Bianca Herzensbrecher Band 6

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  • Erscheinungstag 03.04.2020
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749286
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Duarte, Anne McAllister, Lois Faye Dyer

BIANCA HERZENSBRECHER BAND 6

1. KAPITEL

Am Himmel türmten sich graue Wolken, die ein schweres Gewitter ankündigten. Lauren Taylor verlangsamte ihre Fahrt und hielt durch die staubige Windschutzscheibe nach einem Ort Ausschau, an dem sie unerkannt Rast machen konnte.

Der Tank war zwar noch zu einem Viertel voll, doch sie riskierte es besser nicht, in dieser dünn besiedelten Gegend ohne Sprit liegen zu bleiben.

Seltsam, dass sie gerade in Texas gelandet war. Sie hatte ihre Flucht aus Kalifornien nicht geplant, und erst beim Überqueren der texanischen Staatsgrenze war ihr bewusst geworden, dass sie in ihre eigentliche Heimat zurückkehrte.

Prüfend blickte Lauren in den Rückspiegel. Nach über dreißig Stunden ohne Schlaf, davon fast zwanzig im Auto, hatte sie kaum noch Ähnlichkeit mit der perfekt gestylten High-Society-Lady, die sie sonst war. Wobei sie erst jetzt gemerkt hatte, dass auch das nur eine Rolle war, die sie spielte.

Sie seufzte und beschloss, sich während der Rast zumindest um die wichtigsten Dinge zu kümmern. Zum Glück war sie eigentlich auf dem Weg ins Fitnessstudio gewesen. In der Sporttasche auf dem Rücksitz befanden sich einige Toilettenartikel und Kosmetika. Normalerweise reichte ihr eine Stunde Training völlig aus, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber das Telefongespräch, das sie am Abend zuvor zufällig mit angehört hatte, ließ sich damit nicht ungeschehen machen.

Es war nicht ihre Absicht gewesen zu lauschen. Als sie beim zweiten Klingeln abnahm, war Daniel im oberen Stockwerk ebenfalls an den Apparat gegangen. Doch dann erkannte Lauren am anderen Ende der Leitung die Stimme ihrer Freundin.

„Ich vermisse dich, Daniel.“

„Ich dich auch, Baby. Wann sehen wir uns?“

„Heute Abend, wenn du kannst. Michael hat gerade angerufen und gesagt, dass er heute bis mindestens Mitternacht im Krankenhaus bleibt.“

„Dann erzähle ich Lauren, dass ich ein Treffen mit Wahlkampfhelfern habe.“

„Bist du sicher, dass sie nichts merkt?“

„Mach dir darum keine Sorgen. Sie wird eine perfekte Ehefrau.“

Lauren hatte gefühlt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, und das Atmen fiel ihr plötzlich schwer. Mit eiskalten Händen hatte sie sich den Hörer ans Ohr gepresst, bis sie im Badezimmer Wasser rauschen hörte.

Plötzlich hatte sie nur noch den Wunsch, eine hysterische Szene zu machen. Mit Gegenständen zu werfen. Etwas zu zerstören.

Das Geräusch eines überholenden LKWs brachte Lauren in die Gegenwart zurück. Ihr Magen knurrte vernehmlich. Tatsächlich kam jetzt eine Tankstelle in Sicht, staubig und vernachlässigt wie aus einem alten Kinofilm. Ein restaurierter roter Pick-up an einer der Zapfsäulen verstärkte das nostalgische Bild noch.

Entschlossen bog Lauren auf den ungepflasterten Parkplatz ein. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, rückte sie ihre Sonnenbrille zurecht und stieg aus.

Cole McAdams lehnte mit verschränkten Armen an seinem Truck, während er darauf wartete, dass der Tank sich füllte. Aus dem nagelneuen weißen Geländewagen, der neben ihm hielt, stieg eine schlanke Blondine.

Die engen Jeans, die sie trug, betonten ihre Modelmaße. Ihr glänzendes blondes Haar wurde von einer Bronzespange gehalten, die Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen.

Eine Frau mit Klasse, die in einer verschlafenen Kleinstadt wie Tannen völlig fehl am Platze wirkte.

Als sie im Kassenraum der Tankstelle verschwunden war, betrachtete Cole den Geländewagen näher und registrierte ohne Überraschung das kalifornische Nummernschild.

Cole wandte sich wieder dem Tankvorgang zu. Der Wind zerrte an seinem Stetson, und er drückte sich den Hut fester auf den Kopf. In Kürze würde das Gewitter losbrechen, und so wie der Himmel aussah, war die Springflut-Warnung, die der Wetterdienst am Morgen ausgegeben hatte, mehr als berechtigt.

Er wollte gerade die Wagentür öffnen, als die Blondine aus dem Kassenraum kam. Sie hatte eine Straßenkarte gekauft, die sie jetzt im Gehen studierte. Ganz eindeutig kam sie nicht aus der Gegend. Bevor sie ihren Wagen jedoch erreicht hatte, riss ein Windstoß ihr die Karte aus der Hand.

Spontan eilte Cole ihr zu Hilfe. Sie sah sowieso schon aus, als wäre sie den Tränen nahe. Er schnappte sich die Karte und reichte sie ihr.

„Danke“, sagte sie leise.

Wohin war sie unterwegs? Woher kam sie? Cole unterdrückte seine Neugier. Ihm konnte es gleich sein, schließlich war sie nur eine Fremde auf der Durchreise. Dennoch sprach er sie an.

„Wohin wollen Sie denn?“

Sie betrachtete ihn abschätzend durch die dunklen Gläser.

„Wo ist das nächste Hotel?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

Hotel? In diesem Nest? Er zuckte entschuldigend die Schultern. „Wenn Sie der Hauptstraße folgen, kommen sie nach etwa 40 Kilometern an einigen billigen Motels vorbei.“

Sie nickte, als ob ihr die Preisklasse gleichgültig sei, doch er bezweifelte, dass sie sich jemals mit etwas Billigem abgegeben hatte. Ihre Erscheinung und ihre Haltung deuteten auf einen mehr als wohlhabenden Lebensstil hin. Wieder lächelte sie ihm zu, wobei auf einer ihrer Wangen ein Grübchen erschien. Es würde sich lohnen, sie zum Lachen zu bringen, nur um es wieder zu sehen.

Er schalt sich selbst einen Narren. Diese Frau ging ihn überhaupt nichts an. Er hatte schon genügend Probleme.

Sie steuerte auf ihren Wagen zu, hielt dann inne und wandte sich noch einmal um.

„Gibt es in der Nähe ein Restaurant?“

Er nickte zögernd, da er sich fragte, ob sie das Long Shot ein Restaurant nennen würde. „Ein paar Kilometer weiter in Fahrtrichtung. Es ist mehr eine Kneipe, aber sie haben ganz gutes Essen. Ansonsten werden Sie hier in der Gegend nichts finden.“

„Danke.“ Noch einmal bedachte sie ihn mit diesem Lächeln, bevor sie begann, ihren Wagen ebenfalls aufzutanken.

Cole beobachtete sie, bis sie schließlich wegfuhr. Vielleicht hätte er ja doch mehr für sie tun können? Kopfschüttelnd stieg er in seinen Wagen. Es gab nichts, was Cole McAdams einer Frau wie dieser zu bieten hatte.

Nachdem sie sich wieder in den Verkehr eingefädelt hatte, suchte Lauren nach dem Restaurant. Heute war sie wirklich nicht wählerisch.

Tatsächlich entdeckte sie in einiger Entfernung ein pinkfarbenes Neonschild und bog auf den Parkplatz ein. Das Restaurant selbst sah ziemlich heruntergekommen aus. Aber was wollte man in einer Gegend wie dieser anderes erwarten?

Als Lauren sich über die Mittelkonsole beugte, um nach ihrer Handtasche zu greifen, entdeckte sie einen großen gelben Umschlag, der halb unter den Beifahrersitz gerutscht war. Er musste Daniel gehören, da er den Wagen als Letzter benutzt hatte.

Auf der Vorderseite stand in Denise’ zierlicher Handschrift: Daniel, die solltest du besser aufbewahren.

Lauren verzog das Gesicht. Nachdenklich betrachtete sie den Umschlag. Er war fest zugeklebt, und normalerweise respektierte sie die Privatsphäre anderer Menschen, doch in diesem speziellen Fall siegte ihre Neugier. Sie würde ihn beim Essen öffnen.

Lauren steckte den Umschlag in ihre Sporttasche, griff nach ihrer Handtasche und hängte sich beide über die Schulter.

Schon auf den Stufen vor der Eingangstür hörte sie Countrymusik. Als sie eintrat, wandten ein älterer Mann hinter dem Tresen und eine grauhaarige Serviererin ihr kurz ihre Aufmerksamkeit zu, widmeten sie dann jedoch sofort wieder dem Ecktisch, an dem ein offensichtlich aufgebrachter Mann in Jeans und T-Shirt und eine junge Frau mit traurigen Augen saßen.

Laurens Magen knurrte wieder, und sie setzte sich an die Bar, an deren einem Ende ein Fernseher stand. Er war eingeschaltet, wurde jedoch von der Countrymusik aus der Jukebox völlig übertönt.

„Was darf’s denn sein?“, fragte der Barkeeper.

„Eistee, bitte“, verlangte Lauren. „Und die Karte.“

„Gern.“ Der Barkeeper runzelte die Stirn, griff unter die Theke und reichte ihr eine ausgefranste, fleckige Karte. Die ganze Zeit über ließ er das Pärchen am Ecktisch nicht aus den Augen.

„Verdammt, Kerri-Leigh!“ Die ärgerliche Stimme des Mannes war im ganzen Lokal zu hören. „Sag mir nicht immer, was ich zu tun habe. Ich habe keine Lust, schon zu gehen.“ Er wandte den Kopf. „Ben, noch ein Bier!“, rief er zum Barkeeper hinüber.

Lauren betrachtete das Pärchen genauer. Die junge Frau mit dem strähnigen blonden Haar sah verängstigt aus.

„Ich will dich ja nicht drängen, Brady“, erwiderte sie. „Ich bin bloß müde. Ich hatte Nachtschicht und muss einfach schlafen.“

Als Lauren ihren Blick wieder auf die Speisekarte richtete, rutschte ihre Sonnenbrille ein Stück herunter. Kein Wunder, dass es hier drin so dunkel scheint, dachte sie. Doch selbst, als sie die Brille abnahm, blieb das Long Shot verräuchert und düster.

„Ich hätte gern einen Thunfischsalat“, sagte sie. Der Barkeeper nickte nur, ohne ihr oder ihrer Bestellung auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Lauren spürte deutlich die gespannte Stimmung. Vielleicht sollte sie lieber ein Sandwich zum Mitnehmen bestellen. Bevor sie etwas sagen konnte, griff der Barkeeper zum Telefon und wählte.

