Bianca Exklusiv Band 240

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CHARMANT - UND UNWIDERSTEHLICH von WELSH, KATE
Gleich schlägt das Herz des smarten Anwalts Brad Costain wieder höher, als er Melissa Jahre nach ihrer leidenschaftlichen Affäre trifft. Dabei ging es ihm bei seiner Suche nach ihr eigentlich um das kleine Kind, das sie groß zieht. Doch nun geht es um viel mehr ...

NUN IST UNSER GLÜCK VOLLKOMMEN von JAMES, ARLENE
Seit Kurzem gehört Laurens ganzes Herz dem süßen Baby, das eine junge Frau in ihrem Hotel heimlich zur Welt gebracht hat, bevor sie verschwand. Als sich ihr Gast Colin Garret dann auch noch als absoluter Traummann entpuppt, scheint ihr Glück perfekt! Sie ahnt nicht, wer er ist.

DIE FRAU SEINES BRUDERS von SMITH, KAREN ROSE
Hat Kylie die letzten Jahre mit dem Falschen verbracht? Schon auf der Highschool war sie in Brock verliebt. Geheiratet aber hatte sie dessen selbstverliebten und treulosen Bruder Alex. Darf sie nach dessen Tod nun einfach ihrem Herzen folgen direkt in Brocks Arme?


  • Erscheinungstag 13.12.2013
  • Bandnummer 240
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730024
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Welsh, Arlene James, Karen Rose Smith

BIANCA EXKLUSIV BAND 240

KATE WELSH

Charmant – und unwiderstehlich

Es ist eine Entscheidung des Herzens, dass Melissa das Baby ihrer verunglückten Schwester zu sich nimmt und mit ihm aufs Land zieht. Ihr Alltag wird jedoch empfindlich gestört, als sich der charmante Anwalt Brad Costain, mit dem sie vor Jahren eine kurze Affäre hatte, in ihrer Nachbarschaft ein Haus kauft. Was führt der unwiderstehliche Mann im Schilde?

ARLENE JAMES

Nun ist unser Glück vollkommen

Ein Jahr lang hat der fürsorgliche Unternehmensberater Colin Garret nach seinem Baby gesucht, dass eine Verrückte irgendwo ausgesetzt hat. In einem kleinen Hotel in New Mexico findet er es schließlich – als Findelkind liebevoll umsorgt von der Hotelbesitzerin Lauren. Wäre mit ihr nicht sein Glück perfekt? Doch dazu dürfte sie nie erfahren, wer er wirklich ist.

KAREN ROSE SMITH

Die Frau seines Bruders

Nie hat der stolze Rancher Brock eine andere Frau geliebt als Kylie. Doch immer hat sein egoistischer Bruder alles für sich beansprucht – auch sie! Er war es, der die zauberhafte Frau geheiratet und dann rücksichtslos betrogen hat. Nun ist er tödlich verunglückt. Steht Brock nun endlich eine gemeinsame Zukunft mit seiner Traumfrau Kylie offen?

PROLOG

Der Himmel weint, dachte Melissa Abell, als sie aus dem Fenster der Friedhofskapelle schaute. Anders konnte sie es sich nicht erklären, dass es in den vergangenen Tagen ununterbrochen geregnet hatte. Ein leuchtendes Licht war erloschen. Und jetzt trug die Welt Trauer. Das Licht war ihre quirlige Zwillingsschwester Leigh gewesen. Und die Liebe, die Leigh und ihr Ehemann Gary einander geschenkt hatten. Sie hatten diese Welt für immer verlassen. Alle beide.

Melissas Blick fiel wieder auf die beiden Eichensärge, die die sterblichen Überreste von Leigh und Gary bargen. Sie war dankbar, dass die Särge geschlossen waren. Es bot ihr die Möglichkeit, die beiden so in Erinnerung zu behalten, wie sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Überglücklich hatten sie sich damit beschäftigt, das Kinderzimmer einzurichten. Melissa legte die Hand auf ihren Bauch. Noch war er flach. Das Zimmer war für das Kind bestimmt, das sie in ihrem Leib trug.

Sie schaute sich in der geschmackvoll dekorierten Kapelle um und begutachtete den Blumenschmuck, der um die beiden Särge herum arrangiert war.

Bedank dich bei Garys Bruder für das schöne Arrangement, mahnte sie sich. Unbedingt.

Sie nahm es sich ganz fest vor.

Selbst wenn es sie umbringen würde.

Garys engster Familienkreis glänzte durch Abwesenheit. Nur ein paar entfernte Cousins hatten es für nötig gehalten, pünktlich zur Beerdigung zu erscheinen. Zwei Stunden lang hatte Melissa neben den Särgen gestanden und die Beileidsbekundungen der Freunde und Bekannten von Leigh entgegengenommen. Als sie auf die Uhr schaute, hörte sie plötzlich Lärm an der Tür. Endlich, Garys Bruder und seine Eltern waren angekommen – nur wenige Minuten vor Beginn der Trauerfeier. Aber wenigstens konnte sie sich sicher sein, dass Garys Bruder Brad daran unschuldig war. Die beiden Brüder hatten einander sehr nahe gestanden.

Melissa wartete ab, bis Brad und seine Eltern die Regenmäntel ausgezogen hatten und für ihren Auftritt bereit waren. Dann ging sie zu ihrem Platz und bedeutete dem Pfarrer mit einer Handbewegung, mit der Trauerfeier zu beginnen. Wenn die Costains sich zu ihren Plätzen in der ersten Reihe würden durchdrängeln müssen, dann hatten sie eben Pech gehabt.

Was sind das nur für Eltern, die zur Beerdigung ihres eigenen Sohnes beinahe zu spät kommen? fragte sie sich fassungslos.

Als sie ihm das Zeichen gegeben hatte, war der Pfarrer sofort aufgestanden. In den letzten zwei Stunden hatte er sie nach besten Kräften unterstützt. Und er konnte sie nur zu gut verstehen. Wenn die Costains die Absicht gehabt hätten, ihrem Sohn die letzte Ehre zu erweisen, dann wären sie pünktlich gewesen. Die Beileidsbekundungen konnten sie auch später entgegennehmen.

Der Pfarrer betete für Gary und Leigh und erinnerte die Trauergemeinde daran, dass es keinen Sinn machte, über das tragische Schicksal der beiden nachzugrübeln. Das Leben war kurz genug, und es war wichtiger, es in vollen Zügen zu genießen. Er sprach darüber, dass Brad in Gary nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen besten Freund verloren hatte. Und die Costains ihren Sohn. Er sprach davon, dass der Verlust ihrer Zwillingsschwester für Melissa sehr schmerzlich sein musste. Sie sollte dankbar dafür sein, dass sie auf ganz besondere Weise mit Gary und Leigh verbunden bleiben würde. Es war unnötig, aller Welt zu verkünden, dass sie Garys Kind in ihrem Bauch trug, aber bevor Melissa weiter darüber nachdenken konnte, sprach der freundliche Pfarrer das Vaterunser und die Trauerfeier war vorüber. Leigh und Gary sollten später eingeäschert und die Urnen in der Familiengruft beigesetzt werden.

Der Bestattungsunternehmer trat neben den Pfarrer und lud die Gäste zu einer Trauermahlzeit auf Bellfield ein. Bellfield war das Anwesen der Costains, und offensichtlich erwartete man, dass jeder den Weg dorthin kannte, denn der Unternehmer schien weitere Erklärungen für überflüssig zu halten. Und wer sich in der High Society nicht auskennt, ist sowieso nicht willkommen, vermutete Melissa.

Entschlossen verscheuchte sie ihren Unwillen. Es war ihr gleichgültig, ob sie bei den Costains willkommen war oder nicht, denn sie hatte nicht die Absicht, in Bellfield aufzutauchen. Während die Trauergäste die Vorsuppe löffelten, würde sie ganz sicher schon wieder in Delaware sein. Auf dem Weg nach Hause. Nach dorthin, wo sie hergekommen war. Wo sie hingehörte.

Sie hatte sich gerade hinuntergebeugt, um ihre Handtasche aufzuheben, als zwei auf Hochglanz polierte, schwarze italienische Lederschuhe in ihr Blickfeld gerieten. Brad. Jetzt reiß dich bloß zusammen, mahnte sie sich, richtete sich auf und schaute Garys Bruder direkt an. Er war noch genauso attraktiv wie früher. Das schwarze Haar war aus dem Gesicht gekämmt und glänzte immer noch nass vom Regen. Seine hellgrauen Augen blickten sie so verblüfft an wie damals, bei der Hochzeit von Gary und Leigh.

Aber jetzt war sein Gesicht zu einer Maske erstarrt, ganz anders als damals am Abend vor Garys und Leighs Hochzeit, als er sie mit seinen charmanten Sprüchen hatte erobern wollen.

„Die Trauerfeier war sehr tröstend.“ Das klang steif und unbeholfen. Offenbar setzte er alles daran, einem persönlichen Gespräch aus dem Weg gehen.

„Ja. Das war sie. Danke, dass du dich um den Blumenschmuck gekümmert hast. Er ist wunderschön.“

Er nickte. „Es tut mir leid, dass wir uns verspätet haben. Das Flugzeug meiner Eltern hat keine Starterlaubnis bekommen. Sie haben erst heute Morgen entschieden, dass sie zur Beerdigung kommen wollen.“

Ärgerte er sich über seine Eltern oder über die Flugüberwachung oder darüber, dass sie das Signal für den Beginn der Feier ein paar Minuten zu früh gegeben hatte? Ach, es interessiert mich nicht, entschied Melissa kurzerhand.

„Wie dem auch sei, es war eine schöne Feier. Man wird deiner Familie vor dem Mittagessen das Beileid aussprechen“, erwiderte sie und wünschte sich, dass er endlich verschwinden möge.

„Kommst du nicht mit nach Bellfield?“

„Ich habe meinen Wagen dabei“, antwortete sie. Das war noch nicht einmal gelogen. Er parkte um die Ecke, und er war vollgeladen mit ihren Kleidern und ein paar persönlichen Dingen, die sie zur Erinnerung an Gary und Leigh mitnehmen wollte. Die Bank und Garys Familie konnten sich gern um den Rest streiten. Gary hatte sich erst kürzlich mit einer Unternehmensberatung selbstständig gemacht, und seine Firma hatte noch nicht viel Gewinn erwirtschaften können. Melissa hatte nicht die Absicht, ihre Bekanntschaft mit den Costains unnötig zu verlängern. Sie und ihr Baby würden sehr gut allein klarkommen. Was sie betraf, sie wollte endlich losfahren und Pennsylvania auf immer Lebewohl sagen.

„Ich möchte mich mit dir gern über das Baby unterhalten“, sagte Brad. „Mehr über deine Pläne erfahren. Ich dachte, dass wir uns nach dem Mittagessen ungestört unterhalten können. Es wird bestimmt nicht lange dauern.“

„Natürlich nicht“, sagte sie unverbindlich. Ihre Pläne? Woher hatte sie wissen sollen, dass die Costains auch nur ein Fünkchen Interesse dafür aufbrachten? Aber es war ihr gleichgültig. Sie war Garys Eltern zu nichts verpflichtet. Den Menschen, die ihrem Schwager das Leben zur Hölle gemacht hatten. Die Geschichten aus seiner Kindheit lösten das pure Entsetzen in ihr aus. Auf keinen Fall würde sie ihr Baby den Costains überlassen. Diesen kaltherzigen und egoistischen Menschen.

