre es, wenn wir die Lieferung zurückverfolgen könnten. Wenn es noch mehr Probleme gibt, will ich sie zuerst finden.“

„Leila …“

„Jetzt sofort, Eric. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Vielleicht solltest du deinen Onkel anrufen.“

Joel Petrov, der jüngere Bruder ihres Vaters und COO des Unternehmens, war noch nicht eingetroffen. Falls er die Nachrichten noch nicht gesehen hatte, wollte sie ihn so lange wie möglich im Dunkeln lassen. Er hatte so viel für ihre Familie getan, hatte das Unternehmen all die Jahre nach dem Tod ihrer Mutter am Laufen gehalten, als ihr Vater so in seiner Trauer versunken war, dass er alles um sich herum vergessen hatte, sie eingeschlossen. Auch da war ihr Onkel eingesprungen, hatte dafür gesorgt, dass sie genug zu essen bekam und pünktlich in der Schule war. Und dafür gesorgt, dass sie sich immer noch geliebt fühlte.

Im Moment hätte sie eine Pause gut gebrauchen können. Hoffentlich würden sie nicht feststellen müssen, dass diese schrecklichen Todesfälle auf ihre Schutzkleidung zurückzuführen waren. Sie hatte hart daran gearbeitet, die Herstellung von Waffen und Schutzkleidung umzustellen, um nur noch Schutzkleidung zu produzieren. Sie wollte Petrov Armor als Unternehmen bekannt machen, das Leben rettete, nicht Leben beendete. Ein Vorhaben, das durch diesen Zwischenfall auf dem Spiel stand.

„Wir suchen Leila Petrov.“

Die fremde Stimme hallte laut durch die offen gestalteten Arbeitsräume von Petrov Armor und drang durch ihre geschlossene Bürotür. Sie wusste es, noch bevor die Tür aufsprang, ein Mann und eine Frau in Anzügen hereinkamen und mit ernstem Blick ihre FBI-Abzeichen vorzeigten. Petrov Armor war in Schwierigkeiten.

Sie trat vor und versuchte, sich das Gefühlschaos nicht anmerken zu lassen, das in ihr wütete – Angst, Schuldgefühle, Panik. Mit starker und ruhiger Stimme antwortete sie, „Ich bin Leila Petrov.“

„FBI“, verkündete die Frau und ihre stählerne Stimme stellte die von Leila in den Schatten. „Agenten Smith und Cantrell. Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Kommen Sie bitte mit …“

Eric kämpfte sich zu ihr durch und trat vor sie. „Sie können unmöglich einen Haftbefehl haben. Was für miese Einschüchterungstaktiken …“

„Lass es“, zischte Leila ihm zu.

Der andere Agent sprach über sie beide hinweg, so laut, dass die Angestellten hinter ihm ihn hören konnten und die Köpfe über die Trennwände ihrer Arbeitsplätze reckten. „Wir können uns auch hier unterhalten, wenn Ihnen das lieber ist.“

Leila griff nach ihrer Handtasche und schüttelte den Kopf. „Ich komme mit.“

„Und ich werde unseren Anwalt informieren“, sagte Eric, und seine zu laute Stimme stand in krassem Gegensatz zu ihrer zu leisen.

Erhobenen Hauptes stellte sie sich den Blicken ihrer Angestellten und nickte ihnen aufmunternd zu, während sie den Agenten folgte.

Sie betete, dass dieser langsame, demütigende Abmarsch nicht das Anfang vom Ende all dessen war, wofür ihr Vater gearbeitet hatte, des Vermächtnisses, das sie sich geschworen hatte um seinetwillen zu bewahren.

2. KAPITEL

Nur nicht die Fassung verlieren, ermahnte sich Davis, als die Tür zum Verhörraum aufging. Er hörte, wie Smitty die CEO von Petrov Armor hereinbat. Er hatte sich Leila Petrovs Biografie angesehen. Selbst mit ihrem Bachelorabschluss in BWL mit Kommunikation und Marketing im Nebenfach und einem anschließenden Master of Business Administration war sie mit dreißig Jahre verdammt jung, um CEO eines milliardenschweren Unternehmens zu werden. Vetternwirtschaft konnte einem nun mal Türen öffnen, die sonst verschlossen blieben.

Er hatte auch ein Foto von ihr gesehen. Sie war unbestreitbar hübsch, hatte glänzendes, dunkles Haar und große braune Augen. Aber sie sah eher aus wie eine Studentin, die sich auf ihr erstes Vorstellungsgespräch vorbereitet, als wie eine CEO.

Als sie jedoch durch die Tür kam, machte sein Herz völlig unerwartet einen kleinen Sprung und pumpte eine Extraportion Blut in Teile seines Körpers, wo es nichts zu suchen hatte. Vielleicht war es ihr zielstrebiger Gang, die unbeeindruckte Art, wie sie ihr Kinn vorschob, in einem Raum, der selbst hartgesottene Verbrecher unsicher machte. Er bemerkte auch, dass sie sich ebenso zu ihm hingezogen fühlte, sah es an der Art, wie sie den Blick über seinen Körper schweifen ließ, an der leichten Röte in ihren Wangen.

Sie hatte sich schneller wieder unter Kontrolle als er und sah sich mit finsterer Miene um. „Wenn das ein Versuch sein soll, mich einzuschüchtern, war er leider umsonst. Ich bin freiwillig hergekommen. Ich will Ihnen gerne helfen, aber mit diesem Psychoterror habe ich ein Problem.“

„Wenn Sie das schon für Psychoterror halten, sollten Sie nicht fürs Militär arbeiten. Bitte nehmen Sie Platz.“

Statt seiner Aufforderung zu folgen, kniff sie die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Haltung veränderte sich, als überlegte sie, gleich wieder zu gehen.

Davis fluchte in Gedanken, denn tatsächlich konnte sie gehen, wann es ihr passte. Aber er hatte sich für eine Taktik entschieden und dabei würde er auch bleiben. Also verschränkte er ebenfalls die Arme, zog die Augenbrauen hoch und wartete.

Ein kurzes, hartes Lächeln trat auf ihre Lippen, dann zog sie einen Stuhl vom Tisch und setzte sich auf die Kante. Sie wirkte dabei jedoch alles andere als fluchtbereit, mit ihrer perfekten Haltung und dem maßgeschneiderten schwarzen Hosenanzug sah sie vielmehr aus, als würde sie die Vernehmung führen.

Unterschätze niemanden, der es schon mit dreißig zum CEO gebracht hat, ermahnte er sich. Er nahm ihr gegenüber Platz und lehnte sich vor, bis so gut wie nichts mehr zwischen ihnen lag.

Wenn er sie schon nicht mit diesem Raum und seiner Berufsbezeichnung einschüchtern konnte, dann doch vielleicht mit seiner schieren Größe. Sie war zwar groß für eine Frau – wahrscheinlich um die 1,78 Meter ohne die niedrigen Absatzschuhe, die sie trug –, aber er war immer noch ein paar Zentimeter größer als sie. Und um einiges breiter – die Muskeln hatte er bei den Rangers auf die harte Tour bekommen.

Sie sah ihn unverwandt an. Ihre Augen hatten die Farbe einer perfekten Tasse Kaffee, mit einem kleinen Schuss Sahne. Er war ihr so nah, dass er sehen konnte, wie glatt und rein ihre Haut war, mit dunkleren Untertönen, als er zuerst gedacht hatte. Die Röte war immer noch in ihren Wangen, jetzt aber dunkler und von Zorn gefärbt. Und verdammt, sie roch nach Zitrusfrüchten, wahrscheinlich irgendein teures Parfüm, passend zu ihrer Designerkleidung.