„Cole, ich bin’s“, sprach er kurz darauf leise in den Hörer. „Brady ist mit deiner Schwester hier. Er ist ziemlich betrunken und fängt an, sich aufzuregen. Du hast gesagt, ich soll dich das nächste Mal anrufen.“ In der folgenden Pause nickte Ben. „Gut, aber beeil dich. Letztes Mal hat er sie ins Auto gezerrt, und sie sind weggefahren, bevor ich Gelegenheit hatte, dich anzurufen.“ Wieder nickte er. „Klar, kein Problem. Ich habe nichts übrig für Männer, die Frauen misshandeln.“

Na toll, dachte Lauren. Das hörte sich nach Ärger an. Jedenfalls würde sie sich auf keinen Fall in die Sache verwickeln lassen, Aufregung hatte sie auch so schon genug.

„Entschuldigen Sie“, sagte sie zu dem Barkeeper. „Ich habe es mir anders überlegt. Machen Sie mir ein Sandwich mit Tunfisch, bitte. Zum Mitnehmen.“

Ben blickte sie an, dann wieder zum Ecktisch hinüber. „Geht klar. Gute Entscheidung.“

Als er den Kopf wandte, folgte Lauren seinem Blick und sah, dass die junge Frau zu den Toiletten ging. Das verschafft ihr keinen großen Aufschub, dachte Lauren. Der Gedanke an das harte Leben der jungen Frau stimmte sie traurig.

Sie blickte flüchtig zum Fernseher hinüber, wo gerade die Nachrichten liefen. Als sie auf dem Bildschirm das Anwesen erkannte, in das sie mit Daniel gerade erst eingezogen war, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung. Sie konzentrierte sich, um trotz der Musik etwas zu hören.

„Lauren Taylor … Verlobte … Kandidat für die Senatoren-Wahl … Daniel Walker … verschwunden … Polizei hinzugezogen … gekidnappt … wohlhabend …“

Lauren umklammerte die Kante des Tresens. Gekidnappt? Sie war davongelaufen! Hatte Daniel die zerbrochene Ming-Vase und den umgekippten Tisch nicht gesehen? Und den Verlobungsring, den sie quer durch den Raum geschleudert hatte? Der riesige Diamant war ein paar Mal aufgesprungen, bevor er in der Pfütze aus Blumenwasser landete, hübsch angerichtet zwischen Scherben und roten Rosen.

Ihr erster Impuls war, Daniel anzurufen und das Missverständnis aufzuklären, doch noch war sie zu erregt und verletzt. Dieses Mal hatte sie die Wahl. Und sie würde erst zurückkehren, wenn sie wirklich bereit dazu war.

Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf, griff nach ihren Taschen und blickte sich um. Hatte noch jemand auf die Nachrichten geachtet? Besser sie ließ es nicht darauf ankommen und verschwand in der Toilette, bis ihr Sandwich fertig war. Und dann nichts wie weg, wenn sie auch keine Ahnung hatte, wohin.

Als Lauren die Damentoilette betrat, blieb sie überrascht stehen. Die junge Frau, Kerri-Leigh, versuchte gerade, sich durch das enge Fenster zu zwängen.

„Ich glaube nicht, dass Sie da durchpassen.“

Kerri-Leigh gab auf und drehte sich um. In ihren Augen standen Tränen. „Ich muss hier irgendwie rauskommen.“

Mitfühlend blickte Lauren sie an. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“

„Nicht, wenn Sie sich nicht die Zähne ausschlagen lassen wollen. Brady ist ziemlich rücksichtslos, wenn er wütend wird.“ Müde lehnte sie sich an die Wand. „Mein Bruder hat mich gewarnt. Er meinte, dass diese Anti-Aggressions-Workshops, zu denen das Gericht ihn verurteilt hat, bei einem hartherzigen Mann wie Brady gar nichts nützen.“

„Und haben sie was gebracht?“

„Eine Weile lang schon. Als er aufhörte zu trinken und wieder zu den Anonymen Alkoholikern ging, schien alles gut zu werden. Aber Sie hören ja, wie er mich anbrüllt. Und er trinkt auch wieder.“ Sie fröstelte. „Mittlerweile weiß ich schon im Voraus, wann er mich schlagen wird.“

„Also wollen Sie weglaufen.“

Kerri-Leigh blickte sie eindringlich an. „Er lässt mich auf keinen Fall einfach durch die Vordertür rausgehen. Und was anderes ist mir nicht eingefallen. Oder haben Sie eine Idee?“

„Ich habe gehört, wie der Barkeeper jemanden namens Cole anrief. Er wollte sofort kommen.“

Kerri-Leigh sank in sich zusammen und schloss die Augen. „Oh nein!“

„Sie scheinen darüber ja nicht gerade glücklich zu sein.“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Kerri-Leigh seufzte. „Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Mein Bruder ist der beste Mensch, den man sich vorstellen kann. Und er hat klare Grundsätze, wie anständige Menschen miteinander umgehen sollten.“

„Was ist daran falsch?“

„Das letzte Mal, als Brady mich geschlagen hat, wollte Cole ihn dafür umbringen.“ Kerri-Leigh stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. „Glauben Sie mir, wenn er denkt, ich sei in Gefahr, kann Cole sich nicht zurückhalten. Und dann wird’s erst richtig schlimm.“ Sie blickte Lauren beschwörend an. „Mein Bruder darf da nicht mit reingezogen werden. Wenn die Polizei kommt …“ Sie schüttelte den Kopf und blickte zu dem kleinen Fenster hinauf. „Ich muss hier irgendwie raus.“

Lauren wusste nicht viel über das harte Leben, das diese junge Frau führte, aber den Wunsch zu fliehen verstand sie nur zu gut. Sie wollten beide unerkannt von hier verschwinden.

Etwas erschrocken über die Kühnheit ihrer Idee, fragte sie Kerri-Leigh: „Wie dringend wollen Sie von hier weg?“

„Dringender, als Sie sich vorstellen können“, antwortete Kerri-Leigh seufzend. „Aber hier komme ich einfach nicht raus.“

Lauren legte ihr den Arm um die Schultern und drehte sie zu dem fleckigen Spiegel um.

„Was sehen Sie?“

Kerri-Leigh hob die Schultern. „Zwei Frauen.“

„Die zugegebenermaßen niemals als Zwillinge durchgehen würden. Aber mit etwas Make-up und einigen Tricks reicht es vielleicht aus, damit Sie unbemerkt durch die Vordertür verschwinden können.“

Zweifelnd schüttelte Kerri-Leigh den Kopf. „Brady ist betrunken, aber blind ist er nicht.“

„Ihr Gesicht darf er natürlich nicht sehen“, bestätigte Lauren, stellte ihre Sporttasche auf die Ablage und suchte nach ihrer Bürste. „Wenn wir Ihr Haar hochstecken und Sie die Sonnenbrille aufsetzen …“

„Das klappt nie!“

„Ich bin größer, aber …“ Lauren kämmte Kerri-Leighs hellblondes Haar. Die junge Frau hielt vollkommen still.

„Und viel dünner“, fügte Kerri-Leigh hinzu. „Himmel, sie sehen aus, wie ein Model aus New York, und ich bin …“

„… in Schwierigkeiten“, erinnerte Lauren sie. „Hören Sie doch erst mal zu.“

Sie löste die Bronze-Spange und schüttelte ihr Haar aus. „Ich ziehe Ihre Kleider an, verlasse unauffällig die Toilette und gehe zur Jukebox, wobei ich jedem im Raum den Rücken zudrehe. Und während ich ein Lied aussuche, gehen Sie ganz selbstverständlich zur Vordertür hinaus.“

„Und dann soll ich losrennen?“ Kerri-Leigh zog die Augenbrauen hoch. „Ich will ja weg von ihm, aber ich bin nicht verrückt. Er würde mich mit dem Auto jagen und einfangen.“

Einen Moment lang überlegte Lauren, ob es wirklich klug war, sich einzumischen. Doch sie konnte auch nicht einfach zusehen, wie dieser Kerl Kerri-Leigh misshandelte. Und da der Bericht über ihre Entführung sowieso in den Nachrichten lief, war es sicherlich das Klügste, zunächst den auffälligen Wagen loszuwerden. Warum ihn also nicht verleihen? Sie nahm die Autoschlüssel und einen Stift aus ihrer Handtasche. „Mein Auto steht vor der Tür.“

„Aber das geht doch nicht. Wie kommen Sie denn dann nach Hause?“

Lauren lächelte bitter. Sie wusste ja im Moment nicht mal, wo ihr Zuhause war. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen“, sagte sie. Ihre Stimme klang mutiger, als sie sich fühlte. Sie drückte Kerri-Leigh die Schlüssel in die Hand. „Lassen Sie den Wagen einfach am nächsten Busbahnhof stehen. Ich finde ihn dann schon. Haben Sie Geld?“

„Nur für die nächsten zwanzig Kilometer“, gestand Kerri-Leigh leise. „Nicht genug, um weit genug von Brady wegzukommen.“

Lauren zog eine 100-Dollar-Note aus ihrer Brieftasche und reichte sie ihr. „Hier.“ Als die junge Frau zögerte, drückte Lauren ihr den Schein in die Hand. „Ich habe genug Geld.“

„Ich werde jeden Cent zurückzahlen.“

„Ich weiß“, sagte Lauren, um es ihr leichter zu machen. Im Grunde war es ihr egal, ob sie das Geld jemals wiedersah. „Hören Sie gut zu. Bleiben Sie auf den Nebenstraßen, und fahren Sie nicht weiter, als es unbedingt sein muss.“

„Und wie kommen Sie von hier weg?“

„Ich rufe ein Taxi und lasse mich zum nächsten Hotel bringen.“

„Hier draußen bekommen Sie nicht so einfach ein Taxi.“

„Dann fahre ich eben per Anhalter“, meinte Lauren leichthin, obwohl ihr mittlerweile selbst Zweifel kamen. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“

„Mein Bruder, Cole, wird bald hier sein. Er bringt Sie überall hin, besonders, wo Sie mir so geholfen haben. Sie können ihm vertrauen.“

„Na, dann bin ich ja in besten Händen.“

„Also gut.“ Kerri-Leigh begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. „Brady hatte gerade noch ein Bier bestellt, als ich ging. Vielleicht merkt er tatsächlich nichts.“

Sie tauschten die Kleidung, und Lauren bemühte sich, Kerri-Leighs Haar hochzustecken. Mit rot geschminkten Lippen und der Sonnenbrille sah sie tatsächlich älter, aber auf jeden Fall ausreichend verändert aus.