Brad trat einen Schritt zurück und nickte kurz. „Gut. Dann unterhalten wir uns später in Bellfield.“

Stimmt sogar, dachte Melissa insgeheim, als Brad sich abwandte und zu seiner Mutter ging. Wir unterhalten uns später. Irgendwann einmal. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Als die Trauergäste die Halle ein paar Minuten später verließen, verabschiedete sie sich innerlich von dem gesamten Familienclan. Vielleicht war es beängstigend, aber sie war jetzt ganz auf sich allein gestellt.

Und ihr Baby war ab sofort ein Abell.

1. KAPITEL

Auf der Route Nr. fünf in Hughesville, Maryland, bog Brad nach links ab. Müde und erschöpft versuchte er, einen Blick auf die Richtungsschilder zu erhaschen, und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Die lange Fahrt war anstrengend gewesen. Er musste aufpassen, denn gleich kam die letzte Abzweigung. Zwei Monate hatte es ihn gekostet, bis er Melissa Abell ausfindig gemacht hatte. Aber dann hatte der Detektiv Joe Brennan, der für seine Anwaltskanzlei arbeitete, ihre Adresse über eine Erbschaft von ihrem Onkel herausbekommen. Es konnte nur noch ein paar Minuten dauern, bis Brad ihr wieder gegenüberstehen würde. Sie sollte ihm Rede und Antwort stehen, warum sie damals einfach verschwunden war.

Ganz offensichtlich hatte Melissa nie die Absicht gehabt, ihn nach der Trauerfeier nach Bellfield zu begleiten. Aber warum hat sie das nicht einfach gesagt? grübelte er. Er hatte ihr anbieten wollen, ihr mit dem Baby zu helfen. Das Baby war das Einzige, was ihm von seinem Bruder geblieben war. Und sein Bruder war der einzige Mensch, den er jemals geliebt hatte. Warum will sie um jeden Preis verhindern, dass ich sie unterstütze? Es geht doch nur darum, ihr finanziell unter die Arme zu greifen, redete Brad sich angestrengt ein.

Es ergab keinen Sinn. Melissa war auf das Leben als alleinerziehende Mutter nicht vorbereitet. Sie war nicht auf gewöhnlichem Weg schwanger geworden, sondern nur deshalb, weil sie großherzig einer künstlichen Befruchtung mit Garys Samen zugestimmt hatte, nachdem Leigh erfahren hatte, dass sie selbst wegen einer früheren Infektion unfruchtbar geworden war.

Er unterdrückte die heftigen Gefühle, die ihn bei jedem Gedanken an Melissa durchfluteten. Das erste Mal waren sie sich auf Bellfield begegnet, am Abend vor Garys und Leighs Hochzeit. Melissa war wegen der Hochzeit in die Stadt gekommen, und sie schien genauso schick und klug und charmant zu sein wie ihre Zwillingsschwester.

Als er sie auf der Tanzfläche in den Armen gehalten hatte, war sein Schicksal bereits besiegelt gewesen. Und als das Lied zu Ende war, verlangte er innerlich schon viel mehr als nur einen Tanz. Er wollte ihren wundervollen Körper unter sich spüren und ihr so nahe sein, wie zwei Menschen sich nur nahe sein können.

Der Tanz hatte zu einem mitternächtlichen Spaziergang durch den Park und zu einem heißen Zwischenspiel im Gartenhaus geführt. Wenn ihr nicht eine unglaublich naive Bemerkung über die Lippen gekommen wäre, hätte er ihr in jener Nacht ganz sicher die Jungfräulichkeit geraubt. Aber plötzlich hatte ihn die Panik ergriffen, und er war gezwungen gewesen, innezuhalten und nachzudenken.

Sie ist noch Jungfrau, und wenn du sie entjungferst, dann hast du eine Riesenverantwortung am Hals, hatte er gedacht. Verantwortung und Verpflichtung waren ganz und gar nicht seine Sache. Du kommst ganz nach deinem Vater, hatte man ihm jahrelang unter die Nase gerieben. Alle möglichen Frauen hatten ihm das vorgeworfen, seine Mutter eingeschlossen, so lange, bis er schließlich und endlich selbst davon überzeugt war.

Damals im Park hatte Brad seine Leidenschaft schnell wieder gezügelt und war mit Melissa zur Party zurückgekehrt. Aber er hatte bezweifelt, dass er sich bei der nächsten Begegnung mit Melissa würde beherrschen können. Also war ihm nichts anderes übrig geblieben, als seinen eigenen Gefühlen einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Deshalb hatte er eine langjährige gute Freundin gebeten, seine Geliebte zu spielen. Niemals hatte er damit gerechnet, dass Melissa wütend und ärgerlich reagieren würde, wenn sie ihn mit einer anderen Frau im Arm sah. Im Grunde genommen war zwischen ihnen doch gar nichts passiert, und von einer Beziehung waren sie meilenweit entfernt gewesen. Die Katastrophe war trotzdem eingetreten, und er hatte beschlossen, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Er hatte nicht gewagt, ihr die Sache zu erklären.

Fünf Jahre waren seitdem vergangen. Vor zwei Monaten hatte sie die Trauerfeier fluchtartig verlassen. Wenn er mit ihr über das Baby reden wollte, musste er sich wohl oder übel allein mit ihr treffen. Ohne die schützende Gegenwart der anderen Trauergäste. Die Aussicht beunruhigte ihn zutiefst, und sein Herz pochte umso heftiger, je näher er ihrem Haus kam.

Er bog um die nächste Ecke, fuhr ein kleines Stück auf der holprigen und kurvenreichen Landstraße entlang – und hatte das Gefühl, in einer vollkommen fremden Welt gelandet zu sein. Die Farmhäuser an der Straße gehörten den Amischen, einer mennonitischen christlichen Gemeinde, die noch ganz in ihren alten Bräuchen und Traditionen aufging.

Mehrere Male musste er Pferdekutschen überholen, die gemächlich auf der Landstraße dahinzockelten und von bärtigen Männern mit flachen, runden Hüten gelenkt wurden. Aus irgendeinem Grund schien es den Kindern einen Riesenspaß zu machen, aus dem Rückfenster zu schauen und ihm fröhlich zuzuwinken. Es war unmöglich, ihre strahlenden Gesichter zu ignorieren. Mit Kindern hatte er zwar nicht viel Erfahrung, aber es schien ihm falsch, nicht zurückzulächeln und sich das Winken zu verkneifen.

Ein paar Meilen weiter entdeckte er plötzlich einen verrosteten, überquellenden Briefkasten. Sein abruptes Bremsmanöver am Anfang des langen Kieswegs wirbelte eine Menge Staub auf. Er wartete, bis er wieder klare Sicht hatte, und entzifferte dann die verblassten Buchstaben auf dem Briefkasten. Abell war darauf zu lesen. Hier bin ich richtig, dachte Brad unwillkürlich. Seine Suche nach Melissa Abell war zu Ende. Er hatte sie gefunden. Und das Kind seines Bruders.

Entschlossen lenkte er seinen Sportwagen auf den holprigen Kiesweg. Nach einer scharfen Biegung stand er plötzlich auf einer freien Fläche und hielt an. In der Mitte des Platzes befand sich ein altes Farmhaus aus Schindeln, das bestimmt schon bessere Tage gesehen hatte. Es war umringt von ein paar heruntergekommenen Scheunen, und hinter dem Haus dehnten sich die saftigen Wiesen. Unkraut rankte sich am verwitterten, weiß gestrichenen Zaun hoch.

Brad konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Haus und runzelte die Stirn. Über die Hälfte der weißen Farbe war schon abgeblättert und gab das nackte Holz zu erkennen. Einige der grün angemalten Fensterläden fehlten. Es wehte eine leichte, frühsommerliche Brise, und auf der Veranda vor dem Haus schaukelten zwei Schaukelstühle aus Korbgeflecht gemächlich hin und her. Blaue, rote, violette und gelbe Blumen blühten auf den Beeten vor dem Haus und sollten den kläglichen Anblick in freundlicheres Licht tauchen, aber der Versuch gelang nur mäßig.

Er stieg aus dem Wagen und schaute sich um. Es fiel ihm ausgesprochen schwer, die heruntergekommene Farm mit der Frau in Verbindung zu bringen, die vor fünf Jahren in Bellfield sein Herz im Sturm erobert hatte. Hat sie mich etwa belogen? fragte er sich. Das Haus sah ganz und gar nicht danach aus, als würde es von einer weltläufigen Innenarchitektin bewohnt.

Nein, es war keine Lüge gewesen. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Damals auf der Hochzeit von Gary und Leigh hatte sie tatsächlich behauptet, dass sie Innenarchitektin sei und ein eigenes Geschäft besitze. Aber wenn sie die Schwangerschaft in der Nähe von Gary und Leigh hatte verbringen wollen, dann musste sie ihr Geschäft für neun Monate schließen. Und das hielt kein Unternehmen aus. Die Schwangerschaft würde sie ruinieren. Wovon will sie ihr Baby eigentlich ernähren? fragte Gary sich wieder. Im Bericht des Detektivs hatte es geheißen, dass die Farm ziemlich heruntergekommen war, aber trotzdem ein lohnendes Investitionsobjekt darstellte. Nur hatte Brennan keine Anzeichen entdeckt, dass sie ihr Haus verkaufen wollte. Außerdem hatte der Detektiv ihm verschwiegen, dass Melissa Abell offenbar völlig verarmt war.

Brad war wie angewurzelt stehen geblieben. Seine Wut schnellte in ungeahnte Dimensionen. Hier will diese Frau Garys Baby aufwachsen lassen? Brad war empört. Vor seinem geistigen Auge erschien ein kleiner Junge, der Gary ähnlich sah. Barfuß und in abgerissener Kleidung stand er neben der Straße und schaute zu, wie die Welt an ihm vorüberzog. Am besten, ich hole das Baby ganz zu mir, dachte er grimmig. Er konnte ein Kindermädchen engagieren, das sich um den Alltag kümmerte. Und er wollte da sein, wann immer es einen großen Augenblick im Leben seines Neffen zu feiern gab.

Er straffte die Schultern, wappnete sich innerlich für den Kampf um den Sohn seines Bruders und machte sich auf den Weg zur Haustür. Als er den Fuß auf die unterste Stufe der Verandatreppe gesetzt hatte, hörte er Melissas Stimme durch die Tür. „Was willst du?“, fragte sie mit feindseliger Stimme.

Brad atmete tief durch. „Du hast das Mittagessen sausen lassen“, scherzte er gezwungen.