Kleidung, die ein kleines bisschen zu locker saß und vermuten ließ, dass sie ein paar Mahlzeiten verpasst hatte. So anziehend sie auch war, fiel ihm doch die dicke Schicht Make-up unter ihren Augen auf, die die dunklen Ringe nicht ganz überdecken konnte. Auch die Röte in diesen Augen fiel ihm auf, als hätte sie bis spät in die Nacht geweint. Wahrscheinlich trauerte sie noch um den Vater, den sie vor drei Wochen so plötzlich verloren hatte.

„Ich bin Spezialagent Davis Rogers. Die Agenten Smith und Cantrell haben Ihnen sicher erklärt, worum es geht – falls Sie die Nachrichten heute Morgen noch nicht gesehen haben.“

„Die Soldaten, die in einem Hinterhalt getötet wurden“, antwortete Leila. „Da ich hier sitze, geht die Army wohl davon aus, dass sie Petrov Armor getragen haben?“

Er sah die Hoffnung in ihren Augen, den Wunsch, dass er sie korrigierte, ihr sagte, dass alles ein Fehler war oder man sie nur wegen ihrer Fachkenntnis hergebracht hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich sogar schlecht, aber dann fiel ihm wieder ein, wie er die Nachricht von Jessicas Tod erfahren hatte – im Fernsehen, genau wie ihre Familie, da das Video an die Öffentlichkeit gekommen war, bevor das Militär Kontakt zu den Angehörigen aufnehmen konnte. „Sie gehen nicht davon aus. Sie haben es bestätigt.“

Sie seufzte schwer und nickte. Ihr Blick war immer noch gefasst, keine Spur von Panik lag darin, nur Trauer hinter einer resoluten Fassade. „Ich will die Platten sehen.“

„Wie bitte?“ Meinte sie das ernst? „Die Platten sind Beweisgegenstände einer laufenden Ermittlung.“

Sie hätte erbleichen müssen bei diesen Worten, stattdessen wurde ihr Blick noch härter. „Es sind nicht unsere.“

Er konnte sich ein ungläubiges Schnauben nicht verkneifen. Das Spielchen wollte sie also spielen?

Sie fuhr fort, bevor er sich überlegen konnte, was er auf diese Dreistigkeit erwidern sollte. „Wir arbeiten mit einem ausgeklügelten Prüf- und Kontrollsystem. Mein Vater ist mit achtzehn Jahren zum Militär gegangen. Er war vier Jahre lang dabei und musste mit ansehen, wie drei andere Soldaten bei einem Trainingsunfall umkamen. Er konnte den Vorfall nicht vergessen und beschloss, sich für die Herstellung besserer Ausrüstung und Waffen einzusetzen. Die Army bezahlte ihm die Ausbildung und half ihm, die nötigen Kenntnisse zu erlangen, um Petrov Armor zu gründen. Es war ihm ein Anliegen – und es ist mir ein Anliegen –, dass unsere Produkte Leben retten.“

Ihre Worte waren voller Leidenschaft, aber Davis hatte vier Jahre lang als FBI-Agent für Wirtschaftskriminalität gearbeitet, bevor er zur TCD kam. Er hatte schnell gelernt, dass die Fähigkeit, gut zu lügen, eine der wichtigsten Qualitäten für CEOs korrupter Unternehmen war. Er hatte auch gelernt, dass dieselben CEOs ohne zu zögern einem anderen die Schuld in die Schuhe schoben, wenn die Lage brenzlig wurde. Also lehnte er sich zurück und wartete.

Leila schloss die Lücke zwischen ihnen und lehnte sich vor.

Er verbarg sein Erstaunen über ihre Forschheit und gab sich Mühe, ihr zartes Zitrusparfüm nicht einzuatmen.

„Nichts verlässt unser Werkgelände ohne Inspektion. Außerdem nehmen wir keine Veränderung vor, ohne sie auf jede Waffe zu prüfen, gegen die wir einen Schutz garantieren. Die Art Waffen, die den Nachrichten zufolge verwendet wurden, können unsere Produkte unmöglich durchbrochen haben. Entweder haben die Rebellen also andere Munition verwendet oder diese Soldaten haben nicht Petrov Armor getragen.“

Davis beschloss, ihr auf die Sprünge zu helfen. „Was ist mit der Person, die für die Inspektionen verantwortlich ist? Oder für die Tests? Wäre es nicht möglich, dass irgendjemand hinter Ihrem Rücken herumgepfuscht hat?“

Wenn sie nur ein bisschen Verstand hatte, würde sie ihm jetzt zustimmen, sich etwas Freiraum verschaffen, falls ihr die Sache am Ende um die Ohren flog – was ziemlich sicher passieren würde. Stattdessen funkelte sie ihn nur noch wütender an.

„Glauben Sie wirklich, ich würde die Verantwortung einem Angestellten zuschustern? Nein. Das ist unmöglich. Alle Schlüsselpositionen bei Petrov Armor sind durch langjährige Mitarbeiter besetzt. Es werden nirgendwo Befugnisse konzentriert, ohne dass unangekündigte Prüfungen durch andere Mitarbeiter im Team stattfinden. Diese Regelung hat mein Vater eingeführt, lange bevor er das Unternehmen an die Börse gebracht hat, und ich stehe bis heute dahinter.“

Davis merkte, dass er die Stirn runzelte und versuchte, seine Züge zu glätten. Sie war entweder eine bessere Lügnerin als es den Anschein hatte oder sie glaubte tatsächlich, was sie da sagte.

Das Problem war, er glaubte der Army. Jessica hatte Petrov Armor getragen, als sie starb. Das hieß, irgendjemand anders musste lügen.

Er hatte das ungute Gefühl, dass es vielleicht Leila Petrovs Vater gewesen war. Wenn Davis damit richtiglag, hatte er seine Chance verpasst, den Dreckskerl hinter Gitter zu bringen. Wenn er richtiglag, gab es keine Möglichkeit mehr, den Tod seiner Freundin zu rächen.

Melinda Larsen hatte im Laufe ihrer zwölf Jahre beim FBI einige der besten Lügner im ganzen Land gesehen. Davor hatte sie sich im Rahmen ihrer Abschlussarbeit in Psychologie mit inhaftierten Serienmördern unterhalten. Sie hatten die überzeugendsten Geschichten ihrer Unschuld gesponnen, und das praktisch ohne sich mit ihrer Körpersprache zu verraten.

Es war eine gute Übung für ihre Position bei der TCD gewesen, wo sie nicht den Luxus monate- oder gar jahrelanger Ermittlungen hatte, sondern fast auf der Stelle eine Beurteilung abgeben musste. Es war eine nahezu unmögliche Aufgabe, aber Melinda hatte gemerkt, dass sie die Herausforderung brauchte.

