Bianca Gold Band 49

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  • Erscheinungstag 18.01.2019
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737436
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gina Wilkins, Debra Webb, Jacqueline Diamond

BIANCA GOLD BAND 49

1. KAPITEL

Ein Mann mit einem Taschenrechner – das war eine Kombination, der Miranda Martin nur schwer widerstehen konnte. Schon allein der Anblick, wie seine Finger über die Tasten flogen und er lange Zahlenreihen addierte, während er über Geldanlagen und Steuerabschreibungen sprach, hatte für sie etwas Erregendes.

Andere Frauen fanden Cowboys, Polizisten oder Baseballspieler sexy – Miranda eben Steuerberater. Oder besser gesagt, einen ganz bestimmten Steuerberater – Mark Wallace, den Mann, der sich um ihre Finanzen kümmerte.

Mit auf den Händen aufgestütztem Kinn saß Miranda vor seinem Schreibtisch und schaute ihm bei der Arbeit zu – ein doppeltes Vergnügen, denn der Mann war außerordentlich attraktiv.

Mit seinen grauen Augen, dem dunklen Haar, das immer etwas zerzaust wirkte, weil es sich leicht wellte, und den makellosen Zähnen hätte er jederzeit seinen Lebensunterhalt als männliches Model verdienen können, wenn ihm die Arbeit als Steuerberater ausging.

„Was ist mit diesem Punkt hier, wo Sie bequeme Schuhe von der Steuer absetzen wollen?“, fragte er jetzt und blickte stirnrunzelnd auf ihre Unterlagen.

„Ich musste sie letzten Monat auf einer Geschäftsreise kaufen“, erwiderte sie. „Die Schuhe, die ich mitgenommen hatte, haben mich beinahe umgebracht, und Sie wissen doch, dass man sich nicht auf seinen Job konzentrieren kann, wenn einem die Füße wehtun. Nachdem ich diese hübschen, bequemen Schuhe gekauft hatte, konnte ich viel effektiver arbeiten. Leider waren sie unglaublich teuer.“

Mark war jetzt seit etwas über einem Jahr ihr Steuerberater, und er reagierte in solchen Situationen immer auf dieselbe Art. Auch diesmal warf er ihr wieder diesen halb ungläubigen, halb verwunderten Blick zu, und sie genoss es mit diebischer Freude – schließlich hatte sie die Schuhe genau deshalb unter den Abschreibungen aufgelistet.

Den Kopf etwas zur Seite geneigt, als überlege er noch, ob sie es ernst meinte oder nicht, strich er den Posten entschieden durch.

Sie liebte es einfach, wenn er das tat.

„Abgesehen von den Schuhen scheint der Rest in Ordnung zu sein“, sagte er und schloss die Akte. „Bis zum Ende der Woche habe ich die Steuererklärung fertig, und Sie können sie dann unterschreiben. Nächstes Mal warten Sie aber besser nicht bis zur letzten Minute, bevor Sie die Unterlagen einreichen. Diesmal bleibt uns beiden nicht viel Zeit für Fehler.“

„Als ob Sie jemals Fehler machen würden“, neckte sie ihn.

Er zuckte die Achseln, doch ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Es soll schon vorgekommen sein, wenn auch sehr selten.“

Manchmal konnte Miranda einfach nicht widerstehen, ihn zu berühren. Sie streckte den Arm aus und strich mit dem Zeigefinger leicht über seinen rechten Handrücken. „Schwer zu glauben, dass Sie nicht perfekt sind.“

Die ersten beiden Male hatte sie ihn mit ihrer Flirterei völlig aus der Fassung gebracht, doch mittlerweile schien er akzeptiert zu haben, dass das ihre Art war. Besonders, seit sie ihm scherzhaft anvertraut hatte, dass sie Gespräche über Geld sehr erregend fand.

Als Antwort auf ihre Berührung warf er ihr einen Blick zu, der so direkt und – ganz entgegen seiner sonstigen Art – so lüstern war, dass ihr Mund plötzlich trocken wurde.

„Eines Tages werde ich eine dieser eindeutigen Einladungen annehmen“, sagte er leise. „Und was dann?“

Einen Augenblick war Miranda – die sonst immer eine schlagfertige Antwort auf jede Art von Annäherungsversuch hatte – sprachlos. Sie blickte verträumt in Marks graue Augen und hatte statt einer cleveren Bemerkung eindeutig erotische Bilder im Kopf.

Schön, dann nimm sie doch an, hätte sie gerne gesagt. Oder spar dir den Umweg und nimm mich, gleich jetzt und hier!

Aber sie beherrschte sich, und der Hauptgrund für ihre Zurückhaltung platzte nur einen Augenblick später in das Büro, das sich an Marks Wohnhaus anschloss.

„Daddy, ich bin wieder da, und weißt du was? Wir machen im Kindergarten einen Ausflug ins Technikmuseum und ich …“

„Payton“, unterbrach Mark sie mit ein wenig erhobener Stimme, um ihr aufgeregtes Geplapper zu übertönen. „Ich habe eine Besprechung. Du weißt doch, dass du während der Arbeitszeit nicht einfach so ins Büro kommen kannst. Wo ist Mrs. McSwaim?“

Das blauäugige kleine Mädchen mit den blonden Locken schien sich aus der Rüge nicht viel zu machen. Sie blieb an der Tür stehen und betrachtete Miranda, während sie antwortete: „Sie ist mit Madison auf der Toilette.“

„Dann beschäftige dich für eine Weile. Über deinen Ausflug kannst du mir dann alles erzählen, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.“

„Ist gut, Daddy.“ Mit einem melodramatischen Seufzer drehte sich Payton um und verschwand durch die Tür, durch die sie hereingekommen war.

Mark wartete, bis sie sie hinter sich geschlossen hatte, dann wandte er sich wieder Miranda zu. „Tut mir leid. Das Büro im Haus zu haben hat seine Vorteile, aber manchmal eben auch nicht.“

Miranda lächelte ihn strahlend, aber nun wieder ganz geschäftsmäßig an, griff nach ihrer Handtasche und hängte sie sich über die Schulter. „Ich muss sowieso los. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, bevor ich nachher zum Konzert im Juanita’s gehe.“

„Ich rufe Sie an, wenn die Steuererklärung unterschrieben werden kann.“

„Ja, tun Sie das“, sagte sie mit kokettem Augenaufschlag.

„Viel Spaß beim Konzert.“

„Ich habe doch immer Spaß, mein Lieber.“ Mit Absicht gab sie dem Lächeln, das ihre Bemerkung begleitete, einen Hauch von Verruchtheit.

Zwischen ihr und Mark würde sich nie etwas entwickeln, nicht einmal eine heiße Affäre. Deshalb legte sie besonderen Wert darauf, dass er sich wünschte, die Dinge lägen anders – ihr ging es schließlich auch nicht besser.

Nur einer von Marks Mandanten brachte es fertig, dass ihm nach einer Besprechung der Kopf schwirrte – und das war Miranda Martin.

Ganz gleich, wie sehr er sich auch bemühte, ihre Gespräche rein geschäftlich zu halten, sie fand immer wieder einen Weg für ihre kleinen Flirts.

Heimlich nannte er sie das „Goldmädchen“. Ihr schulterlanges, stufig geschnittenes Haar schimmerte dank kunstvoller Strähnchen golden. Ihre makellose Haut zeigte das ganze Jahr über einen Bronzeton, was sie wohl dem Sonnenstudio oder Selbstbräunern verdankte. Sogar ihre Augen hatten den goldenen Schimmer von Bernstein – und das war ihre natürliche Farbe, da war er sich fast sicher.

Ihre Stirn war faltenfrei, die Nase perfekt, ihre hohen Wangenknochen gaben ihrem Gesicht auffällige Konturen, und wenn sie lächelte, erschien neben dem rechten Mundwinkel ein reizendes Grübchen.

Sie war einen Kopf kleiner als er, hatte endlos lange, wunderbar geformte Beine, wohlgerundete Brüste und eine schlanke Taille. Das allein schon musste jedem Mann, der noch einen Funken Leben in sich hatte, den Kopf verdrehen – doch wenn sie dann noch anfing, mit ihm zu flirten …

Wenn er für unverbindliche Affären zu haben gewesen wäre, hätte er ihre mehr oder weniger deutlichen Einladungen schon längst angenommen. Doch als alleinerziehender Vater von zwei kleinen Mädchen hatte er weder die Zeit noch die Veranlagung für sexuelle Abenteuer.

Außerdem war er mit einer Frau verheiratet gewesen, der Vergnügen wichtiger war als die Familie. Selbst wenn er also eine langfristige Beziehung gesucht hätte, wäre seine Wahl nicht auf ein Partygirl wie Miranda Martin gefallen.

Dazu kam, dass sie seine Kinder für furchterregende Außerirdische zu halten schien – so jedenfalls betrachtete sie sie, wenn sie zufällig einmal ins Büro kamen.

Als er später beim gemeinsamen Abendessen mit den Kindern daran dachte, dass Miranda jetzt gerade bei dem Konzert war, von dem sie geschwärmt hatte, fiel ihm ein weiterer Grund ein, warum sie einfach nicht zueinander passten – seine Gesprächsthemen drehten sich um Kindergartenausflüge und wie wichtig es war, Gemüse zu essen, und sein gesellschaftliches Leben beschränkte sich auf Märchenaufführungen und Zeichentrickfilme im Kino.

Was ganz sicher nicht die Art von Unterhaltung war, die Miranda Martin bevorzugte.

Obwohl Little Rock die größte Stadt in Arkansas war, hatte Miranda das Gefühl, überall Leute zu kennen. Besonders in den Musikkneipen, in denen sie gerne ihre Abende verbrachte, traf sie stets Bekannte, auch ohne mit ihnen verabredet zu sein.

Heute bestand das Grüppchen, das sie zu sich an den Tisch winkte, aus drei Frauen und zwei Männern, die Miranda als Freunde bezeichnete.

„Miranda, du siehst umwerfend aus“, erklärte Oliver Cartwright, der sie kritisch betrachtete. „Nicht viele Frauen können diese Farbe tragen, aber dir steht sie erstklassig.“

„Von dir ist das ein großes Kompliment“, entgegnete sie lächelnd.

Sie hatte ihr Outfit sorgfältig ausgewählt und trug zu ihren tief sitzenden schwarzen Hüftjeans und Riemchensandalen ein goldfarbenes Glitzertop. Es war gerade so tief ausgeschnitten, dass man einen verheißungsvollen Blick auf ihr Dekolleté erhaschen konnte, und kurz genug, um einen Streifen ihres flachen, gebräunten Bauchs zu zeigen.

Im Vergleich zu den jüngeren Frauen im Club war sie geradezu züchtig gekleidet, doch sie zog dennoch alle Blicke auf sich.

Wenn Oliver, der Modepapst der Stadt, ihre Wahl guthieß, musste sie etwas richtig gemacht haben, dachte sie zufrieden.