„Ich hatte dir und deiner Familie nichts mehr zu sagen“, antwortete sie. Sie klang jetzt ganz ruhig. Fast schon feierlich. „Keinen Bissen hätte ich heruntergebracht.“

„Und deshalb bist du davongerannt?“ Er hob die Augenbraue. „Weil du uns nichts mehr zu sagen hast?“

„Ich bin nicht gerannt. Ich bin gefahren. Wir leben schließlich in einem freien Land.“

Er atmete noch mal tief durch und zwang sich zur Ruhe. „Melissa, wir müssen reden“, drängte er.

„Ach, wirklich? Worüber sollten wir beide uns unterhalten?“ Sie stieß die Tür auf und trat auf die Veranda.

Die Schwangerschaft sah man ihr immer noch nicht an. Ihre Figur war zierlich und schlank, und ihre blaugrünen Augen blitzten vor Wut. Mühsam unterdrückte er ein Grinsen. Sie mochte wütend sein und ihre Stimme konnte hart klingen, aber wenn ihre blonden Locken ihr hübsches, herzförmiges Gesicht umrahmten und ihr hellblaues Kleid ihren Körper umschmeichelte, dann wirkte sie einfach süß und unschuldig. Und unglaublich verführerisch.

„Es wird dich nicht viel Zeit kosten“, meinte er und zwang sich, den Blick von ihren Beinen abzuwenden. „Das Baby ist alles, was mir von meinem Bruder noch geblieben ist. Pass auf, ich mache dir ein großzügiges Angebot. Du kommst zurück nach Pennsylvania und ziehst in das Gartenhaus auf Bellfield. Es ist ein schönes Haus. Warm und sauber. Und wenn das Baby geboren ist und du das Sorgerecht abgetreten hast, werde ich dir ein Geschäft in einer Stadt deiner Wahl einrichten. Ich würde dir sogar ein gewisses Umgangsrecht mit dem Kind einräumen. Es ist die eleganteste Lösung für den Schlamassel, in den du nach Garys und Leighs Tod geschlittert bist.“

Melissa schwieg, aber ihr Zorn war deutlich. Plötzlich brach der Damm, und die Worte kamen ihr hemmungslos über die Lippen. „Und ich war der Meinung, dass schon meine erste Begegnung mit dir einen widerlichen Nachgeschmack hinterlassen hat.“ Drohend trat sie einen Schritt auf ihn zu. „Niemals wirst du mein Baby bekommen, Brad Costain. Niemals. Hast du verstanden?“

„Wir reden über eine Menge Geld. Und über eine Riesenlast, die dir von den Schultern genommen wird.“

„Ein Baby ist keine Riesenlast. Und kein Schlamassel. Es ist ein kostbares Geschenk.“

Brad ertrank in einem Wirbel von Gefühlen. Instinktiv spürte er, dass er im Begriff war, alles zu verlieren. Also setzte er alles auf eine Karte. „Ich erhöhe das Angebot. Hunderttausend Dollar. Einen besseren Deal kannst du nicht machen.“

„Einen Deal? Geld? Das ist alles, was dich und deine Familie interessiert, nicht wahr? Gary und Leigh haben mir all die schrecklichen Geschichten erzählt, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass …“ Melissa unterbrach sich und schüttelte den Kopf. Auf einmal wirkte sie unendlich traurig. Sie biss sich auf die Unterlippe und ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. „Deine Familie hat Gary zutiefst verletzt. Und Leigh …“ Der Name ihrer Schwester verlor sich in der leichten Sommerbrise. „Verschwinde!“

„Melissa, ich …“

„Nein. Ich will, dass du verschwindest. Auf der Stelle“, unterbrach sie ihn. „Sheriff Long ist ein alter Schulfreund von mir. Er ist sicher auch der Meinung, dass du dich widerrechtlich auf meinem Grundstück aufhältst. Es ist mein Baby! Kein Costain wird es jemals in die Finger bekommen.“

„Doch. Das Gericht wird anders entscheiden“, konterte er. Alle Gedanken an eine Einigung waren wie weggeblasen.

Melissa riss die Augen auf. Ihre Stimme klang überhaupt nicht mehr traurig, sondern nur noch wütend. „Wenn du nicht in spätestens zwei Minuten von diesem Grundstück verschwunden bist, rufe ich den Sheriff an, Brad Costain. Und dann wird dir dein guter Name und dein Geld nicht ein bisschen weiterhelfen. Schönen Tag noch.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt, ging ins Haus und schlug die Tür lautstark zu. Brad eilte zu seinem Sportwagen und setzte sich hinter das Steuer. Er hatte nicht die geringste Absicht, sich mit dem Sheriff anzulegen, wendete den Wagen und verließ das Grundstück. Auf der Hauptstraße hielt er an. Er brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln.

Eigentlich hatte er Melissa Abell nur aufsuchen wollen, um nach ihr und dem Kind zu schauen. Aber jetzt, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, in welch ärmlichen Verhältnissen sie lebte, konnte er die Hände nicht untätig in den Schoß legen. Aber was soll ich tun? grübelte er. Natürlich war es sonnenklar, dass sie ihm das Baby nicht kampflos überlassen würde.

Brad kniff die Augen zusammen. Kampf? Um das Baby? Was zum Teufel hast du da gerade gesagt? murmelte Brad in sich hinein. Und was zum Teufel hast du mit deinem Besuch bei ihr angerichtet?

2. KAPITEL

Ungefähr eine Stunde später hörte Melissa die Glöckchen am Pferdegeschirr klingeln. Knirschend fuhr Izaak Abramson mit seinem Fuhrwerk den Kiesweg hinauf. Sie legte die alte Kaffeemühle zur Seite, die sie gerade aus dem Keller geholt hatte, ging hinaus auf die Veranda und winkte dem Besucher zu.

„Guten Morgen, Miss Missy!“, rief Izaak. „Heute habe ich Zeit, deine Scheune unter die Lupe zu nehmen.“

Großartig, jubelte sie innerlich und lächelte vergnügt. Miss Missy hatte Izaak sie immer genannt, als sie noch ein Kind gewesen war. Melissa lief die Treppe hinunter und begrüßte den Mann aus der mennonitischen Gemeinde, der stets schwarze Hosen und ein graues Hemd trug. Izaak tanzte selten aus der Reihe.

„Das heißt, die Sache geht klar?“ Melissa seufzte erleichtert auf.

Izaak nickte. „Margaret hat mit dem Ältestenrat gesprochen und den Männern erklärt, was es mit dem Baby auf sich hat. Wir dürfen Freunde sein, und wir dürfen mit dir an deinem Laden arbeiten. Der Ältestenrat hält die amerikanische Medizin zwar für Gotteslästerung, aber in ihren Augen bist du trotzdem nicht unmoralisch. Nur fehlgeleitet.“

„Hoffentlich sind wir mit der Renovierung der Scheune fertig, bevor das Baby geboren wird“, erwiderte Melissa ausweichend. „Es ist viel besser, den Antiquitätenhandel nicht direkt im Haus zu betreiben, sondern in einem Gebäude ganz in der Nähe.“

Izaak seufzte verzweifelt auf und schüttelte den Kopf. „Es ist falsch, dass du allein für dich und dein Baby sorgen musst. Ihr Amerikaner habt noch nicht einmal was dagegen einzuwenden, dass das Kind vaterlos aufwächst. Es braucht doch eine Autorität, die ihm den Weg durchs Leben weist.“

Seine abschätzige Meinung tat ihr weh, aber sie straffte den Rücken und erklärte ihm die Lage. „Jetzt hör mal zu, Izaak. Margaret hat dir doch erklärt, dass es Leighs und Garys Baby sein sollte. Ich war als Tante vorgesehen.“

Izaak seufzte wieder auf. „Ja. Das Baby ist von der amerikanischen Medizin gezeugt worden. Aber jetzt ist es nicht mehr Leighs Baby. Und es hat keinen Vater mehr. Weit und breit ist kein Mann in Sicht, der dir helfen wird, es großzuziehen.“

Seine Sorge berührte sie. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. „Nein. Gary und Leigh sind nicht mehr unter uns.“

Ihr Freund schüttelte den Kopf und klopfte ihr ungeschickt auf die Schulter. „Ich habe dich wieder traurig gemacht. Lass uns doch die Scheune ansehen, die du in einen Laden verwandeln willst. Wie soll die Scheune denn heißen, wenn sie keine Scheune mehr ist?“

Unwillkürlich musste sie lächeln. Izaak hatte es immer verstanden, ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. „Stony Hollow Country and Classics. Wie du weißt. Wir werden ein großartiges Team sein. Du, Margaret und ich.“

Daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Mit Antiquitäten kannte sie sich aus, und sie sammelte alte Möbel und Gerätschaften für den Tag, an dem ihr Traum wahr werden würde. Der Abriss der zwei alten Scheunen lieferte zusammen mit der gefällten Eiche genug Holz für Izaak Abramson und seinen Bruder Od, die Möbel aus dem verwitterten Material tischlern wollten. Landhausstil war modern und wertvoll geworden, und Izaak und Melissa würden gutes Geld damit verdienen. Margarets Quilts waren einfach zauberhaft. Melissa würde die wundervollen Steppdecken, die von den Frauen der Mennoniten-Gemeinde in mühsamer Handarbeit gefertigt wurden, in ihr Sortiment aufnehmen. Wenn sie die Quilts zusammen mit den Möbeln verkaufen konnte, würden sie zwar nicht steinreich werden, aber das wollten sie auch gar nicht. Sie hätten einfach ein gutes Leben.

Genau das wollte sie ihrem Kind bieten. Niemals würde sie sich von Brad Costain und seinen Drohungen einschüchtern lassen. Sie war fast kollabiert, als sie ihn auf der Veranda entdeckt hatte, aber sie hatte allen Mut zusammengerafft und den übermächtigen Costains die Stirn geboten. Wenn es darauf ankam, würde sie es vor Gericht wieder tun. Sie hatte keine Wahl.

Melissa konnte es kaum fassen, dass sie auf der Veranda gestanden, ihn von oben herab angeschaut und ihn praktisch rausgeworfen hatte. Es verschaffte ihr einen wohltuenden Adrenalinkick, dass die Sache so glatt gelaufen war. Brad Costain war verschwunden. Hatte sich von ihr vertreiben lassen.

Verschwunden, aber nicht vergessen, protestierte eine kaum vernehmbare Stimme in ihrem Innern.

Okay. Er hatte sie verletzt. Das wollte sie gern zugeben. In ihren Augen war er ein strahlender Ritter gewesen, der auf einem weißen Hengst herangesprengt war und sie ins Märchenschloss hatte entführen wollen. Sie hatte sich in ihren Träumen verloren.

Wochenlang hatte Leigh ihr von Garys jüngerem Bruder vorgeschwärmt. In ihren Augen war er witzig, freundlich, ungeheuer attraktiv und noch dazu steinreich. Einfach der perfekte Mann für Melissa. Und sie hatte tatsächlich Hoffnung geschöpft, als sie die sehnsuchtsvollen Blicke bemerkt hatte, die Brad seinem Bruder und Leigh zugeworfen hatte. Damals hatte sie sich insgeheim gefragt, ob er sich auch nach einer intakten Familie sehnte.