Leila Petrov war keine große Herausforderung gewesen. Trotzdem leierte Melinda ihren üblichen Standardsatz herunter, als sie zu Davis und Pembrook sah. Denn egal wie gut sie war – und sie wusste, dass sie eine der besten war –, sie war nicht gegen Fehler gefeit. „Eine einzige Vernehmung reicht nicht aus für eine komplette Beurteilung.“

Jill Pembrook nickte, ein leises Lächeln auf den Lippen, das halb Belustigung, halb Ermutigung war. Davis verschränkte nur die Arme vor der Brust und sah stinksauer aus. Aber sie wusste, dass sein Ärger nicht gegen sie gerichtet war, sondern den teuren Anwalt, der mitten in seine Vernehmung mit Leila Petrov geplatzt und mit ihr abgezogen war.

„Ich glaube, sie sagt die Wahrheit. Sie weiß von nichts.“

Davis schien in sich zusammenzusinken, als er Melindas Urteil hörte. „Das glaube ich auch“, stimmte er ihr zu. „Und ganz ehrlich, Petrov Armor ist kein sehr großes Unternehmen. Wenn es nicht bloß Schlamperei war – und das ist kaum vorzustellen, wenn man bedenkt, dass sie das Militär beliefert haben – ist hier irgendetwas faul.“

„Vielleicht hat jemand am falschen Ende gespart“, schlug Melinda vor. „Vielleicht werden diese Prüfungen, von denen sie redet, überhaupt nicht befolgt. Oder sie ist zu abgelenkt von der Trauer um ihren Vater und hat nicht gemerkt, dass sie eine große Lieferung verpfuscht haben. Oder es war Sabotage.“

Davis sah interessiert auf. „Sabotage? Denkst du an jemanden aus dem Unternehmen oder einen Außenstehenden?“

„Nach dem, was ich über ihr Verfahren gelesen habe, scheint mir Sabotage durch jemanden, der nicht dort arbeitet, unwahrscheinlich. Also eher ein Insider. Vielleicht jemand, der etwas gegen das Militär hat.“

„Das ist auch eher unwahrscheinlich. Leila zufolge sind die leitenden Angestellten schon seit Jahren dabei“, ging Davis dazwischen. „Wenn es schon seit längerer Zeit passieren würde, hätte das Militär nicht schon längst etwas bemerkt?“

„Das stimmt“, befand Melinda. „Wenn es Sabotage war, ist es also wahrscheinlich jemand, der Neal Petrov selbst in Verruf bringen will. Aber ehrlich gesagt glaube ich, das wahrscheinlichste Motiv ist das offensichtlichste.“

„Habgier.“ Davis nickte. „Sie haben minderwertige Produkte hergestellt, um Kosten einzusparen, mehr Profit zu machen. Na, das ist nach hinten losgegangen. Aber wenn das stimmt, sind wir wieder bei Neal Petrov. Als CEO und größter Anteilseigner würde er am ehesten profitieren. Aber da er tot ist …“

„JC hat während ihrer Vernehmung von Ms. Petrov einen Anruf der Army erhalten“, sagte Pembrook. „Es wurde bestätigt, dass die Schutzwesten, die die Soldaten getragen haben, nach Neal Petrovs Tod ausgeliefert wurden. Es ist natürlich möglich, dass er alles eingefädelt hat, bevor er gestorben ist, aber ich denke, dass es vielleicht einen Komplizen gibt.“

„Das ergibt Sinn“, stimmte Melinda zu. „Wenn sie wirklich ein so ausgeklügeltes Kontrollsystem haben, wie Leila Petrov behauptet hat, wäre es für einen allein schwierig durchzuziehen, selbst wenn es der CEO ist. Aber zu zweit …“

„Melinda und ich haben vorhin besprochen, dass wir jemanden in die Firma schicken sollten“, meinte Pembrook, den Blick auf Davis gerichtet.

„Undercover?“ Er klang frustriert. „Leila Petrov hat mich, JC und Smitty ja schon kennengelernt, wir kommen also nicht infrage. An wen haben Sie gedacht?“

„Ich denke, du solltest es tun“, hakte Melinda ein, bevor Pembrook etwas erwidern konnte.

Davis starrte sie an, als hätte sie ein paar Verbrecher zu viel analysiert und wäre endgültig durchgedreht. „Was soll ich denn undercover machen können, ohne …“

„Das hier.“ Melinda hielt ihr Handy hoch. Sie hatte eine Anzeige gefunden, in der eine Stelle als Büroassistenz für Leila Petrov ausgeschrieben wurde. „Ein echter Glückstreffer.“

„Ach ja?“, entgegnete Davis und sah zwischen ihr und Pembrook hin und her, als erwarte er, dass die Chefin ihr den Kopf zurechtrückte. „Leila Petrov wird sich nie darauf einlassen.“

„Ich denke schon“, widersprach Melinda, während Pembrook die Unterhaltung schweigend verfolgte.

„Und warum?“, fragte Davis.

„Körperliche Anziehungskraft. Ihr habt euch auf Anhieb zueinander hingezogen gefühlt.“

Als Davis die Stirn runzelte, fügte sie schnell hinzu, „Es ist mein Job, solche Dinge zu bemerken. Ich sage ja nicht, dass du dich unprofessionell verhalten hast. Aber du kannst diese Anziehungskraft nutzen, um ihr Vertrauen zu gewinnen.“

„Sie leitet das Unternehmen“, konterte Davis. „Sie wird sich auf keinen Fall darauf einlassen.“

„Das denke ich schon.“

„Weil sie mich süß findet? Ach, komm. Wir sind nicht mehr in der Highschool, Melinda.“

Sie konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. Der gut 1,80 Meter große, breitschultrige afroamerikanische Agent war tatsächlich süß. Das würde Leila Petrov beeinflussen, ob sie es wollte oder nicht. „Nein, aber wir sind uns beide einig, dass sie unschuldig ist. Ich glaube, dass sie die Wahrheit herausfinden will. Und du kannst ihr dabei helfen.“

Das brachte ihn zum Schweigen, aber nur für einen Moment. Er runzelte die Stirn und schüttelte wieder den Kopf. „Glaub mir, ich will ja derjenige sein, der die Verantwortlichen findet. Aber das ist doch ein unglaubliches Risiko. Das ist es nicht wert.“

„Wie sicher bist du dir?“, fragte Pembrook Melinda.

Ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken daran, dass sie möglicherweise die falsche Vorgehensweise vorschlug und damit die Ermittlungen gefährdete. Aber als sie sich Leilas Vernehmung mit Davis noch einmal durch den Kopf gehen ließ, sagte ihr Bauchgefühl, dass es funktionieren würde. „Davis muss sie überzeugen, dass sie das Unternehmen ihres Vaters nur retten kann, wenn sie mitspielt. Sie muss also glauben, dass sie auf einer Seite sind. Wenn er das schafft, bin ich ziemlich sicher, dass es klappt.“

Pembrook richtete ihren eisernen Blick auf Davis, der in strammer Haltung dastand wie bei einer Militärinspektion. Endlich nickte sie knapp. „Sie gehen undercover.“

3. KAPITEL

„Es war ein Irrtum. Das FBI ermittelt in dem Fall, und sie werden sicher bald herausfinden, wer wirklich dahinter steckt. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die nächsten Lieferungen vorzubereiten.“

Das waren die Worte, mit denen Leila ihre Angestellten mobilisiert hatte, als sie endlich zurück ins Büro gekommen war. Sie hatten genickt und zurückgelächelt, verkniffen und besorgt, und angefangen zu flüstern, sobald sie wieder in ihrem Büro war.