Während Kerri-Leigh sich im Spiegel bewunderte, zupfte Lauren an ihren eigenen Haaren. Sie würden niemals so strähnig wirken wie die ihrer neuen Freundin. Aber die Täuschung musste ja auch nur für einige Minuten reichen. In den pinkfarbenen Leggins und der übergroßen weißen Bluse kam sie sich selbst wie eine Fremde vor. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Na schön, versuchen wir’s.“

An der Tür blieb Kerri-Leigh noch einmal stehen und griff nach Laurens Hand. „Sie sind eine echte Freundin. Nicht jede Frau würde so etwas für eine andere tun. Ich danke Ihnen. Wie heißen Sie?“

Lauren zögerte. Ihre Mutter hatte sie Laurie gerufen. Vielleicht bekam sie ja die Chance herauszufinden, wer sie hätte werden können, wenn man sie nach dem Tod ihrer Mutter nicht zu der eleganten, steifen Lady gemacht hätte, die hauptsächlich anderen zu gefallen hatte. Zu einer Frau, die sich alles kaufen konnte, was ihr Herz begehrte – außer Glück.

„Ich heiße Laurie“, antwortete sie.

Kerri-Leigh lächelte sie an. „Ich werde Sie nie vergessen, Laurie. Sie sind ein Engel.“

Wohl kaum dachte Lauren sarkastisch. Noch immer hörte sie die scharfe, gekünstelte Stimme von Tante Caroline. Laurie Smith klingt einfach zu gewöhnlich. Du bist jetzt eine Taylor. Dein Name muss Geld, Stil und Klasse ausstrahlen. Lauren Taylor passt viel besser zu dir.

Ebenso wie ein Kunststudium, obwohl Lauren sich für Medizin interessierte. Und blondes Haar, wo ihre natürliche Haarfarbe doch braun war.

Als Kerri-Leigh die Türklinke herunterdrückte, legte Lauren ihr die Hand auf die Schulter. „Moment noch. Wo ist hier der nächste Friseur? Ich will mir die Haare tönen lassen.“

Kerri-Leight runzelte die Stirn. „Wieso das denn? Ihre Farbe ist perfekt.“

Lauren lachte. Bei der Summe, die sie Jonathan dafür gezahlt hatte, durfte man das wohl auch erwarten. „Danke, aber ich hätte es gerne dunkler.“

„Es ist günstiger, wenn Sie’s selbst machen.“

Als ob es ums Geld ginge. Jonathan war der teuerste Friseur in Beverly Hills, schon eine einfache Wäsche kostete über hundert Dollar. „Noch mal danke, aber mir ist es lieber, wenn es ein Fachmann macht.“

Kerri-Leigh seufzte. „Nun, dann kann ich Ihnen Sandy empfehlen. Der Salon heißt Carla’s Crazy Curl. Etwa zehn Kilometer von hier an der Hauptstraße. Sandy ist erst seit Kurzem wieder in der Stadt. Aber sie ist die beste Friseurin in der ganzen Gegend.“

„Ist sie eine Freundin von Ihnen?“

Kerri-Leigh zögerte einen Moment. „Ja, eine sehr gute.“

„Dann danke für den Tipp. Ich werde sie schon finden.“

Während Kerri-Leigh die Tür aufhielt, atmete Lauren – nun Laurie – tief durch und wischte sich die Handflächen an dem langen weißen Hemd ab. Unauffällig schlenderte sie dann zur Jukebox hinüber, warf einige Münzen in den Schlitz und drückte auf gut Glück die Nummer B-16. Die ersten Takte einer alten Schnulze erklangen, und erst in diesem Moment wurde ihr klar, wie verrückt der ganze Plan war.

Laurie biss sich auf die Unterlippe und blickte zum Eingang hinüber. Hoffentlich kam Kerri-Leighs Bruder bald. Und hoffentlich war er der Ehrenmann, als den seine Schwester ihn beschrieben hatte.

Cole McAdams schlug mit der flachen Hand aufs Armaturenbrett. Wenn Brady Cooper seine Schwester auch nur anrührte, würde er ihn bewusstlos schlagen.

Zum Glück hatte er Ben und Evie im Long Shot seine Handynummer gegeben. Seit er seine Tochter zu den Petersons gebracht hatte, wo sie übernachten würde, war er nicht zu Hause gewesen.

Cole trat das Gaspedal durch. Er würde nicht zulassen, dass Brady seine Schwester weiterhin quälte. Warum blieb eine Frau bei einem Mann, der sie so schlecht behandelte? Und warum verließ eine andere Frau den Mann, der alles für sie tat?

So wie er für seine Exfrau. Doch eines Tages war sie einfach gegangen, hatte ihre kleine Tochter Beth bei ihm zurückgelassen. Und dazu einen Haufen Schulden.

Cole umklammerte das Lenkrad, als er an die Stapel von Rechnungen dachte. Offensichtlich hatte sie ohne sein Wissen mehrere Kreditkarten beantragt und sie bis zum absoluten Limit ausgeschöpft. Und wegen der Hypothek, die Cole einige Jahre zuvor auf die Ranch aufgenommen hatte, standen die Dinge schlecht.

Sein Buchhalter hatte vorgeschlagen, den Bankrott zu erklären, doch Cole gab nicht auf. Mit einigen kreativen Umschuldungen und dem Verkauf der meisten Pferde hatte er sich gerade so eben retten können. Zusehen zu müssen, wie seine besten Westernpferde zur Auktion kamen, brach ihm das Herz. Doch immerhin konnte er auf diese Weise die Hypothek zur Hälfte abbezahlen und die Gläubiger beruhigen.

Das Bargeld hatte gerade gereicht, um ihn und Beth über den Winter zu bringen. Der Gewinn aus dem Verkauf der Einjährigen im darauf folgenden Frühjahr ließ für die Zukunft hoffen.

Bis auf zehn seiner besten Zuchtstuten hatte er alles verloren, doch mit ihnen konnte er seine Herde nach und nach wieder aufstocken. Sugar Foot, sein As im Ärmel, würde in den nächsten Tagen fohlen, und er setzte große Hoffnungen in den Nachwuchs.

Der Weg aus dem Ruin war lang und hart gewesen. Doch seine Ranch und seine Tochter waren ihm geblieben. Und nun ging der Rest seiner Ersparnisse an einen angesehenen Rechtsanwalt, der verhindern sollte, dass seine Exfrau, die aus heiterem Himmel zurückgekehrt war, das Sorgerecht für Beth bekam.

Er seufzte. Wenn man bedachte, dass er immer versucht hatte, das Richtige zu tun, war sein Leben beinahe so sehr aus den Fugen geraten wie Kerri-Leighs.

Cole bog auf den Parkplatz des Long Shot ein und atmete tief durch. In diesem Augenblick kam ihm der weiße Geländewagen von der Tankstelle entgegen. Vielleicht hatten ja schon der Anblick der Kneipe oder Bradys Großmaul der Unbekannten den Appetit verdorben. Sicherlich war es vernünftiger so. Eine Frau wie sie hielt sich von den Abgründen des Lebens besser fern.

Cole stellte seinen Wagen ab und ging mit großen Schritten zum Eingang. Hinter ihm fiel die Tür zu. Alle Gäste blickten ihn erwartungsvoll an – nur Kerri-Leigh konnte er nirgends entdecken.

Brady stützte sich auf den Tisch und stand auf. „Was ist los mit dir? Hast du keine Manieren?“

Cole ballte die Fäuste. „Wo ist sie?“

Brady stieß ein verächtliches Schnauben aus und deutete mit dem Kopf zur Jukebox, wo eine Blondine mit dem Rücken zum Raum stand. Sie zuckte zusammen, drehte sich dann aber langsam um.

Als Brady ihr Gesicht sah, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. „Du bist nicht Kerri-Leigh. Wieso zum Teufel hast du ihre Sachen an? Und wo ist sie?“

Er griff nach der halb leeren Bierflasche auf seinem Tisch und warf sie gegen die Wand. „Verdammter Mist! Sie ist in deinen Sachen abgehauen!“

Cole war beinahe ebenso überrascht wie Brady, als er die Blondine von der Tankstelle wiedererkannte. Offensichtlich hatte sie seiner Schwester zur Flucht verholfen und war sogar bereit gewesen, für sie Schläge zu riskieren.

Als Brady auf sie zuging, schluckte sie schwer.

Cole schüttelte den Kopf und trat Brady in den Weg.

Der ließ sich nicht einschüchtern, sondern hob die geballte Faust. „Aus dem Weg, McAdams. Ich werde schon rausfinden, wo die Schlampe steckt.“

Cole griff nach Bradys Hemd und zog ihn zu sich heran. „Wag es nicht, sie anzurühren.“

„Oder was?“, stieß Brady hervor.

Cole roch seine Alkoholfahne und verzog angewidert das Gesicht.

„Treib es nicht zu weit, Brady.“

Der lachte nur und holte aus. Doch weder in betrunkenem noch in nüchternem Zustand hatte er gegen Cole auch nur die kleinste Chance. Ein schneller linker Haken, und Brady schwankte, dann ging er zu Boden.

Als Cole aufblickte, sah er, wie die Blondine Ben einen Geldschein reichte. „Würden Sie mir ein Taxi rufen?“

„Hierher?“ Ben schüttelte den Kopf. „Das könnte bis zum Abend dauern, aber ich versuche es gerne.“

Draußen blitzte es zum ersten Mal. Cole ging auf die Frau zu. „Sie brauchen kein Taxi. Ich fahre Sie gerne.“

Der Donner folgte nach wenigen Sekunden. Sie blickte ihn zweifelnd an.

„Ich bin Cole McAdams, Kerri-Leighs Bruder. Sie würde wollen, dass ich mich um Sie kümmere.“

Sie seufzte leise. „Kerri-Leigh hat behauptet, Sie wären in Ordnung.“

Ben räusperte sich und gab ihr den Geldschein zurück. „Hier finden Sie keinen ehrenhafteren Mann, Ma’am. Sie können ihm voll und ganz vertrauen.“

„Wohin wollen Sie denn?“, erkundigte Cole sich, um ihr keine Zeit zu lassen, ihre Meinung zu ändern. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Regen losbrach.

„In die Stadt, denke ich. Ich brauche ein Zimmer für die Nacht.“

Wieder blitzte und donnerte es, dann fielen die ersten Tropfen.

Cole dachte an die Springflut-Warnung. Wahrscheinlich würde er es schaffen, sie in die Stadt zu bringen, bevor die Straße unpassierbar wurde, doch zurück zur Ranch kam er dann nicht mehr. „Ich habe ein Gästezimmer. Sie können bei mir übernachten.“

Sie zögerte, zuckte dann die Schultern.

„Einverstanden. Aber nur heute Nacht.“

Cole nickte. „Ich habe mich vorgestellt, aber Ihren Namen kenne ich noch nicht.“

„Laurie“, sagte sie leise. „Laurie Smith.“

„Vielen Dank, dass Sie meiner Schwester geholfen haben, Laurie.“

Sie lächelte. „Sie hat versucht, aus dem Toilettenfenster zu klettern, aber das klappte nicht, also ließ ich mir etwas anderes einfallen.“

„Und Ihren Wagen haben Sie ihr auch geliehen, oder?“

Laurie nickte. „Ich muss zugeben, dass mir ziemlich mulmig wurde, als Brady anfing, mich anzubrüllen. Er kann einem wirklich Angst machen.“ Sie warf einen Blick auf den Mann am Boden. „Jetzt sieht er nicht mehr so bedrohlich aus.“

Cole zuckte die Schultern. „Prügeleien sind für ihn nichts Neues. Er erholt sich schon wieder. Kommen Sie, lassen Sie uns gehen. Es regnet immer stärker.“

„Ich muss noch meine Taschen aus der Damentoilette holen.“

Als sie zurückkam, reichte ihr Evie eine braune Tüte. „Ihr Sandwich.“

„Danke.“ Laurie bezahlte mit einem 10-Dollar-Schein. „Behalten Sie den Rest.“

Sie folgte Cole nach draußen, blieb dann unter dem Vordach stehen und blickte in den strömenden Regen hinaus.