Zum ersten Mal, seit ihre Eltern gestorben waren, hatten Melissa und Leigh wieder genau die gleiche Kleidung getragen. Leigh hatte die Kleider gekauft, Melissa die Frisur gerichtet und sie geschminkt, sodass wahrscheinlich noch nicht einmal Gary sie hätte auseinanderhalten können. Aber es war schließlich auch sein Plan gewesen. Er hatte seine Eltern hinters Licht führen wollen, weil sie felsenfest glaubten, dass Leigh in Luxus und Überfluss aufgewachsen war und nicht auf einer heruntergekommenen Farm irgendwo im südlichen Maryland.

Seltsamerweise hatte Melissa sich in ihrer schicken Aufmachung irgendwie entblößt gefühlt. Aber es war noch schlimmer gekommen. Leigh und Gary hatten sich geirrt. Genau wie Melissa. Sie hatte sehr schnell eingesehen, dass es zu nichts führt, wenn man seine wahre Herkunft verschleiert, obwohl das Versteckspiel für einen kurzen Moment lang ziemlich aufregend gewesen war. Nicht eine Sekunde lang hatte sie daran gedacht, dass manche Spiele unangenehme Strafen nach sich zogen.

Mit einem Kopfschütteln riss Melissa sich aus ihren trüben Gedanken. Warum grübelte sie immer wieder über diese Demütigung nach? Es lag alles so lange zurück, und sie war älter und viel, viel klüger geworden. Zeit, an die Zukunft zu denken. Sie und Izaak würden die alten Scheunen wieder instand setzen. Die Zukunft erschien plötzlich wieder in einem ganz anderen Licht. Und sie weigerte sich standhaft, noch länger über den dunklen Schatten am Horizont nachzudenken. Er trug den Namen Brad Costain.

Die alte Schaukel quietschte, als Melissa sie im Schatten des großen Johnny Smoker hin- und herschwingen ließ. Johnny Smoker war der Baum, der links neben dem Haus stand. Ihr Magen grummelte leise und erinnerte sie sanft daran, dass es Zeit wurde für das Abendbrot.

Und es erinnerte sie an das erstaunliche Erlebnis, das sie am Morgen geweckt hatte. Ihr Baby hatte sich bewegt, und zum ersten Mal hatte sie die zarten Regungen eines anderen Lebens in ihrem Bauch gespürt. Unwillkürlich hatte sie Leigh anrufen wollen, aber dann war es ihr schlagartig wieder eingefallen.

Sie war allein. Vollkommen allein. Ganz allein trug sie die Verantwortung dafür, das kostbare Leben in ihrem Leib auf die Welt zu bringen. Sie musste für die Zukunft des Babys sorgen und seine Gegenwart beschützen.

Sie war allein. Mit der unbekannten Welt der Schwangerschaft, den Wehen und der Entbindung.

Allein mit dem ersten Lächeln, dem ersten Lachen und den ersten Sorgen, allein mit der Freude und der Aufregung über die ersten Schritte.

Melissa seufzte auf, schloss für einen Moment die Augen und überließ sich ganz den Erinnerungen an das helle Lachen ihrer verstorbenen Schwester. In Gedanken durchlebte sie noch mal jenen wundervollen Tag, an dem Melissas Schwangerschaft bestätigt worden war. Leigh und sie hatten im Wohnzimmer auf Gary gewartet. Leigh hatte ihm ein T-Shirt mit irgendeiner dummen Aufschrift geschenkt, die verriet, dass er bald Vater sein würde. Gary hatte es eine ganze Weile angestarrt, bevor er endlich begriffen hatte. Dann hatte er einen wilden Freudenschrei ausgestoßen, hatte Leigh in die Luft gehoben und sie herumgewirbelt. Nachdem er sie wieder zu Boden gelassen hatte, war er zu Melissa gerannt und hatte sie nach Leibeskräften umarmt und gedrückt. Tränen der Dankbarkeit hatten ihm in den Augen gestanden.

Das Geräusch eines Motors und das Knirschen der Reifen auf dem Kiesweg rissen Melissa aus ihren Träumereien. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, stand auf, ging auf die Veranda – und erstarrte zu Stein. Es schien, als sollte der Tag so enden, wie er begonnen hatte. Ärger mit Brad Costain.

Sie ging ihm erhobenen Hauptes entgegen. Standhaft ignorierte sie das Spiel der Abendsonne in seinen tiefschwarzen Haaren. „Glaubst du, dass ich mir vorhin einen Scherz erlaubt habe? Als ich den Sheriff rufen wollte, wenn du nicht verschwindest?“

„Nein. Aber das Risiko gehe ich ein, weil ich denke, dass wir die Angelegenheit in freundschaftlicher Atmosphäre klären sollten.“

„Es gibt nichts mehr zu klären.“

„Mein Fehler. Ich habe nicht nachgedacht. Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass mich der trostlose Anblick der Farm ziemlich mitgenommen hat. Mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte.“ Er umfasste das Haus und die Scheunen mit einer Handbewegung. „Du musst zugeben, dass ich in einer ganz anderen Welt aufgewachsen bin.“

„Das hier ist mein Zuhause. Und es wird das Zuhause meines Kindes sein. Nicht Pennsylvania. Nicht Devon. Wir sind in St. Marys County in Maryland. Hier gibt es viele arme Menschen. Aber kein Richter wird mir mein Baby wegnehmen, nur weil das Haus einen neuen Anstrich braucht und die Scheunen dringend repariert werden müssen.“

„Ich auch nicht“, versicherte er eilig. „Es tut mir leid, dass ich dir Angst eingejagt habe. Mir ist erst später klar geworden, was ich angerichtet habe. Nachdem ich dein Grundstück verlassen hatte. Natürlich bin ich heute Morgen nicht zu dir gekommen, weil ich dich aufregen wollte. Ich wollte Antworten. Und dir Hilfe anbieten. Wenn ich mich hier umschaue, dann bin ich überzeugt, dass du sie ganz gut gebrauchen kannst.“

Melissa wusste genau, dass es keinen Sinn machte, ihn gegen sich aufzubringen, und sie wollte ihn nicht noch mal von ihrem Grundstück jagen. Außerdem musste sie sich dringend hinsetzen. Sie deutete auf die Veranda. „Deine Hilfe brauche ich nicht. Aber vielleicht kann ich dir ein paar Antworten geben. Wenn du mir verrätst, was du damit eigentlich meinst.“

Sie drehte sich um und ließ sich in den Sessel fallen, in dem ihr Onkel Ed immer stundenlang gesessen hatte. Die Erinnerung an ihn hüllte sie wohlig ein und gab ihr Sicherheit.

Brad folgte ihr und stellte den Stuhl so hin, dass er ihr genau gegenübersaß und sie direkt anschauen konnte. Dann beugte er sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die langen Finger seiner gepflegten Hände. Was für ein attraktiver Mann er ist, schoss es ihr durch den Kopf. Kein Wunder, dass die Frauen gleich reihenweise vor ihm auf die Knie fallen.

„Ich will wissen, warum du Theater gespielt hast“, begann Brad. „Damals, vor fünf Jahren.“ Er hielt einen Augenblick inne und holte dann tief Luft. „Du bist nicht dieselbe Person wie damals. Das hier, das bist du selbst. Die Farm. Die Veranda. Das Landleben. Die schicke, selbstbewusste Frau von damals hätte sich nicht aufgeregt, weil ich ihr nichts anderes als nur eine einzige Nacht zu bieten hatte. Nach den verstohlenen Küssen im Gartenhaus hätte sie es mit einem Achselzucken hingenommen, dass ich nicht bis in alle Ewigkeit mit ihr zusammenbleiben wollte. Jene Frau lebte in der realen Welt und nicht in einer Welt mit Schaukelstühlen auf der Veranda und verfallenen Scheunen. Sie war Innenarchitektin und hatte vor, einen Antiquitätenhandel aufzumachen. Sie war glamourös und weltoffen und kosmopolitisch. Aber die Frau, die jetzt vor mir sitzt, ist anders.“

Melissa nickte. Zum ersten Mal erkannte sie, dass ihn weder die Küsse noch ihre Maskerade unberührt gelassen hatten. „Es war reine Fassade. Leigh und Gary hatten sich die Geschichte ausgedacht. Gary hatte es für nötig gehalten, weil deine Familie sich für nichts anderes interessiert als für das Aussehen anderer Leute. Abgesehen von ihrem Bankkonto. Wenn sie erfahren hätten, wie ärmlich Leigh und ich nach dem Tod unserer Eltern aufgewachsen sind, hätten sie uns dem Gespött preisgegeben.“

Brad lehnte sich langsam zurück und dachte über ihre Worte nach. „Ich verstehe, wie ihr auf die Idee gekommen seid. Und ich kenne meine Eltern ganz genau. Aber warum hat Gary mich angelogen?“ An seinem Blick erkannte sie, dass ihn die Geheimniskrämerei seines Bruders immer noch schmerzte. „Warum hat er mir nichts davon erzählt? Wir hatten schließlich niemals Geheimnisse voreinander. Und warum weiß niemand außer mir, dass du ein Baby bekommst?“

Sie lehnte sich ebenfalls zurück. Ihr Gesicht war vom Schatten der Zweige über ihr verdeckt, während sie sprach. „Er meinte, dass ihr beide euch immer gegenseitig in die Geheimnisse eingeweiht habt, die ihr vor euren Eltern hattet. Aber diesmal wollte er es dir nicht zumuten. Das ist alles. Gary hatte sein ganzes Leben mit Leigh verbringen wollen. Das konnte und wollte er dir nicht anvertrauen, weil du für immer hättest schweigen müssen, und diese Bürde ist einfach zu schwer. Gary hätte sich gefühlt, als ob er dich förmlich in sein Geheimnis hineinzwingt. Ursprünglich hatten wir vor, euch zu erzählen, dass ich plötzlich in ihre Nähe auf eine Farm gezogen bin, die ich von einem Verwandten geerbt hatte. Ich hätte behauptet, dass mir die Gegend gut gefallen hat und dass ich deshalb geblieben bin. Aber dann stellte sich heraus, dass ich dir nicht unbedingt über den Weg laufen wollte, wenn du sie besuchst, und Gary hat sich entschlossen, dir die Wahrheit zu sagen.“

Brad nickte und richtete seinen Blick auf die Scheune, die direkt neben dem Haus stand. „Ich hätte dich niemals angerührt, wenn ich die Wahrheit gekannt hätte.“

„Da bist du nicht der Einzige“, entfuhr es ihr. Plötzlich musste sie daran denken, wie erschrocken sie gewesen war, als sie ihn vierundzwanzig Stunden nach ihrem leidenschaftlichen Kuss in den Armen einer anderen Frau entdeckt hatte. In den Armen einer Frau, die er genauso küsste, wie er sie geküsst hatte. Damals hatte er sie zutiefst gekränkt.

„Ich habe dich nicht verletzen wollen“, versicherte er ruhig. „Aber in Betracht der Umstände sollten wir das Kriegsbeil vielleicht begraben. Schließlich habe ich versprochen, dir zu helfen.“

Entschlossen stand sie auf. „Ich will dein Geld nicht. Geld fesselt. Und ich will nicht an deine Familie gefesselt sein.“

Sie bemerkte ihren Irrtum erst, als er sie anschaute. Eine leichte Sommerbrise fuhr durch sein Haar. Als sie aufgestanden war, war sie ihm unwillkürlich nähergekommen. Was für ein unglaublich attraktiver Mann, dachte sie insgeheim. Eilig setzte sie sich wieder hin. Sie hasste es, dass seine Nähe sie immer noch durcheinanderbringen konnte.