Hoffentlich gab es diese nächsten Lieferungen überhaupt noch. Achtzig Prozent ihres Umsatzes machten sie mit dem Militär. Der Rest verteilte sich auf die inländische Strafverfolgung und private Unternehmen, üblicherweise zivile Sicherheitsfirmen. Sie hatten bereits erhebliche Umsatzeinbußen durch die Einstellung ihrer Waffenherstellung abfangen müssen. Jetzt, da sie nur noch Schutzkleidung herstellten, waren sie auf die Bestellungen vom Militär und ihren guten Ruf angewiesen. Aber wenn diese Tragödie auf sie zurückgeführt wurde, wäre es damit vorbei.

Leila schloss ihre Bürotür, denn sie war es leid, so zu tun, als könnte sie das Flüstern nicht hören. Dann stieß sie den tiefen Seufzer aus, den sie seit dem frühen Morgen zurückgehalten hatte, als die FBI-Agenten sie zum Verhör mitgenommen hatten.

Als Eric den Firmenanwalt geschickt hatte, um sie dort rauszuholen, war sie erleichtert, aber auch verärgert gewesen. Erleichtert, weil der karge Verhörraum und der muskelbepackte Agent mit dem durchdringenden Blick sie wider Willen nervös gemacht hatten. Verärgert, weil sie, je länger sie darüber nachdachte, immer sicherer war, dass das Ganze ein Irrtum war. Ihre Schutzausrüstung konnte einfach nicht versagt haben.

Darauf würde sie ihren guten Ruf verwetten. Sie ließ sich in den gepolsterten Stuhl hinter ihrem Schreibtisch sinken und öffnete ihren Laptop, um an die Arbeit zu gehen. Denn wenn sie nicht bald herausfand, was wirklich passiert war, wäre noch mehr als ihr guter Ruf ruiniert.

Ein Klopfen an ihrer Tür ließ Leila aufschrecken, und sie rief ein zerstreutes „Herein“.

„Ich weiß, heute ist einiges drunter und drüber gegangen, Leila, aber ich habe gute Neuigkeiten.“

Leila sah zu ihrem Personalverantwortlichen auf. Ben Jameson war jung und noch neu im Unternehmen, aber fest entschlossen, sich zu beweisen. „Gute Neuigkeiten könnte ich gut gebrauchen.“

„Ich habe einen Assistenten für dich gefunden.“

„Oh.“

Ihre Reaktion enttäuschte ihn offensichtlich, aber ein neuer Mitarbeiter, der eingearbeitet werden musste, konnte sie im Moment wirklich nicht gebrauchen. Sie sah auf ihren Bildschirm und überlegte, wie sie ihn vertrösten konnte, nur für eine Weile, bis sie das Desaster mit dem FBI im Griff hatte.

„Wir haben vor ein paar Stunden seinen Lebenslauf bekommen“, fuhr Ben fort. „Normalerweise wäre das Verfahren nicht so formlos, aber er hatte sofort Zeit für ein Vorstellungsgespräch und ist genau, was wir suchen. Er meinte, er könnte gleich heute anfangen, also dachte ich, vielleicht kann er sich schon mal einen Überblick verschaffen?“

Als sie keine Antwort gab, setzte er nach, „Ich meine, wenn sich die Aufregung mit dem FBI gelegt hat …“

Schließlich sah sie auf und nickte. Hoffentlich war ihr nicht ihr CEO-Gesicht entgleist. „Sehr gut. Ich kann gut etwas Hilfe gebrauchen.“

Ben strahlte. „Perfekt! Sie können ihn gleich kennenlernen.“ Er drehte sich zur Tür um und rief: „Davis!“

Wie bitte? Zwei Männer namens Davis an einem Tag? Leila stand auf, und ihr Nacken verspannte sich vor Angst und Sorge, noch bevor Davis Rogers ihr Büro betrat.

Heute Morgen hatte er eher ausgesehen wie ein bulliger Nachtclub-Besitzer, in Jeans und einem T-Shirt, das sich eng um seinen muskulösen Oberkörper spannte. Auf seinem Kinn war sogar ein Dreitagebart zu erahnen gewesen. Von einem FBI-Agenten hatte sie definitiv anderes erwartet.

Jetzt war er frisch rasiert und trug eine dunkle Anzughose und einen Blazer. Er hätte eigentlich weniger anziehend wirken sollen in Kleidung, die seinen Körperbau verhüllte, aber stattdessen lenkte es ihre Aufmerksamkeit auf sein Gesicht. Auf hypnotisierende dunkelbraune Augen, deren Blick unter den dichten Augenbrauen noch tiefer wirkte. Auf faltenlose braune Haut, über die sie ihre Hände gleiten lassen wollte. Auf volle Lippen, die sie küssen wollte. Der Gedanke erschreckte sie. Sie war gar nicht der Typ dafür, sich nach Männern zu verzehren, die sie kaum kannte. Sie schob es auf das Gefühlschaos, das in ihr schwelte – eine Mischung aus Stress, Trauer und Sorge, die ihr zu Kopf stieg –, strich ihren Blazer glatt und versuchte, sich zu sammeln. „Was glauben Sie eigentlich, was …“

„Schön, Sie kennenzulernen“, unterbrach sie Davis. „Es freut mich sehr, zum Petrov-Armor-Team zu gehören. Ich werde Ihnen helfen, wo ich kann“, fügte er mit einer Spur Sarkasmus hinzu, die Ben wahrscheinlich entging.

Aber Leila hatte sie sehr wohl gehört. Sie spürte, wie sich ihre Gesichtszüge ungläubig verzerrten, während Ben zwischen ihnen hin- und hersah. Aber bevor sie Davis aus ihrem Büro werfen konnte, verzogen sich seine Lippen zu einem schiefen Grinsen. Es war ein halb amüsiertes, halb selbstsicheres Lächeln, als wüsste er genau, was sie dachte.

Was für ein Spielchen spielte er? Glaubte er wirklich, sie würde ihn ihr Unternehmen hochnehmen lassen, ihre Mitarbeiter? Sie erwiderte sein Lächeln, allerdings mit einem so warnenden Unterton, dass er eigentlich hätte einen Schritt zurücktreten sollen. Es war ein Trick, den sie lange vor ihrem Aufstieg zur CEO gelernt hatte, als sie noch auf der Uni war und nachts auf dem Heimweg von der Bibliothek an betrunkenen Typen vorbeimusste, die es witzig fanden, sie zu verfolgen. Es hatte bisher noch jedem das Grinsen vergehen lassen.

Aber Davis trat näher an sie heran und reichte ihr die Hand. „Ich glaube, wir werden gut zusammenarbeiten und tun, was getan werden muss.“

Mutig. Sie hätte damit rechnen sollen, bei einem FBI-Agenten. Und er hätte damit rechnen sollen, dass sie ihn auf der Stelle auffliegen ließ. Aber als sie in seine Augen sah, lag in ihnen etwas, womit sie nicht gerechnet hatte, etwas wie Ehrlichkeit.

„Danke, Ben.“ Sie warf dem jungen Mitarbeiter einen kurzen Blick zu, der den Mund öffnete und schloss, wie auf der Suche nach passenden Worten. Dann nickte er, trat rückwärts aus ihrem Büro und schloss die Tür. Und ließ sie allein mit Davis zurück.

„Ich behalte Sie aus reiner Neugier da“, informierte sie ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie haben genau zwei Minuten Zeit, mir zu erklären, warum ich dieses Spielchen mitmachen soll. Danach landen Sie vor der Tür und mein Anwalt wird Ihnen einen Besuch abstatten.“

Statt besorgt auszusehen, trat Davis näher an sie heran und sah ihr so tief in die Augen, dass ihr die Härchen auf den Armen zu Berge standen und ihr Atem schneller ging. Dann hielt er eine Mappe zwischen ihnen hoch.