„Glückspilz“, mischte sich eine Blondine in einem eng anliegenden roten Kleid ein. „Zu mir hat Oliver gesagt, ich sähe aus wie eine überreife Tomate.“

„Weil du immer viel zu enge Kleider trägst“, erklärte er. „Ich habe dir schon ein paar Mal gesagt, dass Raffinesse interessanter ist als Zurschaustellung. Deine Brüste fallen beinah aus dem Ausschnitt, Brandi, und damit wirst du zweifellos Aufmerksamkeit erregen, aber leider nicht bei den Männern, die sich als Heiratskandidaten eignen.“

Brandi, die kein Geheimnis daraus machte, dass sie einen Ehemann suchte – am Liebsten einen mit viel Geld – verzog den Mund. „Du bist so gemein, Oliver.“

„Ja, aber ich habe immer recht.“

Die anderen am Tisch lachten, doch niemand widersprach ihm.

Als die Kellnerin erschien, bestellte Miranda einen Manhattan. Sie hatte sich vorgenommen, heute nur einen alkoholischen Drink zu sich zu nehmen, aber den würde sie genießen.

In ihrem Elternhaus war Alkohol gleichbedeutend mit Sünde gewesen – genau wie Tanz, Fluchen, Fernsehen, Kino, Belletristik, Eitelkeit, Frivolität und jede Art von sexueller Betätigung, wobei dazu schon Händchenhalten und Küssen zählten, es sei denn, man war verheiratet.

Als sie mit siebzehn von zu Hause ausgezogen war, hatte sie sich geschworen, sich nie wieder jemandem unterzuordnen. Das war nun zehn Jahre her, und sie hatte sich stets daran gehalten.

Oliver wandte sich seinem Freund Randall zu, und Brandi stand auf, um zur Toilette zu gehen.

„Meinst du, er hat ihre Gefühle verletzt?“, fragte eine gut aussehende Frau, die Miranda schon ein paar Mal gesehen hatte.

„Brandis? Nein, das glaube ich nicht. Sie wird eine Weile schmollen, dann mit einem Mann nach Hause gehen, der garantiert kein Heiratskandidat ist, und nächste Woche das ganze Spielchen wiederholen. Sie fragt Oliver immer, was er von ihrem Outfit hält, obwohl sie weiß, dass er ihren Stil nicht mag.“

Jemand unterbrach das Gespräch mit dem Zuruf: „Hey, Miranda, hast du eine Ahnung, wie man Kinder bei Laune hält?“

Sie drehte sich zu Beverly, der braunhaarigen Frau zu ihrer Linken um. „Nein, da bin ich völlig überfragt. Wieso?“

Beverly zuckte die Achseln. „Meine drei Neffen verbringen die nächsten Ferien bei meiner Mutter, und sie hat mich gebeten, ihr mit den Rangen zu helfen. Du hast doch immer tolle Ideen, was man unternehmen könnte. Ich dachte, du hättest ein paar Tipps für mich.“

„Süße, meine Tipps sind garantiert nicht jugendfrei“, erwiderte Miranda mit einem gespielten Erschauern. Die anderen lachten.

„Was?“, fragte jemand. „Keine Nichten oder Neffen?“

Sie wollte gerade den Kopf schütteln, hielt dann aber inne. „Ach doch, stimmt ja. Ich habe zwei Neffen.“

Oliver hob die blonden Augenbrauen. „Sag bloß, du hast vergessen, dass du Tante bist?“

„Ich komme mir nicht so vor“, erwiderte Miranda leichthin. „Meine Schwester bleibt nie lange an einem Ort, und ich habe die Kinder erst zwei oder drei Mal zu Gesicht bekommen.“

„Mein Bruder ist auch so“, warf jemand ein. „Ich hätte nichts dagegen, mehr Zeit mit meinen Nichten zu verbringen, aber sie leben jetzt in Singapur. Mein Bruder hat dort einen fantastischen Job. Er …“

An dem Thema nicht sonderlich interessiert, klinkte Miranda sich aus der Unterhaltung aus und nippte an ihrem Drink. Es war das erste Mal seit Langem, dass sie an ihre ältere Schwester dachte. Sie fragte sich, wo Lisa gerade steckte und ob sie sich jetzt besser um die Zwillinge kümmerte als damals, als sie auf der Durchreise bei Miranda aufgetaucht war, um sich Geld zu leihen.

Allein der Gedanke, Kinder zu haben, versetzte Miranda in Panik. Das war der sicherste Weg, ihrem unabhängigen, sorglosen Leben ein Ende zu bereiten, für das sie nach der Schule so hart gearbeitet hatte.

Im Gegensatz zu Lisa, die die Zwillinge bei ihrem ungeregelten Leben wie Ballast mitschleifte, war Miranda der Meinung, dass man Verantwortung übernahm, wenn man Kinder in die Welt setzte. Und deshalb tat sie alles, um das zu vermeiden.

Nur solange sie kinderlos war, konnte sie so selbst- und vergnügungssüchtig sein, wie sie wollte.

Unwillkürlich dachte sie an ihren attraktiven Steuerberater. Mark Wallace schien ein guter Vater zu sein, liebevoll, verantwortungsbewusst und ausgeglichen. Sie wusste nicht, was mit der Mutter der Mädchen geschehen war, aber Mark ging offenbar völlig in der Aufgabe auf, ihnen eine glückliche Kindheit zu bescheren. Selbst wenn das bedeutete, dass er ein ihrer Meinung nach ziemlich langweiliges Leben führte. Seine Hingabe bewunderte sie allerdings.

Lisa dagegen nahm die Mutterrolle nicht so ernst. Sie sah überhaupt nicht ein, warum sie der Kinder wegen weniger Spaß haben sollte, zumal sie so streng erzogen worden war. Deshalb wollte sie es mit ihren Kindern auch ganz anders machen, hatte sie bei ihrem letzten Besuch vor drei Jahren erzählt. Keine einschränkenden Regeln, keine harten Strafen, keine starren Zeitpläne.

Wahrscheinlich waren die Kinder mittlerweile kleine Monster, aber das war zum Glück Lisas Problem. Mirandas einzige Verantwortung lag heute Abend darin, den Abend, die Musik und die Gesellschaft ihrer Freunde zu genießen, und jeglicher Gedanke an ernste Angelegenheiten war dabei reine Zeitverschwendung.

2. KAPITEL

Bei ihren Plänen für den Donnerstagabend fühlte sich Miranda ungewöhnlich unentschlossen. Ihr Job als Einkäuferin für die Kaufhauskette Ballard’s verlangte ihr im Moment nicht viel ab, und sie war in den vergangenen zwei Wochen fast jeden Abend in einem Musikclub gewesen.

Heute war sie dazu nicht in Stimmung, aber alleine vor dem Fernseher wollte sie den Abend auch nicht verbringen.

Als sie von der Arbeit nach Hause kam, hörte sie ihren Anrufbeantworter ab, in der Hoffnung, dass jemand aus ihrem Bekanntenkreis einen Vorschlag hatte, der ihr gefiel.

Die erste Nachricht stammte von Brandi. „Hi, Miranda, ich bin’s. Heute spielt eine neue Band bei Vino, und der Sänger soll wirklich ein Prachtexemplar sein. Wir sind so gegen acht da, wenn du Lust hast, komm doch auch.“

„Nein, heute nicht“, sagte Miranda und löschte die Nachricht.

„Yo, Randa, hier ist Robbie. Hab eine Weile nichts von dir gehört, würd dich aber wahnsinnig gerne wiedersehen. Wenn du mich anrufst, gehen wir einen draufmachen, yo? Hast ja meine Handynummer.“

„Nein, habe ich weggeworfen.“ Wieder drückte Miranda die Löschtaste. Sie war mit Robbie nur einmal ausgegangen und würde es gewiss nie wieder tun, denn der Typ hatte den ganzen Abend seine Hände nicht bei sich behalten können. Von dieser Art der plumpen Anmache hielt sie gar nichts, und sie hatte ihn von der Liste gestrichen.

Die Stimme des nächsten Anrufers war äußerst geschäftsmäßig, doch im Gegensatz zu Robbies verursachte sie Miranda weiche Knie. „Hi, Miranda, hier ist Mark Wallace. Ihre Steuererklärung ist fertig, Sie können morgen ohne Termin zur Unterschrift vorbeikommen. Wenn ich beschäftigt bin, wird meine Assistentin sich um Sie kümmern.“

Diesmal zögerte Miranda mit dem Löschen. Marks Stimme hätte das Herz jeder Frau höher schlagen lassen. Sie war warm, tief und ein ganz klein wenig rau. Nur zu gerne stellte sie sich vor, wie sie klingen würde, wenn er ihr Liebkosungen ins Ohr flüsterte. Natürlich würde das nie geschehen, aber gegen einen kleinen Tagtraum war ja wohl nichts einzuwenden, oder?

Wie immer begann Mirandas Fantasie mit einem Treffen in seinem Büro – allerdings nicht an seinem Schreibtisch, sondern darauf. Die große, polierte Holzplatte war wie geschaffen für leidenschaftliche Liebesspiele.

Ebenso wie immer seufzte Miranda kurz darauf bedauernd und löschte Marks wunderbare Stimme vom Band.

Schließlich beschloss sie, allein ins Kino zu gehen. Manchmal wollte sie zwar Leute um sich haben, aber sich nicht mit ihnen unterhalten müssen. Ihr Lieblingskino war wie geschaffen dafür, zumal es dort das beste Popcorn in der Stadt gab.

Sie wählte einen anspruchslosen Actionfilm mit einem attraktiven Hauptdarsteller und kam gerade mit einer Tüte Popcorn und einer großen Cola vom Imbissstand zurück, als sie auf einmal vor Mark Wallace stand.

Er trug ein blondes Kleinkind auf einer Hüfte und hielt seine ältere Tochter an der Hand. Offenbar war er mindestens so überrascht wie sie.

„Das ist ja witzig“, sagte sie. „Gerade habe ich Ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter gehört, und jetzt treffen wir uns.“

„Ja, wie der Zufall so spielt“, lächelte er. „Wie geht es Ihnen?“

„Gut, danke.“ Miranda warf einen vorsichtigen Blick auf die beiden Mädchen, die sie neugierig betrachteten. Wahrscheinlich sollte sie etwas zu ihnen sagen, aber es fiel ihr nichts ein. Also lächelte sie nur und sagte: „Hi.“

„Miss Martin, darf ich Ihnen meine Töchter Payton und Madison vorstellen?“

Miranda lächelte das Kleinkind an, das sie mit einem Finger im Mund ernst betrachtete. „Hallo Madison.“

Prompt verbarg das Kind das Gesicht an Marks Hals.