„Ich habe nichts von Fesseln und Bedingungen gesagt“, widersprach er sanft. „Ich habe Hilfe angeboten.“

„Hilfe ist immer an Bedingungen geknüpft, Brad. Besonders wenn es ums Geld geht. Und es gibt noch etwas, was du über Geld wissen solltest. Geld kann deine Drohung nicht ungeschehen machen. Mit Geld kann man kein Vertrauen kaufen. Ich habe deine Entschuldigung für dein Verhalten auf der Hochzeit akzeptiert, weil mir schien, dass sie von Herzen kam. Aber ich habe nicht entschuldigt, dass du heute Morgen mein Glück und das Glück meines Kindes bedroht hast. Und das werde ich auch nicht. Eine Entschuldigung kann man nicht kaufen.“

3. KAPITEL

Schlagartig wurde Brad klar, dass Melissa recht hatte. Er nickte zustimmend. Aber trotz allem dachte er nicht daran, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Natürlich hatte er nicht vor, sich mit ihr vor Gericht um das Sorgerecht zu streiten oder ihr damit zu drohen, seine Mutter in die Angelegenheit einzuschalten, aber andererseits durfte er die Hände auch nicht einfach in den Schoß legen.

„Es tut mir leid, dass ich dir Angst eingejagt habe“, entschuldigte er sich. „Ich bin nur zurückgekommen, um dir meine Hilfe anzubieten. Garys Grundstücke sind noch ein kleines Vermögen wert, und sein Kind kann Erbansprüche geltend machen. Ich kümmere mich darum.“ Brad seufzte auf und erhob sich. Er suchte nach den richtigen Worten. „In der Zwischenzeit pass gut auf dich auf. Ich melde mich wieder bei dir.“

Dann verließ er die Veranda, stieg in seinen Wagen und fuhr los. Als er die Route Nr. fünf erreicht hatte, fiel ihm plötzlich ein, dass er auf der Hinfahrt an einer Einkaufsmeile mit einem riesigen Supermarkt vorbeigekommen war. Lebensmittel braucht schließlich jeder, überlegte er. Und wie hieß es doch gleich? Sie isst jetzt für zwei. Wenn er dem Baby helfen wollte, dann gab es im Moment keine andere Möglichkeit, als den Einkauf für sie zu erledigen. Und Melissa konnte ihr bisschen Geld für andere Dinge ausgeben.

Er übernachtete in einem Motel am Highway, und am nächsten Morgen Punkt sechs Uhr früh betrat Brad zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder einen Supermarkt. Bei ihm zu Hause kümmerte sich die Haushälterin darum, dass der Kühlschrank immer gut gefüllt war. Er hatte schon fast vergessen, wie viel Spaß das Einkaufen manchmal machte. Vergnügt rollte er den Einkaufswagen durch die Gänge und füllte ihn bis zum Rand mit allerlei Dingen, die ihm gesund oder nützlich schienen. Bald hatte er alles, was er brauchte. Die wichtigste Abteilung hatte er sich bis ganz zum Schluss aufgehoben. Sie war ausschließlich für die Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern reserviert.

Sofort fiel ihm ein süßer brauner Bär ins Auge. Er nahm ihn zur Hand und bildete sich ein, dass der Bär mit dem sanften Goldschimmer im Blick ihn anflehte, ihm ein neues Zuhause zu schenken. Unsinn, schalt er sich selbst und stellte den Bären zurück ins Regal. Offenbar bist du so früh am Morgen noch nicht ganz bei Verstand. Aber als er die Hand fortzog, umschmeichelte das weiche Fell seine Fingerspitzen und der Kopf des Stofftieres neigte sich traurig zur Seite.

Er hätte es wohl fertiggebracht, einfach wegzugehen, wenn ihm in diesem Moment nicht die Erinnerung an Brad durch den Kopf geschossen wäre. In den letzten zwei Wochen seines Lebens, in denen sein Bruder von der Schwangerschaft gewusst hatte, hatte er mehrere Spielzeuge gekauft. Gary hätte den Bären sicher nicht ins Regal zurückgestellt. Kurz entschlossen packte Brad das Stofftier in den Einkaufswagen, rollte zurück zum Regal mit Geschenkartikeln, griff nach einer hübschen Verpackung und nach einer passenden Karte und eilte zur Kasse.

Als er den Einkauf im Wagen verstaut hatte, setzte er sich hinter das Steuer und notierte ein paar Zeilen auf der Karte. Auf dem Rückweg zu ihrer Farm entschied er, jeder weiteren Konfrontation mit Melissa aus dem Weg zu gehen. Das letzte Stück zu ihrem Haus stellte er den Motor ab und ließ den Wagen lautlos auf dem Kiesweg entlangrollen. Dann entlud er den Kofferraum und stellte die Tüten unbemerkt auf der Veranda ab. Sobald er damit fertig war, startete er den Motor und verschwand schleunigst von ihrem Grundstück, bevor sie ihm den Sheriff auf den Hals hetzen konnte.

Melissa traute ihren Augen kaum, als sie Haustür öffnete, um die Sonntagszeitung zu holen. Sage und schreibe zwanzig Einkaufstüten plus einer kleinen Geschenktüte standen in der Ecke ihrer Veranda aufgebaut wie einen Kompanie Spielzeugsoldaten. Erstaunt nahm sie die halb vollen Tüten genauer unter die Lupe. Allein drei Tüten nur mit frischem Gemüse! dachte sie begeistert.

Aber ihre Begeisterung verflog ebenso rasch wie sie gekommen war. Halb voll? Alle Tüten waren nur zur Hälfte gefüllt, bemerkte sie plötzlich. Als ob das jemand mit Absicht gemacht hätte. Jemand, der verhindern wollte, dass sie zu schwer hob. Das konnte nur heißen, dass dieser Jemand über ihre Schwangerschaft Bescheid wusste. Izaak oder Margaret konnten es nicht gewesen sein. Wenn überhaupt, dann brachten sie ihre Mahlzeiten in Körben. Außerdem würden sie sie niemals stillschweigend auf der Veranda abladen. Und Hunter, der Sheriff, hielt den Drive-in des neuen Fast-Food-Restaurants für eine Offenbarung der modernen Küche.

Es konnte nur Brad gewesen sein.

Er war der Einzige unter all ihren Freunden und Bekannten, der es fertigbringen würde, zwanzig halb gefüllte Tüten mit Lebensmitteln auf ihrer Veranda zu deponieren und darauf zu hoffen, dass sie das großzügige Geschenk schon akzeptierte. Hatte er ihr denn gar nicht zugehört? Offenbar versuchte er immer noch, sich in ihr Leben und das Leben ihres Babys einzumischen.

Aber plötzlich entdeckte sie ein braunes Fellstückchen, das aus der regenbogenfarbenen Geschenktüte hervorlugte. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen. Stofftiere waren die einzige Schwachstelle in ihrer Selbstbeherrschung. Vorausgesetzt, sie zählte Brad Costain nicht mit.

Zögernd beugte Melissa sich hinunter und zog den weichen braunen Bären aus der Tüte. Mit aller Willenskraft konnte es ihr vielleicht gelingen, den beschwörenden Blick in Brads grauen Augen zu ignorieren, aber bei den goldenen Augen des Bären gelang es ihr nicht. Seufzend ergab sie sich in ihr Schicksal und schleppte die Einkaufstüten in die Küche.

Schließlich saß Melissa am Küchentisch und starrte auf den Teddybären in ihren Händen. Sie musste zugeben, dass Brads freundliche Geste sie irgendwie berührt hatte, nachdem ihr erster Ärger verflogen war. Aber seine plötzliche Sanftmütigkeit beunruhigte sie auch. Wütend schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Man ändert sich nicht von einer Sekunde auf die andere, Brad Costain“, schimpfte sie laut und vernehmlich. „Du kannst mich nicht so leicht hinters Licht führen.“ Entschlossen griff sie nach dem Bären und steckte ihn in die Tasche zurück. Aber das Bein des Bären schien gegen irgendeinen Widerstand zu stoßen. Jetzt erst entdeckte sie die Karte in der Geschenktüte, die sie vorhin auf der Veranda übersehen hatte. Stirnrunzelnd las sie:

Liebe Melissa, es tut mir leid, was ich zu Dir gesagt habe. Ich möchte mich wirklich nicht in Dein Leben einmischen, aber weil Du mit dem Baby meines Bruders schwanger bist, kann ich mich auch nicht komplett zurückziehen. Ich komme am nächsten Wochenende wieder zu Dir. Vielleicht können wir unsere abgebrochene Unterhaltung dann fortsetzen. Pass gut auf Dich auf. BJC

„Wage es ja nicht, deinen Fuß auf meine Farm zu setzen, BJC“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „oder ich sorge höchstpersönlich dafür, dass Hunter dich am Schlafittchen packt und außer Landes befördert.“ Aber insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie überglücklich war, endlich wieder wütend auf ihn sein zu können.

Am nächsten Wochenende bog Brad am frühen Nachmittag den langen Kiesweg auf Melissas Grundstück ein. Die ganze Woche hatte er ein Meeting nach dem anderen hinter sich gebracht und die obligatorischen Abendessen mit seinen Klienten bis in den späten Abend hinein ausgedehnt, um sechs Arbeitstage in fünf hineinpressen zu können. Hoffentlich zahlt es sich aus, dachte er, als er sich dem Farmhaus näherte.

Er war nicht im Mindesten überrascht, dass sie sofort aus dem Haus stürzte, noch bevor er aus dem Wagen gestiegen war. „Ich dachte, ich habe mich klar genug ausgedrückt“, herrschte sie ihn an und verschränkte die Arme feindselig vor der Brust.

„Ja, das hast du“, erklärte er. Sorgfältig schloss er die Autotür. „Du magst mich nicht. Du vertraust mir nicht. Und du verzeihst mir nicht. Alle drei Dinge muss ich mir erst verdienen. Hab ich noch was vergessen?“ Er verschränkte die Arme ebenfalls vor der Brust und lehnte sich gegen den Wagen.