Sie trat zurück und nahm ihm die Mappe ab. Ein Blick, und sie verstand sein freches Grinsen. Es war eine Nahaufnahme vom Teil einer Schutzweste, an drei Stellen von Kugeln durchlöchert. Und da, seitlich aufgestempelt, war ihr Markenzeichen mit dem Petrov-Armor-Logo. Und einer Einstufung auf der Bewertungsskala, die die Munition, die diese Löcher verursacht hatte, eigentlich hätte abhalten müssen.

Sie suchte seinen Blick, und eine dunkle Vorahnung stieg in ihr auf. „Wir konnten sie zurückverfolgen auf eine Charge, die erst kürzlich ausgeliefert wurde. Ich glaube Ihnen, dass Sie nichts davon wissen, sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen. Sie haben also die Wahl – entweder Sie lassen mich verdeckt ermitteln und herausfinden, wie die fehlerhafte Schutzkleidung hier rausgekommen ist, oder Sie lassen mich auffliegen und haben den Rest meines Teams am Hals, bis wir die Wahrheit gefunden haben. Wir holen gerade die Befugnisse ein.“

Leila sah sich das Foto noch einmal an. Vielleicht war es gefälscht. Vielleicht war es eine neuartige Munition gewesen, gegen die ihre Schutzwesten nichts nützten. Aber wenn sie in sich hineinhörte, wusste sie, dass irgendetwas in ihrem Unternehmen faul war.

Eine erst vor Kurzem produzierte Charge – das hieß, dass es wahrscheinlich unter ihrer Aufsicht passiert war. Ein Fehler durch reine Nachlässigkeit war bei ihrer Unternehmensstruktur auszuschließen. Es war eine vorsätzliche Tat, ein Versuch, alles zu zerstören, wofür ihr Vater den Großteil seines Lebens gearbeitet hatte.

Sie sah wieder zu Davis auf, und mit einem Mal wurde ihr klar, dass er – und das FBI – vielleicht der beste Weg war, den Verantwortlichen zu finden. Mit verdeckten Ermittlungen hätte Petrov Armor noch eine Chance. Öffentliche Ermittlungen dagegen – egal, mit welchem Ausgang – wären das Ende.

„Ich will über alles auf dem Laufenden gehalten werden, was Sie hier tun. Ich kann Ihnen nur meine Einwilligung geben, wenn Sie mich in die Ermittlungen einbeziehen.“ Sie reichte ihm die Hand, wie er es vorhin getan hatte. „Abgemacht?“

Wieder lächelte er, diesmal verhaltener und ernster, und legte seine große Hand in ihre. „Abgemacht.“

Leila konnte nur hoffen, dass sie ihr Unternehmen mit dieser simplen Geste nicht gerade ins Verderben geführt hatte.

Letztendlich spielte es keine Rolle, dass Leila Petrov von der Auslieferung der fehlerhaften Ware nichts gewusst hatte. Als CEO war sie verantwortlich dafür, was in ihrem Unternehmen geschah.

Sie war verantwortlich für jedes einzelne Teil der Schutzausrüstung, die mit dem Versprechen ins Ausland geschickt worden war, Leben zu retten. Einem Versprechen, das die Soldaten, die sie trugen, im Stich gelassen hatte. Damit war sie verantwortlich für jedes einzelne Todesopfer. Auch für Jessica.

Dieser Umstand wäre leichter zu akzeptieren, wenn sie Davis nicht mit jeder Minute, die verging, mehr imponierte. Die Frau war tough. Sie hatte ihm das Büro gezeigt und ihn den Mitarbeitern vorgestellt, und er konnte sehen, dass sie respektiert wurde. Manchmal widerwillig, aber die meisten schienen sie als Chefin wirklich zu mögen.

Die meisten schienen aber auch ihren Vater wirklich gemocht zu haben. Sie legten ihr die Hand auf den Arm oder neigten betreten den Kopf, wenn sein Name fiel. Doch wenn Leila nichts von den fehlerhaften Produkten geahnt hatte, wie wahrscheinlich war es dann, dass auch ihr Vater von nichts gewusst hatte? Je mehr er bei seinem Rundgang von den Produktionsabläufen und Sicherheitsvorkehrungen sah, desto unwahrscheinlicher schien es ihm. Denn selbst wenn die Charge erst nach dem Tod ihres Vaters ausgeliefert worden war, hergestellt worden war sie wahrscheinlich zu seinen Lebzeiten.

Ihm war gleich klargeworden, dass die Sicherheitsvorkehrungen bei Petrov Armor ernst genommen wurden, und zwar nicht erst seit dem gestrigen Nachrichtenbericht. Er sah, wie die Mitarbeiter nicht nur beim Betreten und Verlassen der Anlage, sondern auch in allen kritischen Bereichen wie selbstverständlich ihre Zugangskarten zückten. Überwachungskameras waren nicht nur um das Gebäude herum, sondern auch in den Innenbereichen installiert. Wer auch immer hinter den fehlerhaften Produkten steckte, musste wissen, wie man all diese Vorkehrungen umging.

Davis nahm sich vor, bei Gelegenheit um die Aufzeichnungen der Überwachungskameras zu bitten, und setzte ein Lächeln auf, als er einer weiteren Mitarbeiterin vorgestellt wurde.

„Davis, das ist Theresa Quinn, die Leiterin unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Theresa, das ist mein neuer Assistent, Davis Rogers.“

„Was wollten denn die FBI-Agenten?“, fragte Theresa in einem Ton, den man sich nur leisten konnte, wenn man schon lange dabei war und eine Machtposition innehatte. In ihrem Ton schwang auch eine gewisse Respektlosigkeit mit, als wäre sie Leila gleichgestellt und nicht ihre Angestellte.

Leila erstarrte, als sie Theresas Frage hörte, und Davis notierte sich in Gedanken, dass die beiden sich nicht leiden konnten.

„Wie gesagt, es ist alles in Ordnung“, antwortete Leila.

Theresa sah skeptisch aus. „Einfach so?“

„Einfach so. Es waren nicht unsere Schutzwesten.“

„Weiß man schon, von wem sie waren?“ Theresas Stimme klang immer noch misstrauisch, aber die Neugier schien größer zu sein. „Dann hätten wir einen Konkurrenten weniger.“

Der gefühlskalte Kommentar ließ Davis stutzen, doch seine Körpersprache blieb ruhig und interessiert, so wie er sich einen neuen Assistenten vorstellte.

„So etwas kann das FBI nicht jedem mitteilen“, gab Leila zurück. Sie wandte sich Davis zu. „Ich will dir noch unseren Vertriebsleiter vorstellen.“ Dann rief sie in das Großraumbüro hinein. „Eric!“

Der Mann, der sich zu ihnen umdrehte, schien etwa in Leilas Alter zu sein. Mit seinem blonden, penibel gegelten Haar und seinen dunkelblauen Augen, die exakt denselben Farbton wie sein Anzug hatten, sah er auch aus wie ein Vertriebsleiter. Aber als er auf sie zukam und den Blick nur kurz zu Davis schweifen ließ, bevor er sich ganz auf Leila fokussierte, sah Davis nur noch einen verliebten Mann.