Payton dagegen war offenbar weniger schüchtern, denn sie sagte: „Sie waren bei Daddy im Büro.“

„Stimmt. Du kamst rein und hast ihm von eurem Ausflug erzählt.“

„Und er war böse, weil ich nicht angeklopft habe“, fuhr Payton fort. Die Erinnerung schien sie nicht weiter zu belasten. „Ich mag Ihre Ohrringe.“

„Oh, danke.“ Miranda trug wie meistens große goldene Kreolen. „Ich mag dein T-Shirt“, erwiderte sie und deutete auf den glitzernden Schmetterling auf dem rosa Stoff.

„Es ist neu. Können Sie Daddy sagen, dass er mir erlauben soll, mir Ohrlöcher machen zu lassen, so wie Sie und Nicola Cooper sie haben? Auf mich hört er nicht.“

Miranda hatte keine Ahnung, wer Nicola Cooper war, aber sie wusste, dass man nie eine elterliche Entscheidung infrage stellte. „Da kann ich dir nicht helfen, Süße“, sagte sie.

Payton betrachtete sie nachdenklich. „Ihr Haar hat Streifen“, sagte sie.

„Man nennt sie Strähnchen, und bevor du fragst, dabei kann ich dir auch nicht helfen.“

„Nein, ich glaube, ich will keine Streifen. Nur Ohrringe.“

Miranda lachte über die Direktheit der Kleinen. „Ich sollte dich wirklich mal meinem Freund Oliver vorstellen, ihr würdet euch wunderbar verstehen.“

Mit einem leichten Räuspern meldete sich Mark wieder zu Wort. „Wir verabschieden uns jetzt besser, Madison muss ins Bett.“

„Dann haben Sie schon einen Film gesehen?“

„Ja, wir gehen immer in die Frühvorstellung. Die Kinder haben mich heute in den neuen Zeichentrickfilm mitgenommen.“

„Er hat Geburtstag“, verriet Payton. „Daddy ist dreißig geworden. Wir hatten auch eine Torte.“

Also hatte Mark seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert, indem er mit zwei Kindern unter fünf ins Kino ging. Wie aufregend, dachte sie ein wenig sarkastisch. Laut sagte sie: „Herzlichen Glückwunsch, Mark.“

„Danke. Aber lassen Sie sich nicht länger aufhalten, Ihr Begleiter wartet sicher schon.“

„Keine Sorge, ich bin allein hier.“

Mark hob eine Augenbraue und deutete vielsagend auf den großen Popcorneimer.

„Alles für mich“, erklärte sie leichthin. „Wenn ich über die Stränge schlage, dann richtig.“

„Offensichtlich. Na dann, viel Spaß.“

„Danke.“

„Wiedersehn, Miss Martin“, rief Payton über die Schulter, als ihr Vater mit ihr weiterging.

„Auf Wiedersehen, Payton. Und Madison“, fügte Miranda hinzu, was ihr ein schüchternes Lächeln von dem kleinen Mädchen einbrachte, bevor es sich wieder an Marks Schulter schmiegte.

Ein sehr seltsames Treffen, dachte Miranda, als sie sich in einen der bequemen Kinosessel setzte und ihre Cola vor sich auf den Getränkehalter stellte. Vor allem, Mark als hingebungsvollen Vater zu erleben, nachdem er in ihrer Fantasie gerade die Rolle des heißblütigen Liebhabers gegeben hatte.

Eigentlich müsste er ihr im Licht der Realität weniger attraktiv erscheinen, vor allem, wenn er mit seinen Kindern auftauchte. Erstaunlicherweise hatte sie sich aber genau so zu ihm hingezogen gefühlt wie immer.

Wirklich sehr seltsam. Aber weder an ihren Fantasien noch an der Realität war irgendetwas auszusetzen. Sie musste nur darauf achten, dass sie beides auf keinen Fall durcheinanderbrachte.

Mark hatte halb gehofft, dass Miranda am Freitag wegen ihrer Steuererklärung vorbeikommen würde, wenn er mit einem anderen Mandanten beschäftigt war. Nicht, dass er sie nicht gerne sah – ganz im Gegenteil. Wenn sie in seinem Büro auftauchte, war es immer so, als ob die Sonne aufginge.

Aber obwohl sein Leben nicht besonders aufregend verlief, war er in den letzten Jahren doch zufrieden damit gewesen. Miranda brachte dieses ruhige Gleichgewicht durcheinander, denn sie verleitete ihn dazu, sich etwas zu wünschen, was er nun einmal nicht haben konnte.

Seine Hauptaufgabe bestand darin, seinen Töchtern ein stabiles Zuhause zu geben. Deshalb betreute er auch seine weiblichen Mandanten zwar äußerst engagiert und professionell, aber ohne sich auf eine persönliche Ebene zu begeben.

Die Einzige, bei der er diese Regel zu vergessen drohte, war Miranda Martin.

Als sie in seinem Büro auftauchte, nachdem sein letzter Mandant gerade gegangen war, wusste er nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte.

Vor zwei Jahren hatte er einen Teil seines Hauses zum Büro umgebaut, um auch bei der Arbeit in der Nähe seiner Töchter sein zu können. Eine Seitentür bildete den Eingang, der in einen kleinen Empfangsraum führte, wo seine Sekretärin saß. Dahinter lag sein Büro, von dem aus eine Verbindungstür ins Wohnhaus führte. Oft kehrte er abends, wenn die Kinder schliefen, noch einmal an den Schreibtisch zurück und ließ diese Tür dann offen, damit er hörte, wenn sie ihn brauchten.

Reich würde er mit seinem Einmannbetrieb nie werden, aber er verdiente genug, um seine Familie zu ernähren, und das allein zählte.

„Miss Martin ist zur Unterschrift hier“, informierte ihn seine Assistentin. „Sie würde Sie gern sprechen, wenn Sie kurz Zeit hätten.“

„Sicher, Pam, schicken Sie sie rein.“

„Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich dann.“

„Natürlich. Bis Montag, und ein schönes Wochenende.“

Einen Augenblick später erschien Miranda in der Tür. Sie trug ein pinkfarbenes Oberteil und schwarze Hosen, dazu spitz zulaufende Stiefeletten mit hohem Absatz.

In einer Hand hielt sie ein leuchtend bunt eingepacktes Geschenk, und als sie eintrat, begann sie „Happy Birthday“ zu singen, und stellte das Päckchen auf den Schreibtisch.

Etwas verlegen stand er auf. „Das war aber nicht nötig.“

Ohne Aufforderung ließ sie sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. „Machen Sie’s einfach auf.“

Auch Mark setzte sich wieder und öffnete das Paket, das eine Flasche Weinbrand enthielt. Als er das Etikett las, zuckte er zusammen. „Alle Achtung.“

„Auch wenn Sie den Abend mit Ihren Töchtern genossen haben – ich dachte mir, Sie bräuchten vielleicht etwas Erwachseneres, um Ihren dreißigsten Geburtstag zu feiern.“

„Aber das ist zu viel“, sagte er mit einem verwirrten Kopfschütteln. „Das ist eine Kostbarkeit, und Sie hätten nicht …“

„Mein Lieber, nur weil Sie mein Geld zählen, heißt das nicht, dass Sie mir vorschreiben können, wie ich es ausgebe. Sagen Sie einfach, danke, Miranda.“

Er seufzte. „Danke, Miranda.“

„Guter Junge.“ Sie lächelte ihn übermütig an, und es war unmöglich, das Lächeln nicht zu erwidern.

„Wie war Ihr Film?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

„Laut und vorhersehbar“, sagte sie mit einem Achselzucken. „Genau das, was ich wollte. Am besten hat mir das Popcorn gefallen.“

Mark griff nach einer Akte in dem Ablagekorb auf seinem Schrank. „Unterschreiben Sie überall dort, wo die gelben Sticker kleben. Ich werde die Steuererklärung dann online einreichen. Sie sollten Ihre Rückerstattung innerhalb der nächsten Wochen erhalten.“

Ohne die Dokumente durchzulesen, unterschrieb Miranda an den betreffenden Stellen.

„Wollen Sie die Einträge nicht überprüfen? Sie können sie mit nach Hause nehmen, wissen Sie.“

„Ich vertraue Ihnen“, erwiderte Miranda und steckte die für sie gedachten Kopien in den Aktendeckel zurück. „Sonst bräuchte ich Sie ja nicht damit zu beauftragen.“

„Ich würde niemanden meine Steuererklärung unbesehen abschicken lassen“, schalt er sie. „Ich würde alles nachprüfen, um zu sehen, dass es seine Richtigkeit hat.“

Unbeeindruckt bemerkte Miranda: „Dann leiden Sie wohl unter einer Zwangsneurose, was?“

„Schon möglich. Ein wenig jedenfalls. Vielleicht bin ich deshalb Steuerberater geworden – damit ich sichergehen kann, dass unterm Strich immer alles stimmt.“

Es freute ihn ungemein, als sie über seinen Witz lachte.

Als sie ihm die Dokumente zurückreichte, stand sie auf und beugte sich ein wenig über den Schreibtisch. Dabei erhaschte er unwillkürlich einen Blick in ihren Ausschnitt. Wahrscheinlich war es keine Absicht von ihr, aber da er noch saß, war er auf direkter Augenhöhe mit ihren Brüsten. Und der Anblick war himmlisch, stellte er fest, bevor er schnell den Kopf abwandte.

Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Offenbar war er schon zu lange nicht mehr mit Erwachsenen ausgegangen, wenn ihn der Anblick von einem attraktiven Dekolleté so aus der Fassung brachte.

„Sie haben heute bestimmt schon etwas vor?“, fragte er, als Miranda sich wieder setzte. In Eile war sie offenbar nicht.

„Nein, eigentlich nicht. Ich wollte mich spontan entscheiden.“

„Vielleicht kann ich Sie dann zum Essen einladen?“ Die Einladung war ihm herausgerutscht, bevor er richtig darüber nachdenken konnte. Aber nun war es zu spät.

Erstaunlicherweise schien Miranda sprachlos zu sein. „Soll das dann ein Geschäftsessen sein?“, fragte sie schließlich.

„Nein, eher nicht. Aber ich kann verstehen, wenn Sie Geschäftliches und Privates nicht vermischen wollen.“

Wahrscheinlich wäre er gut beraten gewesen, es ebenso zu halten. Wenn sie ablehnte, war das sogar die beste Lösung. Er hatte es dann wenigstens versucht, und sie deutlich gemacht, dass sie nicht interessiert war. Und dann konnte er die Sache endlich abhaken.