„Warten Sie hier, ich hole den Wagen.“

Kurz darauf fuhr er vor und öffnete ihr von innen die Tür. „Ein schönes Auto“, bemerkte sie beim Einsteigen.

„Danke.“

Cole fädelte sich in den Verkehr ein und drehte das Radio leiser. Mit einem Seitenblick stellte er fest, dass Laurie sich so eng wie möglich an die Tür drückte.

Sie öffnete die Sandwich-Tüte, blickte hinein und verschloss sie wieder. Dann lehnte sie den Kopf ans Fenster, und kurz darauf fielen ihr die Augen zu.

Zu müde zum Essen, vermutete Cole. Es gab eine Menge, was sie ihm nicht erzählt hatte. Und was er vielleicht auch nie erfahren würde. Ihre Probleme gingen ihn ja auch gar nichts an.

Auf der wenig befahrenen Landstraße betrachtete Cole die schlafende Frau neben ihm genauer. Sie hatte wirklich keinerlei Ähnlichkeit mit Kerri-Leigh, deren volle Wangen und Stupsnase mit Sommersprossen bedeckt waren. Lauries Gesicht dagegen wirkte ebenmäßig, mit einer perfekt geformten Nase und zarten, leicht geschwungenen Brauen, die ihre ausdrucksvollen grünen Augen betonten.

Und während Kerri-Leigh klein und rundlich war, hatte Laurie die Figur eines Models. Für Coles Geschmack war sie allerdings zu dünn. Er liebte die sanften, weichen Kurven einer Frau.

Wie bitte? Diesen Gedanken sollte er wohl ganz schnell vergessen. Laurie Smith war eine Fremde, die nach einer Nacht wieder aus seinem Leben verschwinden würde.

Der Regen prasselte jetzt mit aller Gewalt auf das Wagendach nieder. Cole hoffte, dass sie es rechtzeitig durch das ausgetrocknete Flussbett schaffen würden, das sich bei diesem Wetter schnell in einen reißenden Strom verwandelte. Um das monotone Geräusch der Scheibenwischer zu übertönen, drehte Cole das Radio wieder lauter. Es erklang eine langsame Country-Ballade über einen einsamen Westernhelden.

2. KAPITEL

Laurie spürte, wie jemand sie an der Schulter fasste, und setzte sich erschrocken auf. Es dauerte einen Moment, bis sie sich erinnerte, wo sie war.

Zum ersten Mal betrachtete sie Cole McAdams bewusst. Er blickte sie aus blauen Augen an. Sein gebräuntes Gesicht wirkte kantig, was abgemildert wurde durch die dunklen Locken, die unter seinem Hut hervorschauten. Sein Gesichtsausdruck ließ sich schwer deuten. Laurie hoffte, dass es kein Fehler gewesen war, ihm zu folgen.

„Lassen Sie uns hineingehen“, sagte er. „Wir sind zu Hause.“

Laurie versuchte, durchs Fenster zu spähen, doch der Regen war so heftig, dass sie draußen nichts erkannte. „Wo sind wir?“, fragte sie und griff nach ihren Taschen.

„Auf meiner Ranch am Stadtrand. Nahe dem Fluss und am Fuße der Hügel.“

Laurie nickte, obwohl sie noch immer keine Ahnung hatte, wo sie sich befand.

Als sie nach dem Türgriff suchte, sagte er: „Nehmen sie diese Seite. Es ist näher zur Haustür, dann werden Sie nicht so nass.“

Als er ausstieg, hatte sie Gelegenheit, seine ganze Gestalt zu betrachten. Er war groß und auf ungewöhnliche Weise attraktiv. Seine Kleidung – Jeans und ein Flanellhemd – gaben ihm etwas typisch Amerikanisches. Ein Cowboy, dachte Laurie, obwohl sie schon seit Jahren keinen mehr gesehen hatte.

Der Regen, auch wenn er seinen Hut durchweichte, schien ihm nichts auszumachen. Er lachte sie an. „Ich kann Sie auch hineintragen, aber nass werden Sie auf jeden Fall.“

„Danke für das Angebot, aber ich laufe.“

Als sie über den Fahrersitz rutschte, nahm er ihre Hand und half ihr. Seine Handfläche fühlte sich schwielig an, doch sein Griff war sanft. Und seine Haut strahlte Wärme aus.

Sie rannten zur Veranda, waren jedoch trotzdem völlig durchnässt, als Cole die Haustür schließlich aufschloss. Laurie trat ein und blickte auf die Pfütze, die sich sofort um sie herum zu bilden begann und die sich auf dem rötlichen Fliesenboden dunkel abzeichnete. „Tut mir leid.“

„Kein Problem, das lässt sich aufwischen.“

Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die Wände waren mit Holz verkleidet, der Kamin am Kopfende des Raumes war aus großen Feldsteinen gemauert und umrahmt von einem Kaminsims aus geschnitztem Eichenholz.

Das große Wohnzimmer verriet eindeutig die künstlerische Note eines Innenarchitekten. Bodenständig und doch stilvoll, geräumig und dennoch gemütlich. Die gelassene Eleganz gefiel ihr. Cole bemerkte ihr Staunen.

„Was ist los?“

„Ihr Haus ist wirklich interessant.“

Er hob die Schultern. „Mir gefällt es.“

„Mir auch“, beeilte sie sich zu sagen. Hoffentlich hatte er sie nicht missverstanden. „Wer hat es eingerichtet?“

Die Frage war für Laurie ganz normal. In ihren Kreisen bezahlte man ein kleines Vermögen dafür, dass Fachleute einem eine Einrichtung zusammenstellten, die die eigene Persönlichkeit unterstrich.

„Ich habe es selbst entworfen.“

Offensichtlich war ihr die Überraschung deutlich anzusehen, denn er lachte, als er seinen durchnässten Hut an der Garderobe aus naturbelassenem Holz aufhängte.

„Nun ja, Ma’am“, sagte er, wobei er den starken texanischen Dialekt imitierte, „haben Sie etwa gedacht, wir in Texas sind hier so hinterm Mond, dass wir schon fließendes Wasser für Luxus halten?“

Er lachte freundlich. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Bad. Wenn Sie wollen, können Sie duschen. Und die nassen Sachen ausziehen.“

Laurie ließ sich willig führen, mit den Gedanken noch immer bei der Einrichtung. Sogar die nackten weißen Wände wirkten wie ein Kunstwerk.

Er blieb vor einem Wandschrank stehen und nahm ein Handtuch heraus. Dann schob er sie in ein großes, helles Badezimmer, das blitzsauber und aufgeräumt war.

„Hat Ihre Frau nichts dagegen, wenn ich einfach über Nacht bleibe?“, fragte Laurie.

Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Ich habe keine Frau.“ Schnell wechselte er das Thema. „Brauchen Sie noch etwas?“

Lauren blickte auf ihre Sporttasche hinunter. Außer ihren Kosmetika enthielt sie nur einen schwarzen Gymnastikanzug und einige knappe Oberteile, die sie auf keinen Fall tragen wollte, wenn sie den Abend auf einer einsamen Ranch mit einem Fremden verbrachte.

„Hätten Sie vielleicht einen Bademantel, den ich anziehen kann, bis meine Sachen trocken sind?“

Er nickte, legte das Handtuch auf die Ablage und drehte den Warmwasserhahn auf. „Es dauert eine Weile, bis heißes Wasser kommt“, erklärte er. „Ich hole in der Zwischenzeit den Bademantel.“ Er betrachtete sie nachdenklich. „Er wird Ihnen allerdings etwas zu lang sein.“

Hatte sie sich nur eingebildet, dass sein Blick einen Moment zu lange auf ihren Brüsten geruht hatte? Wahrscheinlich, doch plötzlich fühlte sie sich unsicher. Bevor sie allerdings lange darüber nachdenken konnte, war er bereits zurück, reichte ihr einen flauschigen Bademantel und schloss von außen die Tür hinter sich.

Endlich allein. Laurie seufzte und blickte durch das Fenster in den Garten. Der Regen hatte gerade ein klein wenig nachgelassen, und sie konnte Hibiskusbüsche erkennen, die in voller Blüte standen. Sie stützte sich auf das Waschbecken und blickte zweifelnd in den Spiegel. Wer war die Frau, die sie dort sah?

Auch als längst heißes Wasser aus dem Duschkopf sprühte und Nebelschwaden durch den Raum zogen, stand Laurie noch reglos vor dem Spiegel. Eine blasse Frau mit langen, nassen Haaren starrte sie an. Laurie strich über das weiche Handtuch auf der Ablage und lächelte bitter. Vielleicht sah sie zum Fürchten aus, aber immerhin nicht wie die kultivierte, reiche Lauren Taylor, sondern ganz einfach wie Laurie Smith.

Als Cole aus der Dusche trat und nach einem Handtuch griff, wurde ihm bewusst, dass im Gästebadezimmer Laurie Smith ebenfalls gerade unbekleidet war. Er stellte sich ihren schlanken Körper vor, über dessen weiche Haut langsam der Seifenschaum lief. Das erotische Bild erregte ihn unvermittelt. Schließlich war er nicht nur alleinerziehender Vater, sondern auch ein Mann, der schon seit Langem nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war.

Es blitzte draußen, und als der Donner grollte, gingen im Bad die Lichter aus.

Verflixt. Gut, dass er Kerzen im Haus hatte. Draußen war es bereits stockfinster.

Cole schlüpfte in Jeans und Hemd und ging in die Küche, wo er die Taschenlampe aufbewahrte. In kürzester Zeit hatte er überall im Haus Kerzen aufgestellt.

Hoffentlich war der Strom nicht in der ganzen Gegend ausgefallen. Beth hatte immer noch Angst im Dunkeln. Er griff nach seinem Mobiltelefon am Gürtel und rief bei den Petersons an.