Als Eric bei ihnen ankam, mit der Aufmerksamkeit immer noch ganz bei Leila, als wäre niemand außer ihr im Raum, streckte Davis ihm die Hand entgegen. „Davis Rogers, Leilas neuer Assistent.“

Eric musterte ihn etwas abschätzig, schenkte ihm aber ein etwas gekünsteltes Lächeln und reichte ihm die Hand. „Eric Ross. Vertriebsleitung.“ Mit etwas zu festem Händedruck schüttelte er Davis die Hand und fügte hinzu, „Ich bin froh, dass Leila endlich einen Assistenten hat. Sie arbeitet zu viel. Pass ja auf, dass sie es ruhiger angehen lässt.“

Bevor Davis darauf reagieren oder sich auch nur eine Antwort überlegen konnte, hatte Eric seine Hand schon losgelassen und war wieder ganz auf Leila fixiert. Mit etwas leiserer Stimme setzte er nach: „Dein Dad war wie ein Vater für mich, Leila. Du weißt, dass du mit mir reden kannst.“ Er legte eine Hand auf Leilas Oberarm, eine tröstende Geste, aber etwas zu intim. „Niemand wird es dir nachsehen, wenn du dir etwas Zeit zum Trauern nimmst.“

Leila schüttelte seine Hand ab, nickte und errötete leicht. „Ich weiß, was er dir bedeutet hat, Eric. Danke.“

Davis sah zwischen den beiden hin und her und überlegte, was zwischen ihnen gewesen war, als Theresa etwas weniger emotional dazwischenging. „Wir alle vermissen deinen Vater. Er war ein toller CEO und ein toller Mensch.“ Dann ging sie davon, und Davis fragte sich, ob ihr Kommentar Ausdruck von Mitgefühl oder ein Seitenhieb gegen Leilas Führungsstil gewesen war.

Dem finsteren Blick nach zu urteilen, mit dem er Theresa hinterhersah, hielt Eric es für einen Seitenhieb. Davis betrachtete ihn etwas genauer. Offensichtlich reichte seine Verbindung zu Leila und ihrer Familie weit zurück. Wenn Neal Petrov für Eric wie ein Vater gewesen war, hatte der Mann ihn vielleicht auch in seine Geheimnisse eingeweiht. Oder sich von ihm helfen lassen, ein bisschen was nebenher zu verdienen.

Bevor Davis den Gedanken weiter verfolgen konnte, kam ein Mann durch den Büroraum geeilt und kam schnurstracks auf Leila zu. Er war vielleicht Mitte fünfzig, hatte dunkelbraunes Haar und hellblaue Augen und sah aus wie eine jüngere, attraktivere Version von dem Mann, den Davis sich noch am Morgen auf den Fotos angesehen hatte. Es musste Neal Petrovs jüngerer Bruder Joel sein.

Sobald er sie erreichte, packte er Leila an den Armen und sah sie durchdringend an. „Alles in Ordnung? Ich habe gehört, dass du vom FBI verhört wurdest wegen diesem Militärunfall.“

Leila sah kurz zu Davis hinüber, dann zurück zu dem Mann, der ihr Onkel sein musste. Sie mied seinen Blick, als sie ihm antwortete, „Alles in Ordnung. Es war ein Irrtum. Mach dir keine Sorgen.“

„Keine Sorgen? Du weißt doch, ich mache mir immer Sorgen. Jetzt, wo auch noch dein Vater nicht mehr da ist …“ Er seufzte, lächelte Leila traurig an und ließ sie los. „Tut mir leid“, murmelte er etwas sanfter. „Wir hätten unter vier Augen sprechen sollen. Aber warum hast du mich nicht gleich angerufen? Eric meinte …“

„Es ist alles in Ordnung“, unterbrach ihn Leila. „Onkel Joel, das ist mein neuer Assistent, Davis Rogers. Davis, das ist Joel Petrov, unser COO.“

Joel wandte sich Davis zu und musterte ihn mit dem prüfenden Blick eines Vaters, der den ersten Freund seiner Tochter inspiziert. Davis überlegte kurz, warum Neal Petrov seinen Vorstand nicht dazu bewogen hatte, seinen Bruder zum CEO zu machen anstelle seiner Tochter.

Dann schloss sich Joels Hand um seine. „Davis. Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin sicher, es wird Ihnen hier gefallen.“ Genauso schnell ließ er seine Hand wieder los und ließ ihn links liegen, als wären sie nicht mehr im selben Raum.

„Ich bin froh, dass es bloß ein Irrtum war“, sagte er zu Leila. „Aber wenn noch irgendwas ist, lass mich dir helfen. Du hast im Moment schon genug um die Ohren.“ Er drückte ihre Hand, bevor er sich in eines der umliegenden Einzelbüros verzog und die Tür hinter sich schloss.

„Beenden wir unseren Rundgang“, beschloss Leila an ihn gewandt und war wieder ganz die Geschäftsfrau, als sie ihn mit schnellem Schritt am Büro ihres Onkels vorbei zum Testgelände führte.

Davis eilte ihr hinterher, und seine Gedanken überschlugen sich. Neal Petrovs Bruder war COO der Firma, und dennoch hatte Neal seinen Vorstand dazu überredet, seiner neunundzwanzig Jahre alten Tochter die Führung zu übergeben. Seinen Angestellten zufolge war Neal Petrov auch nach seinem Rücktritt noch ständig ins Büro gekommen. Als Gründer und größter Anteilseigner war er immer noch am Gewinn beteiligt. Vielleicht befreite ihn der Rücktritt von der Haftung, wenn etwas schiefging. Vielleicht hatte er nicht aus Vetternwirtschaft seiner jungen Tochter die Führung übergeben wollen, sondern weil er glaubte, dass sie zu unerfahren war, um zu merken, was direkt unter ihrer Nase passierte.

Er dachte an Leilas traurigen Blick, als Eric über ihren Vater gesprochen hatte. Wenn Davis’ Vermutung stimmte, hatte ihr Vater nicht viel für sie übrig gehabt. Denn indem er ihre Unerfahrenheit und ihr Vertrauen gegen sie nutzte, brachte er sie auch in eine Position, in der sie die Erste war, zu der die Spur führen würde, wenn die Sache ans Licht kam. Er machte sie zu seinem Sündenbock.

Davis war weit davon entfernt, diese Vermutung zu bestätigen, aber wenn er richtiglag, wünschte er mehr denn je, dass Neal Petrov noch am Leben war und er ihn büßen lassen konnte.

„Ich zeige Ihnen den Bereich, in dem wir unsere Tests durchführen“, erklärte Leila, und ihre Stimme klang stark und zuversichtlich, als könnte sie ihm mit einem Rundgang durch ihre Produktion beweisen, dass niemand die Westen sabotiert haben konnte. Mit ihrer Zugangskarte öffnete sie eine neue Tür und hielt sie ihm auf.

Als Davis eintrat, klingelte sein Handy. Auf seinem Display erschien eine Mitteilung von Hendrick.

Der Fall ist viel größer als wir dachten. Der Name Petrov Armor ist dem FBI bekannt – ziemlich viele Fälle über zehn Jahre. Aber sie haben sie nie drangekriegt.

Davis tippte eine schnelle Rückfrage ein: Fälle im Militär? Fehlerhafte Ware?

Die Antwort kam schnell und Davis fluchte leise.

Nein. Illegale Waffenverkäufe an Verbrecher.