Miranda spielte mit dem Aktendeckel auf ihrem Schoß und betrachtete ihn ungewöhnlich ernst. „Ich würde wirklich gerne mit Ihnen essen gehen“, sagte sie. „Es würde bestimmt ein schöner Abend. Aber Sie sollten wissen, dass ich niemals mit einem Mann eine Beziehung anfange, der Kinder hat.“

„Und ich suche auch gar keine Beziehung“, erwiderte er. „Eben wegen meiner Kinder. Trotzdem verbringe ich gerne mal einen Abend unter Erwachsenen.“

„Also bitten Sie mich um eine zwanglose Verabredung?“

„Nur ein Abendessen“, versicherte er. „Immerhin habe ich meinen Geburtstag bei einem Zeichentrickfilm in der reizenden Begleitung zweier Minderjähriger verbracht. Es wäre schön, sich mal über etwas anderes zu unterhalten als über sprechende Tiere.“

Miranda überlegte noch einige Augenblicke lang, und er fragte sich, was ihr durch den Kopf ging. Dann sagte sie: „Ja, gerne. Wir werden es als Geburtstagsessen betrachten. Aber dann sollte ich zahlen.“

Er tippte an den Flaschenhals des teuren Weinbrands. „Sie haben schon genug für mich ausgegeben. Das Essen geht auf mich. Und ziehen Sie sich leger an. Ich habe nicht vor, mich in Schale zu werfen. Schließlich feiern wir meinen Geburtstag – und die Tatsache, dass die hektische Steuererklärungszeit vorbei ist.“

„In Ordnung. Sie können die Kosten ja sowieso abschreiben“, lächelte sie. „Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen während des Essens eine Steuerfrage stelle.“

Lachend führte Mark sie zur Tür, wobei sie die Uhrzeit abmachten, zu der er sie später abholen würde. Erst als er wieder an seinem Schreibtisch saß, fragte er sich, was genau er sich eigentlich dabei gedacht hatte, Miranda Martin um eine Verabredung zu bitten.

Miranda war gerade dabei, sich zurechtzumachen, als das Telefon klingelte. Ihr erster Gedanke war, dass Mark es sich anders überlegt hatte. Verständlich, aber ärgerlich, schließlich hatte sie sich gerade eine Stunde lang für ihn schön gemacht.

„Hallo?“, meldete sie sich.

„Hi. Ich bin’s.“

„Lisa?“ Die Stimme ihrer Schwester zu hören war eine Überraschung. „Bist du in der Stadt?“

„Nein. Aber ich stecke in Schwierigkeiten.“

Miranda unterdrückte ein Stöhnen. Das war ja nichts Neues. „Wie viel brauchst du?“

„Deshalb rufe ich nicht an. Es ist noch schlimmer.“

Lisas Stimme klang gepresst, und Miranda lief ein Schauer über den Rücken. „Was ist denn passiert? Was kann ich tun?“

„Ich wollte nur … ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut. Ich wünschte, dass alles anders gekommen wäre. Ich liebe dich wirklich, weißt du, und du warst immer für mich da, wenn ich dich brauchte. Du bist die Einzige, von der ich das sagen kann, seit Großmutter tot ist.“

Je länger Lisa sprach, desto unruhiger wurde Miranda. „Lisa, sag mir doch bitte, was los ist. Bist du krank? Oder ist den Jungs etwas passiert?“

„Es tut mir so leid, Miranda, aber ich brauche deine Hilfe schon wieder. Es ist der größte Gefallen, um den ich dich jemals gebeten habe, aber ich weiß, dass du das Richtige tun wirst.“

„Aber wovon redest du denn überhaupt? Sag mir doch bitte …“

„Verdammt, ich muss aufhören.“ Lisas Stimme klang angespannt, und sie flüsterte nur noch. „Bitte, Miranda, lass mich nicht im Stich.“

„Warte mal, du hast mir noch immer nicht gesagt …“

Doch Lisa hatte schon aufgelegt, und im Display erschien „Nummer unbekannt“.

Ungehalten legte Miranda den Hörer auf. Lisa gab sich gern melodramatisch, aber dieser Anruf war sogar für sie untypisch. Hoffentlich hatte sie diesmal nicht etwas wirklich Dummes angestellt.

Seufzend blickte Miranda auf die Uhr. Nun war sie spät dran, und Mark würde jeden Moment hier sein. Sie eilte ins Schlafzimmer, wobei sie keine lange Strecke zurücklegen musste, denn ihre Zweizimmerwohnung war winzig.

Gerade als sie die Schuhe angezogen hatte, klingelte es an der Tür. Miranda warf einen letzten Blick in den Spiegel und ging zur Tür.

Die Frage, was sie anziehen sollte, hatte sie lange beschäftigt. Ihre üblichen Wochenend-Jeans kamen ihr zu lässig vor, aber es sollte auch nicht so aussehen, als hätte sie sich zu viel Mühe gegeben. Schließlich hatte sie sich für eine sonnengelbe Bluse entschieden, die sie offen über einem weißen Trägertop trug, und dazu einen kurzen Jeansrock mit einem breiten Ledergürtel gewählt. Mit Ledersandalen und Bernsteinschmuck wirkte die Kombination leger, aber schick.

Mark sah so umwerfend aus wie immer in seinem dunkelgrünen Baumwollhemd und Kakihosen. Zwar kleidete er sich konservativer als ihre üblichen Bekannten, aber es wirkte immer noch sexy genug, dass ihr Pulsschlag sich erhöhte.

„Sie sehen sehr hübsch aus“, sagte er mit einem etwas schüchternen Lächeln, das Miranda geradezu liebenswert fand.

„Danke“, sagte sie schlicht.

Er blickte sich in ihrer kleinen, hauptsächlich mit Flohmarktsachen eingerichteten Wohnung um. „Nett haben Sie’s hier. Es ist sehr gemütlich.“

„Die taktvolle Art zu bemerken, wie klein die Wohnung ist“, sagte sie mit einem Achselzucken. „Ich gebe mein Taschengeld lieber für Vergnügen aus als für die Miete.“

Da er genau wusste, wie viel sie verdiente und wie viel sie davon zurücklegte, um für die Zukunft zu sparen, schien ihn ihre Erklärung nicht zu überraschen. Sie hatte ihm gleich erzählt, dass sie vorhatte, so viel Geld zu sparen, dass sie noch in relativ jungen Jahren nicht mehr arbeiten musste und stattdessen durch die Weltgeschichte reisen konnte.

„Es ist trotzdem sehr gemütlich“, betonte er.

„Danke.“ Miranda hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und ging hinter ihm hinaus.

Der Abend versprach interessant zu werden. Entweder würde sie herausfinden, dass Mark Wallace nicht so faszinierend war, wie sie ihn sich immer vorstellte, oder er wurde dem Bild gerecht, das sie sich von ihm zusammenträumte.

In beiden Fällen fühlte sie sich imstande, mit der Situation fertig zu werden, ganz gleich, wie der Abend endete. Hauptsache, keiner von ihnen beiden vergaß, dass sich niemals etwas Langfristiges daraus entwickeln konnte.

3. KAPITEL

Seit der Highschoolzeit war Mark bei einer Verabredung nicht mehr so nervös gewesen. Vielleicht lag es daran, dass er seit seiner Scheidung vor über zwei Jahren nur ganz selten ausgegangen war. Manchmal hatten ihn Freunde zu einer Verabredung mit einer Frau gedrängt, die er angeblich unbedingt kennenlernen musste, und diese Frauen waren alle ganz anders gewesen als Miranda. Konservativer. Gesetzter. Meist selbst geschieden und alleinerziehende Mütter.

Doch bei keiner von ihnen hatte es bei ihm gefunkt. Meist war er froh gewesen, wenn er wieder nach Hause gehen konnte. Wie kam es nur, dass er sich grundsätzlich nur zu Frauen hingezogen fühlte, die für ihn ganz und gar die falschen waren?

„Sie sind so still heute Abend“, bemerkte Miranda, als ein Kellner ihnen das Essen serviert hatte.

Mark zwang sich zu einem Lächeln, besorgt, dass er sie langweilte. „Entschuldigung. Um diese Jahreszeit leiden die meisten Steuerberater unter Gehirnverknotung.“

„Kann ich mir vorstellen. Vor allem, wenn all Ihre Mandanten die Unterlagen so spät einreichen wie ich.“

„Na ja, nicht alle warten bis zur letzten Minute – nur genügend, um die letzten vier Wochen vor dem Abgabetermin richtig stressig zu machen. Aber Sie sind auch etwas nachdenklicher als sonst.“

„Ja, tut mir leid. Kurz bevor Sie mich abholten, bekam ich einen beunruhigenden Anruf.“

Mark runzelte die Stirn. „Hoffentlich keine schlechten Nachrichten?“

Mit ernster Miene schob Miranda ein Stückchen Lachs auf ihrem Teller herum. „Nein. Oder vielleicht doch. Eigentlich weiß ich es nicht genau.“

Verwirrt neigte er den Kopf. „Sie wissen es nicht genau?“

„Tja, bei meiner Schwester ist so was immer schlecht zu sagen.“

„Ja, das kenne ich“, sagte er mit einer kleinen Grimasse.

„Sie haben auch eine Schwester?“

„Oh ja.“

„Älter oder jünger?“

„Jünger. Und wenn sie so alt wird wie ich, kann es sich nur um ein Wunder handeln“, seufzte Mark.

„Das kann ich Ihnen nun wiederum gut nachfühlen.“

„Also ist Ihre Schwester auch ein Risikomensch?“

Miranda schlug die Augen zur Decke. „Das wäre untertrieben. Lisa ist eine wandelnde Katastrophe, und man weiß nie, was sie als Nächstes anstellt. Sie bleibt selten länger als acht Wochen an einem Ort, wechselt ihre Männerbekanntschaften monatlich und steht immer kurz vor dem finanziellen Ruin. Wenn ich nicht … na ja …“

„Sie lassen ihr Geld zukommen?“, riet er, als Miranda sich unterbrach.

„Was soll ich sonst tun? Zum Glück helfen ihr auch noch andere. Sie scheint Menschen anzuziehen, die ihr aus der Patsche helfen, und vor allem Männer geben sich ihr gegenüber immer wieder sehr großzügig. Sie bleiben bloß leider nie lange. Außerdem fällt es ihr schwer, geregelter Arbeit nachzugehen und das Geld zusammenzuhalten. Aber ich kann sie schließlich nicht verhungern lassen, ganz zu schweigen von den Kindern.“

„Sie hat Kinder? Wie viele?“ Das musste er seiner Schwester zugutehalten, sie war bei ihrem gefährlichen Lebensstil wenigstens für niemanden verantwortlich.

„Zwei. Zwillinge.“

„Und wie alt sind sie?“

Miranda runzelte die Stirn. „Fünf, denke ich“, sagte sie.

„Sie wissen nicht, wie alt Ihre Neffen sind?“, fragte Mark ungläubig.