„Ja.“ Melissa eilte ihm entgegen. Auf halber Strecke auf dem unkrautbewachsenen Weg stoppte sie abrupt und musterte ihn aufmerksam. „Du hast mir noch nicht erklärt, was du mit diesen netten Überraschungsbesuchen eigentlich erreichen willst.“

„Wie kann ich deine Verzeihung verdienen oder dein Vertrauen erringen, wenn wir uns nicht sehen? Außerdem bin ich es Garys Kind schuldig.“

Aufregt stieß sie den Atem aus den Lungen. „Du bringst mich wirklich in Rage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich dauerhaft für ein Baby interessierst. Noch nicht einmal für Garys Baby. Babys sind laut, aufdringlich, manchmal stinken sie und sie sind immer da. Du kannst dich nicht mit ein paar teuren Brillanten freikaufen, wenn sie dir unbequem werden.“

Brad spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Leigh hat also geplaudert, schoss es ihm durch den Kopf. „Das habe ich auch nicht angenommen. Und ich will es auch nicht. Und bitte glaub mir endlich, ich habe nicht vor, dir dein Baby irgendwie abspenstig zu machen. Auf keinen Fall möchte ich, dass meine Eltern sich irgendwie einmischen. Oder der Rest der Familie. Ich bin sowieso der Einzige, der von deiner Schwangerschaft weiß. Aber ich möchte, dass du einen monatlichen Scheck von der Stiftung annimmst, die ich für Garys Kind gegründet habe. Ich habe meinen Bruder sehr geliebt, und ich möchte, dass für sein Kind alles getan wird, damit es einer erfolgreichen Zukunft entgegenblicken kann. Ist das so schwer zu verstehen?“

„Nein. Natürlich nicht.“ Nachdenklich wandte Melissa sich ab und setzte sich in den Schaukelstuhl, in dem er sie am vergangenen Wochenende hatte sitzen lassen. Er folgte ihr. „Wahrscheinlich ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Aber trotzdem frage ich mich, ob wir wohl dasselbe meinen, wenn wir von einer erfolgreichen Zukunft sprechen. Wie definierst du Erfolg?“

Er lehnte sich gegen die Brüstung der Veranda und bemühte sich um einen entspannten Gesichtsausdruck, obwohl er innerlich nervös und aufgewühlt war. „Im Idealfall sollten Kinder die beste Schule besuchen, die für sie infrage kommt. Wenn es irgendwie möglich ist, sollten sie ihre Ausbildung an einer Elite­universität fortsetzen. Damit sollten sie in der Lage sein, sich einen Job mit mindestens hunderttausend Dollar Einstiegsgehalt zu angeln.“

„Ausbildung ist wichtig, da gebe ich dir recht.“ Melissa schaute ihn direkt an, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Und wer hat das Recht zu bestimmen, welche Schule für welches Kind am geeignetsten ist?“

„Das ist die Aufgabe der Eltern. Soweit ich weiß, entscheidet sich das schon in der frühen Kindheit.“

„Wirklich?“, wandte sie ein. „Leigh und ich konnten keine Privatschule besuchen, weil unsere Tante Dora und unser Onkel Ed das Vermögen unserer Eltern gespart haben, damit wir die Highschool besuchen und anschließend studieren können.“

„Eine kluge Entscheidung.“

„Leigh wollte unbedingt in die Großstadt. Deswegen ist sie nach Philadelphia gezogen und hat dort studiert. Meine Tante und mein Onkel haben uns gut beraten. Sie haben Leigh von der schlechten Uni in Baltimore weggelotst, die sie eigentlich besuchen wollte.“

„Wieder eine gute Entscheidung. Ich glaube nicht, dass unsere Vorstellungen so weit auseinanderliegen“, meinte Brad.

„Du bist wahrscheinlich der Meinung, dass Geld den Ausschlag gibt, wenn es um Glück und Erfolg geht. Aber Geld allein ist nicht alles. Leigh hätte eine glänzende Karriere in der Werbebranche machen können. Mit Leichtigkeit hätte sie die Summe verdienen können, die du vorhin genannt hast.“ Sie spielte mit dem weichen Stoff ihres Kleides und blickte ihn wehmütig an. „Aber dann hat sie Gary getroffen. Das Leben mit Gary wurde ihr plötzlich wichtiger als alles andere auf der Welt. Leigh hat sich für eine kleinere, weniger renommierte Firma entschieden, um weniger arbeiten zu müssen. Und es gab nur einen einzigen Grund für Gary, eine eigene Kanzlei zu gründen. Er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen. Sie waren glücklich.“

Melissa war noch nicht fertig. „Ich bin dabei, mein Geschäft wieder zu eröffnen.“ Sie zeigte auf die Scheunen. „Und ich will die Gebäude umbauen lassen, damit ich dort meinen Antiquitätenhandel aufziehen kann. Ich habe dir mal davon erzählt. Ich werde hier bleiben und mein Baby hier auf dieser Farm aufwachsen lassen. Wahrscheinlich werde ich keine Reichtümer aufhäufen können. Oder aber mein Innenarchitekturbüro und der Möbelhandel werden besser florieren, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt habe. Was auch immer geschehen mag, ich habe Erfolg, wenn mein Kind alles hat, was es braucht. Und wenn ich mich am Abend darauf freuen kann, dass ich am nächsten Morgen wieder aufstehen und arbeiten darf.“

Sie beobachtete, dass er einen schnellen Seitenblick auf die Scheune warf. Noch nie hatte sie so leidenschaftlich mit ihm gesprochen. Ihre Worte schienen ihr wirklich wichtig zu sein.

„Ich habe Gary immer für sehr erfolgreich gehalten“, fuhr sie fort, „weil er seine Arbeit mochte. Er und Leigh waren sehr, sehr glücklich miteinander. Das nenne ich Erfolg. Aber deine Familie hat ihm vorgeworfen, dass er komplett versagt hat. Und dass er ein Dummkopf ist. Wenn ich mir überlege, was du vor ein paar Minuten gesagt hast, glaube ich fast, dass du genauso denkst.“

Brad ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber sinken und schüttelte den Kopf. Natürlich hielt er seinen Bruder nicht für einen Versager oder einen Dummkopf. Aber hatte er ihn vielleicht trotzdem so behandelt? Brad konnte sich an keinen Vorfall erinnern, aber wer weiß … Vielleicht hatte Gary sich deshalb entschlossen, sein Geheimnis für sich zu behalten. Hatte er vielleicht befürchtet, dass Brad ihn und Leigh dem Gespött der Leute preisgeben würde?

„Brad? Bist du glücklich?“, fragte Melissa und riss ihn aus seinen Gedanken. „Weißt du überhaupt, was Glück ist?“

Unschlüssig zuckte er die Schultern. „Ein Maßstab für Erfolg, vermute ich. Einer unter vielen.“

Melissa schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Für mich ist es der einzige Maßstab. Und deshalb habe ich Probleme, dein Geld zu akzeptieren. Wenn ich nur einen Cent annehme, wirst du daraus das Recht ableiten, mir zu sagen, wie ich mein Kind zu erziehen habe. Ich weiß, dass Gary eine schreckliche Kindheit hinter sich hat. Keine Ahnung, wie du dich fühlst. Aber Gary hat gelitten wie ein Hund.“

Er brachte es nicht fertig, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Sie verunsicherte ihn zu sehr. Ihre Macht über ihn war zu sehr angewachsen, obwohl sie es noch nicht einmal zu ahnen schien. Es fiel ihm sogar schwer, in ihrer Gegenwart einen vernünftigen Gedanken zu fassen.

Aber wenn er im Leben des Kindes eine Rolle spielen wollte, dann musste er sie auf seine Seite ziehen. Brad war überzeugt, dass sie ihn hasste. Also musste er einen Weg finden, ihre Auffassung zu ändern. Sie umschmeicheln. Ihr das Gefühl geben, dass er unersetzlich war. Und das war ihm bisher noch jedes Mal gelungen …

Er stand auf und schob den Stuhl an seinen Platz zurück. „Versprichst du mir, wenigstens mal darüber nachzudenken, welche Vorteile das Geld aus der Stiftung dem Kind verschaffen kann? Auf keinen Fall werde ich mich in die Erziehung einmischen.“

„Brad, ich bin nicht dumm. Ich weiß doch ganz genau, dass Geld nicht die Wurzel allen Übels ist. Wenn man etwas erreichen will, ist es ein wichtiges Hilfsmittel, vorausgesetzt, es befindet sich in den richtigen Händen. Ich mache mir keine Sorgen wegen des Geldes, sondern wegen der Leute, von denen es stammt. Und ich bin mir nicht sicher, dass du dich wirklich aus der Erziehung raushältst. Auf keinen Fall möchte ich die kommenden achtzehn oder zwanzig Jahre damit verbringen, deinen Einfluss auf mein Kind zu kontrollieren.“

4. KAPITEL

Am nächsten Samstagmorgen wurde sie unsanft aus ihren Träumen gerissen. Jemand polterte heftig auf ihrer Veranda herum. Oder hatte es geklopft? Noch im Halbschlaf stolperte sie aus dem Bett, schlüpfte in ihren Morgenmantel und eilte zur Haustür. Es war Brad, aber er hatte nicht an die Tür geklopft. Er war unter die Veranda gekrochen, schlug mit einem Hammer von unten gegen die maroden Bodenbretter und lockerte sie, um sie anschließend auszuwechseln.

„Was treibst du da?“, fragte sie, obwohl die Antwort auf der Hand lag. Unvermittelt schaute Brad auf und lächelte sie an.

„Ich …“, begann er, unterbrach sich abrupt und starrte sie unverwandt an. Es schien, als hätte er plötzlich die Sprache verloren.

Das Herz pochte ihr nervös in der Brust, während sein glühender Blick über ihren Körper streifte. Sie konnte sich kaum rühren, und ihr stockte der Atem. Sein Blick war gefährlicher als all das Geld aus der Stiftung, mit dem er sie hätte an sich fesseln können. Mit festem Griff klammerte sie ihren Morgenmantel vor der Brust zusammen. Die Hitze stieg ihr ins Gesicht.

Aber dann wurde sein Lächeln plötzlich charmant und siegesgewiss. Eine unbändige Wut durchflutete ihr Inneres, und sie fühlte sich wieder frei und selbstbewusst. Was für ein großartiges Gefühl, dachte sie insgeheim.

Wortlos drehte sie sich herum, ging ins Haus und knallte die Tür hinter sich zu. Nein, dachte sie, nicht mit mir. Wenn du meinst, dass du mich mit deinem charmanten Lächeln um den kleinen Finger wickeln kannst wie all die anderen Frauen, dann hast du dich aber gewaltig geschnitten. Wahrscheinlich glaubst du, dass du damit bei mir einen Fuß in die Tür bekommst. Und über mein Baby bestimmen kannst. Nicht mit mir.

Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie Brad im Grunde genommen kaum kannte. Wenn man von seinen Affären mit anderen Frauen absah, hatte Leigh selten über ihn gesprochen. Es war unfair, ihn nur am Maßstab seiner Familie zu beurteilen. Gary war schließlich bei denselben Eltern aufgewachsen, aber trotzdem war er ein wundervoller Mann gewesen. Warum sollte das nicht auch für Brad gelten? Außerdem hatte Leigh niemals die Absicht gehabt, Brad von ihrem Leben mit Gary und dem Baby auszuschließen.

Wie soll ich mich nur verhalten? überlegte Melissa.

Sie entschied sich, die Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen und ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn sie wieder einen klaren Kopf hatte, konnte sie immer noch eine Entscheidung treffen.

Melissa machte sich an die Arbeit. Sie katalogisierte jeden Gegenstand und jedes Möbelstück, das sie mit Country and Classics verkaufen wollte. Damit war sie den ganzen Tag über beschäftigt, und nachdem sie noch eine Verabredung mit der Tochter eines alten Kunden auf die nächste Woche gelegt hatte, schaute sie auf die Uhr. Es war schon fünf und Brad arbeitete immer noch. Trotz des Lärms war es ihr gelungen, ihn den ganzen Tag über zu ignorieren.