„Bei uns ist alles in Ordnung“, beruhigte ihn Susan, die Mutter von Beths Herzensfreundin und gleichzeitig ihre Vorschullehrerin. „Wenn die Mädchen mir beim Tischabräumen helfen, backen wir gleich noch einen Kuchen.“

Cole seufzte erleichtert. „Gut. Ruf mich an, wenn es ein Problem gibt wegen des Sturms, ja?“

Susan lachte. „Du machst dir doch nicht etwa Sorgen?“

Natürlich tat er das. Er war ein Vater, und das gehörte einfach dazu. „Ich weiß, dass sie bei euch in besten Händen ist.“

„Na also. Wir rufen dich morgen an, Cole.“

Er war allein im Haus mit einer fremden Frau. Seit seine Exfrau ihn verlassen hatte, waren außer Susan und Consuela, seiner Haushaltshilfe, überhaupt keine Frauen im Haus gewesen. Nicht, dass es ihn gestört hätte. Beth und er kamen auch prima alleine klar.

Wieder blitzte es draußen. Ausgerechnet heute. Ohne Fernsehen und Radio würde es ein ziemlich langer Abend werden. Und wie sollte er etwas für sie kochen, wenn sie hungrig war?

Er dachte an den alten Campingkocher in der Garage, den er seit Ewigkeiten nicht benutzt hatte. Das könnte sogar Spaß machen, wenn Laurie Smith nicht allzu hohe Ansprüche stellte.

Bisher war sie noch nicht wieder aufgetaucht. Was machten Frauen nur immer so lange im Badezimmer?

Cole legte Holzscheite in den Kamin und brachte das Feuer in Gang. Frieren würden sie jedenfalls nicht. Er durchsuchte gerade den Küchenschrank nach etwas Essbarem, als sie ins Wohnzimmer kam, barfuß, das Handtuch wie einen Turban um den Kopf geschlungen. Sein überlanger Bademantel hüllte ihre schlanke Gestalt ein, ihre Haut hatte vom heißen Wasser eine rosige Farbe.

Auch ohne Make-up strahlte sie eine sinnliche Schönheit aus, und in Cole regte sich ein Verlangen, das er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Er wünschte, sie wäre in der Dusche nicht allein gewesen, stellte sich vor, wie er seine Hände über ihre glatte, nasse Haut gleiten ließ.

Verdammt noch mal. Das konnte ja wohl nicht den ganzen Abend so weitergehen. Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf und hoffte, dass Laurie nichts mitbekommen hatte. Was war bloß los mit ihm? Er machte sich nichts aus flüchtigen Abenteuern. Er war nicht der Typ dafür.

„Der Strom ist ausgefallen“, sagte er, da ihm das zumindest ein sicheres Gesprächsthema schien.

„Habe ich bemerkt“, gab sie zurück. Sie ließ den Blick über die Kerzen wandern, die er auf dem Kaminsims und dem Couchtisch aufgestellt hatte. „Offensichtlich sind Sie gut vorbereitet.“

„Ich war bei den Pfadfindern“, antwortete er. Hoffentlich klang das nicht zu banal.

Sie lächelte warm. „Wie war es?“

„Wie war was?“ Ein Pfadfinder zu sein? Es fiel Cole äußerst schwer, sich auch auf die einfachste Unterhaltung zu konzentrieren, während ihre erotische Ausstrahlung ihn dazu drängte, den Gürtel ihres Bademantels zu lösen und sie an sich zu ziehen.

„Bei den Pfadfindern“, gab sie zurück. „Camping, Wandern, Angeln. Knoten binden?“

Knoten. Wie der in dem Gürtel ihres Bademantels. Er antwortete vorsichtshalber gar nicht. Die Gefahr, nur herumzustottern, war zu groß.

„Ich wollte immer zu den weiblichen Pfadfindern gehen, aber meine Tante hielt es für unangebracht.“ Sie seufzte und blickte sehnsüchtig zum Kaminfeuer hinüber. „Haben Sie oft Campingausflüge gemacht?“

„Eine ganze Menge.“

Sie nickte bewundernd.

Als ihr Magen knurrte, fiel ihm ein, dass sie im Long Shot nichts gegessen hatte.

„Ich habe Ihre Sandwich-Tüte in die Küche gelegt. Wenn Sie möchten, hole ich sie. Sie können aber auch gerne bei mir mitessen. Ich wollte mir auf dem Campingkocher was heiß machen.“

Ihre Augen leuchteten auf. „Sie haben tatsächlich einen Campingkocher?“

Es überraschte Cole, dass sie sich so freute. Sicherlich speiste sie normalerweise in teuren französischen Restaurants, und sie sah eigentlich nicht so aus, als zähle für sie das Grillen von Würstchen über einem Lagerfeuer oder Kaffee aus einem Blechbecher zu den kulinarischen Höhepunkten. Doch offensichtlich besaß sie einen Sinn für Abenteuer. Er grinste.

„Ich hole den Kocher, dann können wir hier im Wohnzimmer campen.“

Ihrem strahlenden Lachen nach zu urteilen hatte er sie gerade ins Ritz eingeladen. „Das ist eine herrliche Idee.“

Dem ließ sich nicht widersprechen. In Rekordzeit stellte Cole den Kocher auf, zündete ihn an und ließ zwei Steaks in der gusseisernen Pfanne brutzeln.

Laurie saß im Schneidersitz vor dem Kamin, sodass ihre Knie unter dem Bademantel hervorschauten. Sie hatte das Handtuch abgenommen und ihr Haar gebürstet, das sie jetzt in der Wärme des Feuers trocknen ließ.

Der Feuerschein spiegelte sich in ihren goldenen Haarsträhnen, und als sie sich nach vorne beugte, sprang der Bademantel so weit auf, dass Cole die sanfte Rundung ihrer Brüste darunter sehen konnte – gerade groß genug, um die Hand eines Mannes auszufüllen. Er redete sich ein, dass superschlanke Frauen ihn nicht interessierten, doch was der leicht geöffnete Bademantel erahnen ließ, war keineswegs knochig, sondern weich und einladend.

Es fiel Cole immer schwerer, sich auf die Steaks zu konzentrieren. Wie sollte er auch, wenn eine fast nackte Frau ihm so nahe war?

„Cole, kann ich helfen?“

Wobei? Die Fantasien zu erfüllen, die ihm gerade durch den Kopf gingen? Nein, wenn überhaupt, dann konnte sie ihm nur für ganz kurze Zeit helfen, was er dann umso länger bereuen würde. Aber natürlich hatte sie sich lediglich aufs Kochen bezogen.

„Die Steaks sind fertig, aber vielleicht den Tisch decken?“ Er deutete auf den großen Glastisch vor der Couch.

Ihr Eifer überraschte ihn. Was ging in ihr vor? War das Leben der normalen Leute tatsächlich solch ein Abenteuer für sie?

„Fertig!“, rief sie nach kurzer Zeit fröhlich. Sie hatte eine Kerze in die Mitte gestellt, Papiertücher aus der Küche dienten als Platzdeckchen und Servietten. Ihr Lächeln schien echt zu sein. Oder genoss sie es nur, eine Rolle zu spielen?

Cole legte die Steaks auf Blechteller, die er bei dem restlichen Campingzubehör in der Garage gefunden hatte. Eine batteriebetriebene Sturmlaterne vervollständigte die abenteuerliche Ausstattung.

„Sieht toll aus“, sagte Laurie mit glänzenden Augen. Dass sie an solch einfachen Dingen Freude haben konnte, machte ihn glücklich, auch wenn es ihn erstaunte. Er wollte mehr über sie wissen.

„Und was hat Sie nach Texas verschlagen?“

Ihr Lächeln verschwand, und sie griff nach ihrem Papiertuch, das sie über den Schoß gebreitet hatte.

„Nichts Besonderes. Ich bin nur auf der Durchreise.“

Cole runzelte die Stirn. „Hört sich an, als liefen Sie vor etwas davon.“

Ihr Gesicht verdüsterte sich. Nervös zerknüllte sie die Serviette. „Ja, das tue ich.“ Sie blickte ihn an. Ihre großen grünen Augen schimmerten feucht.

Sein erster Impuls war, weiterzufragen. Vor wem war sie auf der Flucht? Doch er schätzte seine eigene Privatsphäre zu sehr, um nicht Verständnis für ihre zu haben. Neugierig war er natürlich schon. Vielleicht würde sie ja später noch von selbst reden.

Sie aßen schweigend weiter, während der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte. Schließlich, ohne ersichtlichen Grund, nahm sie das Thema wieder auf.

„Ich war verlobt und wollte bald heiraten“, begann sie. „Mein zukünftiger Mann meinte, ich würde eine gute Ehefrau sein.“

Cole legte den Kopf schräg. Was würde nun kommen? Hoffentlich hatte sie ihrem Verlobten nicht dasselbe angetan wie seine Exfrau ihm.

„Aber Sie wollten keine gute Ehefrau sein?“

„Doch, ganz und gar“, widersprach sie. „Ich hätte alles für ihn getan. Ich habe immer nachgegeben, man konnte gut mit mir auskommen. Wahrscheinlich zu gut.“

Er hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte, doch er schwieg, geduldig wie ein Psychiater.

„Das mochte er wohl am meisten an mir.“ Sie lächelte schwach. „Er betrügt mich mit meiner besten Freundin, die selbst verheiratet ist.“

„Aua“, bemerkte Cole.

Laurie legte die Gabel zur Seite und stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte auf.

„Wissen Sie, wenn ich ihn wirklich geliebt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich am Boden zerstört. So allerdings fühle ich mich nur ausgenutzt. Hintergangen. Missbraucht.“

Sie blickte ihn forschend an, als suche sie in seinem Gesichtsausdruck nach einem Zeichen von Verständnis.

„Fünfzehn Jahre lang habe ich versucht, jeden zufriedenzustellen, um meiner Tante zu zeigen, wie dankbar ich bin, dass sie mich adoptiert hat.“

„Was ist mit Ihren Eltern geschehen?“

„Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Als meine Mutter starb, wurde ich Vollwaise. Meine Tante sagte immer, sie hätte mich aus dem Waisenhaus gerettet. Und sie tut alles, damit ich es auch ja nicht vergesse.“

„Das Waisenhaus muss schlimm gewesen sein.“

„Schlimmer war der Tod meiner Mutter. Ich hatte solche Angst.“

Er nickte voller Mitgefühl.

Laurie stand auf. „Ich hatte gehofft, dass Tante Caroline wie eine Mutter zu mir sein würde. Doch da hatte ich mich schwer getäuscht.“

Wie um das Thema zu wechseln, stellte sie das Geschirr zusammen. „Ich mache den Abwasch.“

„Ich helfe Ihnen.“ Mit der Laterne ging er voraus.

Laurie folgte ihm, verwundert darüber, wie viel sie ihm von sich erzählt hatte. Schließlich war er ein Fremder, jemand, den sie erst seit wenigen Stunden kannte. Doch er hatte ihr aufmerksam zugehört, und das erlebte sie nur selten. Außer Cole interessierte es sonst nur Michael Harper, was in ihr vorging. Er war ein hervorragender Arzt und guter Freund, doch in diesem Fall konnte sie sich nicht an ihn wenden. Schließlich war es seine Frau, mit der Daniel sie betrog.

Sie stellte das Geschirr in die Spüle und ließ Wasser einlaufen.