„Doch, ich glaube, sie sind im Februar fünf geworden. Sie haben am Valentinstag Geburtstag, daran erinnere ich mich, weil Lisa so ein Theater darum gemacht hat. Und wieso denkt jeder, ich müsste alles über die Kinder meiner Schwester wissen? Ich habe sie in ihrem ganzen Leben erst zwei Mal gesehen.“

Mark hob eine Hand, als er merkte, dass Miranda sich offensichtlich angegriffen fühlte. „So habe ich das nicht gemeint. Woher sollen Sie es auch wissen, wenn Sie sie nie sehen?“

„Eben. Hat Ihre Schwester Kinder?“

„Nein. Terry ist nicht verheiratet. Sie arbeitet als Fotojournalistin und reist in der Weltgeschichte herum, wobei sie sich immer die gefährlichsten Orte aussucht, die sie gerade finden kann.“

„Lisa hat auch nicht geheiratet. Die Zwillinge stammen aus einer Affäre mit jemandem, an den sie sich kaum noch erinnert.“

„Weiß er denn, dass er Kinder hat?“

„Sie hat es ihm erzählt, aber er wollte nichts von ihnen wissen. Dafür zahlte er ihr eine relativ hohe Abfindung und verschwand dann aus ihrem Leben. Leider hatte sie das Geld verprasst, bevor die Kinder richtig laufen konnten.“

„Es muss schwer gewesen sein, allein Zwillinge großzuziehen. Haben Ihre Eltern ihr geholfen?“

Miranda gab einen verächtlichen Laut von sich. „Ganz gewiss nicht. Unsere Eltern sind die strengsten und konservativsten Menschen der Welt, und sie haben auch noch die meisten Vorurteile. Als Lisa am Tag nach ihrem Schulabschluss von zu Hause auszog, haben sie sie enterbt, und als ich zwei Jahre später dasselbe tat, erging es mir genauso. Ich war gerade achtzehn und hatte etwas mehr Glück als Lisa. Im Gegensatz zu ihr bekam ich ein Vollstipendium fürs College, inklusive Kost und Logis. Zusätzlich habe ich noch Teilzeitjobs angenommen, und so kam ich ganz gut über die Runden und machte in viereinhalb Jahren meinen Abschluss. Danach habe ich sofort bei Ballard’s angefangen.“

„Das klingt, als ob Ihre Schwester und Sie sehr unterschiedlich sind. Sie ist ein Herumtreiber, Sie bleiben bei dem, was sie einmal angefangen haben. Sie lebt verschwenderisch, Ihnen fällt es leicht zu sparen. Sie lebt nur für den Augenblick, während Sie an die Zukunft denken. Und sie ist Mutter von Zwillingen, während Sie sich von Kindern fernhalten.“

„Das trifft es ziemlich genau“, sagte Miranda mit einem leichten Achselzucken. „Aber wir haben auch einiges gemeinsam. Keiner von uns beiden wird es jemals wieder zulassen, dass uns jemand befiehlt oder kontrolliert. Und obwohl wir uns kaum sehen, besteht eine tiefe Verbindung aus der Zeit, als wir in der emotionalen Kälte zu Hause nur einander hatten, um irgendwie durchzukommen.“

„Leben Ihre Eltern noch?“

„Ja. Sie sind erst Mitte sechzig.“

„Aber Sie sehen sie nie?“

„Nein.“ Unvermittelt wechselte Miranda das Thema. „Und Sie? Leben Ihre Eltern noch?“

„Mein Vater starb, als ich noch klein war, und meine Mutter war lange krank. Sie starb in meinem Abschlussjahr auf dem College. Terry war da gerade erst auf die Highschool gekommen. Ich habe mich um sie gekümmert, bis sie aufs College ging, und seitdem kommt sie allein klar. Sie weiß aber, dass ich immer für sie da bin, wenn sie mich braucht.“

„Da hatte sie aber Glück mit ihrem Bruder.“

„Wir hatten beide Glück miteinander.“

„Und es hat Ihnen nichts ausgemacht, Ihre kleine Schwester großzuziehen, wo sie gerade selbst erst das College abgeschlossen hatten?“

„Nein. Ich war schließlich der Einzige, den sie hatte“, sagte er.

„Mr. Verlässlich“, murmelte sie, lächelte dann ein wenig und spießte eine Babykarotte auf ihre Gabel.

Der leichte Spott in ihrer Stimme gefiel ihm nicht. „Die Leute vom Jugendamt, die mich als Unruhestifter einstuften, würden sich sicher wundern, wie Sie darauf kommen.“

Miranda schluckte zu schnell und griff nach ihrem Wasserglas. „Sie?“, fragte sie kurz darauf. „Ein Unruhestifter? Mein zugeknöpfter, konservativer, alleinerziehender Steuerberater?“

Keine Ahnung, warum er ihr so viel Persönliches erzählte. Vielleicht, weil er beim Small Talk völlig aus der Übung war oder weil Miranda bei der Erwähnung des Anrufs von ihrer Schwester so besorgt ausgesehen hatte, dass er sie unbedingt ablenken wollte. Vielleicht versuchte er aber auch nur zu erreichen, dass sie mehr in ihm sah als ihren zugeknöpften, alleinerziehenden Steuerberater.

„Als ich vierzehn und Terry neun war, wurde meine Mutter sehr krank. Sie musste für über ein Jahr ins Krankenhaus, und Terry und ich wurden in verschiedene Pflegefamilien geschickt, beide in der Nähe von Dallas.“

„Und Sie konnten die Pflegefamilie, in der Sie untergebracht waren, nicht leiden?“

„Nein, sie war schrecklich. Ich war entschlossen, zu meiner Mutter und Schwester zurückzukehren, vor allem, weil ich dachte, dass ich mich um sie kümmern müsste. Ich bin zwei Mal von dort weggelaufen und wurde schließlich zu einer anderen Familie geschickt, aber denen bin ich auch ausgerissen. Deshalb wurde ich schließlich als Unruhestifter abgestempelt und auf eine Ranch geschickt, die sich darauf spezialisiert hatte, schwierige Jugendliche aufzunehmen, allerdings immer nur einzeln oder zu zweit. Damals war ich der Einzige dort.“

Immerhin führten sie jetzt ein Gespräch. Miranda schien jedenfalls interessiert zuzuhören. „Und wie lief es dann für Sie auf der Ranch?“

„Sehr gut, zum Glück.“ Mark griff nach seinem Wasserglas. Er hatte schon so lange nicht mehr an jene Zeit gedacht. „Das Ehepaar, dem die Ranch gehörte – Jared und Cassie Walker – war wirklich sehr nett. Sie hatten einen Sohn, der bereits aufs College ging, und eine süße achtjährige Tochter mit roten Haaren. Jared war ein Vollblutcowboy, der sich Respekt und Gehör verschaffen konnte, ohne auch nur die Stimme zu erheben. Ich habe ihn richtiggehend verehrt.“

Miranda stützte den Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die Hand. „Also haben Sie ein Jahr lang auf einer Ranch gelebt. Dann sind Sie bestimmt geritten und haben mit dem Lasso Rinder eingefangen und so was?“

„Hauptsächlich ‚so was‘“, erwiderte er trocken. „Ich habe viele Ställe ausgemistet.“

„Iiiih.“

„Ja, mir ging’s auch so. Deshalb bin ich auch nicht ins Ranchergeschäft eingestiegen, obwohl ich mich das eine Jahr dort ganz wohlgefühlt habe.“

„Sehen Sie Ihre Pflegeeltern noch ab und zu?“

„Nein. Nachdem ich zu meiner Mutter und Schwester zurückgekehrt war, riss der Kontakt ab.“ Nur zu gut erinnerte er sich an ihr bewegendes Wiedersehen. Seine Mutter war außer sich vor Glück, ihre Kinder zurückzuhaben, und sie war seitdem immer in Tränen ausgebrochen, wenn Mark die Ranch auch nur erwähnte.

Deshalb hatte er sich ein wenig schuldig gefühlt, dass er sich mit den Walkers so gut verstanden hatte, und er beantwortete die Karten, die Cassie ihm zu Weihnachten und zum Geburtstag schickte, nicht. Schließlich hatte er keine Post von der Ranch mehr bekommen, und er wusste nicht einmal, ob Jared und Cassie noch lebten oder sich überhaupt an ihn erinnerten.

„Sie sind ein interessanter Mann, Mark Wallace“, sagte Miranda und schob ihren Teller von sich. „Dazu noch äußerst gut aussehend. Es ist wirklich zu schade, dass wir keine heißblütige Affäre haben werden, denn es hätte eine denkwürdige Erfahrung sein können.“

Mark ließ sich die Verwunderung über ihre absichtlich herausfordernde Bemerkung nicht anmerken, sondern blickte ihr tief in die Augen und antwortete: „Glauben Sie mir, es wäre eine mehr als denkwürdige Erfahrung. Und ich würde auch mehr als Ihr Blut in Wallung bringen.“

Ihr Blick wurde nachdenklich, als ob ihr in diesem Moment dieselben Bilder durch den Kopf gingen wie ihm. Doch dann lächelte sie ein wenig schief und schüttelte den Kopf. „Vielleicht haben Sie den Namen Unruhestifter ja doch verdient. Aber im Augenblick ist mein Leben aufregend genug, ehrlich gesagt.“

„Meins auch“, sagte er ein wenig bedauernd. „Wie wäre es denn, wenn wir stattdessen beim Nachtisch sündigen?“

Ihr Lächeln war bezaubernd. „Gute Idee, lassen Sie uns so richtig über die Stränge schlagen. Schließlich ist das die einzige Sünde, die wir heute Nacht begehen werden.“

Dem konnte Mark allerdings nicht ganz zustimmen – jedenfalls nicht, wenn die erotischen Träume, die er heute Nacht von ihr haben würde, auch mitzählten.

Nach dem Essen fuhr Mark Miranda direkt nach Hause. Er sagte bei der kurzen Fahrt nichts von einem Wiedersehen, und sie nahm an, dass er das Abendessen als einmalige Angelegenheit betrachtete.

Warum er sie überhaupt eingeladen hatte, wusste sie immer noch nicht so genau. Vielleicht war er neugierig gewesen. Oder der Arbeitsstress und die Kinderbetreuung hatten ihn wirklich so überstrapaziert, dass er die erstbeste Gelegenheit für einen abwechslungsreicheren Abend genutzt hatte.

Sie jedenfalls hatte das Essen und Gespräch mit ihm genossen. Wer hätte gedacht, dass ihr braver Steuerberater früher ein wilder Junge gewesen war?

Dennoch war es sicherlich das Beste, wenn sie in Zukunft nur noch geschäftlich miteinander verkehrten. Die wichtigsten Frauen in Marks Leben hießen Madison und Payton, und Miranda hatte keinerlei Ehrgeiz, mit ihnen zu konkurrieren.

Er parkte seinen Familienwagen vor ihrem Mietshaus und stellte den Motor ab. „Ich werde Sie noch zur Tür bringen.“

„Es war ein sehr schöner Abend“, sagte sie, als sie zur ihrer Erdgeschosswohnung gingen. „Danke für das Essen.“

„War es wirklich nötig, die Bedienung zu bitten, ‚Happy Birthday‘ zu singen, als sie den Nachtisch servierten?“

Sie lachte, als er deshalb immer noch verlegen klang. „Sie müssen zugeben, sie haben ihr Bestes gegeben. Man konnte sie bestimmt bis auf die Straße hören.“

Mark stöhnte. „Ja, leider. Ich wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen.“

Freundschaftlich nahm Miranda seinen Arm. „Sie waren so süß. Ihr Gesicht war mindestens so rot wie die Kirschen auf dem Käsekuchen.“

Sein schiefer Blick brachte sie zum Lachen, zumal er schon wieder rot wurde.