4. KAPITEL

Davis war nun schon seit anderthalb Tagen in Leilas Firma undercover. Es kam ihr vor, als wäre er schon seit einer ganzen Woche da.

Es machte sie nervös, dass sie ständig aufpassen musste, was sie vor ihm sagte, dass sie nicht verdächtig zu ihm hinübersehen durfte, weil ihren Angestellten sonst vielleicht etwas auffiel. Die meisten hätten es wahrscheinlich auf ihre Übervorsichtigkeit in Bezug auf ihr Unternehmen zurückgeführt. Aber Onkel Joel oder Eric hätten ziemlich sicher gewusst, dass etwas nicht stimmte. Es überraschte sie, dass sie noch nichts gemerkt hatten.

Aber sie hatte die beiden auch nie angelogen.

Sie und Eric hatten sich einmal so nahe gestanden, dass sie geglaubt hatte, sie wären unzertrennlich. Er war der Freund gewesen, der ihr drei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter aus einer tiefen Depression geholfen hatte. Ein Jahr danach war er ihre erste Liebe gewesen. Nach dem Ende ihrer Beziehung waren sie irgendwann wieder Freunde geworden. Es konnte zwar nie wieder so werden wie damals, aber Leila würde ihm nie vergessen, was er für sie getan und wie viel er ihrer Familie bedeutet hatte.

Auch zu ihrem Onkel hatte sie eine enge Beziehung. Sie sahen sich zwar nicht oft außerhalb des Büros, aber das lag hauptsächlich daran, dass sie beide so viel zu tun hatten – mit ihrer Arbeit und, im Fall ihres Onkels, mit den Frauen, die er mit einem bloßen Lächeln anzuziehen schien. Es war eine Kunst, die sie nie so recht gelernt hatte, und nach der schmerzhaften Trennung von Eric hatte sie auch nie das Bedürfnis danach gehabt.

Der Gedanke ließ sie kurz zu Davis aufschauen, der neben ihr her zu ihrem Auto lief. Eric lief zu ihrer anderen Seite, und die Art, wie er ihr viel zu schnell von seinem neuesten Verkauf erzählte, verriet ihr, dass er sehr wohl etwas bemerkt hatte: Davis’ Anziehungskraft auf sie.

Eric kannte sie zu gut. Ihm war wahrscheinlich aufgefallen, dass sie etwas zu oft zu Davis hinübersah. Eric konnte ja nicht wissen, dass das nur zum Teil daran lag, dass sie ihn attraktiv fand.

Eric war eifersüchtig. Neben dem Frust darüber stieg auch ein kleines bisschen Ärger in ihr auf. Er hatte sein Recht, eifersüchtig zu sein, schon vor langer Zeit aufgegeben, als er ihr das Herz gebrochen hatte.

„Das darf doch nicht wahr sein.“ Leila seufzte, als sie ihren Wagen auf dem Parkplatz erreichten. Der rechte Vorderreifen war platt. „Verdammt. Das war mein Ersatzreifen.“

Davis sah sich den Reifen genauer an. „Ich nehme an, du hast keinen anderen? Sonst könnte ich ihn dir wechseln, kein Problem.“

„Tja“, sagte Leila. „Das könnte ich auch selbst, aber einen zweiten Ersatzreifen habe ich nicht. Wahrscheinlich bin ich mal wieder in einen Nagel gefahren.“

Sie ignorierte die leise Stimme in ihrem Kopf, die ihr zuflüsterte, dass es einer ihrer Angestellten gewesen war. Sie wusste, dass einige von ihnen gar nicht glücklich damit waren, dass sie nach der Pensionierung ihres Vaters die Rolle des CEO übernommen hatte. Aber sie mussten damit gerechnet haben. Seit dem Tag, an dem sie vor fünf Jahren in die Firma gekommen war, hatte sie mehr Stunden zusammenbekommen als jeder andere dort. Petrov Armor hatte als Familienunternehmen angefangen, und der Vorstand hatte die Vorteile darin erkannt, es dabei zu belassen. Das konnte ihr niemand verübeln.

„Ich fahre dich nach Hause“, kündigte Eric an und legte ihr die Hand auf den Arm.

„Kein Problem. Ich mach das schon.“ Die Neugier in Davis’ Gesichtsausdruck verriet, dass ihm Erics Eifersucht ebenso wenig entgangen war.

Bevor Leila sagen konnte, dass sie sich ein Taxi rufen würde, setzte Davis nach, „Ich bin schließlich ihr Assistent. Und bei der Gelegenheit können wir uns darüber unterhalten, wie ich Petrov Armor unterstützen kann.“

„Sie sollen Leila bei der Arbeit unterstützen“, versuchte Eric klarzustellen. „Nicht …“

„Das ist eine gute Idee“, ging Leila dazwischen. „Danke.“ Sie wünschte Eric einen schönen Abend und drehte sich um, um Davis zu seinem Wagen zu folgen.

Sie war sicher, Erics unglücklichen Blick auf sich zu spüren, als sie in Davis’ schwarzen SUV einstieg, aber sie sah nicht zurück. Stattdessen ließ sie sich in den erstaunlich bequemen Sportsitz seines Autos sinken und schloss die Augen. Die letzten zwei Tage waren stressig gewesen, die letzten drei Wochen die schlimmsten ihres Lebens.

Sosehr sie auch versucht hatte, sich in die Arbeit zu stürzen und nicht an ihren Dad zu denken, er begegnete ihr doch überall. Er hatte nicht nur das Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut, sondern war auch in jede Entscheidung eingebunden gewesen, als sie das Bürogebäude bezogen hatten. Er hatte die Möbel und die Kunstwerke in der Empfangshalle ausgewählt und ihr einen Büroraum direkt neben seinem zugewiesen. Als er in den Ruhestand gegangen war, hatte er sein altes Büro behalten, da er immer noch so oft in beratender Funktion da war. Seit er gestorben war, hatte sie es nicht über sich gebracht, es zu betreten.

Beim Gedanken an den schrecklichen Moment, als sie den Anruf bekommen hatte, brannte es in ihrer Kehle und Leila wusste, dass die Tränen bald folgen würden. Sie schluckte den Schmerz hinunter, öffnete die Augen und blinzelte die Feuchtigkeit weg. Sie sah, dass Davis den Parkplatz schon verlassen hatte und sie durch die Straßen von Old City fuhr, und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Einzige, was noch in ihrer Hand lag: das Vermächtnis ihres Vaters. „Also, was hast du herausgefunden?“

„Eure Sicherheitsvorkehrungen sind solide“, antwortete Davis, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. „Aber morgen würde ich mir gern die Überwachungsvideos ansehen und auch die Logdateien der Zugangskarten. Mal sehen, ob sich jemand Unbefugtes Zutritt zu kritischen Bereichen verschafft hat, oder zu merkwürdigen Zeiten da war.“

„Was ist mit Verdächtigen? Was glaubst du, wer es war? Wäre es möglich, dass die Ware nach der Auslieferung ausgetauscht wurde?“

„Ich bin gerade mal anderthalb Tage dabei“, gab Davis zurück, immer noch ohne sie anzusehen. „Im Moment sind alle Verdächtige.“

„Davis, wenn ich mit dir zusammenarbeiten soll, musst du auch mit mir zusammenarbeiten. Ich kann dir keine Insiderinformationen geben, wenn ich nicht weiß, wen du überprüfen willst.“

Er drehte den Kopf ein Stück weit zu ihr um und sah sie an, als suchte er etwas in ihrem Blick. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße.