„Was würden Sie zu einer Tasse heißer Schokolade sagen?“

Lauren blickte auf. Seltsam, welch intensive Ausstrahlung Cole hatte. Durch seine Größe und seine ausgeprägten Gesichtszüge wirkte er stark und heldenhaft, doch die blauen Augen und dunklen Locken milderten den Eindruck. Sein Vorschlag rührte sie.

„Ich habe seit Jahren keinen Kakao getrunken.“

„Na ja, das gehört zum Camping einfach dazu. Wenn Sie mit Kakaopulver vorliebnehmen. Ansonsten brauchen wir nur heißes Wasser.“

„Sie haben wahrscheinlich nicht die Sorte mit den kleinen Marshmallows, oder?“

Er schenkte ihr ein charmantes Lächeln. „Nein, aber für nächstes Mal werde ich die besorgen.“

„Danke.“

„Weil ich Ihren Lieblingskakao kaufen will?“

„Nein, weil Sie mir in meinem Selbstmitleid zugehört haben.“

Cole legte ihr einen Finger unters Kinn. Die Berührung seiner rauen Fingerspitze ließ sie angenehm erschauern.

„Das war kein Selbstmitleid. Sie haben nur erklärt, warum Sie auf der Durchreise sind.“

Er blickte sie forschend an, und sie glaubte, in den Tiefen seiner blauen Augen zu versinken. Dann beugte er sich vor und näherte seine Lippen den ihren.

3. KAPITEL

Laurie wusste nicht, ob sie sich wehren oder ihm entgegenkommen sollte. Schließlich siegte ihr Gefühl.

Der Kuss begann sanft und langsam, als Cole zögernd ihre Lippen streifte. Er bot ihr Freundschaft und Zärtlichkeit. Es war Laurie, die plötzlich mehr wollte. Mehr brauchte. Instinktiv schlang sie die Arme um seinen Nacken und zog ihn näher an sich.

Die Vernunft sagte ihr, sofort aufzuhören, doch ihr verletzter weiblicher Stolz gewann die Oberhand. Sie musste sich einfach beweisen, dass sie einen Mann erregen konnte. Diesen Mann. Sie öffnete den Mund und lud ihn ein, sie weiter zu erforschen. Ihre Zungen fanden sich, spielten hungrig miteinander. An ihrer Hüfte spürte Laurie seine Erregung.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, strich er sanft über ihren Nacken und fand den Weg unter den Bademantel. Ihre Knie gaben nach, als sie seine raue Hand auf ihrer Haut spürte.

Sie musste völlig verrückt geworden sein, aber sie hatte auch noch nie vorher ein so starkes körperliches Verlangen erlebt. Hungrig presste sie sich an ihn, durchwühlte mit den Fingern sein Haar und zog seinen Kopf noch näher an sich heran.

Sein leises Stöhnen machte ihr deutlich, dass er bereit war, sie gleich hier auf dem Küchenfußboden zu lieben. Und genau das wollte sie. Ein leidenschaftliches, schnelles Zusammentreffen, das sie von ihrem verletzten Stolz und ihren zerstörten Träumen ablenkte.

Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie mehr brauchte als eine heiße Nacht. Endlich meldete sich doch die Vernunft und erinnerte sie daran, dass dieser Mann ein Fremder war, den sie nie wiedersehen würde.

Laurie löste sich aus seiner Umarmung und unterbrach widerwillig den Kuss, flüsterte ihm zu, er solle aufhören. „Es tut mir leid“, sagte sie, als er sie freigab.

Cole fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss“, erwiderte er und trat einen Schritt zurück. „Bitte denken Sie nicht, dass ich Ihre Verletzlichkeit ausnutzen wollte.“

Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Es war genau umgekehrt. Sie wollten nur freundlich sein und mir einen zärtlichen Kuss geben, doch ich habe mich vergessen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, normalerweise bin ich eher schüchtern.“

„Man kann schwer voraussagen, wie sich jemand verhält, wenn er von dem einen Menschen verletzt worden ist, dem er absolut vertraute“, sinnierte Cole mit einem schmerzlichen Lächeln. „Nachdem mich meine Frau verlassen hat, habe ich auch versucht, Trost in einer sexuellen Beziehung zu finden.“

„Und, hat es geholfen?“ Laurie wickelte sich fester in den Bademantel und knotete den Gürtel neu.

„Ein wenig. Aber manchmal frage ich mich, ob es je aufhört.“

Laurie verstand ihn nur zu gut. Was Daniel ihr angetan hatte, trug nur zu einem Teil dazu bei, wie verloren sie sich fühlte. Im Grunde hatte sie sich selbst betrogen, jedes Mal, wenn sie ihre eigenen Wünsche und Ziele zurückgestellt hatte.

Schweigend wuschen sie weiter das Geschirr ab, doch schließlich beschloss sie, ihm ebenfalls die Möglichkeit zu geben, über sich zu sprechen.

„Wie lange leben Sie schon allein?“

„Fast zwei Jahre, aber ich bin nicht allein.“

Beinahe wäre ihr die Pfanne aus der Hand gefallen. Natürlich, sie hatte ja schon vermutet, dass eine Frau dieses Haus in Schuss hielt.

„Wer lebt hier mit Ihnen?“

„Beth.“

Laurie zuckte zusammen. „Himmel, verzeihen Sie mir“, sagte sie verlegen. „Ich hatte keine Ahnung, dass es jemanden in Ihrem Leben gibt. Sonst hätte ich Sie niemals so geküsst.“

Cole lachte. „Ja, sie macht einen großen Teil meines Lebens aus. Beth ist meine Tochter. Fünf Jahre alt.“

Erleichterung durchflutete Laurie. Seltsam, dabei konnte es ihr doch völlig gleichgültig sein. Schließlich würde sie weiterfahren, sobald der Regen nachgelassen hatte.

Der Abwasch war schnell erledigt, doch noch bevor Cole die letzten Teller weggestellt hatte, gähnte Laurie herzhaft.

„Ich glaube, ich zeigen Ihnen am besten Beths Zimmer“, schlug Cole vor.

„Danke. Ich bin wirklich völlig erledigt.“ Sie folgte Cole, hielt ihn aber an der Küchentür zurück.

„Bekomme ich dann meine heiße Schokolade ein anderes Mal?“

Er grinste jungenhaft, sodass die Lachfältchen um seine Augen deutlicher zu sehen waren. „Wie wär’s zum Frühstück?“

„Wunderbar!“

An der Tür zum Kinderzimmer blieb er stehen.

„Machen Sie’s sich gemütlich. Bis morgen.“

Mit großen Augen blickte sich Laurie in dem liebevoll eingerichteten Zimmer um. Sie ging zum Bett und schlug vorsichtig die rosafarbene, gesteppte Tagesdecke zurück.

Eines Tages wirst du dein eigenes Zimmer haben, Laurie, und ganz viele Puppen und Teddybären. Und eine Mutter, die mich ins Bett bringt, dachte Laurie.

Ja, sie hatte ihr eigenes Zimmer bekommen im Haus von Tante Caroline. Eingerichtet mit antiken Mahagoni-Möbeln und einem cremefarbenen Teppichboden. Wie erwartet, hatte Laurie stets peinlichste Ordnung gehalten. Da blieb kein Platz für den Krimskrams eines jungen Mädchens.

Sie schlief ein, kaum dass sie sich hingelegt hatte. Ihre Träume waren ein Kaleidoskop von bunten Bildern. Und ein Cowboy mit blauen Augen tauchte auch darin auf.

Coles Schlaf dagegen war äußerst unruhig. Die Erinnerung an den leidenschaftlichen Kuss ließ ihn nicht los.

So war er schon vor Tagesanbruch auf den Beinen und sah nach den Pferden. Um zehn hatte er bereits geduscht und sich auf dem Campingkocher einen Kaffee zubereitet.

Er rieb sich den steifen Nacken und blickte durchs Küchenfenster nach draußen. Noch immer regnete es in Strömen. Er brauchte nicht zum Flussbett hinauszufahren, um zu wissen, dass es dort kein Durchkommen gab. Die Straße zum Highway war bei solchem Wetter immer überschwemmt. Er hatte gleich morgens bei Beth angerufen, die begeistert war, noch einen Tag länger bei den Petersons bleiben zu können.

„Guten Morgen“, grüßte Laurie, als sie in die Küche kam. Sie trug die Sachen von Kerri-Leigh, die sie über Nacht zum Trocknen aufgehängt hatte. Sie standen ihr nicht so gut wie der Bademantel, aber Cole fiel es dennoch schwer, den Blick von ihr abzuwenden.

„Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?“

Sie unterdrückte ein Gähnen. „Herrlich. Ich war wirklich ziemlich müde.“

„Möchten Sie einen Kaffee?“ Er deutete auf den Campingkocher. „Ich kann auch neuen kochen.“

„Machen Sie sich keine Umstände. Ich nehme eine halbe Tasse von Ihrem. Es gibt also noch immer keinen Strom?“

„Leider nein. Der Regen sollte bis heute Abend nachlassen, aber der Strom wird hoffentlich früher wieder da sein.“

Vorsichtshalber erwähnte er die überflutete Straße nicht. Das Wasser ging normalerweise immer innerhalb eines Tages zurück.

„Also campen wir einfach weiter“, vermutete sie mit einem scheuen Lächeln.

„Sieht ganz so aus. Brauchen Sie irgendetwas? Eine Zahnbürste? Rasierer?“

Sie kaute auf ihrer Unterlippe, dann lächelte sie wieder. „Könnte ich mir vielleicht ein Hemd von Ihnen ausleihen? Ich habe einen Gymnastikanzug mit, aber kein Oberteil, das ich hier anziehen könnte.“

„Klar“, sagte er, während er sich vorzustellen versuchte, welche Oberteile sich wohl in ihrer Sporttasche verbargen. Hoffentlich bekam er noch mal Gelegenheit, sie in seinem Bademantel zu sehen. Das erotische Bild hatte sich ihm eingeprägt. Ob es in der nächsten Nacht eine Wiederholung geben würde?

Jedenfalls nicht von dem Kuss, warnte ihn seine innere Stimme. Er wollte mehr als die Leidenschaft einer flüchtigen Nacht. Allerdings konnte er sich der Lust, die er beim Anblick Lauries empfand, auch nicht verschließen.

Nachdem sie als Mittagessen Käse, Äpfel und Cracker gegessen hatten, verbrachte Laurie einen gemütlichen Nachmittag auf dem Sofa. Sie hatte einen Krimi im Bücherregal gefunden, und die düstere Atmosphäre draußen verlieh ihrer Lektüre den richtigen Rahmen.

Dabei fühlte sie sich in Cole McAdams Haus völlig sicher. Die rustikale Einrichtung strahlte Geborgenheit aus, und auch ohne Strom war es warm und gemütlich. Am liebsten wäre sie für immer geblieben.

Doch das war natürlich völlig ausgeschlossen. Ihr Leben hatte sich nicht nur um Daniel Walker gedreht. In Los Angeles wartete auch noch die Stiftung auf sie, die sie gegründet hatte: El Corazón de los Angeles – das Herz der Engel.