„Ich bin froh, dass Sie Ihren Spaß hatten“, bemerkte er trocken.

Auch wenn dies ihre einzige Verabredung bleiben würde – der Abend war noch zu jung, um ihn ungenutzt verstreichen zu lassen, fand Miranda. Wenn sie sich nie wieder außerhalb seines Büros treffen würden, war jetzt der Zeitpunkt, ein paar unvergessliche Erinnerungen zu sammeln.

Vor ihrer Wohnungstür blieb sie stehen und lächelte ihn verheißungsvoll an. „Es gibt noch eine Geburtstagstradition, in deren Genuss Sie noch nicht gekommen sind.“

„Ach ja?“, fragte er misstrauisch. „Sie haben doch nicht etwa zwanzig Leute in den Büschen versteckt, die gleich rausspringen und ‚Überraschung‘ rufen, oder?“

Wieder lachte sie und legte die Hände auf die Knopfleiste seines grünen Hemds. „Ich dachte eher an den traditionellen Geburtstagskuss.“

„Tatsächlich?“

Oh ja, er war eindeutig interessiert, das erkannte sie an seinem Blick.

„Mmmm. Nur ein kleiner Kuss …“ Sie ließ ihre Finger die Knopfleiste hinaufwandern, „… um zu sehen, wie es wäre …“ und trat dann einen Schritt näher an ihn heran, „… wenn die Dinge zwischen uns anders lägen.“

Langsam senkte er den Kopf, so dass sein Mund sich ihrem näherte. „Und was, wenn dieser kleine Kuss mir Lust auf mehr macht?“

Ihre Lippen berührten sich schon fast, als sie antwortete: „Wie ich höre, stärkt Selbstbeherrschung den Charakter. Aber was kann bei einem kleinen Kuss schon passieren?“

Sanft drückte er seine Lippen auf ihre.

„Miss Martin? Miranda Martin?“

Sie zuckten beide zusammen und blieben wie erstarrt stehen. Dann trat Mark einen Schritt zurück, und Miranda drehte sich zu dem Mann um, der hinter ihnen auf dem Gehsteig stand. Im hellen Licht der Parkplatzlaternen sah sie ein ihr unbekanntes, grobschlächtiges Gesicht.

„Ja, ich bin Miranda Martin. Und wer sind Sie?“

„Jack Parsons. Ich bin ein Bekannter Ihrer Schwester.“

„Von Lisa?“ Angesichts des mysteriösen Anrufs begann Miranda, sich Sorgen zu machen. „Was ist passiert? Ist ihr etwas zugestoßen?“

„Nein, es geht ihr gut. Sie wollte, dass ich Ihnen das hier gebe.“ Der Mann hielt ihr einen Umschlag hin, und Miranda merkte, dass seine große Hand zitterte. „Und ich habe eine Lieferung im Wagen, die für Sie bestimmt ist.“

„Eine Lieferung?“ Völlig verwirrt betrachtete Miranda den Mann.

„Ja. Ich werde sie … bin gleich zurück“, stotterte der und bewegte sich rückwärts.

Miranda wandte sich zu Mark um. „Das ist ziemlich seltsam, sogar für Lisas Verhältnisse. Ich weiß überhaupt nicht, um was es geht.“

„Ich werde warten, bis Sie es herausgefunden haben“, sagte Mark und blickte dem Mann, der sie unterbrochen hatte, stirnrunzelnd nach. „Der Kerl wirkt nicht sonderlich vertrauenerweckend.“

Miranda empfand ähnlich, obwohl er behauptete, ein Freund von Lisa zu sein. Oder vielleicht gerade deswegen. Verwirrt betrachtete sie den zugeklebten Umschlag und zupfte an der Lasche, als Mark mit seltsamer Stimme sagte: „Ähm, Miranda, schauen Sie sich die ‚Lieferung‘ besser mal an.“

Als sie aufblickte, sah sie zuerst Marks besorgten Gesichtsausdruck und folgte dann seiner Blickrichtung. „Oh nein.“

Jack Parsons kam wieder auf sie zu, doch diesmal zog er zwei Koffer auf Rädern hinter sich her. Hinter den Koffern marschierten zwei blonde Jungen in zerknitterter Kleidung, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen.

„Nein“, sagte Miranda, diesmal mit festerer Stimme. „Sie haben doch wohl nicht vor …“

„Ihre Schwester hat mich gebeten, sie zu Ihnen zu bringen“, erklärte Jack, stellte die Koffer vor Miranda ab und nickte den Zwillingen zu. „Es sind brave Jungs. Und reden tun sie auch nicht viel.“

In Miranda stieg Panik auf, und sie schluckte, bevor sie sprechen konnte. „Ich verstehe nicht …“

„Lisa hat es in dem Brief erklärt. Sie sagte, Sie würden alles verstehen, wenn Sie ihn erst gelesen haben. Und sie bat mich, Ihnen auszurichten, dass er ihr leid tut und dass Sie Ihnen für Ihre Hilfe dankt. Ich muss jetzt gehen, ich habe noch eine lange Fahrt vor mir.“

„Einen Moment.“ Miranda machte einen Schritt auf ihn zu, als er sich zum Gehen wandte. „Wo wollen Sie hin? Sie können die Kinder doch nicht einfach hier lassen.“

Jack beschleunigte seine Schritte eher noch und antwortete ihr über die Schulter: „Tut mir leid, Miss, aber ich muss los. Lesen Sie den Brief, der erklärt alles.“

Ungläubig blickte Miranda dem Mann nach, der in einen Pick-up-Truck stieg und wegfuhr, ohne sich noch einmal umzusehen. Erst einen Moment später drehte sie sich langsam um, wohl wissend, dass dort zwei kleine Jungen standen, die erwartungsvoll zu ihr aufschauten.

„Bist du unsere Tante Randa?“, fragte einer der beiden mit zitternder Stimme, während sich sein Bruder schüchtern hinter ihm versteckte.

„Ja“, antwortete sie, „das bin ich wohl.“

„Wir sollten besser reingehen, wenn Sie den Brief lesen wollen“, flüsterte Mark und durchbrach damit ihre momentane Starre. „Es ist kühl hier draußen, und die Jungs haben keine Jacken über den T-Shirts an.“

„Reingehen?“ Miranda hatte das Gefühl, plötzlich den Boden unter den Füßen zu verlieren. „In meine Wohnung?“

Mark streckte die Hand aus und sagte: „Geben Sie mir den Schlüssel, ich mache die Tür auf.“

Miranda schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Sie hatte alles im Griff, beruhigte sie sich selbst, es war nur eine momentane Schockreaktion gewesen.

„Das mache ich schon“, sagte sie.

Sie öffnete die Tür, schaltete das Licht ein und bedeutete den Jungen, einzutreten. „Kommt rein. Wir werden versuchen, die Sache zu klären.“

Nachdem Mark die Koffer hereingebracht hatte, schloss Miranda die Tür hinter ihm und stellte dann fest, dass die Zwillinge sie immer noch aus großen braunen Augen anstarrten.

„Braucht ihr was, Jungs?“

„Er muss mal“, sagte einer von ihnen und deutete auf den anderen.

Miranda hatte keine Ahnung, wer wer war. Sie sahen sich so ähnlich, dass wahrscheinlich sogar Lisa sie manchmal verwechselte. Als sie sie das letzte Mal gesehen hatte, waren sie noch Kleinkinder gewesen.

„Zum Bad geht’s da lang“, sagte sie und zeigte auf die Schlafzimmertür. Ihre Zweizimmerwohnung hatte nur ein Badezimmer, das sich direkt dort anschloss. „Brauchst du Hilfe?“

Falls die Antwort ja lautete, würde sie Mark darum bitten, entschied sie. Er hatte Erfahrung mit diesen Dingen, auch wenn seine Kinder Mädchen waren.

Doch der Junge schüttelte den Kopf und eilte durch die Schlafzimmertür, als ob er wirklich nicht mehr länger warten könnte. Sein Zwilling blickte weiter aus großen Augen Miranda an.

„Also gut“, sagte sie, nachdem sie tief durchgeatmet hatte. „Ich muss diesen Brief lesen. Warum setzt du dich nicht auf die Couch, bis dein Bruder zurückkommt?“

„Ich muss auch mal.“

„Dann warte vor der Badezimmertür, bis er fertig ist. Danach könnt ihr beide auf der Couch sitzen, und dann finden wir heraus, was hier eigentlich los ist. Und vergesst nicht, euch die Hände zu waschen“, rief sie dem Jungen nach, als er seinem Bruder folgte.

Da sie im Augenblick für sie verantwortlich war, wurde wohl von ihr erwartet, dass sie solche Sachen sagte, dachte sie mit einem flauen Gefühl im Magen.

„Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen“, schlug Mark vor. „Das hier ist eine Familienangelegenheit.“

Miranda streckte die Hand aus und hielt ihn am Ärmel fest. „Wagen Sie es nicht“, sagte sie und versuchte nicht einmal, ihre Verzweiflung zu verbergen. „Sie können doch jetzt nicht einfach weggehen und mich mit ihnen allein lassen.“

Nach kurzem Zögern nickte er. „Dann lesen Sie jetzt den Brief, Miranda, damit wir herausfinden, was passiert ist.“

Ungeduldig riss sie den Brief auf in der vagen Hoffnung, dass Lisa nur kurzzeitig verhindert und bereits auf dem Weg war, um die Jungs wieder abzuholen. Vielleicht war sie für ein paar Stunden aufgehalten worden und hatte ihren Freund gebeten, die Zwillinge schon einmal vorbeizubringen. Sie selbst würde in Kürze nachkommen, um Geld bitten und sich dann wieder aus dem Staub machen – mit den Zwillingen, selbstverständlich –, während Miranda zufrieden in ihrer winzigen Wohnung und mit ihrem wohl geordneten und spaßorientierten Leben zurückblieb.

Doch schon nach der ersten Zeile wurde Miranda klar, dass ihr Leben nie wieder so sein würde wie noch vor ein paar Minuten. Und sie wusste einfach nicht, wie sie mit dieser Veränderung umgehen sollte.

4. KAPITEL

Mark sah an Mirandas Gesichtsausdruck, dass der Brief schlechte Nachrichten enthielt. „Was schreibt sie?“, fragte er.

Völlig ratlos blickte sie zu ihm auf. „Lisa ist in einem Zeugenschutzprogramm oder so was. Sie hat die Jungs zu mir geschickt, weil sie sie nicht mitnehmen kann – oder, um genau zu sein, weil sie sie nicht mitnehmen will. Sie schreibt, dass sie es nicht mehr aushält zu versuchen, eine gute Mutter zu sein und dabei ständig zu scheitern.“

„Das gibt’s doch nicht“, stieß Mark entsetzt hervor, als er an die beiden kleinen Jungen im Nebenzimmer dachte, die von ihrer Mutter einfach verlassen worden waren.