Jetzt erst merkte sie, wie heiß es geworden war und fächelte sich angestrengt Luft zu. Plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen. Den ganzen Tag über hatte sie Brad noch nicht einmal ein Glas Wasser angeboten. Beschämt schenkte sie ein Glas gesüßten Tee ein und brachte es auf die Veranda.

Brad hörte auf zu hämmern, als ihr Schatten über seinen Körper fiel. Als er aufschaute, lächelte er nicht. Er grinste noch nicht einmal, sondern wischte sich nur den Schweiß von der Stirn und nickte ihr kurz zu.

„Ist das für mich?“

„Ich war den ganzen Tag beschäftigt und habe überhaupt nicht bemerkt, wie heiß es geworden ist. Wer hat dir beigebracht, eine Veranda zu reparieren?“, wollte sie wissen.

Er legte den Hammer aus der Hand, ging hinüber zu seinem Werkzeugstapel, zog ein dickes Buch hervor und reichte es ihr. „Es gibt wohl nur wenig Dinge, die man nicht aus Büchern lernen kann.“

Verwundert betrachtete Melissa das Buch. Was hatten sie und Leigh nicht alles von ihren Eltern und später von Tante Dora und Onkel Ed gelernt! Und wenn sie sich das Gespräch mit Brad über Glück und Erfolg ins Gedächtnis rief, dann gab es wohl noch eine Menge Dinge im Leben, die er zu lernen hatte. Aber garantiert nicht aus Büchern. Rede dir bloß nicht ein, dass es deine Aufgabe ist, ihm das beizubringen, mahnte sie sich vorsorglich.

Krampfhaft suchte sie nach einem unverfänglichen Gesprächsthema, als ihr Blick auf den silberfarbenen Range Rover fiel. „Hast du deinen Sportwagen verkauft?“

Er schaute sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. In seinem Blick spiegelte sich eine Mischung aus Entsetzen und Fassungslosigkeit. „Ich? Meinen Sportwagen verkauft? Nie und nimmer. Den Wagen habe ich nur übers Wochenende gemietet, damit ich das Holz transportieren kann.“

Melissa konnte sich nicht länger beherrschen. Sie prustete los und lachte aus vollem Halse. Der Pick-up von Onkel Ed rostete immer noch in der verfallenen Scheune vor sich hin, und Izaak benutzte immer noch das alte Fuhrwerk seines Vaters, wenn er Holz transportieren musste. Nur ein Costain brachte es fertig, dazu extra einen Wagen zu mieten.

„Was ist los?“, fragte er irritiert. „Darf ich mitlachen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Du würdest es sowieso nicht verstehen.“

„Versuch’s doch einfach“, schlug er vor und schob ihr herausfordernd das unrasierte Kinn entgegen.

Genervt seufzte sie auf. „Okay. Du hast nicht die geringste Ahnung, wie neunzig Prozent der Menschen hier leben. Oder ist dir auf dem Weg hierher ein Rover oder ein BMW begegnet? Außerdem, glaubst du wirklich, dass Gary sein sauer verdientes Geld jemals für überflüssigen Luxus verschleudert hätte?“

Brad ließ seinen Blick zwischen ihr und dem Rover hin- und herschweifen und lächelte sie an. „Okay. Das nächste Mal miete ich einen Chevy. Aber meinen BMW verkaufe ich nicht.“

Melissa nickte und zwang sich zu einem Lächeln. Plötzlich fiel ihr auf, dass Brads Charme noch viel gefährlicher für sie war, wenn er nicht auf Biegen und Brechen versuchte, charmant zu sein. Die Entdeckung traf sie vollkommen unerwartet. Der Mann hatte das Zeug, sie wirklich um den Verstand zu bringen.

Aufmerksam inspizierte sie seine Arbeit. „Sieht gut aus. Danke. Ich gestehe, dass ich mir manchmal schon Gedanken darüber gemacht habe, ob die Bretter in ein paar Monaten mein Gewicht wohl noch aushalten werden. Sie waren wirklich ziemlich verrottet. Du hast ganze Arbeit geleistet. Aber das Holz würde ich dir gern bezahlen.“

Er schüttelte den Kopf. Das Haar fiel ihm auf die Stirn. „Betrachte es als Geschenk für das Baby. Und die körperliche Arbeit hat mir Spaß gemacht. Ich verbringe sonst nicht viel Zeit an der frischen Luft.“

Nach all der Arbeit durfte Melissa ihn nicht gehen lassen, ohne ihn zum Abendessen einzuladen. Außerdem würde Tante Dora sie bis in ihre Träume hinein verfolgen, wenn sie es nicht tat. Und ungestörter Nachtschlaf war ihr heilig. „Möchtest du zum Essen bleiben?“, fragte sie.

„Das wäre großartig.“ Er lächelte sie an und verdrehte ihr damit wieder den Kopf.

„Du kannst auch duschen, wenn du willst“, bot sie ihm an.

„Nichts, was mir im Augenblick lieber wäre“, erwiderte Brad. „Ich habe Kleidung zum Wechseln im Rover.“

Ein paar Minuten später stand Melissa in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Nach einer halben Stunde gesellte sich Brad zu ihr. „Sieht lecker aus“, meinte er und setzte sich auf den Platz, den sie ihm angewiesen hatte.

Genau wie du, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf, während sie ihren Blick über den Tisch schweifen ließ. Sie hatte noch ein wenig Roastbeef im Kühlschrank gehabt. Dazu gab es Bratkartoffeln, eine große Schüssel mit buntem Gemüse, selbst gebackenes Brot von Margaret Abramson und frische Butter. Das meiste stammte aus seinem Einkauf, aber trotzdem befürchtete sie, dass ihm das Essen in den teuren Restaurants besser schmecken würde als die karge Mahlzeit bei ihr in der Küche.

„Ich habe mich noch gar nicht für den Einkauf neulich bedankt“, meinte sie.

„Das musst du auch nicht“, wehrte er ab.

„Brad, es geht mir finanziell wirklich nicht so schlecht wie du vielleicht glaubst. Für die Renovierung der Scheune habe ich ein bisschen Geld zur Seite gelegt. Die Waren für die ersten Verkaufswochen im Antiquitätenladen habe ich fast alle zusammen. Ich habe wirklich alles, was ich brauche. Als Onkel Ed krank wurde, musste ich meine Pläne vorübergehend auf Eis legen. Dann ist er gestorben, und nach der Beerdigung haben Gary und Leigh mich gefragt, ob ich ihr Kind austragen würde. Sie hätten den Zeitpunkt nicht besser wählen können, weil ich in den Monaten, in denen ich mich um Onkel Ed gekümmert habe, sowieso nicht habe arbeiten können.“

„Deswegen hat dein Onkel dir die Farm vermacht, nicht wahr? Weil du bereit warst, alles für ihn zu opfern. Natürlich hatten Leigh und Gary sich genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Aber für dich muss es eine schwierige Entscheidung gewesen sein. Es ist bestimmt nicht leicht für dich, dein erstgeborenes Kind wegzugeben. Die beiden haben dir zu viel abverlangt.“

Melissa spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Leigh hätte dasselbe für mich getan. Ich bin mir ganz sicher. Natürlich wäre es mir manchmal schwergefallen, ihnen zuzuschauen, wie sie bei ihnen aufwächst, aber …“

„Sie?“ Brad zog eine Augenbraue hoch. „Ein Mädchen? Hast du geraten? Oder ist das nur ein frommer Wunsch?“

Aufgeregt sprang Melissa auf und holte das Ultraschallbild, das gestern bei der Vorsorgeuntersuchung gemacht worden war. Sie wollte ihm unbedingt das erste Bild ihres Kindes zeigen, selbst wenn es nur ein schattiges Schwarz-Weiß-Bild war, das die Ärztin ihr hatte erläutern müssen.

„Sie machen es wegen der Vorsorge. Und ich habe riesiges Glück gehabt. In der sechzehnten Woche können sie schon sagen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, wenn es in einer günstigen Position liegt. Das ist meine Tochter.“ Ihre Stimme klang gebrochen, und sie hatte große Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

Leigh hatte sich sehnlichst ein Mädchen gewünscht.

Auf keinen Fall wollte sie vor seinen Augen in Tränen ausbrechen. Melissa entschuldigte sich eilig und rannte aus der Küche. Auf dem Weg ins Bad erhaschte sie Leighs Blick. Es schien, als würde sie sie aus dem Spiegel im Flur anschauen. Melissa erstarrte. Urplötzlich wurde ihr der Verlust ihrer Zwillingsschwester wieder bewusst, und die Erkenntnis traf sie mit voller Wucht.

Wenn sie nicht unverwandt in das Spiegelbild hätte starren müssen, hätte der Schmerz sie ganz sicher in die Knie gezwungen. Leigh und doch nicht Leigh. Für immer gegangen, aber niemals weiter entfernt als der nächste Spiegel. Leigh würde niemals älter werden, und doch alterte sie mit jedem Tag. Ihr eigenes Spiegelbild würde Melissa jeden Tag ihres Lebens daran erinnern, dass sie und ihre Schwester unzertrennlich waren. Und an den unsäglichen Verlust.

War es ihr Schicksal, immer genau das zu verlieren, was sie liebte und worauf sie vertraute?

5. KAPITEL

Mehrere Minuten waren vergangen, aber Melissa war immer noch nicht zurückgekehrt. Langsam fragte sich Brad, wohin sie so plötzlich verschwunden war. Und warum. Im Nachhinein fiel ihm auf, dass sie ziemlich aufgewühlt gewirkt hatte. Besorgt machte er sich auf die Suche nach ihr, obwohl er sich wie ein Eindringling vorkam. Er fand sie im dunklen Flur vor dem Spiegel. Unverwandt schaute sie ihr Spiegelbild an und weinte stumme Tränen. Er trat hinter sie, merkte aber sofort, dass sie ihn überhaupt nicht wahrnahm.

„Melissa? Hey, Melissa“, flüsterte er.

Ihr Blick ging unruhig hin und her, bis sie ihn im Spiegel entdeckte. „Sieht aus wie Leigh, findest du nicht auch?“, brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor. „Sie war so quirlig und so lebendig. Wie kann es sein, dass sie einfach fort ist?“ Wieder fixierte sie ihr Spiegelbild. „Und trotzdem ist sie niemals fort. Immerzu erwidert sie meinen Blick. Es ist, als ob sie mich verfolgt, und doch ist es nicht Leigh, die mich anschaut.“ Sie hielt einen Moment inne. „Leigh hat sich sehnlichst ein Mädchen gewünscht“, flüsterte sie dann. Ihre Unterlippe zitterte, und ihre Gesichtsmuskeln zuckten, als ob sie jeden Moment die Fassung verlieren würde. „Nichts war ihr wichtiger. Und jetzt … oh, mein Gott!“

„Denk dran, wie glücklich du die beiden in den letzten zwei Wochen ihres Lebens gemacht hast“, wisperte Brad und biss sich ebenfalls auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten.