Laurie hatte lange und hart dafür gekämpft. Das alte, verlassene Lagerhaus schien ihr wie geschaffen dafür, eine Zuflucht zu werden für alleinstehende Mütter und ihre Kinder, die auf der Straße oder in großer Armut lebten. Laurie dachte an kostenlose Beratung über Arbeitsmöglichkeiten, an Spiel- und Lernstunden für die Kinder. Ein Ort der Hoffnung.

Erstaunlicherweise hatte Tante Caroline ihre Pläne unterstützt. Zum ersten Mal war sie mit Laurie einer Meinung gewesen.

Auch Daniel wollte das Projekt vorantreiben. Jetzt allerdings konnte sie auf seine Hilfe gut verzichten. Sie vertraute ihm nicht mehr auf keiner Ebene.

Am Morgen hatte sie erneut den gelben Umschlag in der Hand gehabt, doch wieder nicht den Mut gefunden, ihn zu öffnen.

Sollte sie ihren verletzten Stolz zurückstellen, um das Projekt El Corazón nicht zu gefährden? Und was würde Tante Caroline zu all dem sagen? Sie hatte Daniel geradezu vergöttert.

Die Wahlen standen kurz bevor, und sie würde sicherlich verlangen, dass Laurie sich bei Daniel für ihr kopfloses Verhalten entschuldigte. Dass sie ihn bat, sie trotzdem zu heiraten, was natürlich voraussetzte, dass sie seine Affäre mit Denise einfach ignorierte. Aber dieses Mal würde Laurie nicht gehorchen, auch wenn sie ihrer Tante viel schuldete.

„Möchten Sie vor dem Abendessen etwas trinken?“, rief Cole ihr aus der Küche zu.

Laurie war froh, dass er ihre Gedanken unterbrach. „Gern. An was dachten Sie denn?“

Er lehnte ihm Türrahmen, den Daumen lässig in die Tasche seiner Jeans gesteckt. Seine dunklen Locken kringelten sich über dem Kragen eines weißen Hemdes. Sicherlich war er nicht so elegant und feinsinnig wie die Männer in ihren Kreisen, doch denen fehlte dafür die männliche Ausstrahlung, die Cole hatte.

Er lachte sie strahlend an. „Ich hätte Wein und Bier oder Apfelsaft in diesen kleinen Papptüten mit Strohhalm.“

„Ein Glas Wein wäre schön.“

„Weiß oder rot?“

„Da richte ich mich ganz nach Ihnen.“

„Ich mache eine Flasche auf. Dann können wir überlegen, was wir zum Abendessen kochen.“

Zwei Stunden später saßen Cole und Laurie wieder an dem großen Glastisch, ließen sich überbackenen Toast schmecken und hatten die Flasche Merlot beinahe geleert.

Aus dem tragbaren, batteriebetriebenen Radio, das Cole in einer Ecke aufgestellt hatte, erklangen Countrymelodien.

„Sie sehen aus, als ob sie entweder gebannt der Musik lauschen oder in Erinnerungen schwelgen.“

Laurie blickte auf und lächelte. „Beides, denke ich.“

„Als ich Ihnen das erste Mal an der Tankstelle begegnet bin, hätte ich nie gedacht, dass sie Country- und Westernmusik mögen.“

„Ich auch nicht. Aber wenn man eine Weile zuhört, haben die Melodien und Texte schon etwas Ansprechendes, finden Sie nicht?“

Seine Augen funkelten, als er ihr Lächeln erwiderte. „Ich spiele freitags abends immer in einer kleinen Band im Long Shot.“

„Im Ernst?“

Er hob die Schultern. „Ob Sie’s glauben oder nicht, ich kann sogar klassische Geige spielen, aber allzu viele Orchester gibt es hier draußen eben nicht.“

„Geige? Das ist ja eine Überraschung.“

„Wieso? Dachten Sie, ein Cowboy könne kein Instrument spielen?“

„Keineswegs. Aber Ihre Vielseitigkeit fasziniert mich.“

„Dabei haben Sie selbst auch so viele Facetten.“

Sie blickte hinaus in die Dunkelheit. „Ja, wahrscheinlich.“

„Und was sind Ihre verborgenen Talente?“ Er war nicht bereit, dieses interessante Thema schon wieder aufzugeben.

„Ich weiß nicht …“ Sie seufzte. „Ich spiele Klavier, aber die steifen Unterrichtsstunden haben mir nie Spaß gemacht. Vielleicht hätte ich lieber Geige lernen sollen, dann könnte ich Countrymusik machen, wenn mir die Klassik zu langweilig wird.“

Er runzelte die Stirn. „Das hat doch gar nichts mit dem Instrument zu tun. Haben Sie schon mal Keyboard gespielt?“

„Nein, nicht mal eins aus der Nähe gesehen.“

„Vielleicht müssen Sie es einfach lockerer angehen.“

„Ja, möglich.“

Er betrachtete sie eindringlich, als wolle er ihre Fassade durchdringen. Beinahe hätte sie ihn gefragt, was er sah, doch sie bremste sich rechtzeitig. Schließlich sollte er nicht denken, sie kenne sich selbst nicht.

„Und welche Fähigkeiten haben Sie noch?“

„Keine Ahnung. Ich wollte immer Ärztin werden, doch meine Tante hat das verhindert.“

Er legte den Kopf schräg. „Wie?“

„Sie bekam einen Tobsuchtsanfall, als sie erfuhr, dass ich zwei Hauptfächer belegt hatte.“

„Hätte sie nicht eher stolz auf Ihren Ehrgeiz sein sollen? Zwei Hauptfächer verlangen eine Menge Arbeit und Konzentration.“

„Die Freien Künste habe ich ihretwegen gewählt. Biologie war das, was mich interessierte. Sie fand es heraus, als ich die Vorprüfung bestand und das Ergebnis zu mir nach Hause geschickt wurde.“

„Und sie war nicht begeistert?“

„Sie sagte, ich sei verrückt.“ Laurie seufzte und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. „Bisher habe ich mich ihr immer gefügt, aber dass ich ihretwegen das Medizinstudium aufgegeben habe, tut mir heute noch leid.“

Cole stand langsam auf und ging zu dem Barschrank neben der Küchentür hinüber. Geschickt öffnete er eine zweite Flasche Wein und füllte die beiden Gläser.

Normalerweise trank Laurie nie mehr als ein oder zwei Gläser, doch sie genoss den Abend.

„Warum nehmen Sie das Studium jetzt nicht einfach wieder auf?“

Die Frage überraschte sie, war allerdings nur logisch. Mit Michael Harper hatte sie oft bis zum Morgengrauen medizinische Fälle diskutiert, wenn Daniel und Denise schon längst die Augen zufielen. Nun war ihr auch klar, warum sich die beiden nie beschwerten, sondern immer zusammen noch eine Runde um den Block drehten. Wie ahnungslos sie doch gewesen war!

„Gibt’s denn etwas, was Sie daran hindert?“, fragte er weiter.

Laurie blickte ihn erstaunt an. „Nein, eigentlich nicht.“

Aber im Moment wollte sie einfach nicht darüber nachdenken. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Song zu, der gerade aus dem Radio erklang.

„Hat der gerade gesungen, dass er seine Frauen gerne etwas billig mag?“, fragte sie ungläubig.

Cole grinste. „Ja, er meint, wenn sie zu enge Kleidung tragen und sich die Haare platinblond färben.“

Laurie lachte. „Das ist also die Art von Frauen, die Cowboys vorziehen?“

Sein Lächeln verschwand, und ihr wurde klar, dass er ihre Worte vielleicht nicht als Scherz aufgefasst hatte.

„Wie mögen Sie denn Ihre Frauen, Cole?“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, als ihr bewusst wurde, wie sehr das nach Flirten klang. Dabei meinte sie es gar nicht so. Oder doch? Verflixt, sie hatte keine Ahnung.

Er blickte sie eindringlich an. Offensichtlich nahm er ihre Frage völlig ernst. „Liebevoll und aufrichtig“, antwortete er leise.

Dann schwiegen sie beide, überwältigt von den Gefühlen, die plötzlich im Raum standen.

Sie saßen auf dem Fußboden, Laurie im Schneidersitz, die Arme auf den Glastisch gestützt, Cole mit ausgestreckten Beinen an die Couch gelehnt.

Draußen war der Regen in ein leichtes Nieseln übergegangen, drinnen prasselte das Feuer leise und gemütlich.

Als ein alter, langsamer Song erklang, stand Cole auf und streckte ihr die Hand hin. „Tanzen Sie mit mir.“

Sie versuchte, ihm nicht zu nahe zu kommen. Wenn sie ihn berührte, würde ihr Verlangen die Oberhand gewinnen. Dabei war ihr Leben schon kompliziert genug. Sie musste bald nach Kalifornien zurück. Allerdings nicht heute Nacht.

Unfähig, sich dagegen zu wehren, ließ sie zu, dass er sie in seine Arme zog. Sie harmonierten perfekt miteinander und bewegten sich zu dem langsamen Rhythmus des Liebeslieds.

Laurie lehnte den Kopf an seine Wange, spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken und atmete seinen männlichen Duft ein.

Es lag am Wein, redete sie sich ein. Und an dem dummen Liebeslied. Nur deshalb presste sie sich enger an ihn, nur deswegen sehnte sie sich danach, dass er seine Hand über ihren Rücken gleiten lassen möge.

Doch sie musste sich eingestehen, dass sie sich selbst belog. Der Wein und die Musik hatten kaum etwas mit der unwiderstehlichen Anziehungskraft zu tun, die dieser Cowboy auf sie ausübte.

Cole schloss die Augen und unterdrückte den Impuls, ihren Nacken zu küssen. Er wollte ihr Dinge ins Ohr flüstern, die er ihr unmöglich versprechen konnte.

Es liegt nur daran, dass ich so lange mit keiner Frau mehr zusammen war, sagte er sich. Reine körperliche Lust ließ ihn so empfinden.

Während sie sich langsam zur Musik bewegten, zog er sie dennoch enger an sich. Sie war zweifellos eine Traumfrau. Aber Beth brauchte Sicherheit, eine Ersatzmutter. Und er wollte eine Frau, der er vertrauen konnte. Sie dagegen war nur eine Fremde auf der Durchreise.

Als das Lied endete, gab Cole sie frei. Verlegen strich er sich durchs Haar, verschränkte die Arme dann vor der Brust.

„Ich sollte besser ins Bett gehen. Morgen habe ich viel zu tun.“

Sie nickte. „Ja, ich bin auch ziemlich müde.“

Als er kurz darauf an die Zimmerdecke starrte, fühle Cole sich sehr einsam. Es wäre einfach gewesen, Laurie einzuladen, die Nacht mit ihm zu verbringen, am nächsten Morgen neben ihm aufzuwachen. Die Leidenschaft in ihrem Blick war ihm nicht entgangen. Sie stand seiner eigenen in nichts nach.