„Sie schreibt weiter, dass sie keinen von uns je wiedersehen kann. Anscheinend weiß sie etwas, was für einige hohe Regierungsbeamte schädlich sein könnte, und deshalb hat man ihr für ihre Mitarbeit und ihr zukünftiges Schweigen eine neue Identität und ein neues Leben an einem geheimen Ort angeboten. Sie erhielt die Erlaubnis, die Jungs zu mir zu schicken, aber ich habe strikte Anweisung, nicht zu versuchen, Lisa zu finden oder Kontakt mit ihr aufzunehmen, weil ich damit uns beide in große Gefahr bringen würde.“

„Verdammt. In was für eine Sache ist sie da nur hineingeraten?“

„Sehr präzise hat sie das nicht ausgedrückt. Anscheinend geht es um Mord und Betrug. Natürlich ist wie üblich an allem ein Mann schuld, der sie angeblich trotz ihrer Einwände in diese Situation gebracht hat. Als ob sie jemals Einwände hätte gegen etwas, das ihr jeweiliger Liebhaber vorschlägt“, fügte Miranda bitter hinzu. „Ganz abgesehen davon, dass man ihr wahrscheinlich kein Wort glauben kann. Sie tendiert dazu, ihre Geschichten maßlos auszuschmücken.“

Mark konnte Miranda den Ärger und die Enttäuschung, die er in ihrer Stimme hörte, gut nachfühlen. Lisas leichtsinniges Handeln brachte Menschen in Schwierigkeiten, die nun wirklich nichts dafür konnten – allen voran die beiden kleinen Jungen, die aus dem Schlafzimmer zurück waren und nun wieder Miranda ernst und fragend anblickten.

Einer der Zwillinge gähnte und rieb sich die Augen. Die beiden waren bestimmt völlig erschöpft und noch dazu verängstigt und verwirrt. Da Miranda immer noch unter Schock zu stehen schien, entschloss sich Mark, die Initiative zu ergreifen.

„Ich bin Mark“, stellte er sich den Zwillingen vor. „Ich bin ein Freund eurer Tante. Und wie heißt ihr?“

„Ich bin Kasey“, antwortete einer der beiden. „Und das ist Jamie.“

Sosehr sich Mark auch bemühte, einen Unterschied zwischen den beiden festzustellen, sie schienen wirklich völlig identisch zu sein, zumal sie auch noch gleiche Kleidung trugen – weiße T-Shirts, ausgeblichene Jeans und schwarz-weiße Turnschuhe.

„Habt ihr Hunger?“, fragte er, was ihm einen überraschten Blick von Miranda einbrachte. Anscheinend war es ihr nicht in den Sinn gekommen, dass die Zwillinge auch etwas essen mussten.

„Jack hat uns Hamburger gekauft“, erwiderte derselbe Junge, der zuvor gesprochen hatte. Kasey, wiederholte Mark im Geist. Jamie schien schüchterner zu sein als sein Bruder. Solange die beiden ihre Plätze nicht wechselten, wusste Mark zumindest im Augenblick, wer wer war.

„Möchtet ihr etwas trinken?“

Die beiden schüttelten gleichzeitig die Köpfe, was Mark einen Moment lang das Gefühl gab, doppelt zu sehen. „Also gut, dann lasst uns einen Schlafplatz für euch finden. Ihr seht müde aus.“

Jamie trat einen Schritt näher an seinen Bruder heran, und Mark versicherte ihm schnell: „Keine Sorge, ihr könnt zusammenbleiben. Vielleicht überlässt euch eure Tante für heute Nacht ihr Bett und schläft auf der Couch?“

Miranda nickte langsam. „Ja, das geht für eine Nacht“, meinte sie, blickte dabei aber hilfesuchend Mark an. „Sie können doch noch ein bisschen bleiben, oder? Wir müssen reden, wenn die beiden im Bett sind.“

Offensichtlich brauchte sie dringend Rat und Unterstützung, und da er nun mal gerade da war, fiel ihre Wahl auf ihn. Zum Glück waren sie nach dem Essen direkt aufgebrochen, sodass es noch nicht sehr spät war.

„Ich werde Mrs. McSwaim anrufen und ihr sagen, dass ich noch eine Weile brauche. Es macht ihr bestimmt nichts aus, die Kinder sind wahrscheinlich sowieso schon im Bett.“

Miranda lächelte ihn dankbar an und wandte sich dann an ihre Neffen. „Habt ihr Schlafanzüge und Zahnbürsten in euren Koffern?“

Wieder nickten die Kinder exakt gleichzeitig. Mark begann sich zu fragen, ob die beiden immer so schweigsam waren oder ob die Situation sie so vollkommen einschüchterte. Er tippte auf die zweite Möglichkeit.

Miranda atmete tief durch, und er bemerkte, dass sie langsam zu ihrer alten Form zurückfand. „Also schön“, sagte sie, „dann sehen wir mal zu, dass wir euch beide ins Bett bekommen.“

Kurz darauf schaute Miranda zu, wie ihre beiden Neffen in ihr breites Doppelbett kletterten und sich in der Mitte der durchgehenden Matratze eng aneinanderschmiegten. So wirkten sie noch kleiner und zerbrechlicher. Bis jetzt hatten sie sich ja äußerst tapfer verhalten, doch ihre Blässe und der gehetzte Ausdruck in ihren großen braunen Augen zeigte, wie mitgenommen sie waren.

„Braucht ihr noch etwas?“, fragte sie unsicher.

Sie schüttelten die Köpfe.

„Na gut, dann schlaft schön. Ich bin gleich nebenan. Ach ja, das Bad ist das einzige in der Wohnung, also erschreckt euch nicht, wenn ich heute Nacht hereinkomme, ja?“

Wieder nickten die beiden gleichzeitig.

„Schön.“ Was für eine verrückte Situation. Miranda ging in Richtung Tür. „Gute Nacht.“

„Tante Randa?“

Die schüchterne Stimme erklang genau in dem Moment, in dem sie das Licht ausschalten wollte.

„Ja?“

„Könntest du die Tür offen lassen?“

Natürlich, die beiden mussten ganz krank vor Angst sein. Auf einmal überkam sie eine Welle von Mitgefühl.

Sie schluckte schwer, nickte und ging hinaus. Die Tür ließ sie einen breiten Spalt offen, sodass das Licht aus dem Wohnzimmer weit ins Schlafzimmer schien. Wenn die Jungs schliefen, konnte sie sie immer noch schließen.

Mark wartete am Küchentisch auf sie. Sie hatte ihn gebeten, entkoffeinierten Kaffee zu machen. Heute Nacht würde sie zwar sowieso kein Auge zutun, aber man musste es ja nicht noch herausfordern.

„Haben Sie Ihren Babysitter angerufen?“, fragte sie, als sie sich eine Tasse eingoss. Mark saß bereits vor einem dampfenden Becher.

„Ja. Mrs. McSwaim ist meine Haushälterin. Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter, also macht es ihr nichts aus, wenn ich später komme. Ich bringe sie dann nachher zu Fuß nach Hause.“

„Das ist ja praktisch, dass sie beide Funktionen erfüllt und dann auch noch in der Nähe wohnt.“

„Ja, allerdings. Früher habe ich für sie und ihren Mann die Steuererklärung gemacht. Letztes Jahr ist ihr Mann gestorben, und sie wollte das Haus nicht verkaufen, aber sie war sehr einsam, weil sie keine Kinder hat. Also haben wir eine Lösung gefunden, die uns beiden nur Vorteile bringt.“

Er hat wirklich ein Helfersyndrom, dachte Miranda. Wo andere eine Haushaltshilfe anstellten, gab er einer einsamen Witwe neuen Lebensmut und wahrscheinlich dringend benötigtes Einkommen.

Sie selbst dagegen war ganz und gar nicht so veranlagt. „Was mache ich nur mit den Jungen?“, fragte sie in der Hoffnung, dass er auch hierfür eine einfache Lösung hatte. Ihr fiel dazu einfach nichts ein.

„Zuerst sollten Sie so viel wie möglich über die Situation Ihrer Schwester herausfinden.“

Miranda reichte ihm Lisas Brief. „Lesen Sie selbst“, sagte sie. „Ich werde auch nach dem zweiten Lesen nicht recht schlau daraus.“

„Sind Sie sicher? Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit.“

„Sie wissen alles über meine finanzielle Situation, und Ihren Rat habe ich immer geschätzt“, sagte sie. „Ich wäre wirklich dankbar für alles, was mir in dieser Lage helfen könnte.“

Schweigend nahm er den Brief und begann zu lesen. Miranda konnte den Text nun fast schon auswendig. Erst in dieser ausweglosen Lage hätte sie erkannt, schrieb Lisa, was für eine schlechte Mutter sie sei. Die Zwillinge verdienten es, bei jemandem aufzuwachsen, der verantwortungsbewusster war und in geregelteren Verhältnissen lebte. Jemandem wie Miranda. Lisa war der Meinung, sie müsste ihre Fehler hinter sich lassen – die Zwillinge zählte sie offenbar dazu – und ein neues Leben anfangen.

Die Geburtsurkunden und Impfpässe hatte sie in einen der Koffer gepackt.

„Die Kinder haben niemand anderen als dich“, hatte Lisa am Schluss geschrieben. „Ich weiß, dass ich damit eine Menge von dir verlange, aber du wirst es nicht bereuen. Es sind brave Jungs. Und sie gehören zu deiner Familie.“

Familie. Miranda verzog das Gesicht, wenn sie das Wort nur hörte. Kein Wunder bei den Verhältnissen, in denen sie aufgewachsen war.

„Das klingt nicht gut“, murmelte Mark und faltete den Brief zusammen.

„Nein. Wenn sie schon in dem Zeugenschutzprogramm ist, werden wir sie nie finden, oder?“

„Ich habe einen Mandanten, der Rechtsanwalt ist. Ich werde ihn bitten, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Er schuldet mir was.“

„Danke, das wäre sehr lieb. Und was mache ich in der Zwischenzeit mit den Kindern?“

„Morgen müssen Sie doch nicht arbeiten, oder?“

„Nein, am Wochenende nur in Ausnahmefällen.“

„Gut. Dann haben Sie ja den ganzen Tag Zeit, sich um alles zu kümmern.“

„Worum muss ich mich denn kümmern?“, fragte Miranda überrascht.