Dann fasste er sie bei den Schultern, drehte sie zu sich herum und schloss sie in die Arme, sodass sie ihr Spiegelbild nicht länger anstarren konnte. Brad wusste nicht, wie lange sie fest umschlungen im dunklen Flur gestanden hatten und leise weinten. Aber eine Weile nachdem sie ihre Arme um seine Hüften geschlungen hatte, regte sich etwas in ihm.

Plötzlich wurde ihm bewusst, wie eng sie sich an ihn schmiegte. Er hatte das Gefühl, als hätte man ihm einen gewaltigen Stromstoß mitten durchs Herz gejagt, so erregt war er. Wie perfekt ihre Kurven zu seinem Körper passten. Verdammt noch mal, ich bin auch nicht aus Holz, fluchte er insgeheim. Und ich habe niemals behauptet, ein Heiliger zu sein.

Er schluckte schwer. Die Sache wurde ihm langsam zu heiß. Sie gehörte nicht zu der Sorte Frauen, mit denen er sich normalerweise einließ. Niemals. Und er wusste genau, dass er besser die Finger von ihr lassen sollte.

„Komm mit“, flüsterte er. Seine Lippen berührten ihr Haar. „Lass uns auf die Veranda gehen, die ich heute für dich repariert habe.“

Melissa ließ sich von ihm führen. Durch die Tränen schimmerten ihre blaugrünen Augen noch heller und klarer. Er fing ihren Blick auf, und sie ließ ihn nicht mehr los. Dann senkte er den Kopf, und sie streckte sich ihm entgegen. Er konnte nicht entscheiden, ob sie den Anfang gemacht hatte oder er. Aber das spielte auch gar keine Rolle mehr, als ihre Lippen sich berührten. Noch nie im Leben hatte er sich einem Menschen so nahe gefühlt, und er hatte immer daran gezweifelt, dass er dazu überhaupt in der Lage war. Es war wie damals vor fünf Jahren in Bellfield, als er sie in den Armen gehalten hatte.

Brad umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und küsste sie noch leidenschaftlicher. Sie schmeckte nach ihren Tränen. Und ganz bestimmt auch nach seinen. Dann stöhnte Melissa auf, und Brad brach den Kuss ab, weil er einerseits befürchtete, dass sie protestieren wollte – und andererseits, dass sie es nicht tat.

„Wir müssen sofort aufhören. Vergiss es einfach. Du hast recht gehabt, als du vorhin meintest, dass wir aus zwei verschiedenen Welten stammen.“ Er drückte ihr das Ultraschallbild in die Hand, das er immer noch bei sich trug. „Aber unsere beiden Welten sind einander begegnet. Wegen dieses kleinen Wesens. Und nichts auf der Welt wird daran etwas ändern können.“

Herausfordernd streckte sie ihm das Kinn entgegen. „Du kannst gern wieder in deiner Welt verschwinden und mir die Erziehung meiner Tochter allein überlassen. Ich habe nichts dagegen.“

Er hob ihre Hand mit dem Foto, küsste ihre Finger und schüttelte den Kopf. „Ich werde wiederkommen“, sagte er und verschwand in Richtung Range Rover. „Versprochen.“

Auf der dreieinhalbstündigen Fahrt nach Devon grübelte Brad darüber nach, was eigentlich mit ihm geschehen war, als er Melissa das Ultraschallbild in die Hand gedrückt hatte. Er konnte diesen Augenblick nicht vergessen. Es schien ihm, als ob in den schwarzgrauen Streifen und Punkten des Fotos plötzlich ein kleines Babygesicht aufgetaucht war. Und plötzlich war Brad klar geworden, dass er mehr für das Kind seines Bruders würde tun müssen, als er es sich ohnehin schon vorgenommen hatte.

Es musste einen Weg geben, Garys Rolle zu übernehmen. Das Leben des kleinen Mädchens so weit zu begleiten, wie Melissa es ihm erlaubte. Für Gary. Für das Baby. Und, der Himmel möge ihm helfen, um seiner selbst willen.

Er musste Melissa davon überzeugen, dass er nicht das Monster war, für das sie ihn hielt. Und das würde er auch, selbst wenn er dazu auf ihrer Türschwelle kampieren musste. Langsam formierte sich ein Plan in seinem Kopf. Ja, so kann es funktionieren, dachte er. Ich kampiere einfach auf ihrer Türschwelle.

Oder ganz in der Nähe. Genau gegenüber der Einfahrt zu ihrem Grundstück stand ein kleines Haus inmitten einer Gruppe von Bäumen. Und es sollte verkauft werden. Der Bungalow entsprach zwar nicht ganz seinen Vorstellungen, und er befand sich auch nicht in einem besonders guten Zustand, aber es war kein Problem für ihn, einen Handwerksbetrieb mit der Renovierung zu beauftragen.

Außerdem hatte er eine Menge Überstunden angesammelt. Sogar sein Vater, ein bekennender Workaholic und der Seniorpartner in Brads Kanzlei, hatte angemerkt, dass Brad sich ein paar freie Wochen redlich verdient hatte. Er würde Urlaub einreichen. Vielleicht sogar ein Sabbatjahr nehmen. Gab es eine bessere Gelegenheit, Melissas Achtung und ihr Vertrauen zu gewinnen?

Melissa verlangsamte das Tempo, als sie sich ihrer Farm näherte. Aber diesmal bog sie nicht auf den Kiesweg ein, sondern hielt am Straßenrand an. Sie hatte sich nicht getäuscht. Auf dem Grundstück der Jacobs’ stand ein strahlend gelber Pick-up.

Vor ein paar Wochen hatten der Holzbungalow und die dazugehörigen fünf Morgen bestes Farmland verkauft werden sollen. Dann war das Schild des Maklers wieder verschwunden, und gerüchteweise hatte sie gehört, dass der Käufer das Haus instand setzen und selbst einziehen wollte.

Sie freute sich, dass das Anwesen nicht von einem großen Landwirtschaftsunternehmen aufgekauft worden war und entschied, den neuen Nachbarn mit einem selbst gebackenen Kuchen zu begrüßen. Zehn Minuten später hatte Melissa sich bereits auf den Weg gemacht. In Tante Doras Lieblingskorb trug sie einen Blaubeerkuchen und Tischsets als Begrüßungsgeschenk.

Zum Glück bin ich nicht mit dem Auto gefahren, dachte sie, während sie den Kiesweg hinuntermarschierte, obwohl die Sonne erbarmungslos auf ihr Haupt brannte und sich kein Lüftchen regte. Aber als sie die Straße überquert hatte und den Weg zum Haus ihres Nachbarn entlangging, schoss ihr genau das Gegenteil durch den Kopf. Die Hitze war unerträglich drückend geworden. Ein leichter Schweißfilm bedeckte ihre Haut. Hoffentlich lädt der neue Nachbar mich zu einem kühlen Drink ein, dachte sie. Wer weiß, ob ich den Weg nach Hause sonst schaffe.

Melissa zwang sich zu einem Lächeln und klopfte an. Sie konnte das Gesicht der Person nicht erkennen, die ihr eine Antwort zurief, aber von der Größe und der Breite der Schultern her musste es sich um einen Mann handeln.

„Hallo!“, rief sie, als er die alte Aluminiumtür mit dem Fliegengitter geöffnet hatte. „Ich komme kurz vorbei, um meinen neuen Nachbarn zu begrüßen. Mir gehört die Farm gleich gegenüber. Ich habe einen Blau…beer…k…“ Melissa geriet ins Stocken und verstummte schließlich ganz.

„Melissa!“

Wie aus weiter Ferne drangen Brads Worte an ihr Ohr. Der Korb glitt ihr aus der Hand.

Gebannt und entsetzt zugleich beobachtete sie, wie Brad mit einer Hand den fallenden Korb auffing und die andere Hand um ihre Hüfte schlang. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass nicht nur der Korb, sondern sie selbst zu Boden stürzte. Sie nahm die Welt um sich herum nur noch wie im Schwebezustand wahr. Brad hatte den Korb in dieselbe Hand genommen, die er um ihre Hüfte geschlungen hatte. Schwungvoll hob er sie vom Boden auf, trug sie ins kühle Haus und verhinderte in letzter Sekunde, dass ihr die Knie gänzlich den Dienst versagten.

„Was erlaubst du dir eigentlich?“, protestierte sie, als sie langsam wieder zu Verstand kam.

„Nach sorgfältiger Beobachtung und Analyse bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich dich und was immer du in diesem Korb mit dir herumschleppst davon abgehalten habe, auf meiner Türschwelle zusammenzubrechen“, erklärte er umständlich.

„Du weißt genau, wovon ich spreche! Lass mich sofort runter!“, rief sie ärgerlich. „Es geht mir gut.“

„Das sieht mir aber ganz anders aus“, murmelte er, setzte sie auf einem der Stühle neben dem Kamin ab und stellte den Korb auf den Boden. Dann eilte er in die Küche und kehrte mit einem Glas Wasser zurück.

Melissa nahm das Glas dankbar entgegen. Während sie in kleinen Schlucken trank, schaute sie sich prüfend um und versuchte zu begreifen, was geschehen war. „Was machst du hier in diesem Haus?“, fragte sie ihn geradeheraus.

„Ich habe es gekauft“, erwiderte er schlicht, beugte sich zu ihrem Korb hinunter und inspizierte den Inhalt. „Ich dachte, du bist vorbeigekommen, um deinen neuen Nachbarn zu begrüßen. Aber du scheinst nicht gerade glücklich zu sein, mich zu sehen.“

Sie riss ihm den Korb vor der Nase weg und erhob sich. „Lass die dummen Witze, Brad. Du wusstest genau, dass ich darüber niemals glücklich sein würde.“

Das spöttische Grinsen in seinen Mundwinkeln war plötzlich verschwunden. „Das habe ich auch nicht erwartet. Würdest du dich einen Moment hinsetzen und mich anhören? Du bist immer noch ein bisschen blass um die Nase.“

Melissa nickte, setzte sich wieder, zog den Korb auf ihren Schoß und klammerte sich daran fest. Brad lächelte traurig, entwand ihr den Korb und stellte ihn wieder zu Boden.

„Ich möchte, dass du mich als Teil deines Lebens akzeptierst, bis meine Nichte geboren ist. Und ich möchte, dass du das Geld aus der Stiftung akzeptierst, wenn wir es bis dahin miteinander aushalten. Nach der Geburt entscheidest du allein, wann und wie oft ich sie sehen darf. Ich werde dieses Haus nicht verkaufen und komme euch besuchen, wann immer wir beide damit einverstanden sind. Allein. Das garantiert dir, dass sie mit meinem Leben außerhalb deiner Welt nichts zu tun hat. Ist das ein faires Angebot oder nicht?“

Er hatte recht. Es war ein faires Angebot. Mehr als das. Weil der Jetsetter Brad Costain es sowieso nicht länger als höchstens vier Wochen in dieser engen Hütte aushalten würde. Sie hatte nichts zu verlieren. Nichts als dein Herz, flüsterte ihre innere Stimme, nichts als dein Herz.

Autor

Karen Rose Smith
Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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