Er hätte lediglich ihre Hand nehmen und sie in sein Schlafzimmer führen müssen. Sie hätte immer noch Nein sagen können, doch er wusste, es wäre ihr schwergefallen.

Aber es war nun mal Coles Prinzip, immer das Richtige zu tun. Auch wenn es bedeutete, dass er heute Nacht wieder kaum Schlaf bekam.

4. KAPITEL

Als Laurie aufstand, schien die Sonne bereits ins Zimmer. Sie hatte in der vergangenen Nacht lange wach gelegen, verwirrt von dem Verlangen, das sie empfand. Auf keinen Fall würde sie noch mal so unvernünftig sein und zu viel Wein trinken. Doch da der Regen aufgehört hatte und sie nicht ewig bleiben konnte, würde sich das Problem sowieso nicht mehr stellen.

Sie ging barfuß in die Küche und betrachtete die fleckigen Pinienmöbel und den pink-weißen Linoleumboden. Offenbar hatte Cole hier seine Einrichtungskünste noch nicht angewendet – der Raum unterschied sich in der Atmosphäre und Eleganz deutlich vom Rest des Hauses. Laurie fragte sich, welche Pläne er wohl für den Umbau hatte.

Ganz in Gedanken betätigte sie den Lichtschalter und erschrak, als das Licht tatsächlich anging. Damit war es also entschieden – alles funktionierte, wie es sollte, und so würde sie sich heute wieder auf den Weg machen. Wohin, wusste sie noch nicht, doch wenn sie blieb, würde sie am Ende vielleicht wieder in den Armen dieses Cowboys landen, den sie kaum kannte.

Sie durchsuchte die Küchenschränke und setzte schließlich die Kaffeemaschine in Gang. Während der Kaffee durchlief, ging sie zurück ins Kinderzimmer und holte den gelben Umschlag aus ihrer Sporttasche. Es war Zeit, sich der Realität zu stellen.

Eine Tasse Kaffee und den Umschlag vor sich saß sie kurze Zeit später am Küchentisch. Entschlossen griff sie nach einem Messer, schlitzte die schmale Seite auf und zog den Inhalt heraus.

Es handelte sich um drei Scheckdurchschriften. Die Schecks in Höhe von zusammen fast einer halben Million Dollar waren von Michael Harpers Geschäftskonto zugunsten Daniels Wahlkampfkampagne ausgestellt worden. Alle drei waren von Denise unterzeichnet, die Michaels Bücher führte.

Laurie kam die Sache seltsam vor. Wieso sollte Michael, der sich kaum für Politik interessierte, Daniel mit so hohen Summen unterstützen? Und wieso in drei Raten? Bevor Laurie weiter darüber nachdenken konnte, hörte sie Coles Wagen in der Einfahrt.

Sie schob die Schecks in den Umschlag zurück und wappnete sich für die Begegnung. Aber was war schon geschehen? Sie hatte zwar die ganze Nacht darüber nachgedacht, wie es wäre, mit Cole zusammen zu sein, doch in Wirklichkeit hatten sie nur miteinander getanzt.

Und noch immer brachte die Erinnerung an den leidenschaftlichen Kuss ihre Haut zum Glühen und ließ ihr Herz schneller schlagen.

Die Hintertür öffnete sich, und ein blondes Mädchen stürmte in die Küche. Ihre Stupsnase war mit Sommersprossen bedeckt, und ihre blauen Augen blitzten übermütig. Sie trug eine Brille mit blau eingefassten, runden Gläsern, die ihrem Gesicht einen vorwitzigen Ausdruck gab. Coles Tochter, so vermutete Laurie, und lächelte.

Das Kind blieb wie angewurzelt stehen, lachte Laurie dann aber offen an. „Wer bist du?“

„Hallo“, grüßte Laurie und suchte Coles Blick, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.

„Das ist meine Tochter Beth“, stellte Cole das Kind vor. „Und das hier ist Laurie, eine Freundin von Kerri-Leigh.“

Und was bin ich für dich? fragte sich Lauren. Sie streckte dem Mädchen die Hand hin. „Ich freue mich, dich kennenzulernen, Beth.“

Das Kind kicherte und erwiderte den Händedruck. „Ich freue mich auch.“

„Geh doch schon mal auspacken, und leg deine schmutzige Wäsche ins Bad“, sagte Cole zu Beth. „Consuela kommt morgen Nachmittag und wird eine Waschmaschine laufen lassen.“

Laurie lächelte in sich hinein. Also hatte Cole doch jemanden, der sich um den Haushalt kümmerte. Beth trabte gehorsam los.

Verlegen wandte Laurie sich Cole zu. „Ich denke, ich sollte mich dann auch besser wieder auf den Weg machen.“

„Zu Fuß oder mit Ihrem Wagen?“

Tatsächlich hatte sie gar nicht mehr daran gedacht, dass sie Kerri-Leigh das Auto geliehen hatte.

„Könnten Sie mich zum nächsten Busbahnhof bringen? Dort wollte Kerri-Leigh den Wagen abstellen.“

„Gerne“, gab er zurück. „Aber das ist in Clayton, vierzig Kilometer von hier. Ich habe einen Termin in Tannen, den ich nicht verschieben kann. Wäre es Ihnen heute Abend recht?“

„Ich habe keine Eile mit dem Wagen. Aber wenn Sie mich mit nach Tannen nehmen würden, könnte ich auch einige andere Dinge erledigen.“

„Selbstverständlich. Ich brauche allerdings ein paar Stunden. Meinen Sie, Sie können sich so lange in einer Kleinstadt beschäftigen?“

Laurie unterdrückte ein Grinsen und hob die Schultern. „Ich werde es als Abenteuer ansehen.“

Cole lachte. „Ich habe noch einiges auf der Ranch zu tun. Wie wäre es gegen Mittag?“

„Einverstanden.“ Laurie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fragte sich, was Cole wohl zu ihrer neuen Friseur sagen würde. Sie hatte vor, in Tannen die Friseurin aufzusuchen, die Kerri-Leigh ihr empfohlen hatte. Und wieso dachte sie überhaupt darüber nach? Heute Abend würde sie weiterfahren, und den Mann nie wiedersehen.

„Beth!“, rief Cole in Richtung Kinderzimmer. „Willst du mit mir auf die Weiden gehen?“

Das Mädchen kam in die Küche gerannt. „Kommt die Lady auch mit?“

„Nein, für sie ist es zu matschig. Aber du könntest deine Gummistiefel anziehen und …“

Beth stellte sich neben Laurie. „Ich bleibe bei der Lady.“

„Vielleicht fragst du sie vorher mal, ob ihr das überhaupt recht ist?“

„Aber sicher“, meinte Laurie. „Wenn dein Vater es erlaubt.“

„Natürlich“, sagte Cole.

Beth klatschte vor Freude in die Hände. „Vielleicht können wir Plätzchen backen! Das macht Spaß!“

„Beth“, sagte ihr Vater streng. „Sie ist nicht zu deiner Unterhaltung hier.“

„Oh, ganz im Gegenteil, Beth wird dafür sorgen, dass es mir nicht langweilig wird“, erwiderte Laurie mit einem warmen Lächeln.

„Na gut“, meinte Cole. „Ich beeile mich. In der Zeit können Sie ein Blech Plätzchen backen oder etwa hundert Fragen beantworten, je nachdem, was ihr zuerst einfällt.“

Laurie lachte. „Klingt beides gut.“

„Oder wir spielen was. Ich hole ein paar Sachen“, schlug Beth vor.

Cole schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, sie geht Ihnen nicht auf die Nerven. Sie kann stundenlang spielen und erzählen.“

„Das ist doch wunderbar“, sagte Laurie. Sie musste nur noch schnell Tante Caroline anrufen, dann hatte sie alle Zeit der Welt, sich mit dem kleinen Mädchen zu beschäftigen. Sie freute sich direkt darauf.

Während Beth aus ihrem Zimmer die Puppen holte, rief Laurie von Coles Apparat aus ihre Tante an, erreichte aber nur das Hausmädchen, dem sie eine Nachricht hinterließ.

Kurz darauf kam Beth in die Küche zurück, und der Vormittag verging wie im Fluge. Laurie war verzaubert von der Lebendigkeit und Fantasie des kleinen Mädchens. Als sie gerade die Plätzchen auf das Blech legten, hielt Beth plötzlich inne und verzog das Gesicht.

„Mein Kopf tut wieder weh.“

Laurie betrachtete sie besorgt. Das Kind hatte Tränen in den Augen. „Wieso ‚wieder‘, hast du ihn dir angestoßen?“

„Nein, er tut öfter weh, einfach so.“

Beunruhigt blickte Laurie aus dem Fenster. Cole war nirgends zu sehen, aber irgendetwas musste sie unternehmen.

„Weiß dein Dad davon?“

„Ja, er gibt mir Medizin, aber die schmeckt scheußlich.“

„Was für Medizin?“

Beth deutete zum Kühlschrank. „So Rosafarbene. Sie steht da oben.“

Laurie griff nach der halb leeren Flasche und las das Etikett. Ein Schmerzmittel mit Traubengeschmack, speziell für Kinder. Auch die empfohlene Dosis war angegeben. Sie zögerte nur kurz. Schaden würde es wohl kaum, und auf keinen Fall wollte sie dem Kind solche Schmerzen zumuten, bis Cole zurückkam.

Als das Kind weiterjammerte, auch nachdem es den kleinen Messbecher geleert hatte, schwanden auch die letzten Zweifel. Die Schmerzen schienen immer schlimmer zu werden. Konnten Kinder Migräne haben?

Laurie trug Beth ins Kinderzimmer und legte ihr einen kühlen Waschlappen auf die Stirn. Erst, kurz bevor Cole eine halbe Stunde später zurückkam, schien das Schmerzmittel zu wirken, sodass Beth sich etwas beruhigte.

Cole hatte die matschverkrusteten Stiefel vor der Tür gelassen und kam in Socken in die Küche. Auch seine Hose war voller Dreckspritzer, doch Laurie bezweifelte, dass er sie vor ihr ausziehen würde. Allein der Gedanke daran ließ ihr jedoch einen kleinen, angenehmen Schauer den Rücken hinunterlaufen, und sie musste lächeln.

Er nahm seinen Hut ab und hängte ihn auf einen Haken neben der Tür, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Schmutzig und verschwitzt, wie er war, sah er einem echten Cowboy ähnlicher als je zuvor – bodenständiger, attraktiver, und noch viel anziehender.

Sie fing das unausgesprochene Verlangen in seinem Blick auf und beeilte sich, ihm von den Kopfschmerzen seiner Tochter zu erzählen. Zum Glück war er mit ihrem Handeln völlig einverstanden.

„Sie hatte das häufig in letzter Zeit. Dieses Kinder-Schmerzmittel scheint zu helfen.“

Autor

Anne McAllister
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Lois Faye Dyer
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Judy Duarte
Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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