„Die Kinder müssen in einen Kindergarten oder eine Tagesstätte gehen, während Sie arbeiten. Und Sie müssen verschiedene Anträge ausfüllen, damit Sie die gesetzliche Vormundschaft übernehmen können. Mein Freund kann Ihnen auch dabei helfen. Aus diesem Brief geht ja deutlich hervor, dass Ihre Schwester die elterlichen Rechte aus freien Stücken an Sie abgibt.“

„Jetzt warten Sie mal einen Moment“, unterbrach Miranda ihn. Weil die Schlafzimmertür noch immer offen stand, beugte sie sich näher zu ihm und senkte die Stimme. „Ich kann die Vormundschaft nicht übernehmen. Ich bin überhaupt nicht in der Lage, Kinder großzuziehen, und selbst wenn ich es wäre, würde ich es nicht wollen.“

Nach einer kurzen Pause fragte er: „Was ist mit dem Vater?“

Miranda verschränkte die Hände, um ihr Zittern zu verbergen. „Ich weiß nicht einmal seinen Namen. Und Lisa wird ihn uns auch nicht verraten, selbst wenn wir sie finden. Sie hat ihm damals offenbar versprochen, ihn nie wieder zu belästigen. Dafür hat sie die Abfindung bekommen.“

„Und was ist mit Ihren Eltern? Könnten die nicht einspringen?“

„Haben Sie nicht zugehört, als ich Ihnen von meinem Elternhaus erzählt habe? Sie würden uns niemals helfen, und ich würde sie auch gar nicht darum bitten. Lieber vertraue ich die Kinder Fremden an, als sie zu diesen kaltherzigen Leuten zu schicken.“

„So schlimm sind sie?“

„Schlimmer, glauben Sie mir. Mein Vater lebt im vorigen Jahrhundert. Sein Wort ist Gesetz, und seine Gesetze sind unumstößlich. Er hat genaue Vorstellungen davon, wie die Welt auszusehen hat und wie eine Frau sich benehmen muss – leise, unterwürfig, abhängig und unbedingt gehorsam gegenüber Männern.“

„Und Ihre Mutter macht das mit?“

„Sie ist zufrieden damit, dass sie nie eine Entscheidung treffen muss und in einer überschaubaren, sicheren und bequemen kleinen Welt lebt. Sie leidet unter Platzangst und verlässt selten das Haus. Meine Großmutter erzählte, dass sie immer schon so war. Sie hatte Angst vor ihrem eigenen Schatten und fühlte sich am wohlsten, wenn jemand ihr alles abnahm. Wahrscheinlich sind mein Vater und sie das perfekte Paar.“

Miranda schnaubte verächtlich. „Leider haben Lisa und ich mehr von ihm als von ihr geerbt, und damit fingen die Probleme an. Wir waren nicht die pflichtbewussten, unterwürfigen und anspruchslosen Töchter, die ihm zu Hause dienten, bis er einen passenden Ehemann für uns gefunden hatte. Dass wir andere Pläne hatten, machte ihn unglaublich wütend. Auf keinen Fall würde ich Lisas Söhne dem aussetzen. Niemals.“

„Nun ja, damit haben Sie so ziemlich alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen“, sagte Mark leise. „Es bleiben also nur Sie oder die Fremden, die Sie vorhin erwähnten.“

„Pflegeeltern?“, flüsterte sie.

Er nickte. „Ich habe es überlebt, und die Zwillinge werden es auch schaffen, wenn Sie sie nicht behalten können.“

Zum ersten Mal, seit sie eingezogen war, kam Miranda ihre Wohnung viel zu klein vor. Sie hatte das Gefühl, kaum richtig atmen zu können. „Wie soll ich sie denn behalten? Hier ist kaum Platz für mich, geschweige denn für zwei Kinder. Ich weiß nicht einmal, ob es laut Mietvertrag erlaubt ist, dass noch jemand hier wohnt.“

„Die Wohnung ist auf jeden Fall zu klein“, stimmte Mark zu.

„Und außerdem muss ich schließlich arbeiten. Manchmal bin ich sechzig Stunden die Woche im Büro. Drei bis vier Mal im Jahr gehe ich auf Geschäftsreise. Eine Haushälterin oder einen Vollzeitbabysitter kann ich mir nicht leisten, selbst wenn ich den Platz dafür hätte.“

„Ja, billig wäre es nicht, aber ich könnte Ihnen helfen, günstige Möglichkeiten zu finden. Trotzdem würde der Großteil Ihres Gehalts dabei draufgehen. Sie könnten nur noch einen kleinen monatlichen Betrag sparen.“

Miranda umklammerte ihre Tasse. Sie hatte so hart gearbeitet und war so stolz auf ihr langsam wachsendes Vermögen gewesen, das ihr die Sicherheit gab, niemals wieder von jemandem abhängig zu sein.

„Ich kann das nicht, Mark“, sagte sie unglücklich. „Ich habe keine Ahnung von Kindererziehung und weder die Geduld noch die Erfahrung oder das Interesse dafür. Es wäre den Zwillingen gegenüber unfair, wenn sie bei jemandem leben müssten, der sich so wenig aus Kindern macht.“

„Womit wir wieder bei Pflegeeltern wären.“ Mark sagte das in neutralem Tonfall, und Miranda bemerkte dankbar, dass er sich Mühe gab, ihre Argumente nicht zu werten, sondern lediglich ihren Entscheidungsprozess zu begleiten.

„Pflegeeltern werden doch sorgfältig ausgesucht, oder?“, fragte sie zaghaft. „Nur die besten und liebevollsten Familien werden zugelassen, richtig?“

„In einer idealen Welt wäre es natürlich so“, erwiderte er. „Aber da es weitaus mehr heimatlose Kinder gibt als qualifizierte Pflegeeltern, ist das nicht immer der Fall. Ich bin sicher, dass das Jugendamt sich Mühe gibt, einen guten Platz für Kasey und Jamie zu finden, aber es kann sein, dass es nicht beim ersten Mal klappt.“

Der Gedanke, dass die Kinder durch mehrere Familien gereicht werden könnten, entsetzte sie, und sie fragte sich, ob Mark dieses Bild absichtlich heraufbeschworen hatte.

„Ich kann sie nicht behalten, Mark“, wiederholte sie.

„Sie sind die Einzige, die diese Entscheidung treffen kann“, sagte er schlicht.

Miranda sparte sich die Frage, was er an ihrer Stelle täte. Zweifellos würde er es irgendwie schaffen, zwei weitere Kinder in sein Leben und seinen Haushalt zu integrieren.

„Vielleicht sollten Sie bis Montag warten, bevor Sie das Jugendamt kontaktieren“, schlug er vor. „Am Wochenende ist nur eine Notbesetzung da, da bekommen Sie sowieso keine anständige Beratung.“

Der Gedanke, für ihre beiden Neffen auch nur achtundvierzig Stunden zuständig zu sein, machte Miranda zwar auch schon nervös, aber das war wohl das Mindeste, was sie für sie tun konnte. „Also gut, ich warte bis Montag. Und Montag kann ich mir einen Tag freinehmen, um alles in die Wege zu leiten“, sagte sie.

„Mmm.“

Miranda blickte Mark scharf an und versuchte herauszufinden, ob sein wortloser Kommentar Kritik enthielt, doch sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Haben Sie Vorschläge, was ich in der Zwischenzeit mit ihnen anfange?“, fragte sie.

„Geben Sie ihnen drei Mahlzeiten am Tag, sorgen Sie dafür, dass sie sich die Zähne putzen und sich waschen. Lassen Sie sie nicht auf der Straße spielen und achten Sie darauf, dass sie die Finger nicht in die Steckdosen stecken. Schnallen Sie sie auf dem Rücksitz an, wenn Sie mit dem Auto unterwegs sind. Was wollen Sie noch wissen?“

„Was ich mit ihnen anstelle, wenn sie gerade nicht essen, sich waschen oder den Finger in die Steckdose stecken“, sagte Miranda.

„Sie könnten mit ihnen in den Park gehen oder auf den Spielplatz. Kino wäre auch schön, meinen Mädchen hat der Film am Donnerstag gut gefallen. Bei Pizza ’n’ Prizes gibt es nicht nur Kinderpizzas, sondern auch jede Menge Spiele. Damit wäre der Tag ja schon fast um.“

Als er seine Kinder erwähnte, kam Miranda eine Idee. „Vielleicht könnten wir alle zusammen in den Park gehen? Die Zwillinge könnten mit Ihren Mädchen spielen. Bestimmt wären alle begeistert.“

„Feigling.“

„Habe ich was anderes behauptet? Ich sage doch schon die ganze Zeit, dass ich von Kindern nichts verstehe.“

Mark nickte. „Also gut. Ich arbeite samstags sowieso nicht, wenn die heiße Zeit erst mal vorbei ist. Wir gehen mit den Kindern in den Park. Kommen Sie doch um drei bei uns vorbei, dann hat Madison ihren Mittagsschlaf beendet.“

„Wunderbar.“ Miranda war sich sicher, dass sowohl die Jungs als auch sie bis dahin geradezu erleichtert sein würden, andere Leute zu sehen. Sie brachte Mark zur Tür und legte ihm die Hand auf den Arm, als er hinausgehen wollte. „Danke.“

„Für das Essen? Ich habe es sehr genossen.“

„Ich auch, aber das meinte ich nicht. Danke, dass Sie mir heute Abend beigestanden haben. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich nicht weiter gewusst. Sie waren ruhig und pragmatisch, und das hat mir sehr geholfen.“

„Gern geschehen.“ Zu ihrer Überraschung streifte er mit dem Daumen sacht ihre Unterlippe. „Schade, dass die Jungs nicht ein paar Minuten später ankamen, nicht?“

Miranda seufzte leicht, als sie an den Kuss dachte, der geendet hatte, bevor er richtig begann. Wirklich zu schade. Doch diese Gelegenheit war verstrichen. Schließlich würden sie sich bereits morgen wiedersehen, und das lediglich als Freunde.

„Ja, wirklich schade“, pflichtete sie ihm bei und verbarg ihr Bedauern nicht. „Gute Nacht, Mark.“

Er ließ die Hand sinken und ging hinaus, und sie schloss die Tür hinter ihm. Als ihr Blick auf die Schlafzimmertür fiel, atmete sie tief durch. Es sind nur achtundvierzig Stunden, sagte sie sich. Das würde sie schon überstehen.

Und um Montag konnte sie sich immer noch Gedanken machen, wenn es so weit war.

Miranda hatte eine ganze Weile wach gelegen, bevor sie endlich auf der Couch im Wohnzimmer Schlaf fand. Doch es kam ihr vor, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen, als ein seltsames Geräusch sie weckte.

Ein Wimmern, das aus dem Schlafzimmer zu kommen schien.

Sie trug ein langes T-Shirt und Jogginghosen, also schlug sie einfach die Decke zurück, stand auf und tappte zur Schlafzimmertür.

Das Geräusch kam aus dem Bett. Miranda schaltete das Licht ein. „Was ist passiert?“

Die Jungen saßen eng aneinander geschmiegt in der Mitte des Betts. Einer von ihnen hatte verweinte Augen und zog die Nase hoch. Der andere versuchte, ihn zu trösten.

Autor

Gina Wilkins

Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden!

Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt...

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