„Erzähl mir mehr über Eric Ross.“

Sie keuchte auf, die Aussage war einfach zu absurd. Eric, ein Verräter? „Ich kenne ihn schon, seit ich dreizehn Jahre alt war. Er stand meinem Dad fast so nahe wie ich. Glaub mir. Er hatte nichts mit der Sache zu tun.“

„Bist du sicher, dass du unparteiisch sein kannst? Der Mann ist offensichtlich bis über beide Ohren in dich verliebt.“

„Er hat nichts …“ Sie stieß einen Seufzer aus. „Das ist doch absurd. Ich verstehe schon, ich habe irgendjemanden im Unternehmen falsch eingeschätzt. Aber nicht Eric.“

Sie drehte sich auf ihrem Sitz zu ihm um, sodass sie ihn besser sehen konnte, und war sofort abgelenkt durch seinen Anblick in Anzughose und Blazer. Ihr fiel eine Wölbung an seiner Hüfte auf und sie verstand sofort, was es war. „Du trägst eine Pistole.“

Er warf ihr wieder diesen kurzen, suchenden Blick zu. „Immer. Selbst, wenn es das FBI nicht vorschreiben würde. Ich war ein Army Ranger, bevor ich zum FBI gekommen bin. Ich bin lieber auf alles vorbereitet.“

Ein Ranger. Leila ließ sich das Bild durch den Kopf gehen – Davis in Army-Uniform, mit dem berühmten hellbraunen Barett, das ihn als Mitglied der Sondereinsatzkräfte auszeichnete. Es war leicht, sich ihn beim Fallschirmsprung aus einem Flugzeug vorzustellen, beim Navigieren eines Boots voller Soldaten durch einen Dschungelfluss, beim Abseilen von einem Berghang. Etwas an der ruhigen Zuversicht in seinem Blick, an dem übermütigen Grinsen, den Muskeln, die kaum in seinen Blazer zu passen schienen.

Sie verdrängte das Bild aus ihrem Kopf und witzelte: „Wenn du auf alles vorbereitet bist, was hast du dann im Kofferraum? Ein Schlauchboot und einen Fallschirm?“

Wieder sah er kurz zu ihr hinüber, aber diesmal mit einem Lachen in den Augen und diesem unwiderstehlichen, amüsierten Lächeln auf den Lippen.

Wahrscheinlich hatte er sie schon in eine Schublade gesteckt: seriöse Firmenchefin, die fest entschlossen ist, dem Vorbild ihres Vaters gerecht zu werden. Keine echte Person mit Ecken und Kanten, die abends nach Hause kommt in ein viel zu stilles Haus, die nicht ohne Hintergrundgeräusche einschlafen kann und gerne allein im Wohnzimmer tanzt. Leila bereute es sofort, ihm ihre alberne Seite gezeigt zu haben. Sie wandte sich wieder von ihm ab und versuchte sich zu konzentrieren. Aber es war schwer, nicht an dieses Lächeln, diese Lippen zu denken, und sie fragte sich, ob das eine seiner Geheimwaffen war.

Wie oft machte er sich wohl seinen Sexappeal bei Undercover-Einsätzen zunutze?

Und was genau hatte er vor? Er hatte angedeutet, dass er Eric verdächtigte, und die absurde Behauptung gemacht, Eric sei in sie verliebt. Aber bevor er zu ihnen gekommen war, hatte er mit Sicherheit Nachforschungen über ihre Vergangenheit angestellt. Wusste er, dass sie und Eric vier Jahre lang zusammen gewesen waren? Wusste er, wie sehr Eric ihr das Herz gebrochen hatte? Oder wie schwierig es gewesen war, in ein Unternehmen einzusteigen, in dem Eric bereits arbeitete und ihn wie jeden anderen Kollegen behandeln zu müssen?

Als Davis vor ihrem Haus hielt und Leila einfiel, dass sie ihm gar nicht ihre Adresse gegeben hatte, breitete sich ein mulmiges Gefühl in ihrer Magengrube aus und vertrieb jeden Funken von Lust.

Natürlich wusste er all das. Wahrscheinlich sogar noch viel mehr. Schlimmer noch, er hatte ihr überhaupt nichts über seine Ermittlungen erzählt.

Sie wusste nicht, ob das seine Absicht gewesen war. Oder ob er nur vorhatte, sie einzuweihen, wenn er sie brauchte.

Aber eins war sicher: Sie konnte Davis nicht vertrauen.

5. KAPITEL

„Du weißt schon, dass ich dich jederzeit auffliegen lassen kann, oder?“

Leila Petrov starrte ihn misstrauisch an. Ihre Lippen waren zusammengekniffen, die Muskeln in ihren Armen zuckten, als sie sie über der Brust verschränkte. Sie hatte sich wieder zu ihm umgedreht und den Sicherheitsgurt gelöst. Aber sie machte keine Anstalten, aus seinem Auto zu steigen und in ihr Haus zu verschwinden.

Der Ärger stand ihr ins Gesicht geschrieben, gleichzeitig wusste Davis, dass man ihm seine eigenen Sorgen nicht ansah. Er hatte so einige Erfahrung darin, sich in schwierigen Situationen zuversichtlich zu zeigen.

„Nun?“, drängte sie, als er zu lange geschwiegen hatte.

Ein Lächeln kämpfte sich hervor und Davis versuchte angestrengt, es zu verbergen. Sie war überhaupt nicht, wie er sie sich vorgestellt hatte, als er ihre Akte gelesen hatte. Egal, ob sie nun die Stelle als CEO bekommen hatte, weil sie die Tochter des Gründers war, sie kannte das Unternehmen in- und auswendig. Sie schreckte nicht davor zurück, ihn zur Rede zu stellen. Und er hatte definitiv nicht mit ihrem Sinn für Humor gerechnet. Beim Gedanken an ihren Schlauchboot-Kommentar sprudelte ein Lachen aus ihm hervor.

„Lachst du mich etwa aus?“, fragte Leila. „Denn wenn das wirklich unsere Westen waren, dann werde ich herausfinden, wer dahintersteckt, mit oder ohne deine …“

„Ich lache dich nicht aus“, unterbrach sie Davis. Er lehnte sich zu ihr vor und sah, wie sich ihr Brustkorb auf einmal schneller hob und senkte. „Warum solltest du mich auffliegen lassen?“

„Du hältst dich nicht an deinen Teil der Abmachung. Ganz zu schweigen davon, dass du versuchst, mich zu manipulieren mit diesen Flirtversuchen, mit … hiermit.“ Sie deutete vor sich auf den knappen Abstand zwischen ihnen.

Diesmal wusste Davis, dass ihm die Überraschung anzusehen war. Er lehnte sich zurück und versuchte sich zu sammeln.

Autor

Cassie Miles
Cassie Miles, USA-TODAY-Bestseller-Autorin, lebt in Colorado. Nachdem sie zwei Töchter großgezogen und tonnenweise Käse-Makkaroni für ihre Familie gekocht hat, versucht sie inzwischen, bei ihren kulinarischen Bemühungen etwas abenteuerlustig zu sein. Sie hat festgestellt, dass mit Wein fast alles besser schmeckt. Wenn sie sich nicht gerade spannende Handlungen für Mills&Boon-Bücher ausdenkt,